1892 / 32 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

cussion und bei den großen Schwierigkeiten, die manche Frage ver- ursahte. Das Präsidium hat diese Aufgabe in vollkommener Art und mit größtem Geschick gelöst, fo daß man die Wiener Versammlung le congrès-modèle genannt hat. Und ih möchte auch das hier erwähnen, daß namentlich die Bevollmächtigten Deutschlands und Frankreichs in allen großen Fragen haben Hand in Hand gehen können, ohne daß das irgendwie vorbereitet war, weil das Zusammengehen begründet war auf der Gleichmäßigkeit der Interessen, indem Deutschland und Frank- rei die beiden großen Continental - Verkehrsstaaten in Europa sind, und ferner bei dem hochentwickelten französischen Post - wesen auch auf der Gleichmäßigkeit der Einrichtungen. Des- halb hatten si dieselben Bedürfnisse , / dieselben Bestrebungen in Frankreich ausgebildet wie bei uns, und es hat sih daraus eine glülihe und für den Erfolg des Wiener Congresses sehr vortheilhafte Uebereinstimmung ergeben. Auch England und die anderen Groß- mächte gingen meistens Hand in Hand mit uns.

In der Grundverfassung des Vereins is seit dem Berner Vertrag nichts geändert ; es sind die drei großen Grundsäge des billigen Einheitsportos mit gleichmäßiger Gewichtsprogression, dann die all- gemeine Transit- und Verkehrsfreiheit, und drittens die größtmögliche Vereinfahung des Mechanismus, wie der Betriebs- und Rehnungsform ganz intaft geblieben durch alle Berathungen seit dem Jahre 1874. Und wenn man bedenkt, meine Herren, daß wir bis zum Jahre 1874 noh über 1500 Portosäge für den Verkehr mit dem Auslande hatten, bei denen außerdem verschiedene Gewichtêprogressionen in Betracht kamen, denn einige Staaten hatten die 10 g-Progression, andere die 15 g- Progression, noh andere wieder die 71/2 g-Progression, Deutschland hatte das Zollloth, das waren 162/53 g, England die 1/2 Unze, _— das waren 14/6 g, so kann man die verschiedenen Portosäße jedenfalls auf viele Tausende berechnen ; dazu die großen Verschiedenheiten bei den Kreuzbandsendungen, Muster- und Waarenproben, kurz, es war \{ließlich nicht mehr herauszufinden. Und wenn die Beamten auf Grund der zahllosen Tarife und Tabellen, wobei es manchmal in die Infinitesimalrehnung wie die Mathematiker sagen ging, noch allenfalls im tande war, das Porto auszurechnen, z- B. für eine shwerere Kreuzbandseydung aus Argentinien oder Uruguay, fo hörte auch dies auf, als die fahrenden Eisenbahnbureaux in Gang kamen, bei der Kürze der Zeit. Aus meiner Jugendzeit erinnere ich mich z. B., daß auf der Fahrt von Verviers nach Köln in zwei Stunden eine ganze überseeische Post fertig bearbeitet werden mußte, und ih weiß, daß wir damals nah den Principien der Wahr- sheinlihkeitsrechnung zu gewissen Einheitszahlen gekommen waren, z. B. auf schwerere Kreuzbandsendungen aus Süd-Amerika wurde ge- wöhnlich die Zahl 17 F mit Blaustift aufgeschrieben, d. h. das Porto fostete 17 Groschen 8 Pfennige. Das stimmte aber höchstens nur ganz ungefähr; es war fo eine Hilfszahl wie etwa die Zahl 7 bei den Mathematikern, und das Publikum zahlte meist ganz geduldig; mitunter aber fand sih auch ein ungeduldiger Kamerad, der das nicht bezahlen wollte, und dann ging die Sendung zurück, durch sämmtliche Postanstalten, über die Schiffslinien, bis sie dann bei irgend einer Postanstalt in den Savannahs am La Plata lautlos zum Orkus hinunterfuhr. (Heiterkeit.) Das war die Folge des Systems, wie es damals bestand!

Nun sind die billigen und einfahen Portosäße eigentlich das, was das Publikum zunächst sieht, es hält fie für den größten Erfolg des Weltpostvereins, und es vergeht eigentlich keine Woche, wo das MNeichs- Postamt hier nicht aus irgend einem Winkel der Erde einen Dank- brief bekommt, namentlich auch von Frauen, es zeigt sich darin die Dankbarkeit des weiblichen! Gemüths oft in rührendster Weise, daß sie in Verbindung bleiben können mit ihren Angehörigen.

Aber weit wichtiger ist der zweite Punkt : die Berkel rsfreiheit. Wenn wir früher, ich will einmal fagen, vou Berlin nah Athen einen directen Postschluß machen wollten, oder von Berlin nach Lissabon, so war das niht anders möglich, als daß wir mit allen dazwischenliegenden Staaten förmliche diplomatische Verträge über den Transit dieser Postsachen abschließen mußten; so mußten in dem Falle von Lissabon mit Belgien, Frankrei, Spanien und, wenn die Briefe über England, über Southampton gehen sollten, au mit Großbritannien bezw. Holland erst förmliche Verträge geschlossen werden ; in dem anderen Falle von Athen mit Oesterreich, der Türkei und Serbien, oder mit der Schweiz und Ftalien. Diese Verträge waren oft wirklich ein Meisterwerk der diplomatischen Kunst, denn es kam dabei auf Uebervortheilung an; die Staaten hatten, ih will einmal sagen, Belgien, solche Postverträge mit Rußland, mit England, Fuank- rei), Deutschland und Oesterreih, und nun wurde ausgeglichen, welher Say höher wäre, ob die Oesterreicher *?einen billigeren Saß durch Frankreih hätten, als wir oder als die Belgier. Da waren in den verschiedenen Verträgen, deren es mehr als 1000 allein in Europa gab, Meistbegünstigungsclauseln’

genau so wie bei den Zollverträgen, und jeder Staat war dabei in Besorgniß vor dieser Klau sel, weil, wenn er einen billigeren Saß einführen wollte, er diesen selber auch allen übrigen Staaten ein- räumen mußte. Das waren oft Verhandlungen, die sich jahrelang hinzogen, bevor man dazu kam, einen derartigen Postshluß nah einem anderen Staat durchzuführen. Jeßt ist es völlig anders. Man schreibt einfah nah Athen, wir werden Euch morgen einen Postsack schicken, dann ist es gut, und damit ist die Verkehrsfreiheit hergestellt. So geht das nah allen Staaten hin, und über die ganze Welt; alle haben ihre gesammten Beförderungsmittel: Schiffe, Eisenbahnen, Posten einander zur Verfügung gestellt, und die Posten gehen jeßt wie der freie Vogelflug über Land und Meer. Wenn früher einmal ein solcher Postsack an der Grenze eines Landes sich sehen ließ, wo er ohne Vertrag nicht hineinkommen konnte, so wurde er behandelt wie die Fremden in Tauris, festgehalten, aufgeschnitten, seines Inhalts entkleidet und der fremde Staat machte damit, was er wollte. Gerade dur dieses große Princip der Verkehrsfreiheit ist der wesentlichste Vortheil erreiht worden; denn erst nachdem das geshehen war, konnten wir die billigeren Postsäße einführen. Wir wären gern noch weiter gegangen, denn wir wollten auf dem Congreß in Bern außer dieser Transitfreiheit au die vollständige Unent - geltlihkeit des Transits durhseßen ; Deutschland, welches in seiner central-geographischen Lage vielfahen Transit zu leisten hat, fast bei jedem Transitverkehr in Mittel-Europa betheiligt is, würde dabei finanziell s{lecht weggekommen sein, aber doh hatten sih die ver- bündeten deutschen Regierungen entschlossen, dieses Opfer der großen Sache zu Liebe zu bringen, und cine erheblihe Anzahl Staaten, namentlich die, welche an der Peripherie lagen, wie Norwegen,

indessen scheiterte das damals an Belgien und an Frankreich, weil das überwiegende. Transitländer waren, und namentlich Belgien, der große Kreuzweg des internationalen Postverkehrs, sehr crhebliche Einnahmen aus dem Transit zicht, die sich auf mehrere Millionen Francs jährlich belaufen, für das Budget des kleinen Staats son eine ganz erkleckliche Summe. Es war das also niht möglich, und wir beschränkten uns daher darauf, einen einheitlichen sehr billigen Saß von 2 Fr. für das Kilogramm Briefe für sämmtliche Transitrouten der Welt ohne Unterschied, wohin die Sendungen gehen, einzuführen, und ebenso für die ocea- nischen Wege den Saß von 15 Fr. mit einer Ermäßigung für die unter 300 Seemeilen betragenden Routen. Die Idee ist aber noch nicht aufgegeben, die Unentgeltlichkeit des Transits herzustellen, und sie fehrt auf allen Congressen wieder, bis es endlich gelingen wird, die widerstrebenden Staaten dazu zu bewegen, vielleiht äußersten Falls in Form einer Ablösung wie beim Sund- und Scheldezoll.

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die Chancen etwas schwieriger geworden sind, nahdem Italien auch jeßt in den Bereich der Interessen“ dieser gegnerishen Staaten gezogen ist, und zwar dur jene Verschiebung der Achse des Weltverkehrs, die sich durch die ganze Geschichte des Wirthschaftslebens der Völker zieht. Der Verkehr ging in alter Zeit," wie Sie wissen, von Indien und Persien über Medien und den Pontus Euxinus. Man braucht nur die Schilderungen zu lesen, die Strabo über den großen Verkehr macht, beispielsweise von der Messe zu Panticapäum, wo 150 Völkerschaften erschienen; dann über den Bosporus nah dem Abendlande. Das wurde anders im Laufe der Jahrhunderte; nah der Gründung von Alexandrien ging der Verkehr von Alexandrien {hon mehr nah Westen über Griechen- land und nah Italien über Neapel und über Brundusium wo Horaz in seiner fünften Satire des ersten Buchs die Reise von Rom so anziehend beschreibt —, dann kam das Mittelalter, und der Verkehr zog sich nah Venedig, Florenz in den Zeiten! der Mediceer und der della Scala in Verona, wie der Vis- conti in Mailand; ferner nah Genua und Pisa, und war alfo weiter nah Westen gerückt. Nach der großen Entdeckung Vasco de Gama's legte sich der ganze Verkehr nah Lissabon; seine Achse hatte sich also noch weiter nah Westen verlegt, und da is} sie mehrere Jahrhunderte geblieben, bis es zur Erfindung der Dampf- schiffe und Eisenbahnen kam. Dann wurde die Route von Calais nach Marseille für den Schnelldienst gangbar und die Eisenbahn über die Landenge von Suez gebaut der Kanal war noch nicht her- gestellt und es verlegte sih die Achse des Weltverkehrs wieder nach Osten zurück, von Lissabon nah Marseille. Dieses behauptete lange Zeit die Präponderanz der größten Handelsempore im Mittel- meer. Dann kam die Brennerbahn, die Durchstehung des Gotthard und früher hon des Mont Cenis, und es wurde die alte Tour aus der Römerzeit wieder aufgenommen über Brindisi durch Italien, und dadur wurde Italien in das Interesse der Transitstaaten gezogen und gegen unsere Idee auf die andere Seite gedrückt. Der Verkehr wird auch in Brindisi nicht lange bleiben, es ist hon jeßt von Sa- lonichi die Rede; aber ih glaube niht, daß es dazu kommen wird, weil der Hafen, die Rhede dort niht günstig ist, und die Transite nicht besonders vortheilhaft liegen , ebenso auch die Eisen- bahn - Verbindungen. Aber sobald die griechishen Bahnen den Anschluß an die türkischen Bahnen erlangt haben werden, fommt die alte Verbindung, die von Alexandrien nah dem Piräus unter den Ptolemäern und Seleuciden bestand, wieder in Aufnahme, unter Be- nußung von Port Said. Dann wird der Verkehr nah Indien und Egypten über den Piräus gehen, also den nächsten Hafen, weil der Verkehr immer den nächsten Seeweg aufsucht. Selbstverständlih wird er auch da nicht bleiben; denn fowie der große Plan der ottomanischen Regierung, den sie zum theil mit Hilfe deutscher Gesellshaften und deutschen Capitals und Unternehmungsgeistes auszuführen willens ist, sobald dieser Plan zu stande gekommen sein wird, nämlich die Eisenbahn über Angora und Diarbekr zu bauen dur Klein-Asien, nah dem alten Emporium Bassora am Persishen Meerbusen, dann geht der ganze Verkehr wieder wie in den ältesten Zeiten über den Bosporus.

Sie schen, meine Herren, es is eine vollständige Wanderung der Achse des Weltverkehrs vom Osten nah dem Westen und wieder vom Westen nah dem Osten, eine Erscheinung, die die Astronomen in Bezug auf die Erdbewegung die Wanderung der Apsidenlinie nennen, fo zu sagen Pendelshwingungen der Achse. Diese Verschiebung macht sih au in andern Welttheilen bemerkbar. Der Verkehr ist seit Aufschluß Amerikas auch dort nah Westen gegangen, wendet sich aber wieder nah Osten durch die Pacificbahnen und die beiden großen Dampferlinien von San Francisco und Vancouver nach Yokohama. Gleichzeitig wird Ost-Asien angeschnitten durch den großen Plan der russischen Regierung, die sibirishe Eisenbahn fertig zu stellen, was möglih i, wenn es gelingt, die großen Ströme mit ihrem sehr großen Ueberschwemmungsgebiet und den starken Eisgang zu überwinden. Dann wird eine Verbindung mit China und Japan hergestellt scin, mittels der wir statt der 40 bis 45 Tage, die wir jeßt brauchen, nur noch 22 Tage bedürfen werden, also au eine Wan- derung weiter nah dem Osten.

Der dritte Grundgedanke des Weltpostvertrags war die äußerste Vereinfachung des Dienstmechanismus und der Betriebsformen. Hier herrshte ein wahrer Byzantinismus. Einen überseeishen Postkartenshluß zu fertigen, dauerte früher mehrere Stunden jeßt ebensoviel Minuten. Es handelt \sich beim Post- betrieb darum, Genauigkeit mit Raschheit zu verbinden eigentli zwei Gegensätze aber die Formen wurden gefunden und haben si in jeder Beziehung bewährt.

Nun aber, meine Herren, möchte ih ließen, denn ih fürchte, Sie schon zu lange ermüdet zu haben. (Widerspruch.) Ich danke und will Ihnen meine Dankbarkeit dadurh beweisen, daß ih gleich zum Schluß komme und Ihnen nur noch einige kurze Daten aus der Statistik vorführe.

Der Postverkehr Deutschlands mit dem Auslande, also der Ver- kehr, der unter diesen Vertragsstaaten herrs{cht, betrug im Jahre 1875 86 Millionen Briefsendungen, im Jahre 1890 8325 757 000 Briefsendungen, Postanweisungen im Jahre 1875 circa 530 000 Stü, 1890 2861000 Stück; gewöhnlißhe Padete im Jahre 1875 1 486 298 Stück und im Jahre 1890 7 394 570 Stück. Der gesammte internationale Postverkehr aller Länder untereinander, also gerade der, auf den sich diese Verträge erstrecken, hat betragen im Jahre 1875 925 Millionen Briefsendungen, im Jahre 1889 9759 Millionen Briefsendungen, ist also um das Dreifache gestiegen

lionen, gewöhnliche Packete 34 Millionen, jeßt 23 Millionen. Die Gesammtzahl der Postsendungen im ganzen Erdenrund beträgt heut- zutage 15 Milliarden, das macht täglich 41 Millionen. Es bestehen im Weltpostverein 170 000 Postanstalten und sind 700 000 Postbeamte thätig, wovon Deutschland ungefähr 122 000 zählt infolge der großartigen Ausdehnungen unserer Post- und Telegraphen-Anstalten und unserer sehr bedeutenden Fahrpoften ; diese übertreffen die fran- zösische um das Fünfeinhalbfache, die englische um das Zweieinhalbfache. Nun kann man diese riesige Entwickelung ja nicht dem Weltpost- vercin zuschreiben. Es ist klar, daß da die ganze Culturarbeit der Menschheit, die außerordentliche Entwickelung unserer Zeit, die Gisen- bahnen, die Aufschließung ganz neuer Länder ih erinnere nur an Afrika ferner die Herstellung der übersceishen Dampfer- linien mitgewirkt haben und daß das alles sehr wesentlih dazu beigetragen hat, den Verkehr in der Weise zu heben, aber ebenso dürfte unbestritten scin, daß der Wesltpostverein einer der Fittihe gewesen ist, auf welchen sih dieser große Aufschwung des ganzen internationalen Verkehrs vollzogen hat. Aber, meine Herren, und damit möchte ih s{chließen, noch höher als diese materiellen Vor- theile, die ja Allen täglich zu statten fommen und einleuhten, werden wir do, glaube ih, den idealen Gehalt \{häßen müssen, der in der Thatsache liegt, daß sämmtliche cipvilisirte Nationen des Erden- runds aus freier Entschließung in Unabhängigkeit ihres Willens sih zu dieser großen Gemeinschaft vereinigt haben. Sie stellen eine Ge- meinschaft dar, welhe einem einheitlihen Gese unterworfen ist, nach dem sie sih bewegt, einen lebensvollen Organismus, dessen Thätigkeitsäußerungen dem Ganzen sowohl wie jedem einzelnen Gliede zu statten kommen. Diese Gemeinschaft hat bezügli ihres Gebiets sämmtliche Grenzen der Staaten sowohl wie der Welttheile niedergelegt, alle trennenden Scheidewände entfernt, und den großen Gedanken der völligen Verkehrsfreiheit verwirklicht, der Verkehrs- freiheit, von der ih mit Anklang an ein bekanntes Wort aus den Briefen des Junius sagen möchte: Nehmt uns alle Freiheiten, aber laßt uns die Verkehrsfreiheit, sie wird uns alle anderen wieder zurüdck- bringen. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Dr. Buhl (nl.): Die Erinnerung an die vergangene Zeit lehre, welche Erleichterungen im Verkehrswesen durch den Welt- postverein ins Leben gerufen seien, und alle wüßten, eine wie hervor- ragende Rolle bei diejen Arbeiten der Staatssecretär Dr. von Stephan gespielt habe, er dürfe daher wohl als Referent für den Etat der Neichs-Postverwaltung im Namen der überwiegenden Mehrheit des Reichstags ihm Dank für seine Bemühungen aussprehen. (Beifall.) Er (Redner) habe zuerst gedacht, das neue Abkommen solle die Krönung des Gebäudes darstellen, aber man höre heute von anderen Plänen des Staatssecretärs sprechen, und man sei überzeugt, daß er au ihnen gerecht werden würde. Er dürfe also seine kurzen Ausführungen damit schließen, daß er niht nur den Dank für das bisher Geleistete, sondern auch die besten Wünsche ausspreche für das, was der Staats- \secretär in Zukunft vorhabe. (Beifall.) / : i

Auf die erste Lesung des Vertrags folgt sofort die zweite, in der er nebst Schlußprotokoll, sowie die Uebereinkommen, betreffend den Austausch von Briefen und Kästchen mit Werth- angabe, den Postanweisungsdienst, den Austaush von Post- paeten, den Postauftragsdienst und den Postbezug von Zeitungen und Zeitschriften, ohne Debatte genehmigt werden.

Es folgt der Bericht der Geschäftsordnungskommission über die Fortdauer des Mandats des Abg. Brünings falz).

(Pf Referent Abg. Hahn (cons.): Der Abg. Brünings, früher Landgerichts-Rath, habe den Nang, Titel und das Gehalt eines Dber- Landesgerichts-Raths erhalten; da er aber noch die Functionen eines Naths am Landgericht ausübe und auch sein neues Gehalt nicht über das Maximalgehalt des Landgerichts-Raths hinausgehe, so sei seine Stellung den Wählern gegenüber dur fein Apvancement nicht alterirt; die gegentheilige Auffassung der bayerishen Kammer habe die Commission in diesem Beschluß nicht zu alteriren vermocht, das Mandat des Abg. Brünings für nicht erloschen zu erklären.

Ohne Debatte schließt sich das Haus diesem Antrag an.

Das Haus sezt darauf die zweite Berathung des Etats für 1892/93, und zwar mit dem der Nei hs-Justizverwal- tung, fort.

Dazu liegt der Antrag des Abg. Dr. von Bar und Genossen vor:

„Die verbündeten Regierungen zur Vorlegung des Entwurfs eines Geseyes, betreffend die Auslieferung von verurtheilten und angeshuldigten Personen an auswärtige Regierungen, aufzufordern, in welchem: 1) die Auslieferung, în Ansehung e der Be- willigung der einzelnen Auslieferungen wie der R le Aae von Auslieferungsverträgen, der ausschließlichen Zuständigkeit des Reichs überwiesen, 2) die Bewilligung der einzelnen Auslieferungen von der Mitwirkung der Gerichtshöfe apbengls gewa wird, und 3) die Regierungen verpflichtet werden, die Aufhebung der von ihnen mit auswärtigen Regierungen abgeschlossenen , besonderen Auslieferungs- verträge herbeizuführen, unbeschadet jedoch derjenigen etwa ae den Verträge und vertragsmäßigen Bestimmungen, welche die Rechts- N A Grenzbezirken bezüglih der Feld-, Forst- und JIagdfrevel

etreffen.“

Abg. Sperlih (Centr.) referirt über die Verhandlungen in der Budgetcommission, welche u. A. die Mehrforderung für die Justiz- commission zur Berathung des bürgerlichen Geseßbuhs anstandslos bewilligt hat. Auch eine Revision anderer Gesetze: des Strafgeseßes, des Sande agene, der Iustizorganisationsgesete u. \. w. ist als un- erläßlih bezeichnet worden. 7

Abg. Schröder (dfr.): Er habe persönlich das größte Interesse für das Zustandekommen des bürgerlichen Geseßbuhs und würde es als eine besonders glücklihe Fügung seiner Lebensführung anschen, wenn er recht bald dafür hier im Hause eintreten könnte, wie seiner Zeit für die Justizgescwe. Aber die Verhandlungen in der Com- mission hätten ihm gewisseBesorgnisse eingeflößt. Es liege ja in der Natur cines solhen Werkes, daß _es nicht alle befriedigen . könne, am allerwenigsten die Ansprüche der Juristen. (Heiterkeit.) Aber es habe do, abgesehen von einer aus ganz kleinen Kreisen hervor- gegangenen principiellen Opposition, die nicht das gegenwärtige wirklihe Recht codificiren, sondern frühere, längst vergangene Rechtsanshauungen wieder aufleben lassen wolle, im großen und ganzen Anerkennung gefunden. Hier im Hause aber habe jene Opposition keine nennenswerthe Vertretung ge- funden, vielmehr habe sch eine volle Uebereinstim- mung Ausdruck verschafft, daß das große zehnjährige Werk der Justiz- commission als eine durchaus geeignete Grundlage der bürgerlichen Gesetzgebung anzusehen sei. Er sei der Meinung, daß man jentr Uebereinstimmung dadur Auêdruk geben solle, daß man eine noh- malige Revision des bürgerlichen ( eseßbuhs hinsichtlich der jur!- stischen Formulirung nicht für nothwendig erkläre. nders sei es ml einer allerdings nothwendigen, durhgreifenden \sprahlichen Revision und Redaction. Die juristishen Controversen über das Detail würden bestehen bleiben, so lange Geseybücher emacht würden. Auch etwas mehr Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse des Volkes könne vielleiht noch genommen werden. Dagegen habe man eigentli eine genügende Garantie, daß der Ge eßentwurf unter dem Gesichtspunkt der juristishen Technik und Wissenschast R nügende Durcharbeitung habe, und man werde gut thun 1h an dem bisher erreihten Resultat genügen zu lassen. Das rtheil über die Mitglieder der gegenwärtigen Commission in allen

Schweden, Portugal, Rußland u. f. w., waren damit einverstanden,

in den vierzehn Jahren ; Postanweisungen 5 Millionen, jeßt 15 Mil-

Ehren aber man werde doch sagen müssen, daß alle

daß schon durch diese Fassung ihrer Aufgabe der Gedanke ausgeschlossen

wünsheñêwerthen Garantien in der ersten Commisfion in

ausreichendem Maße gegeben worden seien. Die Mitglieder der jeßigen Commission würden felbst nicht sagen, daß sie den Beifall derjenigen finden würden, deren Beschlüsse man abgeändert habe. Ein wirklicher Gewinn für die Nation könne von der weiteren Arbeit niht mehr erwartet werden. Vielleicht fei es mögli, der Commission einen Rahmen in der von ihm angedeuteten Richtung ;u geben, innerhalb dessen sie si mit ihren Aenderungen zu halten habe; sonst werde die Zeit, ein ceinheitlihes bürgerlihes Recht zu schaffen, vielleicht versäumt werden. Die Commission tage jeßt zehn Monate und sei über die allerersten Allgemeinheiten noh nicht hinausgekommen. Wer die Referate verfolge, werde den Eindru haben, daß noch eine unabsehbare Reihe von Jahren erforderlich sein werde, his die Commission zum Abschluß ihrer Arbeiten gelangen werde. Durch alle solche Revisionen auch durch die gestern bei der Berathung des Fp hier ausgesprohenen Wünsche werde die Ausführung dieses großen Werkes wieder gefährdet. Ein beshleunigteres Tempo der Berathungen der zweiten Commission halte er deshalb für dringend nothwendig.

Staatssecretär Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch kann dem Herrn Vorredner nur dankbar sein, daß er die Frage des bürgerlichen Geseßbuchs hier einmal zur Sprache gebracht hat, wie ih denn auh dem Herrn Berichterstatter der Budgetcommission sehr dankbar gewesen bin, daß er mir Gelegen- heit gegeben hat, mih auch in der Commission über die Sache zu äußern. Ich bedauere nur, daß ih heute nicht laut sprechen kann wie ih es selbst wohl wünschen möchte bei einer Sache, die mich selbst in so hohem Grade interessirt.

Meine Herren, das bürgerlihe Gefeßbuch ift eine überaus widtige Sache, und der Herr Vorredner hat Necht, jedes Jahr der Verzögerung bedeutet eine Gefahr für das endlihe Zustande- fommen des Werks. In der That hat der Reichstag mit Rücksicht auf diese Verhältnisse wirklih ein Reht und gewiß cin sehr lebhaftes Interesse daran, darüber einmal von hier aus etwas Genaueres zu hören, wie denn eigentlih die Sache in der Commission angegriffen wird, wie sie vorwärts geht, welche Aussichten sie bietet und in welcher Zeit etwa ein Abschluß zu erwarten ist, und endlich au, welhe Rückwirkung die Arbeiten für das bürgerliche Geseßbuch, nachdem sie nun einmal in eine engere Verbindung mit dem Reichs-Justizamt gebraht worden sind, nicht bloß auf die ordnungsmäßige Erledigung der Geschäfte im Reichs-Justizamt, sondern auch auf die Junitiative der Neichs-Justiz- verwaltung für die Jnangriffnahme und Vorbereitung der geseßz- geberischen Reformen, deren Bedürfniß ja in den weitesten Kreisen empfunden wird und das auch wir im vollsten Maße anerkennen, aus- übt, Das sind Dinge von fo großem Interesse, daß ih nur wünschen kann, daß darüber volle Klarheit herrsht, und ih werde mi be- müben, so kuxz als es mir möglich ist, Ihnen Aufschluß zu geben. Ich bemerke übrigens dem Herrn Vorredner, daß wir in unserer Auffassung der Aufgaben der jeßigen Commission und namentlich auch in der Beurtheilung des ersten Entwurfs uns sehr viel näher stehen, als der Herr Vorredner angenommen zu haben fceint.

Meine Herren, wenn ih nun über diese Dinge, die ih eben be- zeichnet habe, Auskunft geben sfoll, fo will ih gleih vorausschicken, sehr weit über bloße Andeutungen werde ih nicht gehen können. Ich fann mih hier auf Einzelfragen, auch niht einmal auf folche, ob man die röômish-rechtlihe Entwickelung so mit einem Schlage wieder vernichten und an deutsch-rehtlihe Institute anknüpfen sollte, die zum theil gar nicht einmal mehr im NRechtsbewußtsein unseres Volkes eristiren, während auf der anderen Seite es ja vollkommen berechtigt ist, von uns zu verlangen, daß wir anknüpfen müssen an das jetzige thatsählihe Rechtsbewußtsein des Volkes, eingehender nicht einlassen. Wir würden diese Fragen hier ja doch niht ausmachen fönnen. Vorausschicken will ih bezüglih der Begrenzung unserer jeßigen Aufgabe, daß der Bundesrath, der jeßt für die Nevision des ersten Entwurfs berufenen Commission, wie ih {hon angedeutet habe, die zweite Lesung dieses Entwurfs aufgetragen hat. Und die Commission hat von vornherein sih auf den Standpunkt gestellt,

ist, daß sie die ganze Geschichte noch einmal von vorn anfangen fol. Meine Herren, ein solher Gedanke ift uns gar niht gekommen. Solches is ja von gewisser Seite her von uns verlangt, und es wird uns auh jeßt noch vorgeworfen, daß wir nicht so verfahren, es ist noch im vorigen Jahre in der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ ein Artikel erschienen, worin der Commission ein s{werer Vorwurf dar- aus gemacht wurde, daß wir überhaupt das System des ersten Ent- wurfs auch nur zu Grunde gelegt haben, daß wir niht neuc Nedactoren ernannt und selbs ein neues System geschaffen und dieses System selbständig ausgeführt und die ganze Arbeit der ersten Commission fo nebenher als Material benußt haben. Nun, meine Herren, diese Auf- saffung ist für uns geradezu unmöglich; sie ist auch unbegründet. Ich kann das vielleicht hier gleich anknüpfen.

A Der erste Entwurf hat gewiß manche Mängel, er bat erhebliche Mängel in der Sprache: er is im ganzen und großen nicht ver- [tändlich, niht gemeinfaßlih, nicht volfsthümlih genug, und diese Mängel der Sprache hängen doch auch einigermaßen zusammen und Herr Abg. Schröder wird mir das bestätigen, daß sih das gar nicht vollständig von einander trennen läßt mit der Frage der juristischen Construction. Auch die juristishe Construction gewisser Rechtsinstitute ist hier und da im ersten Entwurf etwas lchrbuchhaft und etwas doctrinär ausgefallen, und ih halte es allerdings für cine der Aufgaben der jeßigen Commission nah dieser Richtung verein- fachend, klärend, durchsichtiger gestaltend auf den Entwurf einzuwirken. Aber, meine Herren, den Entwurf so zu tadeln, wie das von manchen Seiten geschehen ist, das ist eine große Ungerechtigkeit. Jeder, der si mit dem Entwurf beschäftigt und beschäftigt hat, kommt zu dem Resultat, und zwar je länger und je tiefer er in diese bewundernswerthe Arbeit der ersten Commission eindringt, desto mehr, daß hier eine Unsumme der treuesten Hingebung und Kraft angewendet worden, und daß es dieser Hingabe jener Männer auch gelungen ist, ein Werk zu schaffen, das in der That eine unvergleihlihe Grundlage für die Codification, mit der wir jetzt beschäftigt sind, bildet, das als Vorarbeit, als Grund- lage, als erste Arbeit geradezu unübertreflich ift, troß der Mängel, die ih eben berührt habe. Und, meine Herren, darüber kommt man nicht weg das hat auch die Kritik gezeigt : die Kritik ift je länger Je mehr desto milder und desto anerkennender geworden, und das er- fahre ih noch täglich: wenn der Strom der Kritik auh etwas nach- läßt, so läuft er doch noch immer. Noch tägli gehen kritische Arbeiten bei mir ein, gedruckte und ungedruckte, und sie werden auch verwerthet. Jh komme darauf zurü.

Also so \tehen wir nicht zu dem Entwurf, daß wir ihn für un-

deutshe Rechtswissenschaft schon dadurch von unshäßbarem Werth

berufenen Männer, diese großartige Arbeit, die dur vierzehnjährigen Fleiß der ersten Commission geliefert is, von Grund aus in ihren tiefsten Grundlagen umzumodeln. So steben wir nicht zur Sache und, so weit ih sehe, wohl faum ein einziges Mitglied der jeßigen Commission. :

Ich bemerke, daß, als ih in das Neichs-Justizamt berufen wurde, mir die Verbindung der Commissionsarbeit mit der Neichs-Justiz- verwaltung von vornherein sehr s{chwierig erschienen ist. Jch bin mit der äußersten Sorge, ich kann sagen, mit Furt und Zittern in die Sache eingetreten. Das war auch ganz begreiflich, wenn man berück- sichtigt, daß ih jahrelang in der Praris gestanden habe und es mir nicht leicht sein konnte, mich in diese Arbeit hineinzufinden. Ich habe Mas zweierlei bewirkt. Auf meinen Vorschlag, richtiger auf den Vorschlag des Herrn Reichskanzlers, ist zunächst die Commission noch verstärkt worden durch cinen preußischen Rechtsanwalt aus dem Land- rechtsgebiete. Das war cin Wunsch, der jedem, der sih überhaupt mit der Literatur, die über den Entwurf entstanden war, befaßt hatte, entgegentreten mußte. Das war eine Lücke, die ausgefüllt werden mußte, und fie ist auch in der glücklichsten Weise ausgefüllt worden. Ebenso ist für die Vertheilung der Geschäfte sowohl in der Commission als für das Verhältniß der Commission zum NReichs-Justizamt von großem Nutzen gewesen, daß mein nächster Herr College im Reichs- Justizamt ebenfalls mit in die Commission berufen worden ift.

i Die Commission besteht aus 24 Mitgliedern, theils folchen, die schon beim ersten Entwurf mitgewirkt haben, theils aus Leuten mehr pratktishen Berufs. Die Commission hat merkwürdigerweise genau die Gestalt gewonnen, die der alte Thibaut vor 80 Jahren in seinem Kamvfe gegen Savigny für die Commission zur Herstellung eines deutschen bürgerlihen Geseßbuchs vorgeschlagen hat. Er sagte damals, fie müsse zur Hälfte aus gelehrten Juristen, zur andern Hälfte aus prakti- schen Geschäftsleuten bestehen. Und so ist die Sache auch geworden, und soweit ih f\ehen fann, bewährt sich die Sache au, namentlich für das jeßige Stadium der Arbeit.

Nun, meine Herren, es ist ganz zweifellos unsere Aufgabe, den Entwurf volksthümlicher, einfacher, durchsichtiger, gemeinverständlicher in der Sprache und auch in der Construction der einzelnen Nechts- institute zu gestalten. Die Zusammenseßung der Commission hat sich im ganzen, glaube ich ih sehe hierbei natürlich von meiner Person immer vollständig ab bewährt. Es hat ein glückliher Stern darüber gewaltet. Fast alle politishen Parteien sind in der Commission vertreten, und ebenso sind in der Commission alle die großen Strömungen, die in der juristishen Welt vorhanden sind, deutlich erkennbar. Aber bei allen diesen großen Gegensäßen, die sih auch in der Commission geltend machen, spielen erstens und das ist doch namentlih in einer Zeit wie die unserige sehr beahtenswerth die pelitishen Gegensäte gar keine Nolle. Die politischen Gegner gehen ganz eng Hand in Hand auf juristishem Gebiet und so auch um- gekehrt.

Noch viel bemerkenswerther ist die erfreulihe Thatsache, daß alle Mitglieder der Commission, Juristen und Praktiker, ständige und nicht ständige, von der großen Bedeutung und der Verantwortlichkeit der Aufgabe vollkommen durchdrungen find, fodaß jedes Mitglied dem anderen - für eine sachlihe Verständigung die Wege zu bahnen und zu ebnen sich bemüht. Ich schiebe das namentlih auch auf dieses glük- liche Zusammentreffen der Persönlichkeiten, daß eine große Arbeits- freudigfkeit in der Commission herrscht, eine fo große, daß auch die nichtständigen Mitglieder, die zwar berechtigt, aber nicht vervflichtet sind, an allen Sitzungen theilzunehmen, regelmäßig zu jeder Sigung erscheinen, wenn nicht ganz besondere Hinderungsgründe sie einmal ab- halten. Das ift auch ganz begreiflih, denn eine Aufgabe, wie die Codification des deutschen bürgerlichen Rechts, die in alle Verhältnisse unseres Volkes viel tiefer hinabgreift als es jetzt im Volke noch geahnt wird man wird das noch einmal empfinden, wenn der Entwurf Geseß wird, ergreift den ganzen Menschen und muß ihn auch ergreifen. Mit bloßer leichter spielender Arbeit ift diese Aufgabe nicht zu lösen, fondern wer daran mitarbeiten will, der muß den Entwurf im ganzen und im einzelnen studiren, und muß si fort- während über die Arbeiten der Kommission auf dem Laufenden er- halten. Und das geschieht in vollstem Maße von den Mitgliedern der Commission. Ich kann darüber nur meine vollste Befriedigung aus\prechen. Wie gesagt, das liegt ja wesentli in der Größe der Aufgabe, die den ganzen Menschen ergreift und die den, der damit befaßt ist, Tag und Nacht nicht wieder losläßt. Ï Ueber den ersten Entwurf habe ich mich bereits geäußert. Wenn der erste Entwurf kein anderes Verdienst hätte, fo würde er für die

geworden sein, daß er eine so ausgezeichnete, tief eingreifende Kritik zu Tage gefördert hat. Meine Herren, es ist geradezu unglaublich, wie die gesammte deutshe RNechtswissenschaft sich dieses Entwurfs be- mächtigt und ihn ihrer Kritik unterzogen hat, und nicht - bloß die Nechtswissenschaft, sondern auch die Praxis, auch die redtspredenden Richter und Gerichte. Diese reibe und wissenschaftlih äußerst werth- volle Kritik, die in Büchern, in Zeitschriften, in Zeitungsartikeln, in handschriftlihen Arbeiten aller Art besteht, ist im Reichs-Justizamt mit großer Sorgfalt gesammelt. Jch kann wohl sagen: über den Entwurf ist in keinem Lande der Welt eine Zeile gedruckt, die nicht im Reichs-Justizamt gesammelt und, wenn fie irgendwie, fei es auch nur nach der negativen Seite, Beachtung verdiente, auch berücksichtigt worden ist. Nun, meine Herren, diese Kritik ist in mehreren Bänden gesammelt, sie bildet gewissermaßen mit dem Ent- wurf zusammen, ferner mit den Motiven des Entwurfs, und wo es sein muß, auch wohl einmal mit einem Zurückgehen auf die Proto- folle und Materialien der ersten Commission, die wir natürlich zur Hand haben die Grundlage, das Handwerkszeug, fo zu sagen, mit dem wir in die Commissionsarbeiten hineingegangen find und täglich hineingehen.

Meine Herren, {on mein Herr Amtsvorgänger hatte die Ar- beiten der Commission dadurch etwas zu erleichtern gesucht, daß er angefangen hatte, in einer sogenannten Vorcommission, zu der er auch die Referenten der Commission hinzugezogen hat, Abänderungsvor- schläge, namentlich auch nach der formalen Seite hin, vorzubereiten.

Ich bin gleih vom ersten Tage an, als ih zum Staatssecretär des

Reichsjustizamts ernannt bin, auch in diefe Vorcommission eingetreten ;

und nicht ih allein, sondern au) die Commission hat \sih überzeugt,

daß die Arbeiten dieser Vorcommission, so shwer sie uns oft belastet

haben, doch eine ganz außerordentlich nüßlihe Vorbereitung für die

brauhbar hielten, oder daß wir gar daran dähten, wir wären die

Berathungen der Hauptcommision gewesen sind, und es ift bis jeßt

commission vorzubereiten. Es ift dort also das Wesentliche {on einmal vorberathen, cs sind die Vorschläge formulirt und diskutirt; die An- s{auungen flären si ab, und die beschlossenen Anträge werden dann in der Hauptcommission eingebraht. Dadurch wird eine ganze Masse unnüßes Material bei Seite ges{hoben. Es ist mögli, daß wir im Laufe der Zeit dahin gelangen, auh einmal ohne Vorcommission zu arbeiten. Das wird auch, wenn wir jegt in die einfacheren Theile des Obligationenrechts hineinkommen, meglich sein. Bei anderen Theilen ich will nur an den Werkverdingungsvertrag und den Miethsvertrag (, Kauf bricht Miethe“) u. \. w. erinnern ist wieder die Kritik fo tief gegangen, und die Fragen, um die es sih da handelt, sind so schwierig und einschneidend, daß wir, auch wenn wir uns wesentlich an den ersten Entwurf halten, sie doch nicht ignoriren können, beim besten Willen nicht, und da wird auch die Vorcommission wieder zusammentreten und vorarbeiten müssen. Das wird sich auch ganz gut neben der eigentlichen Commission machen lassen. So vor- bereitet, sind wir am 1. April v. I. in die zweite Lesung des Entwurfs eingetreten. s E

Nun, meine Herren, wir haben bis zum Juli den allgemeinen Theil erledigt, und man muß immer berüsihtigen, daß da noth- wendig eine Menge grundlegender Fragen zur Sprache kommen mußten und in der Commission durchgesprohen wurden. Das i} auch geschehen. Wir haben nur ausgeseßt den Abschnitt über die juristischen Personen aus guten Gründen. Auch dieser Abschnitt ist inzwischen erledigt. Wir sind jeßt etwa genau in der Mitte des Obligationen- rechts, so daß ih annehmen darf, daß wir bis Anfang Juli d. I. das Obligationenrecht beendigt haben werden. Dann würde uns nah der Sommerpause zunächst das Sachenreht für den Winter 1892/93 bleiben, im Sommer 1893 das Familienrecht und soweit möglih auch noch ein Stück Erbrecht, und spätestens im Jahre 1894 würde man mit dem Erbrecht wohl fertig werden fönnen. Es blieben uns dann noch das Einführungsgesez, das aber im wesentlichen hon durch die laufenden Beschlüsse über den Hauptentwurf vorbereitet wird.

Dann bleibt uns aber noch eine nohmalige Schlußlesung, so zu sagen eine Redactionélesung. Denn wenn auch die Redactions- commission, die wir gebildet haben, mit großer Sorgfalt fortlaufend sofort sih an die Arbeit macht und in jeder Woche die gefaßten Be- c{lüsse formulirt, so muß doch die Autorität der ganzen Commission dicse Fassung nochmals gründlich durhprüfen und etwaige materielle und formelle Unebenheiten corrigiren. Kurz, cs wird eine solhe Schluß- lesung unerläßlich sein. i A

Vorausfcßung ist für diese Berehnung, für die ih ja natürlich feine Gewähr übernehmen fann, daß im wesentlichen die Commissions- mitglieder die Arbeit aushalten. Bis jetzt ist das gegangen, und wir wollen hoffen, daß es auch ferner gehen wird. Es wäre fehr s{chwer, namentsich wenn ciner von den Referenten durch Krankfheit ausfallen sollte; das würde in der That eine sehr s{hmerzlihe Unterbrehung unserer Arbeit herbeiführen können. Wenn aber solche Unterbre{ungen nicht eintreten, wenn wir ruhig weiter arbeiten dürfen, dann, glaube ih, ist diese Berechnung, wie ih sie eben aufgestellt babe, auch feine allzu optimistische.

Ich muß ja freilich sagen: wir geh missionësizung in der Hoffnung, heute sehr viel zu erledigen, und bleiben an einem Paragraphen bängen; es zeigen sich da Tiefen und Gegensäte, die nit vorherzusehen waren und die niht immer {nell zn bewältigen sind. Aber auch das Umgekehrte kommt vor; wir gehen zuweilen mit Zittern und Zagen bin und mit dem Gedanken: heute wird es sehr schwere, heftige Debatten geben, und siche! die Mit- glieder der Commission verständigen sih im Handumdrehen, und die Sathe geht schneller als wir gedacht haben.

Wenn nun der Herr Abg. Schröder gemeint bat, wir möchten uns doch bemühen, die Sache etwas schneller zu maten, so muß ih eins zugeben, und das ift auch etwas, worauf i als Vorsitzender binzuwirken mich bemühe: wir alle müssen uns eine gewisse Selbst- beshränkung auferlegen. Davon sind aber auch die Mitglieder der Commission durchdrungen. :

Auf der anderen Seite muß ih aber doch auch das bervorbeben: fein Mitglied der Commission, kein Jurist überbaupt bringt irgend einen Zweifel oder einen Gegenvorschlag in dem Bewußtsein vor, daf er damit juristishe Finefsen oder juristische Kinferlitzhen vorträgt sondern er bringt es vor mit dem vollen Pathos eines guten Ge- wissens; es ist ihm eine Gewissensfache, für ibn ift es die inaterielle Gerechtigkeit, die er gerade in diesen, vielleicht sebr feinen Ausführungen, mit denen er den Entwurf angreift und zu verbessern trachtet, erblidckt. Und, meine Herren, das müssen Sie mir doc zugeben: 1s würde es mir nicht wohl anstehen, mich von vornberein zum Richter über die Gewissen der Commissionsmitglieder aufzuwerfen: würde es auh die Freudigkeit der Commissionsmitglieder zu nihte machen, wenn ich willfürlih dazwischen fahren wollte. Ich fann nur zur Selbstbeshränkung uns alle ermahnen und auch durch die Hand- habung unserer Geschäftsordnung einigermaßen anhalten; ih darf aber auch versichern, daß ih das nach bestem Wissen und Gewissen thue, und daß ih es auch thue im Einverständniß mit der Commission, denn auch in der Commission wird fehr stark dabin gedrängt, daß wi doch schneller als bisher vorwärts kommen möcbten. Dann, meine Herren, darf ich vielleicht noch etwas erwähnen über die Mittheilungen, die ih im „Reichs-Anzeiger“ vom ersten Augenblick an, wo dic Commission tagte, babe veröffentlichen lassen. Die Arbeit unserer Commission braucht niht verbeimliht zu werden, und ih babe in vollem Einverständniß mit dem Herrn Reichskanzler von vornhbercin darauf gedrungen, daß wir fortlaufend davon Kunde geben, wie wir vorwärts kommen. Meine Herren, daß das auch manchem etwas zu langsam einmal erscheinen kann, das ist möglich, umsfomebr, als ich die Formulirung unserer Beschlüsse ja nit mit- geben kann, wenigstens niht immer; sie steht ja oft noch gar nicht einmal fest, und ih kann die Veröffentlichung nicht bis zur Beendi- “gung der Redactions-Commissionsarbeiten hinausschieben. Daduúürch würde wieder die fortlaufende Veröffentlihung des Fortgangs unserer Arbeiten an Interesse verlieren.

Meine Herren, daß wir es auh in dicsem Punkte nicht allen Leuten recht machen können, ift ganz zweifellos; aber wenn die Com- . mission dieses Licht der Oeffentlichkeit niht vertragen könnte, dann wären unsere Arbeiten von “selber von vornherein gerichtet. Nein, wir haben nihts zu verheimlihen, und ich wünschte, ich hätte das Lokal, um Mitglieder des Reichstags einladen zu können, felbst-ein- mal an den Comumissionssißzungen theilzunehmen. Es stände gar nihts entgegen, daß auch einmal ein Dritter zubörte und si über-

n zuweilen in eine Com-

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auch gelungen, alle die Abschnitte, die wir durhberathen haben, in der Vor-

zeugte, wie die Commission ihre Arbeiten angreift, und ich glaube,