1892 / 74 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

den gegenwärtigen Zeitpunkt für sehr opportun. Ich möchte mir aber noch einige allgemeine Bemerkungen gegen die Ausführungen des Herrn Ober-Bürgermeisters Selke gestatten. Er hat die Sache so dargestellt, als wenn den Städten und Communen in den leßten Jahren immer mehr Lasten auferlegt wären seitens des Staats, der Staat si bereichert habe und die Communen überbürdet seien mit Pflichten und Opfern und Lasten. Nun, ich bin gerade der entgegengeseßten Meinung, und wenn die Herren unseren Etat berathen und die Finanzlage des Staats, wie sie si gestaltet hat, si klar machen, so werden Sie sich überzeugen, daß wir in den Teßten Jahren in der gerade entgegengeseßten Entwickelung gewesen find. Es wird Ihnen leiht ersichtlich werden, daß der Staat zu Gunsten der Communen dauernde Einnahmen preisgegeben, bezw. dauernde Ausgaben übernommen hat mindestens in Höhe von 80 bis 90 Millionen. Ich werde auf die Details niht näher eingehen, ih wäre aber schr wohl dazu in der Lage. Wie aber folche Klagen noch erhoben werden können in demselben Augenblick, wo ein Mehrbetrag von etwa 40 Millionen aus der neuen Einkommensteuer gesezmäßig bestimmt ist, zur Ueberweisung von Grund- und Gebäudesteuer an die Communen zu dienen, das ist mir vollständig räthselhaft. Die gegenwärtige Finanzlage des Staats könnte wohl sehr erheblihe Be- denken in dieser Beziehung erregen, aber daß seitens der Communal- Verwaltungen darüber geklagt wird, daß der Staat ihnen nur Lasten und keine Einnahmen zuwendet, das ist in keinem Falle zutreffend.

Der Herr Ober-Bürgermeister Selke hat sih nun weiter darüber beklagt, daß das ganze Geseß keineswegs einen irgendwie organischen Charakter habe, es sei ein Gelegenheitsgeseß, um mehr Einnahmen zu bekommen. Nun, was diesen organischen Charakter betrifft, so fönnte man ja unter gewissen Vorausseßungen vielleicht diese Be- mängelung gehen lassen. Wenn man aber den anscheinend dem Herrn Ober-Bürgermeister Selke unterliegenden Gedanken verfolgt, daß dur Geseß der Staat auf die Ausübung der Polizei in den großen Städten überhaupt verzichte, und die gesammte Polizei zu Lasten der großen Städte ausgeübt werde, wenn ein solches Gefeß vorgelegt würde, so würden diese großen Städte, um die es sich hier handelt, doch niht behaupten können, daß sie in Beziehung auf die hieraus entstehenden Lasten besser behandelt werden müßten als alle übrigen Städte des Landes, die heute die gesammte Polizei auf ihre Kosten verwalten. Im Gegentheil, man würde wohl berechtigt sein zu sagen: diese großen Städte sind in so günstigen Verhältnissen gegenüber den kleinen Städten, daß sie wohl mehr Lasten übernehmen fönnten als diese. Also wenn dieser - organishe Gesichtspunkt, wie Herr Ober-Bürgermeister Selke meint, wirklich zur Durchführung gelangen würde, dann würden finanziell die großen Städte sich jedenfalls sehr viel s{hlehter stehen.

Nun fommt aber weiter hinzu: er stellt die Sache so dar, als wenn die Ausübung einer Polizeigewalt in den Städten eine Ver- minderung der Selbstverwaltung, gewissermaßen eine capitis diminutio wäre. Der Herr Minister des Innern hat schon darauf hingewiesen, daß von vier Städten wenigstens der Versuch, die Königliche Polizeiverwaltung überhaupt aufzuheben , zurüd- gewiesen worden ist. Aber wir haben noch mehr Er- fahrungen gemacht. Ich behaupte aus meiner früheren Stellung als Ober-Bürgermeister, daß kaum eine Stadt von den hier in Frage fommenden Städten zu finden wäre, die geneigt wäre, die Sicher- heitspolizei zu übernehmen, selbst wenn es staatlih mögli wäre, dazu überzugehen. Ich bin überzeugt, die Städte würden sämmtlich eine solche Zumuthung abweisen. Ganz anders aber liegt noch die Frage in Betreff einer ganzen Reihe von Zweigen der Wohlfahrts- polizei. Da ist auch die Staatsregierung der Meinung, daß es in vielen Fällen unbedenklih is, wichtige Zweige der Wohlfahrtspolizei zu übertragen. Aber selbst da haben die Verhandlungen Schwierigkeiten gefunden, und verschiedene Städte haben gar keine Neigung gezeigt, sehr wichtige, ihre Selbstverwaltung vermehrende Zweige der Wohl- fahrtépolizei zu übernehmen. Man wird also von diesem Sesichtêpunkt aus jedenfalls die Vorlage nicht bekämpfen können, während die Absicht ja deutlih genug ausgedrückt ist, sehr erhebliche ja alle Zweige der Wohifahrtspolizei in die communale Verwaltung zu geben; die Städte, die dazu geneigt sind, werden bei der Staats- regierung ein durchaus geneigtes Ohr finden.

Meine Herren, auf die Specialfragen, die namentlih in dem einen Amendement angedeutet sind, wird man später zurückommen. Ich bin überzeugt, diesem Gese wird es genau so gehen, wie der Ein- fommensteuer. Das Geseß wird im Anfang in den Städten schon wegen der stattfindenden mäßigen Mehrb-lastung unangenehm empfunden werden, ebenso wie die Declaration und die Pfliht zur Declarirung von den Betheiligten unangenehm empfunden wurde, auh ganz abgesehen von der Mehrleistung; und doch wird sließlich das Gefühl der Gerechtigkeit und der gleich- mäßigen Behandlung gegenüber den Staatslasten durhs{hlagend sein, selbs in denjenigen Städten, um die es sih im vorliegenden Falle handelt. (Bravo.)

: Ober-Bürgermeister Schmieding: Das Gesetz beruhe eigentlich auf einer ganz verkehrten Grundlage. Denn die Beschwerde sei eigentlih dahin gegangen, daß die meisten Städte Polizeikojsten hätten übernehmen müssen, die eigentlih der Staat hätte zahlen müssen. Statt diese Städte zu entlasten, würden die Städte mit König- licher Polizeiverwaltung belastet. Die Städte empfänden es als eine Benachtheiligung, daß ihnen die Polizeiverwaltung nit selbständig überla}sen werde. Deshalb folle man die Vorlage ganz ablehnen.

Minister des Königlihen Hauses von Wedell: Eine capitis deminutio fönne nicht darin liegen, daß der Staat eine ihm zustehende Aufgabe auch selbst Feruinka wahrend fie sonst auf die anderen Gemeinden übertragen werde. Die Gegner des Gesetzes Lewegten si hierbei in einem gewissen E Daß der Zeit- punkt für die Vorlage s{chlecht gewählt sei, könne man nicht sagen; deun wenn die neue E Sl einzelne, bisher zu niedri eingeshäßte Personen stärker belaste, so fönnten diese Leßteren f darüber niht beklagen; jedenfalls trete cine Vermehrung der Lasten der Gemeinden selbst nicht ein. In die Staatskasse solle kein Geld fließen; die Ueberschüsse sollten den Gemeinden, welche selbst bis- her die Polizei verwaltet hätten, ihre Aufgabe erleichtern.

Ober-Bürgermeister Becker: Das neue Einkommensteuergefebß belaste namentlih die großen Städte, denn die 40 Millionen Mart mehr stammten namentli aus den Städten. (Widerspruch.) In diesem Augenblicke wolle man die Städte noch mehr belasten, während der Finanz-Minister die Belörden angewiesen habe, darauf zu achten, daß die Städte nicht die Gelegenheit benußten, si ein größeres Ausgabebudget zu verschaffen. Wo liege denn die ausgleihende Gerechtigkeit ? Wer bezahle denn die Polizei- kosten auf dem Lande? Der Staat bezahle die Gendarmerie direct und die weiteren Kosten durh die Dotationen, an denen die Stadtkreise keinen Antheil hätten. Warum sollten denn die aus ‘dem Gescße gewonnenen Ueberschüsse nur

für 'die Gendarmen in den Vororten verwendet werden? Warum verwende man sie niht in den Städten selbs? Traue man denn den Bürgermeistern nicht zu, daß sie ein paar Gendarmen regieren könnten? Die hohen Kosten der Königlichen Polizei rührten davon her, daß die Staatsverwaltung immer theurer set; die fortwährenden Anregungen der Königlichen Beamten führten immer, mehr Kosten herbei, die anderweitig niht entständen. Seien denn die polizeiliche Verhältnisse in Sachsen so {chlecht, wo es nur städtische Polizei- verwaltung gebe? Wenn die Städte sih jeßt gegen die Ueber- nahme der Polizei verwahrt hätten, so liege das nur an den hohen Kosten. Das Vernünsftigste sei, daß der Staat die persönlichen Kosten trage; denn die Gemeinden hätten ja feinen Einfluß auf die An- stellung der Beamten. Erst das vielfahe Andrängen des Abg. von Eynern habe die Regierung zu dieser Vorlage veranlaßt. Wer die Ausdehnung Königlicher Polizeiverwaltungen wünsche, müsse für die Vorlage stimmen; wer diese nur als die Ausnahme betrachte, müse es bei dem Bestehenden lassen. Das Haus tbge die Vorlage ab- lehnen, wie dies die Commission vor zwei Jahren gethan habe, doh gewiß aus sachgemäßen Gründen !

Minister des Jnnern Herrfurth: Was zunächst die leßten Ausführungen des Herrn Ober-Bürger-

meisters Becker anlangt, so lege auch ih einen sehr großen Werth

auf den Beschluß der Commission dieses hohen Hauses, aber ih darf ja constatiren, daß der Gesezentwurf vor wenigen Tagen in Jhrer Commission mit allen gegen nur zwei Stimmen (Ruf: Eine !) in der vorliegenden Form angenommen worden ist. Im Jahre 1889 ift allerdings in umgekehrter Weise beshlossen worden. Vielleicht findet das seine Erklärung darin, daß damals die große Majorität der Commission aus Vertretern derjenigen Städte bestand, in denen die Königliche Polizeiverwaltung eingerichtet ist, was bei der Zusammen- seßung der Gemeindecommission jeßt nit der Fall ift.

Der Herr Ober-Bürgermeister Becker warnt vor diesem Gesetz, weil es die Folge haben werde, daß nun in großem Umfang die neue Einführung Königlicher Verwaltungen in den Stadtgemeinden, welche jeßt eigene Polizei hätten, stattfinden würde. Meine Herren, durch

+ das jeßige Gese wird den Städten mit Königlicher Polizeiverwal-

tung eine Summe auferlegt, die ungefähr ein Drittel der Ge- sammtkosten beträgt. Der Staat kann also die Königliche Poli- zeiverwaltung in irgend einer Stadt nicht7eher neu einführen, als bis ihm durch den Etat die sehr erheblihen Mittel hierfür gegeben wer- den, denn die übrigen zwei Drittel jder Kosten sind aus Staatsfonds zu beschaffen. Die Staatsregierung wird sih sehr überlegen, inwie- weit sie derartige Forderungen an den Landtag zu stellen in der Lage ist, und der Landtag wird sih sehr genau überlegen, ob er diese For- derungen zu bewilligen geneigt ift.

Der Herr Ober-Bürgermeister Becker sagt sodann, dur die Königliche Polizeiverwaltung erwächst der betreffenden Stadt eine sehr große Menge von Ausgaben, weil nunmehr in einer ganzen Reihe von7anderen mehr communalen Angelegenheiten die Königliche Poli- zeiverwaltung zu Anlayen drängt, welche die Stadt sonst nit ge- macht haben würde. Ih habe mich gewundert, daß er diese An- gaben, die allerdings in der von ihm unterschriebenen Petition an den Landtag si finden, hier noch einmal wiederholt, denn, meine Herren, ih glaube, man muß aus einer derartigen Anführung doch etwas ganz anderes folgern. Wenn er sagt, daß an Pflasterungen, Ver- breiterung von Straßen, Entwässerungen 2c. ledigli auf Andrängen der Königlichen Polizeiverwaltungen große Ausgaben gemacht worden seien, ¡so möchte ih beinahe zu dem Schluß gelangen, es wäre do sehr erwünscht, daß in sehr vielen Städten solche Anregung gegeben würde. Denn das i} doch wohl selbstredend, daß keine Gemeinde nach dieser Richtung irgend etwas thut, was nicht polizeilich noth- wendig ist. Es scheint, dies drängt darauf hin, anzunehmen, daß das, was nothwendig ist, bisher von den Gemeinden, welche einer König- lihen Polizeiverwaltung entbehren, niht überall in ausreichen- dem Maße geschehen ist. Herr Ober-Bürgermeister Becker spricht von einem flagranten Widerspruch des vorliegenden Geseßes mit dem Rescript über die Aufbringung der Gemeindesteuern, und wenn er leßteres als ein MRescript des Herrn Finanz - Ministers bezeichnet, so s{cheint er gewissermaßen zwishen mir und dem Finanz-Minister einen Gegenstand construiren zu wollen. Das Communalsteuer - Rescript is aber von dem Herrn Finanz- Minister und mir gemeinschaftlich erlassen und auch der Gesehentwurf ist von ihm und mir gemeinschaftlich eingebracht worden. Wir sind uns solchen Widerspruchs nicht bewußt gewesen. Ein solcher Widerspru is aber au thatsächlich niht vorhanden, denn, meine Herren, Herr Ober-Bürgermeister Becker geht doch in der Beurtheilung des Resultats der neuen Einkommensteuerveranlagung von irrigen Vorausseßungen aus. Es wird durch diese neue Ein- fommensteuerveranlagung au den Städten eine Reihe neuer Steuer- quellen eröffnet; nämli dadur, daß die latenten Millionäre der Städte nunmehr ans Tageslicht kommen (sehr richtig!) und diese Herren nah dem richtigen Einkommen herangezogen werden fönnen. Und wenn erx dann sagt: „Ja, wir Städte baben wiederum die ganze Last dieser neuen Steuern zu tragen, und auf dem Lande wird nichts aufgebracht!“ #o möchte das, glaube ich, nur die Veranlassung geben, daß das Land in ciner mit einem Anflug von Neid gemischten Resignation zu den Städten sagt: „Reich sein ist angenehm, es kann nur nicht jeder!“ (Heiterkeit.)

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Jch habe nah den Ausführungen des Herrn Ministers des Innern nur noch wenige Bemerkungen zu machen. Herr Betcker sagt, wenn man wirklich hätte gerecht sein wollen, dann hätte man das Mehraufkommen aus den großen Städten mit König- licher Polizeiverwaltung den kleinen Städten überweisen müssen. Dieser Gedanke is auch im Abgeordnetenhause, namentli von dem schärfsten Gegner des Herrn Beer, dem Herrn von Eynern, mehrfach vorgetragen worden. Nun meine ih aber, wenn durh die Uebernahme der hier fraglichen Lasten die Königliche Polizeiverwaltung das ganze Nachtwachtwesen über- nimmt, wenn dadurh die Sicherheit während der Nacht in den be- treffenden Städten, die die Kosten aufbringen, sich schr wefentlih ver- bessern wird denn darüber kann gar feine Frage sein, daß wenn das Nachtwachtwesen in die Hände des Staats kommt, wenn man die unnatürlihe Trennung zwischen Sicherheitspolizei am Tage und in der Nacht aufhebt, wenn man das vielfah mangelhafte Nachtwacht- wesen der Städte beseitigt, daß dics den betreffenden Städten und ibrer Bürgerschaft zum großen Nuten gereiht. Dieser Vortheil würde wegfallen, wenn man den ganzen Ueberschuß, der fich hier er- giebt, den anderen Städten überweisen wollte, und ih kann nit be- greifen, wie der Ober-Bürgermeister Becker, wohl jedenfalls niht in seiner Eigenschaft als Ober-Bürgermeister von Köln, ein solches Ver-

langen stellen fann. Wenn er nun sagt, daß in den großen Städten die es sih hier handelt, die Ausgaben für das Nathtwatht- uy Feuerlöshwesen hon erheblih höher gekommen sind als in g Städten, und er nun daraus herleiten will, daß ein besonder Drängen der Königlichen Polizei-Präsidien stattgefunden babe ä vergißt er, daß in den großen Städten naturgemäß die Ausgaben für diese Zweige der Polizei größer sein müssen, au ohne daß irgend ein Drängen der Polizei-Präsidien stattfindet. Daß dieses Drängen aber do nicht sehr weit gegangen ift, das wird der sehr erfahrene Herr Becker nicht bestreiten, wie er zugeben muß, daß troß der Könie. lichen Polizei-Präsidien das Nachtwachtwesen in verschiedenen Städte, noch sehr viel zu wünschen übrig gelassen hat.!

Herr Ober-Bürgermeister Becker hat nun auf die Ergebnisse dex Steuerveranlagung sich bezogen und gesagt : diese Steuerveranlagung ist eigentlich zu Lasten der Städte ausgefallen und wenn Ihr die Städte so mit Einkommensteuer belastet, wie könnt Jhr dann |den Zeitpunkt für geeignet halten, ihnen noch obendrein neue Lasten für die Polizei aufzulegen. Daz klingt ja sehr hön und die Vorausseßung ist au richtig, aber die Folgerung ist irrig. Gewiß hat sich im großen und ganzen heraus- gestellt, daß eine verhältnißmäßig stärkere Heranziehung zur neuen Einkommensteuer in den Städten und in den großen Industriecentren stattfindet als auf dem Lande. Was bedeutet dies aber, wenn der Herr Ober-Bürgermeister selbst zugiebt, daß die Einkommensteuer wie wir sie heute haben, zu einer gerehteren Veranlagung führt, bad bedeutet doch nur, day die verhältnißmäßige Ueberbürdung des Landes jeßt dur dieses neue Einkommensteuergeseß beseitigt worden ift. (Sehr richtig!)

Eine neue ungerechte Belastung der Städte liegt hier nicht vor; Kapitalien, die verborgen waren, wo man die Quelle des Einkommens niht sehen fonnte, die sich der Steuer bisher entzogen, sind jeßt herangezogen. (Sehr richtig!) Das kann unmögli cin Grund zur Klage sein. Wenn aber verschiedene der Herren Redner nun gemeint haben, für die Städte sei das doch niht nüßlich, denn nun müßten die Bürger erstens für den Staat mehr zahlen und dann auch noch mehr in den communalen Säckel, so frage ich: hat die Thatsache, daß in Berlin 5 bezw. 7 Mil- lionen Steuern mehr aufkommen, die dahin führen kann, daß man einen an und für sich {hon mäßigen Zuschlag zur Einkommensteuer von 100 9/6 auf 60 bis 7009/6 reducirt, für die Stadt Berlin nicht die größte-Bedeutung ? Die Herren aus den Provinzialstädten sollten das am meisten fühlen, denn die Gefahr des Hineinwanderns au der reichen Leute nah Berlin, weil sie in den Provinzialstädten stärker herangezogen werden, kann bei einer solchen Thatsahe nur wadsen. Wenn die Zahl der Steuerpflichtigen, die nicht zum Vorschein ge- fommen i, unverhältnißmäßig gewachsen ist , wenn infolge dessen der procentuale Zuschlag geringer fein kann, hat das keine Bedeutung für die einzelne Stadt? Wenn das Ausgabebudget in gleicher Höhe bleibt, aber die Zahl der Steuerpflichtigen gering ist, wenn infolge dessen die Zuschläge mehr als 100 9/9 erreichen, wenn die wenigen reichen Leute nun mit sehr hohen communalen Zuschlägen überlastet werden, ist für eine solhe Stadt die Gefahr nicht vorhanden, daß der Wohlhabende sie verläßt? (Sehr richtig!) Wir erleben das ja jeden Tag; folglich sage ih: dieser Geseßentwurf ist zu allen Zeiten begründet, man braucht garnicht einen besonders geeigneten Zeitpunkt zu suchen; er ist eine Forderung der Gerechtigkeit, aber man kann auh mit gutem Grund behaupten, daß gerade die neue Einkommensteuer- veranlagung diesen Zeitpunkt als besonders geeignet, als am wenigsten drückend für die Gemeinden erscheinen läßt.

Herr Ober-Bürgermeister Becker hat auch den eigentlichen Sinn und die Bedeutung des von dem Herrn Minister des Innern und mir gemeinschaftlich erlassenen Rescripts niht ganz zutreffend auf- gefaßt. Der eigentlihe Sinn war der wenigstens nah meiner Absicht ih wollte verhüten, daß die Städte die Vorsicht in Bezug auf ihr dauerndes Ausgabebudget bei der Gelegenheit, wo ihnen nun vlöglih große Mittel neu zufließen, allzu sehr außer Acht lassen, daß sie die Gelegenheit benußen, niht ihre Einnahmen, d. h. die Steuer- last zu vermindern, sondern die Ausgaben zu erhöhen. Ich gehe dabei von der Anschauung aus, die ih noch später Gelegenheit haben werde, hier näher darzulegen, daß wir im Staat, in der Commune und in unserer Privatwirthschaft in den leßten Jahren übermäßig ras und stark in den Ausgaben gestiegen sind. (Sehr richtig!) Verschiedene Gründe haben das bewirkt; au die Art der Besteuerung, die s{chwan- fende Besteuerung nach dem Einkommensteuergeseß und die Dividenden der Actiengesellshaften, culminirt dur die noch mehr shwankenden Ueberweisungen aus der lex Huene, haben vielfah in derselben Weise in den Communen gewirkt, wie die hohen s{wankenden Ueberschüsse der Eisenbahnen im Staatsbudget, und da haben wir gewünscht, daß die Städte, unbeschränkt in ihrer vollen Selbstverwaltung, wenn ihnen diese großen neuen Mittel zuflössen, erst einmal die gegen- wärtigen Einnahmen correct gleichstellten den gegenw ärtigen Ausgaben und sich nun sorgfältig die Frage vorlegen, ob es noth- wendig ist, neue Ausgaben zu beschließen. Wir haben uns an- gewöhnt, in den leßten Jahren immer nur nah neuen Einnahmen auszusehen, und damit kommen bald der Staat und die Commune an die Grenze. Unsere Hauptaufgabe in den nächsten Jahren wird sein, unsere Ausgaben zu vermindern, wenigstens sie möglichst wenig zu erhöhen. (Lebhaftes Bravo!)

Ober-Bürgermeister Bender: Die Stadt Breslau halte daë Nachtwachwesen in gutem Stande und solle nun, troßdem sie an der Grenze der Leistungsfähigkeit angekommen sei, erhebliche Ausgaben mehr machen. Bekannte Millionäre hätten sih bisher dort nit herausgestellt, troßdem Breslau 731 000 4 mehr Steuern aufbringe wovon mehr als ein Drittel auf die Actiengesellschaften _entfalle. Daß die Kosten der Königlichen Polizeiverwaltungen größer seten als die der städtischen , sei selbstverständlih, denn die Köni [ichen Beamten ständen nicht mitten in den Verhältnissen, sie urt eilten mehr vom L uen Tische aus. Die Vorlage verfolge zu sehr den materialistischen Gedanken. Es werde der Stadt Breslau von ihrem Polizei-Präsidenten das Zeugniß ausgestellt, daß das Nachtwachwesen

ut sei, troßdem solle sie dafür 130 000 6 aufwenden. Um dieses lehr zu decken, müsse die Aufbesserung der Lehrergehälter aufge! oben werden. Die Polizei auf dem Lande, die Gendarmerie, bezahle der Staa und an den Dotationen hätten au die Städte nur einen geringen Antheil. Ein Beneficium sei die Königliche Polizeiverwaltung nit; denn es seien manche besonderen Ausgaben zu nagen welche bel selbständiger Polizeiverwaltung wegfallen würden. tan möge 00 bei diesem Geseß nicht immer an Berlin denken; die Städte, al die größeren, seien oft \{lechter daran als die kleinsten Gemeinden. Die niedrigen Steuern zögen die Leute niht nah Berlin, sondern die gesellschaftlihen Verhältnisse / Damit schließt die Generaldiscussion. Das Haus vertag

¿ Sonnabend 1 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen: 1) Be- bis Sond Beschlußfassung über "die geschäftliche Be-

lung des Aas von Woyrsch, betr Flußregu- aen. -— 2) indliher Bericht der Justizcommission ng den Geseßentwurf, betreffend die Führung der Sicht bei dem Amtsgeriht T und dem Land- Wi 1 in Berlin, sowie die Handhabung der Disciplinar- geht “tei dem ersteren Gericht. 3) Mündlicher Bericht

Prelben Commission über den Geseßentwurf, betreffend die

Errichtung cines Amtsgerichts in der Gemeinde Lechenih. 4 Gindlicher Bericht derselben Commission über den Geseßz- ) urf, betreffend die Abänderung von jon ther diefleiti

S Mündlicher Berichtder Petitionscommission über die Petitionen

N Verwaltungs- ecretären in Rheinland und Westfalen und von ensionirten rheinischen Bürgermeisters Schwan. 6) Mündlicher Bericht der Commission für communale Angelegenheiten über den Gesezentwurf, betreffend die often Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtge- meinden , und über die zu dem Geseßentwurf cingegangenen Petitionen. (Special-Berathung.) 7) Ein- e e Sclußberathurg der Denkschrift über die Ausführung des Gesehes vom 2%. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1891.

Haus der Abgeordneten.

41. Sizung vom Donnerstag, 24. März.

Der Sißung wohnt der Minister für Handel und Ge- werbe Freiherr von Berlepsch bei. :

Auf der Tagesordnung steht die «zweite Berathung des Gesehentwurfs zur Ergänzung der Gesegze, be- reffend das Ruhegehalt der emeritirten Geistlichen und über die Ale orge für die Wittwen und Maisen der Geistli firhe der neun älteren Provinzen. E

Abg. von Eynern (nl.: Diese Vorlage bedürfe keiner com- missarishen Berathung wie die später zu, berathende Vorlage über die Stolgebühren. Er bitte aber die NeCaus Rücksicht walten zu lassen gegenüber den Geistlichen, welhe unter tahzahlung erheblicher Beiträge aus der alten in die neue Kasse überträten.

Abg. Kor \ ch (cons.) beantragt, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes durch Königliche Verordnung bestimmen zu lassen.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Hegel empfiehlt die Annahme dieses Antrages, weil dadurch allein das Gesetz zum 1. April in Geltung ommen fönne. Das sei wüns enswerth, weil sonst für die rheinischen Geistlihen nah dem 1. April nicht mehr Fürsorge getroffen werden

A von Benda (nl.) empfiehlt ebenfalls die Annahme des

Antrages. A O

Die Vorlage wird darauf mit dem Antrage Korsch an- genommen. /

In dritter Berathung wird der L iber die Sterbe- und Gnadenzeit bei Pensionen \so- wie die kirhlihe Aufsicht über die Vermögens- verwaltung der Kirchengemeinden innerhalb der evangelishen Landeskirche der älteren Provinzen der Monarchie angenommen, nachdem i A

Abg. Dr. Langerhans (dfr.) erklärt hatte, daß die Freisinnigen gegen denselben immen würden, weil die Selbständigkeit der Ge- meinden E geschädigt werde. i

Es folgt die erste Be des Gesegentwurfs, betreffend die Declaration der Vorschriften des Einkommen- und des Gewerbesteuergeseßes. (Es handelt sich darum, daß die Tagegelder und Reisekosten für die Mitglieder der Veranlagun scommission dur Königliche Verordnung anderweitig festgestellt werden können.) :

Die Aba . von Jagow (cons.) und Dr. Gerlich (frei- conf.) halten die Vorlage für nicht ausreichend; sie empfehlen deshalb die Verweisung derselben an eine Commission von vierzehn Mitgliedern.

Das Haus beschließt demgemäß. N

Ueber die Rechnungen der Kasse der Ober - Rehnungskammer für 1890/91 wird auf Antrag der Rehnungscommission Decharge ertheilt. A i

Letter Gegenstand der Tagesordnung ijt die erste Be- rathung des Gesehentwurfs, betreffend die Ab- änderung einzelner Bestimmungen des allgemeinen Verggeseßes vom 24. Juni 1865.

Abg. Dr. Schulz - Bochum (nl.): Nach dem Ausscheiden des Volksschulgesetzes bleibe dicse Vorlage wohl die bedeutendste der ganzen Session. Deshalb könne er nur bedauern, daß denjenigen, deren Wohl und Wehe von dem Gefeß abhängig sei, keine Ge- S en geboten worden sei, zu Stellung zu ne

en der evangelischen Landes-

dem Gesetze t hmen. Ér wisse nicht, was die Veranlassung dazu gewesen sei. Die Vorschriften seien theilweise der neuen Gewerbeordnung entnommen : wie die über die Arbeitsordnung, das Arbeitsbuch und den Besuch der Fortbildungs\{hulen seitens der Minderjährigen; theilweise hätten sie einen mehr selbständigen Charakter, so die Bestimmungen über die Befugnisse der Bergbehörden. Er wolle sich enthalten, heute einem so umfangreichen Geseß gegenüber zu einem abschließenden Urtheil zu kommen. Die Bestimmungen über die Arbeiter fämen hinaus auf eine Vermehrung der Rechte der großjährigen Berg- arbeiter, womit man einem allgemein niht auszurottenden Zuge der Zeit folge. Einzelne Bestimmungen erforderten jedenfalls ane Prüfungen auf Grund der thatsächlichen Verhältnisse, denn manche Bestimmungen der Gewerbeordnung paßten doch nicht ohne weiteres auf die Bergarbeiter. Besonders bedenklich sei aber die geplante Nachterweiterung der Bergbehörden; soweit gingen keinem anderen bürgerlihen Gewerbe gegenüber die Machtbefugnisje der Behörden. ; isen der großen Bedeutung der Vorlage beantrage er die Ueber- weisung der Wiorlage an eine besondere Commission von 21 Mit- n, Es handele si hier um ein bedeutendes Stück der socialen rage. Das Haus solle für die 300 000 Bergleute Normen auf- stellen. Möge das Werk gelingen!

Abg. Dr. Ritter (freiconf.) {lit sich dem Antrage auf ommissionsberathung an; er wolle sih aller Einzelheiten enthalten, weil diese nur in der Commission in ruhiger und leidenschaftsloser Weise erledigt werden könnten. Die Vorlage selbst sei eine Folge er Novelle zur Gewerbeordnung und der Berathung des Staats- tuthes. _Die Regelung der Verhältnisse der Bergleute habe mit fler früheren Regal zusammengehangen; die Bergleute seien als tine Beamte betrachtet worden und hätten sich selbst für etwas esseres gehalten als die andern Arbeiter. Das sei anders geworden Er das Berggeseß von 1865, welches das Regal aufgehoben habe. r wolle nicht sagen, daß dies allein zur Lockerung des Verhältnisses führt habe, daran sei au wohl der Strom der Zeit im allgemeinen N Die Lockerung des Verhältnisses habe zu Ausftänden geführt und diese hätten zur Vorlage geführt, die ihm allerdings mehr zu desen der Arbeiter als zu Gunsten der Arbeitgeber S zu sein scheine. Die Forderungen der ausständigen R eiter hâtten \ich, abgesehen von dem Nullen, der schlechten g u. \. w.,, auf die Verkürzung der Arbeitszeit mnd die Erhöhung des Lohnes bezogen. Das sei gar nicht eine eve, die des Shutes bedürfe; dabei werde doch immer Angebot

Nadfrage eine Rolle spielen. Aber man finde nur neue

E egen die Arbeitgeber in der Vorlage, obgleich es doch nothwendig sei, die Bergwerksbesißer bei gutem Muthe zu erhalten, damit sie die Arbeiter E \chlechten eiten beschäftigten. Die Strafbestimmungen gegen die rbeitgeber sollten nicht gemildert werden; die Grubenbesißer würden ganz ruhig abwarten können, ob einen von ihnen eine Strafe treffe. Zur Erwägung fel aber zu geben, daß eine snellere S für diejenigen eintreten müsse, die dur ihr Verhalten das Leben threr Kameraden gefährdeten und dadurh viele Familien unglücklich machten. Die Rebierbeamten sollten die Arbeitszeit regeln können. Er wolle darauf nicht weiter eingehen. Die Revierbeamten sollten auh ein Werk ganz ieg fönnen. Zu hoffen sei ja, daß hierbei der Instanzenzug gewahrt werden werde, daß es nicht möglich sein werde, daß ein uner ahrener Beamter Unheil anrihte. Er wolle e diesen Punkt nur kurz hinweisen und empfehle die commissarishe Berathung des Gefeßes.

__ Abg. Stötel (Centr.): Er finde es vollständig richtig, daß die Arbeitershußbestimmungen aus der Novelle zur Gewerbeordnung auf die Bergarbeiter übertragen würden, daß ferner die Befugnisse der Bergbehörde erweitert würden. Seit dem Walten des Berg- geseßes von 1865 sei der Bergarbeiterstand etwas heruntergekommen. Die Bergleute seien früher eingeschworen worden, sie seien nicht wenig A darauf gewesen, und die alten Bergleute blickten immer noch mit Sehnsucht auf die alte Zeit zurü; sie seien zwar etwas weniger frei gewesen, aber sie hätten fih sicherer als heute gefühlt. Daß die Gedingefestseßung in der Arbeitsordnung erfolgen jolle, werde viele Streitigkeiten beseitigen; ein leihes gelte von den Bestimmungen über die Arbeitszeit. Eine Erweiterung sei für die Vorlage zu wünschen über die Lehrzeit der Bergarbeiter. Die Bergleute erklärten positiv, daß die meisten Unfälle durch die Unvorsichtigkeit der un- erfahrenen Bergleute verursaht würden. (Zustimmung.) Hoffentlich werde es gelingen, einen Geseßentwurf zu stande zu bringen, der einem großen Theil der Bevölkerung Ruhe und Frieden bringe. Manche Ausstände seien nur dadur entstanden, daß feine festen Bestimmungen vorhanden gewesen seien. Zur Beunruhigung habe es auch beigetragen, daß man die älteren Leute entlassen, die jungen Leute aber, Ausländer, beibehalten habe. Man möge sih auf beiden Seiten bemühen, eine Versöhnung herbeizuführen. (Zustimmung im Centrum.)

Abg. Das bach (Centr.) hält ebenfalls eine commissarishe Be- rathung der fehr bedeutungsvollen Vorlage für nothwendig. Daß den großjährigen Arbeitern Rechte gegeben würden, welche ihnen nah der allgemeinen Meinung nicht zuständen, könne nicht gesagt werden. Daß die Bedingung für die Arbeiter in den Arbeitsord- nungen enthalten sein müsse, sei selbstverständlih und werde vielen Streitigkeiten vorbeugen; der Mangel solcher Arbeitsordnungen sei bei den Ausständen deutlih hervorgetreten. Das einzige neue Recht, welches den Arbeitern gegeben werde, sei die Betheiligung der Arbeiter an dem Nullen der Wagen. In England sei das längst eingeführt. Redner {ließt mit der Hoffnung, daß die Vorlage eine Beruhigung herbeiführen werde.

: Abg. Let oh a (Centr.) weist darauf hin, daß dur die Vorlage die Sonderstellung, welche der Eitel an in Oberschlesien auf Grund alter Vorschriften eingenommen habe , beseitigt werden müsse. Das Interesse der Arbeiter verlange es, daß die Eisenerzbergwerke ebenso behandelt würden, wie die andern Bergwerke, weil fie zum Theil noch gee seien als diese. i A

Abg. Eberty (dfr.) hält ebenfalls eine commissarische Be- rathung für nothwendig. Es handele sih hierbei um eine Industrie, von welcher das Wohlergehen sämmtlicher anderer Industrien ab- hängig sei. Auf die Einzelheiten könne das Haus heute nit ein- gehen, denn in der kurzen Zeit, während der die Vorlage dem Que vorliege, habe es deren Tragweite nicht überblicken fönnen. Seine Partei könne nur ihre Freude darüber aussprechen, daß die Vorlage eingebracht sei, und hoffen, daß sie allgemeine Beruhigung bringen werde. I zu wenig für die Arbeitgeber und zu viel für die Arbeitnehmer geschehen sei, könne seine Partei niht_ anerkennen. Sie stehe dabei der Auffassung der Abgg. Dasbach und Stögel nahe; es sei auf diesem Gebiete die Gesezgebung vielleicht zu spât ein- geschritten.

Minister Berleps\ch:

Ich bin dankbar dafür, daß der Antrag gestellt worden ift, diesen Geseßentwurf einer Commission von 21 Mitgliedern zu überweisen ; ih bin dankbar für die Ruhe und Objectivität, mit der derselbe bis jekt im Hause Beurtheilung erfahren hat. Ich bin keineswegs unzu- gänglih gegen dasjenige, was gegen den Entwurf gesagt worden ift; ih werde mich mit den Herren in der Commission bemühen, eine Uebereinstimmung herbeizuführen, die chließlich das Nesultat haben wird, was wir, wie das heute ausgesprochen ift, sämmtlih wüns chen.

Gegenüber den Ausstellungen, die gegen den Gefeßentwurf ge- macht worden sind, möchte ih mir aber gestatten, heute kurz daran zu erinnern, was denn dazu geführt hat, daß wir überhaupt einen folhen Gesezentwurf dem Landtage vorgelegt haben. Das, meine Herren, sind zwei Momente; erstens sind es die Erfahrungen, die inan gelegentlich der Ausstandsbewegung im Jahre 1889 gemacht hat, und zweitens is es die Berathung und Verabschiedung der Novelle zur Gewerbeordnung, die am 1. Juli 1891 Gesetzeskraft erlangt hat.

Was die Erfahrungen anlangt, die wir gelegentlih der Ausstände im Jahre 1889 gemacht haben, so will ih heute nicht näher darauf eingehen ; die Meinungen darüber sind ja ungemein getheilt. Indessen, meine Herren, cins, glaube ih, steht ganz fest und wird von allen Seiten zugegeben: daß cine wesentliche Ursahe der Differenzen und der Schwierigkeiten, diese Differenzen beizulegen, darin gelegen hat, daß entweder gar keine Arbeitsordnung auf den Gruben vorhanden war, oder daß diese Arbeitsordnung einen ganz ungenügenden und un- flaren Inhalt hatte. Das is in der Denkschrift, die damals von den Commissarien der betheiligten Nessort-Minister verfaßt wurde, meines Erachtens, klar gelegt worden, und soweit ih mich der Erörterungen erinnere, die in diesem Hause über diese Denkschrift ich glaube, es war in der Session von 1889/90 stattgefunden haben, hat ein Zweifel darüber nicht obgewaltet, daß in diesem Umstand ein wesent- licher Mißstand zu suchen ist. Deshalb, meine Herren, scheint es mir ganz außer Zweifel zu sein, wenn man an cine Regelung der Arbeits- verhältnisse im Bergbau geht, daß man zunächjt dahin zu streben hat, diesem Mangel, in dem auch in Zukunft zweifellos eine Quelle zu fortgeseßten Streitigkeiten liegt, Abhilfe zu schaffen, und daß man vorschreiben muß: auf jedem Bergwerk muß eine Arbeitsordnung vor- handen sein, daß man ferner, wenigstens in gewissen Umrissen, an- giebt, welchen Inhalt diese Arbeitsordnung haben muß.

Ueber den ersten Punkt, über das obligatorische einer Arbeits- ordnung, herrscht, glaube i, keine Meinungsverschiedenheit im hohen Hause; es fragt sih nur, ob diejenigen Bestimmungen richtig gegriffen sind, die im § 80b über den Inhalt der Arbeitsordnung gegeben sind. Ich erkläre, meine Herren, daß das ein außerordentlich s{chwieriges Thema is. Es haben schr eingehende und außerordentlih lange Ver- handlungen mit den localen Bergbehörden über die Frage statt- gefunden, die abgegebenen Gutachten stimmen durchaus nicht in allen Punkten überein, und ih bekenne ohne weiteres, daß ih es schr wohl ür denkbar halte, daß diese oder jene Bestimmung abzuändern ift. Inzwischen, meine Herren, können wir gewisse Fragen, meines Er- achtens, nicht auslassen, und insbesondere können wir die Fragen nicht

für Handel und Gewerbe Freiherr von

auslafsen, daß für die Arbeitsordnung vorgeschrieben wird, in welcher Art und von wem das Gedinge festzustellen ist. Bei der Unter- suchung über die Arbeiterausstände im Jahre 1889 hat es si, meines Erachtens, ganz klar ergeben, daß gerade bezüglich der Art der Fest- stellung der Löhne der Mangel an positiven Bestimmungen der Arbeits- ordnung geschadet hat. Die Thatsache, daß die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer verschiedener Ansicht über die Gedingestellung waren, daß die Arbeiter fich ein ganz falsches Bild im einzelnen Falle machen fonnten über das, was ihnen zukfam, ist niht in Abrede zu stellen. Es hat sich herausgestellt, daß in den wenigen Arbeitsordnungen, in denen überhaupt in damaliger Zeit heute hat sich schon manches in dieser Beziehung geändert Bestimmungen über die Verdinge vorlagen, meistens nur vorgeschrieben war, daß das Gedinge vom Betriebsführer oder seinem Beauftragten festgestellt wird. Etwas Anderes stand nicht darin. Wer derjenige war, der als der Beaustragte des Betriebs- führers zu fungiren hatte, war nicht näher definirt, es bestanden darüber verschiedene Ansichten. Es kam vor und es liegt aud in der Natur der Dinge —, daß bei der monatlich wiederkehrenden Neu- regulirung der Gedinge der Betriebsführer selbst niht in der Lage war, die vor Ort-Gedinge festzuseßen. Er kann das aus vhysischen Rücksichten nicht fertig bringen. Die Folge war, daß die Gedinge vom Abtheilungssteiger neu regulirt wurden, daß sie später ciner Re- vision unterworfen wurden und hierbei hin und wieder eine Abânde- rung erfuhren, nicht bloß zum Schlehten das will ih glei be- merken —, sondern auch zum Guten. Immerhin war es üblich, daß der Vertrag, den der Abtheilungssteiger zunächst {loß, sich nur als einen vorläufigen charakterisirte, daß er später dur die stillschwei- gende oder ausdrücklihe Sanction, die der Betriebsführer dazu gab, zu einem definitiven wurde. Das geschah häufig ers, nahdem bereits die Hälfte der ganzen Monatszeit, für die der Vertrag abgeschlossen war, verlaufen war. Das ist kein günstiger Zustand; denn die Klar- heit der Arbeitsbedingungen if eine der wichtigsten und ersten Vor- ausseßungen für eine friedliche und verständige Gestaltung des Ver- hältnisses zwischen den Bergarbeitern und den Arbeitgebern.

Haben wir nun, wie gesagt, in den Vorschriften, die wir Jhnen vorschlagen in § 80þ nicht überall das Richtige gegriffen, ih bin gert bereit, mit Ihnen darüber zu verhandeln, die Hauptsache bitte ih aber unberührt zu lassen, daß nah Möglichkeit in der Arbeitsordnung die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses klargestellt werden. Ich glaube, wenn ih so den Gedanken dieses Paragraphen fasse, werde ih einen großen Widerspruch bei den Herren nicht finden.“

Es ist sodann erwähnt worden, daß der Geseßentwurf wohl eine Erhöhung der Rechte der Arbeiter enthalte, daß von einem Schutz der Arbeitgeber aber sehr wenig die Nede sei.

Was die Frage der Erhöhung der Rechte der Arbeiter anlangt, so muß ih sagen : erheblich kann ih die Bestimmungen, die in dieser Bezichung vorliegen, nicht finden. Das Einzige, was meines Erachtens als essentiell hervorzuheben ift, ist die obligatoris{che Vor- schrift, daß die großjährigen Arbeiter über den Erlaß einer Arbeits- ordnung oder über eine Aenderung der Arbeitsordnung gehört werden sollen, und in dieser Beziehung hat meines Erachtens der Herr Abg. Dasbah Unrecht, wenn er nicht finden kann, daß irgend eine Bestimmung vorhanden ist, in der die Rechte der Arbeiter der Gruben erhöht worden sind. Meine Herren, ih muß zugeben : das ist eine Aenderung der bisherigen Gesetzgebung. Diese Aenderung folgt aber durchaus den Vorschriften, die der Reichstag in der Ge- werbeordnungsnovelle für die allgemeinen Arbeiterverhältnisse gegeben hat, und wir werden uns dann doch zu fragen haben: Liegen für den Bergbau besondere Verhältnisse vor, die uns nöthigen, von den Vor- schriften abzugehen, die die Gewerbeordnungsnovelle für die in- dustriellen Arbeiter überhaupt getroffen bat? Ich meine, dex preußische Landtag sollte sich diefem Geseßentwurf gegenüber über- haupt so stellen, daß er diejenigen Bestimmungen, die dic Gewerbe- ordnung für die industriellen Arbeiter überhaupt festgeseßt hat, auch für die Bergarbeiter gelten läßt, soweit nicht die besonderen Verhält- nisse des Bergbaues nöthigen, von diesen Verhältnissen abzugehen.

Meine Herren, die Frage der Anhörung der Arbeiter ist aber nicht bloß in der Gewerbeordnungsnovelle zur Frage gekommen; sie ist zur Frage gekommen in dem preußischen Staatsrath, ciner Körper- schaft, von der Sie nicht behaupten werden, daß sie in überstürzender Weise über sociale Fragen denkt. Dem preußischen Staatsrath, an dessen Berathung übrigens eine Anzahl der Herren Mitglieder diefes Hauses theilgenommen haben, ist die Frage der Anhörung der Arbeiter ausdrücklich vorgelegt worden. Es lautet die Frage:

Ist mit Nücksicht auf die Eigenthümlichkeiten des Arbeiter- verhältnisses im Bergbau die Frage des Erlasses und des Inhalts der Arbeitsordnung unabhängig von den für die Jndustrie im Allgemeinen zu treffenden Maßregeln gesondert und ohne Aufschub dur die Landesgesezgebung zu regeln?

Die Antwort lautet:

Die Arbeitsordnung ist von den Bergwerksbesigern zu enk- werfen, dem zuständigen Bergrevierbeamten vorzulegen, nachdem die- selbe von dem Arbeiterauss{chuß des Bergwerks oder, sofern ein solher niht besteht, von den seitens der Arbeiter besonders zu wäßlenden Vertrauensmännern geprüft und begutahtet worden ist.

Sie sehen, meine Herren, die Bestimmungen, die der Entwurf ent- bält, halten sih ganz an das Gutachten des preußischen Staatsraths. Ich muß bemerken, daß nur ganz vereinzelte Stimmen ‘sich in ent- gegengeseßtem Sinne äußerten, daß insbesondere der in Bergsachen altbewährte und langerfahrene Neferent ih für diese Bestimmung ausgesprochen.

Es is sodann der Vorwurf erhoben worden, daß die Macht der Bergbehörden in diesem Geseß zu weit ausgedehnt werde. Auch das fann ih nicht für zutreffend halten, insbesondere nicht, wenn ih mir vergegenwärtige, wie vor etwa 30 Jahren die Verhältnisse in dieser Beziehung bei uns lagen. Da war ja die Macht der Bergbehörden eine ganz andere und ging weit über alles das hinaus, was wir uns heute denken können. Ich bin weit davon entfernt, darauf heute wieder zurückommen zu wollen, wenn ih auch glaube, daß der Abg. Stößel niht Unrecht hat, wenn er sagt, daß ein Theil der Bergarbeiter wünscht , diese alten Verhältnisse wieder zu haben; jedenfalls ist das doch nur ein Theil. Die Verhältnisse unseres Bergbaues haben fich in dieser Zeit so verändert, der Aufshwung der Industrie is so riesengroß geworden, daß heute kein Mensch im Ernste mehr daran denken kann, daß ein Revierbeamter, der Bergbeamte des Staats, bestimmt, auf welcher Grube und vor welchem Ort der Bergmann arbeiten, waun er angenommen und abgelegt werden, welchen Lohn er bekommen foll,