1891 / 281 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Nov 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Reichsanleiben wird durh die neugeforderte recht erheblich fteigen, und ih erkenne vollständig an, daß dieses Steigen an und für sich etwas durchaus Unerwünschtes ist. Sie werden ja zu prüfen haben, ob und welche von den geforderten Ausgaben Sie versagen können. Wenn Sie mit den verbündeten Regierungen zu der Ueberzeugung kommen, daß die von Ihnen geforderten Ausgaben nüßlich, nothwendig und unaufscieblich sind, so werden Sie au Mangels anderer Deckungsmittel uns die Bewilligung zu der entsprehenden Ver- mehrung unserer Reichsanleihe nicht versagen dürfen. Wann diese Reichsanleihe demnächst wirkli begeben wird, darüber ist im gegen- wärtigen Moment irgend ein Beschluß noch nit gefaßt. Sie werden, wie ih, bemerkt haben, daß nah dem Bekanntwerden des neuen Etats die augenblicklich durch allerhand Vorgänge sehr nervöse Börse in eine gewisse Erregung gerieth und daß vorübergehend der Curs, namentli unserer 3 °%/ Reichtanleiße, in unerwünshter Weise zurückging. Es hat dies, wie ih glaube, zum Theil darin seinen Grund, daß man in den betreffenden Kreisen der Meinung war, wenn nun die noch offenen Kredite von etwa 130 Millionen Mark um etwa 159 Millionen Mark gesteigert würden, dann müßte diese gesammte Summe von 200 bis 300 Millionen Mark Reichsanleihe unbedingt im Laufe der nächsten Monate auf den Markt geworfen werden. Davon ist selbstverständlih gar keine Rede. Wann wir die Anleihe begeben müssen, kann ich selbst im Augenblicke nicht übersehen; es richtet sih das ja nah dem Maße, in dem die von hnen bewilligten Ausgaben zur Autführung gelangen, in denen die Anschaffungen bewirkt, die Bauten gefördert werden und die Mittel zur Bestreitung dieser Ausgaben gebraucht werden. Wir haben die leßtere größere Anleihe, wie Ihnen bekannt, im Frühjahre dieses Fahres begeben. Wir haben dabei eine Verpflichtung nit über- nommen, während eines bestimmten Zeitraums keine neue Anleihe auf den Markt zu bringen; wir sind aber von der Vorausseßung aus- gegangen, daß, so lange bis dieses Anleihege\chäft abgewickelt wäre, neue 3 proz. Anleihen niht auf den Markt kommen würden, und wir haben diese Vorauésetzung, da es uns dur die Gesammtlage möglich war, einfach und ehrlich gehalten. Es ist also aus dem bisherigen Verhalten der Reihsverwaltung irgend ein Grund zur Besorgniß, wie sie ch in den öffentlihen Blättern ausgesprochen hat, meiner Arsicht nab nit zu entnehmen. I kann auch weiter sagen, daß, soweit ih beute die Sache überschen kann, auch für die nächsten Monate es vorauésihtlich niht nöthig werden wird, neue Anleihen zu begeben. Wir haben augenblicklih eine ziemli volle Kasse, der Bestand wird s allerdings in kurzer Zeit dadur verringern, daß die Einzelstaaten ibre Antheile an den Zöllen und Steuern abheben. Dennoch aber wird für die nähste Zeit ein Bedarf zur Begebung von Reiäsanlcißen meiner Meinung nah nit eintreten. Wenn dann später der Moment eintritt, wo wir das Geld brauchen, so baben wir auch dann noch die Möglichkeit, während eines gewissen Zeitraums den Augenblick der Begebung hinauszushicben, weil wir uns nach den geforderten und biéber stets bewilligten Einrihtungen vorübergehend mit der Ausgabe ron Shatarweisungen helfen können. Wir werden also naturgemäß den Moment zur Begebung neuer Anleihen zu wählen suchen, in welGem den Kreisen, die uns das Geld dazu beschaffen sollen, die Sache am Wenigsten unbequem ist, und in diesem Moment werden wir die günstigsten Chancen haben. Ebenso wie ich außer Stande bin anzugeben, wann dieser Moment eintritt, bin ih heute natürli vollständig außer Stande zu erklären, welhen Typus wir für die neue Arlcibhe wäblen werden. Auch hier habe ic in den öffentlihen Blättern ein mib, ehrlih gestanden, überrashendes Mißverständniß gefunden. Ich fand eine Notiz in einem Blatt: der Reichéschaßsekretär habe nun bestimmt erklärt, daß die nächste Anleihe eine 3 prozentige sein soll. Ich habe mich im ersten Moment gefragt: woher dieser Irrthum ? Es ergab si dann, daß ein Saß in der Denkschrift zum Etat der Reichs\chuld zu diesem Mißverständniß den Anlaß gegeben hat. Dieser Sat führt aus, daß bei der Veranschlagung des Zinsbedarfs für das näbste Etatsjahr tavon auêgegangen sei, daß eine 3 prozentige Ver- zinsung stattfinde. Beiläufig gesagt, wäre der Zinsbedarf annähernd der gleihe gewesen, wenn 34% zu Grunde gelegt wären. Hierbei handelt es sich aber rein um die Grundlage eines Rechenexempels/ nit um eine materielle Entsheidung über den Typus; und wir haben naturgemäß bei Berechnung der Zinsen, die wir im nächsten Jahre brauchen, den Typus zu Grunde gelegt, welcher bei der Ausgabe der beiden leßten größeren Anleihen gewählt war. Wären wir bei der Berehnung von diesem Typus abgewichen, so bätte man eher sagen können, es liegt darin ein gewisser Hinweis, daß man bei der nähsten Begebung von dem 3 prozentigen Typus abgehen will, aber jeßt spriht dieser Saß in den Motiven weder dafür noch dagegen, daß die nächste Anleihe cine 3, 3 F oder 4 prozentige werden soll. Die Wahl des Typus für cine auszugebende Anleihe ift in erster Linie eine Cursfrage. Den 3prozentigen Typus haben wir seiner Zeit niht aus eigenem Willen gewählt, sogar sehr gegen unsere Neigung, wir haben ihn gewählt, weil die sachverständigen Leute uns ganz positiv erklärten: nur bei diesem Typus ist es nah der gesammten Marktlage möglich, größere Summen in diesem Augenblicke zu begeben. An sich sprachen für und gegen diesen Typus eine Menge Gründe, auf welhe ih jeßt nicht eingehen will, Jett is die Meinung verbreitet, dieser Typus habe #ch vollständig überlebt; und ih finde in der Presse vielfa die Ausführung: au der 3Fprozentige Typus sei nit wünschens- werth, man müsse den 4prozentigen wählen. Ia, ih habe fogar die Bemerkung gefunden, eine neue Anleihe wäre nur dann zu begeben, wenn man den 4 prozentigen Typus nähme und dabei die Verpflichtung eingehe, bis zum Jahre 1900 nit zu konver- tiren. Ja, meine Herren, selbst diefer Vorschlag is nur diskutabel, wenn man uns einen entsprehend höheren Curs giebt; aber das gestehe ich allerdings, daß unter sämmtlihen Vorschlägen- welhe ich augenblicklich als nüßlich sehe, derjenige, daß wir eine derartige Verpflihtung eingehen sollen, mir heute der allerunacceptabelste ersheiat. So \{chlecht ift meiner Meinung nach der Kredit des Deutschen Reichs z. Z. nit, daß wir eine solhe Verpflichtung eingehen müßten. Sie wissen aus früheren Aus- führungen von mir, daß ich meinerseits ein Freund der Konvertirung niht bin; denno würde ih aber dazu, eine Verpflichtung zur Nichtkonvertirung für eine Reihe von Jahren bei der Begebung einer Anleihe einzugehen, dem Herrn Reichskanzler meinerseits nur dann rathen können, wenn wir absolut gezwungen wären, ein derartiges Verfahren einzuschlagen, und ih glaube und hoffe, das ist zur Zeit nit der Fall und wird au in absehbarer Zeit niht der Fall sein. Das Anwatsen der Anleihe des Deutshen Reichs is unerwünscht, die

gaben, zu denen sie gefordert wurden und zu denen sie gefordert werden, sind nothwendig, also haben wir die Anleihen machen müffen, und i glaube und vertraue, daß, wenn wir für derartige nothwendige Ausgaben neue Forderungen auf Anleihen ftellen werden, so werden wir wie bisher bei ihrer Begebung einen der gesammten Marktlage entsprehenden Kredit zu relativ guten Bedingungen finden. (Bravo

rets.)

Abg. Rickert: Man dürfe nur Dasjenige bewilligen, was nicht nur nüßlich, sondern auch nothwendig und unaufschiebbar fei. Ent- \präben alle Anforderungen des Etats auch diesen Bedingungen das müsse man genau prüfen, diese Forderung stellten jet au Leute im Lande, die sonst der Regierung gegenüber fehr wohlwollend seien. Man sage: Ia, so gehen die Dinge nicht weiter! Die erste 3 °/oige Anleihe sei zu 87 9% herausgekommen, die zweite zu 84,49 9% sie stehe jeßt auf 83,70 und ein großer Theil davon solle auch heute noch niht in festen Händen sein! Der Stimmung im Lande auch bei sehr weit rechts stehenden Leuten gebe ein Münchener Blatt Ausdruck, das die Lage als eine © ver- zweifelte \{ildere. In den leßten 24 Stunden fei in einem freikonservativen Blatt ein Artikel eines preußischen Abge- ordneten erschienen, der ihn (den Redner) zum Erschrecken gebracht babe dana sei der Reichskanzler amtêmüde, es stehe eine scharfe Wendung in der ganzen er (Redner) hoffe nur inneren Politik bevor. Er hoffe, der Reichékanzler werde darüber Auskunft geben, was daran Wahres sei. Ihn (den Redner) ershrecke besonders die Bemerkung, daß die heutigen Verbältnifse zu einem Veraleih mit den unmittelbar vor Ausbruch der französis@en Revo- [lution bestandenen herausforderten. Zu gleicher Zeit solle auh des Staats-Ministers Herrfurth Gesundheit ungünstig sein, merkwürdiger Weise gerade zu der Zeit, wo die Landgemeinde- ordnung durchgeführt werden folle! Die Lage sei ja eine sehr ernfte, aber zu einem solchen Pessimismus sehe er (Redner) keinen Anlaß. Gerade die Volksvertreter sollten in eincr s{chlimmen Lage umsomehr auf ihrem Posten sein. Die Schuld für die jeßige Lage und Stimmung dürfe man nicht den Männern zuweisen, die cine {were Erbschaft angetreten hätten, die die Ueberzeugung hätten, je s{nelier sie sih von der früher geübten Politik abwendeten, um fo besser sei es für das Vaterland. Die dürften si nit beklagen, die jeßt die Früchte einer Politik ernteten, die sie selbst mitgemacht, der gegenüber sie gesckwiegen hätten, als fie hätten reden sollen. Die jetzige Lage sei die Folge des wirthschaftlihen Systems des Fürsten Bismark, Jett verlange man auf einmal entschiedene Charaktere, während man früher dem gewaltigsten Manne des Jahrhunderts gegenüber ges{chwiegen habe! Ießt heiße es: Dilettantismus und Servilismus könnten keine guten Geseße mahen. Das Ministerium Caprivi habe do die jeßt geltenden Gesetze niht gemacht, dazu sei es noch nit lange oenug im Amt, Er (Redner) würde allerdings auch den Augenblick froh begrüßen, in dem das Vinisterium Caprivi si von jener unglücklihen Vergangenheit entschieden losfage und energisch den neuen Curs anstrebe, während es jeßt nur allmäblih aus jener Politik herausgehe. Der Etat solle den jeweiligen wirthshaftlichen Ver- bältnissen Rechnung tragen. In guten Zeiten könne man auch einmal Ausgaben zu »„nüßlihen“ Dirgen mahen, wenn sie au nicht drinalich seien, aber ganze Erwerbskreise befärden sih jeßt in gedrücktester Stimmung. Doc der Etat ent- sprehe diesen Verhältnissen nicht. Der Schwerpunkt liege im außer- ordentlicen Etat, und au der Scaßsekretär fühle, daß dieser die Atwillesferse sei. Der außerordentlihe Etat verlange 159 Millionen, d. h. 67 Millionen mehr als im Vorjahr, obglei noch 138 Millionen {on bewilligter Anleihen verfügbar seien, Die Regierung werde also 300 Miliionen Anleihen in einem Jahre verfügbar kaben. Außerdem übernehme man durch diesen außerordentlichen Etat für die Zukunft eine Verpflihtung von 150 Millionen. Selbst der Abg. Graf von Behr habe {on vor drei Jahren verlangt, daß dieser Sculdenlawine Einhalt gethan werde und die Schulden abgetragen würden. 1876 habe das Reich no keine Schulden gehabt, und jeßt habe es jährli 60 Millionen für S@uldenzinsen zu zahlen, Die fkon- servativen Blätter hätten gerade so gethan, als ob der Reichskanzler dem russishen Minister gegenüber das Ansehen Deutschlands nit genug wahre. Seine (des Redners) Partei habe das vollste Vertrauen zum Reiskanzler, daß er ter Würde und dem Ansehen des Reichs Keinem gegenüber etwas vergeben werde. Seine Partei würde es mit Freuden begrüßen, wenn Rußland seine wirthschaftlihen Schranken gegen Deutschland beseitige. Möge die deutshe Regierung es in dieser Be- ziehung im reten Augenblick an Aufmerksamkeit nit fehlen lassen. Wenn der Reichskanzler ein Wort des Friedens hören lassen wollte, so würde das zur Befestigung der Beruhigung in weitesten Kreisen dienen, die seine Osnabrücker Rede \chon gebracht habe. Er (Redner) sei ihm dankbar, daß er in Oënabrück den Kriegstreibereien an den Börsen aller Länder ein energishes Halt entgegengerufen habe. Die Freisinnigen seien allerdings nicht solche Shwärmer, um von der deutshen Regierung zu verlangen, daß sie die Initiative zur Abrüftung ergreife. Alle Parteien in Deutschland wollten mit der Regierung den status quo vertheidigen. Aber jede nicht dringlihe Aus- gabe müsse man zurückstellen. Von diesem Gesichtspunkt müsse die Kommission den Militär-Etat sehr \charf ansehen. Namentlich könnten an den Kasernenbauten einige Millionen gespart werden. Bei der Forderung von 3F Millionen für verstärkte Üebun- gen mae er ein großes Fragezzihen. Dem Marine- Etat gegenüber sei man in den leßten drei Jahren in sehr mißlicher Lage und miß- trauisch und vorsichtig aeworden. 1874 habe das Ordinarium des Marine-Etats 16 700 0C0 4, das Extraordinarium 22 000 090 M ent- halten ; heute betrage das Ordinarium 46 000 C00 #4, das Extraordinarium 50 000 000 A Die Kommission werde die Neubauten mögli®ft ein- schränken und au an den weiteren Raten das Möglichste abzustreichen ih bestreben müssen; vor Allem aber werde sehr genau zu fragen sein, wie viel von den bewilligten Geldern bis jeßt verwendet sei, ob alle Bauten, für die erste Raten bewilligt seien, |chon in An- griff genommen, und ob die Pläne fertig seien und vorgelegt werden könnten. Fast Alles sei auf diesem Gebiete in Fluß. Die Marineverwaltung habe offenbar in den lehten 13 Jahren ihren Standpunkt völlig geändert. In der jeßt vorgelegten Denkschrift werde auf Rußland zur Begründung dieser Forderung Bezug genommen, und gleichzeitig finde er (Redner) in diesen Tagen in einer woblakfkreditirten Petertburger Correspondenz ausgeführt, daß die Rufsen jeßt einführen würden, was Deutschland, Frankreich u. \. w. {on längst eingeführt hätten. Der Reichskanzler stehe hoffentlich noch auf dem früher von ihm eingenommenen Standpunkt, wona er das Pfliétgefübl der Parteien wohl begreifen könne, wenn es ihnen auferlege, über eine gewisse Summe für die Marine im Rahmen des Gesammt-Etats nit hinauszugehen, In dem gleichzeitig vorgelegten Nachtrags-Etat würden 8 709000 „#6 aus Anlaß der erböhten Naturalienpreise für die Verpflegung nahgefordert. Das sei der Punkt, über den man nicht hinwegkomme. Seine Partei werde \o lange mahnen und erinnern, bis hier den gerechten Forde- rungen des Volkes Rechnung getragen sei. Bei den Handel®verträgen werde er näher auf diese Frage eingehen. Es sei mit Freuden zu begrüßen, daß wieder an die Handels- politik von 1862 angeknüpft werde, Man könne rubig in die Zukunft bliken, allerdings unter der Vorausseßung, daß die Ausgaben be- schränkt würden auf das Nothwendige und Dringliche.

Reichskanzler von Caprivi:

Ein Eingehen auf die wirthschaftlih-politishen Erörterungen des Herrn Vorredners kann ih mir, wie er felbst andeutete, wohl zweck- mäßig für eine spätere Zeit vorbehalten ; dagegen will ih das Wort ergreifen mit Bezug darauf, daß er im Anfang seiner Rede von der zunehmenden Beunruhigung im Lande sprach. Denn nit von ihm allein, aus zahlreihen Aeußerungen der Presse ift mir bekannt ge- worden, daß eine solche Beunruhigung im Lande existirt oder existiren

meine Person und meine amtlihe Stellung genöthigt, von meiner Person zu \sprechen. Der Artikel, den der Herr Vorredner erwähnte, ist mit au zugegangen, er hat in mehreren Zeitungen gestanden. Es ift nicht der erste Versu, mich als amtsmüde hinzuftellen, er wird hier in einer verhältnißmäßig überzuckerten Pille gegeben. Der Herr Sgriftsteller hat die Gefälligkeit, mir zu sagen, ich würde ja ein anderes Amt in der Armee bekommen, wenn ih von hier fortginge. Er {eint zu glauben, daß eine Art Militärversorgungssystem für amtsmüde Beamte errichtet werden soll, wie es umgekehrt ein Civil- versorgungssytem für amtsmüde, Soldaten giebt. (Heiterkeit.)

Er \ch{eint auch zu glauben, daß böhere Kommandostellen der Armee etwas von Sthlafstellen haben, denn font würde ein amts- müder Reichskanzler {wer in der Lage sein, eine solhe Stellung ein- zunehmen. Ich kann den Herren, die geneigt sein sollten, zu meinen, daß ich amts8müde sei, die Versicherung geben, daß ih bei sorg- fältiger Beobachtung keine Spur bei mir hiervon wahrgenommen babe. (Bravo!)

Ich habe viel zu thun, und wir haben diesen Sommer wieder sehr ernste Arbeiten bewältigen müssen; ih glaube, es ift uns ge- lungen unter Einseßung aller unserer Kräfte. Es is für mich seit 14 Jahren das große Stück ter deutschen Politik die Vollendung der Handelsverträge. Mit vielen Schwierigkeiten, mit unerwarteten Schwierigkeiten, mit Schwierigkciten in Deuts{land und außerhalb Deuts{lands haben wir zu kämpfen gehabt; ih hoffe aber, daß ih in der zweiten Dezemberwoche in der Lage sein werde, im Hause die Handelsverträge einzubringen. (Bravo !)

Selten in meinem Leben bin ih s{afender Freude fo nahe ge- wesen als in diesem Augenblick, wo die Verträge ihrer Vollendung entgegensehen, und selten habe ih so wenig daran gedacht, meine Stellung aufzugeben. Ich stehe hier, wie den Herren bekannt ist, auf die Weisung meines allergnädigsten Herrn und werde bier \o lange stehen bleiben, wie es Seiner Majestät gefallen wird. (Bravo.)

Wenn ih die Beunruhigung, die durch das Land geht oder gehen soll, zum Gegenstand meiner nächsten Erörterung maten will, fo will i vorweg bemerken, daß Zeitungsshreiber mich nicht beun- ruhigen; ich wünschte nur, sie beunruhigten sich auch um mich nit. (Heiterkeit.)

Es läßt sh niht wegleucnen: es geht dur das Land ein Pessimismus, der mir im höchsten Grade bedenklih ist. So lange deutshe Philosophen ‘allein sich mit dem Pefsimismus beschäftigten, mothte das ja für Manchen eine anziehende Beschäftigung sein; wenn diese geistize Richtung aber übergeht in weitere Kreise, die auf Handel und Gewerbe a-gewiesen sind, dann wird der Pessimismus gefährlih ; denn ih wüßte niht, warum, wenn alles eitel ist und bei nichts etwas herauskommt, man \sich dann noh quälen soll. Es ift aber, wie wenn ein Beunrubigungs-Bacillus in der Luft läge, der epidemisch geworden ift, und selbs manche angesehene Zeitungen, die G sonst für die Bannerträger nationalen Gefühls halten , {einen mir Reinkuliuren für dies Wesen zu sein. (Bravo! und Heiterkeit.)

Die Regierung taugt nihts, sie fängt die SaHe ck@le@t an, die Folge ift, es geht nicht, und immer weiter ceht es mit Deutschland bergab das lese ih alle Tage, ich lese es vielleiht in ziemlih \ch(@roffen und in \ch{rofferen Ausdrücken als in dieser Schrift, die zu meinem Bedauern von einem Herrn geschrieben sein soll, der in Be- biehungen zur freikonservativen Partei steht. Er sagt:

Die Zerfahrenheit und Unertschiedenbeit, das S{wanken und Unsiäte der Politik des Ministeriums Caprivi trägt die Mits{uld an der allgemeinen Unzufriedenheit.

Nun würde ih dem Herrn sehr dankbar gewesen \cin, wenn er die Güte gehabt bätte, mir im Einzelnen nachzuweisen, wo denn die \chwankende, unstäte Richtung wäre. Ich bin der Meinung, dur ihre bisherigen Handlungen hat die gegenwärtige Regierung zu solchem Vorwurf keinen Anlaß gegeben, und wenn ich nun diesen Artikel weiter durchsehe, um zu sehen: wo kann denn etwas liegen, \o bleibe ih gerade so klug, wie ic vorber war, und das ist mein Schicksal mit einer Unzahl von Zeitungsartikeln und Vroschüren seither ge- wesen: Alles klagt, aber einen brauchbaren Rathschlag, die An- weisung für einen gangbaren Weg babe ih noch von Niemandem bekommen.

Der Herr hier sagt: diese Regierung hat die Kartellparteien zer- trümmert. Das ift ein Vorwurf, der mih überrasht. Die leßten Wahlen sind vorgenommen worden, ehe diese jeßige Regierung an Ort und Stelle war. (Sehr richtig !)

Die Regierung würde ja mit den Kartellparteien weiter gelebt haben, weil sie überhaupt das Bestreben hat, wie ich das {hon früher einmal ausgesprochen habe, mit allen denen, die ein Interesse an der Erhaltung des Staats und des Reichs haben, zusammenzugehen. Wenn nun cine kompakte Masse der Kartellparteien dagewesen wäre, würden wir ihr gern die Hand gegeben und würden den Versuch ge- macht baben, wen anders wir noch zu diefer Masse heranzichen können. Diese Kartellparteien waren aber nicht mehr da, und wenn sie noch weiter zerfallen werden, fo liegt das eben in den inneren Motiven, nit aber an dem bösen Willen oder dem Ungeschick der Regierung.

Nun führt der Herr noch ein paar andere Dinge auf, auf die ih nachher im Einzelnen kommen werde. Er sagt dann und das

babe ich auch schon in den Zeitungen der verschiedensten Parteien ge- lesen —, diese Regierung geht mit keiner Partei, sie wird si zwischen zwei Stühle seßen. Derselbe Herr, der uns vorhin getadelt bat, weil wir die Kartellpartcien zertrümmert haben, macht uns jeßt den Vor- wurf, daß wir mit keiner Partei gehen; wir sollen uns zwisGen zwei Stühle seßen. Ich habe überhaupt noch nit den Wunsch gehabt, mih auf den Stuhl irgend einer Partei zu seßen, sondern babe den Wunsch gehabt, diejenige Politik zu mahcn, die die verbündeten Regierungen nach reiflißer Erwägung für recht halten ; ob die der einen Partei paßt oder nit, ist cer eine taktishe Er- wägung für mi, das Wesentliche ist : ift die Maßregel an sih gut ?

Fch habe also das Bedürfniß, auf dem Stuhl einer Partei zu siven, nicht empfunden, bleibe auch lieber stehen zwishen den Parteien.

Nun ist in diesem Beunruhigungétstreben der Bevölkerung die auswärtige Politik ein ungemein ergiebiges Gebiet. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Menschen von der weniger erfahren, aber das beretigt sie, in diesem Halbdurkel, in dem sie sigen, sich um so mehr zu graulen oder graulich zu stellen. Da heißt es: ja, wir wissen zwar nicht, was die Regierung mat, aber es wird {on nicht gut sein, da kann das Schlimmste hinter dem stecken, was jeßt passirt.

Bei uns wird auf keinem Gebiete so viel Uebertreibung in die Welt geseht, als wenn man sich mit der auswärtigen Politik der Regierung

"o selber haben eine erheblihe Höhe erreiht, aber die Aus-

soll. Ehe ih darauf eingehe, hat mich die Provokation des Vorredners auf

zu befafsen sucht.

Die Politik dieser Regierung ist, au was die auswärtige an- geht, eine sehr einfahe gewesen. Jh bin der Meinung, daß auch in der auswärtigen Politik zu den wirksamsten Mitteln Wahrheit und Offenheit gehört (schr richtig !); es ift nit nöthig, daß man seine leßten Gedanken alle Tage auf dem Präsentirteller herumträgt, daß man alle Tage das in der auf dem geraden Wege besser weiter als (Sehr richtig!) Eine günstige politishe Konfstellation in Guropa hat es nun mit diesem Bestreben, wahr und ofen zu sein, veranlaßt, daß wir überhaupt wenig zu verhandeln gehabt haben in den anderthalb Jahren, seit ich hier bin; die Dinge sind einfa ver- Der moderne Zeitungsleser hat ein gewisses Bedürfniß na Sensationellem; er verlangt, daß etwas los sein soll. (Heiterkeit.) Und wenn nichts los ist, dann ift er unzufrieden; dann ist natürli die Regierung daran s{uld, daß da nichts geschehen ift. (Heiterkeit.)

Wenige Fragen nur haben die im Allgemeinen mit der aus- wärtigen Politik der verbündeten Regierungen niht einverstandenen Davon ift eine die: Ja, die russisHe Reise Seiner Majestät des Deutschen Kaisers im vorigen Jahre, der Aufenthalt in Narva hat fehr böse gewirkt, Nun habe ih die Ghre gehabt, an dieser Reise theilzunehmen, und ih bin mit der Ueber- zeugung wiedergekommen, daß diese Reise eine vorzügliche Wirkung

aber es ift au nicht nöthig, Bestreben hat, Andere zu täuschen ; Mehrzahl der Fälle anders.

man kommt

laufen.

Zeitungssch{reiber spezialisirt.

gehabt hat. Es waren politishe Dinge nicht abzumachen, sondern es kam darauf an, daß die beiden Souvecräne in etnen freundschaftlichen, durch ihre Verwandtschaft gegebenen Verkehr mit einander traten. Der Verkehr gestaltete fich so günstig, wie irgend mögli. JH würde dies niht fagen, wenn ih hier auf meine, auf deutsche Beobs- atung angewiesen wäre, wenn ih nit bestimmt wüßte, daß aub auf der anderen Seite der Eindruck und der Erfolg dieser Reise ebenso gewesen ist. Dann kommt Kronstadt, man hat si beunruhigt gezeigt, als die Flotte eines unserer Nachbarn in den Hafen des anderen einfuhr, urd weil man sie mit großer Festlihkeit und Freundlichkeit empfangen hat. Wieder läßt man durchblicken: Das wäre doch am Ende sonst niht vorgekommen, das konnte nur unter dies er Regierung passiren (Heiterkeit) Nun weiß ich in der That nicht, was wir anfangen follten, wenn zwei andere Leute sich die Hand geben wollen, Wir haben fein Mittel dagegen, wir haben diese Zusammenkunft nit veranlaßt. Man bat wohl durchfühlen lassen: ja, das habt ihr nun von dem Dreibund, davon kommt nun die Kronstädter Zusammenkunft! Ja wir haben cinen Dreibund, der \{on jahrelang vor dieser Sine städter Zusammenkunft existirte, und den baben wir erneuert, Man hat vielleiht bei dieser Erneuerung in der Presse etwas zuviel Pauken und Trompeten gerührt und dadur§ anderen Leut-n das Gefühl gegeben, sie wollen auch mal Pauken und Trombpcten rühren. An sich aber hat sich dur Erneuerung dieses Dreibundes in Bezug auf unsere östlihen und wesilien Nachbarn nichts geändert, Durch die Kronstädter Zusammerkunft is nur für die Augen des großen Publikums ein Zustand erkennbar gewozden, er ist in den Sinn gefallen, der \{chon seit langer Zeit herrschte. (Sehr richtig !) Ih habe in den siebziger Jahren an den Berathungen des preußischen Kriegs-Ministeriums theilgenommen , und f{on tamals trat der Aus- druck auf von dem Kriege mit zwei Fronten, Soldaten, überdies wenn sie im Kriegs-Ministerium bes{äftigt sind, haben ja die Amts- pfliht, alle Kriegslagen vorauszusezen, und so wurde auch diese in den Bereich unserer Kalküle gezogen, und eine große Anzahl von augenfälligen Maßregeln ich will nur die Dislokation in Osft- preußen nennen sind von der Voraus®sezung ausgegangen, daß es au mal vielleiht zu einem Krieg mit Rußland, zu einem Krieg mit zwei Fronten kommen könnte. Daß uns dieser Krieg dur die Kronstädter Entrevue au nur um einen Zoll nôher gerüdckt sei, glaube ih nicht. Ich kann nicht prophezeien; es ist ja mögli, daß Krieg kommt, daß der Krieg mit zwei Fronten kommt. Daß aber dies Er- eigniß und da komme ih wieder auf die Beunruhigung zurück, um die es sih dreht einen Anlaß geben sollte, sich mit einigem Fug und Recht mehr zu beunruhigen als bis dabin, das beftreite ih mit Entschiedenheit. Ih bin felsenfest davon überzeugt, daß die persönliGen Intentionen Seiner Majestät des Kaisers von Rußland die friedlihsten von der Welt sind; ich bin ebenso übers zeugt, daß keine Regierung heutzutage wünschen kann, einen Krieg zu provoziren. Keine Matt hat ein so prononzirtes U-ber- gewit in der Weltlage, daß man mit leichtem Herzen sagen sollte: wir wollen jeßt den Krieg anfangen. Ih will nit auf die Folgen, auf die Art und Weise, wie ein solcher Krieg geführt werden würde, eingehen ; das ist in einer so meisterhaften Weise vor einer Reibe boi Jahren hier ges{hehen, wo Ihnen der Aderlaß bis aufs Weiße vor- geführt wurde, daß ih dem nichts hin:uzufügen habe. Das Bewußtsein aber, daß der kommende Krieg einen schr ernsten Charakter annehmen wird, bat sich in der ganzen Welt verbreitet, und ih glaube ni@t daß es irgend eine Regierung giebt, die geneigt wäre, einen Krieg leit herbeizuführen, Je f\tärker nun eine Regierung, umsomehr wird sie geneigt sein, kriegeris®e Gelüfte, wenn sie auftreten sollten Zwischenfälle, die bei ungeshickter Behandlung einen Krieg herbei- führen könnten, zu vermeiden. Und ih kann mi deshalb des Um- standes freuen, daß bei unserem westlichen Nachbar jeßt eine Regie- rung die Zügel führt, von der i glaube, daß sie stark genug ist, um ihren Willen durchzuseßen, Jh glaube sogar, daß die Flottenrevue in Kronstadt vielleicht nicht stattgefunden bätte, wenn nit bei unferm östliGen Nachbar die Ueberzeugung dagewesen wäre, daß diese jeßige französische Regierung wohl eine ist, auf die man sich verlafsen kann. Es ist uns das gesteigerte Selbst- gefühl unseres westlißea Nabars durh die Zusammen- kunft klarer geworden wie vorher; wir haben mehr davon wa*r- genommen, aber au das braucht uns nit zu beunrubigen. Jemand der ohne Selbstgefühl die Empfindung hat, cine Stelle in der Welt behaupten zu müssen, wird eher, wenn ih den Ausdruck brauchen darf zu einer gewissen Nervosität neigen als Jemand, der sich bis zu einem gewissen Grade seiner Kraft wieder bewußt geworden ift, und ih glaube nit, daß in dem gesteigerten Selbstgefüßl, was auch nicht dur Kronstadt eist gesteigert, was im Laufe der Jahre wieder ge- wonnen ift, daß in diesem gesteigerten Selbstgefühl, so wie es sih in Kronstadt ausgedrückt hat, eine Gefahr für uns läge. Ich wiederhole also, die jeßige Regierung ist weder in der Lage gewesen, Kronstadt zu verhindern; sie hat au gar nit den Willen dazu gehabt. Sie sieht aber darin au nicht den mindesten Grund,

Ich will, um ein Mißverständniß in diefer Rihtung {on hier aus- zus{ließen, niht gesagt haben, daß wir nun Wehr und Waffen ablegen könnten, davon ift keine Rede; der jeßige Zustand der Rüstungen in Europa wird vorauss\ihtlich noch lange dauern, und da werden alle Zusammenkünfte in Rom Ni§ts daran ändern. (Heiterkeit.) Das bleibt ebenso, aber es folgt daraus nit, daß dieser Zustand ein bedroblicher ist, Je mehr die Völker zur allgemeinen Wehrpfliht übergegangen siad, umsomehr ift auH das Bewußtsein von dem Ecnst eines Krieges in die Nationen übergegangen; und wir können jeßt mehr wie früher nit bloß darauf renen, daß die Regierungen den Krieg nicht wollen ; wir können darauf rechnen, daß auch die Nationen selbft vorsihtiger mit diesem gefährlichen Feuer spielen werden, wie vielleicht früher. j Ein drittes Moment, was dann in öffentliHen Blättern aus der auswärtigen Politik angeführt wird, um der jeßigen Regierung klar zu maten, daß fie {wächlih oder thöriht gehandelt habe, ift der deuts-englische Vertrag. Derselbe Aufsaß, der die Güte hat, fh bier mit meiner Person zu besckäftigen, nimmt unter seine Gravamina auch diesen auf. Als wir im vorigen Jahre an dieser Stelle über den deutsh-enaglischen Vertrag verbandelten, da fand er Gegner. Es sprach Herr von Kardorff, wenn ih nit irre, auch Herr Graf Mirbach dagegen. Der Einzige, der den Vertrag mißbilligte, aber auch eine etwas starke Tonart ans{lug, war der Herr Abg. Graf Arnim. Er sagte, daß er mit Genugthuung den Entrüftungsfturm vernommen habe; ih glaube, der Entrüstungsfturm hat im Laufe dieses einen Jahres einer ruhigeren Betrachtung Platz gemacht; wenn überhaupt noch Wind in dieser Richtung weht, dann ist er, glaube i, zu einer {wachen Brise abgeflaut. Meine Herren, es ist mir zweifel;aft, ob nit vielleiht in diesem Blatte sogar Ventilationsinstrumente zu Hülfe genommen werden, um üÜber- haupt rur ncch einigen Wind in die heruntergefallenen Segel zu bringen. Dieses eine Jahr hat hingereiht, um zu zeigen, wie richtig wir gehandelt haben. Was warf man uns damals vor? Wir hatten um irgend einer geheimen Abmachung willen sagten noch günstigere Beurtheiler unter unseren Gegnern eine Menge Opfer gebracht; was die geheime Abmahung war, wußten sie nit, aber aus Wohlwollen für uns nahmen sie an, es müßte ja so ein Ding da sein, wenn man so erhebli®e Opfer gebraht hat. Von einer ge heimen AbmaHhung ist niemals die Rede gewesen. Ih glaube \{chwer- li, daß nah den Ergebnissen des leßten Jahres noch Jemand da ist, der uns den Vorwurf machen würde, wir hätten nit genug in Afrika genommen; denn ih glaube, diese Ergebnisse haben den shlagenden Beweis dafür geführt, wie lange wir an dem, was wir genommen haben, zu arbeiten haben. (Sebr ricktig! links.) Ni@&t ohne Opfer an Merschen und Geld wird diese Arbeit si vUziebhen können, und i habe \{on damals gesagt, das Schlimmste, was uns passiren Töante, wäre, wenn Einer uns ganz Afrika schenkte. (Heiter- keit.) Wir haben an dem, was wir bekommen haben, leicht genug und können allen unferen kolonialen Eifer zur Geltung bringen, Dann sagte man, da habt ihr Helgoland genommen und habt Sansibar hingegeben; die Engländer haben den Löwenantheil, sie haben die Insel Sansitar. Jh verkenne den Werth der Insel Sarsibar unter keinen Umständen; abgesehen aber davon, daß sie für uns überhaupt nicht zur Diskussion stand, nicht zu haben war, würde die Nußbarmachung dieser Insel in merkantiler und nautischer Be- ziehung, die Abfindung des Sultans für diesen Theil seiner Macht uns Summen gekostet haben, die vom Reichstaz nun und nimmer zu bekommen gewesen wären, und die von ihm zu verlangen ich mit meinem Gewissen nicht würde in Einklang bringen können. (Sehr gut!) Son um die verhältnißmäßig unbedeutenden Aus- gaben zu bestreiten, die wir haben maten müssen, die Ab- findung des Sultans für das Festland von Oft-Afrika, haben wir den Vertrag mit der Oftafrikanischen Gesellschaft {ließen müssen, der au hier besprohen und fritisirt worden ist; wir baben icbt, um nur den Aufgaben gerecht zu werden, die in der Brüsseler Konferenz wir zu erfüllen übernommen haben, aus Mangel an Mitteln zu einem an sich zweifelhaften Hülfsmittel greifen müssen, wir haben eine Lotterie statuirt, um nur die Mittel zu bekommen, um etwas vorwärts zu kommen. Nun frage ih: wenn wir den Haufen von Millionen und ganz klein würde cr nicht gewesen sein bätten aufbringen sollen, um Sansibar zu bekommen, ih weiß nit, wie das bâtte gehen sollen. Was nun das Festland aber angebt, das wir bekommen haben fo ist kaum cin Mens, der Afrika kcnnt, darüber im Zweifel daß der deutshe Besiß in Ostafrika das X faHe von dem werth it, was der englische Besiß werth ift. (Hört ! hört!) Es ist nur wieder diefer Pessimismus und diese BVeunruhigungsrihtung; man nimmt ohne Weiteres an, das kluge, wenn man nit etwas derber sagen will perfide Albion kâtte diese Dinge besser verstanden, wie wir, das bätte sein Schäfchen ins Trockene gebracht, Deutschland nit, Deut s- land bâtte die Kastanien aus dem Feuer geholt, und so säßen wir da auf einem \{lechten Theil. Das stimmt nit Wenn man nur einigermaßen einen Einblick in die Swierig- keiten hat, die in dem von England in Besitz genommenen Küstenstrich si darbieten, so wird man zugeben müssen, daß die er- beblih größer sind, wie diejenigen für Deutschland, und ih glaube wir können mit dem, was wir da bekommen baben, durchaus zufrieden sein. Es ift ja natürli®, wenn eine sol(e Beunrubigungskrankbeit einmal die Welt ergriffen hat, so wirft sie si wie andere Krankheiten auf den locus minoris resistentiae, Unser Kolonialleben ist noch schwa, wir haben noch alles Mögliche zu thun, wir müssen vor- sihtiger handeln, als anderswo. Es ist auch eine gewisse Besorgniß da vielleiht gerechtfertigter, wenn man eben nur überbaupt Be- sorgniß haben will. Sonst bin ich nit im Stande, zur Zeit in Bezug auf den deutsch-englischen Vertrag und seine Folgen etwas zu sehen was mir die Meinung geben könnte, wir hätten \chlecht gehandelt. Die Insel Helgoland, die wir dabei bekommen haben, wurde ja all- gemein für ziemlich werthvoll gehalten, wenigstens \priht man ihr ein pretium affectionis zu, man giebt auch zu, wenigstens ein Theil der Menschen, daß sie für die Vertheidigung unserer Nordseeküste einen gewissen Werth haben könnte. Jh {lage den Erwerb dieser Insel in dem Vertrage —- und das kann ib jeßt sagen ungleich höher an, als den negativen Werth. Stellen Sie sih vor, was aus der Insel geworden wäre, von der man sagt, sie war für die Engländer ziemlich werthlos, und das mag ja ridtig sein, wenn sie aus englishen Händen in andere über- gegangen wäre. England hat Bedürfnisse in manchen Welt-

sti mehr u beunruhigen, als man es etwa bor Kronstadt gethan batte.

Ende nicht ganz {wer geworden sein für England, ein Tauschobjekt zu finden, was ihm willkommen gewesen wäre und für das es wohl geneigt gewesen wäre, die Insel fortzugeben. Ih möchte einmal den Entrüftungsturm und in diesem Falle würde i ihn für berechtigt gebalten haben gesehen haben, wenn im Laufe von Jahr und Tag oder kurz vor Ausbruch eines künftigen Krieges die englishe Flagge von Helgoland beruntergegangen und uns eine weniger nahestehende vor unseren Häfen erschienen wäre. Alfo ih bin der Meinung ih habe über diesen Vertrag etwas länger \pre{en können, er gehört ja nun zum Theil der Geschichte an —, ih bin der Meinung, daß dieser Vertrag keinen Anlaß giebt, die Regierung abfällig zu Fritisiren. Man beunruhigt sich nun über die Polenfrage und über Elsaß- Lothringen. Ja, was ist denn da geschehen, was zur Beunruhigung Anlaß geben kann? Wir haben in Elsaß-Lothriagen den Paßzwang aufgehober. Es ift eine Maßregel, die fast von aller Welt gebilligt worden ist; aber der Beunrubigungsbedürftige fügt Hinzu: wird nun die Regierung au wohl stark genug sein, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, die als Surrogat für den aufgebobenen Paßzwanz notb- wendig geworden sind? Man. wartet gar nit ab, daß solHe Zeilen der Shwäte eintreten werden, fondern setzt obne Weiteres voraus das werde wobl kommen, und man kritifict. Die Regtierunz von Elsaß-Lothringen hat geglaubt und hat das mit Zustimmung des Reihs- kanzlers, in leßter Instanz Seiner Majestät des Kaisers, gethan bea Paßzwang aufheben zu können, weil fie die Wébelzeuauna acta, daß die Wirkungen, die er haben sollte, nur dann eintreten wilden vei er mit rücksi@tsloser Konsequenz durchgeführt worden wie : Diese rüdsihtslofe Konsequenz war aber nicht durchzuführen, sie liegt nicht im Wesen unserer Nation. Jch will auf die einzelnen Fälle ni@t eingehen, wo Kinder ni§t an das Krankenbett ibrer sterbenden Mutter kommen konnten. : : Es if eben eine solche Schroffheit wohl auf kurze Zeit durŸ- führbar, aber im Laufe der Jahre wird se unerträglich und führt zur Verstimmung der Elsaß-Lothringer selbst. Nun bat das deute Wesen in Elsaß-Lothringen und die Assimilirung Elsaß-Lotbringens ans Reich ganz zweifellos in den leßten Jahren Forts&ritte geriatt und wird weitere Fortschritte mahen. Man darf si nur nit be- unruhigen, wenn nicht zwischen beute und morgen alle Elsaß; Lothringer Deutshe werden in ihrer Gesinnung. Ich darf auf das La kannte Beispiel von der Rheinprovinz verweisen. Wie ‘anae hat das gedauert, bis die 9 ßeinprovinz innerlich preußisch wurde, wir wollen hier ebenso lange warten, Na meinem Dafürhalten wird es hier niht \&le§ter gehen; es [äßt G ein Erfolg, wie immer in Deutschland, wo es h um das Assimiliren handelt, nit davon erwarten, daß wir die zu Assimilirenden bur Liebenêwürdigkeit berücken werden. Das liegt nit im deutsb:n Charakter, aber wir werden dur die guten Eigenschaften des Deut- hen, wir werden dur die Aenderung in den Verwaltunzegescgen die in Elsaß-Lothringen geplant ist, und die dabin geht, iinferen dortigen Mitbürgern die Woblthaten der Selbstverwaltung in erbößtem Umfange zu gewähren, weiter kommen. Wir kommen aber vor allen Dingen weiter durch die Armee; die hat noth inimee das Lkeste Bindeglied unter den Altpreußen und Reus preußen gebildet, sie wird aub zwis{Gen Alt- und NeudeutsGen das beste Bindeglied sein. Das ist aber nit damit gethan daf man Schilder \{warz-weiß-roth anstreicht, sondern da müssen Generation dur die Armee gegangen sein und den deutscken Beist mit zurü. gebracht und auf ihre Landsleute übertragen baben; das b-dürfen sie Ih bin also der Meinung, daß in dem gegenwärtigen Zustah Lo Elsaß-Lothringen für uns nit der mindeste Grund zu eines Birr» ruhigung liegt. Die dortige Regierung ist fi ibrer Pflibten voll- kommen bewußt und bereit, gegen etwaige Ausshreitungen diejenigen Mittel zu handhaben, die ibr ¿u Gebote stehen. 5 ] Ich komme zur Polenfrage, und muß um E t\{uldigung bitten, wenn ih bier auf ein Gebiet übergebe, was zum Theil det preußishen Regierung unterliegt und niht Reichs\ache ift, das ich fee da ih einmal bei diésem Beunruhigungsbacillus bin, au bier mit besprechen will. Man hat au hier der Regierung ein vorzeitiges Aufgeben eines bewährten oder noch zu bewährenden Systems vors geworfen. Zuerst hat man mißfällig wahrgenommen, daß wir die Grenzen so weit mehr als früber geöffnet haben, daß wir männlißen Arbeitern den Uebertritt gus russishem Gebiet auf preußishes gestattet haben. Nun, uns wäre es auch angenehm gewesen, wenn all die Aecker, die an den Grenzen liegen, von deutschen Arbeitern bestellt worden wären. Der Uebelstand. liegt nur darin, daß, wie es sih bis zur Evidenz gezeigt hat, deutsibe Arbeiter nit zu haben waren. Es ist ja eine bkannte Thatsache und die Klagen, die der Herr Abg. Rickert in Bezug auf die Provinz Ostpreußen vorgebracht hat, wurzeln zum Theil in dieser Tbatlaile, daß die Arbeiter aus dem Often einen starken Drang nach dem Westen haben. Jh will es nicht auf ein allgemeines Naturgesetz zurüdführen, aber es kommt eins zum andern. Die Sa@sen- gängerei, die ja auch manhe gute Seite bat, die Einführung von Maschinen von intensiverer Natur, die auf kurze Zeit einen stärkeren und dann wieder einen geringeren Bestand an Arbeitern fordern, der Drang der Mer.\{en in die “Städte hat dahin geführt, daß in den Grenzkreisen die Arbeiter- zahl, wenigstens im Norden, absolut unzureiDend ift. Nun hat die preußisWe Staatsregierung nit verkannt, daß, wenn sie russische Arbeiter herüberläßt, damit eine gewisse Gefahr für die Germani- sirung verbunden ist; sie mat den Versu, sie im Herbst immer wieder zurückzuführen, Wie weit es gelingen wird, mag dabingestellt sein. Aber selbs diese Gifahr anerkannt, hatte nah meinem Dafür- halten die Regierung keine Wahl. Wir haben doch kein Interesse daran, daß die Grenzkreise veröden oder verwalden; sollen sie bestellt werden, so müssen Menschen dafür da sein, Diese Menschen konnten wir, wenn die Landwirthschaft niht im Stande ist, höhere Preise zu zahlen, und das ist sie nit, nicht anders bekommen, als indem wir die Grenze nicht beschränkten. Es hat dann die preußische Regierung in Bezug auf den Privat- unterricht in der polnishen Sprache in den Volkss{ulen insoweit auch den früher existirenden Zustand wiederhergestellt, als sie ge- nehmigt hat, daß da, wo der Religionsunterriht in der polnischen

Sprache ertheilt wird, Privatunterrißt im Polnishen unter Be- nußung der Schulräume, fofern die Gemeinde damit einverstanden ist, durch die Lehrer den Kindern gegeben werden darf. diese Forderung doch nicht allzu unbillig, wie sie von Seiten

Mir \ch{eint

theilen, hat Besitzungen rund um den Erdball, und es möhte am

dieser” polnisch sprehenden Mitbürger aufgestellt worden ift. wenn in dem Religionsunterriht polnish

Denn,

gesprochen worden