1892 / 59 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 08 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

amts, ihres Berufs, begeben, ift durchaus zu billigen, da wir befanntlih in keinem Orte des preußischen Staats nur eine Partei, eine Richtung baben, sondern überall die verschiedensten politischen und kirchlichen Parteien neben einander gehen, liegt für den Lehrer eine ganz eminente Gefahr darin, si in dieses politishe Parteigetriebe hineinzubegeben ; denn er wird immer der Gegner eines Theils und wahrscheinlich des größten Theils der Eltern von den Kindern werden, die ihm zur Erziehung übergeben sind. (Schr wabr! rechts.) Davor die Lehrershaft zu bewahren, und im allgemeinen dieser Nichtung entgegen zu wirken, das, meine id, ist durchaus die Aufgabe der Anfsichtsinstanz selbst: ich bin fogar überzeugt, daß der Herr Abg. Nickert in der Tendenz durchaus mit mir einverstanden ist und nur fagt: das muß in Formen geschehen, die nit die verfassungsmäßige persönlihe Freiheit des Lehrers beschränken. (Zustimmung des Abg. Rickert.) Ganz einverstanden! Fc darf wobl annehmen, daß dadur auch Frage 2 erledigt ist.

Nun fomme ih zu Frankfurt a. d. Oder. Meine Herren, da ist cs nöthig, Ibnen den Wortlaut der Circularverfügung (Zuruf des Abg. Riert) wollen Sie's nicht hôren? (Abg. Rickert: Ja wohl! Widerspruch von verschiedenen Seiten.) Meine Herren, dann erlassen Sie mir vielleicht, die Verfügung vorzulesen. Der Herr Abg. Rickert wird mir zugeben: der Wortlaut is ganz barmlos; es ift lediglih der Erguß eines guten, patriarhalischen Herzens, welches seine Lebrer vor Unbeguemlichkeiten bewahren will. Ich„sage ja: i halte dies niht für zweckmäßig: ih würde gemeint haben, es wäre besser, man giebt dies auf andere Weise zu erkennen, (Abg. NRiert : Sehr rictig!) fagt vielleiht dem eineg,. der ein Heißsporn ist: hüte di, daß du nit über den Nabmen hinausgebst : du könntest dir Ungelegenbeiten machen! Also wir sind wobl auch bier einig: ih darf au wobl Frage 3 für erledigt halten. (Große Heiterkeit.) Es ist ja gar kein Zweifel: die Tendenz billige id, die billigen wir zusammen —: die Form darin bin ih mit dem Herrn Abgeordneten gleihfall einverstanden war nicht zutreffend: das habe ich auch der Regierung zu erkennen gegeben.

Nun kommen wir zu dem Punkt, der Pofen betrifft. Als der Herr Abg. Rickert in der Commission dieses Hauses für das Volks- s{ulgeses mir Mittheilung von dem Fall in Posen machte, batte ih von demselben keine Kenntniß, aber erforderte Aufklärung. Inzwischen“ war jenes Telegramm in die Zeitungen ge- fommen. Das Telegramm in den Zeitungen is nicht correct. Es ist zwar feine Circularverfügung ergangen; aber es ist durch Organe der Aufsichtêinstanz in einem concreten Falle Lehrern ein Hinweis darauf gemacht worden, wie mir mitgetheilt ist, daß sie fich eben nicht nur ihrer völlig uneingeshränkten persönlichen Rechte nah der Verfassung, sondern auch ihrer Beamtenqualität bewußt sein müßten. Der Hinweis foll durch den Kreis-Schulinspector Schwalbe der Herr Abgeordnete hat ihn selbst genannt geschehen en. U Dan 0. n „faden finde ih feinen geseßzwidrigen Eingriff in die Rechte der Lehrerwelt. Denn das muß doch einem vorgeseßten Beamten möglich sein, über folhe Sachen mit den Herren zu sprechen ; seine Meinung, die Mei- nung des vorgefeßten Beamten ist doch ebensoviel werth wie die des andern, des Lehrers. Also dem Vorgeseßten daraus einen Vorwurf zu maten, daß er seine Meinung dem Lehrer mittheilt, und daß er daran erinnert, daß, wenn jener sfi an einer folhen Versammlung oder Agitation wie man es nennen will betheiligt, er es mit gewissen Nücksichten zu thun babe, die in seiner Beamtengualität be- gründet find, ist ungerechtfertigt. Jch halte die Admonition für ganz vernünftig und natürli; nur wenn in der Admonition eine Beschrän- fung der Rechte oder ein Verbot oder etwas Aehnliches läge, würde das unzulässig sein. Meine Herren, wollten Sie weiter gehen, so würden Sie einen Zuftand herbeiführen, der mit einer? geordneten Staatéverwal- tung sich gar nicht mehr verträgt (sehr gut!), den auch fein Privat- mann im Kreise seiner Thätigkeit dulden könnte. Schließlich, weil Lebrer Beamte sind, müssen sie au wie Beamte bebandelt werden : aber einen Lehrer anders zu behandeln, wie Regierungébeamte, einen Landrath oder andere Beamte ih sehe nicht ein, weshalb das nöthig sein sollte.

Ich komme nun auf den Fall der Lesebücer. Herren, das ist doch wirklich eine wunderbare Sahe. In irgend einer Zeitung ich weiß niht, wo es gewesen ist wird eine Behauptung aufgestellt, obne jedes Fundament, ohne den Schatten einer Berechtigung. (Abg. Nickert : Ich bitte ums Wort!) (Heiterkeit.) Nun gebt sofort dur dic Preffe, dur die öffentlide Discussion, ja wie Sie sehen, sogar durh dies hohe Haus die Behauptung, der Cultuë-Minister will das Lesebuch wie heißt es doch? (Zuruf) verstaatlichen. Nun, ih kann die Frage ganz einfa damit beant- worten: ein felder Unsinn ist mir noch niemals in den Sinn ge- fommen. (Heiterkeit.) Aber, meine Herren, ih gehe noch weiter: auch meine Vorgänger, auh meine verehrten Herren Mitarbeiter haben niemals einen Gedanken gebegt, der das zum Ausdruck bringen könnte.

Meine Herren, die Lesebuchfrage hat aber cine andere, eine sebr ernste Seite. Es ist cin unverkennbares und ich bin der Legte, der das nicht ausfsprechen will ein unverkennbares Verdienst des Ministers Falk, daß er sich der Ordnung dieses Gebietes unter der wirklich unglaublich Hhingebenden Mitwirkung hier meines noch jeßigen verehrten Mitarbeiters, des Geheimen Ober-Regierungs- Raths Schneider, angenommen hat. Der Minister Falk ist derjenige gewesen, der die Sache in Angriff genommen hat. Im Jahre 1874 waren im preußischen Staat, ganz abgeschen von den für religiöse Zwecke dienenden Büchern, niht weniger als 167 Lesebücher im Ge- brau, zum Theil ganz abstruse Dinger. Es berrsdte in Bezug auf die Herstellung, in Bezug auf die Verwendung, die Einführung, An- schaffung die größte Willkür. Es ist unzweifelhaft nahzuweisen, daß ein großer Theil dieser Lesebücher gar feinen anderen Zweck hatte, als für eine verbältnißmäßig beschränkte Zahl von Leuten oder Interessen Geld herauszuschlagen. (Hört! hört! rets.) Es war also ein Zustand, der gar nit zulässig war, der aber außer- dem auch nah anderer Richtung hin sehr bedenklich war. Einzelne Abschnitte enthielten eine so scharfe Polemik nicht gegen staatliche, sondern gegen confessionelle Verhältnisse, daß daraus wirklich eine Gefährdung des confefsionellen Friedens besorgt werden konnte. Der Minister Falk hat eingegriffen; es ist dadur eine große Zahl dieser shlechten Bücher aus der Welt geshaft worden, und es ift nun nur noch eine größere oder geringere Zahl ich weiß im Augenblick nit, wieviel cs sind, im Gebrauch. Aber cine irgendwie die Pro- duction dieser Bücher beschränkende Thätigkeit des Unterrichts- Ministeriums lat niemals stattgefunden und wird, wenigstens unter

Ja, meine

s

meiner Verwaltung, auch in Zukunft nicht stattfinden. Die Gefahr also, daß ich, dieser confessionelle Extravagant, ein Lesebuch einführen fönnte, weldes von einem Nachfolger von mir, der nah Ihrer Ansicht rihtigere Auffassungen vertritt, wieder abgeschafft werden könnte, besteht niht. Und es ift auch ganz merkwürdig: wir alle nah Falk haben in feinem Falle die Falfk’schen Bücher abgeschafft, wir haben immer anerkannt, daß sie gut sind, daß sie nur einer Fortentwickelung bedürfen. Der freien Thätigkeit auf diesem Gebiet aber wollen wir in feiner Weise einen Hemmschuh an- legen. Dagegen müssen wir gewisse Rücksihtnahmen verlangen, ein- mal selbstverständlih darauf, daß in den Büchern nichts enthalten ift, was gegen die guten Sitten verstößt oder friedlih-s{iedlihe Verhältnisse im Staate gefährdet: ferner aber auch darauf, daß man nun nit, selbst wenn kleine Verbesserungen an einem Buche gemacht werden, sofort dem Lehrer gestattct, dieses Buch in der Schule einzuführen: denn diese Gestattung heißt mit anderen Worten, daß die Eltern dieser Kinder fofort ein neues Buch anschaffen müssen, und das ift immer eine Wohlthat auf anderer Leute Kosten. (Bravo! rechts.) Ich bin verpflichtet, darüber zu wachen, daß dies nicht geschieht.

Ich komme nun auf den Specialfall, den der Herr Abgeordnete angeführt hat: das Lesebuch von Ernst. Meine Herren, in der Unter- rihtsverwaltung wird anerkannt, daß dieses Buch gut ist: es ist auch genehmigt für die Mädchenschule in Scbneidemühl und für sämmtliche Mittelschulen. Also, wenn der Herr Abgeordnete von einem allgemeinen Verbot dieses Buches gesprochen hat, so war er {lecht berihtet. Es ist vorläufig nur niht zur ganz freien Einführung in alle Volks- \{ulen genehmigt, und zwar aus dem einfahzen Grunde, weil das Buch eine ausgesprochene Tendenz für Mädchenschulen hat, weil seine wesentlichen Vorzüge und seine Brauchbarkeit auf diesem Gebiete licgen. Nun, meine Herren, müssen Sie berüsictigen: dreiviertel unferer sämmtlihen Schulkinder, die in der Volksschule unterrichtet werden, werden in gemischten Klassen unterrihtet. Da ift also dieses Buch nicht verwendbar. Die Unterrichtsverwaltung fann also für solche Klassen die Einführung des Buchs, ohne vorherige Umarbeitung desselben, nicht genehmigen. Sonst würde die Folge eintreten, daß Kinder beim Wechsel der Schule sich wieder ein neues Lesebuch anschaffen müßten. Da wir vorzugsweise Lesebücher für ge- mischte Klassen haben, würde etwa die Beifügung eines Anhangs über den von mir im hohen Grade gewünschten Haushaltungsunterriht an diese Bücher nah meiner Ansicht ein rihtigerer Weg sein, als wenn man ein Buch, welches fich {on ein bishen an höhere Verhältnisse anlehni, für unsere sämmtlihen Volksschulen nur deshalb ein- führen wollte, weil cs den Vorzug hat, einen Abschnitt über Haushaltungêunterriht zu besißen. Ich glaube also, wenn die Verfasser dieses Buches sih etwas gedulden wollten, zumal sie seben, daß das Buch auch in den Mittelshulen Eingang findet, so würde fich später über seine weitere Einführung in zunächst nur be- grenzten Bezirken reden lassen. Daß das Buch wegen seines Inhalts beanstandet worden sei, ift niht zutreffend.

Dann hat der Herr Abgeordnete unter großer Heiterkeit, an der ih mich auch mit Freuden betheiligt habe, gewisse Leistungen von Lesebüchern und Correcturen von Liedern als eine Folge des jeßigen

(Widerspruh.) Jch habe die Lieder doch nicht abgeändert. (Heiterkeit.) Ich stimme mit dem Herrn Abgeordneten vollständig darin überein : es is der reine Blödsinn (große Heiterkeit, sehr gut !), aber ich weiß wirkflißh nicht, warum wir uns bier über derartige Dinge unterhalten sollen. (Sehr richtig! rets.)

Meine Herren, es giebt ja so viele Parodien îin der Welt, da fönnten wir noch viel sagen. Sie können doch wirklichß der Unter- rihtsverwaltung nit zutrauen, daß sie folhe Dinge macht. Dazu bin ih auch nit zu kriegen. (Heiterkeit.)

Ich komme nun zur Frage scchs, und da bin ic allerdings zu meinem Bedauern nicht in der Lage, völlige Auskunft wegen Neudeich bei Danzig zu geben. Die Sache is mir unbekannt, der Herr Ministerial-Director sagt auch, daß sie ihm nicht bekannt wäre. Ich weiß nit, was si dort vollzieht: ih werde sofort Bericht erfordern und später Auskunft geben.

Mit Hörde liegt die Sache anders. Hier war beabsichtigt, an der bestehenden Simultanshule ih bemerke aber, daß diese Simultanschule nur eine Simultanschule ist zwishen Evangelishen und Juden, daß die Katholiken sich seiner Zeit geweigert haben, in die Simultanschule einzutreten, daß aber die Katholiken bezahlt haben für die Simultan- schule und für ihre eigene Schule au. (Hört! Hört!) Also es war beabsichtigt, die 28 oder 30 jüdishen Kinder, welche die Simultan- fchule besuchen, mit dem einen Lehrer in eine gesonderte Klasse an der Simultanschule zu verweisen. Sobald ih davon Kenntniß bekommen habe, habe ih die Sache selbstverständlich inhibirt. (Zuruf.) Ja, es ist deswegen nöthig, Herr Rickert, weil dieser ganze gang ein höchst interessantes Licht auf die Nübßlichkeit der Simultanschuleinrichtungen wirft. Nämlich hier is die Regierung in Arnsberg nicht der s{chwarze Mann, der angefangen hat, sondern die Anregung zu der, auch nah meiner Auffassung völlig unmöglichen Organisation, ist aus Hörde selbst gekommen, und zwar ist die neue Organisation wunderbarerweise motivirt worden aus der Simultan- schule heraus, nämlich damit, daß der Verkehr in dem Lebrer-Colle- gium und in den Klassen, namentlich bei Erörterungen von Fragen, die den Geschichtsunterricht u. s. w. betreffen, durch die Gegenwart des jüdischen Lebrers eine gewisse bedenkliche Beengung fände. Nach meiner Meinung ist die Regierung nicht glücklich gewesen, indem sie auf eine derartige Anregung eingegangen ist. Sie hätte sofort fagen sollen : ihr seid simultan, eine Begründung von einer besonderen Klasse für die 28 jüdishen Kinder, geht nit, das wäre eine Zurücksezung der berechtigten Interessen dieser Kinder und ihrer Eltern. Also sie hâtte das einfah ablehnen müssen; sie ist aber auf die Sache cin- gegangen, hat jedo eine abshkießende Verfügung bisher nicht ge- troffen. Ich habe ihr zu erkennen gegeben, daß nach meiner Ansicht es so bleiben müßte, wie es bisher gewesen wäre, und daß der jüdische Lehrer im Collegium ebenso zur Verwendung fommen müsse, wie er bisher zur Verwendung gekommen sei.

Nun, meine Herren, das zeigt die Sache doch in etwas anderem Bilde, und i kann jeßt meine Ausführungen schließen mit der Hoff- nung, daß auch Herr NRickert anerkennen wird, daß eine Beeinträchtigung der staatsbürgerlichen Rechte weder der Lehrer, noch der Schule zur Zeit beabsichtigt ist, und daß auch, wenn, wie ih hoffe, der Schul- geseßentwurf Geseß wird, eine folche Beeinträchtigung niemals ein- treten wird. (Bravo rechts.)

Abg. von Chelmicki (Pole) spricht sich in demselben Sinne aus wie der Pole Neubauer.

Vor-

Abg. von Strombeck (Centr.) bemängelt, daß über verse, dene Stiftungsfonds in dem Etat keine genügende Auskunft gegeben sei, weder über das Gründungsjahr der Fonds, noch über das Vermögen und die Ausgaben derselben; bei manchen Fonds \{wankten die Einnahmen sehr stark, ohne daß der Grund dafür angegeb

T Jarl Æ n gegeben werde. Redner wünscht eine Aufklärung au darüber, welcher ret. lichen Natur die Fonds seien, ob sie Staatseigenthum fcien oße- nur Staatsnebenfonds. E : s

Ministerial-Director Dr. Kügler: Er habe im vorigen Jahrs den Wunsch ausgesprochen, daß der Vorredner die Sache in der Budgetcommission vorbringen möge, wo man am leichtesten darüber Auskunft geben könne. ie Wünsche des Vorredners würden von der Unterrichtéverwaltung nah Möglichkeit berücksichtigt werden. Auf die Eigenthumsverhältnisse der Fonds könne cer jeßt niht näher cin. s: die Frage werde zum Austrag kommen bei dem Comptahbi- itatsae!eBß. 5 f : ;

_Abg. Johannsen (Däne): Er möchte die Regierung um Ays, kunft bitten über die Verlegung des Sitzes des evangelischen General, Superintendenten von Schleswig nach Kiel, also außerhalb der Grenzen seines Sprengels; was darüber in den Synoden u. f. w. verhandelt sei habe feine genügende Auskunft gewährt. Es sei eine Zurückseßung des s{chleswigshen Kirchenwesens, daß der General-Superintendent außer. halb Schleswigs wohne, dodurch werde die Verwaltung der Kire eine rein bureaufratishe, weil die Fühlung mit den vraftiscen Verhältnissen verloren gehe. Der s{leêwigshe General-Superintendent habe mit zwei Kirchensprachen zu thun. Die Sprachenverschiedenbeit scheide nun einmal, und es sei die Aufgabe des General-Supverinten- denten, diefe Scheidung möglichst zu überbrücken; statt desen finde diese Flucht des Hirten von seiner Heerde statt. Ersteres könne er aber nur, wenn er sich mitten in seinem Sprengel befindet. Die Regierung habe die Theilung von Schleswig - Holstein in zwei Regierungsbezirke beantragt gehabt, mit der Begründung, daß die be, sonderen Verbältniffe von Nordschleswig diese Theilung notbwendig machten. Er sei dafür gewesen, aber hier in Bezug auf die kirchlichen Verhältnisse gebe man die vorhandene Theilung auf. Stimme das mit dem neuen Curs ?

Minister der geistlichen 2c. Zedligz:

Meine Herren! Jh muß zunächst mit einer Bemerkung auf die Anfrage des Herrn Abg. Johannsen darauf hinweisen, daß es nh bei der Verlegung der General-Superintendentur von Schleswig nas Kiel um eine Maßnahme des Seiner Majestät dem König zustebenden landesherrlichen Kirchenregiments bandelt, und daß diese Angelegenheit, glaube ih, weder der Kritik, noch der Beschlußfassung dieses hohen Hauses unterliegt. Aber wenn diese Frage bejaht wird, bin ih doch sebr gern bereit, auf den sachlihen Inhalt der Ausführungen des Herrn Ab; geordneten einzugehen und ten Standpunkt, den die Staatsregierung, oder vielmehr ich als Berather Seiner Majestät und damit aus allein Verantwortlicher für die Sache, in dieser Angelegenheit einge- nommen habe, zu erklären.

Meine Herren, die Verhandlungen über die Verlegung des Sites des General-Superintendenten von Schleswig nah Kiel sind so alt, wie die Einrichtung des Consistoriums in Kiel. Bisher sind von allen denjenigen Instanzen, welhe die Consistorialbebörden als solche für eine zweckmäßige erahten und deren Wirksamkeit in vollem Umfang zur Ausgestaltung bringen wollen, die Wünscbe nad dieser Verlegung bei der Staatsregierung vorgebracht worden. Auh mir gegenüber ist das bald nach meinem Amts antritt in schr entschiedener Weise zum Ausdruck gebradt worden. Jch habe mich daher intensiv mit der Frage beschäftigt, babe aber meinerseits eine Einwirkung für die Verlegung in regtninaler Form abgelehnt, weil ih mir sagte: es ist ein Act, der fo innerbalb der provinzicllen Interessensphäre liegt, daß es si nit emvfieblt, ibn von dem obersten Kirchenregiment aus in Angriff zu nehmen. Jh verkfannte dabei in feiner Weise, daß es doch selbstverständlich sein nuß, daß ein Collegium, welches aus fünf oder sechs Herren bestebt ich weiß die Zahl im Augenblick niht genau besser und be- sonders innerlich besser arbeiten muß, wenn die Mehrzahl der Herren, und namentlich diejenigen Herren, welche die entscheidende Stimme in diesem Collegium habcn, also der Präsident und die beiden General-Superintendenten si an einem Ort vereinigt finden. Jch verkannte dabei garnicht, daß das rein oberhirtlihe Amt, welhes dem General-Superintendenten in der

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s{leëwig-holsteinischen Kirche zukommt, vieles dagegen anführen ließe, und noch mehr die Nücfsihtnahme auf die geschihtlihe Entwickelung des schleswigschen Kirchenregiments. Die Abwägung beider Gesichté- punkte gegen einander hat mih durchaus ablehnend entschieden gegen eine Verlegung aus der Initiative der Regierung heraus. Nachdem aber und ich bemerke, daß das nicht etwa bestellte Arbeit von mir war die Gesammt-Synode ihrerseits mit ganz über- wiegender Majorität sich für diese Verlegung ausgesprochen hat, außerdem bei der Abstimmung über diese Verlegung nicht nur holsteinische, sondern au ein Theil mir ist das wenigstens auf das bestimmteste versichert worden s\{leêwigsche Abgeordnete sih dafür ausgesprochen haben, so lag nah meiner Auffassung auh niht der geringste Grund vor, sich nunmehr der an si in rein ge schäftlichem Interesse zweckmäßigen Maßregel zu widersetzen.

Meine Herren, wer foll denn über solche Dinge das maßgebliche Urtheil haben, wenn das nicht die verfassungsmäßigen Selbstver- waltungsorgane der Kirche sind, die darüber befinden 2 Wenn i diesen Organen niht Rechnung trüge, würde mir mit Recht der Vor- wurf gemacht werden : Du glaubt besser die Dinge zu verstehen, alé die eigenen Vertreter der s{leêwig-holsteinschen Kirche selbst, und wenn ih dem Votum dieser Herren folge, dann wird mir jeßt der Vorwurf gemacht, ih arbeitete gegen das Interesse der sc{leswig- holsteinshen Kirche. (Zuruf: Schleswig !) Wir haben eine Kirchen- verfassung für die Provinz Schleswig-Holstein, niht eine Kirchenver- fassung für Schleswig und eine für Holstein!

Es ist also, glaube ih, ganz flar, daß die correct gehandelt bat, wenn sie, nahdem die geordnete Ver- tretung diesér Kirchenprovinz sich für die Verlegung auêge- sprohen hat, ihr zustimmte. Daß das nun in neun Tagen ge schehen ist, ja, meine Herren, ih habe bisher immer nur ange- nommen, daß eine erveditive Geschäftsführung von Vortheil wäre, (Heiterkeit und schr gut! rechts) und habe nit geglaubt, daß mir daraus ein Vorwurf gemacht werden könnte.

Nun möchte ih aber noch eins bemerken, und das hat einen sehr ernsten Hintergrund gerade für Ihre heimathlihe Provinz. Solche Aué- drücke wie „Flucht des Hirten von seiner Herde“ und „wo ist der Wolf?" und „eine ueue Religion, die dis Regierung dur das Consistorium in Kiel einführt" (Widerspruch.) Na, was haben Sie denn? (Zuruf : Er meint die Egidy’sche Sache!) Ach, die! da bitte ih um Entschuldigung. Aber au {on die Worte „Flucht des Hirten von seiner Herde“ und „wo is der Wolf?" meine Herren, ih möchte doch zu bedenken geben:

Angelegenheiten Graf von

Regierung

andelt sich hier um Leute, die ihre Pflicht nah cestem Wissen und Gewissen thun. Ih habe noch niemals gehört, daß dem Herrn General-Superintendenten Kaftan der Vorwurf hätte ‘emaht werden können oder auch nur gemacht worden ist, daß er in

Ü

zewissenloser Weise seine Geschäfte vernaclässige, und es ist im höchsten Grade bedenklich, wenn ijin der Vertretung; des ganzen andes, wo feiner der Herren ist, der sih ein Urtheil über derartige Rerhältnisse bilden fann, derartige Ausdrücke fallen. (Sehr richtig

rets.) S i : Der Herr Abgeordnete hat aber eins vergesjen anzuführen. Der Herr General-Superintendent Kaftan hat si bekanntlich ausdrülich bereit al ärt, in bestimmten Zeiträumen in die einzelnen Kirchspiele binein- ufommen, um in viel höherem Maße, als es bisher der Fall war, «je Berührung mit den Gemeinden unmittelbar zu fördern, und er art ih ferner, womit ih sehr einverstanden bin, auch bereit erklärt, än den alten Traditionen festzuhalten, daß in der Regel im sleswig- {en Dom die Ordination der \chleéswigschen Geistlichen stattfindet. 4 glaube, damit ist allen berechtigten Bedürfnissen Rechnung ge- tragen. Daß gewisse pietätlihe Rücksihten damit nicht gewahrt sind, gebe ih zu; aber es ist im Leben leider “immer ïo, daß, wenn man etwas Besseres erreichen will, man häufig auch ¿inen Anderen damit verlegen muß. Es kommt nur darauf an, nach- anweisen, wo das größere Bedürfniß ist, uud das ist, wie ih mit der überwiegenden Mehrheit der Gesammtsynode anerkennen zu

glaube, für die Verlegung geltend zu machen. (Lebbaftes

ganz müfsen Bravo!) : 5 5 E - i Abg. Rickert: Er freue sich, daß er die vielen Fragen nicht esheut babe; es werde ihm fast unheimlich über die Uebereinstim- mung zwischen dem Minister und ihm. Wenn der Minister sich von den Anschauungen auch in Zukunft leiten lasse, werde man fich wenig mit ibm zu unterhalten haben über die bureaufratishen Eingriffe in die Rechte der Lehrer. Man müsse aber solche Dinge zur Sprache bringen, wenn sie in den Zeitungen behauptet würden. Die Nachricht »on der Verstaatlihung der Lesebücher sei nicht bloß aus den Zeitungen gekommen. Das Berliner Provinzial-Schulcollegium habe die Einführung des Lesebuchs von Ernst und Tews abgelehnt mit der Begründung, daß nach Anordnung des Ministers die Einführung rine einheitlichen Lesebuches ins Auge zu fassen fei. Das fei nur fo ;u versteben. Dieses Lefebuch erkenne der Minister au als gut an. Man wünsche allgemein das Lesebuch einzufühten; da sollte der Minister do fkeineu Widerspruch erheben. Er möchte immer fo :liélih sein, so befriedigende Antworten zu erhalten, wie heute vom Cultus-Minister.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenhe.ten Graf von Zedligß:

In dem Rundschreiben des Provinzial-Schulcollegiums handelt es sich lediglich um die Einführung eines einheitlichen Lefebuchs für Berlin. Das werden Sie wahrscheinlich mit mir für eine sehr nüßliche Maßregel halten.

Abg. Damink (conf.) empfiehlt die Einrichtung von besonderen theologishen Lebrstühlen für die Reformirten._ : E

Abg. Johannsen (Däne): Dem Minister möchten seine Aus lassungen unangenehm sein, aber er stehe hier als Abgeordneter seines Nolkes, und so lange er sich innerhalb der Geschäftsordnung bewege, fónne er an der Vertretung dieser Interessen niht gehindert werden.

Abg. Jüxgensen (nl.): Der Vorredner jei Vertreter des preußishen Volkes und nicht einer kleinen Minderheit von Dänen in Zchleëwig. Aber allerdings vertrete er nur die agitatorishen Be- strebungen der Dänen; er trete in Volksversammlungen für die Auf- rechterhaltung der dänishen Muttersprahe ein und dabei sei seine Muttersprache die deutshe. Wie stimme das Verhalten des Abg. Johannsen mit seinem Eid auf die Verfassung? Die Frage der General-Superintendentur gehe das Haus garnichts an, das sei Sache der Provinzialspnode, welche in ihrer Mehrheit aus praktischen Gründen so beschlossen habe. Er füge sih, troßdem er diesen Beschluß be- dauere.

Abg. Johannsen (Däne): Er habe den Eid auf die Verfassung niht gebrohen, weder hier noch draußen. Denn die Richter, die dem Abg. Jürgensen sehr ähnlih sähen, würden ihn bald deshalb fassen. Er bitte den Herrn Präsidenten, ihn gegen solche Vorwürfe in Shuß zu nebmen. Die dänische Agitation sei doch nihts Fürchter- lies, sie bestehe nur darin, daß man die Sprache des Volks zu erbalten suche, während von der Regierung jeßt alles gethan werde, um die dâänishe Sprache zu verdrängen. Wenn der Abg. Jürgensen behaupte, daß dänish nicht seine (des Redners) Muttersprache sei, so wisse er es niht. Draußen, außerhalb des Hauses, fei ein Mann, der so wie der Abg. Jürgensen von thm gesprochen habe, vom Gericht bestraft worden. Die preußishen Dänen oder dänischen Preußen ständen noch immer durch das Band der Sprache mit den Dänen in Dänemark in Verbindung. Das werde thnen als dânische Agitation vorgeworfen. Er habe die dänishe Frage niht allgemein angeregt, sondern sich nur darüber beklagt, daß der Oberhirte der lutherisen Kirhe Schleëwigs außerhalb seines Sprengels wohne. An Politik habe er dabei nicht gedacht.

Vice-Präsident von Benda: Einen Eidbruh habe der Abg. Jürgensen dem Vorredner niht vorgeworfen, er (Redner) habe deshalb eine Rüge nicht eintreten lassen können. e

Abg. Jürgensen (nl.): Er habe nur gesagt, daß die dänische Agitation des Vorredners außerhalb des Hauses nicht ganz mit dem Eid auf die Verfassung übereinstimme. Deswegen brauche der Abg. Jobannsen noch nit von den Gerichten verurtheilt zu sein. Die Muttersprache des Abg. Jobannsen sei die deutsche, denn seine Mutter sei eine geborene Deutsche.

Abg. Jobannsen (Dône): Er sei von deutsch-dänischen Eltern geboren, sei in der Schule dänish unterrichtet worden. Das Platt- deutsche und Dänische kenne dort Jeder. Wenn der Abg. Jürgensen ibm anheim gegeben habe, zu prüfen, ob feine Agitation mit dem Sid auf die Verfassung verträglich sei, so sage er: Wenn nicht die Rechte des Hauses Herrn Jürgensen s{üßten, dann würde er ihn uri COEriWter von Husum verklagen und dieser würde ihn ver- urTheilen.

_ Abg. Jürgensen (nl.): Der Abg. Johannsen habe zugegeben, daß seine Muttersprache die deutsche sei. A

__ Damit {ließt die Discussion. Das Gehalt des Ministers wird bewilligt. Ohne Debatte werden die Ausgaben für den Ober-Kirchenrath, für die evangelischen Consistorien und für die evangelische Geistlichkeit und Kirchen, sowie für katholische Viéthümer bewilligt.

Um Kapitel 116: Katholische Geistliche und Kirchen, lagen

zwei Anträge des Centrums vor, die aber vom Abg. Sperlich Rogen wurden. 2 Ag. A iesenbah (Centr.) protestirt dagegen, daß die altfatho- tigen Gemeinden aus diesem Kapitel Zuschüsse erhielten. Die Alt- fat olifen seien aus der Kirche ausgeschieden und verfassungsmäßig selle lossen worden. Die Regierung solle ihnen gegenüber die- d e Stellung einnehmen, wie die bayerische Regierung. Man habe E tkatholishen Bischof ein besonderes Ausgabekapitel angewiesen ; darum mache man das nicht mit der altkatholishen Gemeinde zu Krefeld ebenso ? 116,79 Kapitel wird darauf genehmigt; ebenso das Kapitel Auaas Zuschuß für cinen katholischen Bischof, gegen welche “usgabe das Centrum stimmt.

Darauf wird die weitere Berathung vertagt.

Schluß 31/, Uhr.

V r

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts.

Auf Antrag des Kaufmanns P. war für Sh. gemäß § 44a der Gewerbeordnung eine Legitimationsfarte ausgefertigt worden, in der Annahme, Sch. sei ein im Dienste des P. stehender Reisender. Als sih später herausstellte, daß Sch. nit ein im Dienste des P. stehender Reisender, sondern Agent fei, wurde die Karte von der Polizeibehörde für kraftlos erklärt. Die hiergegen eingelegte Klage hat das O.-V.-G. in der Entsh. vom 18. Januar 1892 Ill 58 abgewiesen und an- genommen, es geböre zur begrifflihen Vorausseßung für die Aus- tellung einer Legitimationskarte, daß die Persönlichkeit, welche für die Zwecke des Gewerbebetriebes eines Gewerbetreibenden Waaren auf- kaufe und Bestellungen auf Waaren suche, ein im Dienste des Ge- werbetreibenden stehender Reisender sei. Der Mangel diefer Voraus- feßung habe die Versagung der Karte zur Folge, daraus folge aber au, daß dieser Mangel, wenn erst nachträglich bekannt, einen Grund für die Zurücknahme der Karte bilde.

Bei dem Bezirksaus schuß zu X. hatte neben dem Verwal - tungsgerihts-Director statt des zweiten auf Lebenszeit er- nannten Mitgliedes der Stellvertreter des Directors der Situng als stimmendes Mitglied beigewohnt. Das O.-V.-G. er- klärte dies für einen wesentlihen Mangel des Verfahrens (Urtheil vom 18. Januar 1892 111 58), denn aus dem Begriffe der Stellvertretung folge, daß der cinem bestimmten Mitglied eines Gerichts bestellte Vertreter niht gleichzeitig mit der von ihm zu vertretenden Person und neben dieser bei einer Ent- scheidung thätig sein fönne, sondern nur dann eintrete, wenn und soweit die leßtere an der Mitwirkung behindert sei.

Statistik und Volkswirthschaft. Statistik und Volkswirthschaft.

Invaliditäts- und Altersversicherung.

Bei der Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt Berlin sind im Februar d. I. 61 Ansprüche auf Altersrente erboben worden, während 30 Ansprüche unerledigt aus dem Monat Januar übernommen wurden. Von diesen 91 Ansprüchen sind 24 durch An- erkennung, 17 durch Ablehnung, 2 auf andere Weise erledigt, während 48 auf den Monat März übernommen wurden. An Ansprüchen auf Invaliditätsrente wurden im Februar d. J. 24 erhoben : 38 wurden vom Januar übernommen. Hiervon sind 4 anerkannt, 6 abgelehnt worden, während wegen der übrigen noch Ermittelungen \{weben.

Deutscher Landwirthscha ftsrath.

Im weiteren Verlaufe der gestrigen Sißung wurde über die Frage der Reform der landwirthschaftlihen Statistik ver- handelt und folgender Antrag des Frhrn. von Cetto und des General- Secretärs Dr. Müller zum Beschluß erhoben:

[. Im Hinblick auf die Zwette der landwirthschaftlichen Statistik im allgemeinen fowie die in jüngster Zeit augenfällig gewordene be- sondere Bedeutung derselben für die nationale Nahrungsverforgung erachtet der Deutsche Landwirthschaftsrath es für angezeigt, auf die Vervollkommnung der Statistik der landwirthschaftlihen Production für das Deutsche Reich Bedacht zu nehmen in der Weise, daß 1) über die in Aussicht stehende Ernte während der Periode des Pflanzenwachsthums (März bis November) fortlaufende einheitlich organisirte Berichte (Saatenstandsberihte) in allen Theilen des Reichsgebiets erhoben und in regelmäßigen Zwischenräumen veröffentliht werden : 2) die als Grundlage einer zuverläfsigen Erntestatistik unerläßlihe Ermittelung des Anbaus der Culturgewäch\e, (Anbaustatistik) wenigstens hinsichtlich des Umfangs des Anbaus der Hauptnahrungsfrüchte (Getreide und Kar- toffeln) alljährlich auf dem ganzen Neichëgebiet ausgeführt werde; 3) die Berichte über den Ausfall und die Ergebnisse der Iahresernte (Ernte- statistik), soweit dieselben die Brotfrüchte betreffen, in ziffermäßigen Angaben über die Menge und die Qualität des Getreides alsbald nah Einbringung der Ernte erstattet und veröffentliht werden, vor- behaltlih einer späteren ausfübrliheren Berichterstattung über die gesammten Ergebnisse der einzelnen Fruchtarten: 4) die Zählung der hauptfächlibsten Viebgattungen (Pferde, Ninder, Schweine, Schafe) mit den nothwendigsten Unterscheidungen nah Alter und Geschlecht in kürzeren Zwischenräumen als bisher (alljährlich oder wenigstens alle zwei Jahre) vorgenommen werde.

11. Es erscheint erforderli, sowobl im Hinblick auf die genauere Feststellung der Ernteerträge, wie im Hinblick auf die Entwickelung des Bersicherungswesens eine einbeitlihe, auf das ganze Reich aus- gedebnte Statistik der Hagelschäden alljährlih vorzunehmen.

111. Neben diesen jährlichen auf Saatenstand, Anbau- und Ernte- ermittelung, Viebstand und Hagelschäden sich erstreckenden statistischen Erhebungen find im allgemeinen volkswirthschaftlihen und agrarpoliti- schen Interesse in längeren (zehnjährigen) Perioden wiederkehrende, umfafsendere Erhebungen über die landwirthschaftlihen Be- triebe, deren Anbauverhältnisse,, Nutviebbaltung, Verwendung von Maschinen u. |. f. erforderlich. Eine gleichzeitige Er- hebung über die landwirthschaftlide Bevölkerung in Ver- bindung mit diesen Aufnahmen erscheint als wünschenswerth. Die umfassenden Erhebungen würden zweckmäßig nicht getrennt in einzelnen Aufnahmen (Berufs-, Betriebs-, Anbau-, Viehbstatistik), sondern im Zusammenhang derart vorzunehmen sein, daß die einzelnen Theile desselben unmittelbar auf einander bezogen werden fênnten. Der Deutsche Landwirthschaftsrath beschließt, diese Wünsche unter gleich- zeitiger Mittheilung seiner hierüber gepflogenen Verhandlungen dem Herrn Reichskanzler und dem hohen Bundesrath zur thunlichsten Be- rücksichtigung zu unterbreiten.

In der heutigen Sißung wurde über die Abänderung des Unterstüßungswohnsißgesetzes verhandelt. Der Referent Rittergutsbesißer von Below-Saleske befürwortet folgenden Antrag : „Folgende Gesichtspunfte sind in den Rahmen des Gesetzes vom 6. Juni 1870 aufzunehmen: 1) Es muß die Mög- lihkeit geschaffen werden, mehrere Ortsarmenverbände für die gesammte Armenpflege oder für einzelne Zweige derselben zu vereinigen, um dadurch leistungëéfähigere Armenverbände zu gewinnen. Insbesondere wird es in sehr vielen Fällen angezeigt sein, die außerordentlihe (ges{lossene) Armenpflege von der Hausarmenpflege (offene Armenpflege) zu trennen, für die erstere größere Verbände herzustellen, die letztere aber den Ortsarmen- verbänden, welhe sie am besten und billigsten besorgen fönnen, zu belassen. Bei der außerordentlichen Armeu- pflege fann eine VBorausleistung des betheiligten Orts- armenverbandes, unter Umständen auch eine Mitwirkung des Kreises vorgesehen werden; im übrigen wird sich die Bildung der Verbände und die Vertheilung ter Aufgaben und Beitragsverpflich- tungen je nah den versciedenartigen Verhältnissen in den einzelnen Landestheilen rihten müssen. 2) a. Gewerbliche Unternehmungen, die dauernd Arbeiter beschäftigen, welhe einem anderen Armen- verbande angehören, follen zu den wegen dieser Arbeiter dem betreffenden Armenverbande entstehenden Armenlasten mit einem besonderen Beitrage herangezogen werden fönnen. b, Unternehmungen, welhe neu be- gründet werden oder sih wesentlih vergrößern, haben, wenn fie dazu fremde Arbeiter dauernd heranziehen, den Ortsarmenverbänden, deren Armenlast dadurch wachsen fönnte, Sicherheit dafür zu n M E enen cntsprehenden Antheil an der vergrößerten Armeulast “tragen. ce. Staat und Reich haben, fofern durch größere öffentlihe Unternehmungen, z. B. Kanal-, lena Bahnbauten, einzelnen Armenverbänden infolge der An- \âufung von Arbeitern eine größere Armenlast erwächst, diese durch besondere Beiträge zu erleihtern.“ Der weitere Theil des An- trages enthält eine Reihe von einzelnen Geseßesabänderungen.

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Ur Abbeiterbewegung. E In Leipzig fand am Sonnabend eine von etwa 700 bis 800 Personen besuchte focialdemokratishe Verfammlung statt, in der nah

dem Bericht der „Lpz. Ztg.“ auch die von den Arbeitslosen ver- urfsahten Unruhen zur Sprache kamen. Eine vorgeshlagene Re- folution brachte das Vertrauen der Versammlung zur Vertretung der Partei in den Parlamenten zum Ausdruck. Dem gegenüber brate ein Herr Berndt als Vertreter der Opposition ein Resolution ein, die ih gegen jede parlamentarishe Vertretung des Proletariats und insbesondere gegen die sfocialdemokratishe Reichstagsfraction richtete, weil diese mit den anderen Parteien pactire. Der in der Versammlung anwesende focialdemokratishe Reichstags-Abgeordnete Geyer erklärte, die leßtere Resolution enthalte eine Verleumdung der Fraction, denn es wäre nicht wahr, daß sie mit den Gegnern arbeite, um Concessionen zu erlangen. Die Zeitung der Opposition, „Der Sccialist“, wverleumde die Parteiführer, weil Anarchisten an der Herausgabe des Blattes be- theiligt wären. Die Opposition würde von der Scocial- demotratie bekämpft, weil sie gar nicht die Absicht bätte, etwas für die Arbeiter zu schaffen. Das Gros der Leipziger Arbeiterschaft halte fich so verworrenen Anschauungen fern, nur wenige verwirrte Köpfe ließen sih fangen. Die Opposition könnte einen \{chweren Schla der Gegner gegen die ganze Arbeiterbewegung vorbereiten, und deshal müsse man vor ihr warnen. Die Resolution desHerrn Berndt fam gar nicht zur Abstimmung, die andere wurde gegen seine Stimme angenommen.

Die Beendigung des Handschuhmacherstrifes wird nun au vom Vorsitzenden des Verbandsvorstandes, Herrn Ernst Knöfel in Arnstadt, erklärt.

In Hamburg baben nach dem „Vorwärts“ sämmtliche Kellner der drei größten Bierlocale die Arbeit eingestellt.

Aus Danzig berichtet die „Danz. Allg. Ztg.“ über die Lage der Arbeitslosen vom gestrigen Tage: Nah den Rieselfeldern wurden heute früh mittels des Eisbrehdampfers „Richard Damme“ 100 Mann mehr als am vergangenen Sonnabend befördert, um an den dortigen Arbeiten theilzunehmen Die PFerde- eisenbahn wollte im Laufe des Vormittags auf Langgarten ebenfalls 40 Arbeiter zur Reinigung der Geleise vom Schnee anstellen, aber nur §8 meldeten sih dazu; die Strecke nah dem Langgarter Thor zu blieb deshalb unbenußbar. Sobald die Witterung günstiger wird, beabsichtigt die Abeggstiftung in Neufahrwasser, die dortigen Bau- arbeiten wieder zu beginnen.

Hier in Berlin und in Rirdorf fanden am Sonntag zwei von den „unabhängigen Socialdemokraten“ berufene Versamm- lungen statt, in welchen die Stellungnahme des Centralorgans der focialdemotratishen Partei „Vorwärts“ zu den Arbeiterunruhen den Gegenstand der Verhandlung bildete. Es wurden Re- folutionen gefaßt gegen das „arbeiterfeindlihe“ Verbalten des „Vorwärts“ und der Parteileitung. Der Ausstand in der Fabrit Mirurgischer Inslrumente von H. Krüger in Berlin dauert fort, da der Fabrikant darauf besteht, daß eine Stunde länger gearbeitet werden soll und zwar, wie der „Vorwärts“ berichtet, zu dem gleichen Lohne, der für die fürzere Arbeitszeit bezahlt wurde.

Aus Bodenbach berichtet der „Vorwärts“, daß d per])onal der dortigen Firma Gebrüder Helzel am d. eine Lobnbewegung eingetreten ift. 5

An dex di&jahrigen Maifeier “der socialistischen Arbeiterschaft in der Schweiz soll nah dem Vorschlag des stadtbernischen Arbeitersecretärs Wassilieff in allen Versammlungen von den Besuchern der folgende, von der „N. Zür. Ztg.“ mitgetheilte, Schwur geleistet werden: „Ich \{chwöre, wie es beute überall im Schweizerlande Tausende von Arbeitern und Arbeiterinnen schwören, treu zur Fabne der organisirten Arbeiterschaft zu steben. Ich schwöre, die Versammlungen in diesem Jahre regelmäßi zu besuchen und meinen Pflichten als organisirter Arbeiter nah Kräften nahzukommen und ftets bestrebt zu sein, sfolidarisch mit meinen Berufsgenossen für die Befreiung der Arbeiterklasse aus dem Joche des Kapitalismus zu kämpfen! Arbeiter, Brüder in Eurova und Amerika, erhöôret unser Gelübde! Die Arbeiterschaft in der Schweiz sehnt den Tag herbei, wo die Siegesstunde der Social- demotkratie {lagen wird.“

Aus Basel theilt dasselbe Blatt mit, daß sich der Ausstand der Parquetbodenleger dort auf die Firma Turnheer und N ohr beschränken werde, da die übrigen Geschäfte die im Tarif der Arbeiter geforderten Preise schon seit dem leßten Jahre bezahlen. (Bal. Nr. 58 d. B[) : ©

Ein Parifer Telegramm des „Wolff’schen Bureaus" meldet, daß die Arbeiter in den Kohlengruben von Carmaur (Depvarte- ment Tarn) die Arbeit eingestellt haben; sie verlangen eine Lohnerhöhung. Bisher ist feine Ruhestörung vorgekommen. Noaune hat ‘einer Millheiliiga der Koln: Ziga.“ zufolge die Polizei bei zwei Anarchisten), Namens Covis (Vater und Sohn), Waffen, Schießpulver, Patronen und Sprengmaterial entdeckt. Beide wurden verhaftet. Außerdem sollen , wie es heißt, noch weitere Haussuchungen stattfinden.

In Lissabon wurden nah demselben Blatte drei Spanier verhaftet, von denen einer in seinem Koffer zu Hause mehrere Dynamitbomben aufbewahrte: man glaubt daher, die Urheber des jüngsten Bombenanschlags auf das dortige spanische Konsulat ergriffen zu baben. :

Der Ausstand der e nglischen Bergleute in denKohlen- gruben, der am nächsten Sonnabend seinen Anfang nehmen soll, tritt, wie die Londoner „Allg. Corr.“ - s{hreibt, dadurch in eine neue Phase, daß die Bergleute von Durham be- schlossen haben, noch einmal abzustimmen , ob E DE Arbeit fortseßen wollen, wenn ihnen nur 5°%/o am Lohne abgezogen werden. Die Midland- Eisenbahn wird einen Theil ihrer Kohlenzüge von nächster Woche an einstellen. Eine Menge Angestellter kommt natürlich dadur außer Arbeit. In Leicester wollen die bedeutendsten Fabrikanten lieber ihre Fabrifen shließen, als höhere Kohlenpreise zahlen. Die großen Dampferlinien Liver - p ools werden durch den Strike nicht berührt, da sie ihre Kohlen von Süd- Wales beziehen, wo die Arbeit nicht eingestellt wird. In London batte man son Borbereitungen getroffen, von Schottland zur See in Masse Kohlen zu heziehen, ist aber wieder davon abgekommen, da man nicht glaubt, daß eine bedeutende Kohlennoth eintreten werde.

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Gesuudheit&wesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Türkei. y Die fünftägige Quarantäne gegen die von dem syrischenKüsten - gebiete, "zwischen Lattakia und Jaffa, eintreffenden Schiffe ift, ab- gesehen von folhen Schiffen, welhe Truppen oder Auswanderer an Bord haben, aufgehoben und an déren Stelle ein ärztliher Besuch

geseßt worden. (Vergl. „R.-A." Nr. 36 vom 10. Februar 1892.)

Der Gesundheitszustand in Berlin blieb in der Woche vom 21. bis 27. Februar ein günstiger, und auh die Sterblichkeit war eine kleinere als in der Verwoche (von je 1000 Einwohnern starben

aufs Jahr berechnet 18,2). Zwar kamen immer noch acute Ent- zündungen der Athmungsorgane in großer Zahl zum Vor- schein und endeten auch in etwas größerer Zahl als in der vor- bergegangenen Woche tödtlich, dagegen zeigten Erkrankungen an Grivpe eine weitere erbeblihe Abnahme, fodaß nur noch wenige Erkrankungen be- kannt wurden ; aus der der Berichtswoche vorhergegangenen Woche wurden noch 14 Todesfälle an Grippe gemeldet. Das Vorkommen von acuten Darmkrankheiten wurde ein felteneres, die Zahl der dur sie be- dingten Sterbefälle eine kleinere. Die Betheiligung des Säug- lingéalters an der Sterblichkeit hat abgenommen, von je 10 000 Lebenden starben aufs Jahr berechnet 60 Säuglinge. Von den Infections- kfrankheiten haben Erkrañfungen an Masern eine größere Abnahme erfahren und famen nur noch aus Moabit in größerer Zahl zur Mittheilung. Erkrankungen an Diphtherie, die fich im östlichen Theile des Tempelhofer Vorstadtbezirks am häufigsten zeigten, famen in fast gleiher Zahl wie in der Vorwoche zur Meldung. Erkrankungen an Unterleibstyphus und an