1892 / 60 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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Die Thatsache bestreite ich. Ich bestreite nicht, daß infolge der {nellen Einführung dieses Waarenverzeichnisses, der Kürze der Zeit, welche zwischen der Feststellung desselben und seinem Inkraft- treten verflossen ist, fi Schwierigkeiten ergeben haben für den Handel, die damals vorübergehend zu einer Häufung von Beschwerden geführt haben; daß aber im ganzen Sas Waarenverzeichniß von 1888 mehr Beschwerden hervorgerufen babe, als irgend einer seiner Vorgänger, das bestreite ih, und nah den Erkundigungen, die ih bei älteren Mitgliedern des Bundesraths soeben eingezogen habe, wird mir diese Meinung vollkommen be- stätigt. Nun, meine Herren, ein neues Waarenverzeichniß befindet nh augenblicklih in Vorbereitung und wird wahrscheinlich zum nächsten Herbst in Kraft treten. Wenn {ch iht irre, wei ich den Herrn Vorredner ret verstanden habe, so hat er auch dieses bemängelt, daß bereits wieder ein neues Waarenverzeichniß in Angriff genommen sei. Ja, meine Herren, der Abschluß der neuen Handelsverträge ift ebenfo einschneidend, daß es unbedingt nothwendig ist, das Waarenverzeichniß, welches zur Anwendung des Zolltarifes dienen soll, durchzuarbeiten. (Heiterkeit rets.) Ich habe mit dem Mort „einschneidend" natürlih nicht den alten Streit über die Zweck- oder Unzweckmäßigkeit des Inhalts der Handelsverträge hervorrufen wollen.

Der Herr Abgeorduete hat dann sich darüber beschwert, daß dem Bescheid über die Anwendbarkeit irgend eines bestimmten Zollsates, velche Interessenten von Seiten der Zollämter erhielten, bei der \pä- teren Bestimmung der Zollentrichtung gar feine Bedeutung beigelegt verde. Es ist das für cinen Importeur allerdings schr unbequem und an und für sih sehr unerwünsht, wenn auf cine Anfrage das be- treffende Eingangszollamt in einer vielleiht zweifelhaften Frage des Zolltarifwesens eine Auskunft über die Anwendbarkeit eines Zollsazes giebt, die nachher den von der höchsten Instanz festgestellten Grundsäßen nicht entsvricht, und wenn dann nachträglich im Wege der Negisterrebvision der höhere Zoll von dem Betreffenden eingezogen wird. Jch glaube aber, Sie mögen eine Einrichtung treffen, wie Sie wollen, das werden Sie nicht verhindern können, daß über die Anwendbarkeit eines im Gesen vorgeschriebenen Zollsaßes auf einen bestimmten Fall die Mei- nungen verschiedene sein können. Sie werden des weiteren auch nicht aus der Welt schaffen können, daß die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Zollsätße in solchen Fällen niht der unteren, sondern der oberen Instanz überlassen bleiben muß, und so lange Sie diese beiden Dinge nicht geändert haben, werden Sie niht aus der Welt schaffen, daß von der unteren In- stanz, wenn sie gefragt wird, unter Umständen Belehrungen gegeben werden, die sich naher als irrig herausstellen.

Diese ganze Frage gehört ja, streng genommen, nicht in den Reichstag, sondern in die cinzelnen Landtage, weil die Zollverwaltung von den inzelnen Staaten geübt wird. Ich habe aber bei Gelegenheit früherer Erörterung dieser Frage aus den Kreisen der Königlich preußischen Zollverwaltung aus\prechen hören und id fann das nicht für ganz ungerechtfertigt halten —: ja, wenn man den Grundsatz für die Entscheidungen des Bundesraths einführen will, daß, wenn eine falshe Belehrung eines Hauptamts vorliegt, nachher die nah der Meinung des Bundesraths richtige Anwendung

des Gesetzes nit plaugreifen soll, so wird die einfache Consequenz die sein, ‘daß die oberen Landesfinanzbehörden gezwungen sind, ihren Beamten positiv zu verbieten, irgend eine Auskunft an die Interessenten zu geben.

Nun der letzte Punkt! Der Herr Vorredner hat fich darüber be- \{wert, daß cine am 12. Juni 1890 von dem Neichstag beschlossene Resolution, welche die verbündeten Regierungen ersuchte, in der näcbsten Session einen Geseßentwurf vorzulegen, welcher die schließ- liche Entsheidung der in den Zollfragen auftauchenden Rechtéfragen dem Rechtswege oder dem Verwaltungsgerichtsverfahren überweise, von den verbündeten Regierungen noch nicht erledigt und dem Reichstag darüber noch keine Mittheilung gemacht ist. Meine Herren, erstens ist der Zeitpunkt, welchen diese Resolution in Aussicht nimmt, überhaupt noch nicht eingetreten. Sie sind noch in derselben Session, meine Herren, in der Sie den Beschluß gefaßt haben, und nah feststehender Praxis wird die gedruckte Mittheilung der Bundes- rathébes{lü}e Ihnen beim Eingang einer neuen Session, nicht nach einer Vertagung vorgelegt; darauf haben Sie auch feinen Anspruch.

Dieë war auch der rein äußerlihe Grund, weshalb Sie einen Bescheid niht bekommen haben, wenn diese Thatsache richtig ift. Nach meiner Erinnerung glaube ih allerdings, daß ih Ihnen über die Stellung des Bundesraths in dieser Frage bereits früher Mit- theilung gemaht habe. Ist es nicht geschehen, ist es namentli bei den Zollverhandlungen des vorigen Jahres nicht gesehen, fo liegt das einfach daran, daß die Herren mih nicht gefragt haben; denn auf eine Frage Antwort zu geben, bin ih vollständig bereit, auch selbst da, wo ih eine Verpflichtung dazu nicht anerkennen muß, voraus- gesetzt, daß die Beantwortung mir möglich ist.

Und fo will ih jeßt gern mittheilen, daß der Bundesrath über diesen Beschluß des Reichstags vom 12. Juni 1890 in seiner Sißung vom 4. Dezember 1890 Beschluß gefaßt hat, und daß dieser Beschluß dahin ging:

Der Resolution des Reichstags vom 12. Juni d. I., die ver- bündeten Regierungen zu ersuchen, in der nächsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die \{ließlihe Entscheidung der in Zollsachen auftauhenden Rechtsfragen dem Rechtswege oder dem Verwaltungêgerichtsverfahren überweist, eine Folge niht zu geben,

und ih gehe noch weiter, indem ich Ihnen mittheile, daß nah meiner Erinnerung die bei Erörterungen dieser Angelegenheit in den Bundes- rathsausshüssen zur Geltung gebrahten Gründe die gleichen waren, welche in früheren Fällen wiederholt bereits zu derselben Stellung- nahme des Bundesraths geführt hatten und welche theilweise auf dem Gebiet des Verfassungsrechts und theilweise auf dem praktischer Er- wägungen beruhen. (Bravo! rechts.)

Aba. Gol d\chmidt (dfr.): Der Staatsfecretär habe zu feinem Bedauern heute, wie seine Commissare bei früheren Gelegenheiten, bewiesen, daß er den Bedürfnissen des Verkehrs kein Verständniß und fein Interesse entgegenbringe. Könne man denn dort gar nicht begreifen, welhe schweren Schädigungen es mit sih bringen müsse, wenn ganz plößlich die Zölle für irgend einen importirten Gegenstand erhöht würden und auf erhobene Beschwerden drei bis vier Jahre vergingen, ehe auch nur ein Bescheid erfolgé? Könne man fih dort

ar nicht denken, daß inzwischen die betr. Gewerbetreibenden an den and des Ruins gebracht werden könnten ? Und daß auch der Bundes- rath Unrecht thun könne, habe er ja mehrfach bewiesen, z. B. bei den

Reifenstäben und Faßbodentheilen. Wie der Staatssecretär beweisen wolle, daß die Frage der Waarenverzeihnisse vor die Einzellandtage

ehöre, verstebe er niht. Er sei so oft Referent über die unzähligen ee E Petitionen E daß er sich wohl als Sach- verständiger in diesen Sachen betraten dürfe, und daß er dem Hau!e weiter nichts in dieser Beziehung vorzutragen habe.

Staatssecretär Freiherr von Maltahn:

Ich möchte zunähst ein Mißverständniß berichtigen. Ich habe niht gesagt, daß das Waarenverzeihniß vor die Landtage der Einzel- staaten gehöre. Der Herr Vorredner hat wahrscheinlih das, was ih gesagt habe, nit ordentlih Hören können. Ich babe nur gesagt: die Beschwerden darüber, daß einzelne Zollämter falsche Instruc- tionen gegeben hätten über die Bestimmungen der Bedeutung des Waarenverzeichnisses, diese Beschwerden würden in die Einzel-

J

staaten gehören, und nicht in den Neichstag. Der Herr Vorredner

hat nun die Meinung ausgesprochen, es sei in den Kreisen des Bundesratbs und bei der Reichsverwaltung gar kein Verständniß für die Schwere der Schädigungen, welche dem Betheiligten erwachsen fönnen durd Veränderungen in der Tarifirung der von ihnen cin- geführten Waaren. Ich kann dem Herrn Abgeordneten versichern, daß dies Verständniß in vollem Maße vorhanden ist, daß auf der anderen

_—

Seite in unseren Kreisen bisweilen der Eindruck entsteht, als ob in der Petitionscommission des Reichstags niht immer das volle Ver- ständniß für die s{chwierige Stellung der Zollverwaltung vor- handen fei, welche in cinem herkömmlich einmal allgemein unan- genehm empfundenen Verwaltungézweige berufen ist, dafür zu forgen, daß diejenigen Abgaben, welche geseßlich entrihtet werden müssen, auch entrichtet werden, und zur Deckung der Ausgaben, die damit be- stritten werden müssen, nicht auf den Säâckel der übrigen Steuerzahler zurückgegriffen werden muß.

Fc bezweifle aber garnicht, daß der Herr Vorredner ebenso wie id den ernstlichen Willen hat, in allen derartigen Einzelfällen die rihtige Entscheidung zu treffen. Aber die Ansichten darüber, was Recht ift, sind allerdings gerade auf dem \{wierigen Gebiet der Tarif- positionen oft recht weit au8seinandergehend.

Nun hat der Herr Vorredner Bezug genommen auf zwei Special- fälle. Der eine, der Fall wegen der Reifenstäbe, ist der einzige, von dem i anerkenne, daß wirklich eine materielle Entscheidung seit Fahren verzögert ist sehr gegen den Wunsch der verbündeten Regierungen. Mir haben noch bei Gelegenheit der leßten Ergänzung des amt- lichen Waarenverzeichnisses den Versuch gemacht, die Frage zu ordnen. Der Versuch ist abermals gescheitert. Es ergab sich, daß noch weitere Verhandlungen über diese Frage nothwendig waren, und wir haben die übrigen durch den Abschluß der" Handels- verträge nothwendig gewordenen Entscheidungen in Betreff des Waarenverzeichnisses nicht aufhalten zu sollen geglaubt wegen dieses einzelnen Falls.

Der andere Punkt, den der Herr Abgeordnete erwähnt hat, die Behandlung der Faßbodentheile, ist in dem von ihm gewünschten Sinne erledigt, aber er ist erledigt durch Abänderung des Waaren- verzeihnisses, durch Abänderung der geltenden Bestimmungen; er fällt feineswegs unter diejenigen Beschwerden, welche von dem Herrn Abg. Broemel hier angeregt wurden, nämlich unter die Beschwerden über Verzögerung der Entscheidung von Einzelfällen.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Die Verzögerungen in den Entscheidungen des Bundesraths entständen nicht aus Mangel an Sachverständniß, sondern aus sachlichen Gründen. Die Wünsche des Abg. Broemel ließen sih eigentli dahin zusammenfassen : Man be- seitige den deutshen Bundesstaat und errichte einen Einheitsstaat Deutschland. Daß der Bundesrath für die Sachen kein Auge und Ohr haben solle, widerlege Abg. Broemel selbst durch die Bemerkung, daß ersterer bei seinen einmal gewonnenen Anschauungen mit Zähigkeit beharre. Auf die Klage des Abg. Broemel, der Bundesrath erscheine hier so wenig zahlreih, erwidere er, a die Reichstagsmitglieder hier keine ia ausgenommen verhältnißmäßig viel weniger zahlreich vertreten seien, als der Bundesrath. Auch trete das Haus dem Publikum oft noch weniger höflih entgegen, als der Bundes- rath, denn die meisten Petitionen erkläre das Haus für zur Be- handlung im Hause ungeeignet, und davon gehe den Petenten gar feine Mittheilung zu. Auch der Reichstag habe, gerade wie der Bundesrath, Entscheidungen von Behörden der Einzelstaaten in wich- tigen Fragen abgeändert, z. B. dur den Beschluß über die Geneh- migung der Arbeitsordnungen durch die untere Verwaltungsbehörde. In Bezug auf den Zoll für Kokosfaser sei er ganz der Meinung des Abg. Broemel, aber darum brauche der Bundesrath doch nicht derselben Meinung zu fein.

Abg. Broemel (dfr.): Der Staatsfecretär habe ih darüber bes{wert gefühlt, daß er dem Bundesrath eine unrecht- mäßige, geseßzwidrige Handhabung des Zolltarifs {huld gegeben habe. Die Mehrheit des Reichstags habe seiner Zeit das Berfahren des Bundesraths bezüglich des Sees für gesetwidrig erklärt und der Abg. Dr. von Bennigsen jabe einen großen Theil der Entscheidungen des Bundesraths bezüglich des amt- lien Waarenverzeichnisses für mit dem Geseß s{hlechthin unvereinbar erflärt. Das neue amtliche Waarenverzeichniß habe er gar nicht be- mängelt. Gegen eine Bemerkung des Staatssecretärs müsse er ent- schieden Verwahrung einlegen. Er meine, daf, wenn die Geschäfts- leute si darüber beflagten, daß sie bei den Zollämtern eine Auskunft erbielten, die sväter in den Entscheidungen der höheren Instanzen nicht aufrecht erhalten würde, man leiht den Hauptämtern verbieten fönnte, cine Auskunft zu geben. Dagegen ließe \sich formell nichts einwenden. Materiell aber würde dies zu einem Zustande von NRechtlosigkeit führen. Der Staatss\ecretär wolle jede Frage hier beantworten. Wie aber, wenn bei Jnitiativanträgen aus dem Hauje überhaupt kein Mitglied des Bundesraths erscheine ?

Staatssecretär Freiherr von Maltahn:

Nur in zwei Beziehungen bin ih gezwungen, dem Herrn Vor- redner zu antworten. Der Herr Vorredner hat eine Aeußerung von mir miß- verstanden, wenn er gemeint hat, ih hätte gesagt, wenn man darauf bestehe, der Auskunft, welche ein untergeordnetesHauptzollamt inZollsachen ertheile, eine entscheidende Bedeutung beizulegen, so werde es ein leichtes Aus- funftsmittel sein, die Auskunftsertheilung zu verbieten. So war meine Aeußerung nicht, sondern ih habe gesagt, daß ih mit maß- gebenden Persönlichkeiten aus der Königlich preußischen Zollverwaltung über diese Frage Rücksprache genommen habe und dort die Auskunft erhielt, wenn man verlange, daß die irrthümlihe Entscheidung einer unteren Zollinstanz bindend sein solle für die oberen úInstanzen, so würde man damit die Zollverwaltungen zwingen, ein derartiges Verbot auszusprehen. Das habe ich gesagt.

Der zweite Punkt, über den ih mich zu äußern habe, ist der folgende. Der Herr Abgeordnete hat zur Unterstüßung und zum Be- weise der von ihm wiederholten Behauptung, daß der Bundesrath gesetzwidrig verfahren sei, sh berufen auf einen Beschluß des RNeichs- tags, welcher in einem einzelnen Falle die von dem Bundesrath ge- troffene Auslegung der Gesetze als falsch bezeihnet habe. Dem gegen- über habe ich zur Wahrung der Stellung des Bundesraths hier aus- drücklich darauf aufmerksam zu machen, daß der Reichs- tag verfassungsmäßig zur ‘alleinigen authentishen Inter-

pretation der Reichsgeseze nit berufen ift und daß der Bundesrath verfassungsmäßig berufen, berechtigt und- verpflichtet ist, die Reichs- geseze nah seinem besten Wissen zur Anwendung zu bringen. (Sehr

wahr! rechts.)

Abg. von Schalscha (Ceuntr.): Er sei nach wie vor der Meinung, daß der Petroleumfaßzoll ein ungeseßmaäßiger fei; dieser Zustand scheine ihm aber noch erträglih gegenüber demjenigen, daß ein Importeur, der auf Grund einer amtlichen Auskunft seine Ein- fuhrgeschäfte «dgr Ly habe, nah Jahren vielleicht dur die Nach- liquidationen der Zollbehörde in die größten Schwierigkeiten gestürzt werde. In dicser Hinsicht müsse er dem Abg. Broemel durchaus bei- pflichten. / f E :

Abg. Büsing (nl.) verwahrt sih als Vorsitzender der Petitions- commission gegen die Ausführung des Abg. Freiherrn von Stumm. Die Commission habe niemals eine Petition ohne Angabe von Gründen abgewiesen. Jede Petition werde motivirt entshieden. Jn Bezug auf die Behauptung, daß es der Petitionscommission vielleicht an Verständniß für die Schwierigkeiten fehle, in welchen sich die Zoll- verwaltung zuweilen befinde, fei zu constatiren, daß die Mitglieder mit großem Fleiße, außerordentlicher Sachkenntniß und großer Treue in dieser längen Session gearbeitet hätten; er appellire an das Haus, ob die Arbeiten der Commission Sachkenntniß und Verständniß ver- missen ließen. In der Petition der Dortmunder Union habe die Commission auch cinen großen Erfolg erreich. |

Abg. Freiherr von Stumm (Nv.) bleibt dabei, daß die Reichstags- majorität über die Motive ihrer Abstimmung den Petenten feine Auskunft gebe. i

Ein Vertagungsantrag wird abgelehnt. i:

Abg. Men zer (deutschconî.) begründet feinen Antrag auf Erhöhung des Tabackzolls mit der Nothlage der Tabackbauern. Wenn auch in manchen Districten der einheimische Tababau vielleicht noch lohnend sei, fo gelte das nit von der Allgemeinheit, die vielmehr die Nothlage sebr stark empfinde. Wie sehr der ausländische Taback dem inlän- dischen Concurrenz mache, davon seien cin Zeugniß die von ihm auf den Tisch des Hauses niedergelegten Cigarren. Beim Import aus- ländisben Tabaks werde der ganze Zollsay bei der Preiscalculation auf das Blatt geschlagen. Die Nippen würden ausgelöst und, da für sie fein Zoll berechnet sei, für den geringen Preis von 20 M. für den Doppelcentner verkauft. Die Ripven würden dann gewalzt und für fich zu Cigarren verarbeitet. So seien die auf dem Tisch liegenden Cigarren hergestellt und fie seien sehr rauchbar. Bei einer solchen Concurrenz müsse der inländische Tabak durch cinen höheren Zoll geschüßt werden, und er bitte daher um Annahme des Antrags.

Um 53/,* Uhr vertagt das Haus die weitere Berathung auf Mittwoch 12 Uhr.

Kunst und Wissenschaft.

4+ Nachdem die Aquarellmalerei in Deutschland längere Zeit als Dilettantentehnik mißachtet war, hat sie neuerdings 1ns- besondere von Seiten der modernen Imprefsionisten eine enthustastische Wiederaufnahme erfahren. Es hat großes historisches Interesse, die Entwicklung der modernen Wasserfarbenmalerei von ihrem Stamm- lande England über Frankreich, Jtalicn und Spanien zu verfolgen. Deutschland {ließt sich dieser Entwicklung verhältnißmäßig spät an. Schwind, der zarte Märchenmaler, hat fich die Errungenschaften Turner's noch kaum angeeignet, E. Hildebrandt, der Maler exotischer Naturphänomene, lernt in der Schule Jfabeys in Paris und beschränkt sich im wesentlihen auf landschaftliche Vor- würfe, Passini s{ließlich muß troß feiner deutschen Herkunft und feines deutshen Lehrers Karl Werner zu den FJtalienern gerechnet werden. Eine von den Werken dieser älteren deutschen Aquarellisten durchaus abweichende Physiognomie zeigen die Arbeiten, welche die Vereinigung deutscher Agquarellisten augenblicklid in dem oberen Geshoß der Kunsthandlung Amsler und Rut- hardt ausgestellt hat. Es ist der Impressionismus, in dessen Dienste diese Künstler die Wasserfarbentechnik gestellt haben. Nicht die farbenglühenden Herrlichkeiten des Orients und der italienischen Landschaft, sondern die von Scenebeln geschwängerte Atmosphäre Hollands, das Volksleben der dortigen Schiffer und Fischer und die moderne Wirklichkeit des Straßen- und Salonlebens treten uns au! diesen Blättern, die an Umfang oft mit großen Delbildern wetteifern, ent- gegen. Damit ist die völlige Selbständigkeit der Technik auch in Deutschland proclamirt. Der „Mondaufgang an der holländischen Küste“, den H. von Bartels z. B. gemalt hat, giebt sih durchaus als ein abge- \{lossenes Gemälde, auf dessen Stil die Ausführung in Wasserfarben faum noch einen Einfluß ausübt. Freilich läßt sich die Einheitlichkeit des Gesammttons nicht ganz so festhalten, wie in der Oelmalere!; vielfa ‘begegnen uns unvermittelte fleckige Localtöne. Aber ihre Leuchtkraft vermag es durchaus mit der Oelmalerei aufzunehmen. Von der Höhe der Dünen blicken wir in die engen Dorfgasjen hinab, über deren Dächer sich die wuchtigen Baumassen einer Kirche erheben. Ueber der glatten Meeresflähe steigt langsam die blasse Scheibe des Mondes empor. Die Spâätnachmittagsstimmung eines Sommer- tages ist trefflich wiedergegeben, die Rauchschichten, die wolken- artig über den Häusern lagern, mischen sih mit dem Silber- glanz des Seenebels zu einem wirkungsvollen Gefammtton. Vorzüglich gelungen ist ‘demselben Künstler auch die Vertiefung des Naumes, das Zurütreten der landschaftlichen Hintergrundmaften in der kleinen Studie „Martje im Garten“. Feiner durchgeführt und auf zarteste Töne gestimmt erscheint das Schleusenbild aus dem nord- holländischen Inselstädthen Zaanredam. Das Interieur einer Fischer- itube mit der Gestalt einer Greisin am Kamin, als „Wittwe“ be- zeichnet, wirkt in den Localfarben für eine Innenscene etwas zu hart und trocken. Die Poesie des Innenlichtes läßt sih in Wasserfarben eben «\chwerer wiedergeben als in Oelfarben. Sehr leuhtend und farben- kräftig ist die von den leßten Strahlen der Nachmittagssonne beschienen? Felsfüste von Ancona auf Rügen. Hans Herrmann zeigt, wie ja au von älteren Ausstellungen her schon hinlänglich bekannt, etne ungemein geschickte und sichere Hand in seinen, meist holländishe Veduten wiedergebenden Aquarellen. Der silbergraue Nebelton der holländischen Atmosphäre ist namentlih gut getroffen in dem SiGmare, zu Amster- dam. Herrmann verzichtet meist auf allzu derbe Gegensäße und spinnt dafür die feineren Stimmungen in überaus zierlicher Weise in Land- \chaftsbildchen aus. Besonders seien der Trödelmarkt und cine Wind- mühle in Amsterdam hervorgehoben. Eine Ansicht von Dortrecht. ilt kräftiger und schärfer accentuirt, eine echt holländische Breite des Vor- trags fällt hier besonders vortheilhaft auf. ; Franz Skarbina;, unermüdlih thätig, hat zu der Ausstellung eine erlesene Reibe von Bildern beigesteuert. Am weitesten wagt k ih auf dem Gebiet der Tonmalerei vor in ciner abendlichen Jnnen- scene „unter vier Augen“: Zwei elegante schlanke Frauengestalten 11 einem reich ausgestatteten, von gelbverhängter Lampe erhellten Salon. Das Lichtspiel der Lampe und einer zweiten Lichtquelle verursacht ein Flirren und Schwingen der Farbentöne, vor dem keine este Localfarbe estehen kann. Alles löst sich in schillernde Neflexe und Lafúrén auf. Aber

wie meisterhaft sind die beiden aen O Raum gestellt,

wie zart die Blumen in der links auf dem Tisch stehenden Vase hin-

gehauht. Der zwischen rosa und violett s{wingende Gesammtton ist

etwas vordringlih und niht neutral genug g die einzelnen Farben u

natürlich zu vermitteln. Sehr frisch in Luft- und Lichtstimmung ist der Waldweg aus dem Böhmishen Wald mit weiblicher Staffage. Ebenso das Bildhen „Nachmittagsstunde“, welches sehr warm in der Farbe wirkt, ein Karlsbader Motiv, wie die Caf® scene „im Posthofe“, zu dessen Fensterscheiben die grünen Bäume del Some hereinblicken. Weniger geistreih und etwas _stumpf s on erscheint uns der „Berliner Weihnachts markt“, ein Straßenbild von vielen dicht gedrängten Figuren. S : Eine kleine Landschaft von Mar Frit paßt in dieje inodern gestimmte Umgebung kaum hinein, es müßte denn fe man a einem Beispiel zeigen wollte, wie man vor etwa zwanzig ahren 1 Deutschland in Wasserfarben zu malen verstand.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

X 60.

Berlin, Mittwoch, den 9. März

1892.

O A

Preußischer Laudtag. Haus der Abgeordneten. 97. Sizung vom Dienstag, 8. März.

i

Der Sihung wohnt der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlig bei. i Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Berathung des Etats des Ministeriums der geist- lichen, Unterrihts- und Medizinal-Angelegenheiten. Die Ausgaben für die Provinzial-Schulcollegien, mit Ausnahme der Gehälter der Provinzial-Schulräthe werden genehmigt ; cbenso ohne Debatte die Ausgaben für die Prüfungscommissionen. E :

Es folgten die Ausgaben für die Universitäten. Die Universität Königsberg erhält einen Zuschuß von 804 803 M (6200 6 mehr als im laufenden Etat). E

Abg. Dr. Friedberg (nl.) spriht seine Befriedigung darüber aus, daß verschiedene der von ihm im vorigen Jahre gegebenen An- regungen auf fruchtbaren Boden gefallen seien; so fei dem Etat eine Uebersicht der Stiftungsfonds b Ägegeben. Nicht einverstanden fei er damit, daß die Aenderung der Zweckbestimmung einer Professur ohne Zustimmung des Landtags erfolgen könne; mindestens müsse dem Undtage davon Kenntniß gegeben werden. Für die Professoren sollte ebenfalls das System der Dienstalterszulagen eingerichtet werden; es sei erfreulih, daß die Regierung darüber Erwägungen anstelle.

Abg. von Meyer- Arnswalde (b. k. F.): Er habe in der Zei- tung gelesen, daß die Bonner Corps an den Rector eine Adresse gerichtet hätten, ste würden nah dem 3. März und vor dem 25. April Collegien nicht besuhen. Wenn das der Fall scin sollte, so würde das ein Exceß der Naseweisheit sein.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenhé.ten Graf von Zedlitz:

Von der erwähnten Thatsache ist mir nichts bekannt: ih muß deshalb auch mein Urtheil zurückhalten, bis ich Bericht eingezogen haben werde.

Was die Frage der Ferienordnung betrifft, so wird den meisten Herren bekannt sein, daß hierüber seit einer längeren Reihe von Jahren Verhandlungen schweben. Sie sind augenblicklich in dem Stadium, daß im Ministerium erneut unter Zuziehung verschiedener Herren von den Universitäten Vorschläge in concreter Form gemacht worden sind und daß diefe Vorschläge jeßt den einzelnen Universitäten zu einer gutahtlihen Aeußerung vorgelegt sind. Ein Definitivum gegen die bisherige Ordnung is zur Zeit noch in keiner Weise ge- troffen, und es freut mi, daß ich Ihnen dies habe mittheilen fönnen, «weil ih gerade von den Universitätskreisen den Eindruck ge- wonnen habe, daß man vielfach glaubt, diese vorläufigen Verhand- lungen sollten schon eine definitive Neuregelung der Sache bedeuten.

Bei den Ausgaben für Berlin (Zuschuß 2101 000 M, 27 400 6 mehr als im laufenden Etat) empfiehlt

Abg. Dr. Lotichius (b. k. F.) neben der Anstellung eines Prä- parators beim zoologischen Museum, die jeßt in Ausficht genommen sei, die weitere Anstellung eines Custos. /

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Althoff verspricht die Sache in Erwägung ziehen zu wollen und weist auf die Thätigkeit des 1887 gegründeten Orientalischen Seminars hin, das niht nur Schüler aus- gebildet, sondern auch Lehrbücher herausgegeben habe; er empfiehlt die Annahme der Mehrausgaben für dieses Seminar.

_ Abg. von Eynern (nl.): Die Städte, welhe Universitäten bâtten, zögen davon großen Nußen; für Berlin allein würden zwei Millionen Mark aufgewendet, aber troßdem seien manche Institute in s{lechtem Zustande. In Fraukreih seien seitens der Gemeinden erheblide Aufwendungen für die Universitäten gemacht worden; auch mande deutsche Universitätsstadt erkenne es als eine Ehrenpflicht an, für ihre Universität zu sorgen. So hätten Straßburg, Leipzig, Breslau, Kiel erhebliche Ausgaben geleistet. Aber Berlin thue nichts, sondern empfange noch Wohlthaten von den Universitätéeinrihtungen, die er auf 600 000 M berechnet habe. Hoffentlich erinnere sih die Stadt Verlin ihrer Pflicht, wenn es si cinmal um die Verlegung der Charité handeln sollte. i

Abg. Dr. Langerhans (dfr.) hält es nicht für richtig, daß der Regierung die Beseßung der Professuren na ihrer Erledigung nah Belieben freistehe; der Landtag habe die Zweckbestimmung ge- billigt, eine Aenderung müsse ihm ebenfalls unterbreitet werden. Verlin sei die größte Universität, deshalb brauche es den größten ouschuß und die größten Sammlungen. Paris solle so viel Geld für die Universität bewilligen: es empfange aber alljährlich aus Staats- mitteln erheblihe Zuschüsse. Berlin habe felbst Krankenhäuser errichtet: daß es feine Kliniken halte, sei selbstverständlih. Daß Verlin in der Charité Freibetten habe, beruhe auf eingelieferten

Kapitalien. Warum werde für das pathologische Institut und feine Sammlungen kein Neubau errichtet? Die Sammlung sei die beste der Welt, aber sie sei untergebracht in dem Keller und auf dem Foden eines baufälligen Gebäudes. Das“ Institut müsse in der Nähe der Krankenhäuser bleiben, wo es sich befinde. Man möchte wohl gern an einer anderen Stelle bauen. A i L Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Alt hoff: Es gebe zwei Arten Profesfuren: die Professuren nah dem Normaletat aus den vierziger Jahren, die freien Professuren und - die gebundenen Prv- le}suren, die naher mit bestimmter Zwekbestimmung bewilligt worden

seten. In Bezug auf die leßteren sei die Regierung für alle Zeit ge- -

bunden; die freien Professuren könne aber die Regierung anderweitig benuzen, wie es die Lage der betreffenden Universitäten verlange. enn diese Freiheit nicht vorhanden wäre, würde manche Mehraus- gabe entstehen. Was der Abg. von Eynern gesagt habe, richte sich an die Stadt Berlin; er wünsche nur, daß es dort sympathische Auf- nahme finde. Die Ausgaben für Universitäten seien sehr gering be- messen; sie betrügen in Preußen 0,36 4, in Baden z. B. 0,74 A. pacölglich des pathologischen Instituts stimme er dem Abg. Langer- ans zu; es sei bedauerlih, daß die Sammlungen desselben nicht genügend benußt werden könnten. Hoffentlih werde die Baufrage demnächst einer Lösung zugeführt werden. 6 i : all bg. Dr. Friedberg (nl.) bleibt dabei, daß die Regierung in ei m an die Zweckbestimmung der Professuren gebunden . Geheimer Ober-Finanz-Nath Germar bezeichnet das als un- möglich und finanziell bedenklich. : ¡rae Abg. Dr. Meyer: Wenn die Regierung an die Stadt Berlin gend welche Anforderungen habe, so werde sie diese wohl auf dem d lichen schriftlihen Wege geltend machen, nicht auf dem Umwege über das Abgeordnetenhaus durch den Abg. von Eynern. Die Stadt S häbe Aufwendungen für die Universitätskliniken gemacht ; sie selle ihre Krankenhäuser d ern für wissenschaftlihe Zwecke zur Fe agung und brauche für ihre Krankenpflege, besonders bei der rmenpflege, die Klinifen nicht. ; für ug: Dr. Seelig (dfr.) befürwortet eine erhöhte Unterstüßung "Ur das Mufeum der landwirthschaftlichen Hochschule.

Abg. Dr. Krovatscheck (cons.) weist darauf hin, daß in Frank-

reich die Gemeinden den Universitäten große Zuwendungen machten. Die Charité fei vom König Friedrich Wilhelm T1. gestiftet, ohne Aufwendungen seitens der Stadt Berlin, welche troßdem eine er- beblihe Anzahl von Kranken dort verpflegen lassen könne.

__ Abg. von Eynern (nl.): Nicht im Auftrage der Regierung, fondern aus eigener Initiative habe er die Sache zur Sprache ge- bracht und werde wohl noch mehrfach Gelegenheit zu ähnlihen Aus- lassungen haben.

Nbg. Dr. Langerhans (dfr.): Wie sollten denn die Zu- wendungen gemacht werden? Solle Berlin den Universitäten oder der Regierung ein Geldgeshenk machen? Die französishen Ge- meinden zahlten, weil ihre Kranken in den Kliniken unentgeltlich verpflegt würden, Berlin müsse bezahlen. Allerdings könnten beilbare Geistesfranke in der Charité unentgeltlih untergebracht werden. Aber Berlin möchte dies Verhältniß aufheben; denn wenn ein Geistesfranker sich nach 6, 8 Wochen als unheilbar erweise, müsse Berlin für jeden Tag 3 # nachbezahlen. Redner bittet, den Neubau des pathologishen Instituts zu beschleunigen.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlißt:

Meine Herren! Die Staatsregierung erkennt vollständig an, daß die Charité in ihren jeßigen äußeren Verhältnissen nicht mehr den- jenigen Anforderungen entspricht, welche die heutige Zeit an ein mustergültiges Krankenhaus und vor allen Dingen auch an große Lehrinstitute auf medizinishem Gebiete stellen muß. Diese Einsicht hat schon seit einer längeren Reihe von Jahren, insbesondere aber seit dem vorigen Jahre zu der Ueberzeugung geführt, daß energische Stritte zu einer Verbesserung angebahnt werden müssen, und ih habe mich mit meinem Herrn Collegen von der Finanz bereits im Anfange vorigen Jahres zu einem einleitenden Schritt nach dieser Richtung hin vereinigt. Es i} eine vorberathende Commission eingeseßt, welche die Frage prüft. In der Commission sind Sachverständige jeder Art vertreten, und ih hoffe, daß die Entwickelung dieser Ar- beiten eine günstige sein wird. Ich muß allerdings zugestehen, daß eine sole Frage von heute auf morgen nicht zu lösen ist; es con- currirt dabei eine so große Zahl der allerwichtigsten und leider zum Theil sich widersprehendsten Interessen, daß es außerordentlich schwierig ift, die richtige Entschließung, die ja auf einer gewissen Mittellinie zu suchen fein wird, zu finden.

Ich darf nur die Plaßfrage erörtern. Nach verschiedenen Nich- tungen hin würde man ja glauben können, daß es das einfahste und empfehlenêwertheste sei, auf der jeßigen Stelle der Charité eine neue bau- liche Einrichtung zrwoeckmäßiger Art zu treffen. Das empfiehlt sih nach anderen Nichtungen hin nicht. Ich erwähne nur allein das finanzielle Inter- esse. Das Land würde genöthigt sein, eine sehr bedeutende Summe, viele Millionen neu auszugeben. Löst man die Baup laßfrage dagegen in der Weise, daß man die Charité mit denjenigen Instituten hinaus- verlegt, welche von dem Mittelpunkt der Stadt und von dem Mittel- punkte des medizinishen Unterrichtes hinausverlegt werden können, fo würde sich die Nechnung voraussichtlih so stellen, daß man muster- gültige Kranfenhäuser erbauen kann, ohne die Staatsfinanzen in irgend einer Weise zu belasten. Ich meine, die Erwägung dieses Umstandes ist von einer solchen Bedeutung, daß Sie mir gewiß Recht geben werden: die Staatsregierung darf sih bei der endgültigen Ent- \ch{ließung nicht überstürzen.

Es fommt ferner hinzu, daß die nabe Verbindung, in welcher die Charité mit der Universität steht, auch die Interessen der Kranken, der leidenden Bevölkerung in Berlin bezüglich der Aufnahme und des Verkehrs aufs engste berührt, und daß auch diese Frage Erwägungen der allerernstesten Natur erfordert.

Also, meine Herren, die Staatsregierung ist sich bewußt, daß sie vor einer Aufgabe steht, die nah jeder Richtung hin der Erwägung werth if und einer neuen Regelung zugeführt werden muß, und die gleichzeitig Eile hat. Sie wird alles daran seßen, um diese Aufgabe den Interessen sowohl des medizinischen Unterrichts, wie der Stadt Berlin, wie überhaupt der Humanität im allgemeinen entsprechend zu lösen.

Fch komme nun noch mit zwei Worten auf die Uebelstände des patbologishen Instituts und der dort untergebrachten Sammlungen zurück. Ich fann nur wiederholen, was mein Herr Commissar gesagt hat: die Uebelstände sind vorhan- den, die Sammlungen sind von dem größten Werth. Schon die Nücfsichtnahme auf bedeutende Namen in der Wissenschaft, die si mit diesen Sammlungen und diesem Institut verknüpfen, würde die Staatsregierung beeinflussen müssen, bald eine würdigere Stätte für das wichtige Institut zu finden. Aber man ist der Meinung gewesen, und gerade aus den Gesichtspunkten heraus, die der Herr Abg. Langerhans - in seiner ersten Rede hervorgehoben hat, daß das pathologishe Institut aus inneren Gründen gar niht getrennt werden fann von dem großen Complex der Kranfenanstalten, der Klinifken felbst, daß die Frage der anderen

Unterbringung des pathologischen Instituts absolut vertagt werden

müßte, bis die Hauptfrage entschieden wäre: wo und in welhem Um- fange kommen die neuen Krankenanstalten zur Erbauung? Aber ih will mir die Anregung, die heute in diesem hohen Hause gegeben ift, erneut zu ciner Mahnung werden lassen, wenigstens für die Zwischen- zeit, mit Nücksicht auf die ganz bedenklihe Baulage des Hauses, ein Interimisticum zu schaffen. Versprechen kann ih nichts; ih kann nur versprechen, daß ich diese Frage mit Ernst prüfen und sie einer günstigen Negelung nah der Bedeutung, die ihr beikommt, entgegen- zuführen mich bemühen werde.

_ Abg. Mooren (Centr.): Es sei eine Anomalie, daß die Uni- versitäten vom Staate allein unterhalten würden, besonders in Berlin, während die anderen Städte 4e Ord Gymnasien allein aufkommen müßten; au für die technische Hochschule in Aachen habe die Stadt auffommen müssen. Für Lehrerseminare, für Gerichtsgebäude, ja für die Einrichtung von in der Reichsbank habe man manchen Städten im Westen erheblihe Opfer angesonnen.

_ Abg. Dr. Hermes (dfr.): Die Anregungen des Abg. von Eynern seien an die falsche Adresse gerichtet; denn Berlin könne doch auch aus freien Stücken etwas anbieten; wenn etwas auf diesem Ge- biete versäumt sci, so liege die Schuld an der Regierung. Uebrigens shwebten Verhandlungen zwischen der Regierung und der Stadt Berlin, die vielleiht dem Abg. von Eynern befriedigen würden.

Abg. Dr. Meye r: Bezüglich der Charité bleibe es dabei, - daß Friedrich Wilhelm 1. ein für Krankenpflege angesammeltes Kapital ge- nommen und dafür Freistellen als Entschädigung gewährt habe. Redner empfiehlt \{ließlich eine bessere Heizung des Hygienischen Museums. j

Abg. Graf zu Limburg-Stirum: Die Berliner seien in einer bequemen Lage. Gewisse Sammlungen und Einrichtungen fönnten nur nach Berlin gelegt werden. Deshalb brauche die Stadt ih nicht besonders darum anzustrengen. Daß Berlin bei den Po- lizeikosten bisher sehr gut weg gekommen sei, stehe fest. Daß es troy aller Aufwendungen mit 100 %/9 Corfimunälsteuer ausgekommen sei, beweise- einmal, daß eine strengere Einshäßung stattgefunden habe, als z. B. in den rheinishen Städten, ferner aber auch, daß Berlin wohl in der Lage sei, mehr zu leisten für Universitäts- institute 2c.

Abg. Moooren (Centr.): Im Westen könne man nicht mit 100 9% Communalsteuern auskommen, deshalb verließen die reichen Leute die Städte des Westens und gingen nah dem billigen Berlin. Daß die Städte im Westen vielleiht zu niedrig eingeshäßt hätten, liege daran, daß ein lâstiges Eindringen in die Verhältnisse bisber ausge- schloffen gewesen sei.

Abg. Dr. Hermes (dfr.): Der Vorredner habe wohl die Ber- liner Miethbs\teuer vergessen, welche neben den 100% Gemetinde- steuern zu zahlen fei.

An Ausgaben für Breslau werden 911350 s, 19 370 4 mehr als im laufenden Etat, verlangt.

Abg. Dasbach (Centr.) fragt an, weshalb Professor Weber nit mehr lese, sondern in Bonn sich aufhalte.

Geheimer Ober-Negierungs-Rath Dr. Althoff erklärt, daß Professor Weber als Altkatholifk durch einen anderen, nach gewisser Seite einwandsfreien Professor der Philosophie erseßt fei. Da man dem Professor Weber seine Rechte genommen und er in Breslau nichts mehr zu thun gehabt habe, habe sein Wunsch, ihn von feinen Verpflichtungen zu entbinden, nicht abgeshlagen werden können.

Für Studirende deutscher Herkunft, welche später in den Provinzen Westpreußen und Posen und im Regierungsbezirk Oppeln verwendet werden, sind 100 090 # ausgeseßt.

Abg. von Czarlinski (Pole) empfiehlt die Streichung dieses Fonds, der eine ungerechte Bevorzugung der Deutschen sei.

Der Titel wird gegen die Stimmen der Polen genehmigt.

Beim Kapitel 120: Höhere Lehranstalten, Titel 1, Zahlun- gen infolge rehtliher Verpflichtungen, geht

Abg. Dr. Gra f- Elberfeld (nl.) auf die Schulreform ein. Zufrieden seien mit den neuen Lehrplänen die lateinlosen Ober-Real- schulen, unzufrieden die Vertreter des Baufachs. Die lateinlosen An- stalten sollten zum Studium der Mathematik berechtigen. Damit fei cine Bresche gelegt, die schließlich zur Gleichberehtigung der ver- schiedenen Arten der Vorbildung führen werde. Damit {winde dann die gleihmäßige Vorbildung für die Universitäten. In der Prüfungsordnung sei ein Compromiß abges{lossen. Die Ver- treter der klassishen Bildung bedauerten die Verminderung des Unter- rihts in den flassishen Sprachen. Aber es habe sich ja darum ge- handelt, die Ueberbürdung der Schüler zu beseitigen und die Gesund- heitspflege, Turnen, das Deutsche und die vaterländische Geschichte mehr in den Vordergrund zu drängen. Daß der Sprachunterricht mehr die Lectüre berücksichtigen werde, sci zu hoffen. Specielle Ein- wendungen bätten sich erboben gegen das Zwischeneramen, zu welchem die Militärverwaltung, der Einjährig - Freiwilligen wegen , den Anstoß gegeben habe. Es habe damit ein Abschluß erreicht werden sollen für diejenigen, welche nur die unteren sechs Klassen der Schule besuchten. Das Bedenken, daß die Gesundheit der Schüler ges{hädigt werde, werde auf die Schüler, die nah Ab- folvirung der sechsklassigen Schulen ein Examen machen müßten, ebenfalls zutreffen. Das Examen solle nur ein Verseßzungs- eramen sein, bei welchem meistens der Director als Staatscommisjar fungiren werde. Eine Reform sei bei den Realgymnasien am noth- wendigsten gewesen; deren Vertreter seien ja auch wohl damit jeßt einverstanden: In dex Petition der Herren Dr. Lañge und Genossen sei die Einheits\hule als letztes Ziel gefordert worden. Sie solle die Ueberfüllung der gelehrten Berufe verhindern und die Ueberbürdung verhüten. Die Ueberbürdung könne doch nur in den unteren Klassen verhindert werden, in den oberen Klassen würde sie um so stärker sein. In Deutschland sei die Einheits- \chule niht ausreichend vertreten; in Shweden und Norwegen sei sie vorhanden, aber die Ueberfüllung der gelehrten Berufe fei dort auch vorhanden, und zwar werde sie gerade auf die Einheitsschule zurück- geführt. MNedner schildert dann eingehend die Reformbestrebungen in Norwegen und die dortigen Pläne für die Zukunftëschule, welche der flassishen Bildung den Todes\toß verseßen würden, nur zu Gunsten der Einheits\chule. Man müsse jeßt auf eine Zeit. der Ruhe, oder wenigstens des Waffenstillstandes hoffen. Diejenigen, die an der Sache mitgewirkt hätten, hätten sich böse Worte sagen lassen müssen: An- passung an die Worte des Kaisers, Dilettantismus und Byzantinis8mus. Solche Vorwürfe müsse er zurückweisen. Die Mitglieder der Schul- fonferenz seien nur bemüht gewesen, die theuersten Güter, die guten preußischen Schulen, zu erhalten.

Abg. von Schenckendorff (nl.): Die Reformbestrebungen seien nit ausgegangen von den Schulmännern, sondern mehr von den Männern des praktischen Lebens. Man müsse es anerkennen, daß ein großer Theil der laut gewordenen Wünsche erfüllt, oder ihre Erfül- lung wenigstens angebahnt sei.- Ein vorsichtiges Vorgehen sei gerade auf diesem Gebiete nothwendig: eine radicale Umänderung habe nicht erfolgen können, man habe fh auf den Boden des historisch Ge- wordenen stellen müssen. Preußen habe neben 480 Latein treibenden Anstalten nur 60 lateinlose. Die Folgen seien, daß die Lateinschulen überlastet seien, daß die Zahl der Studirenden sich vermehre; für den Mittelstand werde aber nicht die Bildung geschaffen, die er brauche. Die Gegner der Einheitsschule sollten einmal Vorschläge machen, wie man dieser falschen Entwickelung entgegen treten könne. Van müßte den Versuh machen, die Gymnasien und Nealgymnasien mit den Ober-Realshulen in Verbindung zu bringen; an die untersten drei Klassen müßten sih möglichst drei weitere Klassen einer Ober- Nealschule anschließen, in welche die Schüler übergehen könnten. Die Schulconferenz habe sich uicht entschließen können, dem Minister einen folhen gemeinsamen Unterbau zu empfehlen, um fo dankens-

werther sei es, daß an einzelnen Orten Versuche damit gestattet würden. Wie stehe der Minister zu dieser Frage? Sollte es sich niht empfehlen, Versuche in allen Provinzen anzustellen? Die Unter- richtsverwaltung habe unter einem gewissen Hochdruck arbeiten müssen, wie selten zuvor; nachdem Seine Majestät seine Zustimmung zu den Beschlüssen der Conferenz gegeben habe, sei eine gebundene Marsc)- route vorhanden gewesen; der Minister habe es verstanden, die Opposition zu vermindern; er (Redner) hoffe, daß das Reformwerk zum Segen des Vaterlandes gereichen möge.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlitz:

Meine Herren! "Ehe ih mit einigen allgemeinen Ausführungen auf das vorliegende Thema eingehe, das die beiden Herren Vorredner in so ausführlicher und wie ich auch dankbar anerkenne objectiver und wohlwollender Weise gegen die Unterrichtêverwaltung angeschnitten

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