1892 / 23 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 27 Jan 1892 18:00:01 GMT) scan diff

uldverschreibungen nebst Zinsscheinen eiñer dieser Kassen M Es É März d. J. ab einzuceihen, welche sie der Staatsschulden - Tilgungskasse zur Prüfung vorzulegen hat D nas SrFoIgReE Feststellung die Auszahlung vom 1. April d. J. ab bewirkt.

Der Geldbetrag der etwa fehlenden unentgeltlih mit ab- Een Zinsscheine wird vom WPrämienbetrage zurück- ehalten.

) Formulare zu den Quittungen werden von den gedachten Kassen unentgeltlich verabfolgt. i S

Die Staatsschulden - Tilgungskasse kann sich in einen Schriftwechsel mit den Jnhabern der Schuldverschreibungen über die Prämienzahlungen nicht einlassen

Zugleich werden die U noh rückständiger Schuld- verschreibungen aus bereits früher verloosten und gekündigten, auf der beiliegenden Liste bezeichneten Serien, zur Vermeidung weiteren Zinsverlustes an die baldige Erhebung ihrer Capitalien erinnert.

Berlin, den 19. Januar 1892. :

Hauptverwaltung der Staatsschulden. Merleker.

Een werden. Zu diesem Zwecke sind die \

Die Nummer 2 der Geseß-Sammlung, welche von heute ab zur Ausgabe gelangt, enthält unter:

Nr. 9501 die Verordnung, betreffend die Ausdehnung des Geseßes vom 19. Mai 1891 (Geseß-Samml. S. 97) auf das Gebiet der Lenne und ihrer Nebenflüsse. Vom 30. De- zember 1891: unter A e

Nr. 9502 den Vertrag ¿wischen der Königlich preußischen und der Herzoglih sachjen-altenburgishen Staatsregierung, betreffend den Austritt des Gutsbezirkts Braunshain im Königreiche Preußen aus der Königlich preußishen Parochie Hohenkirhen-Wernsdorf und aus der Königlich preußischen Schulgemeinde Wernsdorf-Tanna, sowie dessen Aufnahme in den Kirchen- und Schulverband Lumpzig im Herzogthum Sachsen-Altenburg. Vom 31. Mai 1891: und unter

__ Nr. 9503 die Verfügung des Zustiz-Ministers, betreffend die Anlegung des Grundbuchs für cinen Theil der Bezirke der Amtsgerihte Aachen, Eschweiler, “Düren, Erkelènz, Gemünd, Euskirchen, Rheinbah, Kleve, Mörs, Adenau, Ahrweiler, Boppard, Kirchberg, Kreuznah, Köln, Bergheim, Mülheim am Rhein, Gummersbach, Wiehl, Lindler, Waldbroel, Sieg- burg, Wipperfürth, Bensberg, Düsseldorf, Mettmann, Leba, Saarbrücken, Sanct:-Wendel, Baumholder, Grumbach, Merzig, Perl, Wadern und Sgarburg. Vom 19. Januar 1899.

Berlin, den 27. Janupyr 1892.

Königliches Geseß-Sammlungsamt. In Vertretung: al Bath.

Nichtamtliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 27. Januar.

Seine Majestät der Kaiser und König empfingen heute afk um 10 Uhr die hier zum Besuch weilenden Allerhöchsten Herrschaften zur Gratulation. Um 10!/; Uhr begaben Sich Allerhöchstderselbe zum Gottesdienst in die Schloßkapelle: unmittelbar nach diesem fand die Gratu- lationscour im Weißen Saal 1nd um 113, Uhr die Uebergabe der Fahnen an das Füsilier-Bataillon des 3. Garde- Grenadier-Regiments Königin Elisabeth und das Garde-Jäger- Bataillon im Lustgarten statt.

Ueber die gestrige Ankunft und den Aufenthalt Seiner Majestät des Kaisers und Königs und Seiner Majestät des Königs von Württemberg in Potsdam wird von dort berichtet:

__ JZhre Majestäten trafen um 2 Uhr 35 Minuten mit dem gejammten militärishen Gefolge in Potsdam ein und begaben Si in offenem Wagen nach der Caserne des Leib-Garde-Hujaren- Regiments. Vor dieser war das ganze Regiment in Parade Iufgesteltt Die Majestäten und das Gefol e schritten die Front des Regiments ab und wohnten Lat einem Schulreiten der Offiziere bei. Gegen 3 Uhr wurde das 1. Gerde-Regi- ment z. F alarmirt und ebenfalls in Parademarsch vorgeführt. Um 5 Uhr begaben Sich die Majestäten zum Diner in die festlih geshmüdte Offizier-Speiseanstalt des Leib-Garde-Husaren- Regiments. Bei der Tafel brachte der Regiments-Commandeur auf Seine Majestät . den König von Württemberg ein Hoch aus, welches Allerhöchstderselbe mit einein Toast auf das Re- giment erwiderte.

Zhre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prin- zessin Heinrich sind. gestern mit dem Prinzen Waldemar von Kiel in Berlin eingetroffen.

Die Feier des L rata gs Seiner Majestät

des Kaisers und Königs

wurde in früher Stunde durch das Blasen eines Chorals von der Schloßkapelle und durh das von den Spielleuten der Peigen, Garde-Regimenter ausgeführte große Wecken einge- eitel. Obwohl der Tag trübe und regnerish, so s{chmückten sich - alsbald die ar der Hauptstadt mit Fahnen und Flaggen, die Schaufensier der Läden .mit den von-Blumen- rrangements umgebenen Büsten Seiner Majestät, und" leb- hafter Verkehr in den Sträßen ließ erkennen, daß Preußen und Deutschland heute einen großen Festtag feiert.

Die festlichen Veranstaltungen zu Ehren des Geburtstags Da bereits gestern Abend 1hren Anfang mit einer Feier, welche die Königliche Tehnische Hochschule zu Charlotten: burg: in dem Hörsaal der Anstalt beging. Die von der Büste des Kaisers überragte Rednerbühne war mit Palmen, Lorbéeer- gebüsh und anderen Laubgewächsen dicht umgeben; hinter thr - nahm * ein Sängerchor, davor die Chargirten sämmtliher Vereine und Verbindungen der Hochschule im Wichs mit ihren prächtigen Bannern und geen Lee iung, Die Festversammlung sehte sih aus dem Collegium der Professoren und Lehrer der Anstalt sowie ihrn An-

| Leitung der

„Festrede über den protestantishen

gehörigen, den Studirenden und den zu der Feier geladenen âästen zusammen. Als Vertreter des Ministers der geist-

- lichen 2c. De ehrten war der Geheime Ober-Regie-

rungs-Nath Dr. Wehrenpfennig erschienen, ferner bemerkte man unter den Ehrengästen den Chef des Jngenieur-Corps und der Festungen, General-Lieutenant Golz mit einer Reihe von Offizieren des Jngenieur-Corps sowie Lehrer und Angehörige der benachbarten Artillerie: und Jngenieurschule, die Spißen der Behörden von Charlottenburg, Mitglieder der Akademie für Bauwesen, der Akademie der Künste 4. A: Mit dem Gesange des von Christian Fink componirten 100. Psalms „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ wurde die Feier eingeleitet. Dann bestieg der zeitige Rector der Hoch- \hule, Professor Dr. Doergens die Tribüne. Zum Thema seiner Festrede hatte er die Arbeiterfrage gewählt. Der Redner gab zunächst einen geschichtlihen Ueberblick über die Verschiedenartigkeit der früheren Productionsweise mittels Manufacturbetriebs, der den gesteigerten Bedürf- nissen des Weltmarktes folgend sich zur Groß- industrie mit Maschinenbetrieb habe erweitern müssen. Er erörterte ferner die Uebelstände, die sih aus der durch Sucht nah Gewinn entstehenden Ueberproduction für die Arbeiter ergeben, und wie dieser vielleiht mittels einer inter- nationalen Einigung der Großindustrien, jedoh nicht in der Art der Cartelle abgeholfen werden könnte. An der Be- kämpfung der socialen Jrrlehren, deren Aufnahme durch cine zügellose Genußsuht gefördert werde, habe sich vor allem auch die Schule und speciell die Technische Hochschule zu betheiligen, da ihr die Erziehung der- jenigen Elemente anvertraut sei, denen später die industriellen Production obliege. Mit der moralishen und religiösen Ausbildung müsse auch eine praktische Hand in Hand gehen, damit die Kluft zwischen der arbeitenden und der sie leitenden gebildeten Klasse über- brückt werde. Von diesem Gesichtspunkt aus befürwortete Redner die Wiedereinführung des praktischen Lehrjahrs für die jungen Baubeslissenen, wie es bei den Maschinentechnikern noh jeßt üblich sei. Dadurh werde die Mißachtung der Handarbeit beseitigt und jene Arbeiterfreundlichkeit in den gebildeten Ständen Gera felt werden, in welher Seine Majestät der Kaiser mit hohem nachahmenswerthem Beispiel vorangehe. Mit einem dreimaligen Hoch auf den Allerhöchsten Förderer aller auf die Wohlfahrt der Arbeiter und die ver- fohnliche Lösung der socialen Frage gerichteten Bestrebungen, auf den mächtigen Beschüßer des Friedens, endete der Nedner, und die Festversammlung stimmte, sich von den Sigzen er- hebend, begeistert in dieses Hoch ein. Der Sängerchor brachte fobatin mit einer „Dem Kaiser“ gewidmeten s{chwungyvollen Hymne von Naubert den Festact zum weihevollen Abschluß.

Die Königliche Friedrih-Wilhelms-Universität beging heute Mittag um 12 Uhr die Feier des Geburtstages Seiner Majestäï in ihrem großen Hörsaale durch cinen Festact, welchem der Cultus-Minister Graf von Zedlig- Trüßschler, der Unter-Staatssecretär D. von Weyrauch, sowie mehrere hohe Näthe und Beamte der Ministerien 2c. beiwohnten. Die Feier wurde mit Gesang eröffnet, worauf Herr Vrofessor Dr. Erih Sch idt die von dem cexkrankten Geheimen Regierungs-Rath Wrofessor Dr. Ernst Curtius verfaßte Festrede vortrug. Diese knüpfte an den in voller Pracht auf- steigenden Bau des Neichstagsgebäudes an, in welchem alle Parteicn die endlih errungene Einheit des Vaterlandes auf würdigste Weise zu monumentalem Ausdruck gebracht zu jehen wünschen. Dazu gehöre eine Vereinigung der verschiedenen Künste, und der Redner zeigte, wie dur die Kunstgeschichte aller bauenden und bildenden Völker dieser Zug hindurhgehe, namentlich Plastik und Archi- tettur zu gemeinsamen Leistungen zu verbinden. Diese Ver- bindung sei den Hellenen in vollstem Maße gelungen. Schinkel habe am besten gezeigt, wie man das Vorbildliche der Antike an- ertennen könne, ohne auf nationale Selbständigkeit zu ver- zihten, und jo "-gipfelte die Festrede in dem Wunsche, daß das neue Volkshaus* ein in vollem Sinne würdiges Symbol und Denkmal des Deutschen Reichs sein werde, welches Seine Majestät der Kaiser und König mit jugendlicher Kraft aus den Händen des Großvaters und Vaters übernommen habe. Ju den ehr- furhtsvollsten Glückwünschen für Kaiser Wilhelm [Tl. und das Königliche Haus vereinigte sih die Festversammlung. Mit Gesang wurde die Feiex geschlossen.

Die Königliche Akademie der Künste feierte das Geburisfest durch eine öffentliche festlihe Veranstaltung im Saale der Sing-Akademie heute Vormittag um 11 Uhr. Der Saal’ trug reihen Shmuc; am Fuße der Estrade stand auf hohem Sockel die von Professor Begas modellirte Büste, die Seine Majestät den Kaijer mit dem Cürassierhelm zeigt. Die Akademiker aßen zu beiden Seiten des die Büste umgebenden Haines, die Ehrengäste hatten in der ersten Saalreihe Plat genommen. Vom Cultus-Ministerium waren, außer dem der Akademie angehörenden Geheimen Ober - Regierungs - Rath Jordan, der Geheime Ober-Regierungs-Rath Naumann und der Geheime Regierungs-Rath Köpke erschienen; die Technishe Hochschule war durh den Prorector Professor Neuleaux, das Kunstgeroerbe durch den Director Grunow vertreten. Auch der Direckor der Charité, General: Arzt Dr. Mehlhausen war erschienen. Der Saal war mit einem distinguirten Publicum dicht gefüllt. Kurz nach 11 Uhr begann der feierlihe Act mit dem vom Professor Max Bruch componirten Festgesang nah Worten der heiligen Schrift, der von der Hochschule für Musik unter Leitung des Professors Joachim vorgetragen wurde. Nach dem in mächtigen Accorden ausklingenden Gesang nahm der Geheime P nge Rath Professor Johannes Ogen das Wort zu folgender Kirchenbau des

(IX. Jahrhunderts in Deutschland:

__ Hochgeehrte Festversammlung! Ein Jahr wieder ist vergangen, seitdem wir an dieser Stätte festlih uns versammelten, um den Tag zu feiern, der seit der Wiedergeburt des Deutschen Neichs allen Deutschen ein theurer is. Ein Jahr des Friedens, ein Jahr der friedlich emsigen Arbeit liegt wiederum hinter uns, und mit warmem Dank E wir das Weihnachtsgeschenk des neuen wirthschaftlichen Friedensbundes, welhes die hohe politische Weisheit unseres Kaisers. seinen Deutschen unter den deutschen Weihnachts- baum gelegt hat. Wie die Herbstwolken am unheilvollsten drohten, wié sie gewitterschwer uoch vor kurzem auf das Gemüth von Millionen lasteten, da hat das Weihnachtsfest Kaiserwetter p und mit ihm Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft. Für ein Jahr voller Sorgen und voll redklicher Arbeit haben wir von neuem heute unserem Kaijer und Herrn von Herzen zu danken. An dem Dank in Thaten der Väter würdig wollen tir, wenn er rufen sollte es niht “fehlen lassen; unser heutiger

regierende j

- von

Dank iu Worten möge Jhm als Aungebinde sagen, wie nihts verloren is, was Sein frommer Sinn und Sein tiefer sittliher Ernst für das Volk denkt und thut, und wie wir uns eins fühlen mit Ihm im Wollen des Guten und Edlen für alle Zeit. Nicht nur aber hohe Thaten weiser Politik die ja unserem Künstlerleben ferner stehen sind es, welche die Fürsten ehren und ihre Namen mit goldenen Lettern in die Tafeln der Ge- schichte schreiben, auch die stille ernste Sorge um das Gedeihen der sittlihen Mächte im Volke hinterläßt Denkmäler der Könige den tommenden Geschlehtern, und auch hier ist ein warmer Dank zu erstatten.

Nie, fo lange Berlin steht, ist auch nur annähernd so viel für die Befriedigung des kirchlichen Bedürfnisses geschehen, wie in unseren Tagen, und selbst in der Geschichte unseres doch so arbeitsfrohen Königsgeschlechts giebt es wenig friedliche Thaten, deren Nothwendig- keit, cinmal crfannt, cnergievoller zur Durchführung gelangt wären. Die gewaltigen Aufgaben und Sorgen der Confolidirung des Deutschen Reichs hatten die Gesichtspunkte des Bedürfnisses für das kirchliche Leben der unaufhaltsam wachsenden Hauptstadt in den Hintergrund drängen müsen, und erst dem kraftvollen Enkel und Sohn ift vergönnt auszuführen was schon die hochseligen unvergeßlichen Kaiser Wilhelm und Friedrich als heilige Pflicht empfanden Berlin der kirchlihen Verwilderung zu entziehen. Aber nicht Berlin allein \teht in einer Periode kirck)- licher Baukunst, wie sie seit dem Mittelalter unerhört war, auh in allen anderen aufblühenden Städten des Deutschen Meichs sehen wir ähnliche Erscheinungen. Allerdings bilden in unserer Zeit uicht wie im Alterthum und im Mittelalter die Cultusbauten den eigentlichen Pulsschlag des Cultur- lebens, bescheiden stehen jie an Werth und äußerer Erscheinung zurü gegen andere gewaltige Schöpfungen der modernen Zeit, aber größer wie ihr Umfang und ihr matexieller Werth ist ihre sittliche unfd moralische Bedeutung. Es lohnt sih daher wohl auch, die künstlerisckche Bewegung, welche sich in ihr kund giebt, zu betrahten und deren Zufanunenhang mit den treibenden Kräften der- Religtons- anschauung klar zu legen. Freilich hat es Bedenken, über künstlerische Bewegungen zu urtheilen, in denen wir selbst noch leben; andererseits aber ist cs au nüßlich, stille zu halten und sich bei wichtigen Abschnitten einmal Rechenschaft über die Wege abzulegen, welche durchlaufen siud, und die, welche noch vor uns liegen. - Unsere alte chrwürdige Akademie der Künste hat von ihrem Schöpfer ja den s{chönen Beruf erhalten, die Elemente um sich zu sammeln, welche theils selbst Träger des Kunstlebens sind, theils dasselbe beobachten, leiten und führen sollen, und es ist cine s{chöne Sitte, hier an der Stätte der Kunst wie in den Tempeln der Wissenschaft und der Technik an den Geburtstagen unserer Könige öffentlich Zeugniß von dieser Thätigkeit abzulegen. i

Nicht in {wülstigen Lobreden feiert der Preuße die Schövfer und Erhalter seiner staatlichen Existenz, er folgt nur den erhabenen Beispielen seiner Könige, wenn er auch in der Feier pflihttrzu arbeitet, und er darf sicher darauf rechnen, in dieser seiner Art der Huldigung verstanden und gewürdigt ¿zu werden. Die Arbeit der bildenden Kunst ist eine stille und entzieht sih dem Gewühl und dem Verständniß der Menge, und wena hier an dieser Stelle alljährlich einmal von diesem stillen Walten ein Bild entrollt wird, so zeigt dasselbe immer nur eine kleine Seite des reihen Kosmos innerlichen Lebens, welches die Gesammtkunst führt, auch dann führt, wenn man glaubt, sie stände ill oder bewege si rücckwärts. Weder in der außerlihen organischen Natur, noch in dem nicht minder organischen geistigen Leben giebt es - eincn Stillstand noch einen Nückschritt. Jn der geistigen wie in der körperlichen Welt sehen wir zwar ein Knespen, ein Erblühen, ein Altern und ein Absterben, aber stets ist die Abwärtsbewegung begleitet von neuen hoffnungsreichen jungen Gebilden, welche so ‘oder so aus der Ver- gangenheit auch der cbsterbenden Vergangenheit Nuten und neues Leben erwerben. (ine gewaltige und große derartige Ver- gangenheit hat die ehrwürdige und machtvolle NKeligions\{öpfung Des Katholizismus auch auf den Gebiete kirhliher Kunst. Die Bauten halten Schritt mit der - gesammten geistigen Bewegung und änd ihren Impulsen gefolgt, ja sie haben ihr Impulse gegeben, und weun das X1X. Jahrhundert im katholischen Kirchenbau auch keine großen grundlegenden Umwälzungen erzeugt hat und erzeugen konnte, so hat dasfelbe die geistigen Strömungen doch zweifellos richtig darakterisirt bis auf unsere Tage. Hier stehen wir vor einer fest - gefügten Tradition, und die Klarheit. des Wollens spricht sich sicher und zielbewußt au in den Bauten aus. Wie ganz anders im Ciltusbau der Protestanten, ciner geistigen Bewegung von fast reyu- blikanishem Charakter und mit allen Vorzügen, und Schwächen einer solchen behaftet. Luther selbst, bis an seinen Tod aufs äußerste durch Fragen des Bekenutnisses und des geistigen Lebens der neuen Ge- meinden in Anspruch genommen, konnte wenig Kraft und Zeit der ?ünstlerischen Gestaltung des protestantishen Gotteshauses widmen. Auch war er Franciscaner und kein kunstgeübter Benedictiner und, wie er selbst in Bescheidenheit A von geringer allgemeiner Bildung. Künstlerisch \{övférische Impulse, wie von den feingebildeten, kunst- sinnigen, katholischen D H des Mittelalters konnten nicht wohl von ihm ausgehen. Die reichen Mittel der aufgehobenen geistlichen Institute waren gute Beute der weltlichen Mächte geworden, für die kirchliche Kunst der neuen Zeit aber waren sie verloren. Es kam der schon bei Lebzeiten Luthers beginnende, später stark auftretende Meinungs- streit über dogmatische und rituelle Fragen selbst innerhalb der eigent- lich lutherischen Kirche hinzu, um jede feste Basis zu zerstören, von welcher aus die bildende Kunst formenschaffende Hebel ansetßen konnte. Endlich noch der Umstand, daß in den überwiegenden Fällen die ver- lassenen fatholischen Kirchengebäude zur Verfügung standen und aus Noth, wie sie nun waren, in Benußung genommen werden mußten, fkonute auf die Gewinnung jelbständiger protestantisher Kunstwerke nur hindernd wirken. Das Einzige, was als allgemein anerkannt übrig blieb“ war die ver- größerte Bedeutung der Predigt und des Gémeind ages un übrigen gingen {hon innerhalb einer Neligionsgenossenschaft die Wege auseinander, um sich zwischen Reformirten und Lutheranern völlig zu scheiden. Für die Entwickelung des lut herischen Cultus- baues war es daher verhängnißvoll, daß die beibehaltene besondere Gliederung der Abendmahlsgemeinde in den großen Chören der katholischen Kirchen einen Play faud, und sich hierdurch von der anderen der Predigtgemeinde schied. Diese also zuerst aus Anlehnung an die vorhandenen Kirchengebäude entstandene Gewohnheit wurde allmählih zur festen itte und ist bis heute in lutherischen Kirchen Tradition geblieben. Die Kanzel wurde, damit der Prediger besser verstanden werdea kcnnte, in den meist akustish shlechten Bauten weit vorgeschoben, oft seitlih an cinen Pfeiler gelehnt, einen Theil der Gemeinde an die Seite ja selbst in den Rücken gestellt. Die Orgel und der Orgelchor blieben dem Chor gegenübex in und vor der Thurmhalle placirt und auch diese den vorhandenen Verhältnissen Ae nordnung, welche Orgelklänge und Chorgesang in den Rücken der een Gemeinde brinat hat sich zu einer festen Ueberlieferung entwickelt.

Nicht viel anders war das Verhältniß in den reformirt ge- wordenen katholischen Kirchen; einmal jedo war der Vorgang hier niht zu häufig, wie in den weiten Gebieten des gleichmäßig luthe- rischen Nordens dann aber wurde do nur ausnahmsweise der Chor zur Feier des Abendmahls oder zu besonderen gottes- dienstlichen Handlungen beuußt —- öfter dagegen zur Pla- cirung der Orgel und des Sängerchors verwendet. Auch in rein - künstlerisch formaler Hinsicht wirkte der Zwang der Umstände entscheidend auf die Gestaltung der Kirhengebäude ein. DieLutheraner, mit ihrer hon von Luther selbst gepflegten sinnlich frischeren Lebensanschauung, fühlten sih in den malerischen timmungs- vollen Kirchen des Mittelalters wohl; ein Theil des alten Geistes, die Freude an Monumentalität des Naumes, an arbe und Sdmuck der Wände und Fenster, ging unvermerkt in das Si tishe Bewußtsein über und bildete die Basis der Neublüthe dieses Jahrhunderts. Die Reformirten mit ihrem weit germger Besitz e Tatholischer Kirchen waren wenigstens zum großen Theil

strengerer ascetischer Anschauung, verfielen zwar nicht dieser

Einwirkung, sie bewiefeu aber au in feiner vedeutungsvollen Weise anders denn negativ in fkünstlerishem Sinne gestal- tende. Kraft. Zu einer bewußten und beabsichtigten Mitwir- fung der Kunst im religiösen Leben kam es weder hier noch dort und eine der s{wersten und folgenreihsten Unterlassungssünden der Reformation ist dieses negative Verhalten gegenüber einer sittlichen Macht im Leben der Völker, welche, wie die Kunst, von jeher eine entscheidende Rolle gespielt hat. Wie ganz verschieden davon verhielt fich hierzu der katholishe Cultus und wie ließ dieser niemals aus den Augen, daß die Religion ins menschliche Herz auf tausend Wegen und in tausend Formen Einzug halten kann, und daß die Kunst durch Gott der Menschheit verliehen ist, damit sie ihn auch in dieser edelsten Blüthe erkenne und anbete. Diese Vernachlässigung und felbst Ablehnung der Mitwirkung fünstlerisher Mächte seitens der Reformation geschah nicht aus Abneigung gegen diese, sondern theils aus taktishen Gründen um den Gegensaß zu betonen und die Scheidungslinie s{härfer zu ziehen theils aus einem Es geistigen Hochmuth auf die Wirkung des Wortes allein. Endlich zum größten Theile wohl, weil der Bildung der protestantischen Geistlichkeit lange Zeit das ästhetische Moment völlig fern blieb, diese also im allgemeinen weder Verständniß dafür hatte, noh das Bedürfniß zur Mitwirkung der Kunst empfand. Alle diese Momente muß man be- rüdcksichtigen, wenn man die Entwickelung der protestantisch-kirhlihen Baukunst vom 16. Jahrhundert bis auf unsere Tage richtig verstehen und würdigen will. Geschichtlich gliedert sich dieselbe daher natur- gemäß weniger Üübersichtlih, wie die Geschichte der Baukunst des

Mittelalters. Im großen und ganzen aber darf man sagen, daß das 16. Jahrhundert auf dem Gebiete kirchlicher Kunst im protestan- tishen Geiste in Neuschöpfungen wenig geleistet hat. Die in formaler Beziehung bedeutendsten Werke, z. B. die Marien-Kirche zu Wolfenbüttel, die Schloß-Kirche zu Fredricksborg u. A. zeigen, wie in dem Coustructionsprincip, fo au im Grundriß îm wesentlichen noch die Grundzüge des Mittelalters ; von einem Betonen der eigenthüm- lichen Bedingnisse der protestantischen Predigt -Kirche ist bei ihnen kaum die Nede. Eine Ausnahme bildet höchstens die von der Schloßkapelle zu Torgau die 1544 als einer der ersten protestantischen Neubauten von Luther selbst geweiht wurde ausgehende Bewegung in den sächsischen Landen, welche durch die Hineinziehung des Naumes zwischen den Strebepfeilern und deren innere Verbindung zu den ersten durch- geführten Emporen-Anlagen führte, also zu einer wirklich protestantischen Neuschöpfung. Das siebzehnte Jahrhundert krankt sv schwer an den directen Einwirkungen und an den Nachwehen des großen Krieges, daß die gesammte Kraft des protestanttsh gebliebenen Volkes auf die nothdürftigsten Wiederherstellungen, wie der Städte so der Kirchen gerichtet sein mußte, und erst das Ende des für Deutschland fo verhängnißvollen Jahrhunderts beginnt wiederum Spuren neuer Schaffenskraft auf dem Gebiete kirhliher Kunst zu zeitigen."

Die Verwilderung und Verkümmerung des gesammten deutschen Culturlebens während des großen Krieges spricht sich aber in diesen Bauten aus, welche, auch formell wesentlich von ausländischen Einflüssen abhängig, in ihren Constructionen große Befangenheit zeigen und eben so von den frischen Arbeiten des vorigen Jahrhunderts \ih unter- scheiden, wie das geistige Leben dieser Periode überhaupt von dem zu Luthers uud Zwingli's Zeiten. Dieser Einfluß fremden Geistes und das nothdürftige Erfüllen praktisher Bedürfnisse geht bis in das leßte Viertel des Jahrhunderts fort, und wiederum ist cs eine geistig religiöse Bewegung, die des Pietismus, welcher wohl, wenn auh ohne Absicht, die Anregung zu neuen selbständigeren künstlerischen Thaten zugeschrieben werden muß. Diese nehmen üm 18. Jahrhundert sogar den Anlauf zu einer wissenschaftlich kunstphilofophishen Begründung, die uns allerdings mertwürdig an- muthet, aber hierbei auf dem Gebiet der Kunst nur das wiederholt, was auf ailen wissenschaftlichen Lehrstühlen der Universitäten Sitte oder Unfsitte war: die Erseßung frischer gemüthvoller und künstlerischer Impulse N scharfsinnige, nüchterne und spitzfindige Definitionen.

__ Werthvoller wie diese theoretischen Erfindungen eines Goldmann und eines Sturm, waren die baulichen Werke dieses Jahrhunderts, und hier sind venn auch, getragen von großen Talenten, wirkliche künstle- A bedeutende Thaten im Geiste protestantisch kirhlicher Kunst ge- schehen. Wie der Name Audreas Schlüter im Profanbau, so bedeuten die von Georg Bähr mit der Frauen-Kirhe zu Dresden (1726 bis 40), Sonnin mit der großen Michaelis-Kirche zu Hamburg (1751 bis 62) für immer in der Geschichte des protestantischen Kirchen- baues ruhmvolle Thaten, und wenn diese Bauwerke auch im Lichte unserer im Kirchenbau leider zu nüchternem Nechnen veru- theilten Zeit nit als Muster guter Disposition gelten können, so sind sie doch im 18. Jahrhundert Werke von hohem Werth und großem Einfluß, die von einerbreiten Zahl von Neuschöpfungen geringeren Nanges begleitet wurden. Nun ätte inan glauben sollen, daß dieser Vor ang, der doch einen wußten und entschiedenen Schritt in der Entwickelung E Grundrisse bedeutet, sih auch in der nächsten Welle künstlerischer Architecturbewegung erhalten uud diese mächtig beeinflußt hätte. Dies war indessen nicht der Fall und es muß leider als Beweis für die geringe Kraft des protestantishen Geistes auf dem Gebiet der Kunst angesehen werden, oder für das geringe Verständniß und den geringen Einfluß der geistlihen Leiter und Führer desselben zeugen, daß die ganze yvrotestantisch - kirhlich - bauliche Errungenschaft des 18. Jahrhunderts zunächst in einer retu künstlerischen Bewegung ersticken sollte, die an fich mit dem Protestantismus uur einen losen oder gar keinen Zusammen- hang besaß. Es war die Romantik, der bestimmt war, die nächste Zeit in dex firhlichen Kunst zu beherrshen. Hervorgegangen aller- dings auch aus einer Protestation und zunächst rein literarischer Natur, zog sie schr bald die bildende Kunst in ihren Dienst und zu ihrer Bitarbeiterschaft heran, und nachdem sie als literarishe Bewegung zu Grabe ging, blühte sie in den fkirhlihen Bauten des XIX. Jahr- hunderts weiter, bis auf den beutigen Tag.

Woran aber konnte die geistige Bewegung der Romantik in der bi [denden Kunst anders anknüpfen, den nan die hinterlassenen alten Münster und Burgen des Mittelalters? Während dreier Jahr- hunderte waren sie verachtet und als Zeugen barbarischer Geschmas- verirrung ihrem Schicksal und dem Verfall überlassen geblieben. Den durch die Literatur vorbereiteten Gemüthern erschienen sie nun plößlich wie Entdeckungen aus ‘einer wunderbaren, halb vergessenen Welt. Man begann fie zu studiren, aufzumessen und zu zeichnen, man suchte ihren Verfall aufzuhalten und Ga ave nothgedrungen bei Er- geuerungen sih tiefer in den Geist ihrer Formenwelt hineinleben. mmer höher stieg die Bewunderung des reihen Geisteslebens, der herrlih entwickelten Technik, der kühnen Con: ssttru cktion und der unglaublihen Fülle und Mannigfaltigkeit der künstlerischen Formen. Boten die alke Welt und die Antike zwar wunderbar abgeklärte fest krystallisirte Gestaltungen, an deren Vollen- dung viele Generationen sih bemüht, so bot hier fast jede Kirche das Vild eines künstlerischen Lebensfrühlings, indem jedes Blatt, jedes Capitäl, jeder Fries und jede sonstige Form ein eigenes frohes Dasein verkündete, in einer Sprache, die auf heimischen Blattformen be- gründet, ganz anders wie der fcemde Akanthus zum LOU des be- geistert erregten Volkes spra. Es war natürlich, da aum ein her- E Geist sih der machtyollen Wirkung - dieser Entdeckung entziehen konnte 1ch darf an- Gocthe’s Straßburger Periode er- innern am wenigsten aber das Volk der Künstler, das be- geisterungsfähig und vell Hunger nah frischen Impulsen, ih der quen rrungenshaft mit Feuereifer bemächtigte. Jn diesem ausche künstlerischen Empfindens waren die nüchternen practischen y S en des vorigen Jahrhunderts und ihre Grundrisse rotestanttscher Kirchen total vergessen. Es mußte ein langer 9 eg purchlaufen werden, bevor auch diese vollbere tigte Seite der ette antishen Baukunst wieder hervortrat, und es wird der Arbeit u N Generationen bedlicfen, L fich ju bedeutenden Thaten flage n Geist der neuen ‘Epoche endgültig verbunden hai. Wir be-. Ce B les niht, wir u en heute, daß nichts verloren ist, was an Bed aum des künstleri en Lebens reift, und wir sehen daher ohne B en a die lange leihe von befangenen Versuchen, die hinter

uh wohl vor uns liegen, in der sicheren Hoffnung, daß es der

deutschen Geistesfraft gelingen wird das, was wir erstreben, zur Neife und zur Volleudung zu bringen.

Die geschilderte romantische Bewegung mußte naturgemäß sich auch in den Neuschöpfungen protestantisch-kirhlicher Kunst ausdrücken, sie mußte im Anschluß an hervorragende Künstler und Lehrer zu Schulen führen und je nah Begabung und Richtung jener eine andere Gestalt annehmen. Gemeinsam aber war ibnen allen das Anlehnen an Vorbilder von Kirchenbauten des Mittelalters, sie mochten nun in Jtalien, Frankreich, England oder Deutschland stehen. In jeder solchen neuen Kunstepohe ist es nun zunächst der Kampf mit dem Erkennen und dem Erfassen der Form der Ueberlieferung, welche die Gemüther gefangen nimmt. Jede neue Zeit sieht die Kunstformen einer vergangenen anders, zeichnet sie andecs und bildet sie anders nah, und es bedurfte langer Uebung, vieler mißglükter kümmerlicher Versuche, um erst annähernd wieder die lebensvollen Formen des Mittelalters na bilden zu können, geshweige denn neue zu schaffen. Auf alle Fälle ging das ganze künstlerische Streben zunächst in dieser Richtung, man war stolz, eine protestantische Kirche in historisch echten Formen herstellen zu können ; danach, ob sie onft protestantischen Geistes sei, ob ihr Grundriß fatholische oder pro- testantishe Gedanken enthielt, fragte der Künstler wenig, der Geist- liche und die Gemeinde zunächst meist garnicht. Erst nahdem die unklare Schwärmerei der Romantik der klaren Erkenntniß der gesunden Kerne derselben in der Baukunst Platz gemacht, erst nachdem neue Formenströmungen aufgekommen, in Kampf und Abklärung mit der mittelalterlichen getreten waren, kamen auch neue Erwägungen und andere Fragen als die nah Stilreinheit und Stilberechtigung in den Vordergrund. Wesentlih war auh hier die Erkenntniß praktis zwingend aufgetreten, daß die übernommenen Grundrisse und räumlichen Entwickelungen ak usti\cch üble Folgen hatten, welche die Baumeister und)die dabei stark!interessirte Geistlichke:.t bewogen, ' andere Gestaltungen zu versuhen und gut zu heißen, welche mehr und mehr das Streben zum Ausdruck brachten, praktishe Predigtkirhen zu schaffen, d. h. die Gemeinde möglihs eng um den Prediger zu gruppiren. A erfaßt von dieser geschilderten allgemeinen Be- wegung wie die lutherishe Kirhe wurde die reformirte. Diese. in starker Abneigung gegen allen sinnfälligen und im fatho- lischen Sinne auf Stimmung dinarbeitenben Schmuck der Kirchengebäude, verfiel in das unschöne Extrem der erschrecklichen Nüchternheit; kaum aus bewußter Absicht oder aus Feindschaft gegen die Kunst überhaupt, sondern aus dem Jnstinct der Selbsterhaltung, um uicht Schritt für Schritt hineingedrängt zu werden in kirchliche ¿Formen, die die reformirte Kirhe nicht als protestantische erkennen wollte und die es in der That a1ch kaum waren.

Uebersehen wir das praktishe Ergebniß der fo geschilderten Be-

wegung protestautisch-kirhlicher Baukunst diescs Jahrhunderts, fo schen wir in den ersten fünfzig Jahren derselben die Stilbegeisterung und den Stilstreit alles Uebrige beherrschen. In der überwältigenden Mehrzahl der Fälle geht der Bau der protestantischen Kirchen in mittelalterlichen Formen vor sich und {ließt ps um so enger an die überlicferten katholischen Grundrisse an, je mehr die Schöpfung aus einer geshlossenen Kunstschule stammt. Da, wo dies weniger der Fall, wie z. B. hier in Berlin, stellen sich die Ergeb- nisse, rein vom Standpunkt der protestantischen Predigtkirche aus betrachtet, günstiger, allerdings oft auf Kosten der Monumentalität und des tünstlerischen Werthes. Nach dieser ersten Periode beginnt allmählich ein Umschwung der Grundriß wird zusammengedrängter, die Centralanlage betonter, oder andererseits die Saalkirhe des 18. Jahrhunderts mit dem Chorraum versehen im Geiste mittel- alterlicher Formenbildung von neuem aufgenommen. Aus practischen Gründen wird wohl auc; dem Hauptschiff, gegenüber der seitlih ge- stellten Kanzel einseitig ein Seitenschiff angelegt oder seltener der Versuch unternommen, zwei gleihwerthige Schiffe hallenartig zu- sammen zu fügen. Allen lutherish protestantishen Bauten ge- meinsam war die von der zu Anfang geschilderten Gewohnheit be- günstigte Bildung einer besonderen Abendmahlskirche als Chor: fast allen, die der seitlich an den Eingang des -Chores gelegten Kanzel und die der im Rücken der Gemeinde placirten Orgel und Sängerbühne.

Von der bedeutsamen geistigen Schcpfung des 19. Jahrhunderts, welche der friedliche und fromme Geist unseres Königshauses ins Leben rief, der Boote sand Union dürfte ein künstlerischer Einfluß bislang kaum nachzuweisen sein. Die Kirchen unirter Ge- meinden reformirten Ursprungs tragen wesentlih den Charakter der kÉräftigeren Strömung lutherishen Bekenutuisses die Formen der [lutherishen Gotteshäuser werden durch den Eintritt der Reformirten in den Bund nicht berührt.

___ Erst die neueste Zeit erzeugt auf vem Boden kirhlih regen Lebens auch neue Wünsche in baulicher Richtung. Jn den unirten Gemeinden reformirten Ursprungs im Rheinland beginnt eine starke Bewegung auf absoluten Bruch mit jeder an katholische O formen erinnernden Planbildung und Erstrebung einer die protestan- tishen Grundgedanken \ymbolisch direct darstellenden Gesammtform. Als folche Grundgedanken werden vor allen Dincen aufgestellt: Das allgemeine Priesterthum in der protestantischen. Kirche und damit die Einheitlichkeit der Gemeinde, daher die Herstellung eines Ge- sammtraumes und die Vermeidung von Choranbau undSch iffen. Die Abendmahlsfeier als eine Gesammtfeier und dernentsarahend Stellung ihres Mittelpunkts, des Altars, inmitten der Gemeinde. Die Gleichberehtigung, ja Bevorzugung der Kanzel, wegen ihrer geistig bedeutungsvollen Bestimmung und die Erhebung von Chorgefang und Orgelspiel zu ähnlich bedeutenden Factoren des Gottesdienstes, daher Stellung derselben ange*ihchts der feiernden Gemeinde. Die geistigen Leiter reformirt gebliebener Gemeinden scheinen im allgemeinen dieser Bewegung beizutreten und verwahren sich gegen Kunitfeindschaft, diese sci nur Abneigung gegen Aneignung der der fatholischen Kirche entnommenen Aude Gewinnen diese skizzirten Bewegungen Dauer und festere Ge talt und gelingt es, sie in mustergültigen Bauten zu verkörpern, so is es niht aus- geschlossen, das wir vor çiner Umwandlung der Bildungs- formen protestantischer Kirchen stehen, welhe, von den unirten Gemeinden reformirten Ursprungs ausgehend, ihren Einfluß auch auf den lutherischen Kirchenhau nicht verfehlen wird. Wie in der gesammten modernen Architektur, ist auch im Kirchenbau die Stilfrage heute keine Kampf ‘age mehr. Längst haben wir erkannt, daß einer neuen modernen Zeit sih kein Stil octroyiren läßt und in dem scheinbar verzweifelten Durcheinander formaler Stil- \trömungen, die auf dem Boden der ausgedehntesten Photographie- Literatur wuchernd emporschießen, giebt es feste hoffnungsreiche Punkte enug, an denen man das Walten unserer eigenen Zeit klar zu er- ennen vermag. Bis heute ist das Gebiet kirchlicher Kunst noch mit vershwindenden Ausnahmen, die dann niht der Jnitiative der Ge- meinden entsprießen, sondern anderen Gewalten folgen, der mittel- alterlihen Kunstform unterworfen. Alle Epochen derselbeu sind zu ihrem Recht ‘gekommen und im allgemeinen ist der durchlaufene Weg der umgekehrte wieder geschichtlihe Gang des Mittelalters, sodaß heute die bedeutendsten neuen Werke spät romanischer Bauweise sich anschließen. Ob diese Thatsache ein Product der Gewöhnung durch die vor Augen liegende Hinterlassenshaft des Mittelalters. ist, ob ein tieferer Instinct des Volkes in den Formen dieser Kunst mehr sucht und mehr findet als in der reinen Aeußerlihkeit .n a mittelalterlicher Gebilde wer vermöchte es zu sagen? Jedenfalls aber erkennen wir, daß je breiter die Phalanx der Künstler wird, die sich diesen Aufgaben mit innerlihem Berufe widmen, je größer die Bethätigung auf diesem Gebiete fkirhlicher Kunst uh gestaltet, um so selbständiger im besten Sinne moderner, d. h. directer den Zielen angepaßt wird Anordnung und Formensprahe, und neue VBildungsgeseße entstehen auch heute aus den befruchtenden Gedanken, die in der Kunst unserer Väter , s{lummern. Ist dies aber der Fall, so haben wir Ursache, dem Schicksal dankbar zu sein, daß wir in einer Periode so frisher Impulse leben. Wir haben aber auch vor allen Dingeu - dankbar zu sein der landesväterlihen Fürsorge unseres Allergnädigsten „Kaisers und Königs, sowie der hingebenden Treue der Kaiserin, daß diesem

(e erien Schaffen Raum und realer Boden ver- schafft ift.

__ Dem festen Willen auf der einen Seite und der liebevoll frommen Hingebung auf der anderen verdankt es Berlin allein, daß nicht weniger denn 25 Prorctantis@le Kirchen im Bau und Vor- Ferne sich befinden, vielleiht die größte Zahl von Cultusbauten eines Bekenntnisses, die je in einer Stadt gleichzeitig errihtet worden sind. 25 Kirchen! was sind diefe threm materiellen Werthe nah? Ein Panzerschiff, eine große Brücke, ein Bahnhof verslingen größere Summen. Während - aber diese Dinge Producte eiserner staatliher Nothwendigkeit oder kaufmännisher und volks- wirthschaftlicher Unternehmung sind, deren Millionen auch materiell Früchte tragen, so bedeuten diefe 25 Berliner Kirchen einen Beweis von der auch heute vorhandenen hell brennenden Flamme eto Gefühls, welches, wenn au oft von den Shlacken der Gleichgültigkeit verdeckt, nur des belebenden Hauches bedarf, um herzerwärmend und hoffnungsreih für Millionen zu leuchten, auch dann noch zu leuten, wenn irdishes Streben und irdische Hoffnungen zu Grabe getragen sind.

Dem Volke muß die Religion erhalten bleiben! Dies diamantene Wort des großen Kaisers, der, wie in den meiften tiefen Lebensfragen, so auch hierin aussprah, was er in die Seele feines Volkes hinein empfand, der kraftvolle Enkel, unser hoher Kaiserlicher Herr, Er löst es ein, soweit Er es vermag.

An uns ist es nun, der ehrenvollen Mitarbeiterschaft uns werth

zu zeigen an uns Künstlern, dafür zu sorgen, daß unser groß- müthiger Bauherr den Lohn empfängt, den Sein fürforgendes Wirken und Seine thätige Liebe verdienen. Die Freude am schönen Gelingen, die Liebe, sie giebt und nimmt, ihr Wesen baut sih auf auf dem Drange wohlzuthun und hinzugeben. So auch hat sih das erlauchte Haus der Hohenzollern in schweren und in guten Zeiten voll Liebe für sein Volk erwiesen. Wer aber Liebe säet, er wird sie ernten, und daher sehen wir Preußen mit Stolz und mit Rührung, wie an jedem Namenstage unseres Königs die Herzen hoh aufsclagen, um das einzige Geschenk darzu- bringen, was sie haben, aber auch ein föstlihes Geschenk ein Volkesherz voll Treue und dankbarer Liebe. _ Hochgeehrte Festversammlung! Wix fühlen in solchen feierlichen Stunden eines Herzens Schlag, und uns Allen drängt sich unwillkürlich der Nuf auf die Lippen: Doch lebe unser Allergnädigster Kaiser und König!

Den Schluß der Feier bildete der Vortrag einer Ouverture von Beethoven.

Die Thierärztlihe Hochshule feierte heute das (Geburtsfest unter der Leitung des Rectors Professors Dr. Dieckerhoff mit einem Festact in der reih geshmückten Aula, welchem der Geheime Ober-Regierungs-Rath Beyer, der Jn- specteur des Militär-Veterinärwesens Oberst-Lieutenant Freiherr von Werthern, Professor Wittma als Prorector der Landwirth- schaftlichen Hochschule und Andere beiwohnten. Um die Redner- tribüne hatten sih der Ausshuß der Studirenden in vollem Wichs mit dem Banner der Hochschule sowie die Chargirten sämmtlicher Verbindungen mit ihren Fahnen aufgestellt. Ein- geleitet wurde der Festact mit dem Choral: „Lobe den E vorgetragen von einem Doppel-Quartett des Königlichen Opern- Chors. Die Festrede hielt Professor Dr. Schmal über die A ra der Anatomie und ihre Beziehungen zur Entwickelung der Thierheilkunde. Nach einer an die studirende Jugend gerichteten Ansprache über die Be- deutung der Feier entrollte der Redner in kurzen Zügen ein anschaulihes Bild von der Geschichte der anatomischen Wissenschaft. Am Schluß hob er mit patriotischer Wärme die Fürsorge der preußishen Könige für die wissenschaftliche ¿Forschung und die akademischen Studien hervor. Jn das hierauf ausgebrahte Hoch _auf Seine Majestät den Kaiser stimmte die große Festversammlung mit Begeisterung ein. Mit dem Vortrage des von Grell componirten Liedes: „An den König“ shloß die Feier.

Auch in den Schulen wurde der Tag durch festliche Veranstaltungen, durh Festreden über die Bedeutung des Tages, durch patriotische Gesänge, durch Declamationen und in einzelnen Schulen auch dur Schauturnen und dramatische Festspiele gefeiert.

Die Zeitungen widmen dem Tage festlihe Betrach- tungen. So schreibt das „Militär-Wochenblatt“: __ Heil dem Kaiser! fo tönt es heut durch alle Gaue Deutschlands, so tônt es herüber aus fremden Landen, wo immer echte deutsche Männer fich zusammenfinden. Heil wünschen wir dem Kaiser, Heil erwarten wir vou Ihm. Unermüdlih ist Er für das Wohl des Vaterlandes thätig, überall sieht Er Selbst nah dem Rechten. -Ein Vorbild in strengsten Anforderungen an Sich Selbst, in Ueberwindung von Mübfal und Strapazen; voller Aufmerksamkeit für jede Einze[heit des Dienstes und der Dienstausbildung, ist die Kriegs- tüchtigkeit der Armee das standhafte Ziel Seiner Gedanken, damit sie als schneidige Waffe dem Vaterlande zu Schuß und Truß allzeit diene. Als echter Hohenzoller is Er auch der erste Soldat: „ein- gedenk dessen, daß die Augen Meiner Vorfahren aus jener Welt auf Mich herniedersehen“. Mancher Valadin aus der Heldenschaar des unvergeßlichen Kaisers Wilhelm T. und des Kronprinzlichen Feldherrn, des Kaisers Friedrich, ist zur großen Armee droben abberufen worden. Der greife Schlachtenlenker Moltke, der langjährige Kriegs - Minister und treue Berather dreier Kaiser, General Bronsart von Scellendorf wurden im vergangenen Fahre dem Heere dur den Tod entrissen; mancher treue und erprobte Führer ist nad) verdienstlih vollendeter Arbeit zurückgetreten. Aber die Auf- gaben bleiben bestehen und rufen uns zu rüstiger Arbeit; wir dürfen nicht rasten, nit rosten. Wir sind stolz auf das leuchtende Beispiel unseres Kaisers: Er weist uns die Wege, noch hat's keine Noth: Die Armee steht zum Kaiser in Sieg oder Tod!

Ferner lesen wir in der „Norddeutschen Aligemeinen Zeitung “: :

Wie in den vergangenen Jahren, so hat auch in dem gestern : abgelaufenen unser Kaiserlicher Herr, mit nie rastender Frische und Kraft über der Schlagsfertigkeit und Wehrtüchtigkeit des Heeres und der Flotte wachend, den Beziehungen des Vaterlandes nah außen hin durch Sein persönliches Erscheinen und Seine Einwirkung die Se nungen des Friedens und des guten Einvernehmens mit den Nahbar- staaten erhalten. Ebenso hat Er, den auf die Förderung und Ve- festigung der Einrichtungen des inneren Staatslebens und der focialen- Wo (fahrt gerichteten Bestrebungen Seinen Schuß und Seine Theil- nahme zuwendend, vor der Nation gezeigt, in wie hohem Grade Ihn der Drang erfüllt, Preußen und Deutschland auf der vorgezeichneten Bahn stetig fortschreitender Entwickelung zuzuführen.

Deshalb foll die Feier des heutigen Tages vor allem dazu dienen, den monarchischen Sinn unseres Volkes immer mehr zu stärken und zu beleben. Wer die preußishe Geschichte kennt, der vie L es, was wir unseren Königen zu danken haben, und daher wird die Feier eines Tages, wie der heutige, stets der sich von selbs darbietende Anlaß zum dankbaren Nükblick| auf alle die Segnungen, die unser engeres Pru yee Vaterland und nmiï ihm ganz Deutschland von dem Hohen- zollernhause emann hat. J A ad

Der warme Schlag der Herzen unserer Landesherren für die nationale POIaAE und alles mens{chlich Edle und Gute hat iu dem. Herzen des Volks vollen Nahklang gefunden und, ebènso wie Seine Vorfahren, auch Wilhelm 11. diesem nahe gebracht, das zu ihm auf blickt in der freudigen Zuversicht, Er werde ein Mehrer des Reichs