1911 / 216 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 Sep 1911 18:00:01 GMT) scan diff

Während der weiteren Abwesenheit des Königlich württem- bergischen Gesandten Freiherrn von Varnbüler führt der Bundesratsbevollmächtigte, Ministerialdirektor Dr. von Köhler die Geschäfte der Gesandtschaft.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Eber“ am 9. September in Agadir und am 11. September in Las Palmas (Canarishe Inseln), M. S. Tpdbt. „S 90“ am

12. September in Tsingtau eingetroffen.

Frankreich.

Jn dem gestern nachmittag unter Vorsiß des Minister- präsidenten Coillaur abgehaltenen Ministerrat ag 98 wie MW. T. B.“ aus Paris meldet, der Minister des Aeußern de Selves Mitteilung von dem Stand der Verhandlungen mit Deutschland und von dem Jnhalt der Antwort, die er der deutschen Regierung zu geben gedenke. j

Im weiteren Verlaufe des Ministerrats kündigte der Landwirtschaftsminister Pams eine Enquete an, die zeigen werde, daß die Menge des für 1912 verfügbaren Ge- treides die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen und den Bedarf an Saatgut decken werde. Der Minister bezeichnete den gegenwärtigen Viehbestand in Frankreih für mehr als genügend, um die Ernährung des Landes im kommenden Winter zu sichern.

Rußland.

Jn Gegenwart der russischen Majestäten, des Thronfolgers, der Großfürstinnentöhter und der Großfürsten Andrej Wladi- mirowitsch und Sergius Alexandrowitsh ist gestern in Kiew das Denkmal Alexanders Il. in festliher Weise enthüllt worden. Der Feier wohnten ferner bei der bulgarische Thron- folger, der Ministerpräsident Stolypin und zahlreiche Minister und Würdenträger. Sechs Gouvernements hatten Abordnungen entsandt.

Spanien.

Der Kriegsminister hat laut „W. T. B.“ gestern abend während einer Sizung des Ministerrats vom Generalfapitän von Melilla Aldave die telegraphishe Meldung erhalten, daß die feindlihe Harka einen neuen Angriff t die O Truppen, die am rechten Ufer des Kertflusses agern, unternommen hat. Zur s der Absendung des Telegramms war ein heftiges Gewehrfeuer im Gange und die Spanier hatten bereits Verluste erlitten, über die aber in der Meldung keine näheren Angaben gemacht werden.

Portugal.

Die Republik Portugal ist, wie „W. T. B.“ meldet, auh von der \{chwedischen und von der norwegischen Regierung anerkannt worden.

Wie dem „W. T. B.“ aus Lissabon gemeldet wird, ist in Vianna da Castello eine monarchistische Vershwörung entdeckt worden. Wichtige Schriftstücke seien beshlagnahmt und zahlreiche Verhaftungen vorgenommen.

Schweiz.

Das Referendum gegen das Bundesgeseß über die Kranken- und Unfallversicherung" ist, wie „W. T. B.“ aus Bern meldet, mit 75000 Unterschriften zustande ge- kommen. Die Volksabstimmung wird wahrscheinlih im Februar stattfinden.

Türkei.

Der Thronfolger ist von seiner Reise nah Europa nah Konstantinopel zurückgekehrt.

Zwischen der Pforte und Montenegro ist ein Ein- vernehmen über die Frage der Regulierung des Bojana- flusses zustande gekommen. Auch bezüglih des Bahn- anshlusses ist ein Notenwechsel erfolgt. Beide Regierungen haben, „W. T. B.“ zufolge, die Verpflichtung übernommen, nah Bewilligung der Adriabahn, die von San Giovanni di Medua über Skutari nah der montenegrinischen Grenze ver- längert werden soll, durch die Parlamente, wegen Bestimmung des Anschlußpunktes sich ins Einvernehmen zu seßen.

Asien.

Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphen- agentur“ aus Peking ist im Marineministerium ein sih auf sieben Jahre erstreckendes Flottenbauprogramm aus- gearbeitet worden, nah dem China am Ende der genannten Frist acht Linienschiffe, zwanzig Kreuzer, zehn andere Schiffe Uan TBINs Torpedoboote sowie vier Marinearsenale besizen wird.

Jn einem Kaiserlichen Edikt wird die Bevölkerung Szetschuans getadelt, weil sie nicht begreife, daß die Re- gierungsmaßregeln, betreffend die Bahnverstaatlihhung, das Wohl des Volkes bezweckten. Jn dem Edikt ist ferner der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß Revolutionäre die An- stifter der jüngsten Unruhen seien, und es wird dem Vizekönig ur Pflicht gemacht, die Unruhen energisch zu unterdrücken, M zwischen den Revolutionären und der friedlihen Bevölke- rung, die nur durch Betrug zum Aufruhr verleitet worden sei, einen Unterschied zu machen.

Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphen- agentur“ aus Täbris, nahmen die Anhänger des früheren Sch ahs fast ohne Widerstand die Stadt Marand ein, deren Gouverneur nebst allen Endschumenmitgliedern verhaftet wurde.

Afrika.

Mie die „Agence Havas“ aus Fes vom 9. d. M. meldet, haben die Ait Jussi nah dem Abmarsch der französischen Truppen mit der Plünderung wieder begonnen. Ein Leutnant mit 600 Mann \cherifisher Truppen, der Sefru beseßt hielt, wurde von den Ait Jussi angegriffen, s{chlug sie aber nach ernstlihem Kampfe zurück. Die Ait Jussi halten aufs neue die Umgebung der Stadt beseßt. Sie haben die Verbindungen mit Fes abgeschnitten und Postläufer angehalten. Oberst Bremond ist mit 1500 Mann nah Sefru aufgebrochen.

Statistik und Volkswirtschaft.

In Posen nahmen am 11. September die diesjährigen Ver- handlungen des Deutschen Städtetages ihren Anfang. Wie die „Voss. Ztg.“ berichtet, gehören dem Städtetag als stimmberechtigte Mit- glieder fämtlihe Städte mit mehr als 25 000 Einwohnern an bis auf 6 Städte, die sh ihm noch nicht angeschlossen haben. Fast alle

roßen Städte sind bei den Verhandlungen- in Posen turch ihre ürgermeister, Stadtverordnetenvorsteher und andere Mitglieder der städtischen Kollegien vertreten. Als Borsigender des Vorstands des Deutschen Städtetages eröffnete der Oberbürgermeister Kirschner- Berlin dié Tagung, séit dem Besteben des Städtetages die dritte, mit einer kurzen Ansprade, worauf der Oberbürgermeister Ebelin g- Dessau über die png der Kreditverhältnisse der deutschen Städte sprah. Das starke Anwachsen der Schulden ter Städte, führte der Nedner aus, ist tur die neuen Bahnen kommunalen Lebens bedingt, die über den administrativen Pflichtenfreis hinaus fi die Pflege weittragender wirtschaftlicher, hygienisher, sozialer und fultureller Aufgaben angelegen sein lassen müssen. Die zunehmende städtishe Kreditbenußgung ist ein unentbehr- lies Mittel kommunalen Fortschritts. Der Redner ab einen Ueberblick über- das vorlieger.de Zablenmaterial. Dauach haben alle deutschen Gemeinden im Salite 1907 ‘64 Milliarden Schulden gehabt. Es entfiel 1907 auf den Kopf der Bevölkerung eine Gesamtschuld von 507 4, und zwar an NReichsshulten 66 #, an Schulden der Einzelstaaten 220 G und an Kommunal- \hulden 221 «G. Am 31. Dezember 1910 waren 54 Milliarden SFnhabe:s@uldvershreibungen im Umlauf, davon 1s Milliarde don größeren Selbstverwaltungskörpern, 4 Milliarden _ von Stadt- und Landgemeinden. 1907 waren an den Obli- ationen beteiligt Sparkassen und Stiftungen mit 836 b. Ÿ- Uandesversi erungéanstalten mit 0,21 v. H., Privatversiche- rungzgesellshaften mit 458. v. H. Provin eis mit 0,16 v. H. und Banken mit 86,69 v. H. Sodann legte der Nedner das genaue Zablenmaterial über die Befriedigung des Kreditbedarfs der größeren Städte in den Jahren 1906/09 E Grund einer Um- frage bei den deutshen Städten vor. Im laufenden Jähre werden an ‘teutshen Börsen Anleih-n von 250 Städten notiert, darunter an der Berliner Börse solhe von 140 Städten mit 440 Einzelanleißen. Die Summe der Etats aller deutschen Städte betrug in den siebziger Jahren 300 Millionen Mark, jegt rund 2 Milliarden Mark. Mit den Schulden ist das Vermögen gestiegen. Dieses Vermögen ist vorhanden tn Grundstüks- areal, ferner in erheblichen Betricbs-, Stn NReserve- und Erneuerungsfonds sowie in besonderen Fonds für periodisch wieter- fehrende Ausgaben. Eine Statistik über 23 preußiste Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern stellte das Vorhandensein von 80 Mil- lionen Mark jährliher Fonds fest. Der steigenden Schuldenlast stehen also auch große Werte an bleibendem Vermögen gegenüber. Trotzdem erfordert die Schuldenpolitik besondere Aufmerksamfeit, da der jährlihe Gesamtbedarf der Städte von etwa 400 Millionen Mark den Renteamarkt erbeblih belastet. Bei Prüfung der Frage, ob die gegenwärtigen Formen und Wege zur Befriedigung des Kreditbedarfs ausreichend sind, führte der Redner weiter aus, ist festgestellt, daß es den Städten im allgemetnen leiht geworden ist, zu günstigen Be- dingungen Anleihen zu erhalten. Die durchs{nittlihe Provision hat bei den 49/o igen Anleihen 1 v. H. betragen. Die Stadtanleihen haben eine Reihe von Mängeln; es sind dies vor allem mancherlei Mißstände auf dem Gebiete der Geldvermittlung durch Agenten, die Zersplitterung des Anleihebedürfnisses in einer Zahl kleiner Anleihen, die geringe Pflege der Kursstetigkeit, die Unannebmlichkeit der Auélosung und die verschiedene Art und Höhe der Tilgung. Der Wunsh nah einem einheitlihen Kommunalinstitut ift berechtigt. Nach Prüfung aller Möglichkeiten hat \sih etwa folgendes Ergebnis berausgestellt: Eine Beteiligung oder Vermittlung des Reichs ist aussihtzlos. Jn zweiter Linie kommen dite deutshen Einzelstaaten in Frage. Hier bildet das einzige Beispiel bisher die Hessische Landes- hypothekenbank in Darmstadt, die 38 Millionen Mark kommunale Darlehen mit gutem Erfolg gewährt hat. Zu Prenhen haben von 17 Kredit- anstalten der Provinzialverbände 7 sich mit der Befriedigung des Kommunalkcedits beschäftigt. Vorwiegend kommen diefe Dar- lehen Landgemeinden und fleineren Städten zu Hilfe. Auf Reichs- und Staatshilfe ist also niht zu rechnen. Bei den großen Summen läßt fih die Mitwirkung der Großbanken nicht entbehren, die sih auch einer Kommu) [bank nicht feindlih gegenüberstellen würden. Eine Städtebank als Aktienkommakditgesellshaft ist abgelehnt worden. Der Zusammentritt eines Konsortiums von Großbanken mit der Verpflich- tung zur Ueb:rnahme von kommunalen Darlehen hat si als undur- führbar herausgestellt. Da die Gefahr besteht, daß die Großbanken die Großindustrie vorzichen würden, bleibt aber ein Zusammens{luß wünschenswert. Für ein gemeinsames Institut find vershiedene Formen denkbar. Der Erlaß eines Reicbsgeseyzes erscheint als ausgeschlossen, die Begründung durch einzelstaatlide Gesetze aber als notwendig. Eine Vorfrage ist die Verleibung der Mündelsicherheit der auszugebenden Wertpaptere. Bei der Organisation entsteht ferner die Frage, ob man von einem geschäftlichen oder von einem gemeinnüßigen Stand- punkt auszugeben babe. Für eisteren fommt die Form der Aktiengesellschaft in Frage. Dagegen sprehen aber die formellcn Vorschriften des Aktienrechts, der zu erwartende Widerspruh in vielen Gemeinden, die Höhe des Aktienkapitals und der geringe Verdienst, der bei Ausgabe von Obligationen zu erwarten ‘steht. Auch die Form des wirtschaftlichen Vereins ist abzulehnen, da die Unterlage unsiher und das Zustandekommen des erforderlihen Kapitals als fraglih erscheint. Durch das bereits mit Mut und Glück begonncne Zsammesen der verfügbaren Gelder in einer Geldvermitte- lungsstelle der deutschen Städte zeigt sih ein neuer Weg zum Zusammen\{luß, der langsam, aber sicher zum Ziele führt.

Als zweiter Berichterstatter über die Prúfung der Kreditverhältnisse deutscher Städte sprach der Oberbürgermeister Dr. Beutler - Dresden, der u. a. ausführte: Der Vorstand des Städtetages ist der Meinung, daß zu den Dingen, die besser nicht zentralisiert werden, die Kredit- gewährung an die Gemeinden gehört. Würden wir später einmal die Notwendigkeit eines besonteren Kreditinstituts für die Städte anerfennen müssen, so wollen wir es für diej-nigen deutschen Städte allein gründen, deren Verhältnisse im Städtetag be- kannt find und von etiner Zentralstelle aus leihter über- seben werden können. Wir empfehlen den Städten in erster Linte, eine Vermittlungs8stelle für kommunale Darleben einzurihten. Diese Verwittlungéstelle soll allen dem deutschen Städtetag selbständig als Mitglieder angehörenden Städten ebenso wie denjenigen, die nur in threr Eigen- schaft als Mitglieder eines provinziellen Städtetaaes dem deutschen Städtetag angehören, zu dienea bestimmt sein. Einstweilen wollen wir die Wirksamkeit der Vermittlungs\stele auf die Mitglieder des deutschen Städtetages beschränken, niht aus separatistischen Gründen, fondern deshalb, weil wir die Vermögentverhältnisse unserer Mitglieder leiht übersehen können. Die Vermittlungs- stelle soll erstens Lurzfristige Darlehen für vorübergehenden Geldbedarf unserer Städte vermitteln, wie die in Düssel- dorf Ice bestehende es für ungefähr 50 Großstädte bereits seit mehr als Jahreéfrist tut. Die geldbedürftigen Städte brauen tan knicht mehr den Lombardzinsfuß für derartige Darlehen, sondern einen wesentlich niedrigeren Zinefuß zu bewilligen, und die geldgewährenden Städte erbalten nicht nur den geringen Depositenzinsfuß, sondern einen erbheblich höberen. Derartige Geschäfte find bisher in 96 Fällen tatsählich abges{lossen worden. Der dabei in Frage kommende Betrag beläuft sih auf rund E68 Millionen. Die zweite Aufgabe der Vermittlungéstelle ist die Vermittlung - langfristiger, sogenannter Amortisationsdar leben. Im Interesse des gesamten Kredits unserer Städte balten wir es für wünschenswert. daß die fleineren Stadtanlethen, etwa solde von 1 Million Mark und darunter, überhaupt nicht mehr in der Form von Jnhaberpapieren an der Börse erscheinen, denn sie sind meist s{chwer verfäufliß und \chädigen damit den Kursstand der fommunalen Obligationen überhaupt. Solche Anleihen können in der Regel billig durch Entnahme bei einem Kreditinstitut gegen einmaligen Schuldshein aufgenommen werden. Sollte dies nicht gehen, fo wird die Vermittlung sih an die hier als geeignet erscheinenden Kreditinstitute wenden, die die Wünsche {on deswegen befriedigen dürften, um auf die Dauec zu den regelmätigen Kunden der Vermittlungsstelle zu gehören. Natürlich wird die Vermittlungs- stelle nicht für jedes Geschäft alle deutsen Kreditinstitute und Sparkassen

| zur Konkurrenz auffordern, sondern die jeweils geeigneten ausfuhen. In

dieser Jeval wird ein sehr wesentllcher Teil der Tätigkeit der Vermittlungsstelle bestehen. Für die Uebernahme der kommunalen Anleihen, die durch Ausgabe von Inhaber papieren aufgebraht werten sollèn, kommen "natürlich in erster Linie die Kreditbanken in Betracht. Man darf hoffen, daß das Dazwischentreten der Vermittlungsstelle auch hierbei fördernd auf die Konkurrenz einwirken wird. Die Banken werden ih jedenfalls künftig bemühen, im eigenen Interesse den Städten gegenüber möglihst kulant zu verfahren. Jedenfalls liegt dem Vorstande daran, daß alle Städte des deutschen Städtetages ohne Ausnahme ihre Anleihebedürfnisse der Vermittlungsstelle fo rechtzeitig mitteilen, daß von dieser aus die in Frage kommenden Geldinstitute zur Abgabe von Offerien benachrihtigt werden können. An die Referate knüpfte fih eine längere BespreWung. Bei, eordneter Dr. Scholz-Düsseldorf dankte dem “Obeibürgermeister eutler für die Anerkennung, die er der bisherigen Tätigkeit der freien Verm:ttlungsftelle in Düsseldorf gezollt hat. Diese habe die Hoffnungen erfüllt, die man auf sie geseßt hat. Besonders fei ein Moment hervorzubeben: Die Vermittlungss\telle habe nicht gegen, sondern mit den Banken gearbeitet, und die Banken hätten an teren Tätigkeit keinen Anstoß genommen, fondern mit ibr gern gewirkt. Dies erscheine als ein hoffnungsvoller Ausblick auf die Tätigkeit der im - Sinne des. Vorstands auszubauenden Vermittlungéstelle, die in der Hauptsache- den mittleren Städten zugute kommen werde. Oberbürgermeister P ie ch-München-Gladbach betonte, daß au an der Leitung dieses Instituts die mittleren und kleineren Städte beteiligt fein müßten, und \chlug daher vor, daß der Vorstand der Geschäfts- leitung zu § aus Vertretern der Großstädte, zu # aus Vertretern der Städte von 50 000 bis 100 000 Einwohnern und. zu F -aus Vertretern der Städte von 25 000 bis 50 000 Einwohnern bestehe. Nur dänn werde für die Allgemeinheit etwas Ersprießlihes geleiftet werden, Nachdem Oberbürgecmeister Hirschfeld - Brandenburg a. d. H, gleichfalls größere Berücksichtigung der kleineren und mittleren Städte in der Leitung der Vermittlungsstelle befürwortet und Oberbürger- meister Dr. Beutler-Dresden in seinem Scchlußworte diesem Wunsche beigepflichtet hatte, faßte der Deutsche Städtetag einstimmig gemäß den Vorschlägen des Vorstands folgende Beschlüsse:

1): Sroßp Maxbanbaiseins gewisser Mißstände in der Kredit- beshafung der deutschen Städte wird von der Errichtung eines Zentral- instituts auf der Grundlage einer Aktiengesellschast oder einer Genossen- schaft oder dergleichen abgesehen, dagegen eine Vermittlungéstelle fur fommunale Darlehen einzurihten empfohlen. 2) Hierbei ist zu beachten, daß für kurzfristige Darlehen eine Ce der großen deutshzn Städteverwaltungen besteht. Es wird daber zu erwägen fein, die Vermittlungéstelle für langfristige Kommunaldarlehben an diefe an- zuschliéßen. 3) Als Aufgabe der Vermittlungsstelle kommt weiter in Betracht, {on zur Erzielung eines besseren Mazktes, auf einen möglichst ‘einheitlichen Anleibetyp der Städteanleihen in bezug auf Verzinsung, Rückzahlung bezw. Tilgung und sonstige NRükzahlungs- bedingungen hinzuweisen. 4) Für geringere Kreditbedürfnisse und da wo die Ausgabe eigener Kreditbriefe der Stadt niht gewünscht wird, ist eine Geshäftsverbindung mit Bankinstituten oder anderen Anstalten, die kommunale Kreditbriefe ausgeben, möglichst in provinzieller Glie- derung einzuleiten und zu pflegen. 5)- Ferner ist ständige Fühlung mit den deutschen städtishen Sparkassen zu unterhalten, und die An- legung von Spa: kassengeldern in teutshen Stätteanleihen und folchen kommunalen Kreditbriefen, die zur Deckung von städtischen Anleihen ausgegeben werden, zu fordern. 6) Die Vermittlung soll provisions- fiet und nur gegen Erstattung der unmittelbaren Aufwände erfolgen. 7) Din Mitgliedern des Deutshen Städtetages is dringend zu empfehlen, außerordentliche Bedürfnisse mehr, als bisher geschehen, durch Fondsbildung zu decken und tadurch das Anschwellen der Een Anleihen zu vermeiden und den Wohlstand der Städte zu

eben.“

Sn der am 12. September abgebaltenen zweiten Sigzung bildete den ersten Gegenstand der Erörterungen die Stellungnahme zur Frage der Arbeitslosenversiherung. Es referierten hierüber die Oberbürgermeister Wall raf-Cöln und Dr. Adidckes- Frank- furt a. M., die der Versammlung folgende Leitsäße unterbreiteten: „1) Von starker mens{hliher Teilnahme für die Nöte der unver- \huldet Arbeitslosen erfüllt, find viele Stadtverwaltungen seit ge- ravmer Zeit bemüht gewesen, Hilfe zu bringen, aber die Erfolge waren nur bescheiden. Das Verlangen noch einer umfassenden Arbeite losenversiherung maht sih daber immer wieder geltend, und die Stadtverwaltungen haben umsomehr Anlaß zum Stuoium diescr Fragen, als neuerdings die bayerische und die badische Staatsregierung versucht haben, den Städten in erster Linie die Verantwortung für die Organisation der Arbeitslosenversiherung zuzuweisen. 2) Den ihersten Auégangspunkt der Untersuhungea bildet die aus Anregung des Reichttags vom Kaiserlihen Statistishen Amt, Abteilung für Arbeiterstatistik (Regierungsrat Dc. Leo) heraus- gegebene große Denkschrift über die Versidhcrung gegen die Folgen der Arbeitslofigkeit im Ausland und in Deuts{lzand (1906). Und zwar ist es vor allem wictig, die Ausfübrungen dieser Denkschrift über Umfang und Ursaten der Arbeitslosigkeit, gegen welche die Versicherung geplant ist, d. b. der Arbeitslosigkeit eines abeits- willigen und arbeitefähiyen Arbeiters, der eine angemessene Be- schäftigung nicht finden kann, \charf und bestimmi zu erfassen. 3) Soweit bisherigen Erfahrungen und Ercmittlungen reihen, sind Gründe und Ümfang der Arbeitslosigkeit und au das Versicherungébedürfnis in den einzelnen Gewerben äußerst ver- schieden. Ein großer Unterschied ist vor allem dadur gegeben, daß in den Wettersaisongewerben, namentlich in Landwirtschaît, Binnen- \{ifffahrt und Baugewerbe mit Hilfégewerben, alljährlih an einer nach dem Jahresdurhschnitt in weitem Umfang feststellbaren Zabl von Tagen die Arbeit im Gew-rbe aus klimatishen Gründen mit Sicherheit auégeschlossen ist, während im übrigen die Arbeitslosig- fat durch Geschäftsstofungen, Aenderungen im Gewerbe- betrieb, Ueberfüllung des Berufes und andere ungewisse Uw- stände verursacht wird. Ganz besonders geartet ist außerdem die Arbeitslosigkeit dec sogenannten Gelegenheitsarbeiter. Das Ver- sicherungsbedürfnis ist überdies in den einzelnen Berufen auch des- halb tehr verschieden, weil die Möglichkeit von Nebcrnerwerb und Nebenbeschäftigung in der arbeitélosen Zeit außerordentlich ver- \chieden ist. Eine sorgfältige Unterscheidung und eine ge!onderte, den cigentümlicen Verhältrissen der einzelnen Arbeiterkiassen an- gepaßite Behandlung der verschiedenen Fälle vnd die Heraus arbeitung der in den einzelnen Fällen ratsjamen und verwendbaren Versicherungseinrihtungen ist umsomehr geboten, als eine allge- meine Arbeitélosenversiherung zurzeit {on deshalb au®gesch!ofjen erscheint, weil ihre Voraussetzung ein allgemeiner Arbeitsnahweis niht vorhanden ist und voraussichtlich auch in naher Zeit niht vorhanden sein wird. 4) Die Grundfrage jeder Organisation für Acbeitslofenver- sicherung ist die Frage: ob uyd in welhem Umfang cin staatlicher Zwang angewandt werden soll. Für ihre Beantwort„ng ist der Umstand, daß im Deutschen Reih die Gewöhnung an Zwang au! diesem Gebiet weiter verbreitet ist als in den metflen anderen Wndern, deren Arbeiterversiherung auf Freiwilligkeit beruht, bei Bezugnahme auf Maßnahmen des Auslandes sorgsam zu beachten. äFedenfals sind bei uns hervorragende Kenner der Unsicht, daß turchgreifende Erfolge nur bei Zwang crreihbar sind, und auc) wir müssen na unseren Erfahrungen bestätigen, daß die b sherigen Versuche freiwilliger Versicherung (sogen. Genter und Cölner Syjtem) gerade da, wo nach ziemli allgemeiner Auffassung am dringendsten Hilfe nottut, bei den Bauarbeitern und den un- gelernten Gelegenbeitäarbeitern, nur ganz unzureihende Hilfe gebradt haben. Diese Erfahrung igt ¡ugleih, daß die Frage des Zwanges keineswegs ecinbeitlid behandelt werden kann, daß vielmehr für die einzelnen Arbeiterfklassen eine Untersuchung unerläßlich ist, ob für fie mit Rücksicht auf die Stärke des Versicherungsbedürfnißes ein Ver- siherungszwang - irgendwelher Art im allgemeinen Interesse nötig und möglich ist, wobei auch der für einzelne Gewerte mancherlei Vorteile bietende Sparzwang mitzuberücksihtigen sein würde. 2 Gine fernere wichtige Frage. betrifft die Aufbringung der

eiträge durch tie zunähst Beteiligten, d. h. die Arbeiter und die

4rbeiter

Arbeitgeber, und kann gleichfalls nur für- die einzelnen Gewerbe erfolgreich untersuht und beantwortet werden. Die Lage und Leistungs- fähigkeit des Gewerbes, seine Konkurrenzfähigkeit gezenüber den Ge- iben des Auslandes, die Gründe der Arbeitslosigfeit im Gewerbe (klimatiscbe und andere) spielen hierbei eine entscheidende Rolle, ebenso die Höhe ter Löbne, die für viele Gewerbe icht dur Tarifsverträge ein- heitlich geregelt sind. 6) Noch shwieriger liegt die prinzipiell wie praktis außerordentlih wihtige und troßdem oft leichtbin behandelte Frage der Zuschüsse aus öffentlichen Kassen, welche gleichfalls ohne Rücksicht auf die Verhältnisse in den einzelnen Gewerben nit zutreffend beantwortet werden kann. Es ist z. B. kein Grund ersichtlich, warum eine öffentlibe Beihilfe für Fälle gegeben werden soll, in denen die Arbeitslosigkeit nur aus klimatischen Gründen eintritt. 7) Ferner kann die Vorausfeßung jeder Arbeitslosenversicherung: nämlich ein gut geordneter Arbettsnahweis für die beruflih ge- shulten Arbeiter nur für die einzelnen Gewerbe geregelt werden. 8) Wenn hiernach sowohl die Gründe der Arbeits!osigkeit als au das Versicherungëbedürfnis in den einzelnen Gewerben sehr ver- sh'eden find und auch die grundlegenden Fragen des Zwonges, der Verteilung der Beiträge, der öffentlichen Zuschüsse und des Arbeitsnahwei}!es nur nach den Bedürfnissen der einzeln-en Ge- werbe beantwortet werden können, so ist die weitere Förderung einer rationellen Arbeitslosenversiberung nur durch Untersuchung der Nerhältnisse in den einzelnen Gewerben zu erzielen. Diese kann aber niht von den Stadtverwaltungen alloin 181 in Städten mit über 25 000 Einwohnern —, sondern nur eirheitl:ch von der Reichs- regierung oder den Landesregterurgen durchgeführt werden Die Neberweisung der weiteren Bearbeitung der Fragen der Arbeits- losenversiherung an die Gemeindeverwaltungen ist daher nur eine Verlegenheit3auskunft, um die eigentli verantwortlihen Stellen ani Regierungen wie Parlamente von der VerantwortliGkeit zu befreien. Die Gemeindeverwaltungen, auch - diejenigen, welche aus freiem Entschluß bisher Versicherungseinrihtungen irgendwelcer Art

, für Arbeitslose geschaffen haben, sowie alle wahren Freunde rationeller * mnd wirksamer Versicherung

sollten gegen diese versuchte Ver- \{hicbung der Verantwortlichkeiten Verwahrung U von den Regierungen fordern, daß von ihnen unverzüglih die er- forderlihea Untersuhungen eingeleitet werden, um das Ver- siherung8bedürfnis wie die Mittel zu seinèr Befriedigung für die einzelnen Gewerbe und Arbeiterklassen zu ermitteln und fest- ¡ustelen. Soweit die Stadtverwaltungen hierbei, insbesondere bei Untersuhung der Verhältnisse der Gelegenheitsarbeiter, bilfreiche Hand leisten können, werden sie gern dazu bereit sein. Daß diese Üntersuchung die. Verhältnisse der Bauarbeiter in erster Linie ins Auge za fassen hâtte, ergibt \sich aus den Ausführungen unter Nummer 4. Bei diesen UntersuGungen wird auch zu prüfen fein, ob zur Beschaffung \{neller Hilfe unter besonderen örtlihen Ver- hältnissen vor einer Erledigung der übrigen Fragen zunächst für einzelne Kommunalverbände reihs- und landes8geseßglih eire obliga- torishe Arbeitslosenverfichecung für Bauarbeiter einzuführen wäre." Nach längerer Diskussion nahm der Städtetag gegen fünf Stimmen diese Leitsätze an.

Alsdann referierie Rehtsrat Dr. Merkt-München über die Frage einer Neueinteilung der Reichstaagswahlkreise und efürwortete Been Beschluß: „Der Deutsche Städtetag spricht sein Bedauern darüber. aus, daß die jegigen Bestimmungen über das Wahlrecht im Reichstag für die an Eirwobnerzahl stark ge- wachsenen Wahlkreise, insbesondere \solche mit s\tädtisher Be- völkerung eine durchaus ungenügende Vertretung mit ih bringen, und erklärt, daß dieser Zustand dringend der Abänderung bedarf. Demgemäß ersucht der Städtetag die Neich8regierung um Abhilfe.“ Der Referent empfabl noch, mit einer gleihlantenden Vorstellung sich auh -an den Reichêtag zu wenden. Sein Antrag wurde eige stimmig genommen.

Der Ybg. Cassel-Berlin hatte noch den Antrag gestellt, der Vorstand des Deut|hen Städtetages möge die zuständigen Neichs- und Staatsbehörden um Ergreifung von Maßnahmen gegen die drohende Nahrungsmittelverteuerung ersuchen. "Als Vorsigender des Vorstands teilte hierzu der Oberbürge' meister Kirschner -Berlin mit, daß der Vorstand fich dauernd mit dieser wichtigen Frage befasse, und bat, von einer Erörterung ab- ¡usehen, da die Versammlung nur noch s{chwach besuht sei. Varauf wurde die Dringlichkeit des Antrags des Abg. Cassel abgelehnt und die dritte Tagung des Deutschen Städtetages geschlossen.

Zur Arbeiterbewegung.

In Frankfurt a. M. kann, wie die „Köln. Ztg." erfährt, die Verständigung im Spengler- und Installateurgewerbe (vgl. Nr. 212 d. Bl.), die zwishen den Parteien vorbereitet war, nicht in Kraft treten, da die Generalversammlung der Zwangsinnung der Spengler und Installateure die Vorschläge ablehnte.

_ In der Ravensberger Spinnerei sind, wie die „Frkf. Ztg.“ mitteilt, 250 Arbeiterinnen der Feinspinnerci ausständig. Sie fordern die Entlaffung des mißliebigen Obermeisters. 450 Arbeiter der Joellenbecker Filiale der Setdenfabrik C. A. Delius und Söhne (Bielefeld) find wegen Entlassung des Arbeiteraus- husses, der wegen einer Lobnregulierung vorstellig geworden war, edenfalls in den Ausstand getreten.

Aus Vacha (Nhön) wird der „Köln. Ztg.“ gemeldet: Bei den Kaligewerk\chaften Heimboldshausen und Ransbach ist ein Teil der Shachta1beiter in den Ausstand getreten. Die Echachtbaugesellschaft batte den Schitlohn von 5 35 H auf 5,70 ufgebefsert, die Schachtarbeiter verlangten aber 6,50 4, woranf die Schachtbaugesellshaft niht eingegangen ist. Die Felge davon ift der leßîige Ausstand.

Nachdem die Verhandlungen zwischen den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Leipzig Ergebnisse gezeitigt haben, die eine end- gültige Einigung in nahe Auesicht rücken, hat, wie ,W. T. B.“ meldet, das Kartell der |ähsishenMetallindustriellen, um nah Mög- lichkeit weitere Shädigungen der säcbsishen Metallarbeiterschaft zu bermeiden, am 11. September auf Vorschlag des Kartellverbandes Leipzig einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: „Die Aussperrungen in dhemniß und Dresden werden mit dem 13. September Abends aufgeboben, die Aussperrungen sollen jedoch in vollem Umfang am 27. September wieder aufgenommen werden, falls die Ver- handlungen in Leipzig bis zum 23. September Abends nicht zur bollen Einigung geführt haben.“ (Vgl. Nr. 215 d. Bl.)

Im nordostböhmishen Kohblenrevier machen si wieder Ausftandsbewegungen geltend. Am Sonnabend trat, wie der „Köln. Îtg." aus Brüx gemeldet wicd, auf dem staatlichen Schächt «Julius 11“ die Belegschaft wegen Lohnforderungen in den Ausstand, nabm aber am Montag die Arbeit wieder auf. Am Sonntag wird in Kladno die Frage tes allgemeinen Ausstandes beraten werden.

In Bilbao hat sich die Streiklage so verschlimmert, daß gestern, V, T. B.* zufolge, der Belagerungszustand erklärt worden i (vgl. Nr. 215 d. Bl.). Die Lage in den Bergwerken und industriellen Betrieben in der Umgegend von Bilbao ift be- tentlih. Fn sämtlichen Bergwerken und Hütten ist die Arbeit ein- gestellt worden. Auch auf den baskishen Eisenbahnen wurde E der Arbeitseinstellung begonnen. Der Arbeitgeberverband be- loß, ‘in der seit Beginn des Streiks eingenommenen Haltung auch gaiterhin zu verharren. Es kam zu Schlägereien zwischen den Aus- îndigen und Atbeitswilligen. Die Streikenden hielten die Straßen- \hnen an und versuchten auch Eisenbabnen aufzuhalten. Truppen in Stärke von 5000 Mann sind nach Bilbao beordert worden, wo es séftern vormittag zu zahlreihen Zusammenstößen mit den Aus- ändigen kam. 4

In Oviedo haben, wie „W. T. B.“ meldet, die Minen- \ eine Brücke der baskischen Eisenbahn mit ynamit in die Luft gesprengt, um den Kohlentrantport aus ruben, in denen noh weitergearbeitet wird, unmöglih zu machen.

(Weitere „Statistishe Nahhrichten“ \. |. d. Ersten Beilage.)

Wohlfahrtspflege.

Der 3. Internationale Kongreß für STUg ea tdus seßte seine Arbeiten gestern nahmittag in mehreren Sektionsfißungen fort. Es wurden u. a. folgende Themen behandelt: Unterricht und Fortbildung der Hebammen; Belehrung der Bevölkerung tin Säug- ling8vflege und -Ernährung; das Verhältnis des Säuglingsshußzes zur Auslese; - Findelwesen und Erfolge - der Fürsorgemaßnahmen. es vereinigte die Kongreßteilnehmer ein Festmahl im Zoologischen arten.

Fürsorge für deutschbe Seeleute.

Das Arbeit8gebiet der deutschen Seemanns8mission erstreckt _ ih nach einer neuerdings in den „Blättern für Seemannsmission“ erfolgten Veröffentlihung auf 200 Häfen; davon sind 55 Haupt- stationen. In der Arbeit stehen 20 Seemannspastoren und 56 Hauétväter und Diakonen im Hauptamte. In den 31 Seemannsheimen (davon 12 in Deuts{land) wohnten über 13500 Seeleute in rund 95000 Sclafnächten. Der Verkehr in den 49 Seemannslesezimmern (16 in Deuts(land) überschritt die Zahl von 220 000 Besuchern. An den von der Seemanns8mifsion eingerihteten Gotte2diensten und Andachten (darunter war eine ganze Anzahl von Schiff8gottesdiensten in den Häfen des Auslandes) nahmen über 31 000 Seeleute teil, an den Unter- baltung8abenden rund 30000. Die Besucher der Heime empfingen und versandten je etwa 60 000 Postfadben. Durch 10 mit der Seemannêmission in Verbindung stehende gemeinnüßgige Heuer stellen fanden über 5000 Mann eine Stelle. Die Berufsarbeiter machten etwa 11 000 Krankenbesuche in den Hospikälern des In- und Auslandes, dazu über 36 000 Schiffsbesuche. 7000 Seeleute fanden fern von der Heimat zur Weihnachtszeit in den Seemannsheimen einen brennenden Tannen- baum und eine Gabe der Liebe. Die Summe der den Stationen anvertrauten Heuerersparnisse belief sich- im vergangenen Jahre zum erstên Male auf über eine Million Mark. Davon wurden über 400 000 4 in die Heimat übermittelt.

Legen diese einfachen ziffernmäßigen Angaben nicht ein erfreuliches Zeugnis dafür ab, daß unserer Brüder zur See mit aufrichtiger Teil- nahme gedacht wird? Wir Deutsche find jeßt nach und nah dank der unermüdlien Arbeit, die Männer wie Harms in Sunderland, Iungclaussen, früher in Cardiff, jeßt in Kiel, Münhmeyer in Stettin, Schessen in Berlin, Thun in Altona u. a. geleistet haben dahin aekommen, daß ein ganzes Neß von Seemannsheimen und anderen Veranstaltungen in den Hafenpläßen des In- und Auslandes bestebt, die fich der fern vom Elternhause weilenden deutschen Seeleute gastlich annehmen. Noch kann und muß auf diesem Gebiete mehr geschehen, aber wir haben gelernt, wie_ zu arbeiten ist, und gesehen, daß auf solchem Wirken ein reiherzSegen ruht. So wird dann hoffentlich avch weiterhin in allen Teilen des Vaterlandes, aus denen Kinder zur See gehen, das Liebe8werk der deutschen, Seemannsmission (Anfragen hierüber empfehlen wir an Pastor W. Thun in Altona, Adolfstraße 145, zu richten) kräftige und bereitwillige Unterstüßung finden! Es bandelt fich bei ihm um eine Sache, die aus vielen Sn niht zum wenigsten nationalen Gründen, der Förderung wert 1.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs®- maßregeln.

Das Kaiserlihe Gesundheitsamt meldet ten Ausbruch und das Erlöschen der Maul- und Klauenseuche vom S(hlachthof zu Nürnberg am 11. September 1911.

Griechenland.

Nach Mitteilungen des griechischen Ministeriums des Aeußern ift auf Grund der . Vorschriften zur Verhütung der Cholera- einschleppung angeordnet worden:

1) durch Königliches Dekret vom 1. d. M. eine Quarantäne von a. 4 Tagen die Fahrtdauer nicht eingerehnet für die Herkünfte aus Livorno, b. 5 Tagen desgl. aus Santi Quaranta, c. 5 Tagen desgl. aus Valona, d. 4 Tagen desgl. aus Novorisfisk, Rostow, Nifkolajew, e. 2 Tagen desgl. aus Epirus und Albarten von Durazzo bis Prevesa, diese Städte einbegriffen.

2) durch Königliches Dekret vom 4. d. M. eine Quarantäne von 2 Tagen, ohne Anrechnung der Fahrtdauer, für die Herkünfte aus Kreta. Cs „R.-Anz.“ vom 21. und 31. v. M. Nr. 196 und 209.

Schweden.

Nach einer Bekanntmachung des Königlich \{wedishen Kommerz- follegiums vom 6. d. M. sind die Städte Genua und Livorno in Italien als choleraverseucht erklärt worden.

Kon stantinopel, 12. September. (W. T. B.) Heute sind hier 18 Erkrankungen und 16 Todesfälle an Cholera vorgekommen. Entgegen übertriebenen Gerüchten über Ausbreitung der Cholera unter den Truppen auf der Quarantänestation Selvilurru bei Beikos stellt das Kriegsministerium fest, daß unter den aus Albanien zurück- gekehrten Truppen auf dem Transport und auf der Quarantänestation insgesamt 203 Erkrankungen an Cholera vorgekommen sind, von denen 96 tödlich verlaufen sind.

NVesfküb, 13. September. (W. T. B.) Die Cholera greift auf bisher vershonte Stadtviertel über. Die Bevölkerung zeigt Widerstand gegen die ärztlihen Vorschriften und verheimliht die Erkrankungen.

Verkehrswesen.

Das Postamt des Reichstags wird während der Tagung des Vereins deutscher Straßenbahn- und Kleinbahnverwaltungen am 19., 90. und 22. d. M. mit den Schalterdienststunden 9°—3° in Betrieb gehalten werden.

Der argentinisde Senat hat, ,„W. T. B.* zufolge, das Berliner internationale Abkommen über den funken- telegraphischen Verkehr vom Jahre 1906 ratifiziert.

Theater und Musik.

Neues Theater.

An die Aufführung der Posse „Die Frau Gretl*“ durch Hansi Niese und ihr“ Wiener Ensemble {loß sih gestern ein paro- distishes Manegedrama: „König ODedipus" an. Es sollte cine Verspottung der Neinhardtshen Zirkusspiele fein, und manches war ja au ganz komisch, so die lange Einleitung der Stimmung dunch Gong, Trompeten- und Hupensignal ferner die Szenerie: der von zwei Litfaßsäulen flankierte Palast, und vieles in der Darstellung. Das Ganze wirkte aber doch zu sehr improvisiert, um eigentlich eine Aufführung zu redtfertizen, obgleih Hansi Niese als Oedipus, Josefine Joseffy als Jokaste, Franz Rambarter als Teiresias, Louis Holzer als Kreon, Alexander Hohler als Hirte u. a. viel Talent und Laune ‘an ihre Aufgaben wandten.

Im Königlihen Opernhause findet morgen, Donnerstag,

die 550. Aufführung der „Zauberflöte“ statt; ste geht als Fest-

vorstellung in der E tuns auf Allerhöchsten Befehl zu 0

Ghren des 111. Internattonalen Kongresses für Säug- lings \chuy in der Beseßung der Hauptrollen durch die Damen

Hempel, Dux, Dietriß sowie die Herren Knüpfer, Jadlowker, Vabih, Henke, Bachmann u. a. unter der musikalishen Leitung des Kapellwctsters von Strauß in Szene. Zum ersten Male wurde die „Zauberflöte“ (ein Singspiel in zwey Aufzügen von Emanuel Schikaneder, in Musik geseßt von Herrn Kapellmeister Mozart) im Königlichen Nationaltheater am 12. Mai 1794 aufgeführt, am 13., 15., 17. usw. bis in die Mitte Juni hinein ieden 2. Abend wiederholt. An den dazwischen liegenden Tagen fanden Schauspielvorstellungen statt. Den Sarastro sang Herr Lippert. die Köntgin der Naht Madame Lippert, den Tamino Herr Ambro\ch(h, die Pamina Madame Müller, den Papageno Herr Unze! mann, ein oltes Weib (Papagena) Madame Baranius, den Monostatos Herr Mattausc%, den Sprecher Herr Greibe. Für Sonnabend ist eine Aufführung von Puccinis „Bohème® angeseßt, in der verschiedene Hauptrollen neubeseßt find. Als Partner von Fräulcin Hempel tre wird Herr Fadlowker erstmalig hier den Nudolf, ferner Frau Andrejewa-Skilondz erstmalig die Musette, Herr Bronsgeest den Marcell, Herr Habih den Schaunard fingen. Collin, Bernard, Alcindor find, wie vordem, durch die Herren Bachmann, Krasa und Daha vertreten. Die musikalische Leitung hat der Kapellmeister Dr. Bes[.

Im Königlichen Schauspielhause wird morgen, Donnerstag, E. von Wildenbruhs vaterländis{es Drama „Die Quitzows“ wieder- holt. „Penthesilea* von Heinrih von Kleist wird am nächsten Sonnabend, den 16. September, zum ersten Male aufgeführt.

Im Neuen Königlichen Operntheater findet am nächsten Sonntag eine A von „Mignon“ statt. Fräulein Artôt-de Padilla, welche bisher beurlaubt war, wird die Mignon, Frau Andreiewa-Skilondz die Philine, Herr Kirhhoff den Wilhelm Meister, Herr Bahmann den Lothario fingen. Im übrigen lautet die Beseßung: Laërtes: Herr Habih; Friedrich: Herr Vallentin; Jarno: Herr Krasa.

Herbert EGulenbergs Drama „Alles um Geld“, das im Lessing - theater am Mittwoch, den 20. d. M. zum ersten Male gegeben wird, ist durch den Ehrenpreis der rhbeinishen Frauen autgezeihnet worden. Das Stück wird durch Emil Lessing in Szene gefeßt.

Als nächste Neuheit wird im Lustspielhause der dreiaktige Schwank von Arthur Landsberger „Der Großfürst“ aufgeführt werden. Die Proben find bereits in vollem Gange, fodaß die R vorausésichtlich noch im Monat September stattfinden ürfte.

Mannigfaltiges.

Berlin, 183. September 1911.

Der unter dem Protektorat Seiner Majestät des Kaisers und Königs stehende Verein zur Besserung. der Strafgefangenen in Berlin hielt gestern, Montag, wieder seine erste Sißung nah den Sommerferien ab. In Vertretung des noch auf Urlaub befindliehen Präsidenten Generalstaateanwalts Supper führte der Erste Staats- anwalt Klein den Vorsitz, der zunäÏ#st über eine Anzahl von Eingängen berihtete. Das Gesuch einer Firma, Filmsserien über die Tätigkeit des Vereins anfertigen zu dürfen, wurde, als nicht mit der Würde und der Ueberlieferung des Vereins in Einklang stehend, einstimmig abgelehnt. Nah dem sodann von Herrn Neckes er- statteten Bericht hatten \sich während der leßten drei Monate 2102 Perfonen im Arbeitsbureau des Vereins um Fürsorge gemeldet, 1617 mit der Bitte um Beschäftigung; 1354 Personen konnte solche nachgewiesen werden. Seit Anfang des Jahres belaufen fich diese Zahlen auf 4884 bezw. 3342 bezw. 2703. Der Fürforgeaufsicht untersfeben zurzeit 162 Poslizetobservate und 99 bedingt Ver- urteilte. 644 Personen haben sich seit 1. Januar an den Verein mit der Bitte um Befürwoctung, betreffend Zurück- nahme ihres Ausweisungsbefehles, gewandt. In den meisten Fällen wurde dann auch die Zurücknahme befürwortet. Jugendlihe wurden dem Verein in den leßten drei Monaten 80 überroiesen. Herr Neckes bemerkte, daß den Anträgen der Arbeitgeber niht in vollem Umfange genügt werden konnte. Gleichzeitig erwähnte er einen Mißstand, gegen den der Verein und selbst die Polizeibehörde machtlos ift : das Wegfangen der Arbettskräfte durch gewerbsmäßige Stellenvermittler. Diese Leute finden sich frühzeitig vor dem Arbeitsnahweisebureau ein und locken das beste Material an sich. Mit vielem und lebhaften Interesse wurde der Bericht des Strafanstaltslehrers Neve entgegengenommen, der auch in diesem Jahre wieder im Auftrage des Vereins eine Besichtigungs- reise unternommen hatte. Sie erstreckte sih auf 51 Ortschaften und 134 Arbeitgeber, bei denen er noch 129 Vereinsshüßlinge in Arbeit vorfand. Die Reise umfaßte die Ost- und Welst- vrignig, Mecklenburg - Schwerin und -Streliz, Nieder- und Oberbarnim fowie das Oderbruch. Manchen der Arbeit- geber imponierte es, daß um geringe Hofgänger fo weite Reisen ge- macht wurden, um diesen Leuten zu threm Nechte zu verhelfen. Im Oderbruch wurde darüber geklagt, daß die einheimischen Arbeiter nicht mehr dienen wollen; sie gehen als Bahnarbeiter, um später Beamte zu wérden. Die rüstigen Frauen gehen im Winter Gänse schlachten, dabei verdienen fie É viel, daß fie im Sommer überhaupt nichts tun. Die Führung der Vereins{hüßzlinge wird allgemein gelobt ; Vergehen, wie Diebstahl, kommen gar nicht vor, obwohl doch so viel Gelegen- heit fich bietet.

Das Berliner Brockenhaus (Reinickendorfer Straße 82) hat in seiner Ende August abgehaltenen Generalversammlung durch einen ausführlichen Geschäftsberiht seine segensreihe Mitarbeit auf dem Gebiet der sozialen Woblfahrtspflege erneut nachgewiesen. Die im leßten Jahre gewährten Barunterstüßungen an Arme betrugen, mit den gezahlten Arbeitslöhnen, die ebenfalls Unterstüßungen bilden, 18 372,60 4. Der Verein, der keine Filialen unterhält, bittet, thm alte, auch zerbrohene Möbel, jede Art gebrauchter Kleidungsstücke, abgetragene Schuhe, Hüte, Schirme, Strümpfe, alle Arten Bücher, Papier, Kinderspielzeus, Flashzn, Porzellan, Militäreffekten, kurz alles, was im Hause unnüß uwmherliegt, au fernerhin zu überweisen. Die «Sachen werden auf Bestellung kostenlos abgehoïit.

Düsseldorf, 12. September. (W. T. B.) Das Luft\chiff „Schwaben“ kam um 1 Uhr 10 Minuten in Sicht, machte über der Stadt eine Schleifenfahrt und landete um 1 Uhr 45 Minuten glatt vor der Halle.

Düsseldorf, 13. September. (W. T. B.) Vor der Station Erkrath blieben gestern früh die hinteren Wagen eines von Elberfeld kommenden Güterzuges infolge zu starken Bremsens auf abshüssiger Strecke stehen, lösten \ich dann von dem vorderen Teile des Zuges, der weiter fuhr, los, seßten sich nach rückwärts in Be- wegung und fuhren auf einen am Bahnhof Erkrath stehenden Cifen- bahnwagen auf. Acht Wagen wurden bei dem Zusammenstoß zertrümmert; ein Bremser erlitt {were Verlezungen: Die geen Beamten vermochten sich durch Abspringen in Sicherheit zu ringen.

Würzburg, 12. September. (W. T. B.) Der heute vormittag hier eröffnete 20. Deutshe Anwaltstag, dessen Beratungen aud der bayerische Justizminister von Miltner beiwohnt, hat mit 619 gegen 244 Stimmen den Antrag auf Einführung des nu merus clausus in der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft abgelehnt.

Pirna, 12. September. (W. T. B.) Ueber das Unglüdck, das heute früh eine verstärkte Patrouille des Oschayzer Ulanen- regiments (vgl. Nr. 215 d. Bl.) betroffen hat, wird ausführlicher gemeldet: Das Unglück ereignete sh im Laufe der Manöverübungen der 23. Division. Heute vormittag sammelte sich die 46. Infanterie-

brigade, zu der auch das 17. Ulanenregiment gehört, südli von Pirna. Kurz vor 8 Ubr wurde eine Patroutlle, bestehend aus zwei Unter-