1892 / 67 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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bringung eines Kranken auf Grund des Attestes eines Privatarztes e t sei, müsse der Physikus fofort nahher auch sein Gutachten abgeben. r

0 Abg. Dr. Virchow (dfr.): Oeffentliche Anstalten seien nicht in auêreichendem nahe vorhanden, um denen, die noch niht entmündigt seien, ein provisorishes Unterkommen zu gewähren. Man ens damit abfinden müssen, daß Privatanstalten benußt würden. an könne ja diese einer größeren Inspection unterwerfen. Die Zahl der Mißgriffe sei wirklich nicht so groß. Die Erfahrungen des Abg. Stöcker bezögen sich wahrscheinlich auf Zeitungsnotizen; aber es gehe damit wie mit den lebendi Begrabenen. Die Aerzte hätten es si zur Aufgabe gemacht, diesen Nachrichten nahzuforschen, und es habe lg herauëêgestellt, daß fein einziger dieser Fälle sich nachher als wirkli geschehen ergeben habe. Die einzelnen Fälle, bei denen sh Streitig- keiten ergäben, kämen entweder zur gerihtlichen Entscheidung oder zur Entscheidung der Deputation für das Medizinalwesen. Es fei aber niemals festgestellt worden, daß eine Person, die man als geisteskrank erklärt habe, nahher nit als geisteskrank befunden worden sei. Die Kreispbvsiker sollten keine Ahnung von Psychiatrie haben und ihr Urtheil nach Sentiment abgeben. Der Abg. Stöcker müsse sonderbare Erfahrungen gemacht haben. Die Kreisphysiker machten ein besonderes Examen E nach dieser Richtung hin. Ein folcher Vor- wurf müsse von ihm im Namen aller Aerzte zurückgewiesen werden. Die neue Anstalt für Infectionskrankheiten werde reihlih bedacht, aber die Charité befinde sich immer noch auf dem alten Stand- punkt.

Ministerial-Director Dr. Bart\ch: Gegen die Kreisphysiker sei ein \{werer Vorwurf erhoben ohne jeden Beweis. Er habe im Namen des Ministers zu konstatiren, daß an ihn eine Beschwerde in diefer Beziehung niemals gelangt fei.

Abg. Stöcker (cons.): Nicht bloß aus Zeitungsnotizen seien ihm die Fälle bekannt, sondern aus wissenschaftlihen Büchern; er wisse nicht, ob der Abg. Virhow das Werk von Schröder kenne; der führe eine ganze Menge von Fällen an. Solche Fälle seien vielfach gerihtlich konstatirt; er erinnere nur an den Fall Draak. Was er Uber die Kreis8physiker gesagt, habe ihm ein bekannter Irrenarzt selbst mitgetheilt; er müsse bedauern, daß der Vertreter der Regierung sich sofort auf die Seite des Herrn Virchow gestellt habe. Das kurze Cramen fkönne die Kreiétphysiker niht genügend unterrichten. Ein einzelner Arzt solle überhaupt nicht die Macht haben, einen Menschen für geistesfkrank zu erklären. Es müsse eine öffentlihe Verhandlung darüber stattfinden. Niemand sollte in eine Privatanstalt aufgenommen werden , der niht in einer Staatsanstalt für geisteskrank erklärt worden sci. Habe man nicht genug Anstalten, so müsse man solche gründen.

__ Damit {ließt die Discussion. Charité werden bewilligt. : :

Bei den Ausgaben für das Jnstitut für Jnfections- kranftheiten 235405 M4. bemängelt

Abg. Broemel (dfr.) die Höhe der Ausgaben, welche die Aus- gaben für die Akademie der Wissenschaften überträfen und dem Zuschuß für eine Universität, Greifswald, gleih kämen. Angesichts der \{lechten Finanzlage hätte man etwas sparsamer sein können. Redner fragt dann, wie die Versuche der Behandlung mit Tuberkulin

Die Ausgaben für die

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ausgefallen seten.

Geheimer Regierung-Nath Dr. Althoff: Die Gehälter der Assistenten beim Institut für Infectionskrankheiten seien allerdings höher als sonst die Gehälter für folche Beamten. Es liege das daran, daß die Beamten dieses Instituts keine Privatpraxis treiben dürften. Das Institut beschäftige sich niht bloß mit der Tuberkulinfrage, sondern habe viel weitere Aufgaben. Tuberkulin werde jeßt sehr wenig angewendet, deshalb kämen auch keine Berichte mehr ein. Die Re- gierung könne feinen Einfluß darauf ausüben, daß es häufiger ange- wendet werde. Pasteur habe das Mittel als ein unvergleichliches anerkannt und auch in der Thiermedizin habe man dasfelbe verwendet und seine große diagnostishe Bedeutung erkannt.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Das Haus sei bei der Bewilligung für dieses Institut in einer Hurrahstimmung gewesen. Das sei ein Beweis, wie vorsichtig der Landtag bei solhen Bewilligungen fein müsse.

Aba Broemel (dfn): im Landtage, fondern auch geherrscht.

Geheimer Ober-Finanzrath Lehnert: Von Seiten der Finanz- verwaltung sei die außeretatsmäßige Verwendung der Gelder zum Bau diefes Instituts vorgeschlagen worden, weil es sonst nicht möglich gewesen sein würde, die wichtige Entdeckung auszunützen. Die Finanzverwaltung übernehme gern die Verantwortung dafür: das Haus werde bei der Rehnung für 1890/91 sih mit dieser Frage be- fassen können. :

Die Ausgaben werden bewilligt. Darauf wird die weitere Berathung bis 71/5 Uhr Abends vertagt.

Dic Hurrahstimmung habe nicht bloß zum Theil in der medizinischen Welt

34. Sißung vom Mittwoch, 16. März, Abends.

Der Sitzung wohnen der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Graf von Zedlig bei.

Auf der Tagesordnung steht die Fortsezung der zweiten Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1892/93 und zwar E Ministeriums der geistlihen 2c. An- gelegenheiten.

Der Rest des Ordinariums wird ohne Debatte ge- nehmigt, desgleichen die Einnahmen.

Es folgt das Extraordinarium.

Jn Tit. 2 sind zur Aufstellung von Plänen und zu Vorarbeiten zum Neubau eines Domes it Berlin und einer Gruft für das preußische Königs- haus, sowie zur Bestreitung der Kosten für eine zu errichtende Interimskirche für die Ueberführung und Jnstandsezung der in der Domgruft vorhandenen Särge und für den Ab- bruch des alten Domes 600 000 4 ausgeworfen. Die Summe ist „zur Aufstellung von Plänen und zu Vorarbeiten zum Neubau eines Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische Königshaus“ bereits bewilligt. Die Vorarbeiten sind im wesentlichen bereits beendet und es werden von der bewilligten Summe noch 400 000 A verfügbar bleiben. Die Zweckbestimmung der Position soll, wie oben angegeben, er- weitert und der Restbetrag dafür verwendet werden.

Zn Tit. 3 werden zum Neubau des Domes in Berlin und einer Gruft für das preußische An gau als erste Rate einer Summe von 10 Millionen, die in zehn Jahren zur Verwendung kommen soll, 300 000 (6 gefordert.

Die Commission schlägt vor:

1) Tit. 2 unverändert zu bewilligen und Tit. 3 in folgender Fassung anzunehmen:

a. Einmaliger Zuschuß von 10 Millionen zum Neubau des Domes in Berlin und einer Gruft für das preußishe Königshaus, erste Nate 300 000 M;

b. folgenden NRefolutionen zuzustimmen:

1) Das Haus der Abgeordneten erklärt, daß die Bewilligung des t. 3 in der Vorausseßung erfolgt, daß weitere Anforderungen aus taatëmitteln für Zwecke des Dombaus nicht gestellt werden ;

2) das Haus der Abgeordneten nimmt Kenntniß von der Erklä- rung der Königlichen Staatsregierung, daß der Bau von einer der Königlichen Hauésverwaltung untergeordneten Stelle als Bauherr übernommen wird.

Referent Abg. Dr. Sattler (nl.) berichtet über die Verhand- lungen der Budgetcommission, die zur Bewilligung der Forderung und zu den vorstehenden Refolutionen geführt hätten. Die von etner Selte ausgesprochene Befürchtung, daß man mit der Bewilligung

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der ersten Rate \sih für unabsehbare Forderungen engagire, sei von der Kommission nicht getheilt worden.

. Richter (dfr.): Seine Freunde seien nicht in der Lage, für den Dombau Gelder zu bewilligen. Es sei noch niemals für einen einzelnen Kirhenbau vom Landtage ein folcher Betrag bewilligt worden. Die Summe von 10 Millionen betrage das Sechsfache von dem, was sonst aus dem Patronatsfonds jährlih bewilligt werde. Es handele sih hier nicht um die Erhaltung eines alten Baues, fondern um einen vollständigen Neubau. Beim Kölner Dombau habe es sich nur um Subventionen gehandelt, ähnlich sei es bei der Schloßkirche in Wittenberg gewesen. Es handle si hier au nicht um die Befriedigung eines kirchlihen Bedürfnisses. DieVoraussetung des Kaisers Friedrich, daß die Domgemeinde so wachsen werde, daß um deswillen ein neues Gebäude gebaut werden müsse, sei eine irrige gewesen. Der Dombau könne Zus einem Mangel an Kirchen nicht bat denn die Siß- pläße, welhe der Dom haben werde, reihten nit für die Bevölkerung aus, um welche sih die Einwohner Berlins in vier Wochen vermehre. Man könne ein kirchliches Interesse unter Umständen anerkennen, aber das liege hier nicht vor. erade bei der heutigen Finanz- lage müsse es Bedenken erregen, wenn hier 10 Millionen aufgewendet werden sollten. Er hätte dem Finanz-Minister dieser Forderung gegenüber gern den Rath gegeben: Landgraf, werde hart! Wenn aber der Landtag einmal folche Mittel gewähre dann müsse er auch das Recht haben, bei den Plänen und der Aus- führung mitzuwirken. Nun komme hinzu, daß die Ansichten über den Raschdorff’shen Entwurf sehr getheilt seien. Es würde das richtigste gewesen sein, wenn das Kronfideicommiß den Bau übernommen hätte, anstatt die Steuerzahler in Anspruh zu nehmen. Im vorigen Jahre hâtten auch die Conservativen und das Centrum nur sieben Millionen bewilligen wollen. Was habe sih denn seitdem geändert? Die Finanzlage fei eine \{lechtere, und angesihts diefer und der ganzen wirthschastlihen Verhältnisse könne seine Partei die Verantwortung für diese Belastung der Steuerzahler niht übernehmen.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (cons.): Der Vorredner habe das monarchishe Gefühl vergessen. Seine Partei wisse, daß sie Widerhall im ganzen Lande finde, wenn sie eine Pflicht der Pietät erfülle. Habe doch selbst ein Parteigenosse des Vorredners, der in hervorragender Stellung sei, erklärt, daß er als monarchisch gesinnter Mann noch mehr als 23 Millionen für ein folches Project bewilligen werde. (Hört! hört! rechts.) Er gebe zu, daß das Project anfechtbar sei, so wie es vorliege, aber die Entscheidung liege an anderer Stelle. Seine Freunde würden, wenn das Project fo ausgeführt werde, es weder anerkennen noch die Verantwortung übernehmen. (Hört! hört! links.) Nachdem versichert sei, daß eine dem Königlichen Hause unter- geordnete Stelle als Bauherr fungiren werde, seien sie hinsichtlich der finanziellen Bedenken beruhigt. Sie hätten darin eine Garantie, daß Mehrforderungen nicht an das Haus herantreten würden. Er wolle hoffen, daß, wenn der Bau vollendet sei, alle mit Befriedigung darauf blicken würden. (Beifall.)

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.): Die Dombau- frage shwebe hon seit 1877. Seine politishen Freunde hätten stets denselben Standpunkt eingenommen. Im Jahre 1875, als es \sich um eine Fürstengruft gehandelt habe, habe Abg. Windthorst erklärt, daß seine Partei für die Forderung stimmen werde mit Rücksicht auf den Wunsch des Kaisers und aus Pietät Air Friedrich Wilhelm I1V. Aehnliche Erklärungen feien 1889 und 1890 vom Abg. Windthorst und Abg. Freiherrn von Huene abgegeben worden, wonach sie es nicht für richtig hielten, den Staat zum Bauherrn zu machen. Als die Frage in diesem Jahre von neuem herangetreten fei, habe das Centrum diese gewissenhaft geprüft und sih unter gewissen Voraussetzungen dafür erklärt, daß nämlich der Staat niht der Bauherr sein solle, weitere Anforderungen an Land und Haus nicht herantreten sollten, sowie daß sih das Haus der Einmischung in die Ausführung des Baus enthalten folle. Nachdem diese Wünsche in Erfüllung gegangen, habe er namens seiner Partei zu erklären, daß sie die Forderung be- willigen werde, und zwar aus ganz besonderen Rücksichten der Pietät. Der Vorwurf des Abg. Nichter, daß das Centrum seinen Standpunkt geändert habe, sei nah diesem allem unrichtig.

Abg. Hobrecht (nl.): Seine Partei habe es stets für eine Pflicht des ganzen Landes gehalten, für den Bau ciner Predigt- und einer Gruftkirhe aus allgemeinen Landesmitteln einen angemessenen Beitrag zu bewilligen. Daß dieser Beitrag nicht gering habe fein können, folge aus der Natur der Sache, und man fei auf einen Be- trag gefaßt gewesen, wie er jeßt gefordert werde. Seine Partei sei darin eintg, einen Beitrag zu bewilligen. Ein Theil feiner Partei glaube aber, daß der Kostenanschlag auf einen der evangelischen Kirche nicht entsprehenden Prachtbau hinauslaufe und lehne daher die Forde- rung ab. Er und ein anderer Theil hielten es dagegen nicht für die Aufgabe des Parlaments, sich in die technische Ausführung des Baus zu mischen und würden unter den Vorausseßungen der Budgetcommission für den Titel stimmen. Wenn auch keine juridische, fo liege do eine moralische Verpflichtung der Staatsregierung vor, die genannten Vor- auéfeßungen zu erfüllen, wie sie größer niht gedaht werden könne. Deshalb stimme er und ein Theil seiner Freunde für die Position.

Abg. Richter (dfr.) wirft dem Abg. Grafen zu Limburg-Stirum vor, daß er sih auf vertrauliche Verhandlungen berufen habe. Das sei früher niht Sitte in diesem Hause gewesen. Wenn das Usus werden sollte, dann werde man sih gegen folche vertrauliche Ver- handlungen s{chüßen müssen. Wie vertrage es sih mit dem Pietäts-

efühl des Grafen Limburg, daß er gegen einen Plan Einspruch er- B aBh habe, weil der Bau 23 Millionen habe kosten follen? Runde sich denn das monarchishe Gefühl des Grafen Limburg-Stirum erade auf 10 Millionen ab? Man spreche von einem Widerhall im Lande. Man möge doch einmal zu freiwilligen Beiträgen auffordern. Man werde nicht so viel zusammen bekommen, wie für die oft- afrikanishe Colonialpolitik.

Abg. Freiherr von Zedliß (freicons.) erklärt, die Mehrheit sciner Freunde werde für die Position stimmen, wesentlich aus Gründen der Pietät, obwohl sie wüßten, daß diescs Votum in weiten Kreisen unpopulär set.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) vertheidigt die Position aus denselben Gründen wie Freiherr von Heereman.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (conf.) betont, er habe sich auf die vertraulichen Verhandlungen berufen, weil er gewußt habe, daß das den Herren nicht unangenehm scin werde; wenn er von dem monarchischen Gefühl der freisinnigen Herren gesprochen habe, fo sei dies geschehen, weil das den Herren im Lande nur nüßen, nicht schaden könne, denn eine Berufung auf das monarhishe Gefühl werde im Lande stets Widerhall finden. Wenn Friedrich Wilhelm 1V. mit Nücksicht auf die Finanzlage von dem Project Abstand genommen habe, so sei eben damals die Finanzlage noch ungünstiger gewesen als heute. Und wenn der Abg. Richter frage, ob fein (Redners) monarchishes Gefühl fich auf 10 Millionen E so entgegne er, seine Partei habe sih bei der gegenwärtigen Finanzlage für ver- pflichtet gehalten, die Sache genau zu prüfen, und sie sei zu der Ueber- zeugung gekommen, daß die Finanzlage nicht fo {let sei, um die Be- willigung zu verweigern.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) betont, die Frage der Unter- haltungepfliht sei eine offene, das constatire er dem Abg. Grafen Limburg gegenüber.

Abg. Richter (dfr.) beantragt, da über die Frage der Unter- haltungépfliht {on jeßt Streitigkeiten sih erhoben hätten, die Position zur näheren Prüfung wenigstens dieser Frage in die Com- mission zurückzuverweisen. Der Abg. Graf zu Limburg-Stirum habe seine Mittheilungen aus den vertraulihen Verhandlungen mit nihtigen Gründen vertheidigt. Was würde man auf jener Seite (rechts) sagen, wenn er sich auf vertraulihe Aeußerungen von Seiten der Mehrheitsparteien berufen wollte, über das Gefühl, mit dem sie ihr Ja aus\prächhen. Er thue das niht. Auf das monarchishe Gefühl im Lande aber solle man si bei einer derartigen Forderung nicht be- rufen. Die Berufung hierauf brauche man vielleiht bei anderer Gelegenheit nöthiger.

Abg. Stöcker (conf.) meint, nicht der Dombau sei unpopulär, sondern der Plan und der Mann, der ihn ausführen folle, seien

opulär ; bér Dombau selbst sei so ulär S unp f E man es i Lnde

t begreifen würde, wenn man die Position able :

5 Abg, Graf zu Cimbur C Skirum (ct S E klärung der freifinnigen Abgeordneten sei niht ¡hm persönlich E gegeben worden, fondern im Seniorenconvent. Mde

Damit schließt die Debatte. Der Antrag Richter Q Zurückweisung der Titel 2, 3 und 56 in die Commission nd gegen die Stimmen der Deutschfreisinnigen und einiger Natio: nalliberalen abgelehnt. Die Titel 2, 3 und werden

egen die Stimmen der Deutschfreisinnigen, der Hälfte der

ational-Liberalen und ca. 5 Freiconservativen angenommen ebenso die Resolutionen der Commission. L:

Der Rest des Extraordinariums wird nach den Beschlüssen der Budgetcommission bewilligt, wonach nur Titel 46 zum Neubau einer Turnhalle für das Gymnasium in Hanau qs- strichen wird. Damit ist die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten erledigt.

Ohne Debatte werden die Etats des Herrenhauses und des Hauses der Abgeordneten sowie der Nest des Etats E A a ,

Zum Etatsgeseß Z 2 beantragt Abg. Kieschke (b. k. F die S emicbticutes Rh Ausgabe von Schaßanweisungen “4 Höhe von 100 Millionen Mark auf 50 Millionen Mark herab; zusetzen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Herr Referent der Budgetcommission hat den Antrag der Staatsregierung so gut begründet, daß ich nur noch eine fleine Nahlese zu halten habe namentlich zur Widerlegung der Ausführungen des Herrn Abg. Kieshke. Wenn der Herr Referent der Budgetcommission wie die Staatsregierung sich auf den Vorgang des Reichs berufen hat, fo suht der Herr Abg. Kieschke ihn damit zu widerlegen, daß er sagt, das Reich sei auf viel unsichere Einnahmen angewiesen als ¡der preußische Staat. Das i} durchaus nit zu, treffend; im Gegentheil, die Einnahmen und Ausgaben des Reichs stehen in einem zeitlich viel ich möchte sagen richtigerem Ver- hältniß, wie das bei Preußen der Fall ist. Jch braudhe nur daran zu erinnern, daß Preußen die Matricularumlagen vorshüfsig zahlen muß, ehe die Ueberweisungen an das Reich kommen, und zwar in zehntägigen Zwischenräumen, während erst nach einem vollen Vierteljahr die Ueberweisungen nahkommen. Das Reich bekommt also auf die Weise thatsählih für diese Zeiten gewissermaßen von Preußen ein Betriebskapital, und & handelt sich hier um einen Betrag allein von 187 Millionen.

Meine Herren, unsere Einnahmen aus den gewaltigen Betriebs: verwaltungen s{wanken ja viel mehr als die Einnahmen des Reichs; darüber kann nicht der geringste Zweifel sein. Also ih glaube, dieser Hinweis des Herrn Abg. Kieshke is in keiner Weise zu- treffend. Wenn der Herr Abgeordnete nun meint: ez sei doch in den leßten Jahren von der Ermächtigung gar kein Gebrauch gemaht worden, so ist das ja für mande Jahre richtig, für die leßten Jahre aber nicht zutreffend, Wir sind in dem vorleßten Jahre bis an die Grenze von 30 Millionen, die wir Schatzanweisungen ausgegeben haben, gegangen und mußten dabei {till stehen: infolgedessen ist aller- dings der Finanz-Minister in der Nothwendigkeit, nicht darüber vollkommen frei disponiren zu fönnen, ob er gerade in einem be- stimmten Zeitpunkt eine Anleihe vornehmen will. Darauf ist doc ein sehr erheblihes Gewiht zu legen. Ein großes Anleihebedürfniß kann man gewiß niht auf viele Monate hinauss\cieben; wohl aber ist die Frage, in welhen Monaten eine An- leihe zweckEmäßig unterzubringen it, von Bedeutung: wenn im November und Dezember die Nothwendigkeit einer Anleihe heran- tritt, so ist das sehr unbequem, diese Monate vor dem Januarabs\{luß zu wählen, und sehr nothwendig, da noch einige Monate zu warten, Und gerade für solche Fälle sind die Schaßanweisungen oft zweckmäßig zu verwenden. .

Der Betriebsfonds der General-Staatskasse das ist bereits 1886 ausgeführt, während seit der Zeit der Umschlag der General- Staatskasse sih um 40 % erhöht hat ist offenbar zu gering, und, wenn wir nicht in den vergangenen Jahren uns gewissermaßen mit den laufenden Anleihecrediten hätten helfen fönnen, so würden wir {on längst niht mehr mit diesem Betriebsfonds haben auskommen können. Es wäre vielleicht richtig, den ständigen Betriebsfonds selbst zu erhöhen; aber wir haben doch geglaubt, daß, namentli solange diese erheblichen Anleihecredite noch laufen, es sparfamer is, mit Schaßanweisungen zeitweilig zu operiren, wo man nur die Zinsen zu zahlen hat, soweit das Bedürfniß direct herantritt, als den Betriebsfonds dauernd zu erhöhen, wo man fehr erhebliche Zinsverluste zu verschiedenen Zeiten wenigstens wird erleiden müssen.

Aber, meine Herren, au aus anderen Gründen ift es wünschené- werth, die Schaßanweisungen einigermaßen zu erhöhen. Jch kann das nur andeuten, aber ih glaube, die Herren werden mich verstehen. Es können Zeiten kommen, die ein plöglihes bedeutendes Geldbedürfniß erfordern, wo es aber s{hwierig ist, dasfelbe in dem gewünschten Maße mit einer Staatsanleihe zu befriedigen. In folchen Zeiten ist das Aushilfsmittel der Schaßanweisungen häufig sehr angebracht. Die Erfahrungen in dieser Beziehung liegen aus früheren Zeiten vor. Wenn Sie nun erwägen, daß ja kein Finanz - Minister wagen würde, ohne Noth Schatzanweisungen auszugeben oder mit \{chwebenden Crediten leichtfertig umzugehen, daß er sich in dieser Beziehung der gefährlichsten Verantwortlichkeit

viel bequemer und die Verank-

ausseßt, es für ihn auch

wortlichkeit geringer ist, wenn er definitive Anleihen ausgiebt, von welchen mir ja noch über 500 Millionen zur Disposition stehen, so fann ich doch eine Gefahr aus dieser hößeren Ermächtigung unmöglich folgern.

Unter diefen Umständen kann ich Ihnen nur empfehlen nachdem außerdem uns 16 Millionen, die wir bisher als Hilféfond? behandeln konnten, nämlih die Sperrgelder, in diesem Jahre cnl gehen (Hört! hört! im Centrum), und also dadur wiederum de! Betriebsfonds der General-Staatskasse gegen die Vergangenheit ver ringert ist —, uns den Betrag von 100 Millionen, wie gebeten, zl bewilligen. Sie können siher sein, daß davon nur in der aller- vorsichtigsten Weise Gebrau gemacht werden wird. (Bravo!)

Der Antrag wird ohne weitere Discussion mit großer Mehrheit abgelehnt. § 3 des Etatsgeseßes wird angenommen.

Schluß 101/7 Uhr. Die nächste Sizung findet Freitag, 11 Uhr, mit der Tagesordnung : Dritte Berathung des Staats? haushalts-Etats, statt.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Donnerstag, den 17. März

1892.

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Nichtamtliches.

Ftalien.

Die italienishe Deputirtenkammer hatte gestern wie- der ia bewegte Sißung. Den Anlaß dazu gaben ein kürzlich in Rom abgehaltener gébeimer republikanischer Congreß und der Umstand, daß verschiedene Blätter, welche über diesen Congreß berichtet hatten, mit Beschlag belegt worden waren. Die Deputirten Barzilai , Giovagnoli und Cavallotti hatten deshalb Anfragen an die Regierung ge- richtet. Der Minister des Jnnern Nicotera erklärte in der gestrigen Sizung nah dem Drahtbericht des „W. T. B.“: er habe dem Geseße gemäß die geheime Congreß- sizung gestattet, aber die Regierung erachte angesichts der Gesinnungen des Landes die Veröffentlichung der intransigenten Beschlüsse des Congresses für unmöglich, die Beschlagnahme sei daher vollkommen legal. Es folgte eine lebhafte Discussion, welche zu tumultuarishen Scenen Anlaß gab. Hierauf seßte die Kammer die Budgetdebatte fort. Zu den bereits ein- gebrachten Tagesordnungen waren noch mehrere hinzu- gekommen sodaß jeßt deren vierzehn vorliegen. unächst begründete der frühere Schaß-Minister Giolitti die von ihm beantragte Tagesordnung. Er erklärte, er werde die finanzielle Lage ohne Jllusion prüfen. Mit Befriedigung könne er feststellen, daß die drei leßten Finanzjahre ein schnelles Forschreiten zur Herstellung cines sicheren Gleichgewichts aufwiesen. Gleichwohl sei nicht zu leugnen, daß neben diesem Fortschritt bedauerlicher Weise ein Steigen des Wechselcurses und eine Entwerthung der Rente einhergingen. Man müsse diese auffallende Erscheinung neben anderen Ursachen auch der Neigung der Jtaliener zuschreiben, in der Schilderung der Verhältnisse des Landes zu übertreiben. Jm weiteren Ver- laufe der Rede wies Giolitti die Möglichkeit organischer Re- formen nah und {loß mit den Worten: er billige das von dem gegenwärtigen Cabinet angekündigte strenge Programm für die Finanzpolitik, welches jedenfalls die bereits durch- geführten Reformen consolidiren werde. Sodann wurde die Fortseßung der Debatte auf heute vertagt. Zum Schluß legte der Minister-Präsident Marchese di Rudini noch den angekündigten Geseßentwurf über die Anwendung der in dem Handelsvertrage mit Desterreih-Ungarn enthaltenen Weinzollclausel vor. Jmbriani. und Genossen verlangten für den Entwurf die Dringlichkeit. Dann wurde die Sizung aufgehoben. 2 :

Die vom „New-York! Herald“ gebrachte Nachricht über die Beilegung der wegen der Vorfälle in New-Orleans ent- standenen Differenzen zwischen Jtalien und den Vereinigten Staaten wird von der „Agenzia Stefani“ für gänzlich unzu- treffend erklärt.

Schweiz.

Jn Zürich hat am Sonnabend v. W. das demokra- tishe Jnitiativcomité, welches die Wahl des Bundes- raths durch das Volk einführen will, eine Sizung ab- gehalten und die Hauptpunkte des Jnitiativbegehrens berathen. Das Comité einigte sih, dem Berner „Bund“ zufolge, über das folgende vorläufige Programm: /

Neun Bundesräthe, die Bürger verschiedener Cantone sein und von denen wenigstens zwei der romanischen Nationalität angehören müssen. Die Wahl des Bundesraths findet alle drei Jahre gleich- zeitig mit den Nationalrathswahlen statt, und zwar in einem Wahl- kreise, der die ganze Schweiz umfaßt. Die Organisation des Bundes- raths ist im Sinne der Sicherung - einer dringlihen Verwaltungs- reform und einer mehr collegialen Leitung der auswärtigen Politik sowie der gesetzgeberishen Vorarbeit (durch einen vom Bundesrath selbst gewählten dreigliedrigen Ausschuß) zu treffen. /

Das Comité zählt zuversichtlich auf 50 000 Unterschriften und die Volksmehrheit. Mitte April soll eine Vertrauens- männer-Versammlung fortschrittliher Elemente unter dem Zuzug des Centralcomités der Grütlivereine und des Parteicomités der Socialdemokraten zur definitiven Redaction des Vorschlags in Baden im Aargau stattfinden. ,

Die Regierung des Cantons Basel-Land hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft beschlossen, ein technisches Obergutachten über die Ursachen des Brückeneinsturzes von Mönchenstein einzuholen.

Niederlande.

_Die Regierung hat der Zweiten Kammer einen Besezentwurf vorgelegt, welcher die Zustimmung zu den internationalen Conventionen über den Schuß des industriellen Eigenthums, die am 15. April 1891 unter- zeichnet wurden, aus\priht. Den zur Verhinderung falscher Derkunftsangaben von Waaren getroffenen Arrange- ments ist jedo, wie der bezüglichen Meldung des „W. T. B.“ aus dem Haag hinzugefügt wird, die niederländishe Regie- rung nicht beigetreten. / Ae

__ Der Minister des Jnnern hat, wie der „Frkf. Ztg.“ mitgetheilt wird, am 12. März ein Decret veröffentlicht, in welhem den Provinzial - Staaten mitgetheilt wird, daß am 1. Mai im Pott: und Telegraphendienst die Einheitszeit nah Stundenzonen eingeführt werden soll. Die Provinzial: Staaten werden deshalb aufgefordert, mitzuwirken, damit auch die Gemeinden ihre Uhren nach dieser Zeit regeln. Für die

isenbahnen, die bereits nah der neuen Zeitordnung fahren, macht die Neuordnung keinen erheblichen Unterschied ; doch müssen am 1. Mai z. B. alle Amsterdamer Uhren 20 Minuten zurückgestellt werden.

Griechenland.

,_ Wie der „Magdb. Ztg.“ aus Athen berichtet wird, hat en am 15. d. M. unter dem Vorsiße des Königs ab- (ebaltener Ministerrath beschlossen, im Staatshaushalt r\parungen im Betrage von 7 Millionen vorzunehmen, [bv eine ‘Reihe entbehrliher Aemter, die Delyannis ge- hoaffen, Cusgueben: Siebzehn ehemalige Delyannisten N eine Erklärung veröffentlicht wonach sie. sh der Re- tb anschließen. Der König hat viele Zustimmungs- gevungen von politischen Vereinen erhalten.

Serbien.

Wie dem „W. T. B.“ aus Belgrad gemeldet wird, verlaute in dortigen Regierungskreisen, daß die Lösung der Cabinetsfrage kaum vor Ende der Woche zu erwarten sei. Es heiße, Vuics und Tauschanovics würden nicht in das Cabinet eintreten. Vielmehr werde der Director der Staats-Monopole Pacu abermals als zukünftiger Finanz- Minister genannt. j

Infolge der andauernden Schwierigkeiten, denen die Er- klärung des Königs Milan auh in ihrer abgeänderten Gestalt bei den Mitgliedern des radicalen Clubs begegnet, ist gestern die Verhandlung darüber in der Skupschtina un- möglich gewesen. Man hofft jedoch in Regierungskreisen, die Berathung werde heute stattfinden können.

Bulgarien.

Der General-Secretär des Ministerrath) Goranow ist dem „W. T. B.“ zufolge zum Geranten der bulgarischen Agentur in Belgrad ernannt worden.

Dänemark.

(F) Kopenhagen, 15. März. Das Kriegs-Ministerium hat dem Finanzausschuß des Folkethings einen eingehenden Bericht über die Landbefestigung von Kopenhagen zu- gehen lassen, in welchem die bereits ausgeführten, die un- vollendeten und die noch ausstehenden Befestigungsanlagen näher bezeichnet werden. Fertig ist ein Kanal mit allen Schleusen, Brücken u. \#. w., der vom Furesee bis Ermelunds- huset geht und dazu dienen soll, die ganze weite Niederung vom Sunde bis zum Utterslevmoor zu übershwemmen. Hinter der Uebershwemmung sind folgende Werke angelegt : die Kristianholmslinie mit der Kristianholmsbatterie zum Schuße des Strandweges entlang des Sundes im Norden und der Klampenborgbahn, zwei Batterien bei Ordrupfrat, zwei Batterien bei Bernstorff und Gijentofte, drei Batterien bei Utterslevmoor und eine zusammenhängende gegen 17/z Meile lange Enceinte von leßtgenanntem Moor bis Kalvebodstrand. Ueberall sind die nöthigen Kasematten, Pulvermagazine U. }. w. fertig. Jn der Anlage begriffen sind: eine See-Batterie am Sunde zum Schugz der Taarbäkbucht, ein Fort bei Fortunen, ein Fort bei Gammelmosegard und eine Strand-Batterie am Kalvebodstrand. Alle diese Werke sind soweit vorgeschritten, daß deren Fertigstellung im Laufe des Sommers erwartet werden kann. Eine beantragte Bewilligung von 500 000 Kronen ist für Befestigungsanlagen bei Gladsare bestimmt.

Amerika.

Präsident Harrison hat am 15. d. M. durch eine Pro- clamation befannt gemacht, daß auf Columbia, Hayt! und Venezuela, nachdem sie die ihnen geseßte Frist zum Abschluß eines Handelsvertrages haben verstreichen lassen, die Bestimmungen des dritten-Abschnittes der Mac Kinley-Bill bezüglich der Zölle auf Zucker, Syrup, Kaffee und Häute An- wendung finden. Der Handelsvertrag mit Nicaragua ist bereits veröffentlicht und der mit Honduras soll in diesen Tagen bekannt gemacht werden.

Statistik und Volkswirthschaft.

Arbeiterwohnungsverhältnisse im oberschlesischen IFndustriebezirk.

Der Bergrath Dr. Sattig in Beuthen hat in der Zeitschrift des „Oberschlesishen Berg- und Hüttenvereins“ Bericht über die von der dortigen „Arbeiterwohlfahrtscommission“ über die Wohnungs- verhältnisse angestellten Erhebungen erstattet. Der „Schles. Ztg.“ entnehmen wir darüber Folgendes: A , E

Im äußeren, dem Centrum der Industrie ferner liegenden Bezirk, namentlich im Kreise Tarnowiß, in welchem vorzugsweise Erzbergbau getrieben wird und der Bergmann gleichzeitig Ackerbauer ist, hat ein roßer Theil der Arbeiter von Alters her fein eigenes Besißthum. Infolge der Gewährung von freiem oder billigem Baugrund, von Bauprämien, von Baumaterialien zum Selbstkostenpreise, von zinsfreien oder billigen Darlehen seitens der Gewerkschaften hat sich in den leßten Jahrzehnten eine große Zahl von Arbeitern, namentlich auch im inneren Bezirk, eigene Häuser errihtet. Im ganzen wohnten Anfang 1890 nach den Angaben der Magistrate und Amtsvorsteher in dem Untersuchungsbezirk in eigenen Häusern 8830 männliche Arbeiter oder'12,4 °/6 aller der berg- und hüttenmännischen Bevölkerung CAgeD O männlichen Arbeiter. Mit Beihilfe der Werke wurden von Arbeitern 1769 Häuser mit zusammen 11 135 Familienwohnungen (im Durchschnitt 6,3) erbaut. Die Bedeutung und der Werth der Gewährung von Hausbau-Bei- hilfen für die Ansiedelung von Arbeitern ist niht zu verkennen. Die in großem Maßstabe erfolgte Herrichtung gewerkschaftlicher Familienhäufer hat fsih indessen als weit segensreicher herausgestellt. Sie sind zumeist besser gebaut, die Wohnungen 1elb\t find geräum

er und gesünder, auch die von den Gewerkschaften geforderten Mietben j J)

erheblich geringer, als die von den Besißern der Beihilfehäuser. Der durchschnittlichhe Nauminhalt ciner Arbeiterwohnung beträgt in den Kreisen Tarnowiß, Gleiwiß, Pleß und Rybnik im großen Durchschnitt 40 bis 54, in den nördlichen Theilen der Kreise Kattowiß und Zabrze, sowie im Kreise Beuthen (Land) 75 ebm. Der Procentsaß derjenigen Arbeiter, welche in Häusern wohnen, die weder einem Werke noch industriellen Arbeitern gehören, ist sehr mäßig. Er wäre noch geringer, wenn nicht ein Theil der Bei- hilfehäuser in fremde Hände übergegangen wäre. Der monatliche Miethszins der gewerk\chaftlihhen Wohnungen {chwankt zwischen 0 (Friedenshütte) und 10 (A (Borsigwerk), der niht gewerk\chaftlichen zwischen 1,5 und 12 A Am geringsten (1,5 bis 2 #) is er in den kleinen, an der Peripherie des Industriebezirks gelegenen Ortschaften, am höchsten in Roßberg, Königshütte, Lipine, Dorotheendorf, Ruda, Zabrze, Laurahütte, Hohenlohehütte, Zalenze, Rosdzin, Schoppiniß, Gleiwitz, Petersdorf (bis 10 4) und namentli in Beuthen und Katto- wiß (bis 12 4). Die Miethszinse im inneren Industriebezirk sind im allgemeinen zwei bis drei Mal so hoch als die im äußeren. Der durhschnittlichhe Miethszins der Wohnung eines industriellen Arbeiters wird im inneren Bezirk zur Zeit etwa 80 #4 betragen. Unter dieser Annahme is von dem durchschnittlichen, reiney Jahresarbeits- verdienst der sämmtlihen Häuer, Maschinenwärter , Maurer und Anschläger auf den Steinkohlengruben des Beuthener Bergreviers (33,5 9/0 der Gesammtbelegschaft auf denselben), welches im Jahre 1888: 706 4, 1889: 770 M, 1890: 926 M. betrug, daher gegen- wärtig 8,6 9/6 für die Wpoung zu zahlen. Troß der regen Baut Be: keit, die in den leßten Jahren fast in allen Theilen des Industriebezirks

herrschte, is es doch in vielen Orten desselben noch niht gelungen, der Nachfrage nah Arbeiterwohnungen zu genügen. Was das An- siedelungs-System anbelangt, so fkann,] wie der Bergrath Dr. 2s ausführt, nah den gemachten Erfahrungen kaum erwartet werden, da die Errichtung von Arbeiterhäusern durch Arbeiter felbst unter Ge- währung von Beihilfen in der bisher geübten Form auch in Zukunft noch in größerem Maßstabe stattfinden wird. Besser erscheint die Errichtung der Häuser darch die Werkverwaltungen felbst und ihre Ueberweisung an die Arbeiter nah ratenweiser Abzahlung ihres Werthes. Was die Bauart betrifft, so drängt, wie in „großen Städten die Höhe der Bodenrente, im Industriebezirk die Nücksicht auf die Erhaltung des Kohlenfeldes zur Errichtun Rene und hoher Arbeiterhäuser, sodaß auch hier den fogenannten Arbeiter-Casernen ihre Existenzberechtigung niht abgesprochen werden kann. Für die ledigen Arbeiter kann auch das Schlafhaus nicht entbehrt werden. Die Schlafhäuser erfordern der Regel nah Zuschüsse, werden aber von den Werkverwaltungen mit etner Ausnahme empfohlen, da die Arbeiter in ihnen zu einem regelmäßigen Lebenswandel (auch regel- mäßigerem Anfahren der Schichten), zur Ordnung, Reinlichkeit und Sittlichkeit angehalten werden können.

Zur Arbeiterbewegung.

Der Halberstädter Congreß der deutschen Gewerkschaften seßte gestern die Berathung der Anträge über die Organisationsreform fort. Schon in der vorgestrigen Nachmittags-Sißung wurde, wie wir dem „Vorwärts“ ent- nehmen, eine von 20 Delegirten unterzeichnete Resolution zur Verlesung gebracht, die sih gegen den Organisationsentwurf der General-Commission ausspricht und Localorganisationen mit dem System der Vertrauensmänner empfiehlt. Ferner wurde ein von - 22 Delegirten unterzeichneter Antrag mitgetheilt, der verlangt, alle Organisationen sollten ihre Statuten dahin ändern, daß auch Frauen der Beitritt zu den gewerkschaftlichen Vereinigungen ermöglicht wird. Jn der gestrigen Verhandlung ergriff der von dem Berliner Schriftsezer-Ausstande her bekannte Vor- sißende des Buchdrucker - Verbandes Döblin - Berlin das Wort und warnte davor, daß sih die Gewerkschaften mit Politik befassen. Herr Döblin bemerkte u. a.:

Wenn man es als Hauptaufgabe betrachte, die Arbeiter für die politishen Bestrebungen zu gewinnen und die Erreichung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen als Nebensache ansehe, dann habe man kein Interesse an der Erstarkung der Gewerkschaften. Es müsse die Frage entschieden werden, ob die Gewerkschaften das ihnen Nächstliegende: die Aufbesserung der wirthschaftlichen Lage der Arbeiter erstreben over die Arbeiter nur gewerkschaftlich organi- siren wollen, um sie der“ politishen Bewegung zuzuführen. Der Redner war der Meinung, im Interesse der Arbeiter liege es, die Gewerkschaften niht als Mittel, sondern nur als Vorschule für die politishe Bewegung zu betrahten. Die Hauptaufgabe der Gewerk- schaften müsse die Erreichung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen sein. Schließlich erklärte \ch der Redner für die Resolution der General-Commission, die jede Organisationsform als berechtigt an- erkenne.

Jm Verlaufe der Verhandlung äußerte Herr Drechsler Legien-Hamburg sih noch in ähnlichem Sinne wie Herr Dóöblin :

Wenn es richtig sei, was ein Berliner Delegirter gesagt habe, daß nämlich der Kampf auf wirthshaftlihem Gebiete eine Phrase sei, dann würde er jeden Pfennig bedauern, der für diesen Congreß verausgabt worden sei. Auh sei es eine grundfalsche Auffassung, daß in Zukunft die Arbeiter nur noch Abwehrstrikes unternehmen würden. Jeder wirthschaftlihen Krisis folge immer wieder ein wirthschaftliher Aufs{hwung. In einer solchen Periode sei es aber nothwendig, die Lebenshaltung der Ar- beiter zu erhöhen, in Zeiten der Krisen dagegen das Crrungene fest- zuhalten. Deshalb würden in Zeiten günstiger Conjunctur auch wieder Angriffs\trikes stattfinden. . :

Hierauf erwiderte Herr Tapezierer Feder-Berlin:

Er sei der Meinung, daß die Gewerkschaften nur dann Werth haben, wenn sie eine wirthschaftlih-politische Thätigkeit entfalten, - d. h. wenn sie auch den Arbeitern klar machen, daß es nur Deer Werden Tonne, wenn Der Jane „Semmel uber Den Oausen _gavorsen werde Dies sei aber muy in Local - Organisationen inöglich. Centralisirte Gewerkschaften

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dürfen si, wenn sie mit den Vereinsgeseßen nicht collidiren wollen,

nur mit dem C und Unterstüßungswesen beschäftigen. Da-

durch gelange man aber auf den Standpunkt der Hirsch-Duncker’schen Gewerkvereine. Für eine solhe Gewerkshaftsbewegung danke er. Die Verhandlung wurde auch gestern noch niht zu Ende geführt und sollte heute fortgesezt werden. i Jm ganzen Ruhrkohl enbezirk, schreibt man der „Köln. Ztg.“ aus Essen, macht sih augenblicklih wegen der vom Vorstande des Allgemeinen Knappschafts-Vereins auf den 26. d. festgeseßten Wahl der neuen Knappschafts- Aeltesten eine allgemeine Bewegung unter den Arbeitern be- merkbar. Seit Jahren haben die Anhänger des alten (social- demokratischen) Bergarbeiter-Verbandes den bisherigen Knapp- schafts-Aeltesten ungerechtfertigter Weise immer wieder den Vorwurf gemacht, daß sie ihre Schuldigkeit nicht gethan, in- dem sie als Vertreter der Arbeiter die ihnen obliegenden Interessen nicht wahrgenommen hätten, zuleßt noch bei Ge- legenheit der Umwandlung des Knappschafts-Statuts. Das Bestreben dieser Führer ist einzig darauf gerichtet, allenthalben bei dieser Wahl, die für eine sechsjährige Amtsdauer erfolgt, ihre Anhänger als Candidaten auf den Schild zu erheben. Zu dem Zwecke hatten sie am legten Sonntag nicht weniger als zwölf öffentliche Bergarbeiter - Versammlungen E Die Parole ist: „Nur Aelteste wählen, die dem Ver- bande angehören, feine Hasenherzen und Feiglinge!“ Bei dieser Lage ist man auf der anderen Seite nicht müßig. Die bisherigen Aeltesten bemühen sih, die Bewegung in die rihtigen Bahnen zu lenken und den Bestrebungen der socialdemokratishen Verbändler einen Damm ee Sie haben an mehreren Orten, wie in Essen, Steele, Kray, Borbeck u. st. w. Versammlungen einberufen M Bericht- erstattung über ihre mes und zur Besprehung der be- vorstehenden Wahl. eider sind die bis jezt abgehal- tenen Versammlungen völlig ergebnißlos verlaufen, mit Ausnahme derjenigen in Steele. Jn allen Versammlungen waren socialdemokratische Bergarbeiterführer mit einer Schaar ihrer Anhänger erschienen und brachten es durch Schreien und töórungen aller Art dahin, daß die kaum eröffneten Ver- sammlungen wieder geschlossen werden mußten. Jn unter-

richteten Kreisen ou man nicht an einen Sieg der An- hänger des alten Verbandes, zumal auch in den katholischen.

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