1911 / 276 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Nov 1911 18:00:01 GMT) scan diff

hae Verpflichtung,” mit den von der Krone bestellten Ministern zu verhandeln. Er Aae es nit ablehnen, mit einem Minister, sei es im lenum, sel es in einem Aus\{husse, in Beratung zu treten. Bei dem orgehen der Mehrheitspartei handelt es sich nicht mehr um eine im Ermessen des Parlaments liegende Anwendung der Geschäftsordnung. Die Stellungnahme der Mehrheitspartei kann vielmehr nur als Abbruch der Verhandlungen im Finanzausshusse mit dem Verkehrs- minister auf unbestimmte es aufgefaßt werden. Hiernah wollte die Zentrumsfraktion die Verhandlungen im Finanzausshusse mit dem Verkehrsminister erst dann wieder aufnehmen, wenn die Staats- regierung sich zu einer Erklärung verstanden haben würde, die ihr une nah dem für den Verkehrsminister shwer verlegenden Vorgang m Finanzaus\husse vom 8. November nicht angesonnen werden konnte. Die Verhältnisse lagen mithin \o, daß die Mehrheitspartei die Fort- seßung der Finanzaus\hußverhandlungen mit dem Verkehrsminister bis 'zur Erfüllung einer Bedingung verweigerte, die von vornherein als unerfüllbar angesehen werden mußte. So wenig nah der Verfassung die Bewilligung des Budgets an eine Bedingung geknüpft werden kann, ebenso wenig darf die Erfüllung der dem Landtage von der Verfassung uneingeschränkt auferlegten Verpflichtung, das Budget zu beraten, von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Eine folhe Bedingung mußte deshalb als mit der Verfassung nicht im Einklang stehend mit allem Nachdruck zurückgewtesen werden, {hon um einem derartigen unzulässigen Vorgehen nicht den Weg zu öffnen. Aus der Geschichte des bayerischen Landtags ist kein Fall be- Fannt, in dem ein solhes parlamentarishes Kampfmittel angeroendet worden wäre; selbst in Zeiten, in denen die politischen Gegensäße zwishen der Negierung und der Volksvertretung aufs höchste esteigert waren, wurde zu diesem Mittel nicht gegriffen. Die taatsregierung, die sich ihrer vollen Verantwortung wohl bewußt war, hat die gewichtigen Bedenken, die gegen die Auflösung des Landtags fprachen, reiflih erwogen. Sie hat sich nur {wer und erst dann zu diesem Schritte entschlossen, als nach der Er- flärung des Abg. Lerno vom 11. November eine Verständigung und damit eine gedeihliche Fortführung der Geschäfte ausge- schlossen ersheinen mußte. Die Wahrung der Staatsautorität, die Wahrung der verfassungsmäßigen Stellung und Nechte der Staatsregierung zwangen die Staatsregierung, das einzige Mittel zu ergreifen, das die Verfassung dem Parlament gegenüber für solche “lad an die Hand gibt. Von irgend einer ‘politischen Partei- trômung war die Staatsregierung bei ihrer Entscheidung in keiner Weise beeinflußt. Die notwendig gewordene Auflösung des Landtags steht demnach keineswegs, wie dies in der Oeffent- lihkeit behauptet wurde, mit der angeblichß geänderten Stellung der Regierung zur Sozialdemokratie in Zusammenhang. In der Beurteilung der Bestrebungen dieser Partet geht viel- mehr die Staatsregierung selbstverständlih nach wie vor mit der überwiegenden Mehrheit der Volksvertretung und des bayerischen Volks pflihtgemäß Hand in Hand.

Die Erklärung erwähnt zum Schlusse das Handschreiben U Regenten an den Minister Grafen Podewils und vermerkt hierzu :

Was verschiedentlich in die Allerhöchste Botschaft hineingelegt wurde, ist eine tendenzióse Erfindung, insbesondere ist es unrichtig, wenn jeßt behauptet wird, daß das Allerhöchste Handschreiben den Anstoß zu der im Sinne der Auflösung des Landtags gefallenen Ent- schließung der Regierung gegeben habe.

Sachsen.

Die Zweite Kammer verhandelte vorgestern über die Jnterpellation Günther und Genossen (fortshr. Volksp.) :

In welcher Weise und in welchem Umfange hat die Königliche Staatsregierung im Bundesrats8autschusse für Auswärtige Angelegen- heiten beim Marokkovertrage mitgewirkt? Ist die Königliche Staatsregierung bereit, einen Antrag im Bundesrate auf Erweite- rung der verfassungsrechtlihen Kompetenzen des Neichs- tags in bezug auf Erwerbung nnd Veräußerung von Kolonien ein- zubringen und die Einführung Reichsministeriums zu fördern?"

Nachdem der Abg. Günther; die Jnterpellatipn begründet hatte, erwiderte der Staatsminister Graf Vißhum von Eck städt laut Meldung des „W. T. B.“ etwa folgendes:

Der Bundesratsaus\{huß für auswärtige Angelegenheiten ist beide Jahre, seitdem ih Minister bin, kurz vor Zusammentritt des Neichs- tages einberufen worden. Ich habe mit dem Gesandten Freiherrn von Salza und Lichtenau an der Sizung des Aus\{husses am 11. Oktober d. J. in Berlin teilgenommen. Die Verhandlungen waren interner Art. Jh bin außerstande, über ihren Inhalt Aus- kunft zu geben. Die Staatsregierung hat aber den Eindruck gewonnen , daß die berufenen Vertreter der Reichspolitik nach bestem Wissen und Gewissen alles daran geseßt haben, die Marokfofrage einer günstigen Lösung zuzuführen. Jn dieser Auf- fassung hat zwischen den Vertretern der einzelnen Regierungen volle Einmütigkeit geherrs{cht, und es ist dem Reichskanzler das Vertrauen zu seiner Amtsführung ausgesprochen worden. Der Minister wies dann aus die Erklärung der Reichsregierung hin, künftig in Fragen der Veräußeruug von Kolonien den Reichstag zu hören. Die Negterung stimmt einer dahin gehenden Aenderung des Schutzgebietsgesetzes zu. Was die verlangte Einführung etnes verantwortlichen Reichsministertums betrifft, so haben schon 1884 in dieser Frage Verhandlungen zwischen dem Fürsten Biëmarck und dem Minister Grafen von Fabrice stattgefunden, und die Angelegenheit ist damals im Bundeêrat verhandelt worden. Die Staatëéregierung hâlt an ihrem damals eingenommenen Stand- punkt fest und lehnt es ab, Anträge auf Einführung eines verant- wortlichen Neichsministeriums zu stellen. Die Erhaltung des bundes- staatlichen Charakters des Reichs ist eine Grundbedingung für sein Gedeihen. Wenn wir daran festbalten, so folgen wir dem großen Manne, dem wir die Reichsverfassung verdanken, und wir bewähren uns als gute Deutsche und treue Sachsen.

Hefsen.

Nach dem amtlichen Wahlergebnis der Landtag ssttich- wahlen is, wie „W. T. B.“ meldet, im Kreise Wöllstein nicht der fortschrittlihe, sondern der nationalliberale Kandidat, und zwar mit aht Stimmen Mehrheit gewählt worden. Die Nationalliberalen erhalten somit einen Siß mehr und bleiben die stärkste Partei in der Zweiten Kammer.

Bremen. Vorgestern vormittag fand in der St. Petri-Domkirche für

den verstorbenen Bürgermeister Dr. Victor Marcus eine ETauerseiet fall, der „W. T. B.“ zufolge, außer den nächsten Angehörigen des Entschlafenen, der Senat und die Bürgerschaft 1n corpore, der preußishe Gesandte bei den Hansestädten von Bülow, der einen Kranz Seiner Majestät des Kaisers und Königs überbrachte, der preußische Handelsminister Sydow, der oldenburgische Minister des Jnnern Scheer, der hanseatische Gesandte in Berlin Dr. Klügmann, der Bürgermeister O’'Swald-Hamburg, der Senator Dr. Nachenburg-Lübeck, als Vertreter Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen der Korvettenkapitän von Usedom, ferner der kom- mandierende General des IX. Armeekorps, General der Jn- fanterie Freiherr von Plettenberg und der Admiral Graf Baudissin, die Spißen der Behörden und der Kirchenvorstand, Vertreter von Handel und Schiffahrt, Gewerbe und Jndustrie, Kunst und Wissenschaft beiwohnten. Nach der Feier wurde der Sarg unter dem Geläute der Glocken nah dem Wattener Friedhof übergeführt, wo die Beisezung erfolgte.

eines verantwortlichen.

Oesterreich-Ungarn,

__ Das österreichische Abgeordnetenhaus hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 259 gegen 183 Stimmen einen Antrag angenommen, worin die Regierung dringend aufge- E wird, nah Bedarf für eine nah Zeit und Menge be chränkie Einfuhr von Fleish aus Argentinien und den Balkanländern Sorge zu tragen. Weiter wurde ein Antrag angenommen , in dem die Regierung aufgefordert wird, Verhandlungen mit Serbien, betreffend Abschließung eines Handelsvertrages einzuleiten, und zwar in dem Sinne, daß gegen angemessene Zugeständnisse Serbiens an die österreichische ndustrie die Einfuhr von Fleisch aus Serbien ohne Be- schränkung gestattet wird. Schließlih gelangte ein Antrag, be- treffend Aufhebung des Saccharineinfuhrverbots, zur Annahme

n der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses trat der Ministerpräsident Graf Stürgkh vorgestern in der fortgeseßten Verhandlung über das Budgetprovisorium für die Bewilligung der in dem Provisorium angeforderten Kredite ein, bat aber den Ausschuß, im gegenwärtigen Zeit- punkte über diese nicht hinauszugehen.

Großbritannien und Jrland.

Jm Unterhause fragte vorgestern der Abg. Graf von Nonaldshay (Unionist), ob der zwischen England und Frankreih im Jahre 1904 abgeschlossene Vertrag zwei geheime Klauseln enthalten habe, denen zufolge einmal Frank- reich seine Zustimmung zur Aufhebung der Kapitulationen in Aegypten geben solle, wann immer Großbritannien mit den anderen davon derührten Mächten in Unterhandlungen treten sollte, und dur die ferner eine Zone im Norden von Marokko festcelegt werde, die von Larrash nach der atlantischen Küste laufe und innerhalb welcher eine Aktion Frankreichs ähnlichen} Beschränkungen unterworfen . sein solle, wie sie an der Mitlelmeerküste gegenüber Gibraltar in Ge- brauch wären.

Laut Bericht des W. T. B.“ erwiderte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Si} Edward Grey, daß der englisch-fran- zösischen Deklaration van Jahre 1904 gewisse niht veröffentlichte Artikel hinzugefügt worien seien. Sie seien als Hilfsbestimmungen zu den veröffentlichten Irtikeln von Wichtigkeit und würden jeßt dem Parlament vorgelegt w&den. ;

Der Abg. Cha1les Duncan (Arbeiterpartei) fragte Sir Edward Grey, ob unter den bestehenden Verträgen Groß- britanniens Zustimmäüng erforderlich sei, bevor die Türkei in eine Abtretung von Tripolis an Jtalien willigen könne.

Sir Edward CErey erwiderte, daß die Verpflichtungen, die Großbritannien in Verzindung mit anderen Mächten dem ottomanischen Netich gegenüber übernmmmen habe, im Artikel 7 des Pariser Vertrages von 1856 niedergelegt Ind dur den Artikel 63 des Berliner Vertrages von 1878 bestätigt woden seien. Die Wirkung, die diesen Verträgen in bezug auf den Besij von Tripolis zukomme, müsse noch von den beteiligten Mächten largestellt werden, und ehe eine Erörterung darüber stattgefunden [abe, könne er nit sagen, auf welche Ansicht man si einigen werds i

_ Gestern nahm ps Haus, obiger Quelle zufolge, nach leb- hafter Debatte über| die Eisenbahnerf rage mit 167 gegen 108 Stimmen eine pon Lloyd George eingebrachte Resolution an, in der der Wusch des Hauses zum Ausdruck gebracht wird, die Regierung (1bge ihre guten Dienste anbieten, um die

/] und der etner zu

einer Besprechune--# /,

ner 2 4 Le dyr darüber zu beraten wäre, wie die von der #.#/0/.4; «lAhterausstand ernannten König- lichen Kommission gemacjtèn Vors@läge am besten ausgeführt werden könnten.

Gestern abend hat Lord Charles Beresford in Portsmouth eine Rede gehalten,| in der er, wie „W. T. B.“ meldet, ausführte :

_ Die Lehre der leßten Krisis zeigt, wie notwendig es war, augen- blicklih auf plöulihe Feindseligkeiten gefaßt zu sein. Verschiedene, zur öffentlihen Kenntnis gekommene Fatsachen, die mit der Flotte in Zusammenhang stehen, haben bewiesen daß England niht darauf vor- bereitet war. Derartige plôßlihe Vorbereitungen während einer Krisis zu treffen, lassen uns als kriegershen Teil gegenüber der andern Nation, in diesem Falle Deutshlmd, erscheinen. Ich glaube zuversihtlih, daß die jüngst gewonnde Erfahrung die Regierung aneifern wird, einen Entwurf einzubringen, der für den Seekrieg einen Stab schafft, der von Zeit zu Zeit an die Flottenbedürfnisse erinnert. Während der Krise ist die britishe Fhtte lärgs der ganzen Küste verteilt gewesen ; aber wir. hatten feind militärishe Bewachung der Werften und der Munition8magazine wch, was wichtiger ist, jener Strecken der Eisenbahn, wo der Oberlau jeden Augenblick zerstört werden konnte. Wir hatten keine Mintnsucher für die Häfen und für die Fahrstraßen. Die Verkehrs\traßen wXen ohne Kreuzer, ungeachtet der Londoner Deklaration, die die Kaperck gestattet, durch die unsere Verkehrsstraßen bei einem plößlihen| Angriff abgeschnitten werden konnten. Wir hatten im Norden kein Oelvorräte für die Torpedo- bootszerstôörer, und das Brennmateria| mußte ibnen erst von den Shlachtschiffen überlassen werden. En sfolches Nichtgerüsfletsein sei der Tatsache zuzuschreiben, daß Englanf keinen Kriegsmarinestab habe, wie ihn jede andere Nation besize. Venn hierzu Geld notwendig sei, möge man die Sache in Ordnung dringen; er glaube, man folle ae E aufaehmen, und wahrs{inlih werde dieses auch getan werden.

Vertreter der Eisenl ‘2

FFrankrech.

Die Kommission für atswärtige Angelegen- heiten seßte in der vorgestrigen Sizung die Beratung über das deutsh-französische Abkonmen, an der der Minister- präsident Caillaux und der Miniker des Aeußern de Selves teilnahmen, fort.

Nach dem Bericht des „W. T. B}? erklärte der Ministerpräsident Caillaux auf eine Anfrage, die Kalmer sei nur zur Natifizierung des den Congo betreffenden Teils deKlbkommens berufen, der allein die Zustimmung des Parlaments vot konstitutionellen Standpunkt aus erfordere. Auf eine Anfrage, we{hes die Lage Frankreichs hin- sichtlih der Spanien vorbehalten Zone Marokkos nach der Natifikation sein werde, erwiderte Caispur: in dem Fall, daß Spanien sih weigern würde, die Verpflichtungek zu erfüllen, die Fraukceih für Spanien übernommen habe, würde es s\ch in eine sehr viel \{chlecktere Lage bringen, und das #& nicht wahrschetnlich. Würde es aber, nahdem es die französisckchn Verpflichtungen übernommen habe, sich weigern, sie zu erfüllen, f! würde Frankreih nah seiner Meinung sih mit den besten Aussichth an das Haager Schiedsgericht wenden. Der Ministerpräsident dränte auf möglichst {nelle Er- ledtaung des Congoabkommens und eAlärte, er widerseße sich jedem Vertagung#antrag und werde gegelnenfalls die Vertrauensfrage stelen. Im weiteren Verlauf def Sißung erbat Demun die Mitteilung gewisser Schriftstück, die sich auf die von der französischen MNegierung Spanter! gemachten Vorstellungen be- ziehen. Der Minister des Aeußern f Selves und der Minister- präsident Caillaux erwiderten: hne vorherige Verständigung zwischen den beiden Maaievnuato sei die erbetene Mitteilung nicht möglih. Es sei aber eine Verstänlgung bezüglih der Herauêsgabe etnes Gelbbuches zu erwacten, das jed{h der Kammer erst nah einec

der französisch-spanischen Besprechungen nicht getren werden Tönnten. Die Regierung könne lediglich aflire baß a ohne jemals die Hoffnung auf eine freundschaftlihe Mäßigung auf- zugeben, niemals die Vorgänge, die sich im letzten Juni abgespielt hätten, gutgeheißen habe. Die Negierung sei durhaus bereit, der Kommission alle zweckmäßigen Auskünfte zu geben, die mit dem französish-deut- hen Abkommen in Zusammenhang ständen. Aber sie könne keine Mit- teilung machen über die Verhandlungen, die zurzeit bezüglich des franzô- sish-deutshen Abkommens gepflogen würden. Die Minister sprachen sich ferner dahin aus, daß der Artikel 16 des Congoabkommens, der bestimmt daß im Falle einer Jenderung der territorialen Verhältnisse des ver- traglichen Congobeckens die Unterzeichner der Berliner Akte mit- einander ins Benehmen darüber treten sollen, eine kostbare Friedens- bürgshaft darstelle, ohne dem Vorkaufsrecht Frankreihs auf den belgishen Congo, das nicht abgetreten werden könne, den mindesten Eintrag zu tun. Auf eine Anfrage, ob Frankreih Deutschland für das, was fin der spanishen Zone vorgehe, verantwortlich sei, antwortete der Ministerpräsident Cailla ux verneinend. Der Minister des Aeußern de Selves teilte auf eine weitere Anfrage mit, daß Tanger wahrscheinlich internationalisiert werden würde. Ueber die deutschen Postanstalten in Marokko sagte er, daß diese nicht andauernd fortbestehen würden. Schließlich gab er noch bekannt, daß Gngland die Veröffentlihung des mit dem französisch-\panishen Ver

trage von 1904 verbundenen franûzösish-englischen Geheimvertrages

wünsche. RNuß;landv. _ Der Kaiser Nikolaus hat gestern in Livadia die türkishe Sonderbotschaft in Abschiedsaudienz empfangen. | Der Reichsrat hat sih laut Meldung des „W. T. B.“ mit 101 gegen 45 Stimmen gegen die Ablehnung der Vorlage betreffend den Glaubenswecsel, und für deren Spezial- beratung' ausgesprochen. talien.

Die „Agenzia Stefani“ kündigt die bevorstehende Ver- öffentlihung von Königlichen Dekreten an, die nach einer Meldung des „W. T. B.“ auf Grund des Geseßes vom 17. Juli 1910 zur Eröffnung eines außerordentlichen Kredits von 65 Millionen Lire für das Kriegs- und Marineministerium ermächtigen, der zur Deckung der Kosten der Expedition nah Tripolis dienen foll, gerechnet vom Beginn der Feindselig- leiten bis zum 830. November. Dieser Kredit ist bis zum Betrage von 57 Millionen gedeck durch Kassen reste, die aus dem tatsächlichen Etatsüberschuß der vergangenen Rechnungsjahre herrühren, und bis zum Betrage von 8 Millionen durch einen Teil des Budgetüberschusses des laufenden Rechnungsjahres, der sih voraussihtlih viel höher beziffern wird, ohne die Vermehrung der Einnahmen mit- zuschäßen, die zweifellos ebenso wie in den Vorjahren eintreten wird. Uebrigens sei es sehr fraglich, ob der ganze Kredit von 65 Millionen werde gebraucht werden. E

Portugal. Die Deputiertenkammer hat gestern laut Meldung L C E : R E 7 OO des „W. T. B.“ die Aufhebung des Postens des General gouverneurs von Lourenço Marques und die Wieder

herstellung des früheren Zustandes genehmigt.

Belgien.

Die Deputiertenkammer hat vorgestern nahmittag die Beratung der von der sozialistishen Kammerfraktion ein- gebrachten Juterpellation über die Frage der Landesver- teidigung begonnen. Nach ihrer Begründung ergriff der Kriegsminister, General Hellebaut das Wort und führte laut Bericht des „W. T. B.“ aus:

Man habe dur eine übertriebene Preßkampagne in den leßten Monaten das Land beunruhigt. Ale Borbedingungen seien erfüllt gewesen, um im Ernstfall die Armee in 5 bis 6 Tagen zu mobilisieren. Das Militärgeseß von 1909 habe sich bis jeßt in seiner vollen Konsequenz noch nicht zetgen können. Der Effektivbestand habe im Etatsjahre 1910/11 42 850 Mann betragen gegen 36 000 Mann im Jahre 1908. Nach setner Ansicht müsse die Friedenspräsenz auf 47 500 Wann gebracht werden. Der Generalstab könne niht unabhängig gemaht werden vom Kriegs- ministerium; das verbiete die belgishe Verfassung. Ueber die No bilisierungépläne könne er in öffentlicher Kammersißung nicht sprechen da dies den Interessen des Landes zuwiderlaufe. : Jn der gestrigen Sizung der Kammer, in der die Be- sprehung der Juterpellation über die Frage der Landes verteidigung fortgeseßt wurde, widerlegte der Kriegsminister Hellebaut einzelne gegen die militärtehnischen Einrichtungen gerichteten Beschwerden und wies die gegen die Firma Krupp erhobenen Angriffe als ungerechtfertigt zurü.

E Der Kriegsminister faßte seine Ausführungen dahin zusammen daß in dem Augenblick des marokkanishen Zwischenfalls die Maas- befestigungen fofort in Stand geseßt worden seten; die Artillerie ge- nüge allen billigen Anforderungen, einer Vermehrung der Kavallerie wolle er sih nicht widerseßen, er müsse aber erkiären, daß er niemals die Absicht gehabt habe, den Verteidigungsplan für Antwerpen ab- zuändern. Das Rekrutterungsgesetz von 1909 könne vorerst nicht ab- geändert werden. Gegen die Herabseßung der Dienstzeit wende cer ih nicht grundsäßlih, wenn damit eine Vermehrung der Präsenz- stärke erkauft werde. i : Türkei.

__ Nach Informationen aus türkischer Quelle hat die Pforte, wie „W. T. B.“ meldet, bei den Haager Signatarmächten gegen das Bombardement Akabahs als eines nicht befestigten Plaßes Einspruch erhoben. Ebenso hat die Pforte nach dem gestrigen Ministerrat bei den Mächten Einspruch er- hoben gegen den Wurf einer Bombe aus einem Aeroplan auf das Hospital von Zuara.

Die Deputiertenkammer ratung des Chester-Projektes fort.

Der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten fkritisierte das Projekt und {lug vor, es an die Kommisfion zurückzuverweisen, um nah einem Uebereinkommen mit Chester eine Klausel aufzunehmen die der Regierung nah Abschluß entsprehender Studien das Options- ret gibt.

Unter dem Namen „Partei der liberalen Entente“ haben die unabhängigen Abgeordneten im Verein mit den An- hängern des Obersten Sadik Bey eine neue Partei gebildet, die bestimmt sein soll, alle oppositionellen Gruppen zu ver- hmelzen. Jn ihrem Programm spricht sich die neue Partei bezüglih der äußeren Politik zugunsten eines Bündnisses mit einer oder mehreren Mächten ohne Beeinträchtigung der guten Beziehungen zu den übrigen Mächten und gegen jede aggressive Politik aus. :

Jn einer gestern veröffentlihten Proklamation der Partei wird dem Komitee vorgeworfen, daß die revolutionäre Organisation, die ihre Tätigkeit nah der Einführung der Verfassung hätte einstellen müssen, troßdem fort- bestanden habe und in eine absolutistishe Oligarchie entartet sei. Jhre Unterdrückungspolitik habe die Auf- stände in Albanien, im Hauran und im Yemen ver-

seßte gestern die Be-

gewissen Zeit mitgeteilt werden könne. Es sei unmöglich, zur Kenntnis des Parlaments Schriftstücke zu brinkn, die von der Gesamtheit

ursacht. Das äußere Ansehen der Türkei sei so gesunken, daß Jtalien den Augenblick für günstig erachtet habe, ihr:

I E S B40 CEOSAN A E E

Tripolis zu entreißen. Gegenüber den italienishen Grausam- feiten bewahre die givilisierte Welt Stillschweigen, gleichsam um darauf hinzuweisen, daß die Türkei keine des Vertrauens würdige Regierung besiße.

Amerika.

Jm canadishen Parlament beantragte, wie L u meldet, der bisherige Premierminister Sir W. Laurier während der Debatte über die Adresse auf die Thron- rede ein Amendement, in dem auf die scharf hervortretende Meinungsverschiedenheit hingewiesen wird, die im Kabinett über die Frage der Organisation der canadischen Flotte herrsche. Einige der Minister hätten während der lezten Wahlen eine Verteidigung des Landes zur See in jeder Form verurteilt. Der Premierminister Borden begrüßte das Amendement als cine Probe auf die Einigkeit der Regierung in der Flottenfrage

und sagte:

Das Kabinett Laurier habe eine auf zehn Jahre verteilte Aus- gabe von fünfzig Millionen Dollars für die Flotte vorgeschlagen und eine Flotte geplant, die ohne Wert für den Kampf und zur Zeit ibrer Fertigstellung {hon veraltct gewesen wäre. Die jeßige Negie- rung beabsichtige keine solhe Ausgabe. Die ganze Frage müsse neu erwogen werden. Die Regierung werde sid bestreben, die Ver-

ältnisse flarzulegen, denen gegenüber sich das Reich befinde, und stets bereit sein, thre bürgerlihen Pflihten gegen Canada und das Reich zu erfüllen.

Vom „W. T. B.“ verbreiteten Blättermeldungen zu- folge ist in Paraguay eine revolutionäre Bewegung ausgebrochen.

Asien.

Wie das „Reutersche Bureau“ erfährt, hat Persien in

Uebereinstimmung mit dem Rat Englands eingewilligt, die Forderungen des russischen Ultimatums zu erfüllen, und der persishe Gesandte in London hat dies dem britischen Auswärtigen Amt formell mitgeteilt. Der Befehl zur Zurückziehung der Gendarmerie des Generalschaß- meisters Shuster von dem Eigentum des Prinzen Schua es Saltaneh in Teheran ist erteilt worden; die Gendarmerie wird durch persishe Kosaken erseßzt werden. Auch erklärte sich Persien, der force majeure nachgebend, bereit, Rußland wegen des Zwischenfalles Schua es Saltaneh um Entschuldigung zu bitten. i Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ aus dem hinesischen Aufstandsgebiet ist die Verbindung mit Hsianfu, wo, wie berichtet, die Fremden niedergemeßelt worden sind, unterbrochen, Taiyuenfu, die Hauptstadt von Schansi, liegt in Trümmern, aber die Mission ist wohlbehalten. In Hankau istt es am 20. d. M. wieder zu schweren Kämpfen zwischen den Kaiserlihen und den Aufständischen gekommen, die das Ergebnis hatten, daß Wie Aufständischen wieder auf der Hankauer Flußseite festen Fuß faßten.

Die fremden Gesandtschaften haben noch keine Maßnahmen getroffen, sie beraten jeßt über die Lage. Ohne ein starkes Erpeditionskorps kann indessen außerhalb des Bereichs der auf dem Yangtse liegenden Kanonenboote nichts getan werden. Die meisten Gesandtschaften rieten ihren Staatsangehörigen vor drei Wochen, sih aus dem Jnnern des Landes zurückzuziehen, viele folgten diesem Rat jedoh niht und andere sandten nur ihre Frauen und Kinder fort.

Die Ausfständishen der Provinz Schansi stimmen dem Plane zu, daß Yuanschikai Präsident der Republik werden soll, verlangen aber, daß er die Mandschus verlasse. Das von den Aufständischen eingeseßte Auswärtige Amt hat den Konsuln mitgeteilt, daß 14 Provinzen auf der Konferenz in Wutschang vertreten sein werden. Die republikanishen Behörden sichern die Zahlung der Kriegsentschädigung zu sowie die der Anleihen, die vor der Proklamierung der Republik ab- geschlossen worden sind. Das diplomatische Korps hat be \hlossen, den fremden Bankiers die Wahl einer Kommission zu empfehlen, die die Zolleinkünfte übernehmen soll, die der Generalinspektor in den auswärtigen Banken zur Zahlung der Kriegsentshädigung und der auswärtigen Anleihen niederlegt. Der Generalinspektor der Zölle berichtet, daß selbst die Auf- ständischen in Tschangscha, die früher gegen diese Verwendung der Einkünfte waren, ihr jeßt zustimmen.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der National- versammlung und Yuanschikai sind laut Meldung des „W. T. B.“ im Zunehmen begriffen. Yuanschikai hat die Nationalversamm- lung noch nicht besuht. Seine Kaisertreue ist außer Zweifel ; er scheint sich allein dem Thron gegenüber verantwortlich zu fühlen. Entgegen der gegen die Weiterführung der Feindseligkeiten gerichteten Entscheidung des Parlaments it die erste Brigade der Mandshu nah dem Süden ab- gerückt. Die Nationalversammlung hat ihre Zustimmung zu einer geplanten Konferenz von Provinzialvertretern gegeben, die über die Frage Monarchie oder Republik entscheiden soll. Sie bietet Garantien für die Sicherheit des Hofes, erklärt aber, ste könne keine Penfion bewilligen.

Afrika.

Der König von England, der, wie gemeldet, mit der Königin in Port Said eingetroffen ist, tauschte, „W. T. B.“ zufolge, vorgestern mit dem Khedive Besuche aus und empfing den türkischen Prinzen Zia Eddin, der ihm einen Brief des Sultans überreichte, wogegen der König Georg dem Prinzen einen Brief für den Sultan übergab. Später gab der König dem Khedive und einer auserlesenen Gesellschaft an Bord der „Medina“ ein Frühstück, bei dem ihm unter anderen Kiamil Pascha vorgestellt wurde. y

Nach Meldungen der „Agenzia Stefani“ aus Tripolis eröffneten am 20. d. M. Vormittags die Türken und Araber gegen das zweite Grenadierregiment auf der Ost- front ein lebhaftes Gewehrfeuer, das die Jtaliener mit Gewehr- und Mitrailleusenfeuer beantworteten. Am Nachmittag erneuerte der Feind den Angriff, wurde aber durh einen Gegenangriff auf Front und Flanke unter“ Zurücklassung von 20 Toten zum Weichen gebracht. Aeroplane, die zu Erkundungen aufgestiegen waren, brachten die Nachricht, daß ih die Lage der Feinde in den letzten Tagen wenig geändert habe. Die Flieger ließen Bomben auf das Lager der Feinde fallen, und ein Drachenballon stellte die Wirkung ihrer Explosionen fest, die Verwirrung, Zerstörung und Brände hervorriefen. Auf ein ggen des Drachenballons bombardierte das Kriegs\chiff „Carlo Alberto“ das Zentrüm der Feinde sowie Henni.

Zur Unterstüßung der Armen in Tripolis hat der General Caneva Getreide, Reis, Brot und Kleider verteilen lassen. Bis jeßt sind 260000 ke Getreide unter die Araber und 67 000 kg unter die Juden verteilt. Von den 2000 Baraen, die hergestellt werden, sind bereits 500 verteilt.

_ Bei Tobruk feuerten am ‘18. d. M. Batterien aus zwei Schanzen auf ein arabisches Lager aus einer Entfernung von

3800 m. Das Feuer aus der einen Schanze zerstörte voll- ständig das Telegraphengebäude und eine in der Nähe liegende Verschanzung, hinter der sich die Araber anscheinend für einen Nachtangriff sammelten. Die Araber flohen, verfolgt von dem Schrapnellfeuer auch der anderen Schanze.

Während der Nacht und am selben Tage kam es zu einem lebhaften Kampf bei Derna. Der Feind hatte sih unter dem Schuße der Dunkelheit genähert, wurde jedo dur ein sehr lebhaftes Gewehr- und Mitrailleusenfeuer sowie durch das der bis zu den Batterien vorgebrachten Landungsgeschüße zurük- geworfen. ; j

Von Benghasi und Homs ist nichts Neues gemeldet worden.

Statistik und Volkswirtschaft.

Deutschlands auswärtiger Handel im Oktober und in den 10 Monaten Januar bis Oktober 1911.

Nach dem Ofktoberhefte 1911 der „Monatlichen Nachweise über den auswärtigen Handel Deutschlands“ haben betragen :

im Oktober d. F. die Einfuhr 6 617 403 t, außerdem 7732 Stück, darunter 7670 Pferde (gegen 6 656 063 t, außerdem 10813 Stück, darunter 10 723 Pferde, im Oktober 1910), die Ausfuhr 5 219 364 t, ferner 934 Stü, darunter 883 Pferde (gegen 4 951 929 t, ferner 662 Stück, darunter 612 Pferde, im Oftober 1910),

in den 10 Monaten Januar bis Oktober d. J. die E in- fuhr 56405024 t und 132140 Stück, darunter 131413 Pferde (gegen 53 001 194 6 und 134952 Stü, darunter 134193 Pferde, im gleichen Zeitraum von 1910), die Ausfuhr 48307590 t und 6436 Stück, darunter 5725 Pferde (gegen 43778835 t und 6128 Stück, darunter 5458 Pferde, im gleihen Zeitraum des Jahres 1910). /

Die Werte erreihten Millionen Mark:

im Oktober d. F. in der Einfuhr 864,0 an .Waren und 16,6 an Edelmetallen (gegen 778,6 und 15,8 im Oktober 1910), in der Ausfuhr 710,9 an Waren und 9,3 an Edelmetallen (gegen 712,2 und 11,5 im Oktober 1910).

Fn den 10 Monaten Januar bis Oktober d. I. in der Einfuhr 77921 an Waren und 227,2 an Edelmetallen (gegen 7296,6 und 3242 im entsprehenden Zeitabshniti von 1910), in der Ausfuhr 66097 an Waren und 97,1 an Edelmetallen (gegen 6108,8 und 154,1 im entsprechenden Zeitabschnitt des Jahres 1910).

(Weitere „Statistise Nachrichten“ f. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

Das Königliche Kunstgewerbemuseum hat eine Aus- stellung von Kirhengewändern aus Seidengeweben und Gold- brokaten des Mittelalters veranstaltet, die bis Ende Januar 1912 geöffnet bleibt. Sie umfaßt mit 200 Meßgewändern von cinesischer, \arazenisher und italtenisher Arbeit die erlesensten Denkmäler der Seidenkunst, die aus dem 13. bis 15. Jahrhundert erhalten sind. Den Hauptbestand haben die reihen Paramentenshäße von Danzig, Stralsund, Halberstadt, Brandenburg und Braunschweig hergeliehen.

A. P, Veber die Grundlagen futr die DtluUvigalse chronologie und Paläethnologie“ sprach in der November- versammlung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie Dr. N. N. Schmidt aus Tübingen. An derselben Stelle hatte vor etwas mehr als einem Jahr Professor Dr. Oscar Montelius-Stock holm fein System dargelegt, wie aus den vielerlei Zeugnissen des Vorhandenseins des Menschen in den vorgeschichtlihen Zeiten, u. a. aus den Grabfunden der neolithishen, der Bronze- und der Eitenzeit zunächst zu einer relativen und darauf weiter- bauend zu einer absoluten Zeitbestimmung zu gelangen fei. Seine Ausführungen waren damals mit größtem Beifall aufgenommen worden. Montelius hat gelehrige Schüler gefunden; denn was Dr. Schmidt auf Grund von Forshungen ausführte, die er als Mitglied einer Studienkommission in Deutschland, Frankreih, England und Spanien im Lauf des legten Jahres gemacht, ist die Anwendung des Montelius\#en Systems auf den Diluvialmenshen nur mit der Einschränkung, daß bezüglich seiner Existenz auf der Erde wohl alle- zeit die Wissenschaft sih mit einer „relativen Zeitbestimmung“ wird bescheiden müssen und die absolute für immer nur Sache mehr oder minder wahrscheinlicher Mutmaßungen bleiben wird. Aber auch in dieser Einschränkung ist das Ergebnis der Studien, für welche vor allem Frankrei, im Departement der Dordogne zumal, ein aus- giebiges Feld darbot, ebenso interessant, als hochwichtig für unsere Kenntnis der ältesten Vertreter des Menschenge\chlechts und thres jeweiligen Kulturzustandes. Es darf gesagt werden, daß in den jeßt 55 Sahren, die seit der Auffindung des Neandertalshädels als des ersten Zeugnisses vom Diluvialmenschen vergangen find, staunenswerte Fortschritte in der Erforshung der ältesten Spuren des Menschengeshle{chts gemaht worden sind. Zum Verständnis der Schmidtshen Miiteilungen it daran zu erinnern, daß die belgischen und französishen Forscher auf dem Gebiet, an erster Stelle der Belgier Nutot, vorgeschlagen haben, die Fundorte charakteristisher Merkzeihen von der Existenz des Menschen, welche nah deren ungefährer Uebereinstimmung als gleichaltrig zu vermuten sind, und diese Funde den Zeiten entsprehend mit charakteristischen, dem Namen der Ortschaft, wo die ersten oder Hauptfunde dieser Art gemacht sind, angepaßten Namen zu bezeihnen. Dieser praktische Borschlag ist allseitig gutgeheißen worden. Man spricht in diesem Sinne von einem „Chelléen“ als dem Fundort der allereinfahsten, eben noch als von Menschenhand benußt zu erkennenden Steinwerkzeuge. Das Chelléen ist also das älteste Zeugnis von Menschen bergender Schiht. Dann folgt das „Acheuléen“ als die nächstjüngere, fortgeshritteneres Gerät enthaltende Schicht, ihr gehören au die ältesten Skelettreste vom Menschen an; alsdann das „Moustérten“, dem u. a. der Homo mousteriensis in den Samm- [lungen des Berliner Museums für Völkerkunde angehört, ferner das „Aurignacien“, in dessen Schichten der Homo aurignaciensis unseres Museums aufgefunden wurde. Die nächstjüngere Schicht trägt den Namen des „Solutréen“ und die jüngste wird „Magdalénien" genannt. Es sind somit gewissermaßen 6 Stufen des Fortschrittes in der Entwicklung des Diluvtalmenschen angenommen, und man hat Grund für die Vermutung, daß Chelléen, Acheuléen und Moustérien der zweiten Zwischeneiszeit an- gehören, die Menschen des Moustérien die dritte oder vorlezte Eiszeit überdauert haben. In die folgende, leite, wesentlih kürzere Zwischen- eiszeit fielen Aurignacien, Solutréen und Magdalenien. Das legtere überdauerte die vierte, letzte Eiszeit und erstreckte sih noch weit in die Nacheiszeit hinein. Rutot hat noch eine siebente dem Chelléen voraus- gehende, also älteste Schicht, das Strepyien, anzunehmen, vor- Jeshlagen, dafür aber bei den Fachgenossen keinen Beifall ge- funden, weil die dem Stripyien zugewiesenen Eolithe teils als Artefakte fraglih, teils den Artefakten des Chélléen sehr ähnli.

Man darf nun nicht glauben, daß diese Stufen scharf vonein- ander geschieden sind, es bestehen sicher allerwärts Uebergänge, aber im großen und ganzen dürfte auch nach den jüngsten S oeiCangen die Einteilung ungefähr das Richtige treffen. Die Aufgabe der Studienkommission, zu deren Mitgliedern Dr. Schmidt gehörte, war es nun, die verschiedenen Fundorte in den genannten Lindern zu be- \suhen und die charakteristishen Merkmale jeder Schicht, die von Menschen gebrauchten Geräte 2c. zu ermitteln, um sie zu klassifizieren. In Lichtbildern von Bodendurchschnitten zeigte der Vortragende, daß nur zuweilen mehrere Artefakte führende Schichten übereinander liegend gefunden werden,

öfters dur \terile Schichten unterbrohen; z. B. deutlih erkennbar, von unten nah oben aufeinander folgend, Moustérien, Aurignacien und Solutréen, andere ältere Schichten werden teils einzeln, wenn der betr. Ort später niht wieder bewohnt wurde, teils zu zweien an- getroffen. In dem ersten und dem dritten Falle is ersihtlich das relative Alter der Schihten und damit ihres Inhalts an Artefakten erwiesen. Es ist ferner verständlih, daß die Häufigkeit der Artefakte führenden Schichten mit ihrem Alter abnimmt, mit ihrer An- näherung an die Gegenwart sich - steigert: von der jüngsten, dem Magdelénien, gibt es in Frankreih alletn 300 Fundorte. Einige Beispiele werden zeigen, wie man die Aufgabe, eine Diluvialchronologie zu gewinnen, in Angriff nahm: Fn St. Acheul, dem Ort, welcher dem Acheuléen den Namen gegeben, fand man in der obersten Humusschiht das volle Neotttficum. in der Lehmschicht darunter Alt-Magdalénten, dann folgten nah unten Wß- und Kies\schiht mit Aurignacien, junger mit vervollkomm- netem Moustérien, Basis des jungen mit Alt-Moustérten, alter W mit Acheuléen. In einer Schichtenfolge bei denr Orte Azelin-Fardenoisin fanden \sich von oben nach unten in Spät-Magdalênten zweireihige Harpunen aus Hirschgeweih geschnißt, in Hoch-Magdalénten einreihige Harpunen, im Früh-Magdalénien einfache, fleine Harpunen, im Spät-Solutréen steinernen Fäustel mit Kerbspiße, im Hoch - Solutréen solhe mit Lorbeerblattkerbspize, im Früh- Solutréen solhe mit Weidenblattkerbspißze. Alle diese Funde wurden sorgfältig mit allen Nebenumständen, wie sie bei den Grabungen zu beobachten waren, registriert, um daraus vorsihtig Schlüsse zu ziehen. Einige dieser Schlüsse sind besonders interessant: In Deutsch- land fehlen Chelléen und Acheuléen ganz, dagegen ist Acheuléen in Galley Hill - Kent in England festgestellt worden. Eine große, bogenförmige Steinklinge entstammt diesen Funden. Die reichsten Funde aller Schichten ergaben Frankreih und Belgien, woraus deren dauernde Bewohntheit in der Diluvialzeit zu folgern ist. Auch in der Größe der Fundkomplexe unterscheiden si Frankreih und Deutschland ; das leßtere, nördlicher gelegen, sah wohl eine langsamere Entwicklung und geringere Bewohntheit. Sehr harafteristisch is die Fortbildung, welhe das einfahste, nur eben benugte, nicht dem Gebrauch besonders angepaßte Stein- gerät des Chelléen in Laufe der Zeit erfuhr. Keiner der vom Vortragenden gezeigten Eolithe des Chelléen ließ die Benußung durch den Menschen verkennen, aber in den späteren Schichten trat aufs deutlihste Anpassung, Formung nah Maßgabe der gegebenen Mittel, ja selbst doppel- und mehrfaher Gebrauh und entsprehender An- vassung an verschiedene Zwecke hervor. Die Benußung von Knochen und Geweihen beginnt etwa mit dem Moustérien, das in dieser Beziehung während seiner langen Dauer etne ziemlich funstvole Industrie entwtickelte. Gänzliher Verfall alter Technik is dann zwischen Moustérien und Aurignacien bemerklich. Daß die Diluvialmenshen Zeitgenossen des Elephas antiquus waren, daß Bison, Höhlenbär, Elch, Renntier von ihne gejagt bezw. benußt wurden, beweisen nicht nur die Verwendung der betreffenden Knochen, Zähne, Geweihe, sondern vor allem die zahl- reichen Höhblenbilder. Viele dieser Bilder, deren eine große Reihe in Lichtbildern vorgeführt wurden, lassen ihre Urheber als geshickte Zeichner unter Anwendung des unverwüstlihen Schwarz der Kohle erkennen, als gute Beobachter des Kennzeichnenden an Pferd, Stier, Hirsch, Elefant. Höchste Ueberrashung aber bereiteten mehrfarbige, schwarze, gelbe und rote Tterbilder, den Bison darstellend, die vor längerer Zeit als Deckengemälde in einer Höhle bet Altamira in der Nähe von Santillana, Provinz Santander (Spanien), entdeckt worden sind. Der Vortragende war an Ort und Stelle und versicherte, daß die vorgeführten Bilder mit großer Sorgfalt und Treue aufgenommen find. Sie könnten einem modernen Tiermaler Ehre machen. Auch andere Höhlen dieses Gebirgs- stodes am Meeresgestade sind der speziellen Untersuchung wert. Spanien scheint in Uebereinstimmung mit dem an Funden be- sonders reihen, füdlihen Frankreich zu allen Diluvialzeiten vom Menschen bewohnt gewesen zu sein, seine Artefakte aus dieser Zeit zeigen zuweilen ungewöhnliche geometrishe Formen. Jene Tierbilder And gleich den in Frankreih gefundenen zumeist der Magdalénienzeit angehörig; immerhin ist es erstaunlich, wie ausgezeihnet fich in einer wohl 100 000 Jahre übersteigenden Zeit diese mehrfarbigen Bilder erhalten haben. VFedenfalls war das Magdalénien, wie es die jüngste der Diluvialzeiten war, auch die entwickeltste, die Blüte dieser Zeit, obgleich gewisse Anzeichen, niht bloß die aus3- gedehnte Benußung des Renntiers, fondern auch das Vorhandensein des Lemmings und Murmeltieres auf Tundracharakter und arktisches Klima, mindestens im Spätmagdaléntien {ließen lassen. In dem sih an den fehr beifällig aufgenommenen Vortrag schließenden Meinungs- austausch fragte Professor Dr. Penck den Vortragenden, in welche der 6 Zettepochen er die jüngste Giszeit verlege. Die Antwort lautete: Zwischen Aurignacien und Solutréen.

Als zweiter Vortragender des Abends sprach Dr. H. Frieden - thal über „Das Haarkleid der Menschhenrassen und der Menschenaffen“. Der Vortragende hat zur Untersuchung der Nerwandtschaft zwischen dem Menschen und Menschenaffen den Weg der Haarvergleihung eingeschlagen und ist dabei mit großer Gründlich- feit verfahren. Das Erzebnis war, daß eine bedeutende Aehnlichkeit bestehe zwishen dem Haarkleid des Menschen und der drei Menschen- afen Gorilla, Schimpanse und Orang, aber nur mit diesen dret Arten; {hon die Behaarung des Gibbon unterscheide sch ganz wesentlich. Ein Unterschied bestehe in der ursprünglichen Flaumbe- haarung des neugeborenen Menschenaffen, die si schnell in das dem Menschenhaar ähnlihe Terminalhaar umwandle, und der Nicht- bebaarung des neugeborenen Menschen, es sei denn auf dem Kopf. In diesem Falle fei auch beim Menschen Flaumhaar vorhanden, das jedo langsamer als beim Menschenaffen durch das Terminalhaar ver- drängt werde; in beiden Fällen bleibe die Haarwurzel unverändert. Auf die Verschiedenheit des Haares bei den verschiedenen Menschen- rassen übergehend, untershied der Vortragende drei durhaus und iw ihrem Ursprung streng geschiedene Stämme: Die Spiralhaarigen Tasmanier, Papuas, Neger die Lockenhaarigen (aus\{ließlich die Australier) und die Schlichthaarigen, denen die ganze übrige Mensch» heit angehört, soweit nicht durch viele Kreuzungen ein mittel- haariger Typus entstanden ist. An diese Betrachtungs- weise knüpft sich die interessante Frage, ob die lockenhaarigen Australier den ältesten Menschentypus darstellen, die Urrasse, aus der der mittel- haarige Typus hervorgegangen ist. Der Vortragende hatte es an der Hand ausgezeichneter Lichtbilder und seiner geistreihen Darlegungen verstanden, die Versammlung bei diesem Gegenstande zu fessen und fle auch noch bei dem nachfolgenden Meinungsaustausch gefesselt zu erhalten.

Fagd.

Freitag, den 24. d. M,., findet Königliche Parforce- jagd statt. Stelldichein: Mittags 12 Uhr 30 Minuten am. Denkmal auf dem Hasenheidenberg.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs maßregeln,

Das Kaiserlihe Gesundheitsamt meldet das Erlöschen der Maul- und Klauenseuhe vom Schlachtviehhof in Frankfurt: a. M. am 20. November 1911.

Oesterreich.

Die K. K. Seebehörde in Triest hat verfügt, daß die Herkünfte von Tanger wegen des dortigen Auftretens von Lungen pest den Bestimmungen dez seebehördlihen Rundschceibens vom 12. August 1904 Nr. 12468 entsprehend zu behandeln sind. (Vergl. „R.-Anz.“ vom 1. Dezember 1904, Nr. 283.)

Die K. K. Seebehörde in Triest hat ferner verfügt, daß dia Be von Malta wegen des dortigen Auftretens von.

holera den Bestimmungen des seebehördlihen Rundschreibens vom:

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