1911 / 142 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 19 Jun 1911 18:00:01 GMT) scan diff

trägt. Solche Gedanken gehen sehr langsam. Jch hoffe, daß die vid v die dem Geseß widerstreben, durch das Zusammenarbeiten im erbandsaus\{chuß zu einer Verständigung gelangen werden. Die rößte Verantwortung trägt aber die Staatsregierung. Sie muß aupolizeilihe Bestimmungen erlassen, welhe die Grundstüs- \spekulation verhindern. Die Paupolizetordnung für Berlin muß revidiert werden. Nur durch eine gemeinsame Arbeit im Verbands- aus\{huß können Erfahrungen gesammelt werden zur weiteren Klärung aller dieser Fragen.

Herr Bender - Breslau: Bisher haben nur Vertreter der Minderheit gesprohen, die Herren von der Mehrheit haben ge- \{wiegen. Die ausführlihen Darlegungen des Herrn Körte werden doch aber auch auf die Mehrheit niht ohne Eindruck geblieben sein. Es muß anerkannt werden, daß Berlin in den leßten 30 Jahren nur unter den ungünstigsten Verhältnissen, unter ausgesprohc"er Feind- seligkeit der Negterung sih hat entwickeln können. Man hat Berlin die Schuld zugeshoben, das ist unberechtigt. Die Uebelstände, die in der Deffentlichkeit gerügt sind, find auch nicht fo groß, wie man sie binstellt. Wenn die MNegierung sie erkannt hatte, so hatte sie ja Mittel und Wege, auf ihre Abstellung zu dringen. Der Kreis Teltow hat auf eigene Faust den Kanal gebaut und 48 Millionen dafür ausgegeben, die im wesentlichen nur der Spekulation zu gute gekommen sind. Es hätte niht ges{hehen können, wenn nit der Kreis losgelöst von allen anderen kommunalen Verpflichtungen vor- gegangen wäre. Die Frage der Wohnungsfürsorge hat gewiß ihre Bedeutung, aber man fann sie nicht so en passant in dtefem Gese mit erledigen. Hinsichtlih der Organisation habe ih zu den Behörden nicht das gleihe Vertrauen wie Herr Adickes. Es müßten aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Vertretungskörper sein.

Herr von Wedel-Piesdorf: Es besteht kein Zweifel darüber, daß in Groß-Berlin in seiner gegenwärtigen Gestaltung außerordent- liche Mißstände herrshen. Diese konnten nur dadur entstehen, daß eine Menge von Kommunen zusammengepferht sind, und kein Mensch weiß, wo die Grenzen sind. Am leichtesten und bequemsten wäre aller- dings die Verschmelzung zu einer einzigen Gemeinde. Leider ist diese nicht mehr möglich. Vielleicht ist es recht gut, daß es so gekommen ist. Es ertönt überall der Nuf, die Steinshe Städte- ordnung ist in Gefahr. Wir müssen bedenken, daß diese vor mehr als 100 Jahren erlassen wurde. Stein konnte niht entfernt ahnen, daß sich nach 100 Jahren Städte mit 4—5 Millionen Einwohnern entwickeln würden. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Formen der Steinschen Städteordnung für die Negierung von Millionenstädten noch ausreichen, sie würde dahin führen, daß die gewaltige Millionenstadt vom Noten Hause in Berlin aus in zentralistisher Weise regiert würde. Wir glauben, daß es besser ist, wenn nur diejenigen Angelegenheiten zentralisiert werden, die gemeinschaftlich behandelt werden müssen, daß alle übrigeu aber dezentralisiert und auf kleinere Verbände ver- teilt werden. Diese Dezentralisation ergibt sich für Berlin in histori- scher Weise dadur, daß man die bestehenden Kommunen weiter bestehen läßt. Diesen Weg beschreitet die Vorlage. Freicih trennen sich die Oberbürgermeister ungern von der bisherigen Form. Als Stein die Städteordnung erließ, haben die großen Städte auch energishen Widerstand geleistet. Die jeßige Vorlage ist nur der An- fang, der immer {wer ist. Hoffentlich wird ih daraus etwas Gutes entwickeln. Jnteressenkämpfe werden gewiß nicht ausbleiben. Würden wir diese aber niht von einer allgemeinen Eingemeindung in der Stadtverordnetenversammlung in genau derselben Weise haben, würde niht auch die Belastung Groß-Berlins dieselbe sein ? Auf dem Wege dec Vorlage sorgen wir mehr für Selbst- verwaltung. Es ist besser, einen Schritt, den man zu tun beabsichtigt, gleih zu tun: wer weiß, was bis zum nächsten Jahre dazwischen Tommt, die allgemeinen MReichstagswahlen und was sonst. Ich hätte es gern* gesehen, wenn wir in bezug auf den Bebauungs- plan den Zweckverbänden eine größere Kompetenz verliehen hätten. Aber wir hatten die scharfe Opposition der Vertreter der Städte und waren froh, das nun Erreichte durhgebraht zu haben. Gegen den Wunsch, den Kleinwohnungsbau aufzunehmen, habe ih Bedenken. Berlin ist ja diejenige Stadt in Europa, in der die Arbeiterbevölkerung am \hlechtesten wohnt, aber der Weg, durh dieses Gesetz Abhilfe zu schaffen, wäre verfehlt. Man muß den Zufluß abschneiden. Ih will niht die Freizügigkeit unbedingt beschränken, aber ich halte Maßregeln für nötig, die dem Zuzug von Leuten, die keine Wohnung haben, begegnen. Den Arbeitgebern, die in Berlin gar nihts für die Wohnungsfürsorge tun, \ollten Opfer . auf- erlegt werden, wenn auch die Dividenden etwas sinken. Auf dem Lande forgen die Arbeitgeber für Wohnungen. Sie sind dort niht opferwilliger, sondern sie bekommen sonst keine Arbeiter, während der Wun, .in Berlin zu sein, so mächtig ist, daß die Arbeitgeber hier Arbeiter bekommen, auch ohne daß sie für Wohnungen forgen. Nehmen wir das Geseg an und suchen wir es später zu ver- bestern. Ih hoffe, daß aus diesem Anfang ein für die Millionen- städte segenëtreihes Werk bervorgehen möge.

Herr Schnakenburg - Altona: Als Bürgermeister von Friedenau habe ich die Verhältnisse in Berlin kennen gelernt und als Oberbürgermeister von Altona weiter verfolgt und bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß der Fehler der Groß-Berliner Ent- wicklung der gewesen ist, daß es an einer Instanz gefehlt hat, di die Gegensätße auëgleihen fonnte. Berlin hätte selbst die Initiative ergreifen müssen, um die Gemeinden in Zusammenhang zu bringen und jene Instanz zu schaffen. Der größere Fehler liegt aber bei der Staatsregierung, die nicht in genügender und richtiger Weise von ihrem Aufsihtsreht Gebrauch gemacht hat. Die Aufsicht über Groß - Berlin fällt einer ganzen Reihe von Instanzen zu, und jede dieser Instanzen hat nur über einen Teil von Groß-Berlin die Aufsiht. Wenn es gekänge, eine Instanz zu schaffen, die die Aufsicht über ganz Groß-Berlin übte, dann würde man zu viel besseren Resultaten kommen. Man sollte also die Aufsicht nicht verstärken, fondern verbessern. Bestünde eine so organisierte Instanz bereits, dann würden wir dies Gesez niht bekommen haben. Dies Gesey berührt wirtschaftlihe Fragen wie die Steuerfrage überhaupt nicht, sondern greift ein paar Aufgaben beliebig heraus. Wie foll ein Zweckverband Bebauungspläne aufstellen, wie soll er die Frage der Arbeiterwohnungen lösen? Es werden da die größten Interessengegensäe und Schwierigkeiten hervortreten. Eine \o [chwerfällige Instanz, wie der Zweckverband, wird ein großes Hemmnis für die Cntwicklung Groß-Berlins sein. Und ih möchte deshalb, daß das Gesetz glatt abgelehnt würde. Die Kommissions- arbeit braucht deshalb niht umsonst gewesen zu sein: man foll die Oeffentlichkeit darüber nochmals hören, dann wird man nah einiger Zeit zu einem richtigen Urteile kommen. Die Vertreter der großen Städte sind sih darin vollständig einig, daß das Gese den be- rechtigten Ansprüchen niht genügt. Eine nochmalige sorgfältige Prüfung der Vorlage zu wünschen ist doch niht zu viel verlangt ; jedenfalls sollte sie niht hon jeßt zur Verabschiedung gebracht werden.

Herr Dr. NRive - Halle: Die Vorlage hat bis jett eine wirklide Klärung niht erfahren, obwohl die Kommission Uebermenschliches geleistet und bis zu zehn Stunden täalih gesessen hat: auch sie mußte mit dem Bewußtsein auseinandergeben, daß die Mehrzahl der gestellten Fragen ungelöst geblieben ist. Ich habe noch nie ein so unruhiges und \{lechtes Gewissen gehabt, als bei dieser gesetzgeberishen Arbeit. Das Ergebnis der Kom- missionsarbeiten ist vielleiht ein erster Ansaß zu einem Versuch auf diesem neuen Gebiete. Die herbste, aber auch berehtigtste Kritik hat an unserer Arbeit Herr Adickes geübt, wenn er die Erwartung aus- \vrah, daß die Novellen zu dem Gesetze nicht lange auf sich warten lassen möchten. Ohne weiteres kann man über die Anregungen, die hier heute Herr Adickes gegeben hat, nicht hinweggehen, zumal über diejenigen hinsihtlch der Wohnungsfrage. Sehr s{chwierig sind auch die mit der Vorlage aufgeworfenen Rechtsfragen; S 4, die Eisenbahnen betreffend, \troßt nach jeder Richtung von Schwierigkeiten, die Kommission ist erst nach zweitägigem Studium dahin gelangt, ihn notdürftig zu verstehen. Nah §8 4 sollen die Bahnen gegen Entschädigung dem Verbande zu Eigentum überlassen werden. Bisher ist das nur möglich im Wege der Enteignung: hier zum ersten Male taucht eine Konstruktion auf,

wonach Eigentum durch Geseß übertragen wird. Der einzige Vor- gang dafür ist das polnische Snkejgnungbgelep von 1908, und dieses Geseß ist bisher unausgeführt geblieben. Eine der Grundlagen des Staates, das Eigentum, wird dur dieses Geseß direkt erschüttert. Nach dem bisherigen Gange der Erörterung komme ich in dieser späten Stunde zu dem Antrage, den Entwurf nochmals an die Kommission zurückzuverweisen, denn er hat bisher eine ausreichende Vorprüfung nicht erfahren.

Damit {ließt die Generaldiskussion.

Im Schlußwort bemerkt der

Korreferent Herr Körte, daß in der heutigen Verhandlung die Ausführungen des Oberbürgermeisters Adickes der einzige Lichtblick ge- wesen seien; es sei auf das tiefste zu bedauern, daß Herr Adickes der Kommission nicht angehört habe. Bei so eminent shwierigen Materien sei es niht die Aufgabe der geseßgebenden Faktoren, Versuche zu machen. Die „neuen“ Formen, die Herr von Wedel als Fortschritt preise, während er die Oberbürgermeister als Nückwärtser hinstelle, stellten keine Verwirklihung des Selbstverwaltungsgedankens dar, sondern seßten an die Stelle der Selbstverwaltung die nackte Interessen- vertretung. / Graf Botho zu Eulenburg führt Beschwerde darüber und legt Verwahrung dagegen ein, daß der Mitberichterstatter im Schlußwort entgegen der Geschäftsordnung gegen die Vorlage ge- \prochen habe. j

__ Mitberichterstatter Herr Körte beruft sich auf eine Vereinbarung mit dem Neferenten, wonach er die gegen die Vorlage sprechenden Momente in den Vordergrund stellen follte; die Absicht eines Ver- \toßes gegen die Geschäftsordnung habe ihm ferngelegen. i a ganz {wacher Mehrheit wird der Antrag Rive ahb-

gelehnt.

Gegen 7 Uhr wird die Fortseßung der Beratung auf Montag, 121/35 Uhr, vertagt. Außerdem kleinere Vorlagen, Denkschriften und Rechnungen.

Haus der Abgeordneten. 89, Sißzung vom 17. Juni 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißzung, in der in zweiter Beratung der Geseßentwurf, betreffend Abänderung der Ge- meindeordnung für die Rheinprovinz, verhandelt wird, ist in der Nummer d. Bl. vom Sonnabend berichtet worden.

Das Haus seßt die allgemeine Debatte bei dem Art. 1 fort.

Abg. Heckenroth (kons.): Wir halten es nicht für angebracht, diese Novelle noch weiter mit wichtigen Anträgen zu belasten, die eigent- lih nicht zu ihr gehören. Die Resolution, welche die Novelle ver- anlaßt hat, spriht nur davon, daß besonders reformbedürftige Bestimmungen der Landgemeindeordnung für die Rheinprovinz revidiert werden sfollen. Gewiß gehen tie Wünske der Be- wohner der Nheinprovinz erheblich weite. Dem Vorredner aus dem Hause ist namentlih darin Necht zu geben, daß die Stellung der Nrtsvorsteher anders werden muß, als sie gegenwärtig ist. Der Ortsvorsteher der Einzelgemeinde hat heute cin Amt inne, von dem man nicht sagen kann, daß es irgendwie begehrenswert ist: er ift lediglih das Organ des Bürgermeisters. Anderseits kann man nach den gemachten Erfahrungen niht behaupten, daß der Orts- vorsteher z. B. geeignet wäre, die Stellung als Jagdvorsteher auszuüben. Den bezüglichen Anträgen des Zentrums haben wir in der Kommission inhaltlih durchaus zugestimmt; auch ist seitens der MNegierung zugesichert worden, daß demnächst eine neue Novelle betreffs der Stellung des Ortévorstehers ausgearbeitet werden soll. Wir würden fie mit Freuden begrüßen. Den Eindruck wird ja die Regierung auh aus den Kommissionsverhandlungen bekommen haben, daß die rheinische Landgemeindeordnung durhweg reform- bedürftig ist und in die moderne Zeit niht mehr hineinpaßt. Wir bitten die Negierung, mit der allgemeinen Nevision möglichst bald vorzugehen und dann alle hier berührten Punkte zu berücksichtigen. Die gemahten Abänderungévorschläge greifen aber, z. B. be- treffs der VBürgermeistereiversammlung, so tief in die be- stehenden Verhältnisse ein, und bedingen eine so große Um- wälzung, daß wir dazu nicht Stellung nehmen dürfen, ohne daß die Lokalinstanzen und der Provinziallandtag gehört worden sind. Œ8 ijt uns aus den hervorgetretenen Wünschen das eine klar ge- worden, daß nichi immer fo verfahren wird, wie es tatsächlich wünschenswert wäre. Unter allen Umständen müssen wir daran festhalten, daß die Anhörung der Bürgermeistereiversammlung nicht illuforisch wird. Das tritt aber ein, wenn sofort von der Aufsichts- behörde ein Verwalter hingeseßt wird, den nach einem Jahre der Kreisausshuß felbstverständlih zur Wahl vorschlagen und die Bürgermeistereiversammlung wohl oder übel wählen muß. Bei der Auswahl der Bürgermeister follen alle ungeeigneten Persönlichkeiten ferngehalten werden. Man fann nicht behaupten, daf, das immer geschehen ist. Unter keinen Umständen darf es vorkommen, daß jolhe Personen gewählt werden, die in anderen Karcieren nit zu brauchen find. Das Bürgermeisteramt in der Rheinprovinz ist so wichtig, daß die Besten nur gerade gut genug sind. Wenn von der Staatsaufsichtsbehörde mit weitestgehender Sorgfalt verfahren wird, fo werden die Klagen, die erhoben sind, verstummen. Die Kommission hat den Grundsteuerbetrag auf 100 4 festgeseßt. Wir stimmen dieser Aenderung zu, weil wir es für richtig halten, daß die Grundsteuer vor allen Dingen in Ansay kommen muß. Mit dem Antrag Bell, der das Vertretungsrecht der Industrie nach hessen- nafsauisher Art ausgebaut sehen möchte, fönnen wir uns nicht befreunden. Die Gebäudesteuer haben wir aus der Novelle herauszubringen gesucht. Zur Einführung des geheimen Wahlrechts können wir ganz unmöglich Stellung nehmen, da man die An- ficht des Provinziallandtags nicht kennt. Der beschränkten Oeffent- lichkeit der Verhandlungen stimmen wir zu, wir wollen der Nhbein- provinz niht vorenthalten, was die übrigen Provinzen haben. Die unbeschränkte Oeffentlichkeit können wir niht annehmen. Alles in allem begrüßen wir die Novelle freudig und wünschen, daß die Staatsregierung mit der Aenderung der Landgemeindeordnungen weiter fortschreitet und demnächst mit einer größeren Novelle kommt.

Abg. Dr. Gottschalk-Solingen (nl.): Auf die Novelle haben meine Freunde gedrängt, und wir stimmen ihr daber grundfäßglih zu. In der Kommission haben wir uns Seslbst- beschränfung auferlegen müssen, ich habe {hon dort ausgeführt, daß wir mit Rücksicht auf die Geschäftélage des Hauses manche Anträge ablehnen müssen, deren Grundgedanken wir gern zustimmen würden, die aber nicht genügend entwickelt sind. So hätten wir gewünscht, daß den Frauen ein gewisses Beteiligungsreht eingeräumt wäre. Durch die Festseßung des Grundsteuerbetrages von 100 4 werden manche Kategorien ausgeschaltet, die gar nit betroffen werden sollen. Die Anträge des Zentrums lehnen wir ab, gerade in der Rheinprovinz würde durch fie die Industrie hinausgetrieben werden.

Ministerialdirektor Dr. Freund: Die Staatsregierung hat nicht, wie hier behauptet wurde, in den Verhandlungen der Kommission eine neue Novelle in Aussicht gestellt, durch die sie den Bestrebungen auf eine selbständigere Stellung der Gemeinden in der Rheinprovinz Nech- nung tragen wollte. Eine derartige Erflärung ist in der Kommission nicht abgegeben. Wohl sind solhe Wünsche geäußert unter Hinweis auf Westfalen. Die Staatsregierung hat geantwortet, daß sie ihnen Nech- nung getragen habe durch das JIagdgeseyz und durch das Zweckverbands- ge!eß, und daß fie im übrigen der Frage wohlwollend gegenüberstehe. Der Beseitigung der Zwerggemeinden, wie sie der Antrag Bell be- zwet, hat die Regierung an sich keinen Widerspruch entgegenzuseten. Der Antrag leidet aber doch an einer Reihe beträhtliher Mängel. So müßte eingefügt werden, daß leistungsunfähige Gemeinden auf- gelöst werden können. Dem Antrag Bell zu § 46 stehen prinzipielle Bedenken entgegen. Es würde \sich um ein Ausnahmegeseß handeln,

und der Inhalt des Antrags deckt sich nicht mit der Genesis dê8 8 46

Die Uen Anträge sind für die Regierung nicht annehmbar,

bg. Fretherr von Zedlig und Neukirch (freikonf.): Die Vo, lage beschränkt sich auf die Beseitigung einiger dringlicher Mängel und will alles übrige einer späteren allgemeinen Revision der Gemeindeordnun vorbehalten. Einige Anträge wollen aber die ganze Gemeindeordnun, grundsäßlih umgestalten, andere Anträge wollkt sogar Aenderungen herbeiführen, die präjudiziel auch für die Selbstverwaltung in de, anderen Provinzen wären. Es kommt hier in Betracht, daß die rheinische Gemeindeordnung ein von allen anderen vollkommen ab- weichendes Gepräge hat und mit den anderen nicht vergleihbar ist: das Institut der Meistbegüterten ist allein der rheinischen Gemeinde. ordnung eigen. Man darf hier niht Aenderungen versuchen, die auf die Gestaltung der Gemeindeordnung im ganzen eine Nückwirkun haben würden. Der Antrag, die Landbürgermeister wählbar A machen, würde eine vollkommene Umwälzung dieser Einrichtung sein. Die Einrichtung der Landbürgermeister hat \sich im ganzen sehr wohl bewährt, und manche andere Landesteile würden froh sein können, wenn sie eine ähnlihe Einrichtung hätten. Es ¡f verkehrt, aus theoretishen Gründen der Selbstverwaltung die Axt an _ diese Wurzel der rheinishen Gemeindeordnung zu legen, Meine Freunde werden aber bereit sein, in ciner Resolution der Re. gierung solche Anregungen für die demnächstige Revision der Gemeindeordnung im ganzen zu empfehlen, wobei au den Selbst. verwaltungsorganen ein größerer Einfluß auf die Ernennung der Bürgermeister gewährt werden könnte. Der Gedanke einer Kon. tingentierung der Zusammenseßung der Bürgermeistereiversammlung ist empfehlenswert, läßt sih aber mit Sicherheit noch nicht übersehen und man wird ihn auch der zukünftigen Regelung überlassen müssen. Das Ziel des Antrages wegen Beseitizung der Zwerggemeinden is berehtigt, aber die Durchführung dieses Gedankens is auch noch fkeines8wegs spruchreif, und wir werden ihn ebenfalls der zukünftigen MNevision empfehlen. Andere Anträge, die über den Rahmen dieser Vorlage hinausgehen, shlagen sozar Aenderungen vor, die präjudiziell für unsere ganze Geseßgebung sein würden; z. V, der Antrag auf Zulassung der Frauen, der Mannweiber, in die Ge. meindevertretung würde präjudiziell für die Gemeindevertretungen über. haupt sein, und man fann ihm teshalb nicht beitreten, Wir werden uns nicht dazu verstehen, eine Gelegenheit dieser Art für eine folhe Aenderung zu benutzen. Hierher gehört aug der Antrag, an Stelle der öffentlichen die geheime Stimmabgabe ein. zuführen. Wenn wir hier zum ersten Male die geheime Stimn- abgabe eingeführt hätten, so wäre diese Frage im Sinne der Eiy- führung der geheimen Abstimmung in der ganzen Monarchie én schieden. (Zwischenruf bei den Sozialdemokraten.) Geribe deswegen darf man diesen Beschluß niht fassen, solche V: chlüse dürfen niht so nebenher gefaßt, sondern müssen en gehend erwogen werden. Am allerwenigsten darf man s nebenher den sozialdemokratischen Druck bei den Wahlen zulassen. Wir lehnen deshalb jeßt diesen Antrag ab. Auch der Antrag, zu verbieten, oaß zugleih mehrere Beamte der selben iuristishen Personen im Gemeinderat sitzen, würde prä judizielle Bedeutung für alle Landesteile haben und kann daher glei) falls niht zur Annahme empfohlen werden. Von den Anträgen, die zur Vorlage selbst gestellt find, eisheint mir aus ‘den Gründen des Abg. Heckckenroth und des Regierungskommissars der Zentrums antrag zu § 46 nicht annehmbar zu sein; er würde den gerechten Forderungen der Industrie in keiner Weise genügen, die Industrie würde lediglich ein Scheingeschenk, aber nicht eine Befriedigung berehtigter Wünsche erhalten. Jn den Hausbesizerstimmen kann id nur eine wesentliche Verschlehterung der Kommissionsbeschlüsse sehen. Wir lehnen alfo diesen Antrag ab. Die Wiederherstellung der be schränkten Oeffentlichkeit der Gemeinderatssißzungen ist eine Ver besserung des Herrenhausbeschlusses, wir können aber nit dem frei sfinnigen Antrag auf weitergehende Einführung der Oeffentlichkeit zu stimmen, hon weil die beschränkte Oeffentlichkeit im Herrenhaus fo großen Widerstand gefunden hat; wollten wir noch weitere Ab- weichungen beschließen, so könnte das Gesetz an dieser einen Frage ganz scheitern. Wir wollen die Anregungen des Zentrums in Form einer Resolution der Regierung empfehlen, lehnen aber alle weiter- gehenden Anträge ab.

Abg. Eickhoff (forts{r. Volkspy.): Wir haben hier keine grund legende Reform der rheinishen Gemeindeordnung vor uns, fondern nur eine Aenderung von obsfolet gewordenen Bestimmungen. Die Kommission hat allerdings noch einige andere Bestimmungen d Vorlage zugefügt, die ih zum Teil als Verbesserungen ansebe Als Verbesserung sehe ich allerdings nicht an, daß 100 ai die Grundsteuer entfallen sollea, und wir werden dem Antrag Gottschalk auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage in dieser Beziehung zustimmen. Eine Verbesserung der Kommission ift die Wiederherstellung der Bestimmung der Regierungsvorlage über die Oeffentlichkeit; meine Freunde gehen allerdings noch einen Schritt weiter und beantragen statt der beschränkten Oeffentlichkeit die unbeschränkte Oeffentlichkeit. Wir fkönnen darin eine Gefahr nicht sehen, denn wir haben doch fonst {hon die Oeffent- lihkeit der Stadtverordnetenversammlungen. Der Friede in der Gemeinde wird nicht gestört werden, denn Nuhestörer können ent fernt werden. Warum will man ferner den Frauen nicht wenigstens das

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Necht geben, als Zuhörerinnen den Sißungen beizuwohnen ? Dann kann ja z. B. die Witwe eines Gutsbesitzers, die Interesse für Ge meindeangelegenheiten hat, einer Sigung nicht beiwohnen ; sie kann sih nur vertreten lassen. Wir beantragen die Gleichstellung weiblichen Gutsbesißer mit den männlihen. Die Frauen müssen da? Necht erhalten, Siß und Stimme im Gemeinderat zu haben, wenn sie sich auch wohl meist vertreten lassen werden. Für die Wabl beantragen wir die einfache und klare Bestimmung, daß die Stimm zettel verdeckt, und zwar nach Maßgabe des Reichstagöwahlrechté abgegeben werden follen. Dem Antrage des Zentrums auf Wählbar keit der Bürgermeister stimmen wir zu, beantragen aber darin die völlige Streichung der Bestimmung, daß insbesondere größere Grundbesißer gewählt werden sollen; denn diese Bestimmung if durchaus bauernfeindlih, und es fann ein mittlerer Besitzer sid viel besser zum Bürgermeister eignen, als ein Großgrundbesißer. Sämtliche übrigen Anträge des Zentrums sind für uns unannehmbar Der Einfluß der Industrie würde durch den Zentrumsantrag zu § 4 völlig beseitigt werden. Die Herren haben auch eingesehen, daß si damit zu weit gegangen sind, und fie haten deshalb mit dem Antrag zu § 35 der Industrie wenigstens einige Rechte geben wollea, aber auch diese wären nur Scheinrehte. Anträge, die eine wirkliche Ver besserung sind, müssen wir annehmen ohne Nücksiht auf das Herren haus; aber die Negierung hat ja auch bereits eine allgemeine Revisic der Gemeindeordnung für später zugesagt. Í Abg. Hirs\ch-Berlin (Soz.): Aus der Novelle ersehen wll, daß die Negierung vor grundlegenden Reformen zurüsreck Alle Redner geben zu, daß die Reformen niht ausreihen. Alo sollte man die Regierung zu einer Reform zwingen. Die Reform bedürftigkeit ist doch über jeden- Zweifel erhaben. Sie müßte "1 in der Richtung eines allgemeinen Wahlrechts bewegen, zunächst !! die geheime Stimmabgabe zu gewähren. Auch die Regierung ba! früher die öffentlihe Stimmabgabe für reformbedürftig erflärt, ai? gelegentlich der Wahlrehtévorlage hier im Hause über die geheim Stimmabaide geredet worden ist. Hier sollte man also den Ansans machen. Es liegen zwei Anträge vor, ein freisinniger und ciner dé? Zentrums. Sollte der erste abgelehnt werden, würden wir für de? zweiten eintreten. Die Kommission hat die beschränkte Oeffentlichkeil der Vorlage, die das Herrenhaus gestrihen hatte, wieder hergestel!- Warum nicht volle Oeffentlichkeit für die Gemeinderatssißungen - Man hat ja immer die Möglichkeit, die Oeffentlichkeit bei Del handlungen auszuschließen, z. B. wenn es sich um Grundstücks An- oder Verkäufe handelt. Jedenfalls würde das Interesse an dei Schicksalen der Gemeinde bei der Masse der Bevölkerung nur gesteigert! Dem freisinnigen Antrage, der auh Frauen Siß und Stimme Gemeinderat geben will, fönnen wir, obwohl er auf den ersten D!!S uns sympathisch erscheint, hon deshalb nicht zustimmen, weil es 1! hier nur um besißende Frauen handeln foll; wenn also nicht wesen!-

M ihr nicht zustimmen.

de Nerbesserungen “an der Vorlage vorgenommen werden, können entr.) : Die Forderung einer gründlichen Reform

M0 Nen Landgemeindeordnung läßt sih {on U Thronrede herleiten, die auf die bedeutsame Entwicklung aus Rheinprovinz hinweist. Die preußishe Regierung bezieht ber fir ihren Standpunkt auf historische Gründe, auf eine fi itution aus der Zeit. der französischen Negierung, während fie A les aus dieser Zeit Herrührende peinlich vermeidet. Vor E Jahren mußten wir auf die französisch - rheinishen Rechts- Jer Taingen verzichten, um die deutshe Nechtseinheit herzu- Sllen Die Gegenüberstellung der heutigen rheinishen Bürgermeister e der entsprechenden französischen Beamten, der Maires, ist auch pa nit zutreffend. Die französische Regierung war klug genug, Se Maires zu wählen aus den angesehenen Eingesessenen der Ge- i inden, um so wenigstens äußerlich den Sein eines Vertrauens- rhältnisses herzustellen. Nach der Steinshen Reform sollte auch die Rheinprovinz gar nicht unterschiedlih behandelt werden. Die heutige Selbstverwaltung dort ist nur ein Zerrbild tessen, was ein hervorragender Staatsmann, der Staatssekretär des Innern Or. Delbrück, im Reichstag als das Wesen der Selbstverwaltung efennzeichnet hat. Auf die hohe Bedeutung der Rheinprovinz in wirkt- \chaftlicher und kultureller Beziehung für, ganz Preußen muß hier nochmals hingewiesen werden. Für das Reich bringt die Rheinprovinz 99 0% der Zölle und stellt für das Heer ein erheblihes Kontingent. Die Frage ist berechtigt : Was wäre aus Preußen geworden ohne die Rheinprovinz? Die rheinische Landbevölkerung if immer noch ein fester Wall gegen die Umsturzpartei. Die rheinische Bevölkerung steht fest auf der Wacht am Rhein, aber sie darf niht unzufrieden gemacht wer von Gescher (kons.): Was der Vorredner zum Lobe der Rheinprovinz ausgeführt hat, kann ih bestätigen. Wenn bedaukrt ist, daß die Vorlage nicht hon vor Ostern an uns gelangt ist, so teilen dies Bedauern wohl alle Fraktionen. Alle hätten die Vorlage lieber früher als später verabschiedet. Aber es lag_ nicht an den Fraktionen, sondern an den Verhältnissen. Nicht die Staatsregierung hat keine Nertreter für die Kommissionsberatung stellen können, sondern wir Kommissionsmitglieder waren in Anspruch genommen, wo wir nit ersegt werden konnten. Es is eine eigentümlihe Er- einung, daß der Antrag auf Einführung des geheimen Walhl[- rehits, der eine unendlihe Wichtigkeit besißt, uns erst heute morgen präsentiert ist. Die Annahme würde ganz unabsehbare Folgen haben. Aus Furcht vor der Sozialdemokratie lehnen wir das geheime Wahlreht, wie der Abg. Hirsh meinte, nicht ab. Den Vorwurf, daß die rheinische ländliche Be- vöôlferung lediglih aus Angst ihrer wahren Ueberzeugung bei den Wahlen keinen Ausdruck gibt, muß ih als unberechtigt zurückweisen. Die Unrichtigkeit wird hon dadurch bewiesen, daß au dort, wo der .rheinishen Bevölkerung das geheime und gleiche Wahl- recht gegeben 1, sie doch feinen Sozialdemokraten wählt. Ich gebe zu, daß mehr als bisher auf die Wünsche der Bevölkerung Rücksicht genommen werden muß, aber diese ist ja auch nah der bestehenden Gesetzgebung schon in der Lage, durch ihre berufenen Organe ihre Wünsche zur Geltung zu bringen. Jch kann der Bevölkerung nur den dringenden Rat geben, daß sie davon Ge- brauch macht. Jnwieweit eine Aenderung des bestehenden Rechts angebracht ist, will ich nicht untersuchen. Was die Anträge an- betrifft, so möchte ih im Interesse des Zustandekommens eines guten Gesetzes dringend vor weitergehenden Beschlüssen warnen. 5s ist faum mögli, solche s{werwiegenden Bestimmungen, die nah allen Seiten erwogen werden wollen, materiell und formell plößlich in den Rahmen eines ganz anderen Geseßes hineinzuzwängen ; dabei besteht die Gefahr, daß nihts Gutes herausfommt. Ander]seits bin ih der Meinung, daß die Arbeit, die wir auf das Gesetz ver- wendet haben, durhaus nicht verloren ist. Alle meine Fraktions- genossen stimmen darin überein, daß es sich klar herausgestellt hat, wie reformbedürftig die rheinishe Landgemeindeordnung ist. Deshalb tâte die Regierung auch gut, in eine solhe Reform einzutreten. Einer dahingeheaden Resolution würden meine Freunde ihre Zustimmung geben. Als ih die Erklärung des Ministerialdirektors vorhin hörte, fam mir das Wort in den Sinn : Vor Tische las man’s anders. Die Erklärung in der Kommission lautete entshieden entgegenkommender. Abg. Waldstein (fortshr. Volksp.): Die Neformbedürftigkeit der rheinischen Landgemeindeordnung ist durchaus anzuerkennen. Die NRhein- provinz hat eine bedeutende industrielle Entwicklung genommen, aber gerade bierauf nehmen die Anträge des Zentrums keine Nücksicht.

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Daß unser Antrag auf Zulassung der Frau zum Gemeinderat" über den Nahmen der Viorldde hinausgeht, kann ih nit anerkennen; im Gegenteil, ich meine, daß er eine Konsequenz der ganzen Vorlage ist, in der es sich nicht um die Nechte von bestimmten Persönlich- feiten handelt, sondern darum, daß der Gutsbesiß als solcher in der Gemeindevertretung sein G de wahrnehmen kann. Die Vorlage geht von der Auffassung der Handlungsunfähigkeit der Frau aus und will sie deshalb nur dur einen männlihen Ver- treter mitwirken lassen; sie stellt die Frau deshalb den unter Vormundschaft stehenden Personen gleich. Unser Antrag gebt nicht auf eine Erweiterung der Frauenrechte im allgemeinen hinaus, fondern will nur sagen, daß die Frau als Grundbesiterin die Inter- essen ihres Grundstücks selbst wahrnehmen darf. Gegen unseren An- trag auf Einführung des geheimen Wahlrechts wendet man ein, daß man eine so wihtige Sache hier niht so nebenbei regeln könne. Dieser Grund ist nit durchs{lagend. Es liegen doch auch vom Zentrum Jnitiativanträge auf Einführung der geheimen Stimmabgabe bei den fommunalen Wahlen vor, und wir wünschen, daß diefe Anträge noch in dieser Session erledigt werden. Dann können wir doch nicht bei dieser Vorlage die geheime Stimmabgabe ablehnen und vielleicht morgen ge- legentlih dieser Anträge für die Kommunalwahlen im allgemeinen an- nehmen. Wir verlangen ferner die Zulassung der vollen Oeffentlichkeit der Gemeinderatsfizungen, denn alle Gemeindeangehörigen haben ein Interesse an den Verhandlungen, und man hat keine Veranlassung, in dieser Beziehung so ängstlich zu sein. i: N

Unterstaats\sekretär Hol 8 erwidert dem Abg. von Gescher, daß ein Widerspruh zwishen den Erklärungen der Regierung im Plenum und in der Kommission bezüglich einer künftigen Revision der rheinishen Landgemeindeordnung nicht bestehe ; eine bestimmte Zusage für eine solhe Nevision sei überhaupt noch nicht abgegeben worden. Wenn das Haus eine solche Resolution beschließen wollte, so würde die Regierung die Frage prüfen. Zu den einzelnen Anträgen behalte er sih die Stellungnahme in der Spezialdiskussion vor. :

Abg. Bell- Essen (Zentr.): Ich bin mit dem Abg. von Gescher darin einia, daß die Regierung an eine gründlihe Reform gehen follte. Daß die Regierung, falls eine entsprehende Resolution angenommen wird, in eine Prüfung der Verhältnisse eintreten will, damit können wir uns nit zufrieden geben. Wir haben den Wünschen der Be- völkerung der Rheinprovinz in unseren Anträgen Ausdruck gegeben, und zwar nur denen, die uns am allernotwendigsten erschienen. Unsere Anträge sind daher keine Parteiwünshe. Sie sind in der Kommission abgelehnt, darum haben wir sie im Plenum wieder ein- gebracht. Es ist ungerecht, gegen uns den Vorwurf zu erheben, daß wir der Industrie niht zu ihrem vollen Rechte verhelfen wollten. Weiter ist der Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts hier so oft behandelt, und die Meinungen sind darüber so gefklärt, daß man darüber zur Abstimmung schreiten fann. Die Landgemeindeordnung regelt alle Fragen der Gemeinden, folglih auch die der Stimmabgabe. Es handelt \sich um die öffent- liche oder die geheime. Dazu müssen wir also Stellung nehmen. Es heißt, wenn wir das geheime Wahlreht erhielten, würden wir Nheinländer den übrigen Provinzen voraus sein. Wir sind nicht verwöhnt. Sollten wir aber das geheime Wahlreht bekommen, fo würden wir im gegebenen Falle den anderen Provinzen auch gern dazu verhelfen. Die Neform der Gemeindeordnung kann auf die Zustimmung des überwiegenden Teiles der rheinischen Bevölkerung, die zu sieben Neunteln durch die Zentrumspartei vertreten wird, rechnen, und unsere Partei betrahtet einstimmig die vorliegende Novelle nit als eine Reform, sondern eine Deformierung der Land- gemeindeordnung.

Abg. E cker- Winsen (nl.) spricht sih gegen die Zentrumsanträge aus, insbesondere gegen die Wahl der Landbürgermeister. Wenn man die Gemeinden möglichst stärken wolle, so müsse man an der Er- nennung der Bürgermeister festhalten, denn der gewählte Bürger- meister werde immer bestrebt sein, die kommunalen Angelegenheiten möglichst an sich zu ziehen. Das Zentrum wolle den Einfluß der Industrie zurückdrängen, aber gerade auf die Wahl des Bürger- meisters werde die Industrie einen großen Einfluß ausüben. Die Wahl rufe nur Parteikämpfe hervor. Das geheime Wahlrecht sei ein ganz guter Gedanke, aber man könne nicht hier bei dieser einen Gelegenheit einseßen, um es einzuführen; man müsse dazu vielmehr die Gelegenheit etner späteren Revision abwarten.

Damit {ließt die allgemeine Besprehung. Der Arlt. 1 (Aufhebung des 41 der rheinishen Landgemeindeordnung)

wird angenommen.

f cailegimg aber ‘bisher sehr erschwert sei. j Ergänzungsverfahren eingeführt werden, durch das die mangelnde Uebereinstimmung der an der Zusammenlegung beteiligten Gemeinden ersetzt werde.

Zur speziellen Begründung des bereits oben mitgeteilten

Antrags des Zentrums auf Abänderung des §8 6 der geltenden Gemeindeordnung zum Zweck der gemeinden behufs

usammenlegung von Land- eseitigung der Zwerggemeinden führt Abg. Lin z (Zentr.) aus, daß es in der Rheinprovinz eine Masse anz kleiner Gemeinden gebe, die niht leistungsfähig seien, deren Zu- Es müsse deshalb ein

Regierungsrat Dr. Saenger: Der Ministerialdirektor Dr. Freund

hat bereits ausgesprochen, daß die Negierung dem Gedanken des An- trages sympathisch gegenüberstehe, daß die Fassung des Antrages aber noch Mängel habe. Der Vorredner hat sich nicht darüber geäußert, wie namentlich der Mangel beseitigt werden könne, daß der Antrag nicht die Bestimmung enthalte, daß Gemeinden, die außerstande sind, ihre öffentlih-rechtlihen Verpflihtungen zu erfüllen, durch Königliche Verordnung aufgelöst werden können. mäßiger Weg zur Erreichung des Zieles.

Das ist aber ein sehr zweck-

Abg. Win ckler (kons.): Wir lehnen auch diesen Antrag ab, wie

wir alle Anträge ablehnen, die über den Nahmen der Vorlage hinaus- gehen. Allerdings liegt bei diesem Antrage die Sache etwas anders; es besteht im Gegensaß zu den übrigen Gemeindeordnungen in der rheinischen Gemeindeordnung eine Lücke in dieser Beziehung, und es wäre wünschenswert, daß diese Lücke ausgefüllt werde, damit die unglüd- seligen Gebilde der Zweiggemeinden beseitigt werden können ; wir haben doch Zweifel, o darüber gehört zu haben, einfah in dieser Weise Bestimmungen aus den anderen Deshalb wollen wir heute diesen Antrag niht annehmen.

aber wir, ohne die Organe der Rheinprovinz

auf die Rheinprovinz übertragen follen. Die NAh- lehnung wird uns allerdings bei diesem Antrag \{chwerer als bei den übrigen Anträgen, deren Tragweite wir überhaupt noh gar nicht

Landésteilen

übersehen Tönnen.

Abg. Dr. Gott schalk- Solingen (nl.): Auch meine Freunde stehen dem Gedanken des Antrages sympathisch gegenüber, können ihm aber doch nicht zustimmen aus Bedenken gegen die Durchführuyg im

einzelnen.

Abg. Linz (Zentr.) erklärt, daß seine Freunde fh überlegen würden, wie sie den Bedenken der Regierung entgegenkommen Eönnten. S :

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch: (freikons\.): Meine Freunde sind mit dem Ziele des Antrages grundsäßlih einverstanden und würden bereit sein, für eine Fassung zu stimmen, welche die Be- denken der Regierung beseitigt. i: e l

Abg. Eickhoff (fortschr. Volksp.) erklärt dasfelbe für seine Partei.

Jn der Abstimmung wird der Zentrumsantrag allein durch die Stimmen des fast A vertretenen Zentrums an genommen, da die sämtlichen übrigen Parteien nur sehr s{hwach vertreten sind.

Abg. Fle uster (Zentr.) befürwortet darauf die vom Zentrum zu 8 35 der geltenden Gemeindeordnung beantragte Aenderung wegen des Gemeinderechtes der juristischen Per]onen und des Fiskus. O

Unterstaatssekretär Hol wendet gegen den Antrag ein, daß seine Tragweite noch gar nicht zu übersehen sei, und daß erst Er- hebungen darüber stattfinden müßten; er bitte deshalb, den Antrag abzulehnen. i

Abg. Dr. Gottschalk - Solingen (nl.) spricht sich ebenfalls gegen den Antrag aus. :

Abg. Winckler (kons.): Nah der Erklärung des Unterstaats- sekretärs, daß die Regierung die Tragweite des Antrages noch nicht übersehen könne, sind wir nicht in der Lage, für den Antrag zu stimmen.

Bei der Abstimmung bleibt das Ergebnis durch Probe und Gegenprobe zweifelhaft, die Auszählung ergibt 77 Stimmen für und 70 Stimmen gegen den Antrag, das Haus ist also nicht beshlußfähig, die Sißung muß abgebrochen werden.

Präsident von Kröcher beraumt die nächste Sißzung auf Montag 11 Uhr an und seßt auf die Tagesordnung die Fort- sezung der Beratung der Novelle zur rheinishen Gemeinde- ordnung, die zweite Lesung des Ausführungsgeseßes zum Reichs- viehseuhengesez und Petitionen.

Schluß 41/, Uhr.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungsmaßregeln.

918K,

Tierseuchen im Auslande.

Nr. 25.

(Nach den neuesten im Kaiserlihen Gesundheitsamt eingegangenen amtli@en Nachweisungen.)

Vorbemerkungen :

den vorliegenden Angaben nit vorgekommen sind. i i ¿i E 2) e D aae MeRAite ließt M: Ausbrüche (Großbritannien), Ställe, Weiden, Herden (Schweiz und Frankrei), Besißer (Luxemburg und Niederlande), Ställe

(Norwegen), Bestände (Dänemark).

3) Die in der Uebersicht nicht aufgeführten wihtigeren Seuchen, wie Rinderpest, Raushbrand, Wild- und Rinderseuhe, Tollwut, Lungenseuhe, Schhafpocken, Geflügelcholera, feuhe, Hämoglobinurie usw., sind in der Fußnote nachgewiesen.

|

ke (Provinzen, Departe-|

Milzbrand

Ge-

meinden

Zettangabe.

E a Bezirke Staaten 2c.

ahl der vorhandenen Sperrgebietsg 2c.)

eztr ments, Gouvernements,

Gehöfte | Bezirke

Maul- und Klauenseuche

Ges- meinden

Gehöfte | Beztrke

| |

Schafräude

Ge- meinden

ereus

1) Ein Punkt in einer Spalte der Uebersicht bedeutet, daß in der betreffenden Nachweisung eine Angabe für diese Spalte nicht enthalten ist; ein Strich bedeutet, daß Fälle der betreffenden Art

Hühnerpest, Büffel-

L “Sie Rotlauf der Schweine") (ins{l{eßlich Schweinepest)

Ge- s i meinden Gehöfte | Bezirke

Gehöfte | Bezirke

14. 6,

14, 6. 76, 27./5.—2./6. 10./4.—16./4. 5./6.—11./6. 21./5.—27./5. 28./5.—3./6.

Desterrelch

(n E E Kroatien-Slavonien Serbien . ; Jal e 5 Swe 3

Großbritannien . .

Dell 4 9 4,8

Dana, 19 Mai M

Norwegen. 1 9 Mai 10! N: V L 4 48 April ZO T O

Außerdem:

1./5.—15./5.

6 Geh. ü

Ee E 45/454 —— H l-l ——| —|

11013| , 4A 162720 1 18). 14698| P

|

s A 27 7 |

E O P 62) . [1103 . f,

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E Bcl ä Í C 6 .|

Halbmonatliche und monatliche Nachweisungen.

| M O O E 5! 1

T al E E P OR

Wöchentliche, bezw. viermal im Monat erscheinende Nachweisungen. I M D S B E O O O E DO O G U. ¿ T

B

44

a Pl, [6 0 A U | es U 1

| S s

R E Q a Fal

Rauschbrand: Oesterreih 8 Bez., 12 Gem., 12 Geh. überhaupt verseucht; Ungarn 30 Bez., 73 Gem., 76 Geh. überhaupt verseucht ; s haupt verseudt Stalier 7 Bez., 8 Gem. überhaupt, 7 Geh. neu verseucht; Schweiz 4 Bez., 8 Gem. neu verseuht; Belgien 4 Bez., 5 Gem. neu verseucht; erhaupt verseucht; Spanien 6 Bez., 13 Gem. überhaupt verseucht.

Kroatien-Slavonien 2 Bez., 4 Gem., 8 Geb. über- Norwegen 4 Bez.,

Tollwut : t ich 12 Bez., 23 Gem., 28 Geh. überhaupt verseucht; Ungarn 49 Bez.,, 246 Gem., 252 Geh. überhaupt verseucht; Kroatien-Slavonten 5 Bez., 13 Gem,, 14 Geh. über- iat Leseust: Serben 2 Bez., 4 Gem. überhaupt verseuht; Italien 6 Bez., 7 Gem. überhaupt, 2 Geh. neu verseucht; Belgien 3 Bez., 4 Gem. neu verseucht; Spanien 19 Bez.,

48 Gem. überhaupt verseucht.

Schafpocken: Ungarn 17 Bez., 36 Gem., 53 Geh. überhaupt verseucht; Spanien 23 ae Gem. überhaupt verseucht.

Geflügelcholera‘): Oesterreich 6 Bez., 11 Gem., 63 Geh. überhaupt verseucht; Ungarn 11 Äisèzuche: Spanien 7 Bez., 21 Gem. überhaupt verseucht.

Besch

ez, 88 Gem., 964 Geh. überhaupt verseucht; Spanien 6 Bez., 8 Gem. überhaupt verseucht.

1) Schweiz: Stäbbenrotlauf und Shweineseuche. ?) Großbritannien: Schwetnefieter; Jtalien: Schweineseuhen (allgemetn). ?) Für ein Departement ist die Anzahl der Gemeinden nicht

angegeben. 4) Spanien: Geflügelholera und -Diphtherite.