1892 / 74 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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man das Ausland besser stellen, als Deutschland, denn in Frankreich sei die Mouillage declarationsfrei, und da dieselbe dur die Chemie nicht nachzuweisen sei, wäre den in Frankreich vorgenommenen Mouillagen der Verkehr in Deutschland gestattet, den hier vor- enommenen aber nicht. Er bitte den Abg. Dr. Bürklin, seinen Antrag zurückzuziehen, um das Zustandekommen des ganzen Gesetzes nit zu gefährden; denn die etwaige Annahme dieses Antrages würde Viele veranlassen, gegen das Gefeß zu stimmen.

L Abg. Rickert (dfr.): Er bitte den Abg. Dr. Bürklin ebenfalls, seinen Antrag zurückzuziehen. Er bestreite, daß in Bezug auf die Zulässigkeit der Mouillage eine Rechtsunsicherheit bestehe, nachdem das Reichsgericht sie für zulässig erklärt habe, und auch die Praris zeige, daß sie keinen Nachtheil bringe. Es handele sih bei der Mouillage nit bloß um Danzig, sondern um den Weinhandel im ganzen Norden Deutschlands, und diesen würde man zum Vortheil des Aus- landes schädigen. Diese Frage sei von weittragender Bedeutung, die sich Abg. Dr. Bürklin nicht ganz klar gemacht habe, fo daß, wenn ein solcher Antrag gestellt werde, eine commissarishe Berathung des- selben Mos erscheinen müßte. Er hoffe aber, daß Abg. Dr. Bürklin feinen Antrag zurückziehen werde. :

Abg. Dr. Bürklin (nl): Den Wünschen auf Zurlicfpiehung des Antrags könne er vorläufig nicht entsprehen. Er würde gern auch die Meinung der anderen Seiten des Hauses hierüber vernehmen. Er sei höchst befremdet darüber, daß man über die Einbringung des An- trages sehr erstaunt sei. Der Wunsh nah Erlaß eines Weingeseßes sei nirgends so hervorgetreten, wie in Danzig infolge des bekannten Weinprozesses, und dort habe man der Unsicherheit auf dem Gebiete der Mouillage ein Ende gemacht sehen wollen. Daß eine Rechts- unsicherheit hierüber doch vorhanden sei, bewiesen die Motive der Vorlage. Abg. Dr. Bamberger habe mit feiner Verwahrung, keine Kirhthurmspolitik zu treiben, einen Refler auf ihn (Redner) werfen wollen, als ob er solhe treibe; aber er habe mit feinem Antrage nicht allein im Interesse des Südens handeln wollen, wenn- gleich er zugebe, daß durch Annahme desselben auch der Süden große Vortheile haben werde. Daß das Ausland davon Vor- theile haben werde, sei deshalb unrichtig, weil nah dem Wortlaut des französischen Gesetzes die Mouillage dort verboten sei. Uebrigens sei der Einführung der Weine, an denen in Frankrei die Mouillage vorgenommen sei, durch den Zoll eine genügende Schranke gesezt. Wenn man hier von Einzelinteressen rede im Gegenfaß zum

Gesammtinteresse, so sei do S das Gesammtinteresse nichts * i

Anderes als die Summe der Einzelinteressen und die Abstimmung werde ergeben, für welche Einzelinteressen sich die Mehrheit erkläre.

Abg. Graf Behr (Rp.): Dem Wunsch des Abg. Dr. Bürklin, noch die Meinung anderer Seiten des Hauses zu hören, entsprechend, äußere er sih dahin, daß er ihn bitte, seinen Antrag zurück zu ziehen aus den von anderer Seite {on vorgebrahten Gründen. In Norddeutschland fei die Page durchaus nöthig, ihr Verbot oder, was dem gleichkäme, ihr Stellen unter Declarationszwang würde nur dem Ausland Vortheil A denn es würde aus dem Aus- lande Wein, mit dem dort die Mouillage vorgenommen sei, herbei- führen. Er bitte also den Abg. Dr. Bürklin, seinen Antrag zurück zu ziehen, oder das Haus, ihn abzulehnen.

Abg. Dr. Bamberger (dfr.): Er habe durchaus nicht daran eda den Abg. Dr. Bürklin der Kirchthurmspolitik zu zeihen. Der

einzoll sei niht hoh genug, um den ausländischen Wein fern zu halten, wenn die Mouillage in Betracht komme. Daß die Mit- glieder hier die M A vertreten und durch die Abstimmung dem wichtigsten Einzelintere Ne zur Geltung helfen follten, könne er durchaus nicht zugeben. Alle sollten das allgemeine Interesse ver- treten, und jede Industrie, die nicht gegen das Gesetz verstoße, habe Anspruch darauf, gleihmäßig hier vertreten zu werden. __ Abg. Rickert (dfr.): Wenn Abg. Dr. Bürklin durch die Ab- stimmung constatiren wolle, wo das Hauptinteresse liege, fo folle er nich A die schwache Beseßung des Hauses ansehen ; eine Consequenz Mer Beseßung müßte eigentli sein, daß er seinen Antrag zurück- ziehe, denn die Abstimmung würde heut ein Zufallsresultat zu Tage fördern. Lasse es Abg. Dr. Bürklin heut zur Abstimmung kommen, so würde man sich vielleiht dadurch gezwungen sehen, die geschäfts- ordnungsmäßig zulässigen Consequenzen zu ziehen. :

Damit schlicßt die Debatte. Bei der Abstimmung über den Antrag Bürklin ergiebt sih die Beschlußunfähigkeit des Hauses. Es stimmen für denselben 80, gegen denselben 101 Mitglieder. Die Verhandlung muß abgebrochen werden.

Vice-Präsident Graf Ballestrem sett die nächste Sißzung auf heute Nachmittag 21/5 Uhr an.

Schluß 2 Uhr.

203. Sißzung vom Donnerstag, 24. März. 21/2 Uhr.

Am Tische des Bundesraths der Staatssecretär Freiherr von Marschall.

Die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, be- treffend den Verkehr mit Wein wird fortgeseßt.

“Die nochmalige Abstimmung über den Antrag Bürklin ergiebt die Ablehnung desselben: au der Antrag Gröber wird abgelehnt und § 4 mit dem zweiten Antrag Bürklin, sonst aber unverändert angenommen. Nach § 5 sollen die Vor- i vi der 88S 3 und 4 auf Schaumwein keine Anwendung finden.

Abg. Weiß- Eßlingen (nl.) will nur die Vorschriften A 3 auf Schaumweine niht ausgedehnt wissen; dagegen beantragt Abg. Gröber (Centr.), von den Vorschriften der §§ 3 und 4 nicht nur Schaumwein, sondern auch Obstwein und =weinähnlihe Getränke überhaupt auszunehmen. x Z

Director des Kaiserlichen Gesundheitsamts Köhler: Der Antrag Gröber bezüglih des Obstweins sei der Tendenz nach berechtigt ; die Vorlage komme aber dieser Tendenz auch entgegen. Bedenklih aber sei die Erstrekung des Antrags auf weinähnlihe Getränke überhaupt, worunter auch alle Kunstweine einzubegreifen seien.

Abg. Gröber (Centr.) läßt die Worte seines Antrags „und weinähnlihe Getränke überhaupt“ fallen.

Abg. Weiß -Eßlingen (nl.): Durch die Bestimmungen diefes Paragraphen werde die reelle Schaumweinfabrikation aufs empfindlichste geschädigt. Die reelle Schaumweinfabrikation arbeite nach der fran- zöjischen Methode, sie mache von den Surrogaten, die hier in Frage kämen, überhaupt keinen Gebrau, während diefer Paragraph den Surrogaten entshieden Vorschub leiste. Es sei ihm peinlich, bei diesem Gegenstand zu sprechen, da er an eine große Anzahl von Mitgliedern diefes Hauses Schaumwein verkaufe, indessen müsse er sich im Interesse der gesammten reellen Schaumweinfabrikation gegen diesen Paragraphen erklären und um Annahme seines Antrags bitten.

Director des Kaiserlichen Gesundheitsamts Köhler spricht sich gegen diesen Antrag aus. Die deutshe Schaumweinfabrikation fei noch sehr jung und fönnte doch in die Lage kommen, Süßstoffe zu ebrauchen, welche in § 4 verboten seien. Dem solle man nicht Fon jeßt Schranken entgegenstellen.

Abg. Riert (dfr.) bittet den Abg. Gröber, es angesichts der Besetzung des E nicht zu einer Abstimmung über seinen Antrag fommen zu lassen. Es werde ihm ja genügen, wenn vom Bundes- rathstishe und aus der Mitte des Hauses erklärt sei, daß auch Obstwein nicht den Vorschriften der 3 und 4 unterliegen folle.

Abg. We - Eßlingen (nl.) bleibt dabei; daß in der reellen Schanmweinfabrikation die hier aufgeführten Stoffe nicht benußt würden. Man wisse nichts von Alaun, nihts von Kochsalz, nichts von Bouquetstoffen, nihts von Gummi u. #. w.

__ Director des Kaiserlichen Gesundheitsamts Köhler weist darauf hin, daß nah dem Antrage Weiß auch nicht der Cognac zur Cham- Pete rifation verwendet werden dürfe, der doch auch Bouguetstoffe enthalte.

Abg. Dr. Aan (dfr.): Er bitte den Reichstag, nicht fo weit zu gehen, daß der Begriff der Legitimität auch noch beim Cham-

pagner timem Chamvagner sei ihm unerfindlih. 5

8 5 wird unter Ablehnung beider Anträge unverändert angenommen. _ :

Nach § 6 ist die Verwendung von Saccharin und ähn- lihen Süßstoffen bei der Herstellung von Schaumwein oder Obstwein einschließlich Beerenobstwein als Verfälschung im Sinne des Nahrungsmittelgeseßes anzusehen.

__ Abg. Stadthagen (Soc.) beanstandet den Ausdruck „ähn- lichen Süßstoffen“ als mangelhaft und für den Richter unbrauchbar.

Director des Kaiserlichen Gesundheitsamts Köhler erklärt die Fassung für vollständig correct und ausreichend.

S 6 wird angenommen. : ;

Nach § 7 wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten und erft E bis zu 1500 M oder mit einer dieser Strafen

estraft

1) wer den Vorschriften der §8 1 oder 2 vorfäßlich zuwider-

handelt; 2) wer wissentlich Wein, welcher einen Zusaß der im

§ 3 Nr. 4 bezeichneten Art erhalten hat, unter Bezeichnungen feilhält

oder verfauft, welche die Annahme hervorzurufen geeignet

sind, daß ein derartiger Zusaß nicht gemacht ist. i

Die Abgg. Dr. Bamberger (dfr.) und Dr. Bürklin (nl.) bean: tragen, statt der gesperrten Worte zu setzen: „welche besagen.“

__ Abg. Gröber will statt Ziffer 2 Folgendes seßen: „2) Wer wissentlih eine Mischung von Nothwein und Weißwein als Rothwein oder unter einer anderen Bezeichnung feilhält oder verkauft, welche die Annahme hervorzurufen geeignet ist, daß eine folhe Mischung nicht stattgefundea hat: 3) Wer wissentlich entsäuerte oder mit einem Zukerzusaß versehene Weine unter Bezeichnungen feilhält oder ver- kauft, welhe die Annahme hervorzurufen geeignet sind, daß der Wein nicht entsäuert oder niht mit cinem i worden ift.“

Abg. S chenck (dfr.) spricht sich gegen die Nr. 2 des § 7 aus und beantragt ihre Streihung. Das Strafgesetbuch ebe ausreichenden Schutz gegen die Uebertretungen, welchen diese Bestimmung des § 7 vorbeugen solle. :

Commissar für das Kaiserlihe Gesundheitsamt Geheimer Regierungs-Rath Dr. Sell bittet, den § 7 unverändert anzunehmen. Das Schickfsal des Geseßes sei niht abzusehen, wenn diese Nr. 2 ganz gestrihen werde. Das Strafgeseßbuh gewähre keinen aus- reichenden Schuß.

Abg. Dr. Bamberger (dfr.): Der hier eingeführte indirecte Declarationszwang sei auf Grund eines Compromisses zu stande ge- fommen. Er fkönne sih mit dieser Art der Beilegung der Frage aber nicht befreunden und wünsche die Streichung der ganzen Be- stimmung. Sollte das nicht zu erreichen sein, jo bitte er wenigstens die fautshukartigen Worte „welhe die Annahme hervorzurufen geeignet sind“ zu erseßen durch die positive Fassung „welhe be- sagen“. In der freièn Commission sei fast allseitiges Einverständniß über die Vorzüge dieser Fassung vorhanden gewesen.

Abg. Dr. Osann (nl.): Mit dem indirecten Zwang nah § 7 Nr. 2 ist sowohl die Handelskammer in Mainz als auch die Conferenz der Weininteressenten in Wiesbaden einverstanden gewesen. Er halte ihn für unbedingt nothwendig. Durch das „wissentlih" werde zu er- kennen Aen daß nur derjenige, der seinen Nebenmenschen mit solchen Bezeichnungen belügen wolle, wie jeder andere Fälscher bestraft werden solle. Das Strafgeseßbuch reiche hier niht aus; der Fälscher würde nur civilrehtlich zn fassen sein. h

Abg. Dr. Bamberger (dfr.): Diese Ausführungen ließen fich ebenso gut für den absoluten Ma ara geltend machen. Die Franffurter Handelskammer verlange die Ablehnung des § 7, 2.

ie Zustimmung der Mainzer Handelskammer sei nur eine theilweise gewesen.

Abg. Dr. Lingens (Centr.) hält es mit dem Abg. Dr. Osann für nothwendig, eine solhe Compromißbestimmung in das Geseß auf- zunehmen, und würde Ld genöthigt sehen, das Gese abzulehnen, wenn diese Vorschrift gestrihen würde.

Abg. Gröber (Centr.): Die Beseitigung des Declarations- zwanges sei ihm die Consequenz der Anschauung des Abg. Dr. Bam- berger, nicht aber der Majorität des Hauses. Das Centrum könne nit für den Entwurf stimmen, wenn § 7, 2 gestrihen werde. Auch für den Abänderungsantrag Bamberger könne es nicht stimmen : es müsse vielmehr darauf sehen, daß das Verbot so scharf wie möglich formulirt werde, und dem sfolle dur seinen Antrag Genüge geschehen.

Director des Kaiserlichen Gesundheitsamts Köhler erklärt \ih gegen sämmtliche Amendements.

Nachdem die Abgg. Dr. Osann (nl.) und Schenck (dfr.) nochmals ihren Standpunkt vertreten haben, wird § 7 unver-

ändert angenommen. : S8 8—13 werden unverändert genehmigt.

ie Fortsezung der zweiten Berathung der allgemeinen Rechnung für 1884/85, welche in Verbindung mit dem von den Abgg. Dr. Pieschel (nl.) und Genossen eingebrahten Gesetzentwurf, betreffend die justificirenden Cabinetsordres, er- folgen sollte, wird auf Antrag des Abg. Dr. Meyer- Berlin (dfr.) von der Tagesordnung abgeseßt.

Desgleichen wird die Verhandlung über die Wahl des Un Móller (6. Arnsberg) (nl.) von der Tagesordnung ab- geseßt. : i - :

Der Antrag Rickert auf Ueberweisung der Petition des Waldeck-Vereins in E Cbcioeits in Mecklenburg auf r eG8gesey- lihe Regelung des Vereins- und Versammlungsrechts an den Reichskanzler zur Berücksichtigung wird heute nohmals jur Abstimmung gebracht, da er am Mittwoh nur handschriftlich vorlag. Der Beshluß vom Mittwoch, den Antrag Riert anzunehmen, wird bestätigt.

Darauf werden Berichte der Petitionscommission berathen. f

Neunzehn gleihlautende Petitionen aus Mitteldeutshland mit zahlreichen Ünterschriften nehmen ihren Ausgangspunkt von der Be- hauptung, daß am 26. Mai 1890 der Redacteur Boshart von Gotha zur Verbüßung einer mehrmonatigen Gefängnißstrafe in das gemeinschaftliche thüringishe Gefängniß zu Ichtershausen eingeliefert und in diesem in unangemessener, kränkender und gesundheits- Cer Weise behandelt worden sei. Die A verlangen

erbesserung des Strafvollzuges und differentielle Behandlung der Gefangenen.

Die Commission hat Uebergang zur Tagesordnung beschlossen.

Abg. von Strombeck (Centr.) beantragt, diese Petitionen dem Bundesrath zur Berücksichtigung in der Richtung zu überweisen, daß bereits vor der in Erwägung gezogenen eform des Vollzugs der P die wichtigsten Grundsäße bezüglich der Beschäftigung, Bekleidung, Beköstigung und sonstigen Behandlung der Straf- und Untersuchungsgefangenen im Wege der Reichsgeseßzgebung thunlichst festgestellt würden.

Der Antrag wird von den Abgg. Dr. von Bar A und Prinz zu Carolath (b. k. F.) befürwortet und vom Hause angenommen.

Die Petition des Aufsichtsraths des internationalen Vereins der Gasthofsbesißer wird nah kurzer Befürwortung durch den Abg. Goldschmidt (dfr.) dem Reichskanzler zur Erwägung überwiesen.

Die Firmen Mohr u. Co. und Konrad Haas Söhne zu Mann- heim petitioniren wegen Mqu aus Holzverkaufsverträgen in den occupirten Landestheilen während des deutsch-französischen Krieges.

Ein Antrag Clemm auf Berücksichtigung wird abgelehnt, nach- dem sich Uen Freiherr von Maltahn dagegen aus- gesprochen, der Commissionsantrag auf Uebergang zur Tagesordnung angenommens

_ Eine ay! von Petitionen, betreffend die Se beziehungs- weise Aufhebung des Invaliditäts- und Altersve icherungsgeseßes, werden dem Reichskanzler als Material überwiesen ; dasselbe geschieht mit den Petitionen, betreffend die Ausdehnung der Gewerbeordnung auf die Fischerei.|

laß greife. Ein Unterschied B legitimem und illegi-

Berat vertagt sih das Haus.

chluß 51/, Uhr. Nächste Sißung Sonnabend 19 Uhr ti Berathung der Nachtragsforderung für die Ays. tellung in Chicago; dritte Lesung des Reichshaushalts-Eiats)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts,

__— Gegen eine ertheilte Ansiedelungsgenehmigung war Ei

spruch erhoben, weil zu dem betreffenden Grundstücke fein ordent, liher Weg führe, sondern nur ein den Einsprechenden gehörige, Privatweg. Durch Bescheid und Erkenntnisse erster und zweite: Instanz abgewiesen, weil die Klage unzulässig sei, machten die Ein; sprechenden noch geltend, Ee Klage jedeusalls nah § 127 ff. des Landesverwaltungsgeseßes hätte behandelt werden müssen, da se dieselbe als Eigenthümer des Weges angestellt hätten und jie dur die Zulassung der Ansiedelung in ihren Rechten gekränft seien. In dem die Revision zurückweisenden Erkenntnisse vom 11. Dezember 1891 (Nr.. [V 1177) spriht das Königliche Ober, Verwaltungsgericht IV. Senat aus, daß die im § 14 dez Ansiedlungsgeseßes zur Bedingung gemachte Zugänglichkeit der neuen Anjsiedlung vom Standpunkt der gemeinen Woblfa rt aus ledigli Gegenstand der öffentlichen Fürsorge und damit aus\chließlich dem Befinden der Polizeibehörde unterstellt sei; es stehe deshalb nur der Polizeibehörde, niht aber den fonst etwa bei einer Ansiedlung Interessirten das Recht zu, den Mangel der Zugänglichkeit eines Ansiedlungéplates als Grund zur Versagung der Genehmigung geltend zu machen. Im weiteren aber wird dargelegt, daß die polizeiliche Thätigkeit sich auf die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses zu beschränken habe, und wenn die Polizei auch unter Umständen berufen sei zum Schuße gefährdeter Privatrehte einzutreten und der Einzelne ein ecrheblihes Interesse daran haben könne, daß die Polizeibehörde in bestimmter Richtung gegen einen Dritten eine Thätigkeit entwitele so sei do im allgemeinen ein subjectives, durh die Rechtsmittel der 88. 127 ff. L.-V.-G. geshüßtes und erzwingbares Recht des Einzelnen auf die nach seiner Ansicht erforderliche polizeiliche Thätigkeit dem be- stehenden Rechte fremd. Nur auf etnzelnen bestimmten Gebieten sei den Interessen der Einzelnen neben dem öffentlichen Interesse ein besonderer Rechts\huß im Streit- 2. Verfahren eingeräumt. Das» selbe sei aber genau abgegrenzt und die Controle des darin eschaffenen Nechtszustandes in der Regel lediglich der polizei: ichen Fürsorge überlassen. Zu diesen Ausnahmegebieten (der fogenannten Popularklage) gehöre die Gründung neuer Ansiedelungen, bezüglih deren das Gescß den Interessen der Einzelnen 15 ff.) neben dem öffentlichen Interesse 14) einen besonderen Nechtsshußz gewähre. Deshalb könne das betreffende Verfahren sich nur innerhalbdesRahmensdes Ansiedelungs- geseßes abspielen, den Betheiligten ständen aber die Rechtsmittel der 88 197 ff. des L.-V.-G. niht zu. Außerdem könnten aber auch die Ansiedelungsgenehmigung und der etwaige Einsprüche abweisende Bescheid überhaupt niht als polizeiliche Verfügungen int Sinne der citirten § 127 ff. erachtet werden, und es fei niht abzusehen, inwiefern hier in die Nechtésphäre der Cigenthümer eingegriffen fei, denn dur die Ertheilung der Ansiedelungsgenehmigung sei den Ansiedlern o keineswegs das Recht gegeben, den Privatweg zu benußen; versuchten sie dieses etwa, so hätten die Eigenthümer immer das Recht, diese Benußung, auch mit Anrufung des ordentlihen Richters, zu hindern.

In einem Streite zwishen dem Wegefiscus und der Wege- polizcibehörde bezw. den mitverklagten Gemeinden über die Unterhal- tung einer Brücke, welche im Zuge eines Weges lag, der bis zum Bau einer parallel laufenden, hie und da allerdings ca. 7 km entfernten Chaussee Landstraße im Sinne des § 111 15 A. L.-R. gewesen war, handelte es ih nur um die Frage, ob die Landstraße ihre rechtliche Eigenschaft als solche verloren habe, und insbesondere, ob dies dur den Bau der die beiden Endstädte verbindenden Chaussee geschehen sei. Das Erkenntniß des KöniglihenOber-Verwaltungsgerichts, Vierter Senat, vom 27. November 1891 (IV 1117) spricht aus: das Allgemeine Landrecht enthalte keine ausdrücklihe Vorschrift in dem Sinne, daß es rechtlich möglich sei, einer Landstraße diese ihre rechtlihe Eigenschaft lediglich durch einen Ausspruch der Landes- Polizeibehörde, wonach sie, weil entbehrlih, als folhe aufgegeben werde, mit der Wirkung zu entziehen, daß sie von da ab als gewöhn- licher Communicationêsweg von den dazu Verpflichteten zu unterhalten jei. Dagegen sei allerdings der Staat nah § 4 I1 15 A. L.-R. besonders ermächtigt, die Land- und Heerstraßen, so wie er es zum gemeinen Besten dienlich finde, zu verändern und zu verlegen, und zwar derart, daß durch neue Straßen oder Straßen- theile cin Ersay bestehender geschaffen werde, sodaß die leßteren insoweit aufhörten Landstraßen zu sein und mit ihrer Beseitigung auch die Unterhaltungspfliht des Fiscus fortfalle. Werde die Landstraße selbst zu einer Chaussee umgestaltet, so sei die Sade klar. Wenn aber Chaussee und Landstraße auseinanderliegen, so müsse noch der Umstand hinzutreten, daß die Land traße auch that- \ächlich aufgehört habe, Landstraße im Sinne des Allgemeinen Land- rechts zu sein. Das könne aber nur dann eintreten, wenn die neben ihr angelegte Chaussee denjenigen allgemeinen, über das locale Interesse hinausgehenden Hauptverkehr, welhem die Landstraße f widmet gewesen, aufgenommen habe, gleichviel ob diese Aufnahme bet Anlage der Chaussee ausdrückliche Beitimmüv gewesen sei, oder si nur stillschweigend thatsächlich vollzogen habe.

Auf Grund des § 13 f. Tit. 15 Th. 11. des Allg. Land- rechts waren die betreffenden Gemeinden und Gutsbezirke zur Her stellung einer Land- und Heerstraße herangezogen. Da dieselben die Dienste nicht leisteten, wurden leßtere verdungen und der dafür aus- egebene Betrag durch Verfügung des Königlichen NRegierungs- Prásidenten auf die Gemeinden und Gutsbezirke nah Landbesiß ver- theilt und die einzelnen Pflichtigen aufgefordert, die auf sie fa enden Beträge in bestimmter Frist zu zahlen. Die Pflichtigen er- hoben hiergegen auf Grund des § 130 ‘des Landesverwaltung®- geseßbes Beschwerde beim Königlihen Ober - Präsidenten und gegen den ablehnenden Bescheid Klage beim Ober-Verwaltungs- ericht. Der Vierte Senat des Königlichen Ober-

erwaltungsgerichts entschied am 18. Dezember 1891 (Nr. IV 1197) aus formellen Gründen, das der Bescheid des König- lichen Ober-Präsidenten a pa d und die Beschwerden an den Königlichen E identen abzugeben, damit sie als Ein- ride nah î 56 des uständigkeitsgeseßes behandelt würden. V Gerichtshof führte aus, daß der Regierunga ren die Anordnung aus § 13 cit. nicht als Communal-Aufsichtsbehörde, sondern als Landes-Polizeibehörde erlasse. Sei aber die eine Anordnung W!f vorliegend enthaltende Verfügung eine polizeiliche, 1 sei fe eine wegebaupolizeilihe im Sinne des 90 des Zuständigkeitsgeseßes, denn der Wortlaut des § 13 cit. nach dem es sih um Anordnungen „bei Unterhaltung und Besserung der Wege handele, decke sich inhaltlich mit den Anordnungen des cit. H 0b. Daß der Regterungs-Präsident hier zu einer weg e polizeilichen Thâtigkeit berufen fi, widersprehe auch niht dem § 59 der Krels- ordnung, denn der § 13 cit. stelle sich als ein besonderes Geseß im Sinne dieses Paragraphen dar, durch welches wegepolizeilihe Functionen anderen Harden als dem Acttaelierer übertragen sind, und daß diesen ihre Befugniß in dem ‘bisherigen Umfang verbleibe, sei in § 55 Zust.-Ges. noch befonders hervorgehoben, Anders würde die Sade liegen, wenn der Regierungs-Prä iden die Dienste bezw. die Geldsummen nur vertheilt und der (A been o (Amtsvorsteher) überlassen hätte, die Leistung 3

flihtigen aufzugeben, was an e nano erscheine. Dann lâge nur eine innerdienstlihe, mit einem Rechtsmittel überhaupt nit an greifbare Regelung vor, und die Pflichtigen könnten dann erst geg die Anordnung des Amtsvorstehers, durch welche auch die Regelung mitgetheilt werde, Rechtsmittel (Einspruch Klage) einlegen, w?0 4. N auch über den Inhalt der Regelung des Regierungs räfidenten materiell mit zu entscheiden fein würde.

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

L Z

Berlin, Freitag, den 25. Mürz

1892.

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 5. Sigung vom Donnerstag, 24. März.

Der Sizung wohnen der Vice - Präsident des Staats- Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Minister des Jnnern Herrfurth , der Justiz-Minister Dr. von Schelling, der s P Dr. Miquel und der Minister für Landwirthschaft 2c. von Gee

n die A GIE E aaa ‘olieder Dr. Dernburg, Prinz zu Hohenlohe- Fngel- ha, von Winterf (di Menkin , Graf Zieten- Shwerin auf Vorschlag des Wirklichen Geheimen Raths oon Kle ist-R ey 0w dur Zuruf wiedergewählt. E

Als Mitglieder für die Staats\huldencommission werden ebenfalls auf orshlag des Wirklichen Geheimen Raths von Kleist-Reßow die Herren von Klügow, von Pfuel und der Kammergerichts - Präsident Drenfkmann durch Zuruf gewählt. i: i L

Der Bericht über die Ausführung des S 6 des Ge- ehes vom 9. Mai 1890, R as den weiteren Erwerb von Privateisenbahnen für denStaat, wird auf Antrag de Eisenbahncommission durh Kenntnißnahme für

igt erklärt. as folgt der Geseßentwurf, betreffend die Kosten gónigliher Polizeiverwaltungen in Stadtge-

inden. me § 1 sollen die Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung ¡u den Kosten der Polizei nah Maßgabe der Einwohnerzahl Bei- träge an den Staat zahlen, und zwar: : j

a. Die Stadtgemeinde Berlin je 250, þ. die Stadt- gemeinde Cassel je 0,32 M; ferner c. die Städte mit mehr als 75 000 Einwohnern je 1,50 4, d. mit mehr als 40000 bis 75 000 Einwohnern je 1,10 M, e. mit 40000 und weniger Einwohnern y ite die Verwendung dieser Beiträge, insbesondere auch zur Vermehrung der Landgendarmerie behufs Ausdehnung der Thätigkeit derselben auf die zu Landkreisen gehörigen Stadtgemeinden und behufs Verstärkung derselben in den Vororten der einen eigenen Kreis bildendenStädte mit communaler Polizeiverwaltung soll der Etat jährlich

Bestimmungen treffen. V L BAradrmelfter Becker beantragt, an Stelle von c, d, e zu seßen: ec) je 1,20 M, 4) je 0,90 4, e) je 0,60 6; und ferner die gesperrt gedruckten Worte zu streichen. ; ¿

Jn der Generaldiscussion beantragt der Berichterstatter der Commission für communale Angelegenheiten ODber-Bürger- meister Struckmann die unveränderte Annahme der Vorlage

und befürwortete in längerer Darlegung der Materie diesen Antrag.

Ober-Bürgermeister Selke erklärt sich gegen die Vorlage, die man eigentlih als lex Eynern bezeichnen fönne. Ein U E Grund, weshalb die Regierung diesen Entwurf gemacht habe, sei niht klar zu erkennen. Nur habe das Abgeordnetenhaus vor mehreren abren in einer Resolution verlangt, daß diese Angelegenheit „anders* geregelt werde. Das Geseg von 1850, welches eine Ver- theilung der Polizeikosten zwishen Staat und Städten nah per- sönlihen und sählihen Kosten festgeseßt habe, habe damit ein gesundes Princip aufgestellt und ih bisher fo bewährt, daß cigentlih fein Grund zu einer Aenderung vorliege. Aud in Königsberg habe sich der jeßige Zustand durchaus bewahrt, Conflicte zwishen dem Magistrat und der Königlichen Ee seien dort seit Jahrzehnten nicht vorgekommen. Des- alb solle man es lieber beim jeßigen Zustand belassen. Die in §1 festgesetzten Beiträge der Städte seien immer nur mehr oder minder willfürlih bemessen, gleihviel welche Zahlen man besch] ieße. Der Staat solle etwa zwei Drittel der Polizeikosten und die Städte ein Drittel tragen. Je mehr aber die Städte an Einwohnerzahl wühsen, desto ungünstiger gestalte sich für sie das Verhältniß. Die Städte sollten nur bezahlen, ohne Einfluß auf die Verwaltung der Polizei zu Haben: den großen Städten könne man die Polizei- verwaltung ruhig selbs überlassen. Königsberg habe nach der BVor- lage viel mehr zu bezahlen als bisher. Frankfurt a. M. erfahre demgegenüber eine nicht gerechtfertigte Berücksichtigung. Auch der jeßige Zeitpunkt sei nicht geeignet für eine jolhe Belastung der Sklädte troß der großen Ergebnisse der neuen Einkommensteuer; denn davon hätten die Städte ihrerseits feinen Vortheil, weil sie den Prozentsaß der Zuschläge zur Staatssteuer herunterseßten. Da- segen liefere die Einkommensteuer dem Staat die Möglich- eit, mehr für die Polizei zu zahlen und auf etgene Kosten die Landgendarmerie zu verstärken. Anders dagegen würde «é sein, wenn es wirklich zu einer Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer käme. Die Provinz Ostpreußen bedürfe der staat- lihen Fürsorge besonders, da sie dur das Abschließungssystem ußlands zu leiden habe. Er danke daher Seiner Majestät für das Wohlwollen, das Allerhöchstderselbe der Provinz und damit auch der Stadt Königsberg entgegengebraht habe durch die wiederholten Reisen dorthin. Diese Reisen seien nit vergeblih gewesen, Seine Gg, habe dabei Land und Leute studirt und kennen gelernt. Die

erheitspolizei sei allerdings so sehr Sache des Staats, daß dieser

- -

Si den Städten, w \ ie Sicherheitspolizei ausübten, noch tinen Beitra [E N Ee a de Mohlfahrtspolizei solle man den Städten allein überlassen. Die Königliche Polizeiver- waltung werde von den Städten nur als Last empfunden. Er werde gegen das Geseg stimmen, das weder gereht noch billig fei.

Minister des Jnnern Herrfurth:

Ih glaube, darauf verzihten zu sollen, gegenüber den vielfachen und zahlreichen Angriffen, welche der vorliegende Gesetzentwurf seitens des geehrten Herrn Vorredners gefunden hat, noch einmal ausführlich die Gesichtspunkte darzulegen, von denen die Staatsregierung bei der

orlage dieses Entwurfs ausgegangen ist ; und zwar aus dem Grunde, weil diese Gesichtspunkte in den Motiven des Geseßes, in der Dis- ussion des anderen Hauses, namentli aber in der lichtvollen, klaren Darstellung des Herrn Referenten von vornherein ihre volle Begrün- dung, jene Angriffe aber vollständige Widerlegung gefunden haben. h beschränke mih deshalb darauf, aus den zahlreihen Einwendungen F Herrn Vorredners diejenigen hervorzuheben, von denen ih glauben nte, daß sie auf thatsächlich falshen Vorausseßungen beruhen. Zunächst hat der Herr Ober-Bürgermeister Selke der Staats- tgierung zum Vorwurf gemacht, sie habe eigentlich den Gesetzentwurf r niht aus eigener Initiative eingebracht und nicht mit ihren

“nen Gründen motivirt, sondern der Entwurf sei weiter nichts als

nex Eynern“, und die Staatsregierung habe si ohne weiteres die ïnde dieses einzelnen Abgeordneten angeeignet. Meine Herren, der

Herr Ober-Bürgermeister scheint mir doch die Begründung nicht voll- ständig gelesen zu haben, denn auf Seite 1 im zweiten Absaßz dieser Begründung is ausdrücklich namens der Staatsregierung aus- gesprochen :

„Es erscheint als ein Bedürfniß, die in Beziehung auf die Kosten Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden be- stehenden Ungleichheiten, zu deren Beibehaltung ein innerer Grund niht vorhanden is, aufzuheben und diese Angelegenheit nach neuen gleichen Grundsäßen zu regeln, hierbei auch die Unzuträglichkeiten zu beseitigen, welhe aus der bisherigen Geseßgebung sih ergeben haben.“

Dabei ist in dem weiteren Verlauf der Begründung ausdrücklich hervorgehoben, daß die wesentlichsten dieser Unzuträglichkeiten darin bestehen, daß. die größeren und reicheren Städte in Betreff der Be- streitung der Kosten der Polizeiverwaltung ganz wesentlich bevorzugt werden vor den mittleren und kleineren Städten und vor dem platten Lande, und daß es ein Gebot der Gerechtigkeit sei, diese ungereht- fertigte Bevorzugung der größeren Städte zu beseitigen. Der Herr Ober-Bürgermeister Selke hat früher Bezug genommen auf eine Aeußerung meines hohverehrten Hercn Amtsvorgängers aus dem Jahre 1883 und hat bedauert, daß derselbe heut niht anwesend sei, um diefe seine Aeußerungen wiederholen zu können. Ja, meine Herren, ih bedaure auch, daß derfelbe heut niht anwesend ist, denn ich glaube, er würde sich nit auf diese einzelne gelegentlihe Aeußerung vom Jahre 1883 bezogen haben, sondern auf die That vom Jahre 1887/88. Er hat nämlich dem Landtag einen Geseßentwurf vorgelegt, der im wesent- lihen in dem Grundprincip auf dem gleichen Standpunkt steht wie der vorliegende Entwurf und von demselben lediglih darin abweicht, daß er den Beitrag der Städte erh eb li ch böber normiren wollte, nämlich auf die Hälfte der gesammten Kosten der Polizeiverwaltung. Ich glaube kaum, daß Herr Ober-Bürgermeister Selke damit einver- standen sein würde, daß diefer Geseßentwurf etwa den heutigen erfete, denn dann würden die 22 Städte statt der 6 500 000 4, die sie nah dem vorliegenden Geseßentwurf zahlen follen, nahe an 10 Millionen zu zahlen haben. (Hört! hört!)

Der Herr Ober-Bürgermeister Selke geht davon aus, die Ein- richtung einer Königlichen Polizeiverwaltung sei für die städtischen Gemeinden eine große Last, und man müsse ihnen noch möglichst viel zugeben, wenn sie diese Last tragen sollten. Er exemplificirt auf einen Specialfall, indem er sagt: „Erinnern Sie sich, wie groß in der Stadt Elbing die Freude gewesen ist, als man ihr die Königliche Polizeiverwaltung abnahm und die communale wiedergab". Ich habe nach dieser Richtung hin auch Erfahrungen gemacht, aber mit ent- gegengeseßztem Ergebniß; ih habe vier Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung angeboten, die Polizei als communale zu über- nehmen, und diese Städte haben dringend gebeten, es bei der Einrich- tung der Königlichen Polizei zu lassen. (Hört, hört!) Ich glaube doch nicht, daß die Ansicht des Herrn Ober-Bürgermeisters Selke eine fo allgemein gültige ift.

Er bemängelt in dem Gesetzentwurf ferner die Bestimmung über die Verwendung der Beiträge der Städte zur Vermehrung der Land- gendarmerie, jedenfalls liege diese Verwendung in so weiter Ferne und sei es so zweifelhaft, ob überhaupt dieses Ziel erreicht werden fönne, daß das kein Grund sein könne, den Geseßentwurf anzunehmen. Es ist wiederholt sowohl in Ihrer Commission als im anderen Hause erörtert worden, daß allerdings § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes keine dis - positive Bestimmungen enthält nah der Richtung, daß bestimmte Summen zur Vermehrung der Landgendarmerie verwendet werden müssen. Aber die Staatsregierung hat mit voller Bestimmtheit erklärt, daß sie in den nächsten Etat, wo diese Summen als Ein- nahme eingestellt werden, die Verwendung derjenigen Beträge, die nicht nothwendig sind, um die bisherigen Beiträge der Städte zu über- nehmen, zum Zwecke der Vermehrung der Landgendarmerie vor- schlagen werde, und Herr Ober-Bürgermeister Selke kann darüber beruhigt sein, daß dieses Versprechen eingehalten wird. Aller- dings in einem Falle würde die Staatsregierung niht in der Lage sein, das Versprehen zu erfüllen, nämlich wenn die die Anträge angenommen werden sollten, die Herr Selke mit unter- schrieben hat; denn dann bliebe nicht so viel übrig, daß eine aus- reichende Anzahl von Gendarmen würde angestellt werden können.

Er exklärt dann weiter, die Petition der Stadt Berlin, welche darauf hinausgeht, obligatorisch die gesammte Wohlfahrts- polizei unwiderruflih nicht eiwa dem Bürgermeister, sondern dem collegialen Magistrat zu überweisen, sei eigentlih der Stein der Weisen; die Anträge dieser Petition hätten angenommen werden sollen. J glaube allerdings, daß es ihm ganz erwünscht gewesen wäre, wenn die Staatsregierung diesen Standpunkt eingenommen hâtte, denn, meine Herren, dann wäre er ficher gewesen, daß das Geseß nicht zu stande gekommen wäre. Es ist darüber im anderen Hause kein Zweifel gewesen und fo weit ich die Stimmung dieses hohen Hauses beurtheilen kannn, glaube ich, ist hier genau dasselbe der Fall, daß, wenn die Königliche Staatsregierung eine derartige Be- stimmung hätte bringen wollen, sie niht auf Annahme des Gesetzes würde haben rechnen können.

Herr Ober-Bürgermeister Selke bemerkt dann ferner, es sei in diesem Geseß schablonisirt worden, nur für zwei Städte habe man individualisirt, das sei Cassel und Frankfurt a./M. und bei Cassel habe die Staatsregierung das mit der Angabe begründet, es liege ein Staatsvertrag vor, während von solhem Vertrag doch eigentlih nicht die Rede sein könnte.

Es ist aber unrichtig, daß für Frankfurt irgend eine individuelle Bestimmung in dem Geseßentwurf getroffen worden ist. Für Frank- furt finden sih solhe Bestimmungen nit, sondern lediglich in den Motiven ist davon die Rede, daß auh für Frankfurt ungeachtet der besonders hohen Kosten, welche der Staat für die Frankfurter Polizei aufwenden muß, kein besonders, höherer Betrag ausgeworfen fei, weil die Stadt Frankfurt sehr große Ausgaben durch die Erbauung des Prâsidialgebäudes gehabt hat, derselbe Grund, der au für Berlin angeführt ist, bezüglih der übrigen Städte aber nit vorliegt.

Was aber Cassel anbelangt, so liegt fein Staatsvertrag, fondern ein yrivatrehtliGher Vertrag zwishen Staat und Stadt vor, und zwar ein lästiger Vertrag, und daß die Staats- regierung nicht von einem Vertrag, welcher titulo oneroso geschlossen wurde, zurücktreten, sondern daß sie dem Vertragstreue halten wird, das wird ihr doch niht zum Vorwurf, gemacht werden können.

Herr Ober-Bürgermeister Selke sagt dann ferner, diese ganze Sache sei zu einem unrichtigen Zeitpunkt in Anregung gebracht und die Behauptung, die-anderwätks aufgestellt sei, gerade der jeßige Zeitpunkt sei der geeignete, träfe absolut nicht zu. Ich bestreite das durchaus. Gerade an der Hand der Zahlen, die der Herr Ober- Bürgermeister Selke für seine eigene Stadt gegeben hat, behaupte ich, es ist jeßt der rihtige Zeitpunkt für diese Neuregelung und zwar au für die Stadt Königsberg gekommen. Wenn ich feine Zahlen richtig notirt habe, so belaufen sich in Königsberg die Méhr- erträge an Staatseinfommensteuer auf 159000 #; Sie haben bisher an Gemeindesteuern 220 9/9 der Staatspersonalsteuer aufgebracht, Sie würden also, wenn fie denselben Procentsaß beibehalten, 330 000 an Communalsteuern mehr einnehmen. Die Mehrkosten, welche dieses neue Geseß Königsberg auferlegt, betragen 125 000 4 also bleiben der Stadt immer noch 200 000 Æ zu neuen Ausgaben oder zur Ermäßigung des Steuersaßes übrig, ohne daß fie irgend etwas Anderes gethan hat als Gebrauh zu machen von den neuen Steuerquellen, welhe der Staat der Stadt durh das Einkommen- steuergeseß eröffnet.

Herr Ober-Bürgermeister Selke hat uns mit einer gewissen

Emphase gesagt: Ja, wenn die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer stattfände, da würde ih nichts dagegen zu erinnern finden, wenn man den Städten die vollen Kosten der Polizei auferlegte. Ich bin mit dem Herrn Finanz-Minister bereits in sehr eingehende Verhandlungen darüber eingetreten, in welcher Weise die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer oder wenigstens einer sehr erheblihen Quote derselben an die communalen Verbände er- folgen soll. (Hört, hört!) Wir sind allerdings niht auf den wir nun dabei etwa auch gleich abäntern und den Städten die vollen Kosten der Polizei, wie Herr Selke vorschlägt, in Anrechnung bringen (Heiterkeit) ; ih bin aber sehr gern geneigt, diesen Gedanken in weitere Erwägung zu ziehen. (Heiterkeit.)

Ich möchte mich dahin resumiren. Mit großer Bestimmtheit er- flärt Herr Ober-Bürgermeister Selke: Dieses Gesetz ist für die Städte weder gerecht noch billig. Ich fage, dieses Gefeß erfüllt aller- dings eine Forderung der Gerechtigkeit. Gs ist gereht, daß die größten und reichsten Städte der Monarchie dasjenige, was ihnen bisher meines Erachtens in übergroßer Liberalität, zugewendet worden ist, niht auf unbestimmte Zeit noh ferner auf Kosten aller übrigen Städte und des platten Landes genießen; und wenn ih die Summen ansehe, welche von ihnen gefordert werden, fo kann ih nur fagen, das Gesetz is für jene Städte nicht nur gerecht, fondern es ist sogar auch noch recht billig. (Lebhaftes Bravo !)

Graf von der Schulenburg -Beeßendorff isi für den Gesetzentwurf, der ein Compromiß über eine fehr schwierige Veaterie darstelle, und eine durchaus billige Scala für die Beiträge ter Städte enthalte, dagegen scien die Anträge Becker unannehmbar. Selbst der Ober-Bürgermeister Selke sei nicht so sehr gegen das Princivy des Ge- setzes, wie gegen die Höhe der Beiträge. / i

© Ober-Bürgermeister Zweigert hält das Geseg für unannehm- bar, weil es auf einem grundfalshen Princip beruhe. Schon nach altem römischen Necht habe der Mandant den Mandatar zu bezahlen. Wenn also die Städte die eigentlih dem Staat obliegende Polizeiverwaltung übernähmen, müßte der Staat logisher Weise ihnen dafür einen Beitrag leisten. Der jeßige Zeitpunkt fei keineswegs für eine größere Belastung der Städte geeignet, die Mehreinnahme aus der Cin- fommensteuer solle vielen zur Deckung von Deficits dienen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Wir haben hier eben einen Vertreter der Selbst- verwaltung der Städte gehört, aber er will die Selbstverwaltung auf privatrechtlichen Gesichtspunkten des Mandatsverhältnisses von Staat und Commune begründen. Er hat sich auf das römische Recht in dieser Beziehung berufen, aber er wird als Kenner des römischen Nechts wissen, daß der Mandatar die ihm aufgetragenen Geschäfte nach dem Willen und der Instruction des Mandanten ausführen muß. Wie darin Selbstverwaltung liegen foll, wenn der Mandatar, die Städte, die in ihre Selbstverwaltung gezogenen Dienstzweige un- bedingt und in allen einzelnen Bestimmungen nach den ertheilten In- \structionen der Staatsregierung durchführen soll, ist mir unerflärlich. Aber das ganze Bild ist falsch. Es handelt sich hier gar nicht um ein privatretliches Verhältniß, es handelt sih um eine feit Jahr- hunderten fann man Deutschland und in Preußen bestehende Einrichtung, nah welher die Städte einen gewissen Theil oder die ganze Polizeiverwaltung aus- übten, allerdings nicht kraft eigenen Rechts, fondern als eine dem Staate immanente Befugniß, als eine \taatlihe Pflicht. Die Frage, die wir hier zu stellen haben, ist einfach die: an diesen histo- ris hergebrachten Rechtszustand anknüpfend fragen: Sind uun die Lasten, welche aus der Polizeiverwaltung den Communen entstanden, auch gleichmäßig vertheilt? Das hat der Herr Vorredner gar nicht einmal zu beweisen versuht und es würde ihm auch nicht gelingen, und ih glaube, der Herr Minister des Innern hat schon in dieser Beziehung eine shlagende Widerlegung gegeben. Wenn nun der Herr Vorredner sagt, der Zeitpunkt sei niht opportun, weil ja die Städte von dem Mehrauffommen der Einkommensteuer infolge der neuen Veranlagung keinen Vortheil hätten, indem sie das vergrößerte Deficit zu decken haben nun, wenn dieses Geseß gemacht wurde zu einer Zeit, wo die neue Einkommensteuer niht veran- lagt wäre, so hätten die Städte die procentualen Zuschläge ganz anders“ erhöhen müssen. Heute aber sind sie mit Rücksicht darauf, daß die staatliche Veranlagung eine neue Steuerquelle der Bürgerschaft eröffnet (Zuruf : Nein!) nicht gezwungen, die xrocentualen Zuschläge zu erhöhen, und gerade aus diesem Gesichtspurkt halte ih

Gedanken gefommen,

daß dieses Gesez wieder

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sagen in