1911 / 107 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 May 1911 18:00:01 GMT) scan diff

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S 836 der Kommissionsvorschläge lautet:

„In Bundesstaaten, in denen nur ein Oberversicherung8amt besteht, können die Versicherungsämter auch als selbständige Be- hörden errichtet werden. Das Nähere bestimmt die oberste Ver- waltungsbehörde.

Die Sozialdemokraten wollen den § 36 fassen, wie folgt:

„Die Landesregierung kann die Versiherungsämter e als elbständige Behörden errihten. Die Landesregierungen mehrerer undesstaaten können für ihre Gebiete oder Teile davon etn ge-

meinsames Versicherungsamt errichten.“

Abg. Trimborn (Zentr.) begründet einen Antrag, in die Kommissionsfassung einzufügen: (In Bundesstaaten), in denen die Angliederung an die untere Verwaltungsbehörde niht möglich ist. Diese Einfügung werde erfordert durch die Nücksicht auf Württem- berg und Baden wegen der dortigen Zuständigkeiten für die Be- hördenorganisation.

. Abg. Molkenb uhr (Soz.): Es handelt sich bei den Versicherungs- ämtern um eine Frage von solher Wichtigkeit, wie sie noch nie da- gewesen ist. Die Regierung will eine Neuregelung der Renten für die Opfer der Arbeit. Von einer Gleichberehtigung der Arbeiter mit den anderen Klassen war in ihren Vorschlägen selbstverständlih keine Nede. Troßdem waren diese der Mehr- heit des Hauses noch nicht reaktionär genug. Sie hat es verstanden, das verkrüppelte Net, das die Regierung dea Opfern der Arbeit eben wollte, noch zu vershlehtern, und strih die selbständigen Versicherungsämter. Der Antrag, der diesen den Todess\toß verseßte, trug auh die Unterschrift des Zentrums. Der König Landrat wird nun au hier seinen politishen Mißbrauch treiben. Wo wird er das Angebot eines Junkers an einen kranken Arbeiter nicht als „gleihwertige Leistung“ erachten. Es müßte sih höchstens um einen freisfinnigen Gutsbesiger handeln, Wir wollen eine

« unabhängige Behörde schaffen mit einem Pat an

der Spiße, die unter Umständen das Vertrauen der Arbeiter genießen kann. Wir wollen diese Posten auch nicht zu Sinekuren ausgedienter Offiziere machen, sondern es sollen Leute an der Spixe stehen, die das Leben kennen. Ih weiß allerdings, daß unsere Anträge nicht angenommen werden, weil bei den vereinigten Schlot- e N eine tiefgehende Abneigung gegen selbständige Aemter esteht.

Abg. Cuno (fortshr. Volksp.): Als einer der unglücklichen Menschen, die vielleiht als Leiter der unteren Verwaltungsbehörde nach § 41 mit der Ausführung des Gesetzes befaßt sein werden, muß ih sagen, daß die Kommissionsbeshlü}se ganz unzureichend sind. Die Kommission hat nicht den Mut gehabt, eine selbständige Organisation zu schaffen ; das ist ein Verfahren nah dem Motto: „Allah weiß es besser“, die obere Verwaltungsbehörde wird's {hon machen. Man verstärkt einfach wieder einmal die Macht des Landrats. Es fehlt auch dem Lande die Organisationsmöglichkeit, und so ist der Landrat der Notbehelf. Er soll allerdings, damit die Macht- verstärkung nicht so hervortrete, einen Stellvertreter haben. Wer ernennt denn nun eigentlih den Stellvertreter ? Ich glaube, es wird der Ländrak sein. Na S8 1 oll“ ein ständiger Stellvertreter des Vorsitzenden des Versicherungsamts, nämlich des Leiters der unteren Verwaltungsbehörde bestellt werden. Die Bestellung bedarf der Zustimmung des Oberversicherungsamts, fo weit niht die ständigen Stellvertreter nah Landesreht wie die höheren Verwaltungsbeamten bestellt werden. Wie kommt hier plößlich das Landesrecht in dieses Neichsgeseß hinein? Wie, wenn der Stellvertreter gar niht für diese Funktion geeignet ist? Wie soll der Bürgermeister in gleichem Falle verfahren? Und wie steht es mit der Bestätigung des Stadtrats, der eventuell von dem Bürgermeister bestellt wird, des Stadtrats, der ohnehin {on als solcher der Bestätigung bedarf? Die Staats- regierung soll doch der Bürgerschaft das Vertrauen entgegenbringen, daß der rihtige Mann an die betreffende Stelle geseßzt wird. Beseitigen Sie also alle auf die Bestätigung bezüglichen Be- stimmungen, wie es unser Antrag Ablaß will.

Abg. Kulerski (Pole): Wir Polen können zu den unteren Ver- waltungsbehörden nah unseren Erfahrungen auch nit das aller- geringste Vertrauen haben. Wir stimmen für den Antrag Albrecht.

Damit ließt die Erörterung. Im Schlußwort tritt der

Neferent Abg. Droescher (konf.) dem gegen die Kommission erichteten Vorwurf, sie habe si bei ihrem Beschluß von politischen rwägungen leiten lassen, ausführliß entgegen. Eine sahgemäße und gründlihe Erledigung der Versicherungsgeschäfte solle unter allen Umständen gewährleistet sein; die Bestellung zum Stell- vertreter soll auf Personen fallen, die durch Vorbildung und Erfahrung auf dem Gebiete der Arbeiterversiherung geeignet seien. Im Interesse der Sparsamkeit, niht aus politischen Rücksichten sei die Angliederung an die unteren Verwaltungsbehörden vorgezogen und die Einrichtung selbständiger Aemter aufgegeben worden. (Der Saal bat sih angesichts der bevorstehenden namentlichen Abstimmung stark gefüllt, und es tritt andauernde große Unruhe ein; der Referent wird mehrfach von „Sc{hluß“-Rufen unterbrochen.)

In namentliher Abstimmung wird der Antrag der Sozialdemokraten mit 224 gegen 65 Stimmen abgelehnt, 1 Mitglied enthält sich der Abstimmung. Der Kommissions- vorschlag gelangt mit derselben Mehrheit zur Annahme.

Abgelehnt wird auch der Antrag Albreht zu § 36. Zu dem Antrag Trimborn und Genossen, denselben § 36 betreffend, führt der

Abg. Molkenbuh r (Soz.) wiederholt aus, daß die Möglichkeit, in einzelnen Bundesstaaten selbständige Versicherungsämter zu errichten, durch den beantragten Zusatz auf Hamburg beschränkt werde, indem man andererseits durch diesen Zufat süddeutscke Staaten wie Württem- berg und Baden direkt daran verbindere. Das sei ein wobl noch nie dagewesener Borgang.

Der Antrag Trimborn wird angenommen.

Zu § 41 (Zusammensezgung des Versicherungsamtes) be- fürwortet der Abg. Molkenbuhr (Soz.) folgende Fassung:

„Als Vorsitzender soll in der Regel nur gewählt werden, wer zu höherem Verwaltungsdtenst oder zum Richteramt befähigt ift. Andere Personen können gewählt werden, wenn sie durch Voer- bildung und Erfahrung auf dem Gebiet der Reichéversicherung zu dem Amt geeignet sind, wenn die Versicherunasvertreter zustimmen. Er kann noch andere Dienstgeshäfte sozialpolitisher Art führen, insbesondere Vorsitzender eines Gewerbe- oder Kaufmanns- gerichts sein.“

Abg. Cuno (forts{r. Volksp.) beantragt in Gemeinschaft mit seinem Parteifreunde Abg. Dr. Mugdan, daß der Vorsigende von der Ortêverwaltungsbehörde bestelit werden soll.

Abg. Horn- Neuß (nl.): Die Bedenken des Abg. Cuno werden dadurch hinfällig, daß das Versicherungsamt eben kein e sclbständige Behörde sein soll, sondern als soldes untere Verwaltungébebörde bleibt. Jeder Beamte hat die dem Oberbürgermeister in dieser Be- ziehung übertragenen Funktionen obne weiteres zu übernehmen. Die Bestellung kann jederzeit zurückgenommen werden, da über die Dauer der Bestellung das Gesey keine Bestimmung enthält. Da die Tätig- keit der Aemter als Spruchbehörde in Zukunft wesentlih reduziert sein wird, brauht aus diesen Umständen ein Bedenken den Mangel der unabhängigen Stellung des Stellvertreters geleitet werden

Abg. Molkenbuhr (Soz.) bestreitet das. Die unteren Ver- waltungébehörden hätten in der Beziehung {on beute ganz Erstaun- liches in Gesetzwidrigkeitcn geleistet. Er erinnere nur an tas Vor- gehen des Landrats von Richthofen in Striegau.

Die Diskussion wird geschlossen; der Abg. Cuno erhält das Wort nicht mehr.

Der Antrag Albrecht wird abgelehnt, ebenso die Anträge Ablaß und Cuno-Mugdan.

C, L:

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| aller Aneckennung

S8 47—63 handeln von den Versicherungsvertretern. Sie werden nah § 47 je zur Q aus Arbeitgebern und Ver- sicherten entnommen. Jhre Zahl beträgt mindestens 12.

Nach §8 49 werden die Versicherungsvertreter von den

Vorstandsmitgliedern der Krankenkassen gewählt, die im Bezirke des Versicherungsamts mindestens 50 Mitglieder haben. An der Wahl nehmen ferner teil die For aubt sglleder der 1) N en Kranlkenkassen, 2) Ersaßkassen, 3) Seemanns- kassen, soweit sie im Bezirke des Versicherungsamts mindestens 50 Mitglieder haben. __ Nach § 50 richtet sich die Stimmenzahl einer Kasse nah ihrer Mitgliederzahl im Bezirke des Versicherungsamts und wird von ihm vor jeder Wahl festgesezt. Diese Stimmenzahl wird auf die Vorstandsmitglieder gleihmäßig verteilt.

Nach einem Antrage Albrecht sollen die Versicherungs- vertreter in besonderen Wahlgängen von den Arbeitgebern und den Versicherten mittels des allgemeinen, gleichen, direften und geheimen Wahlrehts unter Anwendung der Verhältniswahl gewählt werden.

Ueber diesen Antrag ist namentliche Abstimmung beantragt.

Als § 49 a wollen dieselben Antragsteller einfügen:

„Die Wahl erfolgt in der Weise, daß jede Art der Kranken- kassen und der anderen im § 49 aufgeführten Kassen eine festzu- seßende Zahl von Versicherungsvertretern wählt; dabei wählen jedoch die landwirtschaftlichen Betriebskrankenkassen mit den Land- krankenkassen.“

Jm § 50 soll nah demselben Antrage auch die Zahl der von Vg Kassenart zu wählenden Versicherungsvertreter ch nach der Mitgliederzahl der Kasse richten.

Ein Antrag Schultz, Behrens, Fleischer, Mugdan und Genossen will dem § 49 der Kommissionsvorschläge einen Absaß hinzufügen, wonach an Stelle der Versicherten im Vor- stande bei den Knappschaftskrankenkassen die zuständigen Knapp- schaftsältesten und bei den Ersaßkassen die Geschäftsleiter der zuständigen örtlihen Verwaltungsstellen wählen sollen.

Abg. Brühne (Soz.): Wir sind, wie Sie wissen, ohnehin Gegner jeder indirekten Wahl und müssen gerade hier das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht auch für die Arbeiter wünschen.

Die Abgg. Dr. Mug dan (fortshr. Vp.) und Behrens (wirts{. Ver.) sprechen ih für den Abändernngsantrag Schul und der Abg. Korfanty (Pole) dagegen aus.

j Abg.Schmidt- Berlin (Soz.): In sehr vielen Bezirken werden selbst bei der Berhältniswahl nah den Kommis sionsbeschlüssen die gewerblichen Arbeiter vollständig aus\{heiden und von den landwirt schaftlichen Ver- tretern überstimmt werden. Es entsteht ein großer Körper von Land- krankenkassen, die nah unserer Ansicht keine Arbeitervertretung haben, die sich zusammenseßen aus Arbeitern, die von der Verwaltungsbehörde ernannt werden Mit vom Landrat ernannten Vertretern aber ist uns nicht gedient. Wenn das Zentrum damit einverstanden ist, so ist dies seine Sache. Interessant ist nur, daß der Abg. Becker- Arnsberg als Vertreter des Zentrums sih auf dem Kongreß der christlichen Gewerkschaften im Juli 1909 in Cöln dahin ausgesprochen hat, er hoffe, daß der Reichstag sich mit dieser Regelung nicht ein- verstanden erklären werde. So werden die politischen Interessen der Arbeiterschaft den politishen Interessen des Zentrums bei der gegen- wärtigen Situation geopfert.

Abg. Sachse (Soz.) spricht sich gegen den Antrag Schulz aus. Während seiner Ausführungen ruft ihm der Abg. Behrens zu: Das glauben Sie doch selber nicht. Vizepräsident S ch ul z bezeichnet einen folhen Zuruf als ungehörig.

__ Abg. Beer - Arnsberg (Zentr.): J habe auf dem Cölner Kongreß nicht als Vertreter des Zentrums gesprochen, sondern als Mitglied der Christlichen Gewerkschaften. (Lebhafte Zwischenrufe von den Sozialdemo- kraten.) Sie scheinen nervös zu werden, sobald Sie mich sehen. Gleich kommen Zwischenrufe. Jch stelle fest, daß ih meine damalige Nede gehalten habe zu dem ersten RNegierungsentwurf, und daß bereits am Schluß des Kongresses ausdrücklich erklärt wurde, alle diese unsere Anschauungen ändern fih, je nachdem die Haltung der Negierung sih ändert (Zurufe von den Sozialdemokraten), wenn sie nämli einen anderen besseren Gesetzentwurf vorlegt. Damals hatten wir es mit dem der Oeffentlichkeit zur Kritik unterbreiteten- Entwurf zu tun. Beim Kapitel Landkrankeukassen werde ih meine Stellung zu verteidigen wissen.

Abg. Molkenbuh r (Soz.): Eine wichtige Rolle spielt die Frage der Entlastung der Oberverficherungsämter. Wenn Sie diese ent- lasten wollen, so müssen Sie die erste Instanz so ausstatten, daß die meisten mit deren Sprüchen zufrieden sind. Aus diesem Grunde {lagen wir das allgemeine, gleide und direkte Wahlrecht vor. Dieses Wort macht die Herren von der Rechten ohnehin wild. Den Arbeitern wollen sie dieses Wahlrecht {on gar nicht gewähren. Deshalb dieses merkwürdig komplüztierte Wablsvstem, durh das sich niemand hindurchfindet. Das angeblihe Wahlrecht der Landarbeiter wird von den Unternehmern ausgeübt, und dann spriht man noch von einer Gleichberehtigung beider Gruppen. Wir beantragen namentliche Abstimmung, um diejenigen festzunageln, die die Arbeiter in dieser infamen Art entre{chten wollen.

Vizepräsident Schulz: Der Ausdruck ,„,infame Art" geht weit über die Grenzen des parlamentarisch Zuläfsigen hinaus.

Abg. Sachse (Soz.) wendet sih wiederholt gegen den Abg. Behrens.

Der Antrag Albrecht auf Statuierung der Wahl der Ver- ficherungsvertreter mittels des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrehts unter Anwendung der Verhältniswahl wird in namentlicher Abstimmung mit 193 gegen 97 Stimmen verworfen. § 49 wird mit dem Antrage Schulß und Ge- nossen angenommen, § 50 mit einer dem Antrage Schultz ent- sprechenden Modifizierung. L

ZU § 51 wird ein Antrag Albrecht, wonach in den Kassen- vorständen bei der Wahl der Versichertenvertreter die Mitglieder aus den Versicherten nur insoweit teilnehmen sollen, als sie von den Versicherten gewählt sind, nahdem ihn die Abgg. Molken- buhr (Soz.) und Kulers fi (Pole) befürwortet haben, abgelehnt.

S 55 bestimmt über die Wählbarkeit.

Abg. Dr. M ugdan (fortshr. Volkép.) empfiehlt einen Antrag Ablaß und Genossen, auch Frauen für wählbar als Beisitzer in den Versicherungëämtern zu erklären. Nah dem Gese sei es möglich, daß Frauen als Vertreter der Arbeitgeber in den Oberversicherungs- ämtern gewählt werden. Es handle sich hier um keine politische Frage; auch die Frauen haben ein sahverständiges Urteil.

Abg. Emmel (Soz.): Wir beantragen in der Sache das- selbe, aber darüber hinaus die Wählbarkeit des ganzen Kreises der Versicherten überhaupt. Merkwürdig ist, daß in der oberen Instanz Frauen gewählt werden können, in der unteren nicht. (Zuruf des Berichterstatters.) Wenn der Neferent meint, der Abg. Dr. Mugtan habe Vnrichtiges behauptet, so soll er das nach- weisen, und zwar nit erst nah Schluß der Diskussion, wie er das geröbnlich mat, sondern innerbalb der Diékussion, damit eventuell der Segenbeweis geführt werden fann. Die Frauen der Arbeiter haben dohch nicht etwa weniger soziales und s\ozialpolitisGes Ver- ständnis als die Frauen der Unternehmer ; sie können auch ebenso gut obrigfeitlihe und rihterlihe Funftionen übernehmen. Hoffentlich wird der Reichstag endlih einmal in diefer Frage etnen vernünftigeren tandrunkt einnehmen als bisher.

Nach einer weiteren Bemerkung des Abg. Dr. Mugdan schließt die Diskussion.

Im Schluß wort bemerkt der Neferent, daß die Kommission bet ter Bedeutung der Mitwirkung des weiblichen

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Geschlechts sih auf den Standpunkt gestellt und ihn konsequent fest, |

ehalten hat, daß in obrigkeitli d richterli i ;

rauen nit Gen nis E 0 G s

ür den Antrag der Sozialdemokraten stimmen die Sozial-

N die fortschrittliche Volkspartei, die Polen ud e

An s ntra A8 ABUU n ung der Gegenprobe wird der Antrag als abgelehnt erklärt, ebenso wird de

Ablaß abgelehnt. / / i * Vutrag

S8 64 bis 66 bestimmen über die bei den Versicherungs

ämtern zu bildenden „Spruchausschüsse“. Der Spruchaus

h aus dem Vorsißenden und je 1 Vesicherungaveticein rbeitgeber und der Versicherten bestehen.

Abg. Eichhorn (Soz.) beantragt, je 2 Beisißer fest-

zuseßen.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Beratung über Regelung der Kostenfrage in den S8 66 ff. wird ausgeseßzi bis 8 92 (Regelung der Kostenfrage bei den Oberversicherungsämtern).

S8 74—96 handeln von den Oberversicherungsämtern.

Nach § 76 können Oberversicherungsämter von der oberen Verwaltungsbehörde auch errichtet werden für 1) Betriebsver- waltungen und Dienstbetriebe des Reichs oder der Bundes- staaten, die eigene Betriebskrankenkassen haben, 2) Gruppen von Betrieben, für deren Beschäftigte Sonderanstalten die Jnvaliden- und Hinterbliebenenversicherung besorgen, 3) Gruppen von Be- trieben, die Knappschaftsvereinen oder Knappschaftskassen an- gehören. Die Sozialdemokraten beantragen, den Paragraph zu streichen. Dieser Antrag wird nach kurzer Befürwortung durch den Abg. Ho ch (Soz.) abgelehnt.

Nach § 77 der Kommissionsbeshlü}se kann die ober te Verwaltungsbehörde die Oberversicherungsämter an Döbee, tbe angliedern oder als selbständige Staatsbehörden errichten.

Abg. Molkenbu hr (Soz.) befürwortet einen Antrag, wonach die

D RerverSerungaäniler lediglih als selbständige Behörden erritet werden follen.

Der Kommissionsbeshluß bleibt unverändert.

„Nach § 82 der Kommissionsbeschlüsse besteht das Ober- versicherungsamt aus einem Direktor und mindestens einem Mitglied; für jedes Mitglied wird mindestens ein Stellvertreter gestellt. Die Mitglieder sollen im Hauptamt oder für die Dauer des Hauptamtes aus der Zahl der öffentlichen Beamten, der Direktor auf Lebenszeit oder nach Landesrecht unwiderruflich ernannt werden.

Abg. Leber (Soz.) befürwortet einen Antrag, niht nur den

Direktor, sondern auh sämtliche Mitglieder auf Lebenszeit oder unwiderruflich zu ernennen.

Der Antrag wird abgelehnt.

Nach § 90 bildet jedes Oberversicherungsamt eine oder mehrere Beschlußkammern. Die Beschlußkammer soll aus dem Vorsißenden des Oberversicherungsamts, einem zweiten Mit- glied und zwei Beisizern bestehen. Die fortschrittlihe Volks- partei beantragt, das zweite Mitglied zu streichen.

Abg. Haußmann (fortschr. Volksp.) befürwortet diesen Antrag.

Der Antrag wird abgelehnt.

Hierauf wird nah 61/4 Uhr die Fortsezung der Beratung auf Sonnabend 12 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 67. Sißung vom 5. Mai 1911, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des Ent- wurfs eines Eisenbahnanleihegeseßes in Verbindung mit der Beratung der Denkschrift über die Entwicklung der nebenbahnähnlihen Kleinbahnen in Preußen und der Nachweisungen über die Verwendung des Fonds zur Förderung des Baues von Kleinbahnen.

Minister der öffentlihen Arbeiten von Breitenbach:

Meine Herren! Der diesjährige Eisenbahnanleihegeseßentwurf, der mit einem Betrage von 263 376 000 4 abschließt, bebt ih von seinen unmittelbaren Vorgängern rein äußerlih ab, indem im Ver- gleihe zum Jahre 1910 ein Mehrbetrag von 63 Millionen und im Vergleiche zum Jahre 1909 ein Mehrbetrag von 38,5 Millionen Mark angefordert wird. Diese Mehrbeträge sind überwiegend darauf zurü: zuführen, daß die Staatseisenbahnverwaltung es für notwendig er- achtet hat, für den Ausbau des Eisenbahnnetzes erhebli&ße Mittel zu erbitten. Es werden in diesem Jahre nicht weniger als 106 538 000 # für den Ausbau von Haupt- und Nebenbahnen angefordert.

Ich habe bereits in den Vorjahren darauf hinweisen müssen und darin auch die Zustimmung des hohen Hauses gefunden, daß die Staatseisenbahnverwaltung angesichts der außerordentlihen Anforde- rungen, die der steigende Verkehr an sie stellt, in die Notwendigkeit verseßt ist, dem Ausbau des Hauptbahnnetes steigende Aufmerksamkeit zuzuwenden, und bereits die Anleihegeseze der Vorjahre haben mi thren wahsenden Betcägen erkennen lassen, daß die Staatseisenbaln verwaltung diefen Wunsch in die Praris übersetzt.

In diesem Jahre erbitten wir für nicht weniger als vier Haup! bahnlinien die Mittel. Für zwei von diesen sind bereits in de Jahren 1909 und 1910 die Mittel für den Grunderwerb bewillict worden; das find die Linien Witten—=Scchwelm und Mörs—Gesldern: für eine weitere Linie, die eine Verbindung der Berlin-Weßlarer Bahn mit der Linie Dessau—Bitterfeld zwischen Wiesenburg unè Nofßlau herstellt, erbitten wir die Mittel für Grunderwerb und Lau und für eine vierte erbitten wir die Mittel lediglich für den Grund- erwerb: das ift eine neue Linie zwischen Minden und Nienburs- Jedem dieser Projekte wohnt eine besondere Bedeutung inne. S

Bezüglich der Linien Witten—Schwelm und Mörs—Geldern ift auf diese Bedeutung bereits in dem Vorjahre hingewiesen worden- Im Nuhrrevier hat sich das dringende Bedürfnis gezeigt, auf den Ausbau der Nord-Südverbindungen hinzuwirken. Die Linie Witten— Schwelm wird eine kürzere leistungsfähige Verbindung zwischen den! Nuhrrevier und dem Wuppertal und, weiter verlaufend, nach Cöln darstellen; sie wird gleichzeitig eine sehr wertvolle Entlastung für die durch den Verkehr stark in Anspruch genommenen Strecken über Hagen, Herdele bilten. Die Linie Mörs Geldern hat 18 Verbindung mit der neuen Nheinbrücke, die wir bei Ruhrort bauen, cine besondere Bedeutung für den Verkehr des Ruhrreviter? n3ch den Niederlanden und einen hohen Verkehrswert dadur, das

‘sie das im Entstehen begrisfene nordwestlihe Kohlenrevier mitten

durdschneidet. Aus der jeßigen Vorlage ergibt si, wie wertvoll es ist, für cine Linie, die dur s{chwieriges Gelände oder ein Gebiet geht, das in starker Bewegung ist oder der industriellen Aufschließung unterliegt, erst dann anzufordern, wenn die ausführliGen Vorarbeiten vorgenommen worden find. Im vorliegenden Falle haben die aus- führlihen Vorarbeiten ergeben, daß für beide Linien erheblih höhere Baumittel erforderlih find als nah den allgemeinen Vorarbeiten festgestellt war. Diese Mittel sind dem hohen Hause ja bereits im Norjahre bekannt gegeben worden.

Die Linie Wiesenburgz=-Roßlau wird eine brauchbare und direkte Nerbindung mit dem anhaltishen Lande {hafen und einen lang- jährigen Verkehrswunsch “des uns befreundeten Bundesstaates be- friedigen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß diese Linie für die Staatseisenbahnverwaltung einen hohen Verkehrs- und Betriebswert hat, weil sie eine fehr wesentlihe Entlastung der stark in Anspruch genommenen Linie von Berlin nah Jüterbog und Bitterfeld bedeutet.

Einen niht minder großen Wert hat die Linie von Minden nah Nienburg, die etwa dem Laufe der Weser folgt, mit einer Abzweigung nach Stadthagen. Diese Linie ist zweifellos eine Meliorationélinie für das durchzogene Land. Sie wird uns aber au für die Zukunft eine wertvolle Entlastung der Strecken bringen, die den großen Ver- fehr aus dem Ruhrrevier nah den Nordseehäfen zu bewältigen haben

Daß die Staatsregierung nach wte vor bestrebt ist, dem Ausbau der Meliorationsbahnen ihr besonderes Interesse zuzuwenden, ergibt au die diesjährige Vorlage. Für diese Zweke werden einschließlich der Kosten für die Beschaffung der Betriebsmittel 52 Millionen an- gefordert. Man wird darauf hinweisen können, daß in früheren Fahren größere Beträge erbeten worden sind. Aber, meine Herren, die Mittel, die wir hier für Hauptbahnen einstellen, bedeuten ja unter allen Umständen auch eine Melioration des Landes; die eben erwähnte Linie Minden—Nienburg dur(zieht z. B. weite ländlihe Gebiete und ist deshalb auch als Meltorationslinie zu betraten, und das gilt von den anderen Hauptbahnlinien mehr oder weniger au. Um zu- verlässiges ziffernmäßiges Material zu erhalten, sind für nicht weniger als 12 Nebenbahnlinien ausführlihe Vorarbeiten angeordnet worden, die voraussihtlich im Laufe dieses Jahres zum Abschluß kommen werden. Wenn diese Vorarbeiten ergeben, daß die Strecken bau- würdig sind, wird dadurch, daß ihre Einstellung in das Eisenbahn- anleihegeseß hinausgeshoben wird, eine Verzögerung im Bau nit eintreten, da wir ja dann in der Lage sein werden, mit dem Bau dieser Linien bald zu beginnen. Ih bin bereit, die einzelnen Linien, die hier in Frage kommen, in der Kommission durchzugehen.

Daß die Staatseisenbahnverwaltung nah wie vor auch der Aus- gestaltung des vorhandenen Netes ihre Aufmerksamkeit zuwendet, ¡eigt die Einstellung der erheblihen Mittel für den Ausbau zweiter, dritter und vierter Gleise im Betrage von 28,4 Millionen. Es wird möglich sein, mit diesen Mitteln niht weniger als 324 km zweiter,

dritter, vierter Gleise zu bauen.

Eine Zusage, die ih in diesem hohen Hause bereits vor Jahren gemacht habe, daß wir der Umwandlung von Nebenbahnen in Haupt- bahnen im Osten unser besonderes Interesse zuwenden wollen, wird au in diesem Jahre dadur erfüllt, daß wir die Mittel für die Umwandlung der Nebenbahn Posen—Schneidemühl in eine Haupt- bahn angefordert haben.

Ein ganz besonderes Interesse darf aber derjenige Teil des An- leibegefeßes beanspruchen, in dem Mittel für die Umwandlung von ¿wei geschlossenen Bahnsystemen aus dem Dampfbetrieb in den elek- trishen Betrieb gefordert werden. Es handelt sich um die Linie Magdeburg—Bilterfeld— Leipzig—Halle a. S. und die Linie Lauban— Dittersbach— Königszelt mit einer Neihe von Nebenbahnen. Bereits vor zwei Jahren hat uns das hohe Haus die Mittel zur Verfügung gestellt, um einen Versuh mit der Elektrifizierung einer Hauptbahn zwischen Dessau und Bitterfeld anzustellen, einer Strecke, die nur einen Teil des ganzen Unternehmens bildet. Dieser Versuch ist, wie die Budgetkommission sih mit eigenen Augen hat überzeugen können, geradezu glänzend ausgefallen. (Sehr wahr! und Bravo!) Wir können aus den Ergebnissen dieses Versuchsbetriebes einmal den Schluß ziehen, daß die Mittel, deren wir hier bedürfen, finanziell gut angelegt sein werden. Die Verhältnisse für die Durhführung des elektrischen Betriebes sind so günstig, daß er keinesfalls teuerer, nah aller Voraussicht nicht unerheblich billiger sein wird als der Dampfbetrieb.

Wann die Konsequenzen aus der Elektrifizierung der beiden Bahn- syfieme in Zukunft zu zießen sein werden, das vermag ih beute noch nicht zu sagen. Wir betrachten die Einrichtung des elektrishen Be- triebes auf beiden Bahnen zunächst nur als große Versuche große Versuche, die uns die fortschreitende elektrishe Großindustrie ermöglicht hat. Es ist heute {hon erkennbar, daß diese Versuche weit über die Grenzen Preußens hinaus Interesse hervorrufen. Ich bin fest davon durhdrungen, daß wir mit diesem unserem Vorgehen unserer elek- trischen Großindustrie, die doch wohl führend in der Welt ist, einen außerordentlihen Dienst erwiesen haben, der auch von allen Seiten anerkannt wird. Das möchte ih freilih betonen: wenn wir an die Elektrifizierung bisher mit Dampf betriebener Linien herangehen, kann es immer nur dann geschehen, wenn uns wirtshaftlihe und finanzielle Vorteile daraus erwahsen und wenn nicht andere fehr erhebliche Gründe, deren ich nicht Erwähnung zu tun brauche, entgegenstehen werden.

Auch für die Beschaffung von Fahrzeugen, von Betriebsmitteln, werden im Anleihegeseß erhebliche Mittel erbeten. Es sind ein- {ließli derjenigen, die für die neuen Linten notwendig find, 90 Mil- lionen; dazu treten die 80 Millioney, die im Ordinarium des Etats bereits bewilligt wurden, und 1,7 Millionen, die Hessen beizusteuern hat, sodaß in Summa rund 172 Millionen für Ersaß und Ver- mehrung zur Verfügung stehen, 10 Millionen mehr als im Vorjahre. Wir sind der Ueberzeugung, daß wir mit diesen Mitteln in der Lage setn werden, den Ansprüchen des Verkehrs zu genügen. Das Vorjahr hat im allgemeinen den Bewets geliefert, daß der Fuhrpark der Staats- eisenbahnen ausreichend ist. Dieser Beweis wird dadur nicht ent- kräftet, daß wir in den Monaten Oktober und November unter Wagen- mangel gelitten haben. Denn das werden wir voraussichtlich in begrenztem Umfange stets, weil die Anforderungen des Verkehrs \o plößlih auf die Eisenbahnen eindringen, daß immer etne gewisse Verlegenheit ent- stehen wird. Jch bin aber durchaus der Meinung, daß wir unseren Wagenpark auf einer Höhe zu halten haben werden, die es aus\{lteßt, daß dem Verkehr irgend welche Schädigung widerfährt. Zuzugeben ist, daß unser Betriebspark an gedeckten Wagen beute noch nit ge- nügt, daß wir also dem Ausbau unseres G-Wagenparks, um ihn kurz

fo zu kennzeihnen, unser besonderes Interesse zuwenden müssen. Die deutschen Staatsbahnen, die mit uns im Staatsbabnwagenverband verbündet sind, gehen gleihfalls damit vor und werden im Laufe des Etatsjahres die Mankodeckung vollführt haben, zu der sie auf Grund des Vertrags verpflichtet sind. Wenn der Verkehr weitere Steigerung erfährt, als im vergangenen Jahre, \o bin ih der Meinung, daß wir voraussihtlich mit der Anforderung höherer Beträge für die Aus- gestaltung des Fuhrparks an das hohe Haus herantreten müssen.

Für die Förderung des Kleinbahnbaus werden in diesem Jahre 1 Million Mark mehr gefordert als im vorigen Jahre. Es werden im ganzen 6 Millionen erbeten, weil die Anträge auf Gewährung von Unterstützungen für Kleinbahnen ständig steigen und, wie wir an- erkennen müssen, dringend sind. Mit diefen 6 Millionen steigt der Kleinbahnunterstüßungsfonds auf 113 Millionen.

Meine Herren, es scheint mir immer nüßli®, geradezu not- wendig, bet der Beratung des Anleihegesetzes darauf hinzuweisen, wie Negierung und Landtag seit Durhführung der Verstaatlihung bemüht gewesen sind, das Staatseisenbahnneß auf der Höhe seiner Leistun gs- fähigkeit zu erhalten. Es sind seit dem Jahre 1880 niht weniger als 5,8 Milliarden Mark für diese Zwecke verwendet worden, hiervon für neue Bahnen 1 Milliarde 795 Millionen, zur Ergänzung des Cisenbahnnezes 2 Milliarden 475 Millionen, für die Entwicklung unseres Betriebsmittelparks 1 Milliarde 400 Milltonen und zur Unter- stüßung anderer Bahnen 120 Millionen. Von diesen 5,8 Milliarden das ist noch) besonders bemerkenswert, und jeder, meine ih, muß \ich dessen ständig erinnern sind aus laufenden Mitteln nicht weniger als 2,2 Milliarden entnommen worden (hört, hört!) und aus Anlethen 3,6 Milliarden.

Von Interesse ist es auch, festzustellen, daß der Staatseisenbahn- verwaltung am 1. Oktober 1910 aus dem Extraordinarium und aus dem Anleihegeseß Kredite im Betrage von 886 Millionen zur Ver- fügung standen. Dieser Betrag mag sehr hoh erscheinen; es könnte vielleiht mancher erwägen, ob wir nicht zu viel angefordert haben. Aber, meine Herren, wenn Sie Jhrerseits erwägen wollen, daß die Bauausgaben der Staatseisenbahnen aus Extraordinarium und Staats- anleihe ohne Betriebsmittel im Laufe von 10 Jahren von 120 Millionen auf 300 Millionen, im Laufe von 5 Jahren von 170 Millionen auf 300 Millionen gestiegen sind, und daß wir in den leßten Jahren in der Lage gewesen sind, diesen Betrag von 300 Millionen ständig ein- zuhalten, dann wird man anerkennen können, daß die uns bewilligten Kredite niht zu hoch gewesen sind; denn wir brauen immer zwei bis drei Jahre für die Bauvorbereitungen. Wenn wir also nicht einen Betrag von 800 bis 900 Millionen zur Verfügung haben, kommen wir zu kurz und können die Bauaufgaben der Staatseisentahnverwal- tung nicht erfüllen.

Ich hoffe, daß das hohe Haus anerkennen wird, wie die Staats- eisenbahnverwaltung auf das lebhafteste bestrebt ist, den großen An- forderungen des Verkehrs und unserer wirtschaftlißhen Entwicklung Rechnung zu tragen, und der Vorlage der Staatsregierung einmütig zustimmen wird. (Bravo!)

Abg. von Quast (konf.): Ich entledige mih zunächst des Auftrages meiner Freunde, dem Minister unseren Dank für die wertvolle Arbeit auszusprechen, die in dem Buch über die gesamte Tätigkeit des Ministertuums der öffentlihen Arbeiten in den letzten zehn Jahren enthalten ist. Das ist eine mühsame und fleißige Ärbeit ge- wesen, und sie unterscheidet sich vorteilhaft von allen anderen folhen Arbeiten dadurch, daß die Statistik nicht nur zahlen- mäßig, sondern auch bildmäßig ausgeführt ist. Es werden uns da Auf lüsse niht nur über die Eisenbahnangelegenheiten, sondern über alle Fragen der Hochbauten, der Wasserbauten, der Küstenbefeuerung usw. gegeben. Ich sage namens meiner Freunde dem Minister für diese hervorragende Tätigkeit unseren Dank. Die Eisenbahnvorlage ist in diesem Jahre reicher ausgestaltet. Wir haben das bei der steigenden Konjunktur und der Besserung der Finanzen erwartet, es ist möglih gewesen, vom Finanzministerium größere Mittel zu fordern, speziell auch für die Hauptbahnen, unter denen allerdings die Bahn Witten—Schwelm die enormen Kosten von 1 Mill. Mark für das Kilometer machen wird. Es werden die Mittel für 4 Hauptbahnen und für den Ausbau der Neben- bahn Posen—Schneidemühl zu einer Hauptbahn angefordert. Die Mittel für die Nebenbahnen sind in den einzelnen Bezirken ganz verschieden hoch. Die Kosten \{chwanken zwischen 108 000 4 und 320 000 #4 für das Kilometer. Die Herstellung von zweiten, dritten und vierten Gleisen ist ein erfreulihes Zeichen für die Steigerung des Verkehrs. Die Beschaffung von neuen Betriebsmitteln betrifft vielfah den Ersatz für ausrangiertes Material; es fehlt immer noch an gedeckten Güter- wagen, und es müssen namentlih für die Herbstzeit mehr gefordert werden. Die Denkschrift über die Entwicklung der Kleinbahnen läßt erkennen, wie hoh die Belastung der Kreise mit nit rentierenden Kleinbahnen is, namentlih der Kreise, die überhauvt bobe Kreis- steuern haben. In einzelnen Kreisen der Provinz Brandenburg, 3. B. Prenzlau, haben sih die Kreissteuerverhältnisse vers{lechtert, weil [4 9/6 der Belastung von nicht rentierenden Kreisbahnen in Anspruch genommen werden. E

Abg. Wallenborn (Zentr.): Dem Dank des Vorredners für die Denkschrift - über die Tätigkeit des Ministeriums schließe ih mich namens meiner Freunde an. Wir sind damit einverstanden, daß die Vorlage auch die Forderung für vier Hauptbahnlinien enthält. Es gab eine längere Zeit, wo der Ausbau von Hauptbahnen in diese Vorlage nicht aufgenommen wurde; insofern mat sie einen erfreulihen Fortschritt. Am teuersten wird die Hauptbahn Schwelm— Witten werden, bei der das Kilometec beinabe eine Million kostet. Am billigsten ist dagegen die Hauptbahn Nienburg Minden mit nur 220 000 4 Kosten pro Kiiometer. Von den Nebenbahnen der Vorlage weist diejenige von Velmeden nach Eichenberg die höchsten Kilometerkosten von 325800 „#6 auf, während die Linie von Torgau nach Belgern nur 108 800 4 erfordert. Mit besonderer Freude begrüße ih die Linie von Polh nach Münstermaifeld. Erfreulicherweise sind in dieser Vorlage die Verkehrsinteressen der arbeitenden Bevölkerung besonders berücksichtigt worden, dagegen ist zu bedauern, daß die Provinz Schleswig - Holstein diesmal überhaupt niht bedaht worden ist, während anderseits Preußen ohne jede Gegenleistung in Anhalt und Lippe - Schaumburg bauen will. Für hon früher bewilligte Bauausführungen werden in dieser Vorlage über 5 Mill. Mark gefordert; das mahnt zur Vorsicht gegenüber den Voranschlägen. Die weitere Fortführung der elektrischen Zug- förderung begrüßen wir mit Freude. Für die Vermehrung der Fahr- zeuge fordert diese Vorlage 82 Millionen außer den im Etat vor- gesehenen 80 Millionen. Diese riesigen Summen find allerdings für den gesteigerten Verkehr notwendig. Endlich begrüßen wir die Forderung von 6 Millionen zur eriiuno des Kleinbahnwesens.

Abg. Macco (nl.): Der Minister hat uns {hon 1907 eine weitere Ausgestaltung des Vollbahnnetzes in Aussicht gestellt, aber es ist in dieser Hinsicht noch niht genügend geschehen: die Haupt- bahnen sind überlastet und bedürfen dringend der Erleichterung. Wir werden uns auf die Dauer ciner Vermehrung der Hauptbahn- linien nicht entziehen können, Eine öffentlihe Verhandlung der Frage mag bedenklich sein, aber sie ist für die ganze Entwicklung des Eisenbahnnetes und für die finanziellen Bedürfnisse des Staates von folher Bedeutung, daß dem Landtag Aufklärung gegeben werden muß. Auch in der Verteilung der Nebenbahnen bestehen \ol{e Unterschiede im Lande, daß fie niht verstanden werden: die Provinz Schleswig-Holstein ist an dieser Vorlage gar nicht beteiligt.

Für die Beschaffung von Fahrzeugen hätte eine größere Summe ein- geseßt werden müssen. Im nächsten Jahre wird die Einstellung eines höheren Betrages sicher notwendig sein. Aber gerade jeßt, wo

die Industrie danieder liegt, wäre der geeignete Zeitpunkt gewesen, an den Ausbau des Wagenparks heranzugehen. In der Beleuchtung stehen wir anderen Staaten weit nah. Für die Versuche mit der elektrishen Zugförderung können wir der Eisenbahnverwaltung dankbar sein. Ih hoffe, daß mit der Einführung der Elektrizität in das Eisenbahnwesen jeßt schnell weiter gegangen wird. Kraftquellen für die Clektrizität haben wir nicht nur in den Brennkohlen, sondern auch in den Eisenhütten, die sehr gut übershüssige Kraft abgeben könnten. Es gibt Eisenhütten, die jährlih sehr gut 40 bis 60 Millionen Kilo- wattstunden abgeben würden. Wenn diese Quellen berücksichtigt werden, können sicher viele Bahnen elektrisiert werden, an die man jeßt wegen der hohen Kosten niht herangehen will. Besonders für das Siegerland würde dieser Weg große Bedeutung haben. Zu wünschen wäre eine s{nellere Ausführung der geplanten Bahnbauten. Es wird dazu allerdings eine Verbesserung unseres Enteignungsgesetzes nôtig fein. Noch eine Anregung habe ich für die Eisenbahnverwaltung : ob nicht für die Gegenden, die auf einen Bahnbau nicht renen können, der Automobilverkehr mit Nußen verwendet werden könnte. Einzelne Wünsche will ih hier niht vorbringen, wetl ih die Be- ratungen hier nicht dafür geeignet halte. Wohl aber möchte ih den Minister bitten, allgemein darauf zu achten, daß die Zugfolgen der Nebenbahnen auf die Hauptlinie Rücksicht nehmen. Jm übrigen bin ih mit meinen Freunden der Ansicht, daß die Vorlage für unsern Verkehr von großer Bedeutung ist. Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach:

Ich bin mit Herrn Abg. Macco durchaus dahin einverstanden, daß der Fahrplan der Nebenbahnen sich dem der Hauptbahnen anzu- passen hat und umgekehrt, woraus indessen nicht folgt, daß alle Schnell- ¿üge auf den Anschlußstationen der Nebenbahnen zu halten haben. So weit gehen die Wünsche des Herrn Abg. Macco auch nit, wie i ihn verstanden zu haben glaube.

Dagegen bin ih mit ihm nicht der Meinung, daß das Bau- programm der Staatsbahnen, das tin der Tat im Jahre 1907 auf- gestellt worden is, um einen gleihmäßigen Ausbau und die Fort- entwicklung der Staatsbahnen \icherzustellen, von mir nicht in dem Umfange eingehalten worden ist, wie es seinerzeit beabsihtigt worden war. Ich kann hier nochmals bestätigen, daß das Bauprogramm der Staatsbahnen in vollem Umfange alljährlih ausgeführt i, nach der Dringlichkeit gruppiert, und ih glaube, den Beweis dafür, daß dies geschehen, liefern. wir dadurch, daß die Leistungsfähigkeit der Staatsbahnen im Betriebe in einer ganz ungewöhnlichen Weise zugenommen hat. Meine Herren, wenn Ste sich ver- gegenwärtigen, in welch \{chwterigen Betriebsverhältnissen wir in den Jahren 1907 und 1908 waren, in denen wir den Anforderungen, die der Verkehr stellte, anerkanntermaßen nur {wer genügen konnten ; wenn Sie sih vergegenwärtigen, daß wir heute einen erheblih größeren Verkehr fahren als im Jahre 1907, daß si troßdem sowohl der Per- sonen- wie der Güterzugbetrieb vollkommen regelmäßig abwickelt, daß wir unter der Einwirkung dieser Regelmäßigkeit unseres Betriebes ganz außerordentlich wirtshaftlich arbeiten, so wirtshaftlih, daß der Be- tuiebskoeffizient dauernd heruntergeht ih darf einfließen lassen, daß der Betriebskoeffizient des Jahres 1910 auf 67,5 gesunken is (bravo!), dann ist doch erkennbar, daß die Bestrebungen der Staats- bahn, die Verwaltung auf der Höhe der Leistungsfähigkeit zu erhalten, von Erfolg begleitet gewesen sind, und ich metne, daß auch die un- geheueren Summen, die wir in steigendem Maße jährli aus dem Extraordinarium und aus Anleihen verbrauchen, genügend beweisen, daß dauernd Großes geleistet wird.

Wenn Herr Abg. Macco meint, aus den Endsummen der Ar- leihebeträge sei das nit erkennbar, so muß ich in erster Linie darauf hinweisen, daß die Anleihegeseße in den Jahren 1906, 1907 und 1908 in hohem Maße durch den Ausbau zweiter Gleise belastet worden sind. Wir haben in den Jahren 1906, 1907 und 1908 Beträge von 68, 71 und 94 Millionen für den Ausbau zweiter Gleise aufgewendet Aber mit diesen Bauleistungen war das hauptsächlichste Bedürfnis nach dem Ausbau zweiter Gleise, das ja in gewissem Umfange dauernd weiter bestehen wird, im wesentlichen befriedigt. Die Auf- wendungen, welche wir für diese Zwecke machen mußten, gingen in- folgedessen später erheblich zurück. Sie sanken auf 40, 41 und 28 Millionen, nit aus großer Sparsamkeit, sondern weil der Zweck im wesentlihen erfüllt war; die hierfür beanspruchten Beträge wurden für andere Zwecke frei. Der Anleihebetrag dieses Jahres ist von den Anleihebeträgen der leßten 11 Jahre außer dem det Jahres 1908, in dem wir für Betriebsmittel einen Betrag von 170 Millionen in das Anleihegeseß einstellten der zweitgröß

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Außer im Jahre 1908, in dem wir 452 Millionen Mark aus derm Anleihegeseß bewilligt erhielten, sind höhere Mittel nur no® im Jahre 1906 bereitgestellt, in dem 271 Millionen Mark bewilligt wurden, während wir für dieses Jahr 263 Millionen an- fordern. Ich kann das Haus vollkommen darüber berubigen, daf wir auf Grund der Bewilligungen des Ordinariums, des Exrtraordinariurns und der Anleihegeseßge durhaus in der Lage find, die Staatzetïe: bahnen, wenn nicht eine ungewöhnlihe Verkebrsentwick&lung eintritt, auf der Höhe threr Leistungsfähigkeit zu erbalten.

Der Herr Abg. Macco hat mi mißverstanden, wenn er meintz ih hätte gesagt, die Eisenbahnverwaltung würde i ¿hften Jak mit einer Forderung für Vermehrung der B hinaus, was wir jeßt anfordern, an das Haus {E Ich habe hinzugefügt: wenn der Verkehr die Entwi2luxz er sie im vergangenen Jahre gezeigt hat und aud Wenn dies der Fall ist, dann glaube i in der Mehrforderungen werden kommen müssen. E wird, läßt ih jeßt noch nicht sagen. Wir nd d der Lage gewesen, in diesem Jahre bereits Mebrforderzngen ju stellen. Aus den Achsleistungen unserer Güterwagen ift ja erkennbar, daß wir den Wagenpark nicht entfernt in dem Umfange auSnußen, wie wir es in den Jahren 1905, 1906 und 1907 genötigt waren. Wir nuten den Wagenpark in erbeblich geringerem Maße ans, was ih für dur- aus wünschenswert balte, weil dabei auf der anderen Seite Er- sparnisse in der Werkstättenverwaltung zu verzeichnen sind. Jh glaube, daß nach den {weren Erfahrungen, die die Staats- eisenbahnverwaltung in den Jahren der leßten Hochkonjunktur gemacht hat, ni&t zu befürdten ist, daß sie sih jemals wieder in die Lage bringen wird, ein solches Manko an Betriebs- mitteln aufzuweisen, wie es damals vorhanden war. Die Gesamt- summen für den Ersaß und die Vermehrung des Betriebsmittelparkes find in der Tat in diesem Jahre sehr bedeutende; sie find nur über- troffen in den Jahren 1907, 1908 und 1909, in denen die Manko- deckung erfolgen mußte. In keinem anderen Jahre, solange die

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