1892 / 32 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

wir würden dabei bestehen können, und man würde, wenn man nicht allzu große Anforderungen machte, fagen müssen: die Sache wird mit Eifer, Fleiß und Gewissenhaftigkeit von den Mitgliedern der Com- mission betrieben.

Außerdem erscheint aber auch fortlaufend noch ein etwas weit- läufigerer Bericht in den Konrad’schen Jahrbüchern, ein Bericht, der auch zugleich die vorläufigen Fafsungen mittheilt, sodaß er jeden, der sih ernsthaft mit der Sache beschäftigen will, in den Stand seßt, ganz genau controliren zu können, was die Commission bis jeßt ge- macht hat und was nicht. Jch bin weit entfernt, das zu hindern, sondern freue mich darüber, daß der Bericht erscheint, und bin von dem Nutzen folcher Mittheilungen durchdrungen, würde auch davon selbst dann durchdrungen fein, wenn der Nutzen, den die Oeffentlich- feit sachlich für die Commission hat, aufgewogen oder erkauft werden müßte dur persönlichen Tadel gegen mich oder die Mitglieder der Commission.

Man hat uns den Vorwurf gemacht, wir arbeiteten nicht gründ- li genug, wie ih schon vorher gesagt habe, wir hätten die ganze Geschichte von vorn anfangen müssen. Hätten wir uns darauf ein- gelassen, hätten wir wirklih das Mandat, das wir „zur zweiten Lesung des Entwurfs“ empfangen haben, so interpretirt, was ich für fals gehalten hätte, danu wäre im günstigen Falle in diefem Jahrhundert an cin Zustandekommen des Entwurfs nicht mehr zu denken gewesen, während ich doch hoffen darf, daß wir etwa an der Scheide der beiden Jahrhunderte, wenn sonst alles gut geht, das Ge- sebuh werden in Kraft treten sehen.

Es ift ja au nit mögli, allen Einwürfen, denjenigen, die uns sagen: ihr arbeitet nicht gründlich genug, und denjenigen, die uns sagen: ihr arbeitet nicht {nell genug, gleichmäßig gereht zu werden. Für uns aber kommt es darauf an, daß wir bei dem, was wir machen, und wie wir es machen, ein gutes Gewissen haben.

Meine Herren, ih hoffe, daß Sie aus diesen Mittheilungen wenigstens so viel Kenntniß der Sache gewonnen haben werden, daß Sie der Commission zutrauen, daß sie es sich angelegen sein läßt, ihr Mandat sobald als möglich zu erfüllen. Ich habe zur Zeit gar keinen Anspruch darauf, um Jhr besonderes Vertrauen zu bitten; ih wüßte nicht, worauf ih das gründen sollte. Aber so weit dürfen Sie, glaube ih, dieser Commission und den Männern, die in der Commission sien, vertrauen, daß sie es sich angelegen sein lassen, jede unnöthige Verzögerung nah Kräften zu vermeiden.

Gestatten Sie mir nun noch zwei Worte über die Frage, welchen Einfluß die Verbindung der Commissionsarbeiten mit dem Reichs- Justizamt auf die dem Justizamte sonst obliegenden großen Reform- arbeiten hat. Es ist mir das von Werth, auch in dieser Beziehung mich hier offen auszusprechen.

Es ist wahr, daß die Arbeiten für das bürgerliche Gesetzbuch eine sehr große Arbeitslast für das Justizamt mit sich bringen, und ih glaube, getrost behaupten zu können, daß intensiv und extensiv augenblicklich keine Behörde im ganzen Deutschen Reiche existirt, die eine verhältnißmäßig gleih große Arbeitslas zu be- wältigen hat. Denn wir haben im Justizamt zu unseren ohnehin {hon mit jedem Jahre wachsenden, fonstigen Arbeiten noch dieses Plus hinzubekommen, und diescs Plus läßt sich au dadurch nicht erleichtern, daß man etwa die Mitglieder des Justizamts noch vermehrte. Denn s{chließlich würde doch wieder alle Arbeit in der Leitung zusammenlaufen, und da würden die Schwierigkeiten sich immer wieder zeigen, und die Leitung muß eine einheitliche bleiben.

Aber ih kann doch auf der anderen Seite auch ehrlich versichern: Die Sache ist bisher gegangen, zuweilen ret s{chwer, aber do, wie ih hoffe, nicht auf Kosten des quantitativ und qualitativ zu Leistenden. Ich hoffe, dur eine passende Vertheilung der Arbeit die leßtere be- wältigen zu können. Die laufenden Arbeiten des Justizamts, feine Syndikatsarbeit das Amt ist ja gewissermaßen Justitiar für alle übrigen Reichsressorts die Verwaltungssachen, die Strafregistersachen, die Reichsgerichtésachen werden auch an den Situngstagen der Commission vollständig auf dem Laufenden erhalten, und es müssen dann an den Tagen, wo die Commission nicht tagt, die Vorbereitungsarbeiten für den Bundesrath und die Vorbercitungsarbeiten für die Commission und die großen Gesetzentwürfe und die Situngen des Reichs-Justizamts geleistet werden.

Die Commission arbeitet drei Tage in der Woche, und zwar die ersten drei Tage von 11 bis 4 Uhr. Mehr is absolut nicht zu leisten. schon wegen der Protofollarbeiten nicht, die ja sehr forgfältig controlirt werden müssen denn diese Protokolle werden die zukünftigen Materialien unseres bürgerlichen Rechts sein bei Zweifeln und der- gleichen; sie müssen alfo sorgfältig gearbeitet und controlirt werden und sodann wegen der Arbeiten der RNedactionscommission und wegen der Vorbereitungsarbeiten für die Commissionssizungen selbst. Mehr würde feiner von uns aushalten können. Aber ih glaube, daß das im wesentlichen auh ausreicht.

So glaube ih denn sagen zu dürfen, daß das Justizamt auch neben der Commissionsarbeit für das bürgerlihe Gesetzbuch es weder an Initiative, noch an eindringender, die einzelnen Gesetzentwürfe vor- bereitender Arbeit bat fehlen lassen. Sie werden ja noch im Laufe dieser Session sich davon überzeugen, daß wir auch vorwärts gekommen sind. Ich darf vielleicht hier an den Gesetzentwurf, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, erinnern, der ja im Druck erschienen is, und an einige andere Gesetzentwürfe, die sich jeßt noch in den Vorbereitungsöstadien bei dem Bundesrathe befinden.

Nun freilih is es noch etwas Anderes mit den großen Reformen, die auch der Herr Referent Ihrer Commission vorhin erwähnte. Es ist wahr, wir müssen in große Reformen hinein; zum Theil hängen diese Reformen mit dem bürgerlichen Geseßbuch zusammen. Unmittel- bar, wenn das bürgerliche Gesetzbuch fertig ist, muß das Handelsgeseßz- buch revidirt werden. Die Civilproceßordnung muß ebenfalls revidirt werden: auch da liegen uns schon, zum Theil auf Anregung des Reichstags, vorbereitende Gesezentwürfe vor, die sich jeßt in commissarischer Berathung befinden. Dann aber Straf- proceß, Strafvollzug, Strafrecht! Das sind Dinge, von denen wir anerkennen, daß sie nicht in jeder Bezichung auf der Höhe sind, auf der sie sein könnten. Aber, so wichtig sie sind, muß ih doch auf der anderen Seite sagen, daß auch uach diefer Richtung nichts versäumt ist

Meine Herren, wir sind auf dem Gebiete des Strafrechts wesentlich unterstüßt durch die großen wissenschaftlichen Bestrebungen, die durch die deutsche Juristenwelt hindurchgehen. Ich erinnere nur an die Thätigkeit der internationalen friminalistischen Vereinigungen, für die

wir sehr dankbar sein müssen. Allein, wer diese Dinge verfolgt, wird

- Vorschläge an die

wie Aenderung unseres Strafenfystems, Behandlung der jugendlichen Verbrecher, die sogenannte bedingte Verurtheilung, daß diese Dinge au in den damit befaßten praktischen und wissenschaftlichen Kreisen zu einer vollen und sicheren Abklärung noch nit gekommen sind.

Es ist deshalb, glaube ih, ganz gut, wenn wir nach diefer Nichtung hin nicht allzu sehr gedrängt werden. Ich glaube versichern zu dürfen: das, was irgend gemacht werden kann, wird gemacht werden. Aber wo unsere Kräfte nicht ausreichen, da mag denn auch cinmal für diese Dinge, die noch ein etwas langsameres Tempo vertragen, das Tempo sich etwas ermäßigen. Ich würde sehr dankbar sein, wenn ih nah dieser Richtung hin nicht allzu sehr gedrängt würde. Das sind im wesentlichen die Bemerkungen, auf die ih mich glaube beschränken zu können. Man wird an das bürgerliche Geseßtz- buch und an die Arbeit der Commission keinen allzu idealen Maßstab anlegen dürfen. (Zuruf links). Meine Herren, daran ist schon Savigny vor 80 Jahren gescheitert, und daran würde auch unsere Arbeit scheitern. Wir müssen uns begnügen, daß wir thun, was wir können ; wir wollen ein praktisches, ein verständliches, ein möglichst volksthümliches bürgerliches Recht schaffen. Wenn uns das auch nur einigermaßen gelingt, sodaß die deutsche Nechtsprehung damit fertig wird und an- erkennt, daß es ein Fortschritt ist gegenüber der Vielgestaltigkeit des heutigen Rechtslebens, dann kann die Commission schon einigermaßen zufrieden sein. Daß wir es allen Leuten recht machen, daß wir ein tadelloses ideales Recht herstellen, das wird uns nicht gelingen. Auch diese Arbeit steht unter der Schranke menschlicher Unvollkommenheit. Soviel aber an uns ist, werden wir alles thun, um die Arbeit so zu madhen, daß wir auch vor Ihnen bestehen können. Auch die Com- mission des Reichstags wird demnächst noch einmal das zu prüfen haben, was wir jeßt arbeiten, und wir sind uns der Verantwortung vollkommen bewußt, die auf uns lastet. Wir selbst haben ja das größte Interesse daran, daß wir endlih dahin kommen, freie Bahn zu haben im Justizamt ‘auch für die großen Reformarbeiten, die uns noch bevor- stehen. Aber die größte Aufgabe, die der deutschen Justizverwaltung überhaupt jeßt beschieden is, is die Vorbereitung des bürgerlichen Gesetzbuches. Daß man sie mit der Justizverwaltung verbunden hat, lag schr nahe; denn wenn die Arbeit an Sie gelangt und an Ihre Commission und an den Bundesrath, so wird es doch {ließli die Justizverwaltung sein, die die Verantwortung für die Sache zu tragen und die den Entwurf zu vertreten hat. Und das läßt \ih uicht füglich machen, wenn die Sache bloß neben uns gestanden hätte, wenn wir nicht selber uns in die Sache eingelebt und ihr ganzes Zustande- fommen miterlebt hätten.

Ich hoffe, meine Herren, daß diese wenigen Bemerkungen aus- reihen, einecótheils um die Sorge, die der Herr Vorredner ausgedrückt hat, einigermaßen zu beshwichtigen, anderntheils aber Ihnen auch die Zuversicht zu geben, daß, soweit es möglich ist, unter den gegebenen Verhältnissen das geschieht, was Sie von der Commission verlangen fönnen. (Lebhaftes Bravo!)

5 Abg. Goldschmidt (dfr.): Die Mitglieder der Commission für das bürgerliche Gesegbuh fönnten dem taatsfecretär für seine Ausführungen nur sehr dankbar sein. Er (Redner) möchte aber er- flären, daß er niht in allen Theilen mit den Ausführungen des Abg. Schröder übereinstimmen könne. Gr theile mit ihm den leb- haften Wunsch, daß in nicht all zu ferner Zeit das Deutsche Reich die Einheit des Privatrechts erlangt habe. Aber wenn er sage, daß der erste Entwurf zu einem bürgerlichen Geseßbuch in den bürgerlichen Kreisen allgemeine Zustimmung gefunden, 10 fönne er (Redner) dem nicht beipflihten. Es fei niht nur in juristishen Kreisen Widerspruch erhoben worden, sondern ein folcher sei ausgegangen von fast sämmt- lichen Berufskreisen, so z. B. von den Handelskammern, von den Vertretungen landwirthschaftlicher Körperschaften, von confessionellen Vertretungen. Und die fundgegebenen Wünsche richteten sih nicht nur gegen zahlreiche Bestimmungen des ersten Entwurfs, sondern auch gegen Lücken, die derselbe gelassen habe. Und noch fort- während träten aus den verschiedensten Berufskreisen neue i l Commission heran. Das Reichs - Justizamt habe die bisher bekannt gewordenen Gutachten und Kritiken gesammelt und einheitlich zusammenstellen lassen. Sie umfaßten bereits sechs Bände. Schon der äußere Umfang zeige, welche Fülle von Rathschlägen bei der zweiten Berathung zu prüfen fei. Ob der zweite Entwurf den ersten inhaltlich übertreffen werde, darüber erlaube er sich kein Urtheil. Aber cinen wesentlichen Fortschritt werde der Abg. Schröder nicht bestreiten können: Stil und Sprache würden ein- facher und auch für Nichtjuristen verständlicher. n die rechtliche Stellung der juristishen Personen besser geregelt sei, habe er selbst anerkannt. Er (Redner) hoffe, daß die guten Wünsche, welche die Arbeiten der Commission begleiteten, in Erfüllung gingen. (Beifall.)

_Abg. Dr. von C uny (nl,): Er könne als Mitglied der Com- mission natürlich nicht ganz unbefangen erscheinen, müsse aber dennoch dem Wunsche des Abg. Schröder widersprechen, der Commission den Kreis ihrer Wirksamkeit enger zu ziehen. Wäre das geschehen, dann hätte die Commission manche Lücke des ersten Entwurfs, z. B. die “aa der Entstehung der juristishen Person, gar nicht ausfüllen önnen.

Die Debatte wird geschlossen, der Titel T, Gehalt des Staatssecretärs, bewilligt, und um 5 Uhr die weitere Etats- berathung auf Freitag 2 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

NReichsgericht.

Nach dem dem Bundesrath vorgelegten Bericht über die Geschäfte des Reichsgerichts im Jahre 1891 find 1962 Civilsachen (in Revisionen) anhängig geworden; hiervon waren 1852 ordentliche Eroele, 12 Wechselprozesse, 1 anderer Untersuchungsprozeß und 97

he- und Entmündigungssachen. Von den ergangenen Urtheilen lauten 486 auf Aufhebung des angefochtenen Urtheils, wovon 372 unter Zurükverweisung in die frühere Instanz und 114 unter Entscheidung in der Sache selbst; ferner lauten 1258 auf Zurückweisung oder Verwerfung der Revision. Im ganzen fanden im Berichtsjahr 1278 mündliche Verhandlungen S in früheren Jahren) statt. Was die Dauer der Prozes)e anbetrifft (von der Ein- reichung der Revisionsschrift bis zu dem ersten Verhandlungstermin), fo dauerten drei weniger als einen Monat, 286 einen bis (aus\chl.) zwei Monate, 557 zwei bis (aus\ch[.) drei Monate, 501 drei bis ( E A vier Monate, 611 vier bis (aus\hl.) se{chs Monate und vier länger. Bon allen durch contradictorisches, die Sache erledigendes Endurtheil für die Instanz beendeten Prozessen hatten seit der Einreichung der Revisions- chrift zur Terminsbestimmung bis zur Verkündigung jenes Urtheils aue 679 weniger als dret Monate, 810 drei bis (aus\chl.) N Ia 56 sechs Monate bis (aus\{chl.) ein Jahr, 4 ein bis (aus\chl.)

ahre. Än Patentsachen waren im ganzen 30 anhängig, wovon 23 erledigt wurden.

An Strafsachen waren in Revisionen anhängig 4511 (wovon 437 überjährige). Unter den 4074 im Jahre 1891 anhängig “ares befanden -sich 3824 Revisionen gegen Urtheile der Straf- ammern in erster Instanz und:13 in der Berufungsinstanz. Davon wurden erledigt 60 durh Verzicht oder sonst ohne Gerichtsbeschluß, 363 dur Beschluß, in welchem die Revision für unzulässig erachtet

zwei

au gesehen haben, daß die: großen Fragen, um die es ih handelt,

wurde, 5 durch Beschluß, welcher die Unzuständigkeit des Neichsgerichts

aussprach, und 3633 durch Urtheil, insgesammt alfo 4061, unerledigt blieben 450. Die Zahl der Hauptverhandlungen betrug 3633, die Zahl der Urtheile, ergangen auf Revisionen gegen Urtheile der Schwurgerichte, betrug 198, der Strafkammern 3435 (von leßteren lauteten 2671 auf Verwerfung der Revisionen, 703 auf Aufhebun des angefochtenen Urtheils unter Zurückverweisung der Sache selbst und 61 auf Aufhebung des angefochtenen Urtheils unter Entscheidung in der Sache selbst). j :

Von Strafsachen, für welhe das Reichsgericht in erster und leßter Instanz zuständig is, waren im ganzen vier anhängig, wovon eins dur Urtheil des Reichsgerichts, drei durch Beschluß auf Außer- verfolgungs\seßung des Angeschuldigten wegen der im § 136 Nr. 1 des Gerichtsverfa\sungsgesetes bezeichneten Bs erledigt wurden.

An Beschwerden in bürgerlichen Rel 1ts\treitigteiten, Straf- fachen und Concursverfahren waren 891 anhängig geworden, hiervon wurden 10 ohne Entscheidung erledigt, 157 für begründet, 661 für unbegründet erklärt. i Z

Von der Neichsanwaltschaft waren zu_ bearbeiten 14 Hoch- und Landesverrathssachen, 4074 Revisionen in Strafsachen, 27 ehren- gerihtlihe Sachen gegen Rechtsanwälte, 3 Disciplinarsachen in der Berufungsinstanz, 74 Chesachen, 1 Entmündigungé]ache, 1 Beschwerde über Beschlüsse des Untersuchungsrichters in “Hochverraths\achen, 97 Anträge auf Entscheidung des Revisionsgerichts 386 Straf- prozeßordnung), 39 Gesuche um Wiedereinseßung in den vorigen Stand 44 Strafprozeßordnung), 23 Anträge auf Bestimmung des zuständigen Gerichts, 5 Anträge gemäß § 144 Gerichtsverfassungs- geseßes, 2 Beschwerden über verweigerte Nechtshilfe in Strafsachen, 12 Erinnerungen gegen den Kostenansa bezw. Beschwerden, welche den Kostenansay betrafen. Im ganzen haben 3684 Verhandlungs- termine stattgéfunden, darunter 3642 in Strafsachen.

An Berufungen in ehrengerichtlichen Sachen gegen Rechtsanwälte waren 33 zu erledigen, wovon 28 erledigt wurden; in 17 Fällen wurde das angefochteue Urtheil bestätigt.

Zur Arbeiterwohnungsfrage. 4

In Neumünster (Schleswig-Holstein), wo die Textilindustrie stark vertreten ist, sind zahlreiche Arbeiterwohnungen durch Privat- Unternehmer gebaut worden. Ferner verfügt der dortige königstreue „Arbeiterbund zur Förderung der Interessen des Arbeiterstandes“ be- reits über 12 Wohnungen, welche für 110 M p. a. an Vereins- mitglieder vermiethet werden. In F lensburg erfreut O der 1879 gegründete Arbeiterbauverein eines guten Gedeihens. Er besißt be- reits 43 Häuser, welche bei 132 M. Iahresmiethe und wöchentlicher Einzahlung von 40 § nah 10 Jahren, wenn die Hälfte des Er- werbspreises gezahlt ist, Eigenthum der Arbeiter werden und fo eine sehr belicbte Einrichtung bilden. : :

Der 1890 gegründete Arbeiterbauverein für Gaarden, Kiel und Umgegend (Eingeschriebene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht) hat den einzelnen Geschäftsantheil der Genossen auf 150 4 festgeseßt, welcher nah und nach in kleinen Beträgen zu entrichten ift; es entscheidet S das Loos darüber, wem jedes der zur Ver: fügung stehenden Wohnhäuser miethsweise resp. zur eigenthümlichen Erwerbung zufällt. ,

In Itehoe zeichnen sih die umfangreichen Alsen’shen Portland- Cementfabriken sowie die bedeutende Zucker-Naffinerie von de Voss, in Schiffbeck bei Hamburg die Norddeutsche Jutespinnereï, in Pinneberg das Stahlgeschirr - Emaillirwerk von Wuppermann, in Düneberg die Pulverfabrik, in Krüm mel die Dynamitfabrik und in Altona die Glashütten von Gaetke sowohl durch die Pflege und den Bau gesunder Arbeiterwohnungen als auch in anderen Arbeiter- Wohlfahrtsfragen besonders aus; sie erfreuen ih auch durhweg guter Beziehungen ihren Arbeitern gegenüber. : :

Leider hat sih in Altona, dem Hauptindustrie-Centrum der Provinz, in welchem die Arbeiterwohnungsfrage eine sehr traurige ist, ein Bestreben zur Herstellung billiger und gesunder Arbeiter- wohnungen immer noh nicht gezeigt. Es haben sih weder Privat- unternehmer mit der Errichtung solcher Wohnungen befaßt, noch hat der Magistrat zu Altona diese bisher befürwortet, weil man be- fürdhtete, damit das Hamburger Proletariat auf Altonaer Gebiet her- überzuzichen und den für die Altonaer Arbeiterschaft erstrebten O dadur wieder illusorisch zu machen. Es sind indessen in jüngster Zeit neue Anregungen gegeben worden, welche zur Lösung dieser \lhwierigen Frage efonvers geeignet erscheinen.

Neue Arb eiterschuLgeleLe.

tit dem 1. Januar 1892 sind sowohl in Ostindien wie in Neu- seeland neue Arbeitershutzgeseze in Kraft getreten. Das ostindische dient vor allem zum Schuße der Textilarbeiter in Kalkutta, Bombay u. st. w. Seine Hauptbestimmungen sind: Verbot der Sonntagd- arbeit, 11 stündiger Maximalarbeitstag, eine Nuhepause von # Stunde im allgemeinen und 14 Stunden für die Frauen, Verbot der Ver- wendung von Kindern unter 9 Jahren und der länger als 7 Stunden

dauernden Beschäftigung von Personen unter 14 Jahren.

Eine Vermehrung der sächsischen Mane Lee ore von 7 auf 13 ist beabsichtigt; die Zahl der Assistenten leibt nad) wie vor 18. Erstere beziehen ein Gehalt von 3900—5700 M, leßtere von 2100— 3900 M

Zur Arbeiterbewegung. i

Jn Essen fand am Dienstag cine allgemeine Bergarbeiter- versammlung statt, die von 700 Personen besuht war, und über welche der a grlf. Ztg.“ berichtet wird:

Den D führte der Bergmann L. Schröder aus Dort- mund, der über die derzeitige Lage der Bergarbeiter, die er als eine wenig günstige bezeichnete, sprah. Es sei unbillig, daß die Bergwerks- besißer bei weichenden Preisen des Koks und der Kohle es sofort die Arbeiter entgelten ließen und Tausende ablohnten. Die Ver- sammlung genehmigte schließlich einen Antrag etwa folgen- den Inhalts: Die Bergarbeiterversammlung erhebt Protest gegen das Vorgehen der Bergwerksöbesißer wegen der Lohnabzüge, eierschichten, Ueberstunden und Sntlassungen. Die Bergleute des Essener Kohlen- reviérs werden sih für die Zukunft der internationalen Bergarbeiter- Organisation anschließen.

In Gmün d beschlossen nah einer Mittheilung des „Vorwärts“ die Mitglieder des Verbandes deutscher Gold- und Silber- arbeiter mit achtzehn gegen vier Stimmen, die Zahlstelle des Ver- bandes deutsher Gold- und Silberarbeiter aufzulösen und sich dem Socialdemokratischen Verein anzuschließen.

Aus Zwickau wird dem „Chemn. Tgbl.“ berichtet, daß im Vorort Marienthal von Pastor Walther cin evangelisèr Arbeiterverein gegründet worden ist, dem sofort fünfzig Personen als Mitglieder beitraten. s

In Speyer stehen, wie aus einer Notiz des „Vorwärts“ her- vorgeht, sämmtliche Feilenhauer und ein Theil der Former wegen Lohnstreitigkeiten und „Maßregelungen“ in Kündigung.

“Hier in Berlin is der wegen Lohnstreits eingetretene Ausstand einiger Nagelshmiede der Werkstatt der Ww. Müller infolge einer Einigung mit der Arbeitgeberin beendet. ;

Wie der „Köln. Ztg.“ aus Brüssel telegraphirt wird, sind die Bergleute des Mittelbeckens unzufrieden wegen Lohnkürzung; auf zwei Schächten zu Hous su fehlten am Mittwoch die gesammte 700 Mann der Belegschaft.

Aus Pari s_meldet ein Wolff'\{hes Telegramm: Das Handels- gericht wies die Dm nibus-Compagnie infolge Klage des Syn- dicats der Bediensteten der Gesellschaft an, den zwölfstündi- gen Arbeitstag genau einzuhalten. j

Der Londoner „Allg. Corr." wird aus Adelaide berichtet, daß der große Ausstand der Arbeiter in den MUN ee en von Moouta nah einer fünfmonatigen Dauer mit einer Niederlage der Striker geendet hat.

: E Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preu

M 32.

Berlin, Freitag, den 5. Februar

pischen Staats-Anzeiger.

1892.

Vreußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 11. Siyung vom Donnerstag, 4. Februar.

Der Sigung wohnen der Minister des Jnnern Herr- furth und der Finanz-Minister Dr. Miquel bei. Der Präsident von Köller, der von allen Seiten aufs wärmste beglückwünscht wird, führt den Vorsiß. Auf Antrag des Abg. Grafen e Limburg-Stirum wird an Stelle des verstorbenen Abg. Mithoff der Abg. -Olzem durch Zuruf zum Schriftführer gewählt, der die Wahl dankend annimmt. Darauf wird die zweite Berathung des Staats- haushalts-Etats für 1892/93 fortgeseßt, und zwar beim Etat des Kriegs-Ministeriums, der ohne Debatte ge- nehmigt wird. um Etat der Lotterieverwaltung nimmt das Wort:

Abg. Kor (cons.): Das Verbot des Privathandels mit

Staatslotterieloosen habe die gewünschten Folgen gehabt. Der

Vertrieb sei glatt weiter gegangen. Die Finanzlage sei der-

artig, daß man jede Vermehrung der Einnahmen willkommen heißen

müsse. Hier biete sich nun dur Vermehrung der Loose eine Ge- legenheit zur Vermehrung der Einnahmen, welche niemanden drücke und gegen welche kein Widerspruch im Hause zu befürchten sei.

An die Staatsregierung rihte er die Frage, ob sich der Umfang der

nothwendigen Vermehrung bereits übersehen lasse, und ob se

nicht im Wege eines Nachtrags-Etats eine Vermehrung der

Loose vorshlagen wolle. Sodann gebe er zu bedenken, ob es sich

nicht ‘empfehlen würde, den Gewinnplan in der Weise zu ändern, daß die Zahl der Hauptgewinne verringert und die der mittleren er- höht werde, was aus wirthschaftlichen und finanziellen Gründen zweck- mäßig sein dürfte. Ein klares Urtheil über die wirthschaftliche

Bedeutung der Staatslotterie lasse sich erft gewinnen, wenn man eine Statistik über das Privatlotteriewesen ne Die finanzielle Wirkung dieser Lotterien sei so erheblich, daß es für die ganze Finanzlage des Staats von Wichtigkeit sei, darüber genaue Kenntniß zu haben. Das Privatlotteriewesen hänge von dem Ministerium des Innern ab, und der Finanz-Minister habe nur seine Zustimmung zu geben. Es würde vielleiht zweckmäßig scin, wenn es umgekehrt wäre, da nur der Finanz-Minister die zur Beurtheilung der ein- shlägigen Fragen nöthigen sahkundigen Beamten habe, und seiner- seits die aus polizeilichen Gründen erforderlihe Zustimmung des Ministers des Innern einholen müßte. Der Loosevertrieb in den Privatlotterien werde immer theurer, sodaß für deren Zwecke meist nur wenig übrig bleibe. Auch hierüber seien vielleiht neue Bestim- mungen zu treffen.

Geheimer Ober-Finanz-Rath Marcinowski: Das im August vorigen Jahres erlassene Verbot des Privathandels mit Staats- lotterieloosen habe eine Bedeutung in so fern gchabt, als der öffent- lihe Handel damit aufgehört habe; es seien aber Versuche gemacht worden, den Handel fortdauern zu lassen in anderer Form, indem die Händler fh eine Verkaufs- oder Gewinnprovision gewähren ließen. Außerdem seien sie auf eine indirecte Art verfallen, den Loosehandel zu treiben. Vêan habe außerhalb Preußens, z. B. in Neu- streli, Comptoire eingerichtet, von wo aus die Loose versandt würden. Die Händler vertrauten darauf, daß in absehbarer Zeit eine Ver- mehrung der preußischen Loose niht zu erwarten sei, und hielten deshalb die Loose zurück, da sie hofften, daß das Publikum bei der immer steigenden Nachfrage sich \ch{ließlich doch an sie wenden werde und müsse. Die Einrichtung der S nietlos e habe in dieser Hinsicht vortheilhaft gewirkt. Das erstrebte Ziel, die Zehntel einzeln unterzubringen, fei noch nicht völlig erreicht ; bis jeßt seien etwa 4 der Zehntelloo)e einzeln abgeseßt. Die Staatsregierung könne zur Zeit durch einen Nachtrags-Etat eine Vermehrung der Loose nicht vorschlagen, weil erst die Berichte der Lottericein- nehmer über das vorhandene Bedürfniß abgewartet werden müßten. Jedenfalls \tehe jeßt aber schou fest, daß ein fortdauernder Mehrbedarf an Loosen sich herausstellen werde und eine Vermehrung deshalb wohl angezeigt sein dürfte. 27 000 Loose seien mehr verlangt worden. Die vom Borredner angeregte Aenderung des Gewinnplans, die Zahl der großen Gewinne zu- ver- ringern, die der mittleren zu vermehren, habe die Negierung ihrer- seits auch {hon in Erwägung gezogen, sei aber noch zu keinem abschließenden Urtheil darüber gelangt. Ein Bedürfniß, die Statistik der Privatlotterien fortzuführen, habe sich nicht herausgestellt.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Er erkläre sih gegen eine Vermeh- rung der Staatslotterieloose, weil es nit Aufgabe des Staats sein könne, die Spielfucht zu befriedigen. Das Haus werde sich seinerseits wohl nicht entschließen, einen dahin gehenden Antrag zu stellen. Dieser Meinung sei auch die Budgetcommission im vorigen Fahre gewesen. Ihn könnten die Klagen über das nicht befriedigte Bedürfniß nach Lotterieloosen nicht rühren ; es sei Sache der Staats- regierung, dem Hause Vorschläge zu machen; er würde aber nicht sehr erfreut sein, wenn sie es thäte. Der Abg. Korsch irre, wenn er aure daß ein Widerspruch gegen die Vermehrung der Loose sich ier im Hause nicht erheben würde. Er (Redner) habe dem bereits früher widersprochen, werde seinen Widerspruch aufrecht erhalten, und glaube, damit nicht allein zu stehen.

__ Abg. Cremer (b. É. F.): Das Lotteriesviel sei allerdings nicht Aufgabe des Staates, ebenso wenig sei der Handel mit Effecten, der Betrieb der Eisenbahnen eine Sache des Staates; man werde aber immer mehr dahin kommen, einen gesunden Staatsfocialismus s Jedenfalls zeige die Entwicflung der Lotterie, daß fie lediglich eine Staatseinnahmequelle sei.

Abg. Pleß (Centr.) widerspriht der Vermehrung der Lotterie- loose; der Staat solle sih bei seinen Maßnahmen von den Grund- säßen der Sittlichkeit leiten lassen und nicht die Spiellust befriedigen.

__ Abg. Kor (conf.) hält eine Vermehrung der Lotterieloose nicht für bedenklich, denn es sei festgestellt, ae 27 000 Loose mehr ver- langt worden seien, als vorhanden gewefen seien. Dagegen sfteige das Ae in auswärtigen Lotterien in bedenklicher Weise.

¿ Abg. Dry. Lieber (Centr..): Für so ganz unsittlih könne er das Lotterie|piel nicht ansehen, aber eine Vermehrung der Lotterieloose könne von diesem Hause nicht angeregt werden, so lange die Negie- rung selbst nicht verlange, mit Loosen besser Meg zu sein, damit sie ihre Aufgabe erfüllen könne. Herrn (Cremer's Staats- socialismus führe do zu bedenklichen Consequenzen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

j Meine Herren! Jch wollte nochmals darauf aufmerksam machen daß die Königlihe Staatsregierung an eine etwaige Vermehrung der Staatslotterieloose zur Zeit noch nicht hat herantreten können, weil die Voraussetzungen dafür noch nicht klar vorliegen. Wir mußten die Veränderungen und die Erfahrungen darüber erst abwarten, die in Folge der Verkleinerung der Loosabschnitte und in Folge des Ver- botes des privaten Looshandels eintreten würden, bis wir in dieser Be- ziehung unsere Erwägungen zum Abschluß zu bringen in der Lage sind.

Hause felbst neue Einnahmen oder neue Ausgaben in den Etat ein- zustellen, und daß es auch in dieser Beziehung allseitig gerathen ift, die Jnitiative der Königlichen Staatsregierung zu überlassen. werden nach Maßgabe der Erfahrungen, die wir bis zum nächsten Jahre machen, die erforderliche Beschlußfassung über eine Vermehrung der Loose eintreten lassen. Zur Zeit konnte, wie gesagt, nach dieser Nichtung noch feine Entscheidung gefaßt werden.

: Meine Herren, ih stehe ganz auf dem Standpunkt des Herrn Abg. Lieber. Wenn man vom rein ethischen Standpunkt aus das Lotteriewesen und das Lotteriespiel überhaupt für verwerflich hält, dann muß man ganz anders vorgehen, als nur gegen die Vermehrung der Staatslotterieloose, soweit sich dafür, wie man zu sagen pflegt, ein Bedürfniß herausftellt; der radikal-ethishe Standpunkt führt zum Verbote der Staatslotterien und der Privatlotterien in ganz Deutsch- land. So lange wir aber diesen Zustand nicht erreichen können und auch wohl in der Mehrheit nicht erreihen wollen, liegt die Frage einer angemessenen Vertheilung der Staatslotterieloose namentlich zur Bekämpfung des verbotenen Handels mit fremden Loosen und der übermäßigen Ausdehnung der Privatlotterien auf einem ganz anderen Boden. Wir werden aber im nächsten Jahre vielleiht Gelegenheit haben, darüber uns näher zu unterhalten, und werden die principiellen Fragen dann zur Entscheidung gebracht werden können. :

Der Etat der Lotterieverwaltung wird darauf genehmigt ebenso ohne Debatte die Etats der Seehandlung, der Münzverwaltung, der Staatsschuldenverwaltung, der allgemeinen Finanzverwaltung und des Bureaus des Staats-Ministeriums. ;

Beim Etat der Staatsarchive bemerkt Abg. Dr. Krause (nl.): Er möchte ein Wort cinlegen zu Gunsten der Archivare in den Provinzen. Diese Beamten müßten akademische Vorbildung haben, sehr lange bis zur vorläufigen, dann wiederum lange Zeit bis zur definitiven Anstellung warten, hätten keinerlei Aussicht auf Avancement und seien niht einmal fo gut gestellt, wie viele Subalternbeamte. Er bitte, für diese Beamten eine Verbesserung der Verhältnisse eintreten zu lassen.

Der Etat wird bewilligt, einschließlich der einmaligen Aus- gaben für das Staatsarchiv- und Bibliotheksgebäude in Han- nover (vierte und leßte Rate) 106 000

Beim Etat der General-Ordenscommission bemerkt

Abg. von Meyer- Arnswalde (b. k. F.): Das Gebiet der Ordens- vertheilung sei nah vielen Richtungen hin in leßter Zeit erheblich ausgedehnt worden, eine Zurückhaltung finde nur statt bet Borschlägen yon Beamten der Selbstverwaltung, namentlih der Dorfschulzen zur Decorirung, und das stehe in keinem Verhältniß zu den amtlichen Leistungen der Schulzen; sie seien bekanntlih das Fundament unserer ganzen Verwaltung , sie hätten viel zu thun mit Kirchen- und Schulsachen, mit statistischen Erhebungen, wobei für sie noh die Noth- wendigkeit ershwerend fei, _sih des französischen Maßsystems zu bedienen, das Vielen im Lande noch ganz fremd sei; so sei es ihm {hon vorgekommen, daß ein Bauer auf die Frage, wie weit es nah dem nächsten Dorf fei, geantwortet habe: „17 Kilogramm“, oder „13 Hektoliter“ (Heiterkeit). Es sei wünschens- werth, daß in Bezug auf die Decorirung der Dorfschulzen Nemedur einträte und mit dem Allgemeinen Ehrenzeichen etwas weniger sparsam umgegangen werde. Dies Ehrenzeichen stehe beim Volke in höherem Ansehen, als die niederen Orvenszeichen. Das Nichtverleihen der Decoration stehe im Widerspruch mit den den Schulzen bei der Anstellung gemachten Versprechungen; befördert könnten sie nicht werden, sie seien also ganz auf die ZBnadenzeichen des Königs an- gewiesen. Er bitte namentlih jeßt, wo die Durchführung der Landgerneindeordnung in Aussicht stehe, welche den Schulzen noch mehr Arbeit machen werde, die Regierungs-Präsidenten, die Dorf- Ee in größerer Anzahl zur Decorirung vorzuschlagen. Seine

ei er überzeugt, solhen Vorschlägen gern

ajestät werde, davon f Folge geben. Der Etat wird bewilligt; ebenso ohne Debatte die Etats des Geheimen Civilcabinets, der Ober-Rehnungs- fammer, der Prüfungscommission für höhere Ver- waltungsbeamte, des Disciplinarhofes, des Gerichts- hofes zur Entscheidung von Competenzconflicten, des Geseßsammlungsamtes in Berlin und des „Deut- \hen Reichs- und Königlich Preußischen Staats- Anzeigers.“ Beim Etat des M inisteriums des Jnnern, Titel 1 der dauernden Ausgaben (Ministergehalt), beschwert sich der Abg. von Czarlinski (Pole) árhber daß die Zulassung pol- nisher und galizisher Arbeiter auf Grund der Ministerialverfügung vom 26. November 1890 in den ea Provinzen durch allerlei Cautelen und Controlvorschriften eingeschränkt sei. Vor allen Dingen müßten niht nur ledige Personen, sondern auch ganze Familien zu- gelassen werden. Allerdings hätten die Ober-Präsidenten die Ermäch- tigung erhalten, auch Familien zuzulassen ; allein die Erlaubniß, Fa- milien zu engagiren, sei mit solhen Weitschweifigkeiten verknüpft, daß es besser sei, diese Ermächtigung den Landräthen zu geben. Uebrigens gingen nah Sachsen auch meistens Familien. Nebenbei bemerkt der Redner, daß man allgemein im Lande die Anschauung habe, daß die Freizügigkeit aufgehoben werden solle ; davon könne aber keine Rede sein, wenigstens würden die Polen einer Einschränkung der Freizügig- feit widersprehen. Redner tadelt ferner die Umgestaltung der pol- nischen Nämen, die zu großer Rechtsunsicherheit führe. Endlich solle der Minister dafür sorgen, daß keine neuen Ausweisungen verfügt würden, die Unterbeamten schienen die Erklärung des Ministers nieht genügend zu beachten; es würden immer noch ganz ruhige Leute, die ih niemals etwas hâtten zu s{hulden kommen lassen, nach jahre- langein Aufenthalt ausgewiesen, lediglih ihrer polnishen Sprache wegen. Minister des Jnnern Herrfurth: Wenn der Herr Abg. von Czarlinski zunächst bemängelt, daß die Verfügung vom 26. November 1890 wegen Zulassung polnischer und galizischer Arbeiter sih nicht als ausreichend erwiesen babe, so will ich ibm das insoweit zugeben, als die Zahl derjenigen Arbeiter, welche auf Grund dieser Verfügung zugelassen worden ift, allerdings soweit meine Mittheilungen bis jeßt reichen sich nur etwa auf die Hälfte derjenigen Zahl beläuft, welche als Sachsengänger aus den betreffenden Landestheilen in andere Provinzen übergegangen sind. Die Gesammtzahlen liegen mir zwar noh nicht vor, jedoch läßt sich annähernd das Ergebniß übersehen. In den leyten drei Vierteljahren des vorigen Fahres belief si die Zahl der Sachsengänger auf etwa 18 800, die Zahl der neu

Ich theile die Ansicht verschiedener Redner im Hause, daß es, wie

überhaupt, so auch bei dieser Gelegenheit nicht gerathen ist, aus dem

Wir

ist dabei zu berücksichtigen, daß bis zum Erlaß der Verfügung vom 26. November 1890 überhaupt kein Zuzug stattfand, und daß die Sathsen- gängerei seit der Zeit niht zugenommen hat. Es ist, glaube ih, deshalb die Behauptung voll begründet, daß durch jene Maßnahme die Zu- stände in der Landwirthschaft und Industrie sich hinsichtlih des in beiden vorhanden gewesenen Arbeitermangels ganz wesentli ge- bessert haben.

Wenn Herr von Czarlinski ferner bemängelt, daß Familien nicht zugelafsen würden, und daß die Zulassung überhaupt nur auf die Dauer der Arbeitszeit mit der Maßgabe erfolge, daß während des Winters die zugewanderten Arbeiter wieder zurückgehen müßten, fo ift es rihtig, daß diese Maßgabe als Regel festgehalten worden ift; aber die Ober-Präsidenten sind ausdrücklich ermächtigt, nah ihrem Ermessen und nah dem Bedürfniß der betreffenden Landestheile hier- von Ausnahmen zu gestatten.

Die ganze Maßnahme is}, wie der Herr Abg. von Czarlinski ganz rihtig im Anfang seiner Rede ausgeführt hat, zur Zeit nur eine Probe. Wir haben diese Maßnahme auf drei Jahre getroffen, um auf Grund einer längeren Erfahrung demnächst eine definitive Regelung eintreten lassen zu können. Soweit bisher die Berichte der Behörden ersehen lassen, ift ein Bedürfniß zu einer erheblihen Erweiterung dieser Maß- nahmen nit anzuerkennen. Es ist von allen Seiten hervorgehoben worden, daß die Lage der Landwirthschaft und Industrie sih durch diese Maßnahmen erheblih gebessert habe; aber ein Bedürfniß, weiter zu gehen, sei bis jeßt nicht vorhanden, und ih glaube, wir werden zunächst diese Probezeit abwarten müssen und die Erfahrungen, die wir in der Probezeit machen, bevor wir mit weiteren Erleichterungen vorgehen. :

Was die Ausweisungen anbelangt, fo sind die Specialfälle, welche der Herr Abg. von Czarlinski angeführt hat, bisher meines Wissens nit zur Entscheidung in der Ministerialinstanz gelangt. Ich werde Veranlassung nehmen, seine Anführungen einer näheren Erörterung zu unterziehen. Wenn Herr von Czarlinski aber behauptet, daß meiner An- ordnung, es sollten neue Ausweisungen nicht stattfinden, seitens der Behörden nicht stattgegeben worden wäre, so wird dies darauf, glaube ih, beruhen, daß diese Anordnung natürlih nur mit gewissen Ein- \hränkungen hat gegeben werden können, nämlich daß erstens, wie er selbst erwähnte, die Ausweisung stattfinden kann und muß, wenn der Betreffende fich lästig macht, lästige Ausländer werden ausgewiesen, sie mögen aus Rußland, Polen oder aus welchem Lande sonst stammen, und die aus Polen herübergekommenen lästigen Einwanderer haben kein Recht, hier zu bleiben; sodann handelt es sih, wenn ih von Sistirung neuer Ausweisungen gesprochen habe, nur um die Ausweisung solcher Personen, die bereits früher und zwar zur Zeit des Erlasses der Ver- fügungen vom Jahre 1885 sich hier in Preußen befunden haben. Wenn es sich aber um solche Leute handelt, welhe jeßt eben erft neu zuwandern, und man aus bestimmten Gründen es nicht für an- gezeigt erachtet, denselben den Aufenthalt zu gestatten, so ist dies als ein Fall einer neuen Ausweisung in dem angegebenen Sinne nicht anzusehen, und aus den Anführungen des Herrn Abg. von Czarlinski vermag ich keine Veranlassung zu entnehmen, eine generelle Aenderung der von mir beobachteten Praxis oder eine generelle Aenderung der von den Behörden erlassenen Verfügungen eintreten zu lassen.

Abg. Dr. Lotichius (b. k. F.) beshwert sich darüber, daß Regierungs - Referendare im Kreisausschuß nicht nur selbständige Referate übernähmen, fondern sih auch an der Berathung betheiligten.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Bei den Verhandlungen über den Erlaß des Geseßes vom 11. März 1879, betreffend die Befähigung für den höheren Ver- waltungsdienst, wurde es ausdrücklich als ein großer Vorzug dieses Gesetzes gegenüber den früheren Einrichtungen hervorgehoben, daß die Referendare in Zukunft nicht mehr bloß bei den Regierungen, sondern auch bei den localen Verwaltungsbehörden, namentlich bei den Land- räthen, beshäftigt werden würden. Es wurde insbesondere auch hervor- gehoben, daß es für sie niht nur wünschenswerth, sondern ganz un- bedingt nothwendig sei, mitbetheiligt zu werden bei den Verhand- lungen im Kreisausschuß.

Als es sich um die Ausführung des Gesetzes handelte, trat nun allerdings die Frage hervor, ob in den Fällen, wo der Kreisausschuß als Kreis-Verwaltungsgericht entscheide, es zulässig fein würde, daß ein Referendarius auch in diesem Falle ein Referat übernähme und bei den Berathungen betheiligt werde. Noch wichtiger war die Frage in Bezug auf die Beschäftigung der Referendare bei den Bezirks- Verwaltungsgerichten. Damals existirten diese noch an Stelle der jeßigen Bezirksaus\hüsse, und weil dieselben reine Gerichtsbehörden waren, so konnte es zweifelhaft sein, ob ein Referendar nicht nur an den Sitzungen, sondern auh an den Berathungen des Bezirks-Verwal- tungsgerihts theilnehmen könne.

Diese Angelegenheit is damals eingehend erörtert, auch ein Gut- achten des Ober-Verwaltungsgerichts darüber cingeholt, und auf Grund diescs Gutachtens ist demnächst durh Verfügung vom 4. Junt 1879 ausdrücklich festgestellt worden, daß die Frage, ob es geseßlich

zulässig sei, die Anwesenheit und Mitwirkung der NReferendare nicht

bloß an den öffentlihen Sißungen der Bezirks-Verwaltungösgerichte,

sondern auch bei den Berathungen über die zu treffenden Entschei-

dungen zu gestatten, bejaht werden müsse. Es ist dann eine sehr ein-

gehende Erörterung über diese Frage in dem NRescripte enthalten, und

sind die Gründe für die Bejahung derselben, namentlich auch mit

Bezugnahme auf die Theilnahme von Perfonen, welche mit der Nee

vision . der Kreisaus\chüsse beauftragt sind, an den Sitzungen und

Berathungen derselben ausführlih erörtert. Die Entscheidung ist

dahin ergangen, daß, da das Geseß die Beschäftigung der Neferendare

bei den Verwaltungsgerichts- und Beschlußbehörden zur Vorbereitung

für den höheren Verwaltungsdienst vorschreibt, dieser Zweck aber nicht

wohl erreiht werden kann, wenn die Referendare nicht an den

Sitzungen und den Berathungen des Gerichts theilnehmen, ihnen diese

zugelassenen polnischen und galizischen Arbeiter auf 8100. Jmmerhin

Theilnahme zu gestatten ist.