1892 / 28 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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der ganzen Sace, nit aber die Bestreitung von Volksrehten. Diese Rechtéverbältnisse der Contingentsverwaltungen machen es uns einfach unmögli, der von dem Herrn Abg. Dr. Meyer vertretenen Auf- fassung noch weiter entgegen zu fommen, als wir thatsächlich entgegen- gekommen sind, und ih glaube, das müssen Sie anerkennen, so weit wir entgegenkommen fonnten, find wir entgegengekommen, vorausgeseßt immer, daß man si auf den Boden stellt, daß wir von der Rihtig- Feit dieser unserer Auffassung über die Rechte der Contingents- verwaltungen überzeugt find.

Dann bat der Herr Abg. Dr. Pieshel die Frage des Comptabilitätsgesezes zur Sprache gebraht, cine Frage, die au bereits in der Commission zur Erwägung gekommen it. O gestatte mir, in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, daß in der Thronrede bei Eröffnung des preußischen Landtags das C omptabilitäts- geseß für Preußen in Aussicht gestellt ist. Jch brauche kaum hervor- zubeben, daß sich ein Comptabilitätsgeseß gleichzeitig auf beiden Stellen nicht wohl ausarbeiten läßt, und {hon durch den großen Einfluß, den das preußische Etatsreht und die preußishe Etatspraris auch auf das Etatsrecht und die Ctatépraxis des Reichs aus- geübt hat und noch ausübt, wird es gerechtfertigt sein, wenn ich sage, daß das Comptabilitätsgeseß für das Reich jeden- falls dann erst in Angriff wird genommen werden kÉönnen, wenn das preußische vorliegt. Die Sache ist aber in Fluß, und fie wird unausgesezt von uns im Auge behalten, ja fie ist {hon im Flufse gewesen, ehe diese preußishe Anregung erfolgt war. In der That, meine Herren, wenn man si vergegenwärtigt, um was es ih bier handelt, so shrumpft die Frage, wie der Herr Abg. Pieschel sebr richtig bemerft hat, zu einer rein formalen zusammen, und fie thut es noch mehr, wenn man sih vergegenwärtigt, daß es ch um eine Ablehnung der Verantwortlichkeit des Herrn Reichskanzlers hier gar nit handelt.

Nun, meine Herren, ih glaube, ih kann mich auf diese Be- merfungen beschränken. Ih will den Reichstag nicht länger aufhalten mit Dingen, die so viel tausende Mal erörtert Find wie diese. Immer und immer wieder haben wir unfere Erklä- rungen abgegeben, es sind die gegenseitigen Erklärungen einander ent- gegengestellt; aber irgend eine Möglichkeit, zu einem Ausgleich, auch nur zu dem Versu eines Ausgleihs zu kommen, ist bis jeßt nicht hervorgetreten. Ih kann Sie nur auf das dringendste bitten: Machen Sie dem jeßigen Zustand ein Ende! Genehmigen Sie die Anträge Ihrer Rehnungscommission! Sie werden damit uns und dem Reichstag geschäftlih erheblich vorwärts helfen. (Bravo! rechts!)

Abg. Dr. Bachem (Centr.): Der Reichstag sei bei dieser An- gelegenheit in eine Sackgasse gerathen. Er habe für die Rechnungen nit Entlastung ertheilt, sondern Vorbehalte gemacht, denen Nach- druck zu geben er nit im stande sei. Die Reichsregierung beharre auf ihrem Standpunkt. Aus diesem Zustande müsse man heraus- fommen. Der Reichstag könne, das stehe fest, dem Bundesrathe seine Ansicht nicht aufzwingen, der Bundesrath dem Reichstag nit die seinige. És handele fich nicht darum, grundsäßlich die Rechte des Reichstags abzugrenzen, das könne man nicht dur einseitigen Beschluß des Hauses, dazu bedürfe es eines Comptabilitätgeseßes. Von einer Zurückverweisung an die Commission sei nichts zu hoffen. An si halte er die Verwendung von Reichsgeldern auf diese Weise für gänzlich unzulässig; es dürfe Fein deutsches Reichsgeld ausgegeben werden, das nicht vorher im Etat genehmigt sci. E müsse ein Weg gesucht werden, aus dem Dilemma hberauszukommen. Der Vorschlag des Abg. Dr. Meyer fördere nihts; die endgültige Regelung müsse bis zur Emanirung eines Comptabilitätêsgeseßes aufgehoben werden. Dieses s{lummere son seit fünfzehn Jahren und könne schr wohl weitere fünfzehn Fahre {lummern. Darauf könne man also nit warten. Die Com- missionsbeslüsse gäben einen Ausweg, indem sie dem Hause empföhlen, die auf Grund dieser Ordres erfolgten Ausgaben nachträglich zu ge- nehmigen, obwohl die Militärverwaltung ihre Genehmigung nicht nacgejucht habe. Außerdem stehe ja nihts im Wege, daß man den Rechnungshof ersuche, dem Reichstage nah wie vor von den justi- ficirenden Cabinetêordres Mittheilung zu machen. S

Abg. v. Helldorff (conf.) ist auch dafür, die grundsäßliche Frage später zu entscheiden; der Commissionsantrag sei augenblicklich der geeignetste, um über die formale,Schwierigkeit hinweg zu fommen.

Abg. Gröber (Centr.) erwidert dem Abg. Dr. Meyer, daß er die Folgen des Commissionéantrags für die Zukunft nicht übersehen habe: dieselbe Gefahr folge aber auch aus dem Antrage Meyer, denn wenn der Reichskanzler die betreffenden Ordres contrafignire, werde der Rechnungshof diese Fälle nicht zur Kenntniß des Reichstags bringen.

Abg. Rickert (dfr.): Ihm sei das Verhalten des Centrums sehr befremdli, insofern dieses gewillt scheine, dem Standpunkt der Regierung nachzugeben. Windthorst habe seiner Zeit die Frage für so wihtig gehalten, daß er ibre Entscheidung niht übereilt habe. Wolle das Haus wirkli entscheiden, dann möge es au in beschluß- fähiger Anzahl versammelt sein, das sei aber beute niht der Fall. Warum man hier auf das Borgeben Preußens warten solle, das mit Militärre{nungen nichts zu thun habe, verstehe er nicht.

Abg. Dr. Pieschel (nl.): Es handele fi hier ganz einfa um die Beseitigung eines Zweifels; wie man diese auch vornehme, die Ober-Rechnungskammer werde es nicht übel nebmen. Dem Staats- Jecretär danke er für die Zusage der Vorlegung eines Comptabili- tätsgeseßes und frage ihn, ob man der Ober-Rechnungskammer nicht Anweisung geben fonne, dem Reichstag Uebersichten über das vor- Tiegende Material vorzulegen.

Abg. Dr. Meyer- Berlin (dfr.): Die Rechnungëcommission des preußischen Abgeordnetenhauses lade zu ihren Verhandlungen Com- missare des Rechnungshofs ein, und {on damit sie das auch thun Tônne, bitte er um Zurüverweisung der Sache an die Commission. Das Entgegenkommen des Staatssecretärs Habe darin bestanden,

ß er mit freundlihstem Gesicht und größter Liebenêwürdigkeit erflärt

e, er fönne nicht entgegenkommen. (Heiterkeit.) Das Dechargeret fei das nothwendige Gorrelat des Budgetrehts, ohne ersteres wäre das leßtere reine Comödie. Die Ober-Rehnungskammer mache dem Reichstage doch nur Mittheilungen, wenn sie geseßlih dazu gezwungen fei, wenn ihr nämlich eine Geseßesübertretung vorzuliegen scheine, und hier glaube sie eine Verleßung der Art. 17 und 72 der Ver- faffung zu sehen. Gehe der Reichêtag darüber einfach hinweg, fo werde sie eben sagen: „Der Reichstag Tat die Verfassung nicht aus wie die T Malitingalitünner, sondern wie der Bundesrath, habeat

fon sibi“, und werde dem Reichstag in dieser Materie niht wieder kommen. Staatssecretär Dr. Bosse: Fch will nur noch zwei Worte auf die Anfrage des Herrn Abg. Dr. Pieschel antworten wegen der Anweisung an den Rechnungshof. Fch für meine Person bezweifle, daß eine solche Anweisung erlassen

werden fann. Vielleicht aber folgt der Rechnungëshof einem bloßen Ersuchen.

Die Darstellung des Herrn Abg. Dr. Meyer über den Gang der Verhandlungen in der Commission ist rihtig. Ich bin ja in der glück- Tidien Lage, sie danfbar acceptiren zu dürfen, mit der einzigen Ausnahme der freundlichen Bemerkung über meine persönliche Liebenêwürdigkeit, von der ih natürlih nit in derselben Weise durhdrungen bin, wie

Endlich aber muß ich mich doch noch gegen ein Wort des Herrn Abg. Rickert verwahren, welcher sagte, wir sollten uns dem Recht unterwerfen, dann wäre die Sache geshlichtet, dann wäre die Sache zu Ende. Ja, meine Herren, wir sind dem Rechte unter- worfen: bier stehen sich aber zwei Rechtsanschauungen einander gegen- über, und ich glaube nicht, daß der Eine dem Andern fagen fann: unterwerft cu, dann ist die Sache aus! Wir müssen mit derselben Sicherheit wie bisher unsere rehtlichen Anschauungen vertreten, und zwar so lange, bis man uns überzeugt hat, daß wir uns geirrt haben. Diese Ueberzeugung babe ih aber bis jeßt nicht gewonnen. (Bravo! rets.)

Abg. Rickert (dfr.) beantragt darauf die Vertagung und bezweifelt vor der Abstimmung die Beschlußfähigkeit des

au}tes.

9 Ii Auszählung ergiebt die Anwesenheit von nur 108 Mitgliedern, von denen 55 für, 53 gegen die Vertagung stimmen. Das Haus ist nit beschlußfähig und die Verhand- lungen müssen abgebrochen werden.

Schluß 5 Uhr. Nächste Sißzung Mittwoch 1 Uhr. (Vorlage, betreffend die Verlängerung des spanischen Handels- vertrags, Anträge aus dem Hause.)

Haus der Abgeordneten. 9. Sißung vom Sonnabend, 30. Januar.

Der Sizung wohnen der Präsident des Staats: Ministeriums, Reichskanzler Graf von Caprivi und der Bedlig 5 der geistlihen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlitz bei.

Das Haus ehrt zunächst das Andenken des am Morgen verstorbenen Abg. Dr. Mithoff durch Erheben von den Sitzen. __ Darauf wird die erste Berathung des Entwurfs eines Volksshulgeseßes fortgeseßt.

Abg. Stöcker (Cons.): Sonst pflege die erste Lesung eines Entwurfs höchstens drei Tage zu dauern, wie die Schlacht bei Leipzig, diesmal dauere sie schon fast eine Woche, wie die Hunnenschlacht. Es handele \ich bier eben um unüberbrückbare Gegensäße. Die gestrige Debatte habe dies besonders gezeigt. Bei den Vertretern der sreiconservativen Partei vermisse er die volle Würdigung der Kirhe, bei den Vertretern der nationalliberalen Partei die volle Würdigung der Confession, bei den Freisinnigen die volle Würdigung des Christenthums. Zuerst wende er fsih zu dem Abg. von Zedlitz. Er möchte ihm erwidern, daß es nur eine esunde Pädagogik gebe, die christlihe. Er nehme weder in der Kirche noch Sthiule als alleinige Parole die Bekämpfung der Socialdemokratie an. Die Socialdemoëtratie sei ein Product der Sünden unserer Ge- sellschaft. Wenn die antifkirchlichen Tendenzen so weiter wucherten in unserer Gesellschaft und diese sich niht auf einen ganz positiven Standpunkt stelle, dann seien die, welche die vollen Consegquenzen aus dieser anti- religiösen Richtung zögen, weit stärker als die, welche damit halb Scherz halb Ernst machten. Der Abg. von Zedliß meine, die Schule solle besonders das selbständige Denken befördern. Darunter könne man sehr Verschiedenes verstehen. Seiner Meinung nah tönne das nichts anderes beißen, als Kinder bis zu vierzehn Jahren an Sachen zu gewöhnen, die ihnen gegeben worden seien. Es fei unmögli, Kinder in diesem Alter bereits wirkli selbständig zu machen. Die Neligiosität sei das einzige Gebiet, wo auch die Kinder in der Volksschule eine gewisse Selbständigkeit erlangen könnten, Religiosität sei der Punkt, wo der Mensch die ersten Stufen des menschlichen Daseins ersteige. Von einer volksthümlichen Bewegung gegen das Geseß könne feine Rede sein, wie das Herr von Zedliß meine. Freilich, wenn man im Volk Unwahrheiten über das Gesetz verbreite, könne eine gewisse Er- regung entstehen. Heute handele es si nur darum, ob der Liberalismus seinen großen Fehler, den er durch seine Kriegserklärung gegen diesen Entwurf begangen habe, durch eine allgemeine Mobilmachung wieder gut machen könne oder ob er si blamirt vom Kriegsshauplaß zurück- ziehen müsse. Das Auftreten des Liberalismus gegen die Geistlichen heiße doch die Sachen auf den Kopf stellen. Die Kirche sei do nicht Sache der Geistlichen, sondern des Volkes. Er würde gern mit den Nationalliberalen zusammengegangen sein, fie seien zum größten Theil seine Glaubensgenossen und verträten eine beträchtliche Zahl des evangelischen Bürgerthums. Leider sei cin Zusammengehen mit ihnen bei dem Standpunkt unmöglich, den fie von vornherein gegen den Entwurf angenommen hätten. Der Abg. Dr. Friedberg abe dem Entwurf übertriebene Confessionalität vorgeworfen. In der Commission des vorigen Jahres seien es nit extreme Leute ge- wesen, die die Worte in den Entwurf hineingebraht hätten, daß der Geistlihe den Lehrer mit Anweisungen versehen solle. Freiconservative und Nationalliberale seien dafür ein- getreten, und nun solle das mit einem Mal etwas Uebertriebenes sein? Eine solche Kampfesweise verstehe er niht. Herr Friedberg babe seine Bedenken vor confesiionellen Gymnasien und Universitäten geäußert. Dazu liege gar kein Grund vor, er erinnere nur daran, wie segensreih das im wesentlichen confessionell geleitete Gymnasium in Gütersloh gewirkt habe. Als das Judenthum in Berlin eine Hochschule habe einrihten wollen, habe dies die Billigung der ge- fammten liberalen Presse gefunden. Er erinnere dann noch daran, daß die Generalsynode, einschließlich der Gesinnungsgenofsen des Herrn Beyschlag, im wesentlichen mit den Grundsäßen des Entwurfs einverstanden gewesen sei. Der Entwurf habe dort die gleihe Rolle gespielt, welhe der Abg. Knoercke hier spiele, der immer die Interessen der Lehrer zu vertreten si bemühe, dann aber in der Gomulion von seinen eigenen Leuten im Stich gelassen werde. Wenn der Abg. Virchow von einer allgemeinen confessionélosen Moral gesprochen habe, so bleibe er damit weit hinter der Zeit zurück. Wie er sogar mit einer Moral aus Afrika kommen fönne, um darauf unsere Volksschule zu gründen, sei ihm (Redner) unerfindlich. Herr Virhow meine, mit Priestern sei _schlecht umzugeßen. Nun, mit liberalen Universitätslehrern, die den Unglauben pvredigten, sei noch s{lechter umzugehen. Diese hätten sehr geschadet, sie seien {huld daran, daß so viel unverdauter Unglaube im Volke vorhanden fei. Eine solche allgemeine Moral sei nicht geeignet, der in allen Tiefen von den finstern Mächten des Unglaubens_ erschütterten Volksfeele ihre Rube wiederzugeben. Wenn dieses Geseß angenommen werde, dann werde der Kampf um die Schule fürs erste zum Stillstand kommen. Das Gentrum erkenne, wenn es ihn annehme, damit das v lg 0a recht des Staats an. Wenn man die radicale Pädagogik dur den Entwurf los werde, so fönnten um diesen Preis wohl auch die Nationalliberalen sich mit dem Entwurfe besreunden. Andererseits würden auch die hyperkatholischen Ansprüche herabgeshraubt werden. Bon diesem Standpunkt aus werde sih_ ja in der Commission über eine Verständigung haben reden lassen. Herr Friedberg habe sich darüber beshwert, daß der Minister von Baden als einem liberalen Musterstaat gesprohen habe. Er möchte ihn darauf aufmerksam machen, in welcher N ein amtliches badisches Blatt, der „Mannheimer Amtsverkündiger“, den Entwurf fritisire, er sprehe von Capuzinerweisheit. Der 2 Friedberg scheine wohl für die Chre Badens Gefühl zu baben, aber niht für die Preußens. Die nationalliberale Partei habe gar feine Ursache, in dieser Angelegenheit der Regierung fo heftig sich entgegenzustellen. Was würde diese Partei ohne die Regierung sein? Die Nationalliberalen seien weit öfter von der Regierung unterstützt worden, als sie diese unterstüßt hätten. Er fei der Ueberzeugung, daß, wenn die Regierung bei diesem Entwurfe fest

unvershämten Weise

. Knörcke (dfr.): Wenn folhe Vorwürfe, daß seine Partei den Atheismus fördere, nur von Stöder fämen, könnte sie darüber s{chweigen, denn was er über ihr Christenthum denfe, sei ihr gleichgültig. Solche Urtheile, wie gestern der Minister- Präsident auêgesprochen habe, seien niemals in diesem Hause über ganze Parteien ausgesprochen worden. Seine Partei nehme für fich in Anspruch, daß sie auf dem Grunde des Christenthums stehe, wenn au ihre Anschauung abweihe von dem, was Herr Stöcker darunter veristebe. Man verwechsele die altkirhlihe und die moderne Welt- anshauung. Es würde ein Be für das Vaterland fein, wenn das Ghristenthum nicht in Einklang .zu bringen sei mit der Cultur. Der Minister-Präsident habe davon gesprochen, daß er gegen den Strom s{chwimmen könne. Er habe dabei auf die Kornzölle verwiesen. Er vergesse den Unterschied zwischen Kornzöllen und den geistigen Interessen, die hier in Frage ständen. Das Volk werde sih eine Beeinträchtigung der geistigen Interessen nicht gefallen lassen. Den Materialiëmus bekämpfe er wie die Herren von der Rechten, aber es gebe niht nur ein Dogma des Materialismus, sondern auch einen Materialiëmus des Dogmas. Wenn Herr Stöer glaube, daß die Erregung im Lande bloß eine emate Sache sei, so werde er fi bald überzeugen, daß er sich im Irrthum befinde. Er stehe auch auf dem Standpunkt des religiösen Unterrichts in der Schule, aber niht so, wie in diesem Gesezentwurf verlangt werde. Mit Unrecht habe der Minister-Präsident gesagt, er gébe auf das Urtbeil eines österreichishen Gelehrten über diesen Volksschul- geseßzentwurf nichts; die Leute da draußen könnten fein Urtheil darüber abgeben. Er (Redner) habe auch Briefe aus Wien bekommen, auch von einem dortigen Berliner. (Heiterkeit rechts.) Auch das set nichtrichtig, d die große Masse des Volkes kein Urtheil über den Gesetzentwurf habe. an brauche nit alle Paragraphen dieses Ge- seßes durchzulesen, sondern man brauche nur einige Paragraphen zu fennen, um zu einem Urtheil zu gelangen. Der Mahnung des Cultus-Ministers entsprechend, habe er obne Vorurtheil durch ernst- lihe Prüfung der einzelnen Bestimmungen sich bemüht, zu einem anderen Urtheil zu gelangen; er sei aber in seiner Ansicht nur be- stärft worden. Dieses Schulgeseß bleibe hinter den Schulgefeßen der neueren Zeit in Deutschland zurück, gar niht zu reden von dem Schulgeseß in Frankreich. Auf ihn mache dieses Geseß viel weniger den Eindruck eines eigentlichen Schulgesetßzes, als eines vorwiegend firhen- und staatspolitishen Geseßes. Es sei ein gut Theil derjenigen Materie, welche bei einem Schulgeseß die eigentlihe Grundlage bilden sollte, zurüdgestellt worden gegen orthodor-confessionelle und staatlich- bureaufratishe Motive. Man hätte erwarten sollen, daß der Cultus- Minister in diesem Gesez die gesammte Materie ordnen werde. Das sei aber nicht der Fall. Die Lehrpläne seien eigentlich nur von der confessionellen Seite geordnet. Das Lehrerprüfungswesen, die Stellung der Volksshule zu anderen höheren Lehranstalten, die FortbildungssMulen, die Lehrerbesoldung, alles das habe in diesem Gefeß feine genügende Ordnung gefunden. Der Entwurf solle nur die bestehende Praxis festlegen. Sei es alte Praxis gewesen, daß nur confessionelle Schulen errichtet werden dürften? Hätten nicht au früher Simultanshulen eingerihtet werden müssen? Sei es Praxis gewesen, daß an den Schulen nur Lehrer einer Confession bâtten angestellt werden dürfen? Sei es Praxis gewesen, daß die Nertreter der Kirche den Lehrer mit Weisungen hätten versehen dürfen? Das Vetoreht des fkirchlihen Commissars fönne den Lebrer überhaupt um jede Anstellung an der Schule bringen. Eine folhe Mitherrschaft . der Kirhe sei nicht vereinbar mit dem Charakter einer Staatsfchule. Der Redner wendet sich dann gegen die Organisation der Schul- verwaltung, durch welche die Selbstverwaltung auf diesem Ge- biet vollständig vernichtet werde. Durch confessionelle Erziehung werde man die Socialdemokratie nicht bekämpfen; denn an der Spiße derselben ständen gerade solche Männer, welche eine strenge fatholische Erziehung genossen hätten. Die Socicaldemotraten könnten ar nichts Besseres wünschen als die Annahme dieses Gefeßes: denn ihre Anhänger würden sih dadur sehr viel schneller vermehren, als sie sonst erwarten fönnten. Wenn das Geseß angenommen werde, werde der Lehrermangel sehr erheblich wadlsen, und die Ent- wickelung unserer Volksshulen werde dadurch geschädigt werden. Wenn die Lehrer in ein neues Abhaängigskeitsverhält- niß gestellt würden, dann werde, Niemand mehr diefen Beruf ergreifen. Dieser Gesichtspunkt sei durchaus nicht zu untershäßen. Die kleinen Vortheile, welche den Lehrern geboten würden, reiten niht aus, über diese Schwierigkeiten hinwegzubelfen. Für die Besserstellung der Lehrer danke er dem Minister, ebenso dafür, daß er die Volksschule niht bherabdrücken wolle auf das Niveau, welches Herr Reichensperger als maßgebend hinstelle; aber die Vorlage sei kein Schulgese8, sondern vielmehr ein Staats- und Kirchengeseß. Deshalb könne er unter keinen Umständen für die}es Gesetz stimmen, es müßten denn in der Commission durchgreifende Verbesserungen gemacht werden, was er aber niht glaube. Er habe diesem Geseßgegenüber feine andere Empfindung als die: Gott behüte unsere Volksschulen !

Präsident des Staats-Ministeriums, Reichskanzler Graf von Caprivi:

Der Herr Abg. Dr. Friedberg hat mir gestern den guten Rath gegeben, ih möchte objectiver fein. Jch habe, soweit ih mi erinnere, seit Jahren zum Grundsaß meines Lebens gemacht, die Sache vor die Person zu stellen. Wenn ih aber dagegen gefehlt haben sollte, so nehme ich guten Rath zu aller Zeit gern an. Ich hoffe aber, der Herr Abg. Dr. Friedberg wird nicht glauben, daß ih gegen jenen Grundsaß fehle, wenn ich nicht mit Rüfsicht auf die aus- erlesene Sammlung von S{hlagworten, die wir soeben gehört haben, das Wort nehme, sondern aus Anlaß der persön lihen Beziehun- gen, in die der Herr Abg. Knörcke sich zu mir und der Regierung gestellt hat.

Er hat von mir gesagt, ih thue ihm Unrecht; er müsse den Angriff, den ih gestern auf ihn und auf weite Kreise gemacht habe, zurückweisen; er hat angedeutet, daß der Angriff besteht in den Worten: Theismus und Atheismus. Jch will mir erlauben, Ihnen diese Worte vorzulesen. Jch habe gesagt:

Ich glaube, es handelt sich hier in leßter Instanz niht um evangelisch und katholis, sondern es handelt sich um Christenthum und Atheismus.

Für die leßte Instanz halte ich weder die nationalliberale Partei, noch die freisinnige Partei, sondern ih habe da meine Ueber- zeugung ausdrücken wollen, daß diese Frage sehr viel weiter geht, daß sie sehr viel tiefere Wurzeln hat, und daß sie auf einem anderen Boden, als auf dem der Kämpfe, die wir jeßt hier führen, werde ausgetragen werden müssen.

Er hat dann weiter gesagt, er stehe auf dem Boden des Christenthums. Das freut mi. (Heiterkeit rets.)

Wie ich gestern schon gesagt habe, halte ih für das Wesentlichste an einem Menschen seine Stellung zu Gott. Weil ih aber weiß, wie {wer diese Stellung zu beurtheilèn ist, selbst wenn man das Bekenntniß eines Menschen kennt, so würde ih nie wagen, ohne einen Menschen länger zu kennen, als den Herrn Abg. Knörke, den ih beute zum ersten Mal fennen zu lernen die Ehre gehabt habe, über dergleichen zu urtheilen. Also es is mir weder eingefallen, noech fällt es mir heute ein, mit dem Herrn Abg. Knörcke über seine Stellung zum Christenthum streiten zu wollen.

Wenn er aber weiter gesagt hat, daß er eine höhere Vor-

bleibe, dies dazu führen werde, daß wieder cine gesunde Pädagogik und

der Herr Abg. Dr. Meyer. (Heiterkeit.)

ristlihe Weltanshauung in unserem Volke lebendig werde.

stellung davon habe als i, so glaube ih, daß es einen Maßstab

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für diése Dinge nit giebt; und ih ziehe cs vor, mich in einen Disput hierüber mit ihm nit einzulassen. (Sebr gut! rechts.) ; Er hat geglaubt, weiter abwehren zu müfsen eine Auffassung, die die Regierung habe, daß die Kirhe ein instrumentum regni sei. Ich weiß niht, woher er glaubt, daß die Regierung diese Auf- fafsung bat. Wir sind der Meinung, daß Staat und Kirche zwei Dinge sind, die große Verschiedenheiten haben, von denen das eine nicht auf das andere gestüßt werden fann, die aber auch so ¿ahlreiche Beziebungen zu einander haben, daß wenigstens in Deutsch- land das eine s{chwer von dem anderen getrennt werden fann. Der Herr Abgeordnete meint weiter, er baue das Christen- thum, wenn ich ihn recht verstanden habe, auf die Cultur- entwickelung; in der Culturentwickelung sehe er ein Fundament und eine der Grundlagen für das Cbristenthum. Ich und die- jenigen, die auf eine bistorishe Weltanshauung Werth legen, sind in dieser Beziehung gerade der entgegengeseßten Ansicht. (Sehr richtig! rets.) ; Er hat sich dann weiter dagegen verwahrt, daß ih die Be- hauptung aufgestellt hätte, das Ausland sei über die Fragen, die hier verhandelt werden, nit competent; er meint, man könne auch dort sehr wohl von einem allgemeinen Standpunkte aus und mit einer allgemeinen Kenntniß der Grundsäße - dieser Vorlage über dieselbe urtheilen. Die mens{lichen Fähigkeiten find verschieden; mir ist es niht so leiht geworden, über diese Vorlage zu urtheilen. Ich kann nur sagen vielleicht bin ih zu weit gegangen, - wenn ich von mir auf Andere {loß —, daß es für mi eines ernsten und sehr langen Studiums bedurft bat. Der Herr Abgeordnete steht, wie mir scheint, auf dem Stand- punkt, daß eine Schule auch ohne Religion existiren könne. (Wider- spruch des Abg. Knörcke.) Dann werde ih mich an Ihren Frac- tionsgenofsen, den Herrn Abg. NRickert mit diefer Bemerkung wenden, der uns neulich auf das Beispiel von Schottland hbin- wies. Er sagte: in Schottland, dem religiösesten Lande der Welt, hat man den Religionéunterriht aus der Schule entfernt. Wenn die Vorausseßungen auch bei uns zuträfen, daß wir zur Zeit und vorauésichtlich auch für die Zukunft das religiöseste Volk der Welt sein sollten, dann könnte ih mich mit Herrn Ritert über die Sache verständigen ; aber hier handelt es sich um Wirkung und Ur- sache. Schottland ist so religiôs, daß es das Risico gehen kann, die Religion aus der Schule zu nebmen, vielleiht ohne Schaden. Wenn wir das thäâten, würden wir eben die Reliaiosität, die wir noch im Lande in unseren unteren Schichten, in den Volks- schulen haben, nah meinem Dafürhalten gefährden. (Bravo! rets.) Ich halte und das is mein Standpunkt, Sie werden es mir nihcht übelnehmen, wenn es au der Jhrige niht ist von der Religion im Leben eines Menschen sehr viel, und darin werde ih mich vielleiht wieder nit der Zustimmung des Herrn Abg. Riert zu erfreuen haben. Es ist heutzutage unter Arbeiterfamilien enorm \{wer, NReligiosität zu erhalten. Vielleicht hat der Herr Abg. Rickert sich ebenso, wie ich, mit den Verbältnissen der Werftarbeiter beschäftigt; er kennt sie vielleiht noch besser als i, und er wird wiffen, wie der Tag eines solhen Menschen, einer solchen Ebe, einer folchen Familie verläuft. In der Mehrzahl der Fälle wird die Frau eines Werftarbeiters ih bitte um Entschuldigung, wenn ih darauf eremplificire, aber meine amtlihe Thätigkeit hat mich durch mebr als fünf Jahre mit diesem Berufskreise in Verbindung gebraht —, also man irrt sich, wenn man glaubt, daß die Frau einer folhen Familie die Möglichkeit habe, in ausge- dehnter Weise auf die Religiosität der Kinder einzuwirken: i balte das mindestens unter zehn Fällen in neun für völlig ausges{lofsen. Ich will Sie bier niht langweilen mit der Schilderung eines folchen Tages wie die Frau den Tag verbringt, wie sie auf Arbeit geht, wie sie dem Manne das Efsen bringt, wo die Kinder bleiben —, aber das ist einmal meine Ueberzeugung, und ih bin bier niht ganz ohne Erfahrung: es is furchtbar s{wer, wenn selbst cine sittlih gute Familie den Versuch machen will, in ibren Kindern die Religiosität zu erhalten; die Verhältnisse laufen vielfach dagegen. Wird diefe Vorausseßung aber zugegeben, dann frage ih weiter: wo foll denn nun ein Kind aus diesen und anderen breiten Schichten unserer Nation die Religion herbekommen, wenn es sie niht aus der Volksschule bekommt? (Sehr rihtig! im Centrum und rets.)

Und, daß es Religion bekommt, is darin weiß ich mi mit Ihnen allen einverstanden wünschenswerth. Wenn ih 60 Kinder in der Volksschule habe, und 59 behalten für das Leben von dem Religionéunterriht gar nichts, und dem sechzigsten ist es einmal in einer entscheidenden Lage seines Lebens von Werth, si zu erinnern, daß es einen Gott giebt, dann will ih diese 59 Kinder gern in die Schule shicken; es ist das Opfer werth für das eine. (Leb- haftes Bravo! rechts und im Centrum.) Das if meine pversönlice Auffafsung von der Sache, und die mag mit Ihrer Auffassung (nach links) weit differiren. Sie können mir aber dod nit zu- muthen, daß ih meine Auffassung aufgebe, weil ich an dieser Stelle stehe. Im Gegentheil, es is meine Pflicht, meine persönliche Auf- fassung, soweit es mit der Organisation unseres Staats und der Behörde in Einklang steht, zur Geltung zu bringen.

Ich bitte nun, noch einen Augenblick mich mit dem Abg. Dr. Friedberg beschäftigen zu dürfen, niht weil ih die Debatte nit für ershöpft hielte gewiß, sie ist ershöpft —, aber man hat sid gestern persönlißh an mi gewandt, und da möchte ih denn doch darauf etwas erwidern. Er hat eine Reihe von Angriffen gegen mich gerihtet. Der \{ärfste war wohl der, daß er sagte: Ich sage es offen ich- brauhe ein sharfes Wort —, das sind vergiftete Pfeile, die prallen auf den zurück, der sie abschießt. Starke Worte sind billig, am meisten im politischen Leben; aber gerade, weil ih den Wunsch habe, objectiv zu bleiben, verzihte ich darauf, auf dieses starke Wort mit anderen starken Worten zu erwidern. (Sehr richtig! rechts und im Centrum.)

Ich werde mich bestreben, ganz sahlich zu bleiben und mir den vergifteten Pfeil näher anzusehen. Ich glaube: unter den Menschen und in den Kreisen, in denen ih die Jahre meines Lebens bisher dur- gemacht habe, habe ich wenigstens nicht für einen Giftmischer gegolten (Heiterkeit), und ih bin innerlih fo fern davon, von mir zu glauben, ih fönnte Gifte mischen, daß es mir ganz recht sein würde, wenn die Pfeile, die ih abshieße, auf mich wieder zurückfielen; vergiftet wären sie ficherlih nicht. Aber was habe ih denn nun nah der An- sicht des Herrn Abgeordneten für Pfeile abgeshossen? Wohin sind sie gegangen? Der Herr Abgeordnete verwahrt sih dagegen, daß die

dann noch des weiteren aus: „die Regierung wolle gegen den Willen der Mittelparteien und der liberalen Parteien ein Gefe zu stande bringen.“ Das nennt der Herr Abgeordnete majorisiren. Ja, baben denn die Mittelparteien, deren Unterstüßung ich mir wünsche, ei verfafsungêsmäßiges Recht, nit dur Majoritäten überstimmt zu werden? (Sehr gut! rechts und im Centrum.)

Ich weiß davon nichts. Und liegt in dem, was der Herr Abgeord- nete gesagt hat, und in dem, was von anderen Seiten mir gesagt worden ift, nicht vielmehr das Bestreben, die Staatsregierung zu ma- joritiren? (Sehr gut! rets.)

Nicht wir haben gedroht, meine Herren, uns is gedroht worden. Sie haben uns Ihrem Willen unterwerfen wollen, dagegen wehren wir uns. Der Gedanke, Sie zu majorisiren, in dem Sinne Sie von Ihrer Ueberzeugung abschrecken zu wollen, liegt uns fern: Wenn Sie aber überstimmt werden, so müssen Sie si das gefallen lassen. Ich glaube, die Verstimmung, die ih hier herausgehört hake, und die mir [leid thut denn es hat der Staatsregierung nichts ferner gelegen, als sich mit der nationalliberalen Partei bei diesem Anlaß, wenn ih den Ausdruck gebrauchen darf, zu überwerfen, die Stimmung hat în etwas Anderem ihren Grund. :

Sie haben durch Zurufe und Mitwirkung in der Presse der Regierung den Vorwurf gemacht, sie hätte keine Voraussicht, weil sie nicht hâtte kommen schen, was jeßt hier vor sich geht: aber die Voraussicht hat sie do, daß das! Schicksal dieses Gesetzentwurfs noch lange nit entschieden ift. Ein Gesetz von fast 200 Paragrapben wird so viel Widerspruch ‘im einzelnen herausfordern, daß ih heute noch nicht wissen kann, was aus dem Geseß wird. - Erinnern Sie sich doch an das Geschick, welches Landgemeindeordnung und Einkommensteuer gehabt haben. Zuleßt wird ein Gesetz von Einem zum Anderen hin und ber geschickt, vom Herrenhaus zum Abgeordnetenhaus. Also, wie soll ich gewiß wissen können, was aus diesem Gese wird? Der Grad von Voraussicht fehlt mir.

Es hat mir au der Grad von Voraussicht gefehlt, rechtzeitig zu erkennen, daß man sich mit dem Gedanken einer großen liberalen Partei trägt. (Lebhafte Zurufe seitens der Nationalliberalen.)

Verzeißhen Sie, meine Herren ; wollen Sie die Güte baben, mich ausreden zu lassen! Wenn Sie sih nit mit jenem Gedanken tragen, fo ist es mir ja ganz willkommen; aber daß Sie es nit tbun, haben wir aus Ihren bisberigen Aeußerungen, wenn ih einige Zwischenrufe von gestern auênebme, nicht zu erkennen vermocht. i:

Ich bitte um die Erlaubniß, aus einer Nummer des „Hannover- schen Couriers*, die nicht von gestern und beute ift, sondern älter, einen Pafsus verlesen zu dürfen, der nah meinem Dafürhbalten die Kriegserklärung der Nationalliberalen an die Régierung enthielt, und niht umgekehrt. Es beißt da:

Jeßt ist ein Moment gekommen, wo sich die nationalliberale Partei in ihrer alten Größe zeigen: fann, beißt es in einer Zu- schrift, die ein treuer Freund der Partei an uns richtete. Und wir sind überzeugt, daß die Partei sich dieses für die Nation und für sie selbst entsheidungsvollen Augenbliks gewachsen zeigt, daß sie den Erwartungen entsprehen wird, welche die liberalen deutschen Männer ihr in diesem Augenblick entgegenbringen. Mit der Vorlage dieses Schulgeseßes is die Linie überschritten, jenseits welher mit Compromissen und Amendements, mit Ver- handlungen und Vecständigungen nichts mehr erreiht werden fann. Nicht um den einen oder anderen Paragraphen handelt es sich, sondern um den dunkelmännischen Geist, der aus dem ganzen Werke spriht. (Heiterkeit rechts.) Nur ein unbedingtes Nein fann ibn versheuchen, nur ein ents{lofsener Kampf kann es bindern, daß die höchsten Güter der Nation, daß unsere culturelle Ent- wielung, daß die Freiheit der Wissenschaft, daß deutsche Bildung und deutshe Schule unter seinem erkältenden Hauche erstarren und verkümmern. (Heiterkeit rechts.) Es war Licht geworden in Deutschland; forgen wir, daß es Tag bleibe.

Meine Herren, das ist geschrieben, ehe ich hier ein Wort über die Dinge gesprochen habe. Sind wir es, die, wenn überhaupt von einem Kriege die Rede sein kann, diesen Kriegszustand herbei- geführt haben? Ich glaube nicht.

Ich habe auch niht Voraussicht genug, zu übersehen, welche Folgen die Schöpfung einer so großen liberalen Partei baben kann oder der Wille, sie zu schaffen. (Widerspruch bei den Nationalliberalen.) Ja, ich bitte um Entschuldigung, wenn ih, über die Begrenzung dieses Hauses hinausgehend, anknüpfe an die Erinnerungen, die ich aus dem anderen Hause habe; das, was da gesagt worden ist, habe ih nicht anders verstehen können. Wollen Sie nun das negiren? Stimmen Sie nicht überein mit dem, was im anderen Hause gesagt worden ist? Bitte, sprehen Sie es aus, wenn es niht der Fall ist! Bis jetzt habe ich nur în Zurufen und vielleiht in einigen Anklängen der Presse gehört, daß eine Uebereinstimmung in der nationalliberalen Partei in diesem Punkte nicht existirt.

Immerhin bleibt dieser Punkt interessant für die Regierung ; es FÉönnte ja sein, es erfolgte eine zweite Secession, durch die der Freisinn verstärkt würde, fodaß ein Häuflein übrig bliebe; es könnte auch sein, es erfolgte eine Secession nah rechts; es fönnte sein, Sie vereinigen sich ges{lofsen mit anderen Elementen eine Eventualität, die ih nicht für sehr wahrscheinlich an sich halte, weil gerade Ihre Anschauungen in der letzten Zeit in vieler Beziehung diametral entgegengeseßt gewesen sind denen des Freisinns. Daß ih aber mit meinen Bedenken doch nicht allein stehe oder einen beshränkten Regierungsstandpunkt einnehme, das werden Sie viel- leiht daraus ersehen, daß auch ein mehr wie fortshrittlichßes Organ, die „Frankfurter Zeitung* vor ein Paar Tagen sagte: Die National- liberalen müfsen eine Witterung davon haben, daß die Regierung noch viel reactionäârere Dinge plant, sonst würden sie dergleichen garnicht machen. Jch habe nur den Wunsch, Klarheit zwischen uns zu bekommen. Arbeiten Sie mit uns das Geseß durch; wir sind bereit. Wir geben zu, daß in dem Gesetz eine Menge sein kann, wo wir irren; treten Sie mit den anderen Parteien zusammen, überzeugen Sie die, dann werden wir zu einem Resultat kommen: aber bisber und darin habe ih kein Wort zurückzunebhmen von dem, was ih gestern gesagt habe bisher habe ich feinen Anlaß, an der An- shauung irre zu werden, daß Sie der Regierung den Krieg erklärt haben, auf Grund des Volkss{ulgeseßes oder auf Grund von Mo- tiven, die für die große liberale Partei entscheidend waren, die mir aber unbekannt sind.

Um nun aber mit einem friedlihen Ton zu {ließen i hoffe, ich bin nit fkriegerisch gewesen, ih war & auch

Staatsregierung die liberalen Parteien majorisiren wolle, und führt das

heute Morgen citiren, was sie über die gestrige Rede des Herrn Abg. Dr. Friedberg sagt: i Der nationalliberale Redner Dr. Friedberg hat der Regierung, indem er auf die einzelnen Punkte, in denen Uebereinstimmung ¿wischen ihr und den Nationalliberalen besteht und bezügli deren die Meinungen sih trennen, einging, nochmals Gelegenheit ge- geben, den guten Willen der Partei zu erkennen. : Das acceptire ih; ich würde das noch lieber acceptiren, wenn ih die Sicherheit hätte, daß, wie ich aus Zwischenrufen {ließe die große liberale Partei eine Seifenblase wäre, die {on wieder verflogen ist. (Heiterkeit.) :

S Ab - Dr. Friedberg (nl.): Der Herr Minister-Präsident habe seine Ausführungen über die Nationalliberalen auf einen Artikel der „Kölnischen Zeitung“ begründet; aber wenn son eine Partei nit für jedes ihrer Blätter verantwortlich gemaäacht werden könne, so sei der erwähnte Artikel von vielen Seiten seiner Partei dementirt worden. Was die Bennigsen’sche Rede anlange, so habe dieser sagen wollen durch die Handelsverträge feien die“ Gegensäte der einzelnen Theile der liberalen Parteien beseitigt, und es sei nun möglich, daß die ver- schiedenen Thetle der liberalen Parteien sih näherten. Die Abgg. Richter und Bamberger hätten das falsch aufgefaßt und ein solches Entgegenkommen abgelehnt. Der Minister babe ih bei seinen Aus- führungen über die Parteien auf die Rede des Abg. von Evnern estüßt. Dessen Rede sei niht so {rof gewesen, um eine folche &olge zu verdienen; umgekehrt habe er die Empfindung gehabt, ‘daß der Cultus-Minister dem Abg. von Eynern shroff entgegengetreten sei. Der Minister-Präsident habe sich dagegen verwahrt, als ob er eine Verschärfung der Debatte habe eintreten laffen wollen, aber die eußerung über den Atheismus habe nicht beruhigen fönnen, er habe sich die Anschauung des Abg. Porsch zum Muîter genommen. Der Reichskanzler habe zwar gesagt, seine (des Redners) Freunde seien feine Atheisten, aber er habe gesagt, ihre Stellung leiste dem Atheismus Vorschub, und auch das sei kränfend. Bisher babe seine Partei mit der Regierung auf verschiedenen Gebieten zusammengeben tonnen, und nur folhe Aufgaben, wo dies möglich fei sollte eine Regierung unternehmen, die auf ibr Programm schreibe, von allen Parteien das Gute nehmen zu wollen. Vamit stimme der Goßler’she Entwurf zusammen, aber von dem jeßigen Geseßentwurf könne man das nit sagen. Der Minister- Präsident habe gefagt, die Nationalliberalen sträubten \ih gegen Majorisirung; wenn die Mehrheit gegen sie sei, so müßte sie fich freilihzfügen ; fie sagten bloß, es sei niht gut, bei einem so wichtigen Gefeß politis majorisirt zu sein. Könne eine große Partei bald mit, bald gegen die Regierung gehen? Wenn die Regierung si eine Mehrheit bald da, bald dort suche, wirthshafteten die Parteien oder die Regierungen bald ab. Er wolle keinen Mißton in die Debatte bringen, und wiederhole núr, daß seine Partei von vornherein nit zur Dppolitton geneigt gewesen sei, sie habe anfangs eine Amendirung für möglich gehalten, diese Hoffnung sei ihr aber dur oe des Herrn von Buch und des Abg. Stöcker abgeschnitten , Abg. Nickert (dfr.): Er sei mit dem Herrn Minister-Präsidenten darin einig, daß nun genug discutirt sei. Wenn der Reichskanzler auch in feiner beutigen Rede einen ganz anderen Ton über die Parteien ans{lage, so bleibe das Beunrubigende bestehen, daß derselbe Minister-Präsident, der im vorigen Jahre erklärt habe, bei der da- maligen Schulgeseßvorlage bis an die Grenze des Möglichen gegangen zu fein, jeßt noch erheblich weiter gebe. Hätte die Regierung diese Vorlage, statt das Haus im Dunkeln darüber zu lassen, vor ibrer Einbringung der Oeffentlichkeit übergeben, wie es z. B. mit dem Trunksucht8geseß "geschehen sei, so würde die Re- gera über die Wirkung auf das Volk erstaunt gewescn sein. vâtte der Reichskanzler die Volksfeele besser gekannt, so würde er diese Dpposition vorbergesehen baben; hier im Hause werde die Vorlage freilich die Mehrheit finden, voraussihtlich wohl au im Herrenhause, wenn ihr auch hboffentlich da die {limmsten Zähne würden ausgezogen werden, im Volk habe abér die Vorlage nicht die Mehrheit für sih. (Widerspru rets.) Dabei bemerke er dem Minister-Präsidenten, daß auch die Freiconservativen gegen die Vor- lage seien, er also nicht immer von der „Linken“ reden möge. Wenn er den Prediger der Liebe und Demuth drüben höre, fo müsse er an das Wort Friedrich Wilhelm's IIl. denken, „es wolle ihm scheinen, als ob es eine Theologie gebe ohne Religion“. Der Abg. Stöer brüste sich mit auswendig gelernten Bibelsprüchen ; wie es mit feiner christlichen Liebe, seiner Toleranz bestellt sei, wisse man son seit 1880. Troßdem aber der Abg. Stöer wisse, „wie es ge- macht wird“, verliere seine Partei ihren Optimismus nicht; bei der Einzelberathung der 194 Paragraphen in der Commission und hier im Haufe hoffe sie noch manches zu retten; denn wenn auch Herr Stöcker drange und meine, jeßt sei der geeignete Moment, “das Geseß zu vollenden ein anderer Landtag würde es nicht ermöglichen fo gebe doch der Abg. Graf Limburg-Stirum zu, daß die Sache gar niht so sehr dränge. Seit der Berathung des Zoll- tarifs habe nichts das Volk so aufgeregt, wie diese Vorlage; zahl- reiche Zuschriften bewiesen es ihm, er werde vielfach um Vorträge darüber gebeten, er habe auch von einem österreidhisben Abgeordneten eine Zuschrift erhalten einem Manne, der kein Freund von Vor- urtheilen sei, der früher mit dem Grafen von Caprivi immer. sym- pathisirt habe. Jeßt schreibe ihm dieser Mann, auch in Oesterreich sei man über diefe Vorlage sehr niedergeshlagen, weil man davon \{limme Folgen für Oesterreich befürchte. Die Bewegung in unserem Volke sei durhaus urwüchsig, niht künstlich gemacht. Der Abg. Stöer habe gesagt, er wolle gern mit den Nationalliberalen zu- fammengeben: ja, wenn sie sich seinem Willen fügten und ihm ihre Wabhlstimmen gäben; in seinen Versammlungen behandele er diese selben Nationalliberalen so, daß es shon niht mehr schön sei. Aus der Stellung Stöckers gegen die Vorlage spreche jein Haß gegen die Lebrer, _ namentlichß gegen die Berliner Lehrer, die die Jugend nicht in Stöcker'shem Sinne er- zögen. Heute sei der Abg. Stöker die Hauptstüße der Regierung, aber au er werde noch dahin gebraht werden, wohin er gehöre. Der Abg. Stöcker frage, wo die Nationalliberalen ohne die Regie- rung fein würden; ja, wo würden die Conservativen fein ohne die Landräthe und Gendarmen? Er glaube, der Reichskanzler wolle die dur seine gestrige Rede bei den Nationalliberalen entstandene Mißstimmung heute beseitigen; durch eine so ungleiche Behandlung entstehe aber bei den Parteien \{ließlich ein Mißtrauen, das au dem größten Staatsmann schließlich die Thatkraft lähme. Im Reichstage seien troß s{ußzöllnerisher Mehrheit die Handelsverträge durch- gegangen, : hier werde bei der Stellungnahme der Regierung die Volks- \chulvorlage eine Mehrheit, wenn auch nur von wenigen Stimmen finden, aber darum habe fie nit die Zustimmung im Lande; es gebe damit ebenso wie mit dem FInvaliditätsgefez, das im Reichstag ebenfalls mit etwa 20 Stimmen Mehrheit ange- nommen worden fei und im Lande die größte Mißstimmung erregt habe. Der Reichskanzler habe damit beruhigen wollen, daß Preußen gegen die Zulassung der Jesuiten stimmen werde, aber feine Freunde und wohl auch die Nationalliberalen hielten die Aufhebung des Jesuitengeseßes für weniger {ädlich als das Volksshulgesez. Es sei ein Irrthum des Herrn S D OtN, wenn er meine, er (Redner) habe vorgeslagen. die Religion aus der Volksschule zu entfernen, wie es in Schottland der #Fall sei. Er habe nur, als Herr von Huene gesagt habe, die Folge des Verhaltens der Frei- sinnigen werde sein, daß die Religion aus der Volksschule entfernt würde, darauf hingewiefen, daß dies in Schottland, dem religiösesten Lande der Welt, der Fall sei. Der Reichskanzler habe heute gemeint, die leßte Conseguenz der Stellung seiner Partei führe zum Atheismus; das sei niht richtig. Seine Partei wolle die Religion niht beseitigen, sie wolle die Schule nur nicht unter den Zwang der Confessionen bringen. Wie dächten sich die Herren übrigens einen Volksshulunterrit, der in allen feinen Theilen

gestern nicht —, will ich aus der „National-Zeitung“ von

von Religion durhtränkt sei? Er könne sich einen evangelischen

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