1892 / 22 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 26 Jan 1892 18:00:01 GMT) scan diff

Über die Slzeiang des alten Liberalismus, wie sie fich aus der heu-

en Rede des Vorredners ergeben habe. Der Vorredner be- mângele es, daß der fkirhliche Commifsar allcin über die Befähi- ung des : Lehrers zum Religionsunterriht entscheiden solle, Wer olle denn anders die La bei der Lehrerprüfun peyeienleen Wenn der Religionsunterriht von einer anderen Stelle als der Ver- tretung der betreffenden Confession geleitet werde, wenn der Staat die selbst in die Hand nehme,“ so sei das die reine Heuchelei, wie cin wahrhaft liberaler Mann das früher ausgesprochen habe. Die Vorlage bleibe weit zurück hinter Frideri- cianishen Reglements und weit zucück hinter der Ver- waltungspraxis, wie sie mit Ausnahme eines / Ministers, des liberalen Herrn Falk, gehandhabt worden sei. (Bei- fail im Centrum und bei den Conservativen.) Die Vorlage bringe in rihtiger Weise eine Regelung der Vorbildung der Lehrer und der verfassungsmäßig gewährleisteten Unterrichtéfreiheit; das fei der Vorzug vor der vorjährigen Goßler'\hen Vorlage. Die Socialdemokraten rechneten darauf, daß dur die Schullehrer immer mehr die Religion aus den Gemüthern der geistige verdrängt werde. Die Social-

demokratie könne nur durch geistige Mächte besiegt werden; und welche eistige Macht sei dazu im stande, wenn nicht die Schule in Ver- indung mit der Religion? (Beifall rechts und im Centrum.) Die Unterrichtsfreiheit habe die Verfafsung im weitesten Sinne pro- clamiren wollen ; man habe damals ein anderes Gefühl gegenüber der Willkür der Verwaltung und der Polizei gehabt. Es sollte Fein Staatsmonopol auf die Schule - begründet werden. Der Hinweis des Vorredners auf Belgien fei unzu- treffend, denn Belgien habe überhaupt keinen Schulzwang ge- fannt. Entgegen der Verfassungsvorschrift, welche die confessionelle Schule als Regel aufstelle, fordere die ijüdisch-liberale Preffe eine Verfassungsänderung, um die Simultanshule einzuführen, die îm Grunde genommen nur die religionslose Schule sei. Aber diese jüdisch-li frale Dre verlange diese Simultanschulen keineswegs für die jüdischen Schulen, die vielmehr erhalten und fogar vermehrt werden sollten. Gegen fsolche Anmaßungen fei der Gedulds- faden der hristlih-germanishen Bevölkerung genügend angespannt und man dürfe sich nicht wundern, wenn er endlih einmal reiße. Er wolle nur daran, erinnern, daß in den fünfziger Jahren er es gewesen sei, der den {hon formulirten Beschluß , den Artikel 12 der Verfassungsurkunde, welcher den Juden die bürgerliche Gleichheit gewährleiste, zu suspendiren, bintertrieben habe, deshalb erhebe er seine warnende Stimme gegen diefes jüdisch-liberale Treiben ; es könnte sonst ganz anders kommen. Daß die Religions- gesellschaften den Rekigionsunterricht leiten sollten, sage ganz deutlich, daß fie alle dafür erforderlihen Anordnungen treffen müßten. Ein Bedenken habe er gegen die Vorlage: er wolle, daß nur Lesen, Schreiben und Rechnen in den Schulplan aufgenommen werde, non multa, sed multum. Es scheine ihm aber, daß der Stoff, welchen die Volksschule bewältigen solle, viel zu umfassend bemessen fei. Wenn die jungen Leute mit 14 Jahren nicht mit einer gewissen Zufrieden- heit in ihren Beruf als Lehrlinge und Fabrikarbeiter träten, dann sei damit der Haken gegeben, an welchen die Socialdemokraten ihre Agi- tation knüpfen. 3 ee der geistlichen 2c. Angelegenheiten Graf von edLiitB:

Meine Herren! Aus dem bisherigen Gange der Generaldebatte habe ih die für mi sehr erfreuliße Wahrnehmung machen können, daß die Grundlagen des Gesetzes in der vorliegenden Fassung auf vielen Seiten dieses Hauses Zustimmung finden werden, und daß diejenigen Bemängelungen im einzelnen, welche heute hervor- getreten sind, zu einem ganz erheblichen Theile niht principieller Natur sind und in der Commission überwunden werden können.

Anders liegt die Sache allerdings dann, wenn man auf den tieferen Grund der Herr Abg. Wessel drückte sich aus: auf die tieferen Tendenzen —, welhe dem Schulgeseßentwurf zu Grunde liegen, übergeht. Da, fürchte ih allerdings, werden Gegensäße hervor- treten, bei denen eine Ueberbrückung nit mögli erscheint. Jch habe mein Bedauern darüber auszusprechen, daß von einem ter Herren Vorredner nah dieser Richtung hin in sehr scharfer Weise gegen den Entwurf plädirt worden ist.

Meine Herren, wenn ih zunächst ein kurzes Resumé gebe über die einzelnen Bemängelungen, die seitens der verschiedenen Herren Redner gemacht worden sind, so möchte ih glauben, daß insbesondere alle diejenigen Einwendungen, welche der Herr Abg. Wessel viel- leicht etwas heraus aus der Lage und Situation seiner unmittel- baren Heimath gegen die Bestimmungen der 8 14, 15 und 17 gerichtet hat, sich ganz und ohne Schwierigkeiten werden überwinden lassen. Jch glaube, der geehrte Herr Abgeordnete hat nicht beahtet, daß in diesen Paragraphen selbst dur die starke Mitwirkung, welche den Organen der Selbstverwaltung bei der Be- stimmung dessen, was gefordert wird, gegeben ist, die größte Garantie für die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden liegt. Ich bin wenigstens - der Ueberzeugung, daß der Kreisaus- {uß, dem der Herr Landrath Wessel vorsißt, wohl \{chwerlich die versagte Zustimmung zu derartigen Organi- fationen, wie er sie hauptsähhlih bemängelte, ertheilen wird; dann ift aber auch die Befürchtung niht mehr vorhanden, an die der. Herr Abg. Wessel seine Ausführungen knüpft.

Ebenso kanr: ih einen großen Theil der Bedenken, welche derselbe Herr Abgeordnete aus den Besorgnissen vor polnischen Tendenzen her- vorhob, als nicht begründet erahten. Jch sehe in dem ganzen Geseßz keine einzige Bestimmung, welche die Besorgniß rechtfertigen sollte, daß die neue Volksschule etwas anderes als eine deutsche Schule sein und werden könnte.

Auch der Herr Abg. von Buch hat eine ganze Reihe von Bemänge- lungen hervorgehoben, über die eine Verständigung zu erzielen nah meiner Auffassung ohne jede Schwierigkeit sein wird. In cinem Punkte allerdings hoffe ih sehr, daß die Herren diese Bemängelung nicht aufrecht erhalten werden; %as ift die Frage der Uebertragung des Strafrechts an den Schulvorstand. Ich bin der Meinung, daß gerade die Umänderung des bisherigen Strafrehts in das Ordnungs- \trafrecht, wie es der Gesepentrourf construirt, eine ganz wesentliche Besserung sein würde und insbesondere das Zusammenleben von Schule und Gemeinde, von Schule und Eltern, fördern würde, anstatt es, wie der Herr Vorredner besorgte, zu hindern.

Bei- dem Herrn Sprecher der nationalliberalen Partei sind die Berührungspunkte son sehr viel geringer. (Große Heiterkeit. Zurufe.) Gar keine mehr? Das will ich immer noch niht hoffen oder fürchten. Indessen wenn gär keine mehr vorhanden sind, so will ih zuerst auf die principiellen Fragen eingehen.

Meine Herren, es is mir von den Herren, die gegen den Ent- wurf gesprochen haben, vorgeworfen worden, daß meine Behauptung, der Entwurf | lehne sich an das Verfassungsreht und an die Ver- waltungspraxis des preußishen Staates an, unrichtig sei. Einer der - Herren “sagt, der Artikel 112 der Ver- fassung habe überhaupt die maßgebenden Artikel, auf denen «der Geseyentwurf constxuirt ist, gar nicht in kraft treten lassen, und

e folglich existirten diese Artikel überhaupt niht. Meine Herren, der

einzigen“

Artifel 112. der Verfassung darf ich den Wortlaut vorlesen Tautt e i

Bis zum Erlaß des -im Artikel 26 vorgesehenen Geseßes be-

wendet es hinsichtlich des Schul- : und Unterrichtswesens bei den

jeßt geltenden geseßlihen Bestimmungen.

„Bis zum - Erlaß des Gesetzes.“ auf die verfassungsmäßige Grundlage, welche 21 bis 26 gegeben: ift, gestellt werden muß, das ‘hat bisher, _foviel ich weiß, noch niemand bezweifelt. (Sehr richtig!) Ich muß auch sagen: in welche Lage würde ein Unterrichts-Minister kommen müssen, welher Ihnen ein Gesetz vorlegt, was diese ver- fassungsmäßige Grundlage nicht - berücksihtigt? (Sehr richtig! rechts und im Centrum.) Er hätte nothwendig, wenn er der Ueceberzcugung gewesen wäre, daß diese Grundlage nit zutreffend und nicht haltbar wäre, mit dem Vor- \chlage einer Abänderung der Verfassung kommen müssen. (Sehr rihtig! rechts und im Centrum.) Nun ist, glaube i, eine Abände- rung der Verfassung an ih {hon etwas im höchsten Grade Bedenk- liches (sebr richtig! rechts und im Centrum), aber daß die Staats- regierung mit einem solhen Vorschlage käme, das wäre doch ein so ungewöhnliher Vorgang (lebhafte Zurufe? links). Er is im Culturkampf dagewesen und er wird dann wieder kommen, wenn es absolut niht anders gehi; aber ih stehe auf dem Grunde, daß die Bestimmungen der Verfassung eben gehen, und deshalb fann ih Jhnen nicht die Abänderung vorschlagen. Dagegen glaube ih, daß allerdings diejenigen Herren, welche meinen, das vorgelegte Volksshulgeseß entsprehe niht den verfassungsmäßigen Bestimmungen oder die verfassungsmäßigen Bestimmungen entsprächen nicht mehr der heutigen Zeit, consequenterweise ihrerseits eine Ab- änderung der Verfassung vorschlagen müßten.

Meine Herren, es ist ferner hervorgehoben: der Minister greift einen einzelnen Artikel der Verfassung heraus, und auf diesen einzelnen Artikel der Verfassung baut erx eine ganze Serie von anderen Be- stimmungen. Ja, ih weiß nicht, wie man überhaupt anders verfahren foll. Jch habe mit meinen Worten, das Gesey sei ein loyaler Ausbau der Verfassung, sagen wollen, daß dasjenige, was bisher geltend und rehtens gewesen ist, auch fortgeseßt auf verfassungsmäßiger Grundlage bestehen soll, und ih habe mit deim Worte „folgerihtig“ bezeihnen wollen, daß, wenn man die Vorausseßung, wie sie in der Verfassung gegeben ist, acceptirt, dann die übrigen Bestimmungen sich ganz von felb#t ergeben, wenn man nicht zwänglih etwas Anderes hineininterpretiren will. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.)

Nun, meine Herren, zu der Frage der Verwaltungspraxis sagt der Herr Abg. Dr. Enneccerus: Das wollen wir vielleiht zugeben, daß dieser Gesehentwurf mit der Verwaltungspraxis überein- stimmt, aber die Praxis is falsch und deswegen muß sie geändert werden. Meine Herren, die Praxis auf dem Gehiet der Schule hat sih herausgebildet in einer Entwicklung seit hundert und mehr Jahren, seit der Fridericianischen Periode. Diese Frie- derizianische Periode hat die Grundlage für unsere Schulgeseßgebung gelegt, die bezüglich der von Ihnen hauptsählih angefohtenen Con- fessionalität unter Mitwirkung der kirchlihen Organe viel weite: geht, als die heutigen Bestimmungen. (Sehr wahr! im Centrum.) Es is doch eine merkwürdige Erscheinung, daß troß des Wechsels der Zeiten und troy der au in ihren Grundauffafsungen ganz verschiedenen Minister, die an dieser Stelle gestanden haben, {ih das Schulwesen im großen und ganzen thatsächlich genau so herausgebildet hat, wie es in der Ihnen vorliegenden Vorlage codifi-

Aber daß dieses Gesetz in den Artikeln

cirt worden ist. Jch bitte nah wie vor um den Beweis, daß die

Bestimmungen, welche hier enthalten sind, niht jeßt thatsächlich überall geübt werden, und daß, was das Merkwürdigste ist, die große Masse der Bevölkerung bei dieser thatsählihen Uebung jener Be- stimmungen bisher ganz zufrieden gewesen ift und erst mit dem Moment angeblich aufgeregt fein foll, wo dieselben im Geseß aus- gesprochen werden sollen. (Sehr rihtig! rechts.)

Meine Herren, nun kann id) nit leugnen, daß ih etwas erstaunt darüber bin, daß doh auch jeßt noch eine große Zahl von Sin- wendungen, die wir heute gehört haben, augenscheinlih auf einer miß- verständlichen Auffassung der geseßlihen Bestimmungen beruht. So sagt der Herr Abg. Wessel: „Die Volksschule bekommt cinen zweiten Herrn." Wo steht - in dem ganzen Geseh- entwurf eine Bestimmung, welche irgend einer anderen Instanz, als der staatlichen, das Aufsichts- und Bestimmungsrecht ertheilt? (Bewegung links. Zuruf: Naiv!) Sie sagen „Naiv!“ Dann müssen Sie überhaupt jede Mitwirkung eines andern Organs leugnen (sehr richtig! im Centrum); dann würde auch die Mit- wirkung der Gemeinden und vor allen Dingen die Rücksichtnahme auf die Eltern ein Aufgeben des Staatshoheitsrehts bedeuten. (Sehr gut! Nechts.)

Ferner i} mir mit einem großen Maß von Emphase, vielleicht auch sittliher Entrüstung entgegengehalten worden die Gewissens- bedrängniß des arnien Lehrers, der - durch diesen Geseßentwurf noth- wendig zu einem Heuchler gemacht werden soll. (Heiterkeit.) Warum, meine Herren? Jeder Beamte hat bekanntlich den Instructionen zu folgen, welche die pragmatischen Dienstvorschriften geben. Wollen Sie in dieser Beziehung jedem Beamten das Recht geben, leviglih nach subjectivem Eruiessen zu thun, was er will? Soll der Lehrer in der Volksschule die Freiheit des akademischen Profeisors haben, sodaß er in Bezug auf das, was er lehrt, ganz frei wäre, reine Wissenschaft zu treiben, und nur das, was seine subjective Ueberzeugung is, weiter zu geben und auf unsere Kinder zu übertragen? (Sehr gut! rechts und im Centrum.)

Meine Herren, auh für mich hat das Wort „Freiheit“ und „freiheitliche Entwickelung“ einen entzückeuden Klang, aber ih muß poch sagen, der Freiheit des Lehrers steht doch auch die Freiheit der Eltern gegenüber. (Sehr richtig!) Wollen Sie unsere Kinder, wollen Sie die Kinder des Volks dem“ subjectiven Er- messen jedes Einzelnen ausliefern in denjenigen Jahren, in welchen der Grand der ganzen Entwickelung der Menschen

„gelegt wird? (Lebhaftes Bravo rechts und im Centrum.) Es ist eine

wunderbare Erscheinung, daß man überhaupt den Volkss{hulunterricht auf der einen Seite so' ungéheuer hoh und auf der anderen fo niedrig {äßt, so ungeheuer hoh, indem man glaubt, daß es in dem 6. bis 14. Lebensjahre mögli wäre, aus ven Kindern unseres Volkes reife, vollständig entwickelte, in ihrer subjectiven Ueberzeugung all den großen Problemen der Zeit und Ewigkeit gegenüber gefcite Menschen zu mahen. Das können piellceiht Professoren und Studenten, denen kann man das Ansinnen machen, aber nicht an unsere Kinder. Von

unseren Kindern von 6 bis 14 Jahren will jeder, auch der höher ftehende, daß sie ein gewisses Maß von positiven Kenntnissen erreichen, und - diefes Maß - von positiven Kenntnissen soll auch auf dem innerlichsten Gebiet, auf dem der Religion, erworben werden, und- diefes Maß soll niht abhängig sein von der Willkür und dem freien Ermessen jedes einzelnen Pädagogen. (Bravo! rechts und im Centrum.)

Wenn Sie mir das nun zugeben, dann if ja doch die weitere Folge naturgemäß die, daß es irgend eine Instanz geben muß, die über das, was gelehrt werden soll, zu entscheiden hat, und daß auf dem Gebiet des Religionswesens diese Instanz nur eine kirchliche sein kann, daß aber andererseits die staatliche die Berechtigung hat, unter allen Umständen darüber zu wachen, daß durch diese Instanz nichts seinen Interessen Widersprechendes in den Schulunterricht hinein- fommt, daß sind doch wiederum Dinge, die so selbstverständlich sind, wie zwei mal zwei gleich vier.

Ich habe auch noch nie gehört, daß man den von den großen christlichen Landeskirhen abweichenden Religionsgesellshaften gegenüber in dieser Weise eine scharfe ablehnende Haltung cingenommen hat; warum nun den beiden organisirten christlichen Religionsgemeinschaften gegenüber ?

Die ganz überwiegende Masse unseres Volkes hat nah meiner festen Ueberzeugung seit alter Zeit den Wunsch, ihre Kinder in dem Bekenntniß erziehen zu lassen, in dem sie selbst gestanden haben und stehen. Warum sih nun dagegen sperren, daß dies künftig auf geseß- licher Grundlage möglich sein und bleiben soll, was jeßt thatsächlich überall besteht ?

Meine Herren, Uebertreibung so ist ja wohl der Ausdruck des confessionellen Princips! Zunächst mache ih darauf aufmerksam, daß in dem Gesegentwurf steht: die confessionelle Schule bleibt erhalten. Also da, wo im Lauf einer mehr als hundertjährigen Ent- wicklung eine Simultanisirung der Schule eingetreten is, wird sie nach dem Geseßentwurf niht angegriffen, das trifft übrigens au für Westpreußen zu, wie ih mit Rücfsiht auf den Herrn Abg. Wessel bemerke. Wenn nun diese Simultanisirung, wie ih mir vor einigen Tagen gestattet habe, durch Ziffern nachzuweisen, sich nur in einem fehr geringen Umfange vollzogen hat, fo ist das der Beweis, daß die Bevölkerung dieselbe nicht will. Denn wenn sie die Simultanschule gewollt hätte, dann hätte sie dieselbe in der Zeit, wo die Simultanisirung möglich war, in ganz umfangreiher Weise durchführen“ können. (Sehr wahr! rechts und im Centrum.) Wer das aber zugiebt, der würde doch die Simultanisirung aiht als das Ziel unserer neuen Schul- gesezgebung fordern dürfen, sondern er könnte höchstens den Einwand gegen die Vorlage machen: es muß die Möglichkeit einer künftigen Einrichtung von Simultanschulen auh noch ofen bleiben. Es würde sich dann um die Garantien handeln. Jh bin der Meinung, daß es niht Bedürfniß ist und daß es niht nöthig ist, aber ih erwarte die Vorschläge.

Meine Herren, ih komme nun auf die Einwürfe, die mir der Herr Abg. Enneccerus ‘aus der Entstehungsgeschihhte der Verfassung und speciell des Herrn Ministers von Ladenberg gemacht hat. Ich kenne sie natürlih au (Heiterkeit) und wollte nur hervorheben, daß der geehrte Herr Abgeordnete kleine Säße, die vielleiht das Verständniß etwas schneller ermöglihten, dabei ausgelassen. hat, und daß außerdem ein ganz wesentlihrr Umstand bei ihm außer Acht ge- blieben ist: die Confessions\hule, die der Herr Minister von Laden- berg hier im Auge hatte, war garnicht die Confessions\{hule unserer heutigen Zeit. Der Herr Minister von Ladenberg hielt eine Confes- sionss{hule dann für vorhanden, wenn die Kinder einer Schule aus- nahmslos derselben Confession angehörten, nicht dann, wenn die Schule ihren stiftungsmäßigen Charakter oder dem Lehrer nah confessionell war. Daß wir in Preußen keine Confessionsshulen haben können, in denen der Besuh der Schule durch andersgläubige Kinder ausgeschlossen wird, das ist, glaube ih, zweifellos. Es steht auch nicht in der Vorlage, daß der Besuh von andersgläubigen Kindern nicht zugelassen sei; das Gegentheil ist vielmehr dur eine ganze Reihe von Bestimmungen ausdrücklih hervorgehoben.

Jch glaube also, der Herr Minister von Ladenberg kann nicht dagegen angeführt werden, daß nach den Absichten der Verfassung der Ausdruck „möglichste Berücksichtigung der Confessionalität" die Ein- schränkung enthalte: „soweit es die staatlihen Interessen zulassen“ und daß nur unter diesem Vorbehalt die Einrichtung einer Confessions- \chule möglich fei.

Meine Herren, es is außerhalb dieses Hauses an mich der Vor- wurf gerichtet worden, ih sei mit einer. gewissen naiven Ehrlichkeit bezüglich der Verfassungsbestimmungen an die Ausarbeitung dieses Gesetentwurfes herangegangen. Ich weiß nicht, ob das ein Vorwurf ist, den man machen kann, bekanntlich ist der Gegensaß von „naiver Ehrlich- keit“ etwas, was nicht. zu rehtfertigen wäre. (Heiterkeit.) Aber wenn man mit diesem Ausdruck mir wohl hat klar zu verstehèn geben wollen, daß ih eigentlih das Gebiet nicht beherrshe, über das ih hier dem Landtag Vorlagen zu machen mir erlaube, so muß ih ja diesen Vorwurf hinnehmen ' wie viele andere; er wird mi niht berühren. Ich führe das nur an, um Jhnen zu sagen, daß mich bei der Aus- arbeitung ‘dieser Vorlage doch eine ganz andere und viel tiefer gehende Ueberzeugung geleitet hat.

Meine Herren, nah meiner Auffassung muß diese Frage in der nächsten Zeit gelöst werden, wenn nicht die allerschwersten Nach- theile für unser preußisches Vaterland entstehen sollen. (Sehr wahr! rechts und im Centrum.) Diese Frage kan n nach meiner innersten festen Ueberzeugung nur auf einem Boden gelöst werden, der die historishe Entwickelung festhält, und der denjenigen Factoren, welche in einem idealen Sinne auf unser Volksleben einzuwirken berufen sind, eine volle Betheiligung sichert. (Bravo! rechts und im Centrum.) Hier sind wir verschiedener Meinung.- Die eine Auffassung geht dahin: die Religion soll mit in den Entwurf hinein; die Religion soll der Schule erhalten werden. Jch erkenne das dankbar an; ih habe bisher noch feine gegentheilige Ansicht ge- hört, aber wir sagen weiter: die Religion i in ihrer Bethätigung abhängig von einem gewissen Bekenntniß, und dieser bekenntnißmäßige

Zustand muß in dem Geseg einen Ausdruck finden ; daher die Formu- lirung, welhe Sie gefunden haben. Dieser bekenntnißmäßige Zustand ist aber doch nit abhängig von dem Willen der einzelnen Instanz, sondern wird getragen - von * der Auffassung, die in der ganzen Be- völkerung selbst lebt; und ih verstehe niht die Besorgniß, die man immer. hat, daß auch einmal ein nah einer etwas weit gehenden Rich- tung hin neigender Mann einen Einfluß gewinnen könnte oder daß

gar ein Geistlicher Einfluß gewinnen könnte. Meine Herren, sind denn die Geistlichen niht ebenso glcihberechtigt in unserem Ver- fassungsleben wie alle anderen ? (Sehr wahr! .rechts und im Centrum:)

Dann is mir in einem hohen Maße vorgeworfen worden, ich hätte zwär in diesem Schulgeseßentwurf niht den Wortlaut, aber den Geist der Windthorst’shen Anträge übernommen. Ia, meine Herren, das sind Dinge, über die man nur nah sciner ganzen inneren Stellung zu diesen Fragen ver- schiedener Meinung - sein kann und sein muß. Ich bin der Ansicht, daß, wenn in dem Geist der Windthorst’schen Anträge etwas Richtiges war, ih es übernehmen mußte; wenn sie aber etwas nicht Richtiges enthielten, so konnte dies nit übernommen werden, und ih habe deshalb au das, was ich nicht für richtig hielt, ausgeschieden.

Wenn aber ferner von derselben Seite darauf hingewiesen wurde, daß es ein vollständiges Novum sei, daß in diesem Gesehentwurf sogar den Geistlichen die Berechtigung eingeräumt werden sollte, den Religionsunterricht selbst zu übernehmen und daß dadurch die Stellung des Lehrers völlig unmöglich gemacht würde, und wenn derselbe Herr seine Gegnerschaft dagegen mit der Ausführung motivirte, daß da, wo dies jeßt hon bestände, der Geistlihe nur. das Recht gehabt habe, den Katechismusunterricht zu übernehmen, so ist dies, glaube ich, ein ab- solut nicht zutreffender Einwand. Wer den Katechismusunterricht in der Schule hat, der hat den Religionsunterriht. (Sehr richtig! im Centrum.) Der Religionsunterriht in der Schule unterscheidet sich bekanntli nah zwei Richtungen: das eine ist der Katechismusunter- richt, das andere der biblische Geschichtsunterriht. Ich glaube, auf den biblischen Geschihtsunterriht würde keine Confession besonderen Werth legen. (Abg. Richter : Am Rhein is die Scheidung.) Ja, am Rhein ist die Scheidung; in den Provinzen Rheinland, West- falen, Hessen-Nassau is die Sache heute schon o geordnet, wie der Entwurf es will, und die thatsählihe Uebung hat dazu geführt daß die Geistlichen in vielen Fällen den Katechismusunterricht über- nonimen haben.

Endlich, meine Herren, die Frage des Privatunterrichts. Fh habe schon in meinen früheren Ausführungen darauf hingewiesen, daß ih es für zweckmäßig halte, die Frage des Privatunterrichts an dieser Stelle zu regeln. Ich muß an dieser Auffassung au jeßt noch, troß der Ausführung des Herrn Abg. Enneccerus, festhalten. Wenn * der Herr Abg. Enneccerus sagt, die \hrankenlose Freiheit des Privat- unterrihts würde zu Zuständen führen, wie sie sih in Belgien gezeigt hätten (Widerspruch des Abg. Dr. Enneccerus) nun, würde also jedenfalls zu einer sehr erweiterten Verschlechterung unserer Schul- zustände führen das ist ja doch, wie ih glaube, der Sinn Ihrer Ausführungen gewesen —, so erlaube ich mir zunächst darauf hinzuweisen, daß die bedeutendsten Erscheinungen auf dem Schulgebiete sih an die Namen von Leuten knüpfen, welhe auch im Privatschul- wesen thätig gewesen sind; ich will nur zwei, den Anfang und das Ende einer ganzen Reihe nennen: August Hermann Francke und Pestalozzi. Ich glaube, man wird nicht leugnen können, daß auch das Privatschulwesen für die Entwickelung unseres Schulwesens von der allergrößten Bedeutung gewesen ist. (Sehr richtig!)

Nun aber ferner: Eine Staatsschule in dem Sinne, daß die

Einrichtung von Privatshulen ausgeschlossen wäre, ist nah meiner

Auffassung überhaupt undenkbar (sehr richtig !) Wenn das der Fall ist, wie kaan man sih denn dagegen wenden, daß die Grundsäye, nah welchen eine solhe Einrichtung getroffen werden soll, geseßlich festgelegt werden? Es ist do in einem Rechtsstaat wie Preußen kein Vorzug, wénn eine Entscheidung lediglich von einer, wenn aud, mit voller bona fides geübten , aber -. immerhin nur subjectiven Erwägung der einzelnen Instanz abhängt. (Sehr gut !) Fch sehe in dem Privatunterriht auch nit den geringsten Nachtheil, uad das Merkwürdige ist, daß auch die Thatsachen mir Recht geben. Meine Herren, Unter dem jeßigen System sind beispielsweise in der Umgegend von Berlin eine ganze Reihe von Privatshulen entstanden, namentlich auch katholischer Privatshulen. Sie sind concessionirt. Wenn nun alle die Besorgnisse, die hier geäußert worden sind, wirk- lich zutreffend wären, dann müßte man .doch annehmen, daß die Leiter dieser Privatshulen und diejenigen, die sie ein- gerichtet haben, den dringenden Wunsch hätten, sie zu conserviren oder sie zu erweitern. Gerade das Gegentheil ist der Fall. Ich muß, wie mein Herr Amtsvorgänger, umgekehrt dem Andrängen dieser Herren nachgeben und die Verwaltungsorgane auf Grund des Geseßes von 1887 anweisen, diese Schulen als öffentliche zu übernehmen. Wenn das preußishe Schulwesen auf der Grundlage eingerihtet wird, die ich vorhin s\kizzirte, unter Berücksichtigung der historishen Entwickelung und unter Berücksichtigung der berechtigten Ansprüche der einzelnen kirhlichen Organe, dann ist das Privatshulwesen ohne jede Gefahr. (Sehr wahr!) Geschieht das nicht, dann, meine Herren, allerdings ist die Privatschule, und zwar die gefährlihste und von weitgehendem Einfluß getragene, das nothwendige Correlat einer gebundenen Staats- schule. (Lebhaftes Bravo.) Zur Geschäftsordnung bemerkt: bg. von Eynern (nl.), daß auf diese Rede des Ministers zu antworten seine Partei durch die Ungunst der Rednerliste verhindert sei, da ihr Redner erst an der 26. Stelle komme. Abg. von Jagd ewski weist darauf hin, daß in den polnischen Landestheilen das treben der Regierung, das Deutsche zu ver- breiten, feinen Erfolg gehabt habe; die Kenntnisse im Deutschen seien jept viel \{lechter als früher. Der Sprachenerlaß des Ministers. habe n keine genügende Wirkung gehabt, weil - die Schulbehörde, - namentlih die örtlichen Behörden, ih der An- wendung desselben vielfah widerseßten. Deshalb sei diè Ein- führung eines s{chulplanmäßigen Unterrihts im Polnischen dringend nothwendig geworden. Wenn der Minister auf der Grund- lage der Confession das Volksschulwesen einrihten wolle, dann. müsse auch die Kreis-Schulinspection auf dieser Grundlage aufgerichtet werden. Auch bezüglich der Simultanschulen müsse noch manches geändert - werden, es seien allerdings nur 503 folher Schulen vorhanden, davon entfielen aber 87 auf Posen und 110 auf Westpreußen. Die katholischen Kinder bildeten dort überall eine sehr große Minder- heit, ja in manchen Schulen sogar die Mehrheit, ote s ein katho- lischer Lehrer d t sei. Auf die Einzelheiten der Vorlage geht Redner nicht ein, fondern wendet sich nur gegen die Ausführungen des Abg. Dr. Enneccerus, wona eine Gefahcr- 1s nur beider katholischen Kirche geltend mache. Dasjenige, was derCultus- inister der katholischen Kirche eingeräumt habe, entspreche ihren Lehren, befriedige aber noch nicht vollständig ihre Ansprüche. Eine Beeinflussung der Freiheit der Stellung des katholischen Lehrers werde dadur nich i sondern eher werde seine Stellung sih befestigen, we er der ft und. Leitung seines Seelsorgers Ae Redner spricht den Wunsch aus, 1 das Polnische etwas mehr berücksichtigt

werden möge, Die polnishe Fraction werde dem Minister / zur Seite gchen bei der Schaffung eines Volksschulgeseßes, welches auf

christlicher Grundlage aufgebaut sei.

würde das noch nicht entscheidend sein.

es. kirhlihen Einflusses.

Gegen 4 Uhr wird darauf die weitere Debatte bis Dienstag 11 Uhr vertagt.

Persönlich bemerkt 2 L

Abg. Dr. Enneccerus: Der Minister habe ausgeführt, er (Redner) habe gesagt, der Geseßentwurf entsprehe der Verwaltungs- praxis. Aber dies sei falsch. Er habe ungefähr das Gegentheil gesagt: Wenn der Entwurf der Verwaltungspraxis entspräche, so Denn cs gebe auch eine nicht zu billigende Praxis. Aber der nun entsprehe au der. Ver- waltungspraxis nicht, und dies habe er näher begründet. Der Minister habe ferner die Sache so dargestellt, als ob er (Redner) eine ree Freiheit für die Lehrer verlangt habe, eine akademische P wie er sih ausgedrückt“ habe, und geger. ejne solche babe er seine Widerlegung gerichtet. Er constatice2, daß der Minister etwas bekämpst 4 was er niht behauptet habe und was auch nicht seine E sei. Der Minister habe ferner gesagt, er (Redner) habe von der Einführung des Privatunterrihts die Entstehung belgischer Zustände bei uns befürchtet. Er habe ausdrüd- lih bemerft, daß er dies bei der großen Verschiedenheit unserer Zu- stände niht befürchte, ‘und er könne auch dieser Ba nicht sein, so lange in Preußen die Schulpflicht bestehe. Er habe lediglich die belgischen Zustände angeführt, um zu zeigen, was die fklerikale Herrschaft der Schule bringe.

Kunst und Wissenschaft.

Rückblick auf die Kunstliteratur des Jahres 1891.

(Vergl. Nr. 9 des „R. u. St.-A.“)

M

L. K. Die Ernte auf dem Gebiete der neueren Kunst- geshihts\chreibung ist keine allzu reihe, insbesondere was allgemeinere zusammenfassende Darstellungen anlangt. Der Eifer der Forschung richtet sih meist auf subtile Einzel: untersuhungen. Gleichwvhl fehlt es auch heute niht an kühnen Forschern, welche sih an die Aufgabe einer allgemeinen Kunst eshihte heranwagen. So hat ein fkatholisher Geistlicher, rofessor Kuhn in München, die erste reih ausgestattete Lieferung eines auf drei Bände berehneten Werkes erscheinen lassen, welhes die Entwickelung der Kunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart „vom Standpunkte der Geschichte, Technik und Aesthetik“ zu schildern P Wie weit es sich dem hoch- gesteckten Ziele nähern wird, kann erst beurtheilt werden, wenn die Arbeit, welhe mit besonderer Genehmigung und Unter- stüßung des Papstes in Angriff genommen ist, weiter fort: geschritten sein wird. Die „Deutshe Kunstgeschichte“, welhe in Einzeldarstellungen verschiedener For er im Verlage der Grote’shen Buchhandlung erschien, is im Derffoitien Jahre mit der „Geschihte des deutschen Holzschnittes und Kupferstihs von C. von Lüßow“ ab- eschlossen worden, sodaß wir jeßt drei dem augenbliflichen Stande der Forschung entsprechende Darstellungen der Kunst- entwickelung in Deutschland neben der genannten diejenige von W. Lübke (Ebner u. Seubert 1890) und H. Knackfuß (Velhagen und Klasing 1890) besigen. a : Ur die Artie und mittelalterlihe Kunst ist vond die ikonographishe Art der Betrachtung beliebt, welche einzelne Darstellungskreise durh die Jahrhunderte ver- folgt und deren künstlerische Abwandlung zum Maßstab für ie Entwickelung der Phantasie und Gestaltungskraft nimmt. Ein umfassendes Handbuh der christlihen Jkonographie verdanken wir in diesem Jahre dem verdienten franzöfischen Forscher Barbier de Montault, der in seinem zwei- bändigen „Traité d’iconographie chrétienne“ die Summe seiner meist in der Revue de l’art chrétien erschienenen Einzeluntersuhungen zieht. Jn das Gebiet ikonographischer Forung gehört auh die Folge von Aufsäßen, welche obbert im Repertorium für Kunstwissenshaft über „das Abendmahl Christi in der bildenden Kunst bis gegen den Schluß des 14. Jahrhunderts“ veröffentliht hat, sowie Frimmel’s „Beiträge zu einer Jkonographie des Todes“. Besonders werthvoll dürften für die mittelalterlihe Jkono- graphie auch Schlosser’s „Beiträge jur Kunstgeschichte aus den Schriftquellen des frühen Mittelalters“ werden; gerade für den Darstellungskreis der frühmittelalterlihen Buch- malereien gewinnt der lüse aus den gleichzeitigen Schrift-

quellen erwünschte Aufschlüsse. Und. die Miniaturforschung, die von Seiten H. Brockhaus" in seinem gründlichen Werk über „die Kunst in den Athosklöstern“ uud von Voege in seinen kritishen Studien zur Geschichte der Malerei“ in Deutschland im 10.-und 11. Jahrhundert im vergangenen Jahre bereichert wurde, bildet noch immer neben der Architektur den hauptsächlihsten NAusgangs- punkt mittelalterlicher Kunstbetrahtung.. Das gilt id Ur Kondakoff’s Uistoire de l’art byzantin, deren zweiter lebhaft erwarteter Band- 1891 im Verlage der Librairie d’Art erschienen ist. Für den deutschen Forscher bot bislang die P Kunstgeschichte besondere Schwierigkeiten, da die Mehrzahl der einschlägigen wichtigen Untersuchungen in russischer Sprache abgefaßt war. J. Strzygowski hat indeß diese Hindernisse zu überwinden vermocht, und seine im Auf-

trage der Mechitaristen-Congregation mit gediegenem Aufwande herausgegebenen „Buiantinhßen Denkmäler“, von welchen der

erste Band erschienen ‘ist, sichern der deutshen Forshung auch auf diesem Gebiet eine hervorragende Stelle.

Die Kunstgeschichte des deutschen Mittelalters, welche in der oben erwähnten Be für hristlihe Kunst“ einen neuen Mittelpunkt der | j i hon genannten Arbeit Voege's über die ottonishe Miniatur- malerei an wichtigeren Erscheinungen noch eine Untersuchung P. Clemen's zu verzeichnen, welche die „Porträtdarstellungen Karl’s des Großen“ durh die verschiedenen Jahrhunderte mit emsiger Gewissenhaftigkeit verfolgt. Das verdienstliche Werk Münzenberger's „zur Würdigung der mittelalter- lihén Schnißaltäre Deuschlands“ ist - leider infolge des Ab- lebens: des ana ge s Fragment geblieben.

Frankreih, dessen mittelalterlihe Baukunst in der gothishen Epoche an Reichthum und nbrehender Neu-

taltung von keiner anderen übertroffen wird, ist mt einer be onders geshmackvoll ausgestatteten - Publication „TL'art gothique par J. Gonse“ auf dem Plane erschienen, während ‘eine populäre Darstellung- der gesammten Kunst des franz ófisGen Mittelalters H orsin-Deon in seiner UHistoire de l'art en France depuis les. temps les plus . reculés jus n’an XIV. síècle (Paris p versucht. Lecoy de a Marche, der bewährte Miniaturforscher, behandelt das ir die. Entwickelung der gothischen“ Kunst besonders wichtige reizehnte Jahrhundert in einem Werke „Le XIILe siècle artistique“s und der unermüdliche Bibliothekar der Ecole des beaux-arts E. nj ‘veröffentlicht nèue

päpstlihen Architekten Avignons.

in Boito

orshung gefunden hat, hat außer der

ocumente über die

des Mittelalters, die Geschichts- Zeit gegen Bauthätigkeit in n ea Bauten er-

Die italienishe Architektur i und Cattaneo so en ede schreiber genen hat, tritt in gothischer die französishe und deutsche Piergt, Die wenigen rein go

euen sih heute gleihwohl einer weit größeren Achtung und Aufmerksamkeit der italienishen Forschung, als in den Tagen Vasari’s, der in ihnen die verderbliche „.maniera tedesca“ verachtete. So hat der Dom zu Orvieto, cine der reizvollsten gothishen Schöpfungen des Südens, neuerdings eine sehr glänzende Rechtfertigung in der prächtigen Publication Lg „Îl Duomo di Orvieto“ (Rom, 1891) erfahren.

er anregende Aufsaÿ eines Berliner Kunstgelehrten K. Frey über die Hohenstaufenburgen in Süd-Jtalien (in der „Deutschen Rundschau“) verdient an dieser Stelle um so mehr Erwähnung, als die Mehrzahl der architekturgeschichtlihen Handbücher über das Capitel des mittelalterlihen Profanbaues nur allzu ober- flählih hinweggehen. E :

Die Popularität, welcher sih die mittelalterlihen Kunst- studien in den Tagen der Romantik erfreuten, ist ihnen augen- blicklih und voraussichtlich auf längere Zeit entzogen. Für weite Kreise der Gebildeten beginnt das Interesse ür christliche Kunst ersst mit der Epoche der Re- naissance lebendig zu werden. Besonderen Reiz übt die italienishe Frührenaissance, deren kräftiger Realismus und vielversprechende Regsamkeit s immer die Einbildungskraft des modernen Menschen in besonderem Maße fesselt. Die Gegenströmung der jüngsten Zeit, welche sih der lange ver- achteten Spätrenaissance und dem Barock und Rococo zuzu- wenden begann, dürfte sih namentlih auf deutschem Boden kaum lange erhalten, da unserm Zeitalter die Biegsamkeit und üppige Fülle der Phantasie abgeht, - welhe zum vollen Verständniß und vollends zur Wiederbelebung jener Kunstformen erforderlich ist. Einer der ersten, welche das Studium der N Renaissancekunst und den Genuß ihrer Werke weiteren Kreisen des deutshen Volkes zu ver- mitteln verstanden, war Jacob Bur hardt. Seine Geschichte der italienishen Renaissancearchitektur, dié äls ein Theil der Kugler schen Geschihte der Baukunst 1867 zum ersten Male erschien, hat im vergangenen Jahre ihre dritte Auflage erlebt, welche von einem jüngeren Gelehrten Professor H olßtin- ger bearbeitet wurde. Auch Burckhardt's „Cultur der Renais- sance“, die geniale Schilderung des Milieu, in welchem die Künstler Jtaliens ihre Werke shufen, behauptet nah wie vor ihre maßgebende Stellung in der Kunstliteratur. Eine Ueber- sezung des Werks ins Englische von Middlemore legt davon Zeugniß ab. Auf dem Grenzgebiet der Cultur- und Kunst- geshichtsforshung bewegen sid die Arbeiten + Yriarte s „Autour les Borgia“ und Konrad Lange'’s Untersuhung über den „Papstesel“. E 4

Für die Geschihte der italienishen Sculptur ist das schon an dieser Stelle von uns besprohene Handbuch von Bode ein werthvoller Beitrag, das zugleih als ce der in Aussicht gestellten Museumshandbücher mit lebhafter Genugthuung begrüßt werden muß. Eine umfang- reihere Geschihte der italienishen Bildhauerkunst bereitet Schmarsow vor, dessen Anregung wir auch die „Jtalieni- hen Forschungen zur Kunstgeschichte“ verdanken, deren zweiter Band „Donatellos Kanzeln in S. Lorenzo“ von M Semrau im vorigen Jahre erschien. Die Aufsäße Gruyer s über die ferraresishe Sculptur in der „Cazette des beanx arts“ und die E Publi- cation der Certosa zu Pavia von Beltrami werden dem künftigen Geschichtsshreiber der italienishen Bildnerei als Vorarbeiten willkommen sein. :

Morelli, dem die Bilderkunde der italienishen Schule so viel verdankt, ist aus dem Leben he eden, ohne die Neubearbeitung seiner kunstkritishen Studien abzuschließen. seinem Tode erschienenen zweiten Band, Bilder der Dresdener und Münchener Galerien untersucht, sollte ein dritter folgen, welcher die Berliner Galerie behandelt. Ob das Material für diese neue Auflage seiner Galeriestudien soweit geordnet vorliegt, daß es von anderer da Jorider für e werden

Dem kurz vor welcher die italienischen

kann, wissen wir niht. Der berufenste Forscher für eine solche Aufgabe wäre zweifellos G. Frizzoni, welcher in seinen 1891 erschienenen Saggi critici über italienishe Renaissance- kunst durchaus in den Bahnen seines verehrten Freundes und Meisters sih bewegt. E E Die Michel Angelo-Forshung beschäftigt sih zur Zeit mit besonderer Vorliebe mit der Jugendentwidelung des Meisters. Grimm's classishe Biographie, welche bereits in sester Auflage vorliegt (Berlin, W. Herz), darf aber troy dieser neuesten Bereicherungen unseres Wissens, die wir insbesondere Wölfflin, Strzygowski und Bode verdanken, noh immer als die anregendste Gesammtschilderung des Menschen und Künstlers gelten. Auh Raffael’s Jugendwerke stehen im Vordergrunde des Jnteresses; seit Morelli den Streit um die Jugendentwidelung des Urbinaten wieder neu belebt, ist das Thema einer ununterbrochenen Discussion ausgesebs, an welcher sich im Vorjahre besonders lebhaft W. von Seidligß und Koopmann betheiligten. Das Erscheinen des dritten Bandes der Raffaelbiographie von Crowe und Cavalcaselle wird sihherlih auch zu zahlreichen kritischen Erörterungen Ver- anlassung bieten. Die mit so reichen Mitteln und s{hönem Erfolge begonnene Lionardo-Monographie von P. Müller- Walde scheint leider ins Stocken gerathen, da seit cinem Jahre die Fortseßung der dritten Lieferung dieses bei Hirth in München erscheinenden Werkes auf sih warten läßt. Die Facsimile-Ausgabe der Pariser Manuscripte Lionardo's, welche Navaiss\ on-Mollien mit Unterstüßung der französischen Regierung unternommen, hat mit einem jeßt vorliegenden seh]ten Bande ihren. Abschluß gefunden, während der im Besiß des Fürsten Trivulzi in. Mailand erie Cödex neuerdings Gh h Trans eine sehr dankenswerthe Veröffentlihung erfahren hat. i Für die deutsche Kunstgeschichte bildet das Schaffen Dürer's den Mittelpunkt. h Thätigkeit seiner Vorläufer auf fränkishem Gebiet durch eingehendere Untersuchaugen klar zu- stellen, ‘versuht das Uge Buch E P de's über „die Malershule, von Nürnber “im_XIV. “und XV. Jahrhundert“ (H. Keller, Finkiürt M.), welhes wir an anderer Stelle gusführliher zurück= zukommen gedenken. Desselben Forschers. Versuch, dem ‘großen ge, Meister einige neue Werke zuzuschreiben ‘den er in’ einem Aufsaß über „Jugendwerle DUrer:8", 1 buch der Königlich“ preußishen Kunstsaummliünge: begegnéte E _Ruffassung.: Sprit : _Dürerbiographie haben wir“ bere j

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