1892 / 79 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 31 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

der anderen Städte, die gleihe Gründe für sich geltend machen, nit wobl eine ablehnende Haltung einnehmen fönnen. Bei allem Wohl- wollen für die Wünsche der Provinz Ostpreußen wird daher in nächster Zeit kaum in Aussicht genommen werden können, in Königsberg eine eigene Eisenbahndirection einzurichten.

Der Antrag des Fürsten Jsenburg wird zurückgezogen; der Etat der Eijenbahn-Verwaltung wird genehmigt und die Berichte über die Bauausführungen und die Betriebsergebnisse der Eisenbahnen werden durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.

Beim Etat der Staats\chulden-Verwaltung warnt

der Berichterstatter Herr von Pfuel vor der Vermehrung der Anleihen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren, ih fann mich den Worten des Herrn Bericht- erstatters und den Wünschen, die er für das Staatsfchuldenwesen aus- gesprochen hat, von meinem Standpunkte aus nur aus voller Ueber- zeugung anschließen. (Bravo!) Mit Rücksiht auf unsere gesammten Finanzverbältnisse halte ih es auch für dringend nothwendig, in der bisherigen Weise in der jährlihen Bewilligung neuer An- [leiben nicht fortzufahren, sondern nach und nach wenigstens man fann ja hier nicht sprungweise verfahren die ent- \sprehenden Ausgaben so weit zu reduciren, daß wir niht genöthigt sind, jährli mehrere Hundert Millionen anzuleißhen. (Bravo!) Meine Herren, das spricht sih leiht aus, wenn es sih niht um eine concrete Beziehung handelt, aber ih hoffe, daß namentlich das Herren- haus den Finanzminister in der Richtung consequent unterstüßen wird (Zustimmung), selbst wenn dabei auch für einzelne Gegenden und Provinzen Verwendungen eine Zeitlang zurückgestellt werden müßten. Meine Herren, folange wir es bloß mit Anleihen zu thun haben, welche die Zinsen und Amortisationsbeträge in vollem Betrage mit Sicherheit wieder einbringen, läßt si ja so ein Zustand ertragen, obwohl es dann do auch {on bedenflih sein fann, mit Rücfsiht auf den Geldmarkt, auf die leider fast immer concurrirenden Anleihen des Reichs, in fo er- heblidcm Maße fortdauernd neue Anleihen aufzunehmen. Aber wenn Zeiten kommen, wo die Erträgnisse der Werke, die mit diesen Anleihen beschafft sind, in keiner Weise oder wenigstens längst nicht in vollem Betrage Zinsen und Amortisationsbeträge dieser Anleihen decken, dann wird es im höchsten Grade Zeit, vorsichtig zu werden.

Der Herr Berichterstatter hat gefragt, welhe laufenden Credite noch vorhanden seien. Es find an laufenden Crediten, die noch nicht begeben sind, ich spreche hier niht von denjenigen Crediten, welche noch zu verwenden sind, diese sind ja erbeblih höher, da wir in diesem Jahre ja -wieder eine sehr erheblihe Anleihe contrahirt haben, obne daf dieselbe bereits zur Verwendung gekommen ist laufend find aber noch für andere Zwette, als für Eisenbahnausgaben, 128 242 371 M Für Eisenbahnzwee laufen noch solche erst zu begebende An- Lleibhen in Höhe von 207539000 A In Summa haben wir also noch neue Anleihen aus bereits früheren Crediten zu erwarten in Höhe von 335 781 000 Æ Dazu wird wieder in diesem Jahre eine Anleihe kommen, die ja {hon dem anderen Hause mitgetheilt ist, von etwa 90 Millionen Mark. Wir fommen also bier wieder auf einen noch vor uns liegenden erft zu begebenden Credit von über 400 Millionen. Diese Dinge muß man mit vollem Ernft und offenen Augen ansehen und wir werden wie wir auch in unserem ganzen übrigen Finanzwesen uns eine bedeutende und starke Reserve auferlegen müssen, dies auch bezüglich der Vermehrung unseres Schuldenstandes thun müssen. Das wird natürlich bedingen, daß wir manche wünschenswerthe und gewiß durchaus nüßlihe Unter- nehmung unterlassen. Wie der Privatmann, wie die Commune, wie jedes einzelne große Unternehmen, so muß auch der Staat in diefer Beziehung sh nach der Dee strecken; (Sehr richtig!) und wir müssen dahin fommen, daß wir das Nothwendige natürlich nicht unterlassen aber do mit unseren Anleihen fo sparsam vorgehen, daß wir mit einiger Sicherheit erwarten können, davon auch eine angemessene Rente zu bezieben, oder wenn wir zuschießen müssen, das wenigstens ohne Be- denfen aus dem Ordinarium des Etats bewirken können. Wenn wir fo verfahren, so wird sich die Finanzlage allmählich verbefsern. Wir wollen hoffen, daß namentlich die Eisenbahnübershüfse sih wieder in Zukunft heben werden; das kann aber noch Jahre dauern. Auf manchen Gebieten, gerade auf dem Eisenbahnwesen, hoffe ih aller- dings auch, daß die Provinzen, die Kreise, und der Privat-Unterneh- mungêgeist an der Hand des neuen Geseßes der Tertiärbahnen manche Aufgaben erfüllen, die der Staat nach meiner Mei- nung, weil sie nur von rein localem Interesse sind, nit aufzunehmen braucht und auch niht erfüllen kann. Wenn der Herr Berichterstatter sich nun bezogen hat auf den Betrag von 18 Millionen, welcher zur ertraordinären Tilgung der Schulden auêgeworfen ist, so wird die Frage sein, ob wir von diesem Titel Gebrauch maden fönnen, d. h., ob wir niht in dem abschließenden Etatsjahre wieder ein erbeblihes Deficit haben werden, welches ih für das laufende Etatsjahr gegenwärtig {on wieder zu meinem ticfen Bedauern höher veranschlagen muß, als ich im Abgeordneten- hause bei der Berathung des Etats bezeichnet habe, nämlich in einer Höhe von etwa 35 bis 40 Millionen Mark, eine Zahl, die ih natürli unter allem Vorbehalt gebe. Wenn wir in dem kommenden Etatsjahre 1892/93 wieder ein ähnliches Deficit haben sollten, also wieder eine Anleihe aufnehmen müssen von 40 Millionen, um das Deficit zu decken, dann werden wir entweder zu diesem Titel greifen oder eine Anleihe aufnehmen müssen. Wir würden dann bei einer Staats\{huld von über 6 Milliarden nicót in der Lage sein, mehr als 29 Millionen zur Schuldentilgung zu ver- wenden, die wir auf Grund früberer glückliher Verhältnisse dafür bestimmt haben. Daß eine solhe Schuldentilgung namentlih da, wo für große Betriebsverwaltungen diese Schulden contrahirt sind, in feiner Weise auf die Dauer ausreicht, da die Kapitalien nid nur verzinst werden sollen, sondern da dieselben noch Uebershüsse für die Schuldentilgung zu liefern haben, kann einem Zweifel unterliegen. Nun kann die Eisenbahnverwaltung sich gewiß darauf stüßen, daß sie niht bloß die Zinsen der gesammten Staatëschuld, sondern noch sehr bedeutende Beträge zur Deckung sonstiger Etatsausgaben liefere. Hierin aber liegt das Schwergewicht unserer ganzen finanziellen Lage, und ih scheue mich nicht, das offen auszusprechen denn ih meine, der Landtag muß darüber klar fein wir haben in den leßten Jahren unsere dauernden Ausgaben in stärkerem Maße vermehrt, als uns die entsprehenden Einnahmen zu- ließen. Wenn wir unsere Einnahmen nicht vermehren können ent- \prechend den Ausgaben, so wird nichts anderes übrig bleiben als auf die natürliche fortschreitende Entwickelung des Landes zu rechnen und uns der äußersten Sparsamkeit zu befleißigen.

Es giebt fein anderes

Mittel, um die Blüthe des Landes, die Grundlage, auf welcher eine

solide Finanzlage berubt, zu erhalten. (Lebhaftes Bravo!)

von Pfuel: Das Herrenhaus könne den Minister nur unterstützen in seiner Sparsamkeit, wenn die Ausgaben niht im Etat ständen , dem gegenüber das Haus mahtlos sei.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Diesem leßteren Anheimgeben des hochverehrten Herrn Bericht- erstatters zu folgen, kann ich nicht in Ausficht stellen. Denn ich bin gerade der Meinung, daß wir die Anleihen möglichst vermindern und die nothwendigen Ausgaben durch die laufenden Einnahmen des Staats zu decken suhen müssen. Ob wir das in früheren Zeiten immer în vollem Maße gethan haben, lasse ich dahingestellt. Aber ih meine, namentlih in der Betriebsverwaltung muß man dabin streben, daß die Ausgaben möglichs durch die Einnahmen gedeckt werden und daß feine außerordentlichen Griffe auf Anleihen stattfinden. Ih nehme an, daß der Herr Berichterstatter niht das Gegentheil davon gewünscht hat.

Beim Etat der General - Ordens- Commission empfiehlt

Freiherr von Durant die Verleihung des Allgemeinen Ehbren- zeichens an die Gemeinde-Vorsteher und Gemeindeschreiber, im An- \chluß an die Ausführungen des Abg. von Meyer-Arnswalde im anderen Haufe.

Beim Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe dankt

Ober - Bürgermeister Bötticher dem Minister für die Ausbildung des gewerblihen Unterrichts. Die Ausgaben dafür, wenn sie au erbeblich vermehrt seien, reihten noch nicht aus, hierbei ies der Finanz-Minister wohl keine falshe Sparsamkeit walten assen.

| Ober - Bürgermeister StruckÉmann empfiehlt eine landesgeseß- lihe Regelung der facultativen Krankenversiherung der Dienstboten und ländlichen Arbeiter. Redner empfiehlt ferner die Uebertragung der Erbebung der Beiträge zur Invalidenversiherung auf die Kranken- kassen und Seieiaben und bittet um Aufhebung eines Ministerial- rescripts, welches dem entgegenstehe.

Ministerial-Director Lohmann: Die erste Frage werde von der Reichs- und Staatsregierung erwogen werden; die zweite Frage werde von dem Handels-Minister einer wohlwollenden Prüfung unterzogen werden.

Beim Etat der Justizverwaltung lenkt

Graf von Hohenthal die Aufmerksamkeit des Ministers auf die antimonarchischen Ausschreitungen der Presse, welche eine ganze Reihe von Majestätsbeleidigungéprozessen in Aussicht stellten. Es fei kürzlich an die Staatsanwalte die Verfligung ergangen, daß sie, bevor sie Klage in folben Fällen erhöben, an den Justiz-Minister berichten und dessen Genehmigung einholen sollten. Er sei fein principieller Gegner einer freien Presse; wenn sie wahrhaftig und maßvoll sei, könne fie dem Lande nüßlih sein. Aber man müsse sich auch hüten, die Macht der Presse zu übershäßen. Er halte die Verfügung des Justiz- Ministers für niht richtig und dem monarchischen Princip für nit zuträglih. Jeder Preuße habe ein gutes Recht auf die Unverleßlich- feit des Königs. Warum wolle man es niht den Staatsanwalten überlaffen, ob sie einschreiten wollten oder nicht? Wolle man das unter den Gesichtspunkt der Opportunität stellen? Er würde es ridtig finden, wenn man jedes Preßvergehen ohne weiteres verfolgte. Denn die Nichtverfolgung einzelner Artikel würde das Nechtsbewußtsein im Volke vermindern und nicht zur Stärkung des monarchischen Gefühls beitragen.

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Ich bin darüber erfreut, daß Herr Graf von Hohenthal auf den Vorwurf nicht zurückgekommen ist, der in seiner vorjährigen Rede zu erbliden war, daß nämli antimonarchishen Aeußerungen der Presse von Seiten der Staatsanwaltschaft "niht energisch ctgegen getreten werde. Ich. nehme also an, daß die Beschwerden des Herrn Grafen von Hobenthal in materieller Beziehung vollständig erledigt sind; es handelt sih nach seinen beutigen Ausführungen nur darum, den Sinn einer Verfügung richtig zu stellen, welche ih allerdings meinerseits an die Beamten der Staatsanwaltschaft erlassen habe. Die Veranlassung dazu war, daß ich neuerdings von mehreren gegen die Presse eingeleiteten Verfolgungen wegen Majestätsbeleidigung ers durch die Zeitungen Kenntniß erhalten habe. Die Stellung und das Ansehen des Justiz- ministers erfordert es aber, daß alle wihtigen Vorgänge auf dem criminalistishen Gebiet alsbald zu seiner Kenntniß gebracht werden. In Beziehung auf andere Aufseben erregende Verbrechen existirt hon längst die Bestimmung, wonach dem Justizminister Anzeigen zu erstatten find; ih habe diese Bestimmung nur ausgedehnt auf Verfolgungen wegen Majestätsbeleidigung gegen die Presse.!

Es hat mirfdurhaus fern gelegen, und ich glaube, niemand, der mih kennt, wird eine solche Vermuthung hegen können, damit der gerechtfertigten Verfolgung von Majestätsbeleidigungen ein Hinderniß in den Weg zu legen. Aber ih muß “darauf Werth legen, daß id, wenn solhe Vorgänge bei der Staats- anwalts\chaft sih ereignen, die eine größere Bewegung innerhalb des Landes bervorrufen können, meinerseits au in der Lage bin, von den- selben Kenntniß zu erhalten und je nah Umständen eine Einwirkung auf die Staatsanwaltschaft auszuüben. Eine \olhe Einwirkung ist feine ungeseßlihe. Allerdings hat Herr Graf von Hobenthal ganz recht: wir haben in der jeßigen Strafyrozeßordnung das Legalitäts- vrinzip, die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, wegen jeder strafbaren Handlung, soweit niht Ausnahmen bestimmt sind, von Amtswegen einzuschreiten, aber doch nur unter der Vorausseßung, daß zu- reihende thatsählihe Anhaltspunkte vorhanden sind. Die Ent- scheidung darüber, ob das lehtere der Fall ist, steht nit allein der Staatsanwaltschaft zu. Ich werde ihr zwar von vorn herein immer fehr gern die erste Beurtheilung dieser Frage einräumen; aber es fönnen doch Fälle vorkommen, in welchen eine Correctur am Plate ist, in welchen die Staatsanwaltschaft eine Anklage unterläßt, wo diese bätte erhoben werden sollen, oder umgekehrt zu einer Anklage schreitet, zu welcher keine genügenden thatsächlihen Anhaltspunkte vor- liegen. Ich glaube alfo, ih habe durch meine Verfügung in keiner Weise dem Legalitätsprincip Eintrag gethan, ich habe nux diejenige Wirksamkeit au in Bezug auf Majestätsbeleidigungen in Anfvyruch genommen, welche das Gese der Justizverwaltung einräumt.

Darauf wird um 5 Uhr die weitere Berathung auf Donnerstag 12 Uhr vertagt.

Haus der Abgeordneten. 43. Sißung vom Mittwoch, 30. März.

_In dritter Berathung werden die Geseßentwürfe, be- treffend die äußere aa @ der Sonn- und Lan in Dew Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau, sowie in den Hohen- zollernshen Landen, und betreffend die Aufhebung älterer, in der Provinz Hessen-Nassau geltender

CLEES Bestimmungen über die Untersu

es Shlachtviehs und die Ausstellung rb Leh

gesundheits\scheinen, ohne Debatte angenommen. 7 ur dritten Berathung steht ferner der Gesezentwurf

betreffend die Entschädigung für 2n Milzbrand ge-

fallene Thiere. : i :

Zu § 1, nah welchem die Provinzialverbände für solche Thiere Entschädigung gewähren können, beantragt

Abg. Knebel (nl.) hinzuzufügen, daß die Provinzialverbände die Entschädigung für ihren ganzen Bereich oder für Theile desselben be, schließen könnten, und begründet diesen Antrag damit, daß die Bi[. dung kleinerer Versicherungsverbände innerhalb der Provinzen ermög- liht werden müße. : S

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Sterneberg spriht h gegen den Antrag aus, weil font die Provinzialverbände kleinere Ver- ände bilden fönnten, ohne daß diefe darüber gehört würden.

_Abg. Freiherr von Erffa (conf.) hält den Antrag für über- flüssig, weil die Provinzialverbände schon jeßt in der Lage feien, dur Reglement einzuführen, was der Antrag wünsche. :

Die Abgg. Roeren (Centr.), Broekmann (Centr.) und von S (Centr.) sprehen sih gleihfalls gegen den Antrag aus.

Der Antrag wird abgelehnt und der Gesegentwurf un- verändert angenommen.

_JIn erster und zweiter Berathung werden die Geseßzent-

würfe, betreffend die Abänderung von Amtsgerichts- bezirken, und betreffend die Errichtung eines Amts- gerichts in der Gemeinde Lechenich, unverändert an- genommen. i Es folgte die Berathung von Petitionen. Eine Petition von Dr. Stolp zu Charlottenburg wünscht den Erlaß eines Gesehes, nah Ddo den bei Neubauten betheiligten Unternehmern und Bauhandwerkern bezüglith ihrer Forderungen ein Vorzugsrecht vor allen hypothekarishen Eintragungen zu gewähren sei.

_ Der Berichterstatter der Petitionscommission Abg. Czwalina (dfr.) beantragt, die Petition der Regierung als Material für die Gesetzgebung zu überweisen. 2

Abg. Goldschmidt (dfr.) weist darauf hin, daß diese all- gemein wichtige Frage bereits die Handwerkertage und auch den Ju- ristentag beschäftigt habe, welcher leßtere die Forderungen der Hand- werker mit 21 gegen 20 Stimmen abgelehnt habe. Die Commission babe leider ohne Zuziehung eines Regierungscommissars über diese Petition verhandelt, und es fci deshalb am besten, tie Petition an die Commission zurückzuverweisen, damit ein Vertreter der Regierung hinzugezogen werde. :

Abg. Stöcker (cons.) tritt entschieden für diese Forderung

der Handwerker ein. Die Schädigung der Bauhandwerker dur ge- wissenlose Bauspeculanten sei himmelschreiend. Jn Berlin existire eine ganze Straße, in welher die Bauunternehmer sämmtlicher Häuser mit den Bauhandwerkern wegen der Forderungen der Leßteren im Prozesse lägen. Die 00. O (Cent.) und Megner (Centr.) betonen glei- falls, daß diefe Zustände dringend einer Abhilfe bedürften; es handle ih nit allein um solhe Verhältnisse in Berlin, fondern im ganzen LUnde. Der leßtere Redner habe besonders auf die \{limmen Er- fahrungen der Handwerker mit dem Bau des Alexanderplaßz-Hotels in Berlin hingewiesen.

Abg. Goldschmidt (dfr.) bemerkt, daß er zu der Frage mate- riell noch feine Stellung nehmen wolle; es sei noch zu prüfen, ob die Verbältnifse im ganzen Lande ebenso seicn, wie in Berlin. Um die Ansicht des Justiz-Ministers kennen zu lernen, beantrage er die Ueberweisung der Petition an die Justizcommission.

Abg. Hitze (Centr.) {ließt sih den Ausführungen der Abgg. Pleß und Meßner an und beantragt die Ueberweisung der Petition an die Regierung zur Berücksichtigung. L e

Abg. Francke- Tondern (nl.) betont, daß es sih hier ledigli um eine juristishe Frage handle, und emvfiehlt deshalb die Ueber: weisung an die Justizcommission.

Abg. Dr. Dürre (nl.) erkennt an, daß die Bauspeculanten viel Unheil anrihteten, aber die Bauhandwerker seien au nicht die reinen Unschuldskinder. Nur durch deren Unterstüßung werde den Bauspeculanten erst ihre unheilvolle Thätigkeit ermöglicht. E

Abg. Lückhoff (freicons.) bält es auch für an der Zeit, in diesen Verhältnissen Wandel zu schaffen, bedauert gleichfalls, daß in der Commission kein Regierungscommissar zugegen gewe}en fet, und wünscht deshalb gleichfalls die nohmalige Berathung in der Justiz- commission.

Abg. Pleß (Centr.) tritt der Behauptung des Abg. Dürre ent- schieden entgegen. S :

Abg. Dr. Friedberg (nl.) warnt vor einer einseitigen Auf- fassung der Frage ledigli vom Standpunkt der Handwerker aus, er- kennt jedo an, daß die Frage einer sorgfältigen Prüfung bedürfe.

Die Petition wird darauf an die Justizcommi}}ton überwiesen. E

Verschiedene Petitionen um Erlaß eines Verbots, körperlihe Zwangsmittel zur Herbeiführung der Impfung anzuwenden, beantragt die Petitionscommi}tton, durch Uebergang zur Tagesordnung zu erledigen, dagegen die Regierung um Erwägung darüber zu ersuchen, ob nit

, -

Zwangsimpfungen lediglich bei Ausbruch einer Pockenepidemie zulässig seien und ob nicht in epidemiefreicn Zeiten von Zwangsimpfungen Abstand zu nehmen sei. :

Das Haus beschließt ohne Debatte nach diesem Antrage.

Ueber die Petition des Tuchfabrikanten Loll und Genofen in Falkenburg (Pommern) um Errichtung von Befkleidungé- ämtern für die Eisenbahn- und Postbeamten geht das Haus ohne Debatte auf Antrag der Petitionscommission zur Tageê- ordnung über. : i

Bezüglich der Petitionen des Vereins Frauenwobl in Berlin und des Frauenvereins Reform in Weimar, betreffend die Zu- lassung der Frauen zum Universitätsstudium, beantragt die Unterrichtscommission, über sie, soweit sie die Errichtung eines Mädchen-Gymnasiums und die Zulassung zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung überzugehen, soweit sie die Zulaffung zum medizinishen Studium und die Erlaubniß zur Ablegung des Maturitätseramens an einem Gymnasium betreffen, der Regiortng zur Erwägung zu überweisen

An der Debatte betheiligen sh die Abgg. Dr. Hartmann (Lübben), Seyffardt (Magdeburg), Rickert und Stöcker; Letzterem antwortet /

Wirklicher Gebeimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Schneider: Schon jeßt seien Lehrerinnen au in den oberen Klassen der höheren Mädchenschulen, felbst der öffentlichen, beschäftigt. Es würden au alle Veranstaltungen gefördert, die den Mädchen die Möglichkeit gâben, ihre Kenntnisse über das hinaus, was sie im ersten Examen nachweifen müßten, zu erweitern. Die Pflicht werde anerkannt, für die Maädchenbildung weitere Wege zu finden, aber fraglih sei es, ob die Bildungêwege für die Frauen dieselben sein würden wie für die männliche Jugend. Darin gebe er dem Vorredner völlig Reht. Es gebe eine Menge von Männern ohne jede akademishe Prüfung, die zablreihe andere Männer mit afkademisher Bildung überragten. Was bei den Männern der Fall sei, müsse auch bei den Frauen der Zall sein fönnen. Das Haus dürfe gewiß sein: erwogen werde die Sache. Der vorige Minister habe bereits damit begonnen, der neue werde. ebenfalls die Frage gewissenhaft prüfen. (Beifall.)

Abg. Dr. Hartmann- Lübben (cons.) bemerkt dem Abg. Rickert egenüber, daß von einem Mißbrauch der männlichen Gewalt nicht die Rede fein fônne, weil eine große Zahl von Frauen derselben Ansicht sei wie seine Partei. G

Das Haus beschließt nah dem Antrage der Commission.

Schluß gegen 2/, Uhk.

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

¿ 79.

Berlin, Donnerstag, den 31. März

1892

Nichtamtliches.

Frankreich.

Die Stimmung der leßten Tage war in Paris, wie sich aus den Blättern ergiebt, eine sehr gedrückte; so schrieb der „Petit National“: „Der Shrecken herrsht in Paris, fast täglich finden in den Kirchen der Hauptstadt Schlachten statt, Frankreich is in der Hand unfähiger Machthaber in Gefahr“ ; das „Evénement“: „der Minister-Präsident sieht in der Zu- funft die trübsten Ueberrashungen“:; der „Rappel“: „noch einige Explosionen und Frankrei wird in seinem Zorn zur Lynchjustiz zurückkehren“; die „Autorité“: „das Geseß, welches die Dynamitunholde mit dem Tode bedroht, ist platonisch, denn der Schuldigen kann man nit habhaft werden.“ Nun- mehr dürfte sich aber wohl die Aufregung wieder legen und der Pessimismus in Optimismus verwandeln, nahdem es der Polizei gestern elungen ist, den Anarchisten Ravachol, der befanntlih für den Urheber der Explosionen auf dem Boulevard St. Germain und in der Rue Clichy gehalten wird, zu ver- haften. Ueber die Vorgänge bei dieser Verhaftung meldet „W. T. B.“ nachfolgende Einzelheiten : Mehrere Polizeiagenten beobachteten ein Jndividuum, in welchem sie Ravachol zu erkennen glaubten, in dem ge at wie er in eine Weinwirthschaft auf dem Boulevard de Magenta hineinging. Die Agenten benac- rihtigten hiervon den Polizeiagenten Dresch, welcher si in Begleitung seines Secretärs sogleich in dieselbe Weinwirthschaft begab. Ravachol nahm, da er sih beobachtet sah, in Eile das Frühstück ein und verließ das Local. Dresh und dessen Secretär folgten ihm sofort und holten ihn ein. Auf ein von Dresch gegebenes o eilten drei Polizeiagenten herbei, und nun warfen sih alle fünf auf Ravachol. Dieser zog einen Revolver aus der Tasche, der ihm jedoch von den Beamten entrissen wurde. Ravachol wurde nun nach einem in der Nähe belegenen Polizeiposten abgeführt. Hier sezte er den Beamten verzweifelten Widerstand entgegen, indem er mit Füßen und Händen um sich shlug und den Versu mate, einem der Polizisten den Säbel zu entreißen. Den Leßteren gelang es shließlich, den Verhafteten zu fesseln. Inzwischen hatte sih eine zahlreihe Menschenmenge vor dem Polizei- tdanas angesammelt, welche rief : „Nieder mit dem Anarchisten !“ Ravachol wurde nun in einem Wagen nach der Präfectur Auf dem Wege dorthin rief er wiederholt : die Anarchie! Es lebe das Dynamit!“ Mit Hilfe anthropometrisher Messungen wurde der Ver- haftete bestimmt als Ravachol erkannt, da diese Messungen zu dem gleichen Ergebniß führten, wie die seinerzeit in Sti. Etienne an ihm vorgenommenen. Ueberdies trug der Hut des Verhafteten den Stempel einer Firma von St. Etienne. Die Polizei war durch den betreffenden Weinwirth auf dem Boulevard’ de Magenta selbst auf die Spur Ravachol’s geführt worden, der bereits am Sonntag in diesem Local sein Früh- stück eingenommen und den Verdacht des Wirths erregt hatte. Ravachol wurde sodann mit einem kürzlih verhafteten Anarchisten confrontrirt und von diesem als Leon Leger er- fannt, unter welhem Namen sich Ravachol in leßter Zeit ver- borgen gehalten hat. Ravachol gab hierauf zu, Leon Leger zu jein, bestritt aber zuerst, mit Vavatol identisch zu sein, doch räumte er auch dies in einem späteren Verhör ein; da- gegen leugnete er, der Urheber der jüngsten Explosionen zu jein. Bei einer in seiner Wohnung in St. Mandé vor- genommenen Haussuhung wurden Schwefelsäure, Salpeter- jaure und Retorten gefunden. Wie es ferner heißt, ist in der Setne bei Asnières und in der Nähe der Javel- Brüe eine größere Menge Dynamit gefunden worden. 5 Weiter dürfte cs zur Beruhigung beitrageo, daß gestern Vormittag die Decrete unterzeihnet worden find, durch die einige vierzig ausländishe Anarchisten aus- gewiesen werden. Mehrere der leßteren, die bereits aus- gewiesen waren, wurden sofort an die Grenze gebracht. Die ubrigen von dem Decret betroffenen Anarchisten, gleichviel ob Ztaliener, Deutsche, Oesterreiher, Schweizer oder Belgier, müssen Frankreich innerhalb 24 Stunden verlassen. Mehrere von ihnen werden, da sie mittellos sind, auf Kojten der Regierung an die Grenze gebraht werden. Der erau eines der Ausgewiesecnen wurde seitens des Polizei- Präfecten eine Unterstüßung gewährt; zwei andere baten um Aufschub, es sind deshalb Erhebungen angestellt, ob der Auf- \hub zu bewilligen fei. Unter den Ausgewiesenen befinden Nh auh zwei deutsche Anarchisten, namens Fleiß und Mayer. Der ausgewiesene Prediger Forbes hat Paris gesiern früh verlassen, um sich nach London zu begeben.

gebracht. „Es lebe

Ftalien.

In der Deputirtenkammer brachten gestern die Ab- geordneten Galli und Papadopoli eine Jnterpellation ein über angeblihe Angriffe auf italienishe Fischer in den dalmatinishen Gewässern und richteten an die Regierung die Anfrage, ob sie Maßnahmen zum Schutze der Fischerei ergriffen habe.

: Portugal.

Die Deputirtenkammer ist, nach der „Köln. Ztg.“, dem Votum ihres Ausschusses, wonach kein Grund vorliege, gegen den früheren Finanz-Minister Mariano Carvalho Eine gerihtlihe Untersuhung einzuleiten, mit 72 gegen

Stimmen beigetreten.

A Belgien. . Ueber die noch immex s{chwebenden Verhandlungen zwischen Cabinet und Kammern wegen der Frage der Verfassungs- revt}ion, speciell des sogenannten „Königs-Referendums“ wird der „Köln. Ztg.“ (in Ergänzung der in Nr. 74 d. „R.- S St.-A.* gegebenen Mittheilungen) aus Brüssel geschrieben: as Ministerium sah sich dieser Tage abermals genöthigt, wegen des „Königs-Referendums“ die Cabinetsfrage zu stellen. Breien der Regierung und der Mehrheit war es ausgemacht, aas das in dieser Tagung, vor der Kammerauflösung, festzujeßende, Reat. |pâteren Erweiterung fähige Programm der Verfassungs- evision die Möglichkeit eines Zusazes zum Grundgejseß er-

wähnen soll, wonach dem König wenigstens das Recht zur „nach- träglichen“ Befragung der Wählerschaft zustehen soll, d. i. zur Besragung über ein Geseg, das die Kammern bereits verab- \chiedet habcn. Es sollte dann jedem Mitgliede der Partei freistehen, in dem PEPPEN E nach eigener Ueber- zeugung füc oder gegen das Referendum zu stimmen. Mittlerweile strebten die grundsäßlichen Gegner dieser Neuerung, die jene Lösung bloß zur Vermeidung einer Ministerkrisis und der Berufung eines Geschäfts-Ministeriums hingenommen hatten, eine Vereinbarung unter ihren Parteigenossen dahin an, daß diese fih von den Wählern einen bindenden Auftrag, gegen das Referendum zu stimmen, ertheilen lassen jollten. Das konnte sih die Regierung nicht gefallen lassen. Sie regte daher die Berathung der Rechten an, die am 24. und 25. März stattgefunden hat und in der es ziemlich stür- misch hergegangen ist. Schon vor dem Ende der ersten Sißung hatte die Regierung, deren Führer Minister - Präsident Beernaert das Entla}sungsgesuch des Gesammt-Ministeriums bereit hielt, die Versammlung verlassen, dieser das weitere überlassend. Darauf besann fh die Rechte und faßte einen Parteibeshluß, wonach jeder Bewerber bei den Juniwahlen ih mit feinen Wählern über das Referendum zwar frei be- nehmen ftonne, auf einen bindenden Auftrag jedoch nicht ein- gehen dürfe.

__ An Stelle des verstorbenen Fürsten Chimay ist, wie der „Hamb. Corr.“ aus Brüssel erfährt, der clericale Senator Herzog d’Ursel zum Minister des Auswärtigen designirt.

Der Canonicus de Crolière, Präsident des Seminars zu Tournai, ist, dem „W. T. B.“ zufolge, zum Bischof von Namur ernannt worden.

Türkei.

_ Ueber die Gründe für die Verzogerung, welche die Ab- sendung des Jnvestitur-Fermans für den Khedive Abbas erfahren hat, liegen im „Daily Chronicle“ nähere Mittheilungen aus Konstantinopel vor. Wie das genannte Blatt erfährt, sei der ursprüngliche Ferman in seinem Wort- laut demjenigen bei der Thronbesteigung des verstorbenen Khedive angepaßt gewesen und hätte niht allein Egypten, sondern alle diejenigen Theile Afrikas mijumschlofsen, über welhe der Sultan die Oberherrschaft beansprucht. Hier- mit wären die Botschafter Englands und Ftaliens jedoch nit einverstanden gewesen; beide hätten fih auf den Standpunkt gestellt, daß der Ferman vollendete Thatjachen an- erkennen solle, und Jtalien hätten mit besonderem Nach- druck die Anerkennung seiner Occupation Massowahs verlangt. Infolgedessen scien einige Aenderungen an dem Ferman vor- enommen worden, welche die Vertreter der beiden Großmächte indeß noch nicht zufrieden gestellt hätten. Die britische Re- gierung habe zudem noch gewisse Wünsche wegen des bei der Investitur zu beobachtenden Ceremoniells, welhe der Pforte gleichfalls widerstrebten. Wie weiter die „Daily News“ aus Konstantinopel erfährt, hätte die Pforte Unterhandlungen mit dem Khedive über die Abtretung der Halbinsel Sinai an- geknüpft.

Nach einem Bericht der „Pol. Corr.“ aus Konstantinopel machen die Versuhe zur Beruhigung Yemens (in Süd- Arabien) unter dem thatkräftigen Commando Ahmed Fehzi Pascha's zwar erfreuliche Fortschritte, an einzelnen Punkten des Landes jedoch gebe die aufrührerishe Erhebung den türki- schen Truppen, die in ausreihender Anzahl an Ort und Stelle geshickt wurden, neuerdings zu schaffen, sodaß immerhin noh einige Wochen vergehen dürften, bevor in der genannten Provinz das volle Anschen der türkishen Behörden überall wiederhergestellt sein werde.

Griechenland.

Die griechische Regierung hat, um die Differenzen mit der Gesellschaft, welche die Eisenbahn vom Piräus nach Larissa baut, wegen der Bezahlung der Arbeiter zu beendigen, nunmehr eincm Wolff shen Telegramm aus Athen zufolge die Entscheidung des nah den Statuten competenten Gerichts angerufen.

Serbien.

Wie es heißt, wird die Reconstruction de noch vor dem Schluß der Session der S erfolgen.

s Cabinets fupschtina

Schweden und Norzvegen.

(F) Christiania, 28. März. Das Vertheidigungs- departement hat dem Odelsthing einen Gesezentwurf, betreffend die Beschränkung des militärishen Strafgeseßes in Bezug auf ausgeschriebene Dienstpflichtige, vorgelegt. Die Dienstpflichtigen follen, wenn sie nicht zum Dienst einberufen worden sind, als Civilpersonen angesehen werden. Die Re- gierung theilt gleihzeitig mit, daß sie hoffe, dem nächsten Storthing cinen Geseßentwurf, betreffend die Ordnung der militärishen Rechtspflege, vorlegen zu können.

Amerika.

An die in diesem Jahre stattfindende Präsidentschafts- wahl knüpft sih, wie die „A. C.“ mittheilt, insofern ein be- sonderes Jnteresse, als bei ihr zum ersten Male in der nord- amerifanishen Republik das australishe Wahlsystem zur Anwendung gelangen wird. Fast drei Viertel aller Staaten haben sich für die Geheimwahl entschieden, darunter die Neuengland- und Binnen- sowie die westlihen und nord- westlihen Staaten, mit Ausnahme von Jowa, Kansas, Nevada und Zdaho. Auch in vier Südstaaten, in Arkansas, Tennessee, Mississippi, Wejt-Virginien und außerdem noch in Kentucky und Texas wird das System zur Anwendung ge- langen. Südstaaten haben fich jedoch aus dem einen oder anderen Grunde nit zur ns der Reform entschlossen, obgleich diese für den Süden größere Wichtigkeit als für jeden anderen Theil der Union besißt. i

Die Agenten der transatlantishen Dampf- \chiffslinien wollen der „A. C.“ zufolge auf gerichtlichem Wege gegen die Entscheidung der Einwanderungscommissäre bezüglich der Detention und Rücksendung von Ein- wanderern Einspruch erheben.

Nach einem der „2g b. Ztg.“ aus Buenos Aires über New-York zugegangenen Telegramm ist in der brasilianischen Provinz Mattagrosso eine Revolution ausgebrochen.

Afrika.

Ueber neue Kämpfe in Witu hat die Britische Ostafrikanishe Gesellschaft der „Times“ zufolge aus Sansibar nachstehenden, -vom- 29. März datirten Draht- bericht erhalten :

Sapitän Rogers und die Streitkräfte der Gesellschaft griffen die Einwohner von Witu, welche jüngst einen Ueberfall gemacht hatten, am 18. März an. Der Kampf dauerte mehrere Stunden; die Stärke des Feindes is noech nit bekannt, aber nah Angaben eines Flücht- lings wurden 23 getödtet, 14 verwundet, viele vermißt. Der Verlust der Gesellschaft beträgt 3 Todte und 10 Verwundete, darunter Offizier Thomvson. Rogers vermehte nicht die Pallisadenwerke ein- zunehmen, obne großen Menschenverlust zu risfkiren: deshalb zog er fih gegen Abend unbehelligt langsam zurück. Alle Wasserbrunnen waren vergiftet, aber Rogers war glücklicherweise gewarnt worden. Er erklärt, mit leichten Feldgeshüten hätte er die Befestigungen ohne Schwierigkeit nehmen und den Sieg vervollständigen können.

Kunst und Wissenschaft.

4+ Die lebhafte Aufmerksamkeit der Kunstfreunde und Kunst- gewerbetreibenden verdient eine im Kunstgewerbe-Mufseum aus- gestellte Sammlung von Arbeiten des Pariser Medailleurs Louis Osfar Roty, welde unlängst von der Genéralverwaltung der Königlichen Museen erworben ist. Es handelt sich um Medaillen und Plafketten, jene kleinen Metallreliefs mit figürlichen Darstellun- gen, wie sie uns aus den Sammlungen italienischer Renaiffancevlastik ut befannt find. Seit noch nit allzulanger Zeit hat si der Samumeleifer, besonders franzöfisher Kunstfreunde, diesem Gebie-e der Kleinplastik zugewandt. Die in den öffentlihen und privaten Samm- lungen von Paris zusammengebrahten Vorbilder aus der Zeit der italienishen #Frührenaifsance Reabeu bier die Technik wieder neu er- stehen lassen. Der Medailleur Oudiné gehörte mit zu den Ersten, welche sich auf diesem Gebiete hervorthaten, aber auch Monumental- bildhauer wie Carpeaur und Chapu verschmähten es nicht, in diese funstgewerblihe Thätigkeit fördernd einzugreifen. Die Arbeiten Noty's, welche bereits auf der leßten Münchener Ausstellung in deutshen Kennerfreisen Aufsehen und Bewunderung erregten, zeichnen sih dur erlesenen Geschmack in der Erfindung und Zeichnung eben- fowobl wie durch Finesse der technishen Ausführung aus. Nur zum geringen Theil sind diese Denkmünzen und Plaketten mit Stempeln geprägt, die Mehrzahl ist vielmehr nah Wachsmodellen gegossen und von der Hand des erfindenden Künstlers nachciselirt. Bei aller Sauberkeit und Zartheit der Durhführung vermißt man doch nie die Sicherheit und Großzügigkeit eines frei shaffenden Künstlers. Als esondere Meisterleistungen seien die Chevreuilmedaille und die Denk- münze auf die Eröffnung der französishen Babn von Algier nah Confstantine genannt. Diese Verwendung der Medailleurkunft zur Verewigung wichtiger Ereignisse, bedeutender Persönlichkeiten, festlicher Begebenheiten 2. ist auch in Deutschland niht unbekannt. Anton Scharff in Wien gilt als der herverragendste deutsche Vertreter dicses Kunstzwciges. Neu dagegen dürfte vielen der Gebrauch sein, au das Gedächtniß an familiäre Ereignisse und Beziehungen in diefen kleinen Erzgüfsen und Prägemedaillen zu verewigen. Zwar kennen wir au Tauf- medaillen und ähnliches, aber zumeist feblt diesen für den allgemeinen Bedarf, gearbeiteten Stücken der intime Reiz individueller Beziehung zu dem besonderen Vorgang. Roty hat seine ganze Familie in Erz verberrliht: da finden wir das Doppelbildniß seines s{lichten Eltern- vaares, seine beiden Kinder Maurice und Jeanne, das Porträt feiner Gattin mit der rührenden Inschrift: „Tuum carissima conjux vultum aere fixi, ut te semper ante oculos habeam juvenem semper et felicem.“ Auch folhe Inschrift verräth, daß wir es mit einem feinempfindenden und gebildeten Künstler, niht mit einem vir- tuosen Handwerker zu thun haben. Jn dem Freundeskreis Roty's begegnen uns die feinsinnigen Kenner alter Kunst: Georges Duplefsis, der Borsteher des Kuvferstichcabinets der Bibliothèque Nationale und Leopold Delisle, der Verwalter und Erforscher der reihen Miniaturenschäte der gleihen Sammlung. Zwischen Miniatur und Kupferstih nimmt auch die Gedenkmünze und Bildnißplakette ihren Platz ein als ein fünstlerisch vornebmer und monumentaler Ersaß der Photographie. Welch? ein hübsher Gedanke z. B. wäre es, wenn der Gastgeber den Theilnehmern einer größeren Festlichkeit ein dauerndes Erinnerungszeichen an die frobverlebten Stunden in Gestalt einer fünstlerisch durchgeführten Plafkette verehrte! In Hamburg, desen Kunsthalle zur Zeit die reihbaltigste Sammlung moderner französischer Medailleurarbeiten besitzt, besteht z. B. der alte Brauch, bei ähnlichen Gelegenheiten eine goldene Schaumünze, den fog. Portugalöfer zu vertbeilen, der, obwohl er festen Geldwerth besißt, doch nicht zu den cursirenden Münzen gehört. Hier könnte die Plakette einen künstlerisch werthvollen Ersaß liefern. NRoty hat übrigens auch Courantmünzen gevrägt, wie z. B. das goldene Hundertfrancsstück des 5Ur]ten von Monaco beweist. Aber wesentlih freier und geistreicher zeigt sich seine Kunst in den größeren viereckigen, ovalen und runden Plaketten, deren Guß von vollendeter Reinheit, nur in seltenen Fällen noch der Nach- ciselirung bedurfte. Es ist zu hoffen, daß die Ausstellung feiner Arbeiten, welche, wie wir hören, nur den Grundîtock einer umfang- reicheren Sammlung ähnlicher Kunstwerke bilden sollen, auch unserem heimischen Kunstgewerbe reihe Anregung und Förderung bieten wird.

Literatur.

Unterhaltung. A

Die am 26. März ershienene Nummer 2543 der Leipziger „JFllustrirten Zeitung“ (I. J. Weber) enthält folgende Abbildungen: Der Tod des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen, 2 Abbildnngen von Lmmer: Großherzog Ernst Ludwig am Sarge seines Vaters im Mausoleum auf der Nofen- höhe. Die Leiche auf dem Paradebett. Die Brotvertheilung an Arbeitslose in Wien, 2 Abbildungen, Originalzeihnungen von W. Gause. Johann Amos Comenius. (Zum 300 jährigen Ge- burtstage.) Das neue Armeedenkmal in der Feldberrnhalle in München. Der Schneesturm in Wien in der Naht vom 10. zum 11. März. Schießergebnisse mit dem neuen deutschen fleinkalibrigen Gewehr: Schießen dur gefrorene Schneewälle auf Scheiben. Paul de Lagarde, + am 22. Dezember 1891. Karl Credé, f am 14. März 1892. Der Athlet Rasso im Circus Renz, ein ganzes Orchester bebend, nah einer Skizze von E. Hosang. Berliner Bilder: Ein Straßenbild während der Hundesperre. Nach einer Skizze von E. Hosang. Japanischer Mef}erwerfer. Das Gruben- unglück zu Anderlues (Belgien), nah photographischen Aufnahmen ge- zeichnet von E. Limmer. Merkwürdige Kopfformen bekannter Per- fonen aus dem Album der Hutari von Hermann Haugk in Leipzig. 40 Abbildungen. Polytechnische Mittheilungen. Moden.

Im 17. Heft der illustrirten Zeitschrift „Zur guten Stunde“ (Berlin W. 57, Deutsches Verlagshaus von Bong u. Co.) behandelt ein Aufsaß von W. Gallenkamp die Wunderwelt des Saturn, die den Bewohnern unseres Planeten fo viele, zum theil noh