1892 / 107 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 May 1892 18:00:01 GMT) scan diff

%%as Gesetz aufzunehmen, daß sie mindestens drei Jahre als Lehrhäuer thätig gewesen sein müßten. Er bitte, den Antrag anzunehmen.

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Für die Anregung, die der Regierung durch den Antrag der Herren gegeben wird, bin ih in der That sehr dankbar, weil ih, wie ih mi \{on in der Commission ausgedrückt habe, dem Grund- gedanken durchaus beitreten kann. Das führt mi aber niht zu dem Schluß, das hohe Haus zu bitten, den Antrag der Herren Antrag- steller anzunehmen.

Meine Herren, die Bedeutung dieses Antrages liegt auf der einen Seite in den großen Gefahren, die die Arbeit im Bergwerk mit sich bringt, auf der andern Seite in der Thatsache, daß bei steigender Conjunctur die Zahl der beschäftigten Bergarbeiter \sih plößlih fehr erbeblih vermehrt, und daß die Rekrutirung dieser Bergarbeiter aus Kreisen stattfindet, die in der Regel von der Bergarbeit garnichts verstehen. Es hat z. B. im Ober-Bergamtsbezirk Dortmund die Durtshnittszahl der Bergarbeiter in den Steinkohlengruben 1890 127 800 betragen, 1891 138 600, alfo in dem einen Jahre ein Zu- wads in dem einen Ober-Bergamtsbezirk von 10 800 Bergarbeitern glei 8,4%. Nun if das Wesentlichste dabei, daß diese Neuhinzu- gekommenen aus Provinzen stammen, wo sie mit dem Bergbau nichts zu thun gehabt haben, daß die wenigsten dieser großen hinzu- \trôömenden Arbeiterzahl in irgend einer Weise mit dem Bergbau vertraut oder zu demselben angelernt sind. Nach der Ansicht unserer Bergbehörden ist dieser Umstand einer der wesentlihsten Gründe, daß die preußishe Bergwerks-Unfallstatistik so ungünstig steht, zu meinem Bedauern ungünstiger, als in den meisten anderen bergbautreibenden Staaten. Es handelt ih hierbei ja nit nur um die Unfälle, die beim Publikum am meisten be- Tannt find, um Unfälle, die durch s{chlagende Wetter herbeigeführt werden; es giebt eine ganze Reibe anderer Unglüsfälle, die in ihrem Procentsaz die Unglücksfälle durch s{chlagende Wetter übersteigen. Das sind inébefondere die Unglücksfälle, die dur Stein- fälle herbeigeführt werden; und die Ursachen sind in beiden Fällen, bei den \{lagenden Wettern wie bei den Unglücksfällen durch Stein- fall, in der Regel die Unvorsichtigkeit der Arbeiter, und der Grund dieser Unvorsichtigkeit wieder liegt in dem völligen Unbvertrautsein mit den Arbeiten und der Beschaffenheit der Bergwerke, in denen die Leute zu thun haben.

Nun ift infolge dieses Umstandes Bergbebörden, sondern auch in den arbeiter, bei den bergbaulihen Vereinen, bei der Knappyschafts- berufsgenossenshaft diese Frage {hon vielfah in Erörterung gezogen. Man fann wohl sagen, daß beute die Ansicht all- gemein ist, daß die Abhilfe für diese Zustände nur darin zu suchen ist, daß zur selbständigen Bergarbeit unter Tage nur gelernte Bergarbeiter zugelassen werden. Ueber die Ausführungsmöglichkeit haben vielfach Erwägungen stattgefunden, diese Erwägungen haben aber bisher zum Abschluß noch nicht führen können, weil, meine Herren, in der That die Schwierigkeiten, die sich der Ausführung dieser als gut ertannten Maßregel entgegenstellen, ganz außerordentliche sind. Es müßte, wenn sie zur Ausführung gebracht würde, wenigstens, wie ih die Sache vorläufig ansehe, dazu übergegangen werden, die ganze Masse der Bergarbeiter neu zu organisiren und zu klassifiziren. Wir müßten Unterschiede machen nah S{hleppern, nah Lehrhäuern und na Voll- bäuern, die Listen der Bergwerke müßten darnach geführt werden, es würde eine völlige Umkehr des augenblicklich auf den meisten Bergwerken wenigstens bestehenden Zustandes stattfinden nicht auf allen; denn es ist mir wohlbekannt, daß wir einzelne Gruben baben, z. B. die niedershlesishen, wo diese Abstufung sih erhalten hat und beute noch festgehalten wird, wo kein Vollhäuer zugelassen wird, der

nicht einige Jahre als Lehrhäuer, und keiner als Lehrhäuer, der nicht einige Jahre als Schlepper gearbeitet hat.

Nun, meine Herren, kommt fernec hinzu : wenn das alles gelingt, wenn man diese neue Organisation, diese neue Klassification und Listenführung wirklich eingeführt hat, dann entsteht die Frage der Controle, die ganz außerordentli \{chwierig ist. Sie müssen sih einen großen Bergbetrieb vorstellen, wo an hundert Orten unter Tage die Leute arbeiten, wo eine vollständige Aufsichtsführung durch die Behörden überhaupt nit mögli is augenblicklich kann ih mir kein Bild machen, wie das geschehen soll —. Es wird unendlich \{wierig sein, zu controliren, ob nit ein Schlepper zu einer Arbeit von seiner Belegschaft heran- gezogen oder zugelaffen wird, die er eigentlih nit verrihten darf.

Endlich, meine Herren, möchte ih noch auf eins hinweisen, was fch als die Wirkung einer solchen Maßregel zweifellos heraus- stellen wird, übergangêweise wenigstens zweifellos: eine Ver- minderung der Production. Auh das is ein Moment, was jedenfalls in Erwägung gezogen werden muß, ein Moment, was viel weniger die Grubenbesißer und Bergleute hindern wird, zu einer solchen Maßregel ihre Zustimmung zu geben, als die Consumenten. Sie wissen ja, daß heute sowohl von Seiten der Bergwerksbesißzer wie von Seiten der Bergleute darauf bingearbeitet wird, die Preise der Koblen na Möglichkeit heh zu halten; Sie würden diesen Bestre- bungen durch eine solche Maßregel bis zu einem gewissen Grade und bis zu einer gewissen Dauer zu Hilfe kommen, die Consumenten würden für einige Zeit nah meiner Meinung zweifellos unter einer folhen Maßregel zu leiden haben. Jedenfalls, meine Herren, geht daraus hervor, daß diese ganze Sache nah allen Richtungen einer eingehenden und sorgfältigen Erwägung bedarf, und daß es nit gerathen ift, ehe diese Erwägung abgeschlossen ift, einen positiven Saß in die Gesetzgebung aufzunehmen, wonach nur gelernte Bergarbeiter zur Häuerarbeit herangezogen werden, und noch viel weniger meines Erachtens fann man dazu übergehen, wozu die Herren Antragsteller ih heute ents{chlofsen haben, für eine bestimmte Art des Bergwerks- betriebes eine bestimmte Zeit als Lehrhäuer vorzushlagen. Wenn Sie allgemein sagen, daß in allen Steinkohlengruben keiner als Vollhäuer zugelafsen wird, der nicht drei Jahre Zeit als Lehrhäuer gearbeitet hat, so geht das meines Erachtens auch für die Zukunft viel zu weit. Es wird eine Reibe von Bergwerken geben, wo eine kürzere Zeit als drei Jahre genügt.

Nun, meine Herren, das wesentlichste bei dieser ganzen Sache ift meines Erachtens das, daß jeder Bergmann nicht zur selbständigen Bergarbeit zugelassen wird, wenn er niht einige Zeit unter einem älteren erfahrenen Bergmann als Lehrhäuer gearbeitet hat. Das ift meines Erachtens der rihtige Grund, der in diesem Vorschlage liegt, und soweit ih die Verhandlungen in der Commission verstanden habe, Hat si darüber au Uebereinstimmung gezeigt ; man erkennt, daß es im

nit bloß bei den Kreisen der Berg-

Interesse der Sicherheit des Betriebes, im Interesse des Lebens und der Ge- sundheit der Arbeiter nothwendig ist, daß von dem Zustande abgegangen wird, daß ein ungelernter Arbeiter mit der shwierigsten, mit der bedenk- listen und mit der gefährlichsten Arbeit betraut wird.

Dieser Grundsaß, daß der Gefährlihkeit des Betriebes wegen nit jeder Arbeiter ohne weiteres als Vollhäuer zugelassen wird, hat in den Polizeiverordnungen vershiedener Ober - Bergämter bereits Ausdruck gefunden. In der Halleshen Polizeiver- ordnung vom 10. Dezember 1884 ist bestimmt:

In der Häuerarbeit unerfahrene Arbeiter dürfen bei dieser nit allein angelegt werden.

Der Grundsatz ist ja also hier hon zum Ausdruck gekommen. Noch weiter geht die Breslauer allgemeine Berg-Polizeiverordnung vom 2. Januar 1888; sie bestimmt:

Arbeiter, welhe niht mindestens ein Jahr lang als Lehrhäuer unter der Aufsicht eines erfahrenen Hâuers gearbeitet haben, dürfen bei der Häuerarbeit nicht allein angelegt werden.

Hier finden Sie fast alles das, was meines Erachtens für die Sache genügend wäre; nur eins fehlt in der Verordnung, die Control- vorschrift, und ich bin deshalb nicht in der Lage, zu sagen, welhe Wirkung diese Polizeiverordnung bis jeßt gehabt hat. Ih werde aber nicht ermangeln, darüber eingehende Ermitte- lungen anzustellen. Jedenfalls sehen Sie, meine Herren, daß ein Anfang auf dem von Ihnen vorgeschlagenen Wege und zwar ein ziemli bedeutender Anfang bereits gemacht ift. Sie werden ferner erkennen, daß die Behörden niht nur, sondern auch die be- theiligten Kreise sih eingehend mit der Erwägung darüber be- schäftigt haben, in welcher Weise dem anerkannten Mißstande abzu- helfen is. Jch werde es mir angelegen sein lassen, diese Er- wägungen so bald wie möglich zum Abschluß zu führen, bin aber der Meinung, daß die Erledigung der Sache, so wie das theilweise {on geschehen ist, in vollständig ausreihendem Maße durch die Berg-Polizei- verordnungen geschehen kann, und ih halte es nicht für nöthig, die Gesetzgebung deswegen in Gang zu seßen. Und s{ließlich, wenn Sie den Antrag ansehen, werden Sie doch finden, daß der wesentlichste Theil der Aufgabe auch hier den Ober-Bergämtern zugewiesen ist; Sie haben die nähere Vorschrift den Ober-Bergämtern überlassen. In dem Antrag is nur ausgesprochen worden: es sollen nur gelernte Bergleute als Vollhäuer zugelassen werden. Die Schwierigkeit liegt niht in der Erkenntniß der Nichtigkeit dieses Satzes; die Schwierig- keit liegt in der Ausführung. Auch Sie wollen diese Ausführung den Ober-Bergämtern überweisen und deshalb, glaube ich, fênnen Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen in Aussicht stelle, daß die Regelung dieser Angelegenheit im Wege der Berg-Polizeiverordnung so bald als mögli erfolgen wird, nach- dem wir conferirt baben mit allen bei dieser Frage betheiligten Körperschaften, zu denen z. B. auch in sehr starkem Maße die Knapp- \chafts-Berufsgenofsenschaft gehört.

Abg. Vopelius (freicons.): Er sehe nicht ein, warum der Abg. Hitze nicht auch die alte berggeseßlihe Bestimmung beibehalten wolle, daß ein Bergwerksunternehmer Leute, von denen er wiffe, daß sie shon vorher im Bergbau beschäftigt gewesen seien, nur wenn sie ein Zeugniß ihres leßten Arbeitgebers _besäßen, anstellen dürfe. Sein Antrag erscheine ihm nah den Ausführungen des Ministers zur Zeit nicht annehmbar, er werde gegen ihn stimmen.

Abg. Engels (freicons.): Nach den Ausführungen des Ministers liege kein Grund vor, die Commissionsfaffung durch die vom Abg. Hiße vorgeschlagene zu erseßen, darum bitte er, diesen leßteren An- trag abzulehnen. / E : :

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (conf.): Dem in dem Antrag Hitze enthaltenen Gedanken ständen seine Freunde sehr fym- pathisch gegenüber, sie wünschten für jede Arbeit, zu der-eine besondere Geschicklichkeit nöthig sei, den Nachweis der Befähigung. Sie würden aber gegen den Antrag stimmen, weil er, soweit er die all- gemeine Befähigung der Bergarbeiter betreffe, eigentlich nur eine Resolution darstelle; die näheren Bestimmungen fönnten nur die Regierung oder die Ober-Bergämter geben, und dabei müsse noch auf jeden einzelnen Spezialfall befonders Rücksicht genommen werden. Den anderen Theil des Antrages könnten sie darum nit annehmen, weil sie nicht wüßten, ob die Frist von drei Jahren genüge oder zu furz sei, und sie ohne genügende Information in dieser witigen Sache keinen definitiven Beschluß gefaßt schen möchten.

Abg. Bachem (Centr.): Er danke- dem Vorredner dafür, daß er für die Idee des Befähigungsnachweises eingetreten fei, aber eine bloße Resolution könne er in dem ersten Theil des Antrages nicht erfennen; denn wenn au das Ober-Bergamt die genauere Bestimmung über die Art der Durchführung haben müße, so sollten eben die Ober- Bergämter hierdurch gezwungen werden, irgend welche Bestimmungen zu treffen. Er glaube nah dem Gang der Debatte, daß, wenn selbst der Antrag seiner Partei heut abgelehnt werden sollte, ein diese Materie regelndes, von der Regierung einzubringendes Gefeß große Aussicht auf Annahme habe; auf Polizeiverordnungen bitte er den Minister niht zu reeurriren, es handele sich um einheitliche, geseßliche Regelung des Gegenstandes. Früher ei die Unterscheidung zwischen Lehr- und Vollhäuern überall durchgeführt worden, erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts habe sie aufgehört, er sehe aber nicht ein, warum das, was früher Rechtens gewesen sei, nicht wiederum geseßlich solle eingeführt werden fönnen. Die Rüctficht auf die Consu- menten sollte von dem Minister doch nicht der auf die Arbeiter vor- gezogen werden, wie er thue, wenn er sich gegen den Antrag mit Rücksicht auf die dadurch entstandene Grhöhung der Kohlenpreise erkläre. Die Nothwendigkeit einer Aenderung des ien en Systems werde allseitig, auch von Bergbehörden und Bergwerksbesißern anerkannt, und zur Abhilfe sei nur die Einführung des Befähigungs- nahweises geeignet. Seine Partei wolle ja den landwirthschast- lihen Arbeitern die Möglichkeit nicht nehmen, im Bergbetriebe einen besonderen Erwerb zu finden, aber leihtsinnig dürfe man dabei niht verfahren. Wolle das Haus den Antrag heute nicht annehmen, so bitte er es um sein Woblwollen für die Zeit, wo der Minister oder seine (des Redners) Partei mit einer geseßlihen Formulirung der Materie vor es treten werde.

Minister für Handel Berlepsch:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat unter anderem bemerkt, der Minister solle doch mehr auf das Wohl der Arbeiter seben als auf den Consumentenftand. Es liegt darin ein Vorwurf, den ih niht glaube verdient zu haben. Jch habe mich ausdrücklich einver- standen erklärt mit dem Gedanken des Antrags und habe ausdrülich erklärt, daß ih das meinige dazu beitragen würde, ihn in den möglichen Grenzen zu verwirklichen. Schon daraus geht hervor, daß für mich die Frage der Sicherheit der Arbeiter den Ausschlag giebt, nicht die Frage der Preisgestaltung für die Confumenten. Daß ih aber die Frage mit erwähnt habe als eine einer plößlihen Regelung der Sache entgegen- stehende, is gewiß gerechtfertigt. Die Folge einer solhen Maß- regel is für mich ganz zweifellos die, daß wir zeitweise eine Preiserhöhung haben werden, namentli*ß wenn fie in Zeiten auffteigender Conjunctur eingeführt wird. Daraus {ließe ich aber nit, daß die Maßregel unterbleiben soll, sondern

und Gewerbe Freiherr von

nur, daß man bei der Ausführung die nöthigen Cautelen finden soll, um den bezeihneten Mißstand zu beseitigen. Solche Cautelen würden dadurch zu finden sein, daß -man nicht plößlich eine zu lange Zeit für den Dienst als Lehrhäuer oder Schlepper einführt.

Wenn ih noch kurz zurückomme auf den Antrag, den die Herren gestellt haben, so möchte ich darauf hinweisen, daß ich auch nah den Ausführungen des Hecrn Vorredners zweifelhaft geworden bin, ob die Fassung des Absatzes 1 als acceptabel anzusehen ift. Zunächst will ich vorweg bemerken, daß die Bezeichnung der Arbeit, „welche Leben und Gesundheit der Mitarbeiter gefährdet“, mir nicht ganz zu- treffend erscheint. Ih glaube, daß man richtiger sagen würde: „alle Arbeiten unter Tage.“

Dann aber geht aus den Ausführungen des Herrn Vorredners meines Erachtens hervor, daß er unter den Worten: „welche den Be- weis erbringen, daß sie für die bezügliche Arbeit befähigt sind“, die be- stimmte Form eines Befähigungsnachweises versteht; er hat ausdrück- lich das Wort gebraucht. Nun war ih bis dahin der Meinung, daß der Sinn des Antrages cin allgemeiner war: daß dem Ober-Bergamt überlassen sein sollte, zu bestimmen, in welher Weise nachgewiesen werden soll, daß ver gelernte Arbeiter befähigt ift, die Arbeit eines Lehrhauers oder Vollhäuers vorzunehmen. In diefem Falle würde es ja auch genügen, daß z. B. bestimmt wird: der Bergmann muß wenigstens drei Jahre als Schlepper und drei Jahre als Lehr- häuer angestellt sein. Jh bin darin irre geworden, weil der Herr Vorredner ausdrücklich von Befähigungënahweis spra; das könnte man als Prüfung deuten. Ich kann nur bemerken, daß ih bei der Masse von Bergarbeitern, die in Frage sind, die Veranstaltung von Prüfungen unter Tage und die Einseßung von Commissionen für Prüfungen für unmöglich halte.

Abg. Jerusalem (Centr.) weist darauf hin, daß die Unfall- statistik , namentlich in Steinkohlenbergwerken , beweise, wie dur die Zunahme der Zahl der ungelernten Bergarbeiter die Gefährlih- keit des Betriebes zugenommen habe. Deshalb sei es nothwendig, einen Befähigungsnahweis in irgend welher Form einzuführen.

Abg. Stö wel (Centr.) ergänzt diese Auéführungen durch Bei- spiele aus dem praftishen Leben. : - L

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Die Gründe für den Antrag seien so s{chwerwiegend, daß kaum ein Abgeordneter sein werde, der fh niht auf den Boden des Antrags stelle; aber es sei doch \hwierig, die Sache jeßt in Angriff zu nehmen nach den formellen Bedenken, welche der Minister hier vorgetragen habe. Das zweck- mäßigste werde es wohl sein, den Antrag zur Zeit zurüzuziehen, nahdem man sich von allen Seiten für die Tendenz des Antrags erklärt habe. : : /

Abg. von Erffa (cons.): Er stehe dem Antrag Hiße sehr sympathisch gegenüber. Vom Standpunkt der Landwirtbschaft im Osten habe man gar feine Veranlassung, dem Zuzug der Arbeiter nah den Westen irgendwie Vorschub zu leisten. Das werde aber geschehen, weun die Bergwerksbesißer die Möglichkeit hätten, an die Stelle der Geschick- lichkeit, welhe durh diese Vorschrift gefordert werde, die einfache rohe Kraft zu seßen, und das seiidas einzige, was die Leute aus denx Osten mit sih brähten. Würden aber diese Vorschriften eingeführt, dann würden die Bergleute nit so zahlreih nah dem Westen gehen.

Abg. Schmieding (nl.): Seine Partei sei ebenfalls mit den Grundgedanken des Antrags einverstanden. Eine beffere Vorbildung der Bergarbeiter, namentlich der jüngeren Elemente, fei ein dringen- des Bedürfniß. Nachdem aber der Minister erklärt habe, daß die Sache heute zur Entscheidung noch nit reif sei, könne sie den Antrag unmöglich in der vorgeschlagenen Form annehmen.

Abg. Hi tze (Centr.) erklärt, daß er seinen Antrag nicht zurück- ziehen könne. : :

Abg. von der Reck (conf.) {lägt vor, den Antrag und dew & 85 an die Commission zurückzuverweifen. S

Die Zurückverweisung wird abgelehnt. § 85 wird darauf unter Ablehnung des Antrags Hiße, für den neben dem Centrum auch einige Conservative, u. a. Sack, von Busse, von Meyer- Arnswalde, von Erffa, von Oerzen (Bromberg), Stöer, Kropatsheck, Wüsten, von Bandemer, Cremer, von Puttkamer- Plauth, von Puttkamer-Nipkau, Jacobs, Boht, von Enevort, stimmen, nah dem Antrag der Commission angenommen.

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Darauf wird um 31/2 Uhr die weitere Berathung vertagt.

ert

Nevisionsentscheivungen des Neichs-Versficherung8amts, Abtheilung für Fuvaliditäts- und AlterSversicherung.

127) In einer Revisionsentsheidung vom 29. Februar 1892 hat das Reichs-Versichherungsamt in Uebereinstimmung mit- dem Schiedsgericht einen an der katholischen Kirche einer kleinen nord- deutschen Stadt mit einem Jahresgehalt von 840 Æ einschließli aller Nebeneinnahmen angestellten Organisten als einen Gebilfen der Kirchengemeinde im Sinne des § 1 Ziffer 1 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes angesehen und infolge dessen seine Mar tous anerkannt. In den Gründen wird aus- geführt: Es läßt sich niht verkennen, daß der l eine Ausbildung genossen hat, wie sie oft Künstlern nicht anders zu theil wird. Hierauf aber kommt es ebensowenig an, wie auf die Begabung, die er besißt; entscheidend is vielmehr, welches Maß von Ausbildung und Fähigkeiten zur Ausfüllung der ihm über- tragenen Stelle erforderlich is. Jn dieser Hinsicht ist festgestellt, daß die Anordnung und Leitung der Gesänge und der musikalischen Aufführungen nihcht dem Kläger, sondern einem ihm vorgeseßten Cantor zusteht, während die Thätigkeit des Klägers sich darauf beshränkt, den Weisungen des Geistlihen und des Cantors gemäß die Gesänge des ersteren, der Gemeinde und des Chors auf der Dégel zu begleiten. Ein sfolhes Orgel- spiel in der Kirhe einer kleinen Stadt muß bei der regel- mäßigen Wiederkehr derselben Melodien immer mehr zu einer rein manuellen Thätigkeit werden und fann im großen und ganzen als eine Kunstleistung nicht angesehen werden. Jedenfalls bedarf es, um den Anforderungen, die an einen Organisten solcher Art gestellt werden, weder einer über das Maß gewöhnlihen Musikunterrihts hinaus- gehenden Ausbildung, noch der Entfaltung einer höheren geistigen Thätigkeit, wie solhe bei dem auéübenden Künstler gefunden wird, dessen Bestreben es ijt, durh {öpferishe Leistungen bei den Hörern den Eindruck des Schönen hervorzurufen. Dazu kommt, daß auch das Stellencinkommen fo gering bemessen ift, daß von ihrem Inhaber künst- lerishe Leistungen nicht erwartet werden können, und daß derselbe da- durch keineswegs befähigt erscheint, si in focialer Beziehung über den Kreis der „Gehilfen“ im Sinne des Invaliditäts- und Altersverfiche- rungs-Geseßes zu erheben. (Zu eres Bescheid 3, „Amtliche Nawrichten des R.-V.-A. J.- u. A.-V.* 1891 Seite 53.)

128) In einer Revisionsentsheidung vom 29. Februar 1892 hat das Reichs - Versicherungsamt die Versicherungspfliht eines in einer Stadt der Provinz Hessen - Nassau thätigen Fleisch- beshauers verneint und demselben in Uebereinstimmung mit dem Schiedsgericht die Altersrente abgesprochen. In den Gründen heißt es; zuna unterliegt es keinem Zweifel, daß die Fleischbeschauer als

rbeiter oder Gehilfen derjenigen Personen, welche ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen, nicht gelten können. Denn sie find der Auf,icht und Leitung ihrer Auftraggeber bei der Arbeitsausführung nicht unter- worfen und an der Bethätigung ihres eigenen Willens nicht behindert, nehmen vielmehr die i nen übertr tragenen Untersuhungen nah ihrem freien Ermessen vor, in dem sie ledigli dur geschlihe und inftructio- nelle Vorschriften beschränkt sind. Ebensowenig kann aber auch der

Kläger -

Kläger in seiner Eigenschaft als PleisW esGauer nach den in der Geer «Nassau geltenden Vorschriften als ein Arbeiter oder ilfe der Gemeinde oder der Behörde, die ihn angestellt hat, an- gesehen werden. Die Fleischschau gehört zu denjenigen Ge- wer welche nah § 36 der Gewerbeordnung frei betrieben werden dürfen. Wenn nun auch diese Bestimmung, welche ledigli die Gewerbefreiheit der die betreffenden Gewerbe ausübenden Unter- nehmer ausspricht, die E aber, wer als ein folher Unternehmer u erachten ift, dahingestellt sein läßt, nicht unter allen Umständen G zwingt, die darin bezeichneten Personen als selbständige Gewerbe- treibende zu behandeln, so wird doch im allgemeinen davon auszugehen sein, daß die Thätigkeit jener Perfonen "in der Regel unter den Be- griff eines selbständigen Unternehmens fällt. Selbständige Gewerbe- treibende bleiben die im § 36 bezeihneten Personen regelmäßig auch dann, wenn sie von einer verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Communalbehörde öffentlich angestellt und auf die Beobachtun der bestehenden Vorschriften beeidigt find (Revisionsentscheidungen 5 und 73, „Amtliche Nachrichten des R.-V.-A. J.- u. A.-V.* 1891 Seite 161 und 178). Was die besonderen Verhältnisse der Provinz Hessen-Nassau betrifft, so folgt die Befugniß der dortigen Polizeibehörden, Fleishbeshauer öffentlih anzustellen und zu beeidigen, aus den §S 5, 6 ff., 18 der Verordnung über die Polizeiverwaltung in den neu erworbenen Landestheilen vom 20. September 1867 (Preupilde Geseßz-Samml. 1867 S. 1529), wonach die Polizei- ehörden ermächtigt find, polizeilihe Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit zu erlassen und alle Einrichtungen zu treffen, welche zur Durchführung der hierauf abzielenden Maßregeln erforderli find (zu vergleihenr Verfügung der Königlich preußischen Ressort-Minister vom 6. April 1877, Ministerialblatt für die ge- fammte innere Verwaltung 1877 S. 166). Wenn nun die Polizei- behörde, um für die Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit der von den Fleishbeshauern vorzunehmenden Untersuhungen und zu er- stattenden Gutachten eine größere Gewähr zu schaffen, von jener Be- fugniß Gebrauch mat, fo erlangen dadurch zwar die von ihnen in ihrem Gewerbebetriebe vorgenommenen Handlungen in gewissem Umfange ‘öffentlichen Glauben; ihre persönlihe und gewerblihe Selbständig- keit wird dadur aber nicht beeinträchtigt (Nevisionsentsheidung 53, „Amtliche Nachrichten des R.-V.-A. J.- u. A.-V.“ 1891 Seite 161). Nicht minder ist es auch mit der persönlichen Unabhängigkeit eines selbständigen Gewerbetreibenden wohl vereinbar, wenn den amtlich bestellten Fleijhbeschauern bestimmte Bezirke, auf welche sie sich bei der Ausübung ihrer Functionen zu beshränken haben, zugewiesen und sie verpflichtet werden, innerhalb ihres Bezirks alle von ihnen verlangten Untersuhungen vorzunehmen ; denn es handelt sich dabei lediglich um die Abgrenzung der Nehte und Pflichten einer Klafse der unter § 36 der Gewerbeordnung fallenden Gewerbetreibenden, sowie um eine Bestimmung darüber, auf welche Weise das Publikum sich einer ihm durch Polizeiverordnung auferlegten Verpflichtung zu ent- [ledigen hat (zu veragleihen die vorerwähnte Ministerialverfügung vom 6. Avril 1877 zu Ziffer 3). Ein persönliches Abbängigkeitsverbältniß zwischen den Gewerbetreibenden und der Behörde wird dadurch nicht geshaffen. Uebrigens liegt die Auffaffung, daß die Fleishbeschauer in der Regel ihre Thätigkeit als ein selbjtändiges Gewerbe betreiben, offenbar auch dem Geseß, betreffend die Errichtung öffentlicher, aus\ließlih zu benußender Schlahthäuser, vom 18. März 1868 (Preußische g 1868 Seite 277) und dem in Er- gänzung und Abänderung desselben crlassenen Geseß vom 9. März 1881 (Preußishe Gesez-Sammlung 1881 Seite 273) zu Grunde, woselbtt unter anderem die Fleishbeshauer überall nur als Sachverständige, nirgends aber als Gehilfen, Beamte oder Organe der Polizei oder der Gemeinde bezeichnet werden. Obgleich daher nicht ausgeschlossen ist, daß den Fleishbeschauern unter Umständen, ins- besondere dann, wenn sie in einem Communalsclahthause an- gestellt sind, die Eigenschaft von Gemeindebeamten bei- wobnen fann, so handelt es sih doch offenbar um einen solhen Fall hier nicht. Wenn {ließli in einer Reichs- gerihts-Entscheidung vom 20. September 1881 (Entschei- dungen in Strafsahen Band 4 Seite 421) ein in der Provinz Brandenburg auf Grund der für diesen Landestheil erlafsenen Polizeiverordnung des Ober-Präsidenten vom 26. Mai 1880 öffentlich angestellter Fleischbeshauer \chlechthin für einen Beamten im Sinne des § 359 des Strafgeseßbuchs erklärt ist, so wird hierdurh die oben dargelegte Auffassung hon deshalb niht berührt, weil auf dem Ge- biete des Strafrehts eine Person sehr wohl als „Beamter“ an- gesehen werden fann, der es doch an demjenigen Maße perfönlicher Unsfelbständigkeit und Abhängigkeit gebricht, welches zum Begriff eines versicherungspflihtigen „Arbeiters*, „Gehilfen*® oder „Betriebsbeamten“ n Sinne des Invaliditäts- und Altersversicherungs-Geseßes unbedingt gehört.

Statistik und Volkswirthschaft.

Auswärtiger Handel.

Das soeben ausgegebene Märzheft der „Monatlihen Nach- weiseüberdenAuswärtigenHandel“ Deutschlands bringt, neben den Nachweisungen über die Mengen der Einfuhr und Ausfuhr im März und in den drei Monaten Januar/März 1892, mit Unterscheidung von 933 einzelnen Waarengattungen, auch Berechnungen der Werthe der im Specialhandel ein- und ausgeführten Waaren; ebenfalls nah den 933 Gattungen, und zwar für das erste Vierteljahr 1892. Als Grundlage dieser Werthsberehnungen dienen die für das Jahr 1891 festge- stellten Einheitswerthe. Das Kaiserliche Statistische Amt will diese vorläufigen Werthberechnungen vierteljährlich fortseßen, sodaß im Dezemberheft der „Monatlihen Nachweisungen“, also bald nah Jahres\{chluß, die Ein- und Ausfuhrwerthe des Jahres, unter Zu- N der Einheitswerthe des Vorjahres, gegeben werden tönnen. Nach Ermittelung der Einheitswerthe für das betreffende Jahr, also zunächst 1892, wird dann diese vorläufige Feststellung dur eine definitive Werthberechnung die in der ausführlichen Veröffentlichung über den Handel des betreffenden Jahres zu bringen ist zu erseßen sein. Das Statistische Amt hofft dur diese vorläufigen Werth- angaben einem aus Fachfreisen seit langem und häufig geäußerten Wunsch entgegen zu fommen, nachdem es fürzlih die Brauchbarkeit seiner Monats-Nachweise son dadur zu erhöben gesucht hat, daß sie nit mehr auf die wichtigeren Waaren beschränkt, sondern auf die gesammte Ein- und Ausfuhr im Specialhandel ausgedehnt sind. Auch wird es infolge von neuerdings ergangenen Bestimmungen des Bundes- raths über die Handelsstatistik künftig mögli sein, die Nachweise son etwas früher herauszugeben als bisher. wo fie vor dem Schluß des auf den Berihtêmonat folgenden Monats nicht erscheinen fonnten.

Im ersten Vierteljahr betrug d E 1128277 000 , der Ausfuhr g N der Einfuhr

; Die Einfuhr von Wein und Most in Fäf in das deutsche Zollgebiet betrug im ersten Viecteljal C

M Le 2 2 13 320 100 k 1632 b. Rothversnittwein. . . 1460 O 7 L 099 c. Wein zur Cognacbereitung 58 300 ,„ 2 33 000 In dem gleichen Zeitraum des Vorjahres wurden 13 700 700 kg Wein in Fähßsern eingeführt, also für 1892 mebr: 1144200 kg; darunter 1 392 700 kg Rothverschnittwein aus Jtalien. i Die Auëêfuhr von Wein in Fässern ist im ersten Vierteljahr 1892 auf 1 911 300 kg von 2 359 600 kg des Vorjahrquartals gefallen.

Der Ausfuhrwerth des wei Zie t Z 1412 000 A fuh H Faßweins beträgt im ersten Quartal 1892

Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1890.

Den Vierteljahréheften zur Statistik des Deu i (Jahrg. 1892 Heft 1) sind lulgende Angaben zu nie ten, Nie Gebiets bes Deutica biete (he E engen enne 18

L el ner mittleren Bevölkerung v 49 239 000 Einwohnern) 1 759 253 Kinder lebend gtboren, davon

+0

158 652 (9 9%) außerehelich. Todtgeboren wurden zu gleicher Zeit 61 011 Kinder, darunter 7020 (11,5 9/5) avßereheliche. Von je 100 geborenen Kindern find demnach 3,26 eheliche, 4,24 uneheliche als todtgeboren gemeldet. Weitaus die wenigsten Geburten (tägli 4302) entfielen ausnahmsweise auf den Monat ober, was der Mldrenza epidemie, welhe im Dezember und Januar vorher ihren Höhepunkt erreicht hatte, zuges{rieben werden muß. Die meisten Geburten (täglih 5388) kamen im Dezember vor.

Es starben im Jahre (aus\{l. der Todtgeborenen) 1 199 006 ersonen, und zwar am meisten (täglih ca. 4674) im Influenza- Nonat Januar, demnächst im Februar (3555) und Maärz (3547) ;

die wenigsten im Oktober (2836) und November (2858). Der Ueber- {uß der Geborenen beläuft fich für das Jahr 1890 auf 560 247. (Ueber den Einfluß der Influenza auf die Geburten und Sterbefälle des Jahres 1890 werden wir morgen unter „Gesundheitswesen“ nähere Mittheilungen bringen. D. Red.) Auf je 1000 Ein- wohner famen während des Berichtsjahres im Deutschen Reich 35,7 Lebendgeborene, in Frankreih nur 21,9, in Großbritannien 29,6, in Irland 22,5, in Jtalien 36,0; es starben (auss{chl. der Todtge- borenen) auf je 1000 Einw. im Deutschen Reich 24,3, in Frankreich 22,9, in Großbritannien 19,2, in Irland 18,4, in Italien 26,5. Der Geburtenüberschuß war also am beträchtlihsten im Deutschen Reich, (= 11,4 °/00), demnächst in Großbritannien (10,4), während in Frank- reich 38 446 Sterbefälle mehr als Geburten vorkamen.

Internationaler Congreß der Volks - Cred it- Gesellschaften.

In Lyon ift gestern der vierte internationale Congreß der Volks-Credit-Gesellschaften eröffnet worden. Unter den gewählten Ehren-Vice-Präsidenten befindet fich auch Raiffeisen als Vertreter des allgemeinen Verbandes der deutschen länd- lihen Darlehns-Genossenshaften. Der deutsche Delegirte berichtete über sein Princip der Darlebhnskafsen und schilderte den Betrieb und die Vortheile der Volks-Credit: Gesellshaften. Die Aus- führungen des Redners wurden, wie „W. T. B.“ berichtet, mit leb- haftem Beifall aufgenommen.

Zur Arbeiterbewegung.

Ueber Arbeitseinstellungen und Ausstände liegen heute folgende Nachrichten vor :

Der Theilausftand der Bergarbeiter in Oberschlesien

dauert der „Bresl. Ztg.“ zufolge fort; es cheint wenig Ausficht auf eine baldige Beilegung des Strikes vorhanden zu sein. __ Wie der „N. Pr. Ztg.* aus Holtenau über die Arbeitsein- stellung am Nord-ODst}ee-Kanal geschrieben wird (vgl. Nr. 105 d. Bl.), stellten am Montag auf dem Bauplaz der Baugesellschaft Wittkop, Foerster, Cordes und Soenderup an der neuen Schleuse sämmtliche Maurer und Arbeiter, reihlih 600 Mann, die Arbeit ein. Die Vorstellungen der Kaiser- lihen Kanalcommission und der Baugesellshaft, die Arbeiten wieder zu den bisherigen Lohnsäßen aufzunehmen, blieben erfolglos. Die Arbeiter verlangten einen Stundenlohn von durchscnittlich 30 A. Am Nachmittag fand die Entlassung sämmtlicher Arbeiter statt, gleichzeitig wurde ihnen der rückständige Lohn ausgezahlt. Abends wurde einer der Strikenden, der cinen Bauaufseher zu Boden \{lug, verhaftet ; fonstige Ausschreitungen sind niht vorgekommen.

Aus Christianstadt, Kreis Sorau, wird der „Fr. O. Ztg." unter dem 2. d. M. geschrieben: Hier ist heute früh ein Ausstand ausgebrochen. Von den in den drei Müller’ schen Fabriken be- schäftigten 450 Arbeitern und Arbeiterinnen wollten heute Morgen etwa 400 wegen eingetretener Lohnstreitigkeiten die Arbeit zur gewöhn- lichen Zeit niht aufnehmen. Der Fabrikberr gab ihnen zur Ueberlegung eine Frist von 15 Minuten. Da nah Ablauf dieser Zeit die Arbeit nicht angetreten wurde, so forderte der Gendarm die Leute äuf, die Arbeit aufzunehmen oder nach Hause zu gehen. A nach der drei- maligen Aufforderung des Sicherheitsbeamten ging die versammelte Schaar noch nit gleih vom Plaß. Der Auffordernde hielt es darum für seine Pflicht, sein Gewehr mit sharfen Patronen zu versehen ; so gelang es ihm, die Menge zum Weggehen zu bewegen. Schaarenweise durchzogen die Ausftändigen die Straßen, um endlih ihre Wohnstätten aufzusuhen. Nachmittags nahmen etwa fünfzig Personen die Arbeit wieder auf. 7

In Aachen stellten, wie der „Köln. Ztg." vom gestrigen Tage telegraphisch gemeldet wird, an der “W. J. Maaßen schen Weberei 1000 Weber und Weberinnen wegen Lohnstreitigkeiten die Arbeit ein.

Hier in Berlin legten in der Marmorwaaren -Fabrik von C. Fink die Steinmegßen die Arbeit nieder; Veranlassung Uen nach dem „Vorwärts* Lohnstreitigkeiten und die neue Fabrik- ordnung.

Aus Wien meldet ein Telegramm des „H. T. B.*® vom heutigen Tage: Die Maurer und Steinmeßgehilfen richteten an ihre Arbeitgeber eine Denkschrift, in der fie fordern, daß die Arbeitszeit um 6 Uhr früh beginne und um 6 Uhr Abends {ließe und für Frühstück und Vesper je eine halbe Stunde gewährt werde. Für den Fall, daß diese Forderungen nicht bewilligt werden follten, würden sämmtliche Bauarbeiter Nieder-Desterreichs in den Strike eintreten. .

Aus Kopenhagen berihtet ein Telegramm des „D. B. H.“ Die Beendigung des etwa 10000 Mann umfassenden vereinigten Ausstandes der Fuhrleute, Grundgräber und der verwandten Bauarbeiter und Hafenarbeiter scheint unmittelbar bevor- zustehen, obwohl die Arbeit noch nicht officiell aufgenommen worden u E Arbeitgeber haben die schiedsrihterliche Vermittelung ab- gelehnt.

am Montag ein Strike unter den Steinmeßen ausgebrochen. Im Oktober vergangenen Jahres verlangten die Steinmete eine Lohnerhöhung von # d pro Stunde und Zahlung des Lohnes am Sonnabend um 12 Uhr anstatt 12 Ußr 30 Minuten. Die Arbeitgeber erwiderten mit der Ankündigung einer Lohnherabseßung bei erhöhter Arbeitszeit, ent- {lossen sih jedoch später zu gewissen Concessionen und wollten es eventuell auf einen Schiedsspruh ankommen lassen. Die Steinmeße haben nun in einer Versammlung vom Sonnabend Abend das Aner- bieten der Meister verworfen und nah der Darstellung des Secretärs des Baume ister-Vereins mit Außerachtlafsung des vorgeschlagenen Schieds\spruchs den Strike begonnen.

Wie ein „D. B. H.“-Telegramm aus Lon don meldet, hat die Vereinigung der Spinneretibesißer von Lancashire eine Deputation ernannt, die mit den Arbeitern ein Uebereinkommen er- zielen und das Ende der Arbeitssperre herbeiführen soll.“

Die Frage der Organisationsform beschäftigte in Berlin am Dienstag eine öffentlihe Versammlung der Tischlergesellen. Die Berliner „Volksztg.“ berichtet über die Amn

_ Aus den Verhandlungen ging hervor, daß von den etwa 20 000 Tischlergesellen Berlins nur etwa 5000 den bestehenden Vereinigungen angehören. Am besten find die Musikinstrumenten-Arbeiter organisirt, diese haben beschlossen, nun auch die in der Branche befhäftigten

rauen aufzunehmen. Nach dem erstatteten Bericht sind in der

trike - Controlcommission 50 Gewerkschaften durch 51 Delegirte vertreten. Neu ist der Beschluß dieser Commission, daß nunmehr auch eine Controlmarke für Schneider eingeführt werden foll. Bisher hatten nur die Hutmacher und seit kurzem auch die Textilarbeiter eine solhe Marke im Verkehr. Bezüglich der Form einer Organisation gelangte die Versammlung zu keinem Resultat, es soll zunächst noch eine abwartende Stellung eingenommen werden.

Ueber einen internationalen socialistishen

“Studentenverein wird der „Magdeb. Ztg.“ aus Zürich

geschrieben : Es war längst bekannt, daß die Mehrzahl der ausländischen

Studirenden an den beiden hiesigen Hochschulen; namentli die

In Liverpool is, wie die Londoner „Allg. Corr.“ mittheilt,

Russen, Polen, Ungarn u. \. w. socialistishen und revolutionären Anschauungen huldigen. . Indessen -bestand bisher keine eigentliche Organisation; diese ist nun bei Gelegenhéit der Arbeiter-Mai- feier geschaffen worden. Etwa 70 Studenten Und Polytechniker, unter denen sich nur zwei Schweizer befinden, - gründeten nämli einen internationalen focialistishen“ Studentenverein. In diesem jungen Verein soll die radicalste Richtung besonders stark vertreten sein, da namentlich alle Nihilisten, die in Zürich studiren oder sih doch Studirens halber aufhalten, dem Bunde beigetreten seien. :

Literatur.

Gesetze, Verordnungen 2c.

Das Reichsgeseß, betr. die Gesellshaften mit be- schränkter Haftung, vom 20. April 1892. Mit einer Ein- leitung über die Entstebungsgeschichte des Gesetzes und die Charakteristik der neuen Gesellshaftsform. Erläutert von Th. Hergenhahn, Ober-Landesgerichts-Rath a. D. In Leinen eleg. carton. Preis 3 Æ - Verlag: Otto Liebmann, Buchhandlung für Rechts- und Staatêwissenschaften, Berlin W 35, Lütßzowstraße 27. Et werth- volle Einleitung über die Entstebungëgeschihte des GeseßzeS®Und die Charakteristik der neuen Gefellschaftéform geht dem Gesetze voran, welches zweckmäßig und eingehend erläutert ift. Die vorliegende Be- arbeitung zeichnet sih vor ähnlichen Ausgaben besonders dadur aus, daß J binsichtlich des Umfanges der Erläuterungen den Mittelweg einshlägt zwischen einer bloßen Textausgabe und einer für den Praktiker allzu ausführlihen und deshalb entbehrlichen Commentirung des Geseßes. Auch ist Verfasser von dem Gesichtspunkte ausgegangen, in einer soweit möglich systematishen und gemeinverständlihen Dar- stellung einen Ueberblick über die Bestimmungew des Gesetzes zu bieten, um hierdurch die Benußung wesentlich zu erleihtern. Ein ausführlihes Inhaltsverzeichniß, sowie ein übersihtlihes und genaues Sachregister erhöht die Brauchbarkeit des Buches.

Die Landgemeindeordnung für die sieben östlichen

rovinzen der Monarchik vom 3. Juli 1891 nebst den zu ibrer Aus- ührung erlassenen Anweisungen. Zum Gebrauch für die Selbstver- waltungsbehörden erläutert von St. Genzmer, Landrath des Kreises Marienwerder. Berlin, Verlag von H. W. Müller. Diese Ausgabe der Landgemeindeordnung ist nicht wie die größeren Commentare zum wissenschaftlißen Studium bestimmt, sondern will dem praktishen Gebrauch dienen. Der Verfasser hatte hauvtsächlich den Zweck im Auge, den Behörden und Beamten der Selbstverwal- tung, namentlich den Gemeindevorstehern ihre Aufgabe bei der Aus- führung des Geseßes zu erleihtern und das Verständniß der darin enthaltenen Vorschriften zu fördern. Ihnen werden feine Erläute- rungen in vieler Hinsiht von Nutzen fein.

Das gesammte preußisch-deutshe Geseßgebungs- material, herausgegeben von G. A. Grotefend, Geheimem Regierungs-Rath. Jahrgang 1891. Verlag von L. Schwann, Düßjeldorf. Preis 6,80 A Der neue Jahrgang dieses hinreichend bekannten und bewährten Werks enthält alle Geseße und Verordnungen nebst Erlassen, Rescripten, Anweisungen und Instructionen der preußischen und deutschen Centralbehörden für 1891, die den Amtsblättern ent- nommen und hier chronologisch geordnet sind. Ein chronologisches Register sowie ein Sachregister erleihtern die Benußung diefer außer- ordentli vollständigen Sammlung.

Volkswirthschaft.

Von der seinerzeit besprochenen Anleitung zum Einschäßen : „Bin ich richtig eingeshäßt oder foll ich Berufung ein- legen?“ von Regierungs-Rath A. Fernow (Verlag der Hofbüch- druckerei Trowißsh u. Sohn in Frankfurt a. O.) ift jeßt die zweite Auflage erschienen. Der Verfasser ist Vorsißender einer Berufungs- commission und daher wobl in der Lage, dem Steuerpflichtigen in der vorliegenden Frage gute Winke und sahlihe Auskunft zu ertheilen.

Praktische Anleïtung für alle Stände zur vor- \chriftsmäßigen Reclamation gegen die Einkommen- steuer auf Grund des Geseßes vom 24. Juni 1891. Leipzig, Gustav Weigel. 8. S. 48. Sachverständig und zuver- lässig unter Beifügung von Formularen wird das im Titel Zugesagte geboten. Bereits 11 Auflagen.

Unterhaltungs.

Werthvolle und interessante Gaben bietet die soeben aus8- gegebene neue Folge von „Meyer's Volksbüchern“ den zahl- reichen Freunden dieser in Millionen Bändchen verbreiteten Samms- lung guter und billiger Literaturerzeugnisse. Wir begegnen da zu- nächst zweien der bedeutendsten und gehaltvollsten Werke des svanischen Dramatikers Don Pedro Calderon: Der Arzt seiner Ehre. Schauspiel in drei Aufzügen. Aus dem Spanischen von J. D. Gries (Nr. 921 bis 922), und Der wunderthätige Magus, Schauspiel in drei Aufzügen. Aus dem Spanischen von J. D. Gries (Nr. 923 bis 924). Nr. 925 bringt des altrôömishen Geschichtsschreibers Cornelius Tacitus: Germania. Aus dem Lateinischen von K. Blümel. Das sih durch musterhaften Stil, geist- und gemüth- volle Auffassung von Kunst, Literatur und Leben auszeihnende Hauptwerk des klassishen Reiseschriftstelleres Georg Forster: Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich hat in den Nummern 926 bis 933 seinen Plaß angewiesen erhalten. Der gemüthvolle Jugendschriftsteller Christoph von Schmid ist in Nr. 934 ver- treten mit: Der Weihnachts8abend, eine Erzählung für Kinder. Eine der besten jener reizvollen Erzählungen des französischen Schriftstellers Xavier de Maistre: Die Gefangenen im Kaukasus, aus dem Französischen von E. Walter, ist in Nr. 935 enthalten. Von Paul Gerhardt, dem hervorragenditen geistlichen Liederdichter des 17. Jahrhunderts, liegén in Nr. 936 bis 937: Aus - gewählte Dichtungen vor. Der geschickten Wahl verdanken wir in der neuen Folge von „Meyer’'s Volksbüchern“ ferner zwei der besten Novellen des bekannten holländischen Dichters I. vañ Lennev: Das Gottesurtheil. Die beiden Admirale (Nr. 938 bis 939), aus dem Holländishen von G. Gärtner. Nr. 940 {ließt mit des rufsishen Dichters A. S. Puschkin Poetischen Erzäh- lungen, aus dem Nussishen von Johansen.

Verschiedenes.

Die Post im Auslande. Eine Darstellung der Post- einrihtungen des Auslandes nach amtlichen Quellen bearbeitet von Otto Sieblist, Kaiserlihem Post-Inspector, Geheimem exrpedirenden Secretär im Reichs-Postamt. Zweite unveränderte Auflage. Berlin, Verlag von Julius Springer. Das vorliegende Werk enthält eine Darstellung der Pofteinric)tungen und Postversendungsvorschriften in nahezu sämmtlichen Culturstaaten der Erde, begründet auf amtlichem Material, das sonst wenig zugänglich und, weil in den einzelnen Landessprahen abgefaßt, den meisten unverständlich ift. Das Buch hat den Zweck, von den Postbeamten als Lehrbuch benußt zu werden, namentlich aber auch der kaufmännishen Welt, die mit dem Auslande in Geschäftsbeziehungen steht, als praktishes und lehrreihhes Hand- und Nachschlagebuch zu dienen. Wegen des In- halts des Werks ist zu bemerken, ah die Shhilderung der Posteinrich- tungen eines jeden Landes in übersichtliher Form je ein in sih ab- eschlossenes Ganzes bildet. An eine kurze Darstellung der Organi- ation der Verwaltung und der geseßlihen Grundlagen E sh die Erörterung der einzelnen QVienstzweige Briefpost, einshließlich des Postzeitungsdienstes, des Bestellungs- und Ausgabedienstes und des Vertriebes der Postwerthzeihen, ferner Werthbriefe, Postanweisungen, Postaufträge, Packete, Postsparkassen, Check- und Clearingdienst, Postrenten- und Lebensversicherungsdienst, Personenbeförderung u. |\. w. Als Anhang sind Mittheilungen über die deutshen Postanstalten in den Schußgebieten und im Auslande owie über en Geschäftszweige beigegeben. Ein ausführliches nhaltsverzeihniß und eine am Schluß des Buches angefügte, sehr ¿weckmäßig gefases vergleichende Inhaltsübersiht in Tabellenform vereinfa das schnelle Aufsuchen der Angaben über bestimmte Dienst-

¡weige in den verschiedenen Ländern,