1911 / 104 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 03 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

L Tis mera Stede h wte inter Led A fg ca p er Ar Prettin - a L Le C Et ac LE R T E I E E S E

jorität auf Grund eingehender Erwägungen beschlossen hat. Die Kommission hat in die Reichsversicherungsordnung Bestimmungen aufgenommen, welche eine zweckmäßige Auswahl und Kontrolle der Angestellten der Krankenkassen und eine neutrale Führung der Verwaltung sicherstellen sollen. Das ist die Tendenz der Be- \{lüsse, die Ihre Kommission gefaßt hat. Sind diese Beschlüsse be- rechtigt und sie sind es meines Erachtens so ist es selbstver- ständlich, daß das Einfübrungsgeseß dafür Vorsorge treffen muß, daß diese Beschlüsse nit für die nächsten 25 Jahre auf dem Papier stehen bleiben, fondern daß sie, soweit notwendig, alsbald nach dem Inkrafttreten der Versicherungsordnung in Wirksamkeit gesetzt werden können. Deêwegen bedurften die von dem Herrn Abg. Hoh in seinen längeren Ausführungen beinahe aus\{ließlih fkritisierten Beslimmungen der Artikel 29 ff. des Einführungsgeseßzes keiner eingebhenderen Begründung, sie finden ihre Begründung in den Beschlüssen der Kommission zu den betreffenden Paragraphen über die Krankenversicherung.

Nun hat aber der Herr Abg. Hoch eine ganz unzutreffende Vor- stellung von der Tendenz dieser Bestimmungen und von den Möglich- keiten ihrer Anwendung. Wenn man die Ausführungen des Herrn Vor- redners gehört hat, dann fênnte man glauben, es sollten nun beinahe sämtlide Beamten der Krankenkassen entlassen werden oder zum mindesten sämtlihe Beamten, die der \ozialdemokratischen Partei an- gehören. Ja, meine Herren, wo fteht denn tas? (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Wie sollten wir das überhaupt mahen? Es ist vorgesehen der Erlaß von Dienstordnungen, und diejenigen Beamlen, die bei den Kassen bleiben sollen, müssen auf diese Dienst- ordnungen verpflihtet werden. Die Angestellten der Kassen sind aker kraft Gesetzes in der freien Ausübung ihrer religiösen und politischen Anschauungen und Pflichten außerhalb des Dienstes geschüßt. Ich halte es also für ausges{lossen, taß etwa auf Grund der von dem Herrn Vorredner angefohtenen Bestimmungen in Zukunft brauch- bare, tüchtige und nüßlihe Beamte der Kassen entlassen werden. Es Tfommt dazu, daß doch die Kassenorgane selbst zunächst die Dienst- ordnungen zu erlassen haben. Es ist doch nicht anzunehmen, daß eine Kasse sih brauchbarer und tüchtiger Beamter entäußert.

Es ist dann die Frage aufgeworfen worden, ob es berechtigt sei, die Beamten in ihren wohlerworbenen Nechten zu \{chädigen, inso- weit es sich um vertragsmäßige Bezüge handelt. -Nun, meine Herren, wenn Sie die Bestimmungen des Entwurfs ansehen, so werden Sie finden, daß zunächst durch die neue Dienstordnung die Bezüge festgestellt werden. Die neue Dienstordnung, die, wie gesagt, die Kassenorgane felbst aufstellen, wird \chwerlich angemessene Beträge und angemessene Bezüge kürzen. Ste finden ferner, daß die Beamten unter allen Umständen für zwei Jahre Anspruch auf ihre bisherigen Bezüge haben, und daß weiter die Aufsich!sbehörde in der Lage ist, die bis- herigen höheren Bezüge bis zum Ablauf des Vertrages weiter zu be- willigen, wenn sie nicht ungebührliß hoch erscheinen.

Die verbündeten Regierungen haben geglaubt, daß in all diesen Bestimmungen eine hinreihende Sicherheit dafür liegt, daß wohl- erworbene Nechte nit verleßt werden, und daß nicht Verträge geändert und angegriffen werden, gegen deren Inhalt gewichtige sach- lihe Einwendungen nicht zu erheben sind.

Wenn der Herr Abg. Trimborn der Meinung ist, daß man hin- sihtlih der Bezüge der Kassenangestellten vielleiht die Rechte der Beamten etwas umfangreicher {hüten könnte, als das ich will mal sagen nach der Fassung des Entwurfs den Anschein hat, so würde ja darüber zu reden sein, wenn die an sich in Betrackht kommenden Bestimmungen der Versicherungsordnung sclbst in allen Punkten unverändert zur Annahme gelangen.

Nun, meine Herren (zu den Sozialdemokraten), Sie glauben, wir wollen sämtlihe Beamten der bestehenden Kassen oder der Herr Abg. Hoch scheidet ja grundsäglih fozialdemokratische Kassen und andere Kassen —, also der sozialdemokratishen Kassen beseitigen. Meine Herren, wir denken gar ‘nit daran. Anlaß zu den Be- slimmungen hier und in der Versiherungsordnung sind do \{ließlich vor allem die vielfach besprochenen Verträge gewesen (Abg. Hoch : die sind doch ungültig!) darauf werde ih gleih kommen —, Verträge, die zweifellos nah dem allgemeinen Urteil Bestimmungen enthalten, die mit den guten Sitten unvereinbar sind. Wenn in diesen Verträgen beispielsweise Bestrafungen wegen eines politishen oder religiösen De iftes oder die Verbüßung einer derartigen Strafe, ohne Rücksicht auf deren Dauer, ganz allgemein keinen Kündigungs- oder Entlassungs- grund abgeben dürfen, so werden mir die Herren zweifellos zugeben, daß das eine Abmachung ist, die auch nach den Grundsäßen des bürgerlichen Rechts den guten Sitten zuwiderläuft (Lachen und Widerspruch bei den Sozialdemokraten) und infolgedessen, wie der Herr Abg. Hoch bereits ausgeführt hat, ungültig ift.

Meine Herren, nun würte man sih ja mit dieser Tatsache be- nügen Tönnen, wenn es sich um einen rein privatrechtlidhen Vertrag andelt, ter zwischen zwei Privatpersonen zur Verfolgung und Sicher- stellung ihrer Privatinteressen und Ansprüche geschlossen ist. Aber,

meine Herren, um was handelt es sih hier? Es handelt si hier um

Vertrag, den eine Krankenkasse abges{chlossen hat zur Etfüllung ihr auf Grund öffentlihen Nechts auferlegter Verpflichtungen, einen Vertrag, der nur mit den Mitteln der auf Grund reihsgeseßlicher Bestimmungen zur Versicherung verpflichteten Mitglieder der Kassen erfüllt fann. Aus diesen beiden Gründen ergibt sich die fFrage, ob unter den gegebenen Verhältnissen die Beslimmungen des bürgerlihen Nechts hinreihend sind oder ob nicht die Aufsichtébehörde oder die Gesetzgebung das Necht und die Pflicht hat, threrseits Vor- sorge zu treffen, daß folhe Verträge niht wieder geschlossen werden können, und Vorsorge zu treffen, daß solhe Verträge, soweit fie be- stehen, aus der Welt geschafft werden. Das werde aber ohne éin Eingreifen der Gesetzgebung nah Lage der Dinge kaum geschehen. Die Angestellten werden kein Interesse haben, fie anzufechten. Die Kassenvorstände, an denen es wäre, diese den guten Sitten zuwider- laufenden Verträge anzufehten, werden dafür wenig Eifer zeigen, da fie selbst diese Verträge geschlossen haben, die Aufsichtsbehörde aber kann es nicht tun.

Meine Herren, das find die Gründe, die die verbündeten Ne gierungen mit Erfolg für diejenigen geseßlichßen Bestimmungen glauben ins Feld führen zu fönnen, die wir Ihnen heute zur Annahme empfehlen,

Nun ist von seiten des Herrn 'Hoch eingewandt worden, es sei völlig undenkbar, daß im Wege des Gesetzes geltendes Recht, vertrag- li festgelegtes Recht beseitigt werden könnte. Ja, meine Herren, das ist voh nicht der Fall. Ich will mich hier auf Einzelheiten nicht einlassen;

einen

werden

iH behalte mir vor, diese unsere Rechtsauffassung in der Kommission unter Berufung auf eine Reihe juristisher Autoritäten zu belegen. Ih möchte hier nur die Ausführungen cines angesehenen Privat- rechtslehrers wiedergeben, des Geheimrats Dernburg. Er stellt zunächst den Grundsaß fest, daß in der Regel eine rückwirkende Kraft der Gesetze nicht anzunehmen sei, und fährt dann fort:

„Jedoch {ließt dies eine Aufhebung bestehender Rechte in außer- gewöhnlihen Fällen vermöge cines staatlißen Notrehts nicht aus, wenn die wirts{chaftlihe oder politische Entwicklung oder auch ethische und religiöse Ueberzeugungen eine folchWe Maßregel verlangen, und die fraglichen Privatrehte temgemäß nach meiner allgemeinen Ueberzeugung veraltet sind oder auf materiellem Unreht beruhen. Was aber au die materiellen Anforderungen an den Gesetzgeber sein mögen, formell ist er unbedingt befugt, seinen Geseßen rüdck- wirkende Kraft zu geben; denn niemand hat die Macht, über den Staat zu Gericht zu sißen, wenn er sich dafür entscheidet, die Nechte der cinzelnen zur Notwendigkeit des öffentliten Wohles zu opfern.“

(Zuruf bei ten Sozialdemokraten: Das besireiten wir auch gar nicht!) Ja, meine Herren, Sie bestreiten es nit; und der Herr Hoch, der erkennt \l\b#t an, daß es sich um vertraglihe Bestimmungen handelt, die ungültig sind, weil sie den guten Sitten zuwiderlaufen, denn wir wollen doch nicht alle an sich zulässigen Bestimmungen dieser Verträge aus der Welt schaffen, sondern diese werden doch naturgemäß in die Dienstordnungen usw. der betreffenden Kassen wieder aufgenommen werden, also für alle Beamten weiter gelten. Es handelt ih lediglih darum, eine sichere Handhabe zu s{chaffen, aus den bestehenden Verträgen diejenigen Bestimmungen zu elimi- nieren, die den guten Sitten widersprehen, die mit den Zwecken der Kassen und mit der notwendigen Unpartetlichkeit der Krankenversiche- rung in Widerspruch stehen. Weiter soll durch diese geseßlichen Be- stimmungen nichts erreiht werden, und diesen Zweck können wir nur erreihen, wenn wir die Möglichkeit haben, jeßt durch die Vorschriften des Gesetzes diese Verträge aus der Welt zu schaffen.

Aber, wie gesagt, meine Herren, wenn es fich darum handelt, die Bestimmungen des Entwutfs in der Nichtung zu prüfen, die der Herr Abg. Trimborn vorhin angegeben hat, fo trage ih kein Bedenken, auf dieser Grundlage mit Ihnen in der Kommission zu verhandeln. Es liegt mir völlig fern, erworbene Rechte in einem weiteren Umfange zu bes{räânken, als das nah den eben von mir gemachten Ausführungen unerläßlich ift.

Nun, meine Herren, möchte ich noch mit wenig Worten auf einige andere Ausführungen des Herrn Abg. T1uimborn eingehen. Der Herr Abg. Trimborn hat ten Wunsch, eine rückwtrkende Kraft der Hinterbliebenenversicherung in dem Umfange zu statuieren, daß die in der Zeit vom 1. Januar 1910 bis 1. Januar 1912 eingetretenen Fälle von Ansprüchen auf Hinterbliebenen- versicherung, die hätten berücsihtigt werden müssen, wenn das Gesetz bereits am 1. Jänuar 1910 in Kraft getreten wäre, auch dur das Gesez berücksihtigt werden. Meine Herren, wir haben von seiten der verbündeten MNegierungen diese Frage eingehend ge- prüft. Wir sind zu der Auffassung gekommen, daß zweifellos der 8 15 des Zolltarifgeseßes einen Rechtéanspruch auf eine derartige Berücksichtigung niht enthält, f\ondern es kann sich höchstens um cinen Billigkeitsanspruch handeln. Aber wenn man audh nur einen Billigkeittanspruch . anerkennt, \o darf man immer nicht vergessen, daß das, was in dem § 15 dés Zolltarifgesetzes versyrochen war, nicht das ist und weniger ist als das, was auf Grund der Rei{sversicherungsordnung den Hinterbliebenen ver- \torbener Arbeiter geboten wird.

Nun kommt ferner dazu, daß es außerordentlich {wer sein würde, nachträglich überhaupt die Fälle festzustellen, in denen rückwirkend eine Hinterbliebenenversorgung einzutreten habe. Dem stehen erhebliche tehnishe Schwierigkeiten gegenüber. Wir werden uns ja hierüber in der Kommission noch unterhalten können.

Es kommt endli hinzu, daß für diese Mehrleistungen Mittel aufgewendet werden müssen, die nah sorgsamer Berehnung uns und den Versicherungsträgern nit zur Verfügung stehen; und die ver- bündeten Regierungen haben mi mit der bestimmten Weisung hier in den Neichstag geschickt, allen weiteren Belastungen des Reiches, aber auch allen weiteren Belastungen der Produktion entgegen- zutreten, die eventuell hier im Neichstag beschlossen werden könnten. (Hört ! hört! bei den Sozialdemokraten und links.)

Ich kann unter diesen Umständen nicht in Aussicht stellen, daß die verbündeten Regierungen über das hinaus gehen würden, was sie bereits konzediert haben; und, meine Herren, ih bitte, nicht zu ver- gessen, daß in der Anrechnungsfähigkeit der vorgeseßlihèn, geringeren Invalidenbeiträge tatsählich cin starkes Entgegenkommen der ver- bündeten Regierungen gerade in der Nichtung der rücckwirkenden Kraft der Gesctze gegeben ist.

Was nun endlich die von dem Herrn Abg. Trimborn vorgetragenen Wünsche hinsihtlih der den verbündeten Regierungen gegebenen Voll- macht über den Erlaß weiterer Ausführungsvorschriften betrifft, so hat der Herr Abgeordnete ja selbst {hon anerkannt, daß wir einer der- artigen Blankovollmacht kaum werden entbehren können ; denn wir können nicht alle Cinzelheiten übersehen, in denen etwa der Erlaß von Aus- führungsbestimmungen notwendig sein könnte. Daß wichtige, weit- tragende Fragen außer acht gelassen sein sollten kei dem Entwurfe, glaube ih nit, aber ih würde für meine Person keine Bedenken gegen eine Vorschrift haben, wona derartige vom Bundesrat erlassene Vebérgangsbestimmungen dem Reichstage alsbald mitzuteilen sind. Ob es zweckmäßig ist, sie von der nahträglihen Zustimmung des Neichstags abhârgig zu machen, ist mir zweifelhaft, da es #ich ja unter allen Umständen nur um vorübergehende Anordnungen handeln kann.

Abg. Horn-Reuß (nl.): Die Vorlage hât mit den materiellen Fragen, die in der Neichsversicherung8o1dnung geregelt werden, nur äußerlih Zusammenhang. Die Gefahr, beide Vorlagen miteinander zu verwechseln, liegt sehr nahe, und der Abg. Hoch ist offenbar unter- legen, namentlih îin bezug auf die Lage der Krankenkafsen- angestellten. Wir werden bestrebt sein, unsere Entschließungen nah (Serechtigkeit, Billigkeit und mit Wohlwollen gegen die Kafsen- beamten zu treffen. (Grundsäßliche Bedenken haben wir gegen den (Fntwuxrf“mcht, auf Einzelheiten werden wir in der Kommission ein- aehen. Aus dem Wortlaut des Art. 13 leiten die Beamten der Schiedsgerichte die Befürchtung her, daß sie nach 2. Jahren wieder verfügbar fein werden. Ich halte diese Befürhtung nicht für be- gründet, aber vielleicht könnten wir in der Komtmission eine Sicher- stellung vorsehen, Bei der Anregung des Abg. Trimborn ist auf die hohe finanzielle Belaflung Bedacht zu nehmen. In der Kommission wird auch diese Frage zu erörtern sein.

Abg. Behrens (Wirtsch. V p): Die Befürchtung, die die Be- amten der Schiedêgerichte hegen, ist in zahlreichen Petitionen, nament- lih aus Thüringen, zum Ausdruck gekommen, die auch mir zugegangen find. Jch halte sie für berechtigt, und es wird in der Kommission eine günstigere Fassung des Art. 13 zu suchen sein. Die Frage der sozialdemoktratischen Vorherrschaft in den Krankenkassen ist hon aus- giebig genug erörtert; es könnten doch nur dieselben Neden wieder gehalten werden. Wir wollen durchaus nichts unternehmen, was irgendwie in wohlerworbene Nechte eingreift, aber wirklichen Miß- standen, die sich in ter Praris gezeigt haben, wollen wir entgegentreten. Sozialdemoktatishe Interessen mögen vielleiht auf dem Spiele stehen, aber die berechtigten Interessen der Arbeiter werden nit be- rührt, sonst wären wir die ersten, die ‘dagegen Protest erhöben. Selbiît unter den sozialdemokratischen Arbeitern is die Entrüstung niht so groß, wie es hier der Abg. Hoh hingestellt hat. Man beurteilt im Gegenteil die Sache sehr nüchtern dahin, daß die Kommission die Bestimmungen fo getroffen hat, daß die Arbeiter- interessen gewahrt bleiben. i i

Abg. Dove (fortschr. Volkép.): Wir kommen immer mehr dahin, daß wir in unseren Geseßzen nur die allgemeinen Richtlinien feststellen, die Ausführung aber den anderen Faktoren, dein Bundesrat und Kaifer- licher Verordnung überlassen. Damit gewinnt der Bundesrat eine besondere Bedeutung, und um fo mehr ist es unsere Aufgabe, im Gesetz dafür zu sforgen, daß die wesentlihen Grundsäße als unverrükbar festgelegt werden. Die ganze Tendenz der Reichsversicherungsordnung

eht ja dahin, bei Gelegenheit der- Zusammenfassung der verschiedenen tersicherungszweige und ihrer Ausgestaltung gleichzeitig dos Element des staatiihen Einflusses erheblich: zu stärken. Die Sozialdemokratie gerät dadurch in einen eigentümlihen Widerspruh. Denn die Tendenz, die öffentlihe Gewalt zu stätken, eitspriht dem Partei- programm ‘der Sozialdemokraten, andererseits aber bekämpft sie grundsäulih die gegenwärtigen Organe der öffentlichen Gewalt. Wenn man diese Organe stärkt, so müssen allerdings Kautelen geschaffen werden, und da müssen die erhèblihsten Bedenken auftauchen, ob die Regelung, wie sie in dén Artikeln 29 bis 32 vorgesehen ist, in der Tat mit unseren Patteigrundsäßen und der Rechts- ordnung, an der wir festhalten zu müssen glauben, vereinbar it. Der Staatssekretär hat als Grund für ein solches Eingreifen die Beschlüsse der Kommission zur Reichéversicherungéordnung angeführt. Diése Bestimmungen bedürfen do noch der Nahprüfung durch das Plenum, man kann “sich ohne weitetes auf diefe Regelung nicht fest- legen. Das Ziel ist aber allerdings durchaus billigenswert, ein Miß- brauch der Krankenkassenorganisationen zu politischen Parteibestrebungen muß verhütet werden. Ein anderes ist es aber dech, wenn man diefe Bestimmung benußt, um mit der Staatsgewalt in bestehende Ver- träge einzugreifen. Der Staatssekretär meinte ferner, es verstießen diese Verträge gegen die guten Sitten. Der Verstoß agegen die guten Sitten ist aber im Bürgerlichen Geseßbuh als Grund für die Nichtigkeit von Verträgen s\tatuiert, und damit werden diese Verträge gleichzeitig auch unter ken Schuß des Bürgerlichen Geseßbuches gestellt. Daß die Verträge ohne Entschädigung der Angestellien aufgehoben werden könnten, ist keincêwegs ohne weiteres gegeben. Bei der Verstaatlihung der Eifenbahnen sind die An- gestellten der Privatbahnen entweder ‘übernominen oder entschädigt worden. Auch das Verfahren bei der Entfernung eines Beamten wegen Unfähigkeit muß mit den gewöhnlichen Nechtégarantien um- geben werden; der bloße Antrag des Kassenvorstandes oder des Ver- ncherungsamtes genügt nicht, denn auch hier licgt die Gefahr des Mißbrauchs zu politischen Zwecken vor, und für den einzelnen handelt es sih doch dabei um eine Lebenéfrage. - Es muß nah Mitteln ge- sucht werden, die den Zweck des Gesetzes erreichen, ohne die bis- herige Selbstverwaltung der Krankenkassen im wesentliden zu ge- fährden, wenn ih auch nit soweit gehe, das Gese als Ausnahme- gesetz gegen dic Arbeiter zu bezeicbnen. 4

Abg. Schul (Rp.): Der Kollege Hoch hat ausgeführt, daß das Verfahren der Kommission bei Feststellung“ des Berichtes unerhört und eine Komötie gewesen sei. Ih verwahre mich und die Kommission gegen diesen Angriff. Jn der Kommision war der Vorsitzende aus- drücklih ermächtigt, die Sißung schon etwa eine Woche früher an- zuberaumen, als sie wirkli stattgefunden hatte; ih habe nah Ein- vernehmen mit dem Bureau des Reichstags die Sitzung um 5 bis 6 Tage verschoben und hatte dabei nur die Befürtung, daß man mir den entgegengeseßten Vorwurf machen würde, nämlich, daß ih, um meine Ferien nicht zu unterbrehen, die Sißzung hinausgeshoben hätte. Die Berichte sind eingehend beraten, und sehr erbeb- liche redaktionelle Aenderungen find gemaht worden; auh haben die Parteigenossen des Abg. Hoch, die der Kommission angehörten, diese Komödie mitgemaht! Jh bin aufs äußerste über den von dem Kollegen Hoh erhobènen Vorwurf erstaunt. Er hat jeden falls seine Ferien nicht unterbrochen. Ueber ktie Vorlage sind aus den Kreisen der Arbeiterschaft selbst au so anerkennente Urteile laut geworden, daß man die \carfe Kritik des Abg. Hoch nicht unbedingt gelten lassen darf. Die Bestimungen der Art. 29 bis 31 wérden wir durchaus vorurteilslos prüfen, hat aber eine Kasse mit einem Beamten einen Vertrag geschlossen, der sich als ein Mißbrauch charakterisiert, so mögen diefe auch die Suppe allein ausessen, die sie sih eingebrockt haben. Jn diesem Sinne werden wir in der Kommission wirken.

Abz. Smidt -Berlin (Soz.): Die Berichte der Neis- versicherungsordnungskommission sind viel zu umfangreich, die Zeit war - viel zu kurz, als daß sie eingehend hätten geprüft werden können; der Bericht über die Krankenkassen allein erforderte einen Tag zu seiner Verlesung, Auch standen wir einer so fompakten Mehrheit aus Konservativen, Zentrum und Nationalliberalen gegenüber, daß es gänzlich zwecklos ge- wesen wäre, zu versuchen, gegen sie bei der Berichtfeststelung noch etwas auszurihten. Unzweifelhaft geht aus der Vorlage hervor, daß die Absicht besteht, bestehende Verträge aufzuheben, dafür spriht “au die Argumentation, die wir soeben von dem Staats- sekretär gehört haben. Um so scchärfer müssen wir darauf achten, welche Machtbefuguisse wir in die Hände der Verwaltung legen. Wer bei der Formulierung der Vorlage eigentli die. treibende Kraft ist, steht fest; es sind die Scharfmacher, es is der Zentralverband Deutscher Industrieller, der auf seiner jüngsten Berliner Versammlung sich dahin vernehmen ließ, daß der Referent des Reichéamts des Innern für die Vorlage sih mit ihm ausführlich darüber verständigt habe. Wenn jeßt betont wird, auch dieser Verband fei mit der Vorlage nicht zufrieden, so ‘ist das als politisher Theaterdonner; man weiß ja, was dahinter steckt, auch wenn der Staatssekretär die ihm sehr erwünschte Gelegen- heit freudig ergreift, diesen Theaterdonner hier zu verwerten. Das Zentrum hat lediglich politisder Zwecke wegen tie Interessen der Arbeiter in dieser Frage :preitgegeben. Wo haben sich denn etwa die christliGen Arbeiter über die foztaldemokraätishe Kässenverwaltung beschwert ? Die hier vorgeshlagene Maßregel rihtet sich gegen die gesamte Arbeiterschaft ; sie öffnet der Willkür der Aufsichtsbehörde Tür und Tor.

Damit \{ließt die Generaldiskussion. Die Vorlage geht an die Reichsversicherungsordnungskommission.

Es folgt die erste Beratung des Gesezentwurfs, betreffend die Aufhebung des Hilfskassengeseßzes.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Delbrü:

Meine Herren! Es ist das dritte Mal, daß die verbündeten Ne- gierungen mit éinèm Geseßentwurf an Sie herantreten, der eine Aufhebung des Hilfskassengeseßes und die Unterstellung der Hilfskassen unter das Versicherungsaufsihtsgeseß in Ausficht nimmt. Der erste Entwurf hat dem Reichstage im Jahre 1905 vorgelegen. Er ist von ‘der damaligen X11. Kommission durhberäten und hat in allen wesentlihen Punkten die Zustimmung dieser Kommission ge- fundèn. Der Entwurf ist niht zur Verabschiedung gekommen, weil der Reichstag aufgelöst wurde, Der folgende Entwurf ist in der ersten

nihts

Session der laufenden Legis!aturperiode wieder rorgelegt worden, aber nicht zur Beratung gekommen.

Der jeßt vorliegende Entwurf unterscheidet si von seinen Vor- gängern dur eine erheblih größere Einfachheit. Es 4cheiden nämlich aus dem. Entwurfe im Vergleih mit den früheren diejenigen Be- stimmungen aus, ‘die sih auf die Beziehungen der Hilfskassen zur ôffentlih-rechtlihen Krankenversiherung bezichen. Diese Bestimmungen sind in die Neihsversicherungserdnung über- nommen und von Ihrer Kommission bereits gutgeheißen. Es bleiben also für den jeßt vorliegenden Entwurf lediglich zu regeln : erstens die Stellung der Kassen zu der Staatsaufsicht, zweitens ihre Verfassung, soweit fie nitz dur die Neidlsversiherung2ordnung geregelt wird, und drittens die Verhältnisse derjenigen Hilfskassen, die für diejenigen Personen errihfet werden, welde der öffentlih-reWtlihen Kranken- versicherung nicht unterliegen, und die Verhältnisse der Zuschußkassen.

Meine Herren, wir {lagen vor, das Hilfskassengesetz aufzuheben. Man könnte ja die Frage aufwerfen, ob man die zweifellos bestehenden Mißstände ausräumen könnte dur) ene Umarbeitung des bestehenden Geseßzes. Das würde aber lediglih darauf hinauskommen, die Be- stimmungen des Versicherung8aufsichtsgesetes ecinzuarbeiten in das Hilfskassengesez. Wir würden also an Stelle cines brauchbaren und leiht anwendbaren Geseßes zwei Gescte nebeneinander besteben haben, die ün wesentlihen auf denselben Grundsäßen aufgebaut find. Aus diesem Grunde ziehen wir tie Aufhebung des Hilfskassengesetes einer Umarbeitung vor.

Die Mißstände, die si ja in hohem Maße bei der Handbabung dieses Gesetzes gezeigt baben, beruhen, wie sh immer mehr beraus- gestellt hat, auf dem System des Geseßes. Die Zulassung einer Kasse kann nur versagt werden, wenn das Statut den ganz bestimmt vorgeschriebenen formalen Normativbestimmungen nicht entspricht. Sind diese Bedingungen erfüllt, fo muß die Zulassung erteilt werden. Auch die Zuständigkeit - der Aufsichtsbehörde zur Aufsicht über den zugelassenen Geschäftsbetrieb bes{Gränkt sich lediglich auf die Prüfung, ob das Gebarèn der : Kassen den geseßlichen Bestimmungen ent- spriht. Ein diskretionäres Ermessen darüber binaus ist weder der Zulafsungs- noch der Aufsichtsbehörde gegeben. Die Zulassungsbehörde ist niht in der Lage, zu prüfen, ob der Ges{häftsplan angemessen ist. Sie ist nicht in der Lage, zu prüfen, ob ein ausreihender Betrtebs- fonds vorhanden ist. Sie kann bei ihrer Entscheidung nit Nücfsicht nehmen auf die Zuverlässigkeit der leitenden Personen, fondern sie ist lediglich darauf bes{ränkt, zu prüfen, ob den formalen Vorschriften des Gesetzes über den Jnhalt des Statuts genügt ist. Ebensowenig ist die Aufsichtsbehörde in der Lage, unter Zweckmäßigkeitsgesihts- punkten irgendwie einzugreifen in die Verwaltung der Kassen und die Tätigkeit ihrer Organe, Sie ist also nit in der Lage, das zu tun, was nach dem Versicherung8aufsichtêgesez eine der vornehmsten Auf- gaben der Aufsichtsbéhörden ist, nämlich Mißstände zu beseitigen, durch welche das Interesse der Versicherten gefährdet wird oder der Ges{häfts- betrieb mit den guten Sitten in Widerspru gerät.

Welcher Art diese Mißstände sind, will ih bier im einzelnen nicht ausführen. Ich möchte Sie bitten, das Material durchzuseben, das im Jahre 1906 seitens der verbündeten Negierungen vorgelegt worden ist und „als Anlage 2 dèr jeßigen Vorlage wieder beigefügt ist. Das gibt ein deutlihes Bild von den uvnerträglihen Zuständen, die unter der Herrschaft des jeßt geltenden Gesctzes eingerissen sind. Diese Zustände haben \ich seit 1906 nit gebessert, und sie können ih nit bessern, folange die Bestimmungen des jeßt geltenden Reihtes bestehen bleiben.

Ih möchte nur

Verhältnisse auf eins

zur Jlluftration der jeßt bestehenden

binweisen. Es is nicht einmal, sondern es ist oft vorgekommen, daß die Zulassungsbehörde untinittelbar nach der Zulassung einer Kasse öffentliß vor dem Beitritt zu? diesen Kassen gewarnt hat, weil sie der Ueberzeugung war, daß es sch um cin Schwindelunternehinen bandelt. Nun, meine Herren, ih hoffe, daß Sie durch die Beratungen der Kommission ebenso, wie das im Jahre 1906 der Fäll gewesen ist, sch werden davon überzeugen lassen, daß ein Wandel hier nur ges{chafen werden kann durch die Unterstellung der Hilfékassen unter das Versicerungs- aufsihtsgesez, und daß unter der Herrschaft dieses Gesetzes sich die Kassen freier und erfolgreiGer werden entwickeln können, als das bisber unter der mehr formal geregelten Aufsicht der Fall gewesen ist.

Abg. Trimborn (Zentr.): Mißstände sind erwiesen und sie sind allgemein ekannt, Jch brauche nur das Wort „Schwindelkassen“ zu nennen. ie heutige Vorlage ist in der Hauptsache eine Wiedergabe der früheren, wie sie die bürgerlichen Lee in der Kommission ge- faßt hatten. Troßdem aber ist eine Nachprüfung in der Kommission angebracht. Jch beantrage Verweisung an die Kommission.

Ein Vertagungsantrag wird angenommen.

_ Vizepräsident Schulß \{lägt vor, die nächste Sißzung morgen, Mittwoch, 1 Uhr, abzuhalten mit der Tagesordnung: Entscheidung über die Beschwerde des Abg. Severing, über den am 4. April ihm erteilten Ordnungsruf; Nest der heutigen Tagesordnung, sämtliche vorliegende Berichte der Petitionskommission.

Zur Geschäftsordnung gibt der Abg. Severing (Soz.) folgende Erklärung ab: Den in meinen Ausführungen über die „Marine-Nundshau“ erhobenen Vorwurf der Lüge, der sich auch auf die unrichtigen Mitteilungen der „Marine-NRundschau“ über die Geschichte der Heizerzulagen bezog, habe ih nicht gegen das Neichsmarineamt richten wollen. Gegen den Staatssekretär des Neichsmarineamts konnte ih den Vorwurf schon deswegen nicht rihten wollen, als mir bekannt war, daß der Staatssekretär durch die Verhandlungen in der Budgetkommission und hier im Reichstage über den tatsählihen Ursprung der Ab- strie an den Heizerzulagen unterrichtet sein mußte.

Vizepräsident Shuly: Jh habe annehmen müssen, daß Ihr Vorwurf der Lüge gegen das Marineamt gerichtet war. Hätten Sie damals wie heute durch eine cinwandfreie Erklärung die Unrichtigkeit diefer Annahme klargestellt, so würde ein Anlaß zu einem Ordnungsruf niht vorgelegen und ‘ich würde Ihnen einen solchen nicht erteilt haben. __ Abg. Severing (Soz.): Nach dieser Erklärung des Präsidenten ziehe ih meine Beschwerde gegen den Ordnungsruf zurück.

Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Siyung Mittwoch 1 Uhr. (Vorlage wegen Aufhebung des Hilfskassengeseßzes; Petitionen.)

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 64. Sizung vom 2. Mai 1911, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des bereits vom Herrenhause angenommenen Geseßentwurfs,

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betreffend Abänderung der Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845/15. Mai 1856.

Abg. Linz (Zeútr.) unterzieht den'Entwurf einer eingebenden Kritik. Wenn irgend eine Provinz, so verdiente gerade die Récinprovinz, mit der Selbstverwaltung etwas mehr bedawt zu werden, namentlih sollten sih die Staatsbehörden mebr befleißigen, der steigenden Ent- wicklung diefer Provinz mehr Rechnung zu tragen. Seit längeren Jahren habe man sih in der Rheinprovinz bemübt, eine Reform der Gemeindeordnung durhzuseßen, die gerechten Anförderungen entspriht; die Reform fei âber von den Bebörten binter vers{leîenèn Türen beraten worden. Wie der Entwurf jeßt vorliege, genüge er nit; es sei nur zu hoffen, daß er in der Kommission eine Geftalt gewinnen werde, die ihn für die Rkhéinprovinz als annebtnbar erscheinen lasse. In hohèm Grade sei zu bedauern, daß dturch die Verlage den juristisfhen Personen, Aktiengesellschaften usw., in ten Gemeinte- vertéètungen ein zu weit gehender Einfluß gegeben werde. Gegen die Privilegierung der Industtiz müßten \ih seine Freunde ganz entschieden aussprechen. Die Regierungsvorlage habe für die Sitzungen des

Géineinderats nur eine beschränkte Oeffentlichkeit zugelassen, aber

Dn, 9

selbst diese habe das Herrenhaus abgelehnt. Das Großfavital und die Kaptitalsrente blieben bevorzugt, “es bleibe noch eine große insbesondere auch nach dem {were Bedenken bervor- vom Zentrum

untrte n

Anzabl von Privilegierten bestehen, dorgeshlagenen Vertretungssvstem, welches rufen müsse. Die Verdienste der Industrie würden dankbar anerkannt, aber der Privilegierung der Ind müße dur@aus widerstreben. Soweit die Industrie berechtigt L, eine Vertretung zu fordern, werde ihr auß {on das beutige Rech

und das heutige Wahlverfahren gerecht. Angesichts der ftatistis

festgestellten starken Verschiebung der Bevölkerung wie des

der Bodenrente séèi es um so bedenklicher, au die Gewerbestecue

âllein als Ktiterium für die Mitgliedschaft in den Gemeinde vértretungèn zuzulassen. Den richtigen Grundsaß, die landwirt- s{aftlide Bevölkerung als das stabile- Element zu bevorzugen, da do die Industrie gerade die Flufktuation der Bevölkerung bedinge, habe die Staatsregierung tn ihrer ersten Vorlage noch selbst vertreten. (Der Redner verliest die bierber gebötigen Vorschläge aus dem früheren Entwurf ünd die ibn beigegebene Begründung.) Ein weiteres Be- denken müßten seine politischen Freunde aus den neuen Bestitnmungen über die juristis{en Personen bektleiten; in zaßlreidßen Gemeinden würde damit eine Neibe neuer Vertreter, insbesondere auch der Industrie, in die Gewmeindevertretungen ihren Einzug halten. Das sei éin viel zu weit gebendes Entgegenkommen gegen die Industrie. Der alte Wunsch, daß die Gemeinden ihre Bürgermeister selbst wählen können, fei leider auch in dieser Vorlage unberücksichtigt geblieben. Sti®haltige Gründe gegen diese Forderung ließen sich nicht vorbringen und seien auch nit vorgebrächt worden. Des Rätsels Lösung sei vielmehr darin zu finden, daß man den angeblihen klerikalen Einfluß beseitigen will. Hätten sich denn niht die Männer, die dem Zentrum angehörten, eminent sachlich bewährt, bätten sie nit jederzeit ihre Pflicht getan? So werde gegen das Zentrum die Sturmfahne auf- gehißt: centrum esze delendum. Die fatholishe Bevölferung stärke durch das Interesse für die christlihen Jdeale ‘auch die Aulorität des Staates; darum könne es auch beanspruchen, daß es als vollkommen gleihwertig aufgenommen werde. Das Zentrum kämpfe um fein gutes Necht und werde seinen Standpunkt so lange betonen, bis auch am Ministertische eine andere Auffasiung herrsche.

Minister des Junern von Dallwißt:

Metne Herren! Der Herr Abg. Linz hat zuerst sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß die Königliche Staatsregierung nicht eine allgemeine organische Abänderung der rheinischen LKandgemeindeordnung vorgeshlagen hat. Demgegenüber möchte ih darauf hinweisen, daß dieses hohe Haus im Jahre 1907 autdrücklich gegenüber weitergehenden Anträgen folgende Resolution angenommen hat :

Die Königliche Staatsregierung zu ersuhen, in Erwägungen darüber einzutreten, inwieweit die Abänderung einzelner Be- stimmungen der Landgemeindeordnung für die Rheinprovinz ge- boten ist.

Dieses bohe Haus hat daher im Jahre 1907 gegenüber weitergehenden Anregungen felbst die Marschroute festgelegt und gewünscht, daß von einer allgemeinen Revision, die allerdings nicht in so kurzer Zeit zu- stande kommen könnte, abgesehen werden folle, und daß die Staats- regierung sich zunähst damit begnügen möchte, diejenigen Punkte beraus8zugreifen, bei denen ein fahlides Bedürfnis zu einer Abände- rung unwidersprochen besteht, um eine Abänderung derselben vor- zuschlagen.

Demgemäß rerfolgt der vorliegende Gesetzentwurf in erster Reibe den Zweck, die Unzuträglichkeiten zu beseitigen, die sich infolge der Einführung einer besonderen Gebäudesteuer in Verbindung mit dem Uebergreifen der Industrie auf das platte Land im Laufe der Iabre in sehr vielen Landgemeinden der Rheinprovinz bei dem Institut der Meistbegüterten herausgebildet haben. Der Herr Vorredner hat die Vorschläge, die nach der Nihtung gemacht worden sind, nicht un- bedingt mißbilligt, aber doch ihre Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Jch glaube, wir werden uns wohl in der Kommission näher darüber unterhalten können. Dagegen hat er die Gewähr eines Stimmrechts an die jurististisGhen Personen oder, wie er sich ausdrückte, an die Industrie, in der Kategorie der Meistbegüterten, wenn ih ihn richtig verstanden habe, bekämpft. Ich glaube, daß er dabei doch von zum Teil nit zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen ist. Er hat beispielsweise ausgeführt, daß das Vorrecht der Meistbegüterten den seßhaften Elementen einen Vorzug vor den fluktuierenden Elementen in den Gemeinden gerade im Gegensatz zur Industrie verschaffen solle ; es werde diese Tendenz des Instituts der Meistbegüterten in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man jeßt der Industrie in der Klasse der Meistbegüterten ein Stimmrecht verleihe. Ich glaube, er übersieht, daß es sih hier niht um die fluktuierenden Elemente der Industrie handelt, sondern um die juristishen Personen, die Erwerbsgesellschaften, die man unmöglih zu den -fluktuierenden Elementen der Getneinden rehnen kann; denn sie sind meines Dafürhaltens ulindestens ebenso seßhaft, wie es die landwirtschaftliße Bevölkerung in der Negel ift.

Meine Herren, angesichts der Tatsache, daß in allen Teilen der Monarchie längst {on den juristischen Personen in den Landgemeinden ein Stimm- und Wahlrecht zugebilligt worden ist, würde es als eine sahlih nicht gere{!tfertigte Zurückseßung und Unbilligkeit empfunden werden, wenn man jeßt bet der Nevision der rheinishen Landgemeinde- ordnung gerade den rheinischen Erwerbsgesellshaften, die vielfa zu Hauptträgern der Gemeindelasten geworden sind, ferner noch eine in beshränkten Grenzen gehaltene Mitwirkung in den Versammlungen und Verhandlungen des Gemeinderats vorenthalten wollte. Entspricht es aber der Billigkeit, den rheinislen Erwerbsgesellshaften im Hin- blick auf ihre fehr erheblichen Leistungen für Gemeindezwecke eine beshränkte Mitwirkung im Gemeinderat einzuräumen, fo muß, glaube ih, der Lösung, die in dem Entwurf vorgeschlagen ist, der Vorzug gegeben werden gegenüber der Einführung eines der beiden anderen Svsteme, die innerhalb der Monarchie für die Teilnahme der jurists{en Personen an der Verwaltung der Gemeinden bestehen. Dann, wie in der Veo-

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gründung ausführlih dargelegt ist, würde die Einfübrung des für die !

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Landgemeinden der östlichen Provinzen, von Schleswig - Holstein und

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Wesifalen geltenden Systems vielfach zu einem einseitigen Uebergewicht der juristishen Personen zuungunsten aller sonstigen Wähletkategorien führen, während umzekehrt die Einführung des hessen-nassauishen Sbstems den Einfluß der juristisWen Personen in zweckwidriger Weise auf ein Minimum reduzieren würde. Ich glaube daber, daß der Vor- {lag der Regierungsvorlage, der cinen Mittelweg bedeutet, doch wohl die Billigung dieses hoben Haufes verdient. Abgesehen von der Reform des Instituts dèr Meis1begüterten und der den Wünschen des Pro- vinziallandtags entsprechenden Einführung eines Stimmrechts für die Erwerbsgesell haften, abgesehen ferner von einigen mehr formalen Aenderungen sicht der Geseßentwurf ferner nech vor die Beseitigung der Anomalie, daß in den Fällen wiederholter Bes{lußunfähigkeit im Gemeinterat die Beschlußfassung des Kreisausshusses einzutreten hat. Zu etner weitgebhenden Aenderung grundlegender Bestimmungen der Landaemeindeordnung lag nach Ansicht der Regierung ein praktisches Bedürfnis nit vor. Insbesondere stehen dem Wunsce des Herrn Abg. Unz, der demgegenüber das für die Bürgermeister geltende Er- nennungssvystem dur cin Wahlfvstem ersetzen will, ganz erhebliche Bedenken entgegen. Meine Herren, die Bezuanabme auf di

und auf die Gemeindevorsteher in den anderen Provinzen kann in diesem Falle nit aus\{laggebend sein. Denn ganz abgesehen davon, daß in der Rbeinprovinz die Gemeindevorsteber jeßt {on gewählt werden, während umgekehrt in Westfalen die Amtmänner nicht ge- wählt, sondern ernannt werden, ist doch dur die Stellung der rhei- nischen Landbürgermeister das Amt diescr Bürgermeister von dem Amk

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e städtishen Bürgermeister

etentlid) ver-

der sonstigen Bürgermeister und Gemeindevorsieher so wesen

s{ieden, daß ein Verglei dieser ganz verschiedenen Beamtenkategorien nur in ganz bes{ränktem Maße zulässig erscheint. Die Hauptunter schiede beruben darauf, daß der rheinische Landbürgermeister als solcher niht der Vorsteher einer einzelnen Gemeinde ist, sondern eines mebr oder weniger großen Kompleres von Gemeinden, derart, daß in der Rkeinprovinz sogar bis zu 23 einem etnzigen Bürgermeister unter- stellt sind. Diese Unterschiede treten aber um \o schärfer hervor, je stärker in neuerer Zeit in diesem hohen Hause das Bestreben fich geltend ge- mat hat und geltend mat, die dem Landbürgermeister unterstellten Gemeindevorsteher in den fommunalen Angelegenheiten selbständig und unabhängig zu stellen. Das gilt z. B. von den erst kürzlih bei der Beratung des Zweckverbandgesetzes gefaßten Kommissionsbeschlüssen, nah denen die Vertretung der einzelnen Gemeinden im Verbands- aus\chuß nit dur den Landbürgermeister, sondern durch den Gemeindevorsteher erfolgen soll. Das gilt ferner auch von der Jagd- ordnung vom Jahre 1907, na welcher Jagdvorsteher des gemein- s{aftlihen Jagdbezirks nit der Bürgermeister, sondern der Gemeinde- vorsteher der Einzelgemeinde ist. Meine Herren, es is aber auch deshalb nicht angängig, den rheinishen Landbürgermeister mit den städtishen Bürgermeistern und mit den Gemeindevorstehern in den anderen Provinzen zu vergleichen, weil der rheinische Landbürgermeister eine in den andern Provinzen überhaupt nicht bekannte Zwischeninstanz zwischen dem Landrat und den zur Bürgermeisterei gehörenden Einzel- gemeinden bildet. Gerade diese eigenartige, ganz finguläre Stellung der rbeinishen Landbürgermeister zu den \taatlihen Behörden einer- seits und zu den Gemeinden andererseits in Verbindung mit den sehr weitgehenden, ihnen übertragenen s\taatlichen Funktionen läßt eine Aenderung der bestehenden Anstellungsmodalitäten für die Landbürger- meister niht angängig erscheinen.

Eine Aenderung in der Stellung des Landbürgermeisters und in seinen Kompetenzen würde aber einen durchaus sahwidrigen und durch nichts begründeten Eingriff in die seit mehr denn 100 Jahren bestehende, in der Praxis vortrefflich bewährte Ordnung der Dinge bedeuten. Denn, wie von Herrn Abg. Linz vorhin s{hon sehr rihtig ausgeführt worden ist, hat die rheinische Lokalverwaltung, wie sie sih unter der Herrschaft der noch aus der französischen Zeit übernommenen Bürgermeistereiverfassung nun einmal entwickelt hat, ih in der Praris fo außerordentlih bewährt, und sie ist so zweck- mäßig und nüßliß nach allen Richtungen hin, daß sie in vielen anderen Provinzen als Muster dienen könnte. Aus retn theoretischen

à rütteln, das würde mit den n einer rationellen, auf sachlihe Erwägungen und auf das Gesetzgebung nicht wohl

Gründen an diefen Verbältniffen zu Grundsätzen ei praktis®e Bedürfnis i tüßenden vereinbar fein.

Der Herr erwähnt, daß in irgend einer verstanden habe, als Motiv

Wabl der Landbürger-

Abg. Linz bat nun Zeitung, deren Namen ih nicht auch angeführt worden sei, daß die meister nicht opportun sei, weil eine gewisse Vetternwirtschaft sich herausbilden würde und weil zweitens ein Vordringen [klerikaler Einflüsse befürchtet werde. Meine Herren, darüber, ob in ländlicher Bezirken, wie sie hier zum Teil in Frage stehen, tatsächlich die Sachlißkeit und die Unabhängigkeit des leitenden Beamten nicht besser gewahrt ist, wenn er auf Lebenszeit ernannt wird, als wenn er periodisch gewählt wird, das kann dabingestellt bleiben, darüber können die Ansidhten sehr wohl auseinandergehen; je kleiner die Ge meinde ist, umsomehr können derartige Abbängigkeiten sch entwickeln und von Einfluß auf die Æitung der Gemeinde oder der Gemeinden scin. Dagegen muß ih mit aller Entschiedenheit bestreiten, daß andere Gründe als die, die ih eben ausgeführt habe, mindestens f die Staatsregierung bei ibrer Absicht, es in dieser Beziehung bei bestehenden Zustande bewenden zu lassen, obgewaltet laben.

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Abg. Heckenroth (kons.): Wir haben \{werwiecgende gegen die Wahl der Bürgermeister aus den Gründen, die der entwickelt hat. Eine Erweiterung der Selbstverwaltung ki nur wüns{en; wir haben in der Rheinprovinz noch nit d verwaltung, die wir wünschen könnten. Die Stellung vorstehers könnte selbständiger gemacht werden sißende des Gemeinderats werden, wenn auc c meister das Ret erhalten muß, den Vors z könnte also den einzelnen Gemeinden mebr SeWKrer mit dieser Frage bat der vorliegende Gesea:

¿Frage der Oeffentlichkeit der Verbandlang

keine endgültige Stellung @cuot

die Oeffentlichkeit Gründe geltend ge è l müssen. In der Kommen werden 1 mciter darüber verb müjjen. Die Aenderung des der de SteAung der Meistbegüterten Ut in diefen Haufe in den etten JIubren wwiedetbolt gewünsdt

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