1892 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 18 Feb 1892 18:00:01 GMT) scan diff

das Duell aus alter germanischer Ucberlieserung crhalten, sonst könnte man ne viel eher von parlamentarishem Duellunwesen iprechen, in Anbetracht der kleinen Gesammtzahl der Abgeordneten. Er boffe, dicse Verhandlungen würden von neuem dazu dienen, das Ver- traucn der ganzen Nation zur Armee zu befestigen. Das deutsche Volk sehe die Armee nicht mit {wächliher Sentimentalität an. Die Disciplin sei nothwendig, aber sie könne nur aufrecht erhalten werden, wenn sie mit Gerechtigkeit und Fürsorge für die Mannschaften ge- paart sei. Auch bier im Hause lebe dieses Gefühl, und seine Partei wolle ihren Einfluß auf die Regierung dahin geltend A, daß eine bumane Behandlung der Soldaten im höchsten Maße herbeigeführt werde. Sie werde für die Anträge der Budgetcommission unter 1 und 2 stimmen, die Nr. 3, betreffend die Pflege der Religion, da- gegen aus den vom Reichskanzler angeführten Gründen ablehnen. Abg. Dr. von Marquardsen (nl.): Der Antrag Richter- Bubl fei von dem Abg. Dr. Cafselmann in so vorzüglicher Weise vertheidigt worden, daß er dem nichts hinzuzuseßzen habe. Der Abg. Dr. Caffelmann habe nicht nur als Jurist gesprochen, \ondern er babe mit dem wärmsten Interesse für das deutsche Heer sih geäußert, und nach dieser Nichtung fänden auch die Ausführungen des Abg. von Kardorff bei seiner Partei die vollste Sympathie. In Meß Periehe neben dem preußischen auch das bayerische Militär-Strafproceßverfahren, und er könne im Gegensaß zu dem Abg. von Kardorff mittheilen, daß eine der höchstgestellten bayerishen militärishen Autoritäten ihm ihre Zufriedenheit ganz besonders mit dem Grundgedanken des Antrages, der Oeffentlichkeit des Verfahrens, ausgesprochen habe. Der Neichs- kanzler habe mit ciner gewissen Empfindung er wolle nicht sagen Empfindlichkeit darauf hingewiesen, es könnte ja doch nicht die Zumuthung gestellt werden, daß man so ohne weiteres die bayeri- schen Einrichtungen übernehmen solle, und er habe sih zum Beweise, daß doch nicht alle mit dem bayerischen Verfahren zufrieden seien, auf eine Aeußerung des gegenwärtigen bayerischen Kriegs-Ministers in der bayerishen Abgeordnetenkammer bezogen. Jene Aeußerung sei bei Gelegenheit einer von ihm (dem Redner) formulirten Resolution gefallen: Die bayerishen Bundesbevollmächtigten möchten nur einem Gefeßentwurf für das Deutsche Reich zustimmen, der die durch die Erfahrung erprobten Grund- aße der bayerisWen Strafproceßordnung, insbesondere die Ständigkeit der Gerichte und die Oeffentlichkeit und Münd- lichkeit des Verfahrens, wirksam mache. Der bayerische Kriegs-Minister von Safferling habe nun aber außer der angeführten Aeußerung noch Folgendes gesagt: „Die Königlihe Staatsregierung geht von der Ücberzeugung aus, daß bei der künftigen deutshen Militär-Straf- proceßordnung das Princip der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit in wirfsamster Weise zu wahren ist.“ Man sehe, der Kriegs-Minister habe fogar die Nesolution noch überboten, denn die Antragsteller hätten nur verlangt, daß die Grundsäße wirfsam gemacht würden, die sih durch die Erfahrung erprobt hätten; der Kriegs-Minister spreche im Super- lativ. Der Minister-Präfident Freiherr von Crailsheim habe si in der Kammer der Reichsräthe in derselben Weise ausgesprochen wie der Kriegs-Minister. Es sei den Antragstellern niemals ein- gefallen, daß das ganze bayerische Verfahren auf das Reich ausgedehnt werden solle, und der Abg. Freiherr von Stauffenberg habe in der erwähnten Sitzung der bayerischen Kammer selbst die Gründe angegeben, weshalb er das gegenwärtige bayerische Militairstrafverfabren in den cinen oder anderen Punkte geändert schen möchte. Die Grund- principien des Verfahrens würden sich allerdings auch für die Allgemeinheit eignen. Der Abg. Gröber freilih sehe in der Oeffentlichkeit des Verfahrens überhaupt nihts Nechtes. Bei den vielen Ausnahmen, meine der Abg. Gröber, bleibe von der ganzen Oeffentlichkeit gar nichts übrig. Er (Redner) habe aber doch selbst dem Reichstag im vorigen Jahre diese Ausnahmebefstimmungen vorgelesen, um dem Reich zu zeigen, daß Preußen mit den bayerischen Bestim- mungen ebenfo gut hausen könne wie Bayern. Man wolle ja niemand etwas zumuthen, was mit dem Interesse des Dienstes und der Disciplin unvereinbar sei. Wenn der Abg. Gröber gemeint babe, die Ständigkeit der Gerichte habe nihts zu thun mit den Soldatenmißhandlungen, fo möchte er (Redner) doch darauf hinweisen, daß man „zu ständigen Gerichten doch ein viel größeres Vertrauen habe, als zu ad hoc zusammenberufenen Gerichten oder Commissionen. Davon, daß der Abg. Dr. Casselmann sich ungerecht über die preußische Gerichtsorganisation in Militärsachen geäußert habe, habe er nihts verspürt. Daß das preußishe Militärstrafverfahren manchmal nicht sehr günstig beurtheilt werde, liege wohl daran, daß es sich an eine Institution anlehne, welche sich überlebt habe. Im Anschluß an eine von dem früheren Justiz-Minister von Bernuth gestellte Nesolution, habe der Abg. Dr. Neichensperger gesagt: „Dieses Militärstrafverfahren mit seinem geheimen \riftlihen Inguisitionsverfahren ist eine Nechts- form, die von der öffentlihen Meinung aller civilisirten Völker verurtheilt ist.“ Der Reichskanzler habe cine Verschiedenheit dieser Refolution von seinem Antrage vom November v. F. in dem Sinne betont, als ob ein schroffes Auftreten auf einmal über die Partei gekommen sei, daß sie in ihrer Parteitaktik eigentlih viel milder geworden sci, als früher. Dies sei ein Irrthum des Reichskanzlers, wie man ja so viele Irrthümer und Mißverständnisse in den leßten Wochen erlebt habe. Er (Redner) habe sih gefreut, daß der Reichskanzler als preußischer Minister-Präsident neulich im preußischen Ahgeordnetenhause erklärt habe, die Sache mit der großen liberalen Partei erscheine ihm als eine Seifenblasfe, die geplaßt sei. Aber es sei doch immerhin bedenklich, wenn wieder und wieder solbe Seifenblasen aufstiegen, und es wolle ihm feinen, daß ein gewisser Beunruhigungsbacillus gezüchtet worden sei. Seine Partei sei sih in keiner Weise bewußt, daß ihr Antrag vom November irgend etwas Anderes bedeute, als der Antrag Bubl-Nichter, beide Anträge deckten sich vollständig, und scine Partei habe ibre Stellung niht verändert. Der Abg. Richter habe hier {hon das Richtige gefagt. Was die Beschwerdepflicht betreffe, so wolle er gern zugestehen, daß dieses eine arrière-pensée sci, die erst später gekommen sei. Auch der Abg. Richter habe diesen Punkt als einen nebenfächlichen bezeihnet, über den sih reden lasse. Die claueula bajuvarica, die von dein Nachbarn aus dem Schwabenlande so waer vertheidigt worden sei, scheine ihm doch nicht das Nichtige zu treffen. Was folle das heißen : unbeschadet der in Bayern bereits bestehenden Regelung? Solle sich das beziehen auf das gesammte baycrische Recht bezüglich der Militär-Strafproceßordnung oder nur auf die Ocffent- lichkeit des Verfahrens? Jedenfalls habe man auch in Bayern das

größte Interesse an einer einheitlichen Organisation der Militärgerichts- versajssung, deun fo vorzüglich sei es namentlich mit der geseßlichen

Formation der dortigen Rechtsquellen nicht bestellt, daß man nicht wünschen müßte, daß sich das bayerishe Strafverfahren anlebne an das allgemeine Strafverfahren im ganzen Deutschen Reich. Er hoffe, daß die Mehrheit die Resolution Buhl-Nichter annehmen werde. Der Abg. Freiherr von Manteuffel habe gemeint, man müßte stußig werden, weil die Socialdemokraten für die Resolution stimmten : wenn etwas richtig sei, werde es dadurch nuit unrichtig, wenn andere Parteien dafür stimmten. Die Socialdemokraten hätten einstimmig für die Handelêverträge gestimmt, er wisse niht, ob das dem Neichs- kanzler unangenehm gewesen sei. Der Staatssecretair Dr. v. Boetticher sei neulih sehr erfreut gewesen, daß der Abg. Grillenberger si für die Alters- und Invalidenversicherung ausgesprochen habe. Ucbrigens glaube er, man bekämpfe die Socialdemokratie mehr, wenn man die Oeffentlichkeit einführe, als wenn man das niht thue. Er beantrage, daß über die beiden Refolutionen gesondert abgestimmt werde, nament- li über die Befchwerdevflicht.

Abg. von Koscielsfki (Pole): Die dur) den Erlaß des Prinzen Georg von Sachsen bekaunt gewordenen Mäßhandlungen bedauere seine Partei aufs tiefste. Solche Sachen kämen aber leider überall vor, wo es Untergebene und Vorgesetzte gebe; er erinnere nur an die englische Armee, namentli in den Colonieen, und an das fürzlich ershienene Buh Les Sous-ofs, das die Zustände in der französischen Armee schildere. Wenn irgend ein Nekrut unter der Lien Ausbildung zu leiden babe, fo sei es der polnische Rekrut, baupt- fählih wegen sciner mangelhaften Kenntniß der deutshen Sprache, der Grund der Mißhandlung hake hier vornehmlih in der Natio- nalität gelegen. Er hoffe, daß dieses System der Ausêrottung der

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polnischen Sprache, das eincn großen Haß gezeitigt und unter dem das polnische Volk fehr gelitten habe, jeßt geändert werde. Nachdem die preußishe Regierung den Weg der gerechten Berü- sichtigung gefunden habe, sei die Hochfluth des Mißtrauens gegen die Regierung sehr zum Wohl der Armee geschwunden. Sie Partei sei fest überzeugt, daß cine Reform der Militär- Sra Ge No, wie sie die Regierung beabsichtige, die vor- handenen Mißstände beseitigen werde, und erkläre si daher für den Antrag der Budgetkommission; doch würde eine Reform in anderer Richtung {ädlich wirken, wenn sie nicht aus eigenster, freiester Initiative der Militärverwaltung und des obersten Kriegsherrn ausgehe. Cafsernenbethäuser, und ncch dazu konfessionelle, zu schaffen, sei von keiner Seite beantragt, und werde er dazu feineswegs die Hand bieten. Wenn die erste Erziehung der Jugend nicht von religiöósem Geiste getragen werde, dann würden die Conventikel auch nicht viel helfen. Gottesfurht und Menschen- liebe müßten in den Casernen aufrecht erhalten werden, dann würden auch die Mißhandlungen aufhören. Woher der Abg. Bebel die Be- bauptung babe, daß die Offiziere, und besonders die aus dem Adel sich rekrutirenden, die gemeinen Soldaten s{lecht behandelten, wisse er niht. Er kenne den Adel wohl nit genügend.

Abg. Dr. von Bar (dfr.): Der Antrag Buhl-Richter verlange in erster Linie die Oeffentlichkeit des Militärstrafverfahrens. Nur unter dem Schatten der Heimlichkeit lafse sih das bisherige Militär- strafverfahren aufrecht erhalten, und wenn man die Schanze der Oeffentlichkeit küberwunden habe, babe man die Festung eingenommen. Der gegengeseßte Antrag verlange nur eine „größere Oeffentlichkeit“, dafür gebe es aber überhaupt keinen juristishen Begriff. Das Militärstrafverfahren müsse dem Cipilstrafverfahren in gewissem Umfange nachgebildet werden. In der italienischen Deputirtenkammer hatten {hon 1880 die italienisden Minister des Kriegs und der Justiz dem Grundsatz der Oeffentlichkeit zugestimmt. Man habe es hier nicht mit einem Söldnerbeer zu thun, fondern mit einem Heer, das allgemein aus dem Volk hervorgehe. Um so mehr müsse der Unterschied zwischen dem Civil- und dem Militairstrafverfahren fallen. Der Reichskanzler lege bei der Militär-Strafproceßordnung das größte Gewicht auf die Disciplin. Aber eine sehr große Anzahl von Staaten hâtten son seit den fünfziger Jahren das öffentliche und mündliche Verfahren, wie Schweden, Belgien, Portugal, aber auch große Militairmächte wie Frankreich und TItalien, ja sogar Rußland, ohne daß die Disciplin darunter leide. Sei denn das Material, aus dem das deutsche Heer zusammengesegt sei, so viel {chwerer in Disciplin zu halten als bei diesen Staaten? Man habe immer das Gegentheil angenommen. Der Reichskanzler habe hervorgehoben, Disciplin beruhe auf der Gerechtigkeit. Das unterschreibe er in vollem Maße. Wenn er den Reichskanzler recht verstehe, fo bedeute das, auf dem Vertrauen in die Gerechtigkeit der Vorgeseßten beruhe die Disciplin. Wie könne aber diescs Vertrauen besser sein, als wenn im Zweifelsfalle ein gerichtliches Verfahren stattfinde? Es fämen dabei nicht nur Militärpersonen in Frage, fondern man habe auch von auffälligen Urtheilen der Militärgerichte bei Excessen von Soldaten gegen Civilpersonen gehört. Da dürften die Gründe der Oeffent- lichkeit niht vorenthalten werden. Der Rekrut komme aus der Civil- bevölferung zur Armee und werde mit ganz anderem Vertrauen dem Vor- geseßten gegenüberstehen, wenn durch ein öffentliches, volfksthümliches Verfahren festgestellt werde, daß auch im Heere Gerechtigkeit herrsche. Durch die Oeffentlichkeit des Verfahrens könne die Disciplin nicht in rage kommen. Gerade wo eine strafe Disciplin herrsche, sei die Oeffentlichkeit erst recht am Plate. Der eine Fall, den der Abg. Haußmann gestern angeführt habe, zeige aufs deutlicste, daß das öffentliche Verfahren weit besser im Stande sei, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Der Reichskanzler wolle das Verfahren im Frieden demjenigen im Kriege möglichst ähnlih haben. Die Militärstrafgeseßze der verschiedenen Staaten zeigten doch einen erbeblichen Unterschied zwischen beiven. Er (Redner) hofe auch, daß man die meisten Jahre im Frieden leben werde: der Kriegszustand könne also niht zur Regel genommen werden. In anderen Staaten habe man die Schwierigkeiten in turzer Zeit überwunden. Man wolle noch Gutachten Boftehenber Militärs einholen. Die bei der Reform des Civil-Strafverfahrens eingeholten Gutachten der Gerichte sprächen sich alle für den bestehenden Zustand aus. Jeder Richter halte eben das eingewohnte Verfahren für tdeal und wolle es nicht gern verlassen. Die Gutachten sollten also die Reform nicht allzu sehr aufhalten. Die Form der Resolution be- zeichne man als sro. Solle seine Partei etwa cine Entschuldigung für ihre Ansicht vorausshicken? Selbst wenn das bayerische Verfahren noch nicht bestände, müßte man es verlangen, weil es den An- forderungen der Neuzeit entspreche. Es könne niemand im Zweifel sein, welche der beiden Resolutionen es ernster mit der Sache meine. Das Urtheil darüber könne seine Partei ruhig dem deutschen Volke überlassen. Das deutshe Volk verstehe die Sache und werde auch diejenigen verstehen, die es versagten, dem Antrage Folge zu leisten.

Abg. Hahn (cons.): Seine Partei habe beshlossen, der Re- solution der Budgetcommission beizutreten. Sie fönne es, wie der Vorredner meine, allerdings getrost dem Urtheil des deutschen Volks überlassen, welhe Resolution es am ernstesten mit der Sache nehme. Das Urtheil des deutshen Volks werde auf Seiten der Mehrheit der Budgetcommission steben, und besonders der auf die Religion sich be- ziehende Beschluß werde dem deutschen Volke den Beweis geben, daß die Commission gewillt sei, auf den Grund der Sache zu gehen und von Grund aus zu prüfen, wo die Veranlassung liege, daß folche Scheußlichkeiten vorkämen, wie sie in dem Erlaß des Prinzen Georg gescildert feien. Die Commission habe auch sonst noch Vor- [hläge gemaht, um den Wünschen des Volks in dieser Frage Nechnung zu tragen; sie habe es aber nit für zutreffend erachtet, bei Erörterung der Frage, die zu diesem Antrage Veranlassung gegeben habe, die Frage des gesammten Militärstraf- verfahrens zu berühren. Dazu werde Gelegenheit sein, wenn die an- gekündigte Vorlage der verbündeten Regierungen hier zur Berathung tomme. Die Commission habe nicht ein bestimmtes Strafverfahren, z. B. das bayerische, empfehlen wollen, um nicht den Beschlüssen vorzugreifen, die später zu treffen seien: au wolle sie den Bayern ihr Verfahren durchaus nicht nehmen. Desbalb sei seine Partei gern bereit, dem Antrag Gagern beizutreten. Der Abg. Dr. von Bar habe den Ausspruch gethan: Wenn wir erst die Oeffentlichkeit des Militärstrafverfahrens haben, haben wir auch alles Uebrige. Dann könnten die Antragsteller ja aus ihrem Antrage die Ständigkeit, Selbst- ständigkeit, Mündlichkeit fortlassen und auch dem Antrag Gagern beitreten. Diese anderen Bestimmungen seien deshalb niht in den Antrag auf- genommen, weil fie mit den Mißhandlungen nichts zu thun hätten. Der Cardinalpunkt der Vorschläge der Budgetcommission sei der Passus, der sich auf die Erziehung der Jugend beziehe. Der Abg. ¿retherr von Manteuffel habe bereits darauf hingewiesen, welchen Werth scine Partei hierauf lege. Der Erlaß des Prinzen Georg von Sachsen habe dazu besondere Veranlassung gegeben. Es sei gestern bemängelt worden, daß man hier öffentlih vor dem Aus- lande eine zunehmende Verrohung der Bevölkerung festge- stellt habe. Aber die statistischen Nachweisungen gäben von Jahr zu Jahr darüber Auskunft, in welchem Viifäanae Mefsser- stehereien und Nobhbeiten aller Art zunähmen, und im vorigen Jahre sei bei der Berathung der Unteroffiziersprämien auch von einem Mit- glied der linken Seite auf diese Thatsache hingewiesen. Gegen die Stärkung der religiösen Momente im Heere habe der Abg. Richter gestern eingewandt, daß die mißhandelten Rekruten eber zu viel als zu wenig cristlihe Ergebenheit hätten. Aber nit danach sei zu fragen, ob die Soldaten Ergebung genug hätten, sondern woher die Verrohung komme. Unm dieser entgegenzuarbeiten, müsse dem Volke die Religion erhalten bleiben. Conventikel in den Casernen seien nicht nöthig , es gebe andere Gelegenheiten genug, um in der Armee den religiöfen Sinn zu pflegen, der für sie eine hohe Bedeutung habe. Dieser Theil des Antrags der Commission sei, troßdem fich der Abg. von Kardorff heute dagegen erflärt habe, auß von einem Mitgliede der Reichs- partei unterzeichnet worden. Sollte in Deutschland eine MNegierung vorhanden fein, die in dieser Hinsicht erst einer Anregung bedürfte, so

(Bi I L P E T E ar Ta v0 A r r gn S 1 P r aer, ur S-A

würde cs nibts schaden, wenn diese Negierung durch die Beschlü, des Neichstags an die Förderung der Religion gemahnt würde. ole Unteroffiziere hätten sih in einzelnen Fällen abscheuliche Miß hand, lungen zu Schulden kommen lassen, do seien sie nit so verbreitet Las man deshalb drei Tage lang darüber im Reichstage sprechen müßte Als es sih um die Bewilligung von Unteroffizierprämien gehandelt habe, scien die Ansichten über die Qualität der Unteroffizier auf jener Seite des Hauses durchaus zufriedenstellend 5, wesen, weil man die Prämien niht habe beroilligen wollen Heute stele man den Unteroffizierstand als einen ver: rohten, verkommenen hin. Das sei durchaus unberechtigt. Er babe die Ueberzeugung, daß dic Soldatenmißhandlungen von Jahr zu Jahr mehr abnähmen. Es sei wiederholt darauf hingewiesen worden "das von der Militärverwaltung und namentli von den deutschen Fürsten auf das ernstlihste Bedaht genommen werde, daß Mißhandlungen im Heer nit vorkämen. Die Kaiserlihe Cabinctsordre vom 6. Fe- bruar 1890 nebme Bezug auf eine solhe vom 1. Februar 1843: in dieser nehme der König mit großem Unwillen von den Soldaten- mißhandlungen Kenntnif, charakterisire sie als Uebertretung des König- lichen Befehls, ganz abgeschen von der darin liegenden Geseßzesüber- tretung, und stelle für diese Vergehen die härtesten Strafen {n Aus- sicht ; es werde darin verfügt, daß von dieser Cabinetéordre jeder Offizier Kenntniß bekommen und diese Kenntnißnahme durch Unterschrift be, stätigen müsse, sowie daß der die Unteroffiziere betreffende Abschnitt diesen jährlih einmal mitgetheilt werden solle. Nach allen diesen Erlassen, nach dem des Prinzen Georg, nach dem des Kaisers vom Jahre 1890, werde sih das deutsche Volk völlig vergewissert balten daß alles, was in der Macht der deutschen Fürsten und der Militär- verwaltung stehe, solchen ticf beklagenswerthen Ereignissen entgegen- zutreten, geshehe. Da aber die Commission erkannt habe, daß na dieser Richtung hin jeßt niht genug von den Negierungen abgeholfen werden könne, so habe sie ihren Antrag gestellt, den er im Namen seiner politishen Freunde, und, wie er glaube, audch) im Namen der Fractionen, deren Vertreter in der Commission dafür gestimmt E empfehle, damit er mit einer großen Mehrheit angenommen werde.

Abg. Dr. Schaedler (Centr.): Ueber die Verurtheilung der Soldatenmißhandlungen herrsche bier volle Uebereinstimmung, er wolle nur den von ihm und seinen bayerishen Freunden ge- stellten Antrag begründen. Die sämtlichen beantragten Resolutionen gingen von den Soldatenmißhandlungen aus. Der Commissionéantrag aber gehe nah einer Richtung bin zu weit, nach der anderen nit weit genug. Dem Antrag Buhl-Nichter könne er sich deshalb nicht an- schließen, weil er den Beshwerdezwang für cine Verschlimmerung der Zustände halte. Dur ihren Antrag glaubten die Antragsteller die Sache auf den richtigen Weg zu führen und au den Bayern véllig gereckdt zu werden. Es handele sich hier nicht um das Princip, nah dem die Militärstrafprozeßordnung geregelt werden solle, sondern un die Herausnahme eines wichtigen Punktes, der vor der Einfübrung ciner allgemeinen Militär-Strafrehtsreorganisation erledigt werden fönne und müsse. Die Bayern müßten sich erhalten, was sie hâtten, daraus werde ihnen wohl niemand einen Vorwurf machen. Der Abg. Dr. Gaffelmann habe den Verlauf der Dinge în der bayerischen Zweiten Kammer ganz richtig geschildert. Es herrshe dort völlige Einmüthigkeit, nahdem der vom dortigen Centrum eingebrachte Antrag mit einem anderen vereinigt worden seci; dem so zu stande gekommenen Beschluß habe si die Erste Kammer und die Regierung angeschlossen, wobei allerdings der Kriegs-Minister eine Bemerkung gemacht habe, die niht nach allen Seiten bin Wohlgefallen erregt habe. Der ganze Antrag habe aber seinen Ausgang nicht von Soldaten- mißhandlungen genommen, fondern man habe gesagt, man beschäftige sih im Kreise der verbündeten Regierungen mit einem Entwurf für eine allgemeine Militär-Strafproceßordnung, in der Bestimmungen enthalten seien, wodurch das in langen Jahren erprobte und wohl- bewährte Verfahren beeinträchtigt werden solle. Es verstehe si von felbst, daß, wenn der Neichstag sih mit der Militärgerichtsbarkeit im allgemeinen beschäftigen werde, sei es bei Berathung einer Re- gierungsvorlage, fei es bei Gelegenheit eines Juitiativantrages, wie er ja vom Abg. Dr. von Marquardsen shon eingebracht sei, er mit seinen bayerishen Freunden voll und ganz auf dem bayerischen Stand- punkt ftehen werde. Jett sei noch zu hoffen, daß das neue Reichsgeseß nicht die bayerischen Eigenthümlichkeiten beseitigen werde. Man müsse praktische Politik treiben, deshalb sei in dem Antrag Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse genommen. Die Schwierigkeiten, die einer Neuordnung der Dinge entgegenständen, seien nicht zu unter- schäßen. Bayern müsse das behalten, was es habe. Wenn das nit geschehen follte, dann werde er sih auf den principiellen Standvunkt zurücßziehen. Die Bayern wollten nur anderen nit aufdrängen, was sie hätten. Wenn der Antrag Gagern nit angenommen werde, dann würden die Bayern für den zweiten Theil des Antrags Bubl stimmen. Der Abg. Richter brauche sie nicht zu mahnen, daß sie Vertreter des ganzen Volks seien, sie fennten ihre Pflicht auch ohne folche Mahnung. Redner tritt dann besonders für die Pflege religiösen Sinnes ein, die nothwendig sei zur Schärfung des Gewissens der Mannschaften und der Vorgeseßten. -

Darauf wird die Besprehung geschlossen.

Abg. Bebel (Soc.) (zur Geschäftsordnung): Seit vorgestern Abend werde er sowohl von Seiten der Redner vom Regierungétis, wte von der andern Seite des Hauscs angegriffen. Jett, wo er zum Wort gekommen wäre, halte es die Mehrheit für angebracht, den Schluß der Besprechung herbeizuführen. Er müsse sih heute zwar bescheiden, versichere aber, daß er die erste Gelegenheit ergreifen werde, um auf alles zu antworten.

Es folgen persönliche Bemerkungen. E

Abg. Haußmann (Vp.): Die von ihm hier benutzten Acten seien ihm nicht, wie der Abg. von Kardorff glaube, von der Militärbehörde anvertraut worden, sondern sein Bureau habe deren Vorlegung dur das öffentliche Gericht erzwungen. Die von ihm vorgebrachten That- fachen entstammten einem rechtskräftig entshiedenen und abgesclossenen Proceß. Daß es von einem \{lechten Geschmack zeuge, die s{chmußige Wäsche seines Heimathlandes hier zu waschen, könne er nicht zugeben. Bekanntlich könne man Militärbeshwerden nit mehr im württem- Ae Landtage vorbringen, weil der Militär - Etat hier berathen werde.

Abg. Hinze (dfr.) Der Abg. Hahn habe aus einer vorjährigen Nede von ihm vollständig richtig citirt, daß er damals ausgeführt habe, die Qualität der Unteroffiziere sei eine gute. Dieser Ansicht sei er noch beute, und mit ihm die ganze linke Seite.

Jn namentlicher Abstimmung wird darauf der Antrag von Gagern (die bayerishe Clausel) mit 140 gegen 103 Stim- men abgelehnt. :

Der Antrag Richter, betreffend das Duellwesen, wird verworfen. i e

Der erste Theil des Antrags Buhl (Beschwerdepflicht) wird mit 122 gegen 120 Stimmen abgelehnt. E

Der zweite Theil des Antrags Buhl (Oeffentlichkeit) wird mit 143 gegen 100 Stimmen angenommen. :

Nummer 2 des Antrags der Commission (Erleichterung des Beschwerdeverfahrens) wird fast einstimmig angenommen, die Nummer 3 (Pflege des religiösen Sinnes) dagegen ab- gelehnt. Demgemäß lauten die Beschlüsse des Reichtags :

Die verbündeten Regierungen zu ersuchen : L

1) bei der in Aussicht genommenen Neform der Militar- Vila vage Mle und der Militär-Strafproceßordnung die Grund- âbe der Ständigkeit und Selbständigkeit der Gerichte, sowie der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Hauptverfahrens, wie sie sich im Königreich Bayern bewährt haben, zur Geltung zu bringe: L

2) die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militar personen, namentlich in der Nichtung einer Erleichterung dicse Beschwerderechts, einer Revision zu unterzieben.

Schluß 61/4 Uhr.

Parlamentarische Nachrichten.

e Haufe der Abgeordneten sind Erläuterungen Z Ma Ves Staatshaushalts-Etats für 1892/93 über s Regelung der Befoldungen der Directoren und EE rx an den Schullehrer- und Lehrerinnen-Semi- “e en, der Lehrer an den Präparandenanstalten und der a reis-S hulinspectoren zugegangen. Danach sind folgende Säge angenommen worden : i 1) D eelerea E S Mi ehalt 4000 4, erreichen das Höchstgehalt von 5400 U O Rheen und in Stufen von je vier Jahren ; Gehaltszulagen Zas Stufen Dienstalter Besoldung I 4090 e. TT 4 4D TH 8 2 IV 12 5090 V 16 O 9a. Erste Seminarlehrer (in Berlin). Mindestgehalt 3600 4, erreichen das Höchstgehalt von 4800 4 in zwölf Jahren und in Stufen von je drei Jahren ; Gehaltszulagen E Stufen Dienstalter Besoldung E 3600 A. I: D 00 T: 6 4200 _ XV. 9 4500 ,„ V. 12 4800 , 2b. Erste Seminarlehrer (in der Provinz). Mindestgehalt 3000 4, erreichen das Höchstgehalt von 4000 M. in 12 Jahren und in Stufen von je 3 Jahren: Gehaltszulagen je “) A6 i Stufen Dienstalter Besoldung T - 5000 M. [T 3200 T J D000 IV ( S0 V e O. | 3a DidentliWe Seminarlehrer (In Berlin). Mindestgehalt 2400 4, erreichen das Höchstgehalt von 3600 46 in 24 Jahren und in Stufen von je 3 Jahren: Gehaltszulagen je 150 M i e Stufen Dienstalter Besoldung T —- 2400 A [T 3 2550 TTT 6 2700 IV 9 2850 V 12 5000 VI 15 3150 VII 158 900 VHI 21 3450 2 Ix 24 3600 , e 3b. Ordentlihe Seminarlehrer (in der Provinz). Mindestgehalt 1800 #, erreichen das E von 3200 M. in 24 Jahren und in Stufen von je 3 Jahren. Gehaltszulagen bis bis zum 192. Dienstjahre je 200 (, von da ab in gleichen Stufen je

150 f. Stufen Dienstalter Besoldung T 1800 6 IT 5 2000 ITT 6 2200 IV 9 2400 V 12 2600 V] 15 2750 VITI 18 9900 VITI 21 5050 IX 24 8200. 4) Seminar-Hilfslehrer.

Mindestgehalt 1200 e, erreichen das Höchstgehalt von 1800 in neun Jahren und in Stufen von je drei Jahren: Gehaltszulagen von je 200 A

Stufen Dienstalter Besoldung I 1200 A. TI 3 1400 ITI 6 1600 ,„ IV 9 1800 9a. Seminarlehrerinnen (in Berlin). __ Mindestgehalt 1500 , erreichen das Höchstgehalt von 2100 At in 15 Jahren und in Stufen von je 3 Jahren: Gehaltszulagen bis ¿ur 111. Stufe je 150 Æ und von da ab e 100 M Stufen Dienstalter Besoldung ¡ 1500 4 1600 1800 ,„ IV 1900 , V 2 2000 N L 10 2100 9b. Seminarlehrerinnen (in der Provinz). __ Mindestgehalt 1000 4, erreichen das Höchstgehalt von 2000 M. L Jahren und in Stufen von je 3 Jahren; Gehaltszulagen je V0 M

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Stufen Dienstalter Besoldung I —— 1000 M. [1 3 1200, T 6G TAQO © IV 9 1600 ,„ V 12 1800 VI 15 2000. Z 6) Präparandenanstaltsvorsteber. steben den ordentlichen Seminarlehrern in der Provinz gleich und eziehen ihre Gehälter wie diese (vergl. 3 Þ). 0 Dwette Präparandenlehrer. Mindestgehalt 1400 Æ, erreichen das Höchstgehalt von 2000 M in 15 Jahren und in Stufen von je 3 Iahren; Gehaltszulagen bis r T, Stufe je 150 -(, von da ab je 100 M Stufen Dienstalter Besoldung l 1400 M. 11 D O. 1T]J 6G T0 IV ( 1800. N y 1900 ,„ VI 15 2000 Mindor 8) Kreis\cchulinspectoren. : sf tindestgehalt 2700 f, erreichen das Höchstgehalt von 5400 M. in 21 Jahren und in Stufen von je 3 Jahren: Gehaltszulagen bis 300 reichung des Gehaltes von 5100 # je 400 4, leßte Stufe

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Dienstalter Besoldung 2700 M [T 3100 [11 i 3500. -, A 4 3900 ,„ V 4300 HL l 4700 V T] Í 5100 Jn dies Syst Aufb aler die Sis Sui insves nes System der Aufbesserungen haben die Kreis-Schul- audng N aufgenommen werden müssen, weil fich ihre Zahl fast Semi; inslos aus der Kategorie der Gymnasfiallehrer_ und der beri enarlehrer ergänzt. Würden also diese Beamten auf ihren bis- befzp p cvaltssäßen belassen, so würde es nit mehr mögli scin, „Ngte Männer für die erledigten Stellen zu gewinnen. i in das Zeit, welche für das Aufrücken eines Kreis-Schulinspectors Déchftgehalt vorgeschrieben ift, ist mit Rücksicht darauf so

Stufen [

boch bemessen, daß den Kreiës-Schulinspcctoren bei ibrem Ucbertritt aus einer anderen Amtsstellung ibr bisheriges Dienstalter jedesmal soweit angerechnet werden soll, als erforderlich ift, damit sie in diejenige Dienstaltersstufe ihrer neuen Stellung eintreten können, welche ihrem bisherigen Einkommen entspricht.

In gleicher Weise soll au bei dem Uebertritt in den Seminar- dienst eine Schädigung der Beamten vermieden werden und für den Fall der Berufung eines Kreis-Schulinspectors oder eines Leiters oder Lehrers an einer inländischen staatlichen böberen Unterrichtsanstalt zum Leiter oder Lehrer eines Seminars die Dienstzeit als Kreis - Shul- inspector oder als definitiv angestellter Leiter oder Lebrer an einer der genannten Anstalten mit der vorbezeilneten Wirkung angerechnet werden. Auch für die nur vereinzelt vorkommenden Fälle, in denen in ordentliher Seminarlehrer mit einem Einkommen von mehr als 9000 Æ zum Ersten Seminarlehrer befördert wird, ist die Anwendung des gleichen Grundsaßes beabsichtigt. | :

Dagegen foll bei der Berufung von Beamten, auf welche diese Vorausseßungen nicht zutreffen, insbesondere also bei der Berufung von Beamten des mittelbaren Staatsdienstes zum Leiter oder Lehrer eines Seminars die Anrechnung früherer Dienstjahre der Verstän- digung im einzelnen Falle vorbebalten bleiben. S

Im übrigen sollen für die Gewährung der Dienstalterszulagen die gleihen Grundsäße maßgebend sein, wie sie für diejenigen Be- amtentlassen bestehen, für welche das System der Besoldung nah Dienstalters\tufen eingeführt ift.

Die Volksshulgeseß-Commission des Hauses der Abgeordneten berieth, wie die Morgenblätter mittheilen, im weiteren Verlaufe der gestrigen Sißung den Absatz 3 des § 14 der Vorlage, welcher lautet: „Soweit niht an einem Orte bereits eine anderweite Schulverfassung besteht, sollen neue Volkss{ulen nur auf confessioneller Grundlage cingerihtet werden. Die vorhandenen Volksschulen bleiben, vorbchältlich anderweiter Anordnung im einzelnen alle 6), in ihrer gegenwärtigen Verfassung bestehen.“ Die Nationalliberalen beantragten, auch diesen Äbsay zu streichen, eventuell aber ihm folgende Fassung zu geben: „Die AN= ordnung der Verwandlung einer Confessionsshule in eine Simuitanshule und umgekehrt is an die Zustimmung der Gemeinde (Gutsbezirk, Schulverband) geknüpft. Die versagte Zu- stimmung ftann bei ländlihen Schulbezirfen durch den Kreisausschuß, bei städtischen durch den Bezirkêausshuß ergänzt werden.“ Die Freticonservativen beantragten, hinter ,Volkss{hulen“ einzuschalten „in der Regel“; nach dem ersten Saß einzuschalten: „Ausnahmen dürfen nur aus besonderen Gründen und auch in Stadtkreisen nur mit Genehmigung des Regicrungs-Präsidenten stattfinden“: und als Schlußsaß dem Absaß 3 anzufügen: „Die Anordnung der Ver- wandlung einer Confessionsshule in eine Simultanshule und um- getebrt ist an die Zustimmung der Gemeinde (Gutsbezirk, Schul- verband) geknüpft. Die versagte Zustimmung kann bei ländlichen Schulbezirken durch den Kreisausschuß, bei städtishen durch den Bezirksausshuß crgänzt werden.“ Die Conservativen be- antragten die Anfügung folgenden Satzes: „Eine solche Anordnung bedarf der Zustimmung der Gemeinde (Gutsbezirk, Schulverband). Die versagte Zustimmung fann bei ländlichen Schulbezirken durch den Kreisauss{uß, bei \tädtishen Schulbezirken durch den Bezirks- auéshuß ergänzt werden.“ Das Centrum endlich beantragte, den ersten Saß wie folgt zu fassen: „Neue Volksschulen follen nur als confessionelle eingerihtet werden“, event. statt „auf confessionc!ler Grundlage“ zu setzen „als confessionelle“, und hinter „Vorhandenen“ einzuschalten „nit confessionellen“. In der Discussion bemerkte Abg. Frhr. von Zedliß (freicons.): Man habe erlebt, daß gegen den Willen der Gemeinden und der öffentlichen Volksmeinung Simultan- schulen in confessionelle Schulen umgewandelt worden seien. Um ein Sicherheitsventil zu schaffen, müsse die Umwandlung an die Zustimmung der Gemeinden geknüpft werden. Solle die Entwickelung der Schule niht gehemmt werden, so müsse den Schulunterhaltungspflicßtigen cine weitgehende Mitwirkung eingeräumt werden. Staats-Minister Graf Zedliß: Dem Antrage des Centrums könne er nicht zu- stimmen. Was den Antrag der Freiconservativen betreffe, so könne er sih mit dem Grundgedanken, der der Selbstverwaltung cine größere Mitwirkung einräumen wolle und der ganz seiner Auffassung ent- spreche, einverstanden erklären. Abg. Freiherr von Huene (Centr.) trat für die Aufrechterhaltung des Centrumsantrages ein. Abg. Hansen (freicons.) verthcidigte die freiconservativen Anträge auch in ihren ersten beiden Absäßen. Selbst wenn das „möglichst“ im Ar- tikel 24 der Verfassung in dem Sinne auszulegen sei, daß „überall, wo es möglih, neue Schulen nur auf confessioneller Grundlage er- richtet werden dürften“, entsprehe Abs. 3 des § 14 der Vorlage nicht der Verfassung, da er für die Zukunft die Errichtung neuer Simultanshulen unbedingt verhindern wolle. Abg. Hobrech t (ul.) vertheidigte den nationalliberalen Antrag, gab aber zu, daß dur den von den Freiconservativen vorgeschlagenen Zusatz „in der Regel“ die verfassungsmäßigen Bedenken gemildert würden. Abg. Dr. von Iazdzewski (Pole): In der Provinz Posen werde dem Wunsch der Bevölkerung nah confessionellen Schulen zu wenig Rechnung getragen, er sei also dafür, die Errichtung von Simultau- \hulen geseßlich zu verhindern. Abg. Grimm - Frankfurt (n[.): In Simultanschulen werde unter gewöhnlichen Nerhältnissca dem con- fessionellen Unterricht mebr Rechnung getragen als én confessionellen Schulen. Abs. 3 des § 14 widerstreite gegen die Bestimmung der Verfassung, welcher die confessionellen Verhältnisse „möglichst“ zu berücksihtigen vorschreibe. Abg. Rickert (dfr.) befürwortete den Antrag der Nationalliberalen. Abg. Freiberr von Huene (Centr.) erflärte, für den confervativen Antrag stimmen zu wollen, vorbehalt- lich redactioneller Verbesserung in zweiter Lesung. Abg. Graf zu Limburg-Stirum (cons.): Er und seine Freunde hätten in ibrem Antrage den Ausdruck „Simultanschulen“ vermieden, da dic Gelehrten über diesen Begriff nicht einig seien. Bei der Abstim- mung wurdea alle übrigen Anträge abgelehnt, bis auf den der Konservativen. Mit dem conservativen Zu- a8 Wede Ao]. 2. Deo 9 14 gegen die Slinitnen der Freiconservativen, Nationalliberalen und Freisinnigen ange- nommen. Die Conservativen beantragten nun, dem § 14 folgenden neuen Absatz 4 anzufügen: „Sind in einer confessionell eingerichteten Schule Kinder, welche einer anderen Confession ange- hören, vorhanden, so ftann ein Lehrer dieser Confession angestellt und es darf demselben außer dem Religionsunterriht mit Zustimmung des Schuivorstandes die Ertheilung anderer Lehrstunden übertragen werden.“ Die Freiconservativen beantragten, in dem Antrage der Conservativen die Worte „mit Zustimmung des Schulvorstandes“ zu streichen. Für den Fall der Aufrechterhaltung dicser Worte bc- antragten sie, nach „Neligionsunterricht“ einzuschalten : „bezw. dem Unter- richt in der deutshen Spracbe und der vaterländischen Geschichte“. Geheimer Ober-Finanz-Nath Ger mar, als Commissar des Finanz- Ministers, hielt es in Uebereinstimmung mit dem Antrage der Frei- conservativen für bedenklich, wenn die Beschäftigung des Religions- lehrers auch in anderen Lehrfächern von der Zustimmung des Schul- vorstandes abhängig gemaht werde. Die Finanzrücksichten müßten doch gewahrt werden, und dem Schulvorstand dürfe niht das Necht ge- geben werden, durch seine Beschlüsse eine finanzielle Belastung der Gemeinde herbeizuführen. Gegenüber den erheblihen Zuwendungen des Staats, die im leßten Jahre zu Gunsten der Volksschule erfolgt seien, müsse er jeden Versuch, der zu ciner Mehrbelastung der Staats- finanzen führe, bekämpfen. Abg. Rickert (dfr.) beantragte, in dem Antrage der Conservativen anstatt „mit Zustimmung“ zu sagen: „nach Anhörung des Schulvorstandes“. Landrath Dr. Kruse, als Commissar des Ministeriums des Junern, vertrat den Standpunkt des Commissars aus dem Finanz-Ministerium, und betonte, daß Angelegenheiten mit finanziellen Folgen niht dem Schulvorstand anheimgegeben werden dürften: er glaube auch, daß in diesem P der Schulvorstaud nur gehört werden dürfe. Die Abgg. Nickert (dfr.) und Dr. Friedberg (nl.) hoben hervor, daß die Conservativen mit ihren Anträgen bezüglih der Wahrung der Rechte der Confessionen noch über die Negierungsvorlage hinaus- gingen und dadurch dem Centrum nod weitere Zugeständnisse machten.

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Die Unteranträge der Freiconferva j darau ionalliberalen und Frei-

gegen die Stimmen der Freifinnigen, National 1 i conservativen abgelehnt; der Antrag der Conservativen gegen dieselben Stimmen angenommen. Die Berathungen der Commission werden heute Abend fortgeseßt werden.

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Statistik und Volkswirthschaft.

Deutscher Innungs- und Handwerkertag. :

Im weiteren Verlauf der gestrigen Sißzung wurde die gestern mitgetheilte Resolution des General - Secretärs Dr. Adolf Sulz (Berlin) über die Ausbildung des Genossenschaftswesens im Handwerkerstand mit geringer Mebrheit abgelehnt und weiter folgende Resolution des Buchbindermeisters Nagler (München) angenom- men : „Der deutsheInnungs- und Handwerkertag verzichtet, angesichts der politischen Constellation, zur Zeit auf die Gründung einer eigenen Partei. Er betrachtet es, in Conseguenz der NReichstagssitung vom 24. November 1891, als im Intereÿe des Handwerkerstandes gelegen, bei den Wahlen mit aller Entschiedenheit für die conservative und Centrumspartei einzutreten; in Bezirken, wo sfolche Candidaten fehlen, jedo die Aufstellung eigener Handwerker-Candidaten vorzu- nebmen oder sih gänzlih der Stimme zu enthalten.“ Hierauf wurde die Versammlung mit einem dreifachen Hoch auf Seine Majestät den Kaiser ges{lofsen.

Wohnungsverbältnisse der Arbeiter.

In dem 1. Heft der „Zeitschrift für daz Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußishen Staat“, Jahrgang 1892, ift eine Abhandlung von dem Königlichen Ober-Bergrath in Halle, 3. Z. Hilfsarbeiter im Ministerium für Handel und Gewerbe, Täglichs- beck über die Wohnungsverhältnisse der Berg- und Sa- linenarbeiter im Ober-Bergamtsbezirk Halle veröffent- liht. Der Arbeit liegen amtliche Quellen zu Grunde. Es sind dèe Wohnungsverbältnisse von nabezu 45 000 Personen deren An- gehörige ungerechnet ermittelt worden. Die „Wohblfahrts-Cor- respondenz” giebt über die Abhandlung folgende Mittheilungen :

Die Abhandlung zerfällt in 5 Haupttbeile :

A. Maßnahmen der Werksbesißer zur Wohnhaftmachung der Arbeiter und Beamtcn. B. Wohnungen der Arbeiter und Beamten außerhalb der Fürsorge der Werksbesiter. C. Mitwirkung der Knavv- schaftsvercine zur Wohnhaftmahung der Knappschaftsmitalieder. D. Vergleihung der gewonnenen Ergebnisse. E. Maßnahmen zur Abstellung von Mißständen in den Wohnungsverhältnissen dec Berg- arbeiter im Ober-Bergamtsbezirk Halle.

Die im Abschnitt A geschilderten Maßnabmen der Unternebmer sind mannigfacher Art: z. Th. geschieht die Wohnhaftmachung dur Gewährung von Wohnungen, fei es miecthweise oder als auf den Lohn angerechnete Naturalleistung. Daneben find einzelne Werks- besißer (vor allem der Fiscus und die Mansfeld’\de Kupferschiefer bauende Gewerkschaft in Eisleben) bemüht gewesen, ihre Angestellten (Arbeiter und Beamte) durh Gewährung von Hausbauvrämien und unverzinslichen, amortisirbaren Hausbaudarleben, sowie auc dur billige Ueberlassung von Baustellenland bei der Wobnhaft- machung zu unterstüßen. Der Abschnitt A ergiebt bei eingehender von zahlreichen Tabellen begleiteter Betrachtung der auf den einzelnen Staats- und Privatwerken getroffenen Maßnahmen, daß der Fiscus im Verhältniß zu den beschäftigten Arbeitern im O. B. A.-Bez Halle in der Fürsorge für die Wohnhaftmachung den privaten Unternehmern voransteht.

Der Abscnitt B stellt die eigenen Bemühungen der Angestellten um ihre Wohnhaftmachung, gleihfalls nah einzelnen Werken getrennt, unter Beifügung zahlreicher Tabellen dar. Unterschieden werden ins- besondere folgende Gruppen :

1) (gewissermaßen das Verbindungsglied zu Abschnitt A). Die- jenigen, welche in eigenen, mit des Werkébesitzers Hilfe erbauten Häusern wohnen. 2) Diejenigen, welche in felbständig erbauten, eigenen Häufern wohnen. 3) a. Diejenigen, welche als Verheirathete, b. diejenigen, welche als Uiverleitatlde in Miethhäusern wohnen.

Der Abschnitt C läßt erkennen, daß die Unterstüßung der Knappschaftsvereine für die Seßhaftmachung der Knappschaftsgenossen vom wesentlichen Erfolge gewesen ist. In besonders großem Umfange hat der sehr gut situirte Halberstädter Knavpschaftsverein Hausbau- darlehen gewährt. Die Bedingungen derselben sind als Anlage bei- gefügt.

Der Abschnitt D giebt die näheren Angaben über die von den Werksbesitzern aufgewendeten Baukosten, berechnet den sich ergebenden Zinsfuß und vergleicht andererseits die bekannt gewordenen Mietb- preise mit dem Jahresverdienst. Dabei ergiebt ih die günstige Er- scheinung, daß die große Mehrheit der Arbeiter weniger als 162 9/9 des Jahres-Arbeitsverdienstes (730—1030 A nach der mitgetheilten Lohnstatistik) auf die Wohuung verwenden. Nahezu gleichzeitig (am 1. Dezember 1890) für die Staatswerke in den Ober-Bergamts- bezirken Halle, Klausthal, Dortmund und Bonn sowie für den ober- shlesis{hen Bergwerks- und Hüttendistrict vom 1. Januar 1890 angestellte Erhebungen gestatten interessante Vergleiche. Danach steht Der MQalle[We Deb n Bezug auf die Zahl der benußten Wohnräume (3 einscließlich der Küche) mit in erster Linie; an Hauseigenthümern unter seinen Arbeitern steht er in der Mitte: größere Zahlen weisen Saarbrücken und Klausthal, kleinere Oberschlesien und Westfalen auf. Jedoch übertreffen diese beiden Bezirke den Halleschen in Ansehung der von Werksbesißern zur Nutzung bereit gestellten Wohnungen.

Der Abschnitt E resumirt dahin, daß die Erbauung eigener Häuser durch die Arbeiter auf cinen geringen Umfang voraussichtlich beshränkt bleiben wird, und daß, auch im Interesse jolider Bauaus- führung, das Bestreben der Werksbesißzer zur Bereitstellung von Miethéwohnungen von größerer Bedeutung zu werden verspricht. Günstig für den Halleshen Bezirk ist es insbesondere, daß auch die Braunkohlenindustrie in der Wohnungsfrage si cifrig zu bethätigen beginnt. i j

Eine weitere Förderung für die bergmännishe Ansiedelung wird nicht nur im Ober-Bergamtsbezirk Halle, sondern namentlich au im niederrheinish-westfälishen Bergbaudistrict von einer Revision des Ansiedelungsgeseßes vom 25. August 1876 erwartet : auch wird der Verkauf geeigneter Domänengrundstücke zu Baupläßen angeregt werden. ' S

Zum Schluß prüft der Verfasser die Verhältnisse der Kost- und Ouartiergänger und gelangt zu dein Ergebniß, daß im Halleschen Bezirk einmal die Zahl derjelben keine auffallend hohe ist, und daß, im Gegensaß zu anderen Industriebezirken, besonders hervorstehende Uebelstände auf diesem Gebiet nur vereinzelt aufgetreten find, immer- hin aber cine Abänderung und Vervollständigung der Polizeiverord- nungen über das Kost- und Quartiergängerwesen im Sinne der für den Regierungsbezirk Düsseldorf über das Halten von Kost- und Quartiergängern unter dem 11. Juli 1887 erlassenen Polizeiverordnung zu wünschen ift. E Arbeiter-Ausshüsfe. : j

Der Vorstand des Linksrheinishen Vereins für „Ge- meinwohl“ bat seinen Mitgliedern den Entwurf einer Normal- Arbeitsordnung übersandt und sie in einem Anschreiben u oerk, der Errichtung von Arbeiter-Ausschüssen näher zu treten. Es heißt da:

„Um so mehr empfieblt es sich, son jeßt Arbeiter-Ausschüsse ein- zurihten, weil die Arbeiter jeßt es als besonderen Vertrauens- ausdruck um so dankbarer empfinden müssen, wenn der Arbeitgeber ihnen ohne Gefeßzzwang Gelegenheit giebt, ihre Wünsche und An- \chauungen bei Abfassung der cinzelnen Bestimmungen der Arbeits- ordnung zum Ausdruck zu bringen. Alle Gründe, welche bereits vor Erlaß des Gesetzes für eine solhe Betheiligung der Arbeiter geltend gemacht werden fonnten und auf Grund von Erfahrungen von zahl- reihen Arbeitgebern geltend gemacht wurden, beanspruchen jeßt eine erhöhte Bedeutung.“ a

Alsdann tritt das Schreiben in die Begründung der „Anhörung der Arbeiter“ durch ibren gewählten Aus\{uß ein wie folgt :