1912 / 8 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 10 Jan 1912 18:00:01 GMT) scan diff

A pt E Cm I R CER D A M DIOODE É ACHEE M P E E n Toi e U B G

: S8 i N Statutarische Bestimmungen einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes bedürfen, soweit sie die Stadtgemeinde Bremen oder den Gemeindeverband von Stadt und Landgebiet betreffen, der Zustimmung der Bürgerschaft, soweit sie die Ge- Ende der Hafenstädte betreffen, der Zustimmung es Senats.

8 9. Die nah § 1803, Abs. 1 vom Oberversicherungsamt auf- erlegten Gebühren werden wie Gemeindeabgaben beigetrieben. Beschlossen Bremen, in der Versammlung des Senats am 29. und bekannt gemaht am 31. Dezember 1911.

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht:

den bisherigen Oberlehrer an der Cecilienshule in Biele- feld Johannes Berndt zum Seminardirektor zu ernennen und

infolge der von der Stadtverordnetenversammlung zu Culmsee getroffenen Wahl den unbesoldeten Stadtrat Jsidor Sternberg daselbst als unbesoldeten Beigeordneten (Zweiten Bürgermeister) der Stadt Culmsee für die geseßliche Amtsdauer von sechs Jahren zu bestätigen.

Ministerium der geistlihen und Unterrichts- angelegenheiten.

Der Direktor des Kaiser Wilhelm-Jnstituts für physikalische Chemie und Elektrochemie zu Dahlem Dr. Friß Haber ist mit Allerhöchster Genehmigung Seiner Majestät des Königs zum ordentlichen Honorarprofessor in der philosophischen ete der Friedrih Wilhelms-Universität zu Berlin ernannt worden.

Dem Seminardirektor Berndt ist das Direktorat des Lehrerinnenseminars in Torgau verliehen worden.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten.

Verant mahung.

Die Herren Forstbeflissenen, die am Schluß des laufenden Semesters die Vorprüfung abzulegen beabsichtigen, haben die vorschriftsmäßige Meldung spätestens bis zum 1. Februar d. J. dem Direktor der Forstakademie einzureichen, an der sie sih der Prüfung unterziehen wollen.

Berlin, den 8. Januar 1912.

Der Minister für N u Domänen und Forsten. L S 06

F. A: Wesener. Ministerium des Jnnern.

Der Kreisassistenzarzt Dr. Menke aus Tondern ist zum Kreisarzt ernannt und mit der Verwaltung des Kreisarztbezirkes Lehe-Hadeln beauftragt worden.

Bekanntmach Ung,

Alle diejenigen jungen Männer, welche in einem der zum Deutschen Reich gehörigen Staaten heimatsberechtigt und

1) in dem Zeitraum vom 1. Januar bis einschließli

31. Dezember 1892 geboren sind,

2) dieses Alter bereits überschritten, aber fih noch nicht

bei einer Ersatbehörde zur Musterung gestellt,

3) sih zwar gestellt, über ihr Militärverhältnis aber

noch keine endgültige Entscheidung N haben

und gegenwärtig innerhalb des Weichbildes hiesiger Residenz sih aufhalten, werden, soweit sie niht von der persönlichen Gestellung in diesem Jahre entbunden sind, hierdurh auf Grund des 25 der Deutschen Wehrordnung angewiesen : sich behufs ihrer Aufnahme in die Nefrutierungsstammrolle in der Zeit vom 15. Januar bis 1. Februar d. J. während der Stunden von Vormittags 8 bis Nachmittags 7 Uhr (Sonntags bis Mittags 12 Uhr) im Geschäftsraume ‘des für ihre Wohnung zuständigen Polizeireviers persönlih zu melden und ihre Geburts- oder Losungsscheine und die etwaigen sonstigen Atteste, welhe bereits ergangene Entscheidungen über ihr Militärverhältnis enthalten, mit zur Stelle zu bringen.

Die Geburtszeugnisse werden von den Standesämtern ausgestellt.

Für diejenigen hiesigen Militärpflichtigen, welche zurzeit abwesend sind (auf der Reise befindliche Handlungsg ehilfen, auf See befindlihe Seeleute 2c.), halen die Eltern, Vormünder, Lehr-, Brot- und Fabrikherren die Anmeldung in der vor- bestimmten Art zu bewirken.

Wer die vorgeschriebene Anmeldung versäumt, wird nach S 33 des Reichsmilitärgeseßes vom 2. Mai 1874 mit einer Geldstrafe bis zu 30 4 oder mit Haft bis zu 3 Tagen bestraft.

Reklamationen (Anträge auf Zurückstellung bezw. Befreiung von der Aushebung in Berücksichtigung bürgerlicher Verhält- nisse § 82 2a—g der Deutschen Wehrordnung —) sind be- züglich aller Militärpflichtigen, auch der Einjährig-Freiwilligen, vor dem Musterungsgeschäft, spätestens aber im Musterungs- termine anzubringen; nach der Musterung angebrachte Reklamationen werden nur dann berücksichtigt, wenn die Ver- anlassung zu denselben erst nah Beendigung des Musterungs- geschäfts entstanden ist.

Berlin, den 10. Fanuar 1912.

Die Königlichen Ersaßkommissionen der Aushebungsbezirke Berlin. Frommesl.

BetanntmaqMhun q.

Des Königs Majestät haben durch Allerhöchsten Erlaß vom 27. Dezember 1911 den Provinziallandtag der Provinz Sachsen zum 10. März d. J. nah der Stadt Merseburg einzuberufen geruht.

Die Eröffnung des Provinziallandtags wird an diesem Tage, Mittags 12 Uhr, im Ständehause zu M erse- burg erfolgen; ihr wird in der Schloß- und Domkirche um 10 Uhr ein Gottesdienst voraufgehen.

Magdeburg, den 6. Januar 1912.

Der Königliche Kommissarius, Oberpräsfident der Provinz Sachsen: von Hegel.

_“Nichkamlliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 10. Januar.

Seine Majestät der Kaiser und König nahmen heute im Neuen Palais bei Potsdam die Vorträge des Ministers der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach und des Chefs des Zivilkabinetts, Wirklihen Geheimen Rats von Valentini entgegen.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Zoll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr, die vereinigten Aus- hüsse für Zoll- und Steuerwesen und für Justizwesen, die vereinigten Ausschüsse E Zoll- und Steuerwesen und für Rechnungswesen sowie der Ausschuß für Zoll- und Steuer- wesen hielten heute Sißungen.

«aut Meldung des ¡v D. Bit S. M. S. „Nüxn- berg“ mit dem Chef des Kreuzergeshwaders vorgestern in Nanking eingetroffen.

Frankreich.

Jn der gestrigen Sißung der Senatskommission zur Beratung des deutsh-französischen Abkommens verlas der Vorsißende Bourgeois laut Bericht des „W. T. B.“ den Brief, den er im Namen der Kommission an den Minister- präsidenten Caillaux gerichtet hat, um ihn zu bitten, dem Be- richterstatter Poincaré Kenntnis von verschiedenen Aktenstücken zu geben, die eine Art mündlichen Gelbbuchs bilden. Aus den von Bourgeois gegebenen Erklärungen geht hervor, daß die Regierung nur mit der größten Vorsicht Mitteilungen machen wird. Auf eine Anfrage Lamarzelles verlas der Minister des Aeußern de Selves die Noten, die am 8. Juli ausgetauscht worden sind, als der deutsche Botschafter das Ministerium des Aeußern von der Entsendung des „Panther“ nah Agadir in Kenntnis seßte. Sodann beschäftigte sih die Kommission mit der Haltung Frankreichs zur Zeit der Besezung von Larrasch und Elksar durcy die Spanier und mit dem Einspruch, der in dieser Angelegenheit von dem Sultan an das diplomatische Korps in Tanger gerichtet worden is. Damit hat die Kom- mission ihre historische Untersuchung beendet und wird nunmehr heute mit der Prüfung des Abkommens vom 4. November

beginnen.

Wegen eines Zwischenfalles im Laufe der Sizung, bei dem sich eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Minister- präsidenten und dem Minister des Aeußern herausstellte, hat de Selves seine Demission gegeben. Hierüber liegt folgender Bericht der „Agence Havas“' vor:

Auf eine Anfrage Pichons gab dex Ministerpräsident Caillaurx eine Darstellung der Bedingungen, unter denen das Projekt des Ngoko-Sangha-Konsortiums zurückgezogen wurde und unter denen die Verhandlungen über die Congo-Kamerun-Cisenbahnen gescheitert waren. Pichon bezog sih auf einen Artikel der „Kölnischen Zeitung“ vom 25. Oktober 1911 und fragte Caillaux, ob er nicht der Meinung sei, daß der doppelte Mißerfolg der Verhandlungen in Wechsel- beziehung stände zu der neuen Haltung Deutschlands, die diese Macht nach Agadir führte gerade in dem Augenblick, wo durchaus höflihe und korrekte Vorbesprehungen zur Lösung der Marokkofrage stattfanden. Caillaux antwortete, er glaube in der Tat, daß eine folhe Wechsel- beziehung bestehe. Poincaré stellte darauf eine ähnltiche Frage be züglih der abgebrohenen Verhandlungen über die Marokkoeisenbahnen. Als hierbei auf Verhandlungen angespielt wurde, die Fondère, der an vershiedenen Congogeschäften beteiligte Präsident einer Fluß\hiff- fahrtsgesellschaft, und der deutshe Neichstagsabgeordnete Dr. Semler auf Veranlassung Caillaux? und mit Umgehung Cxmbons in Deutsch- land geführt haben sollen, erhob Caillaux energish dagegen Einspruch. „Niemals“, erklärte der Ministerpräsident, „hat eine offiziöse politische oder finanzielle Verbandlung stattgefunden Ich ergreife gern die Gelegenhett, der Kommission mein EChrenwort zu geben, daß ih außerhald des Ministeriums des Aeußern nie interveniert habe.“ Clémenceau richtete hierauf an de Selves die Frage, ob Cambon über alle Besprehungen und Unterhandlungen zwischen Berlin und Paris auf dem laufenden gewesen sei, und fragte insbesondere, ob der Minister de Selves in diesem Punkte die Erklärung des Minister- präsfidenten Caillaux bestätigen könne. De Selves zögerte anfangs zu antworten, s{ließlich aber ents{chloß er fih zu sprechen. „Ich kann nicht antworten“, sagte er, „ich s{chwanke zwischen der Achtung, die ih immer der Wahrheit gewidmet habe, und der Sorge, die ih um die Interessen des Landes hegen muß.“ „Diese Antwort“, er- widerte Clé¿menceau, „kann von allen Mitgltedern der Kommission als korrekt angesehen werden, nur niht von einem, und das bin ih. Ste haben mir das Gegenteil gesagt.“ De Selves entgegnete: „Sie haben mich nicht verstanden. Aber ih will sagen, daß ih troß meiner Sorge um die Wahrheit nit verkennen kann, daß es etwas gibt, was die Lage mich zu verschweigen nötigt.“ Darauf zogen sich Caillaux und de Selves mit Clémenceau zurück, und alle drei hatten eine sehr leb- hafte Unterhaltung. Clémenceau warf Caillaurx in heftigen Ausdrücken geheime Verhandlungen vor, von denen er, wie es s{cheint, {on feit langem Kenntnis erhalten hatte, und die von Caillaux in Abrede gestellt worden waren. Andererseits erklärte de Selves, daß er nah

dem Zwischenfall niht mehr neben Caillaux fißen könne, und daß er.

deshalb demissionteren werde.

Jn betreff des gegen Caillaux erhobenen Vorwurfs, daß er mit Deutschland geheime Verhandlungen geführt habe, ist, „W. T. B.“ zufolge, zu bemerken, daß von Gegnern des Minister- präsidenten schon seit Monaten behauptet wurde, er habe ohne Wissen des Quai d’Orsay durch Vermittlung von Finanzleuten und Kolonialunternehmern geheime Verhandlungen mit Berlin ge- führt. Als eine dieser Mittelspersonen wurde Fondère genannt. Caillaux hat die Behauptung wiederholt in offiziösen Noten als unrichtig erklären lassen. Der in der Senatskommission in Verbindung mit Fondère genannte Reichstagsabgeordnete Dr. Semler hatte als Vertreter der deutshen Südkamerun-Gesell- schaft seinerzeit an den Verhandlungen über das deutsch-fran- zösische Ngoko-Sangha-Konsortium teilgenommen.

Der Minister de Selves hat an den Präsidenten A „W. T. B.“ zufolge, nachstehendes Schreiben ge- richtet :

Nach dem peinlichen Zwischenfall, der die heutige Sihung der Senatskommission gekennzeichnet hat, habe ih die Ehre, Ihnen meine Entlassung als Minister des Aeußern zu überreihen. Ich könnte in der Lat nicht länger die Verantwortung für eine solche Politik übernehmen, der die Einheit der Auffassung und die Einheit der solidarishen Tätigkeit fehlen. Vom Wunsche geleitet, die \{hwie- rigen Verhandlungen zum guten Ende zu führen und deren Geneh- migung durch das Parlament sicherzustellen, habe ih geglaubt, mein Amt behalten zu follen. Aber die zweifahe Sorge, an der Wahrheit keinen Verrat zu üben und doch nicht gegen die Korrektheit zu ver-

\

stoßen, die meine Stellung mir auferlegt, gestattet mir nit,

olléns erteilten mit ban Sie TiS werte mi immer ded Webs: ; m Sie mich in L

¿ehlihen Verbältissen beehrt hahen. 0d für mi unver

Am Abend traten die Minister zu einer Besprehun zusammen. Voît._ Ministerpräsidenten Caillaux g bincs folgende Note ausgegeben :

Der Ministerrat hat die Demission des Ministers des Aeußern zur Kenntnis genommen und die Möglichkeiten ins Auge gefaßt, welhe sich aus *ihr ergeben könnten, ohne daß es jedo in Frage fommt, dem Zwischenfall, der \fih ereignet hat, eine weitere Aus- dehnung zu geben.

Jn der gestrigen Sißung des Senats, der ersten nah den Ferien, gedachte der Alterspräsident Hug uet der Errungen- schaften der Republik und gab seiner Freude Ausdruck, daß das Jahr 1911 das Einvernehmen zwischen Frankreih, England und Rußland noch inniger gestaltet habe. Huguet erinnerte, obiger Quelle zufolge, ferner daran, daß die Kommission für das deutsch-französische Abkommen ihren Willen bekundet habe, die Prüfung des Abkommens im Geiste höchster Unparteilichkeit und nur unter Rücksichtnahme auf die Würde, Sicherheit und Größe Frankreihs vorzunehmen. Auf diese Erklärung müsse man vertrauen in der Ueberzeugung, daß das Abkommen ein bedeutungsvoller Faktor für den Frieden zwischen den beiden Nationen sei. Die Sitzung wurde sodann aufgehoben.

Bei der Eröffnung der gestrigen Sizung der Depu- tiertenkammer verlangte der Alterspräsident Louis Passy (liberal) eine konstitutionelle und keine parlamentarische Republik sowie eine Wahlreform. Ueber die auswärtige Politik und das deutsch-französische Abkommen erklärte er, jeder habe zu der Frage zwar mit s{hmerzlihem Gefühl, aber gewissenhaft Stellung genommen, und \{loß: „Wir tappen im Dunklen, da. alle Regierungen geheime Ambitionen verfolgen. Wir wollen weder Propheten noch Nichter sein, aber wir wollen bereit sein!“ Darauf wurden Brisson mit 257 von 309 ab- gegebenen Stimmen zum Präsidenten der Kammer, Etienne, Massé, Puech und Dron zu Vizepräsidenten wiedergewählt.

Türkei.

Jn einem von dem Blatte „Sabah“ veröffentlichten Jnterview erklärt der Kriegsminister Mahmud Schewfket- Pascha angesichts der in Umlauf befindlihen Friedens- gerüchte, daß die Pforte keine Schritte in dieser Richtung unternommen habe. Solange die Souveränitätsrehte des Sultans über Tripolis und Benghasi niht anerkannt würden, sei der Friede unmöglih. Die Veröffentlihung des Ein- verleibungsdekrets könnte Jtalien nicht hindern, auf einer anderen Grundlage zu verhandeln.

Norwegen.

Der Staatsrat beschäftigte sih gestern mit dem Finanz- geseß für das Finanzjahr 1912/13, das mit 128 100 000 Kronen balanciert. Wie „W. T. B.“ meldet, sind im Extraordinarium 61/4 Millionen für Eisenbahnbauten vorgesehen. Ferner wird vorgeschlagen, aus dem Kassabestand 8 Millionen für außer- ordentliche Zwecke zu bewilligen, davon 6 Millionen für den Bau von Kriegsschiffen und eine Million als Beitrag für eine neue norwegische Dampferlinie nach Amerika. Das Finanz jahr 1910/11 hat einen Reinübershuß von etwa 61/5 Millionen Kronen ergeben. Jm weiteren Verlauf der Sißzung beschloß der Staatsrat, eine Regierungsvorlage einzubringen, in der das Storthing aufgefordert wird, folgende Beschlüsse zu fassen:

1) Die Verteidigung zur See wird hauptsählich als mobiles Glied einer Küsten- und Schärenverteidigung geplant, wie es im wesentlihen von der norwegishen Berteidigungskommisfion vorgesehen ist, und mit dem Ziel, das Flottenmaterial möglich{#t bald auf die von der Verteidigungékommission im Jahre 1910 vorgeschlagene Stärke zu bringen.

2) Für außergewöhnlickche Verteidigungösmaßnahmen find zu bewilligen 15 Millionen Kronen für Anschaffung zweier ge panzerter Küfienverteidigungs\chiffe, außer bereits bewilligten 927 000 Kronen ncch 900 000 Kronen für Befestigungzanlagen und für eine Marinestation in Ofoten und 600 000 Kronen für Munition. Das Flottenperfonal foll erhs8ht werden.

Nach einer Vereinbarung mit dem Finanzministerium bringt das Verteidigungsministeruum in Vorschlag, den für außerordentliche Verteidigungsmaßnahmen veranschlagten Be- trag mit 6 Millionen aus dem Staatskassenbestand und mit 101/, Millionen aus einer im Jnlande aufzunehmenden Anleihe zu decken, falls die Ausgaben nicht anderweitig gedeckt werden können. Unter keinen Umständen wird die Aufnahme einer neuen Staatsanleihe vor 1913 notwendig.

Die im neuen Flottenplan vorgesehene Materialstärke umfaßt, obiger Quelle zufolge, 8 gepanzerte Küstenverteidigungs- schiffe, 6 Torpedojäger, 40 Torpedoboote, 12 Unterseeboote, 4 Kanonenboote oder mit Kanonen armierte Hilfs\chiffe, einen \hnellaufenden Minenleger, außerdem bewaffnete Schiffe oder Hilfsschisffe zur Bewachung der Minenlegung und eine Anzahl Minensfischer. Ferner wird in Erwägung gezogen, einen kleineren Typ von Unterseebooten zum Gebrauch an bestimmten Stellen der norwegischen Küste und zur Stütze von Befestigungen zu schaffen. Pläne für die aus von Horten sowie für die Modernisierung von Oskarsborg befinden fih in Ausarbeitung.

Amerika.

Die amerikanische Regierung kündigt laut Meldung des „W. T. B.“ die Entsendung von 500 Mann nah China an, die bei der Aufrechterhaltung des Eisenbahnver- kehrs zwischen Peking und der Küste mitwirken sollen. Es wird erklärt, daß der amerikanische Gesandte in Peking Calhoun nach einer Besprechung mit dem diplomatischen Korps in Peking die Entsendung dieser Truppenzahl als vollständig hinreichend empfohlen habe. | ae

Der Präsident Taft hat, obiger Quelle zufolge, in einer Botschaft dem Repräsentantenhause mitgeteilt, er werde fich ge- nötigt sehen, jedes Ersuchen von Deutschland, Oesterreich, Däne- mark, Belgien, Schweden und Norwegen auf freie Einfuhr von Holzpapier in die Vereinigten Staaten unter gleichen Bedingungen wie Canada abzulehnen, bis der zuständige Gerichtshof die Rechtsfrage entschieden habe.

Asien.

Das persische Kabinett hat, dem „Reuterschhen Bureau“ zufolge, den Sepehdar zum Generalgouverneur von Aserbeidschan, den Prinzen Firman zum Generalgouverneur von Kermanschah und Sardar Kafar, einen Neffen des Bachtiarenhäuptlings Sardar Affad, zum Generalgouverneur von Aaban ernannt. Jn bris hat Samad-Khan, ein Parteigänger des früheren Schahs, sih zum Gouverneur der Stadt ausgerufen. Er wurde von ruffifer Seite gewarnt, eine Proklamation zugunsten Mohammed Alis zu erlassen.

_— Nach einer Meldung des „Reutershen Bureaus“ verlangt Rußland ezüglih der Mongolei die Zusicherung, daß die mongolischen Abgesandten, die kürzlih St. Petersburg besucht haben, nicht bestraft werden. Der russische Geschäftsträger hat die chinesishe Regierung davon in Kenntnis geseßt, daß er auf die russishe Note eine baldige Antwort erwarte.

Wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ meldet, nähert sih ein Mongoleidetahement der Grenze bei Kjachta, um die angrenzende Mongolei von unzuverlässigen herum- streifenden Chinesen zu säubern und diese über Trans- baifalien nah der Mandschurei zu bringen, wo sie an- gesiedelt werden sollen. Die eingewanderten Chinesen sind dadurch beunruhigt. Mehrere Hundert von ihnen überfielen in der Nacht zum 8. Januar die Verwaltungs- gebäude des Marktplaßes Maimatshin. Die mongolischen Beamten retteten sih zum Vorsteher des chinesischen Telegraphen- amts. Die mongolishen Schußleute wurden entwaffnet. Die Chinesen lieferten die geraubten Waffen am nächsten Tage freiwillig wieder aus, drohen aber, im Falle der Ausweisung die Verwaltungsgebäude zu plündern. Die mongolischen Be- hörden haben die russische Obrigkeit um Unterstüßung gebeten.

Koloniales.

Von der Forschungsexpedition der Deutschen Kolonialgesellshaft, die am 25. Oktober 1911 nach Kamerun ausgereist ist und unter der Leitung des Professors Thorbecke steht, ist der erste Bericht eingegangen, der, wie wir den „Mitteilungen der Deutschen Kolontal- gesell]chast“ entnehmen, die Bedeutung Dualas als Ausgangspunkts der beiden Kameruner Eisenbahnen würdigt und dabei auf die wirtschaft- lihe Wirksamkeit der Nordbahn zu sprehen kommt. Thorbecke ist der Meinung, daß dieser Schienenweg, wenn er erst einmal bis Bamum oder darüber hinaus vorgedrungen ist, eine wirtschaftliche Entwicklung der durdquerten Grashochländer zur Folge baben wird, die zum mindesten die des Urwaldgürtels erreihen dürfte. „Haben wir es doch auf der ganzen Strecke im Dschang- und Bamenda- Bezirk mit einer Bevölkerung zu tun, die den Waldlandneger in jeder Beziehung übertrifft, an körperliher Leistungsfähigkeit, an Aufnahme und Anpassungsfähigkeit, an straffer politisher Organit- sation. Jch möchte, nah Etnblick in die Verhältnisse, wie sie si hier draußen tatsächlih entwickelt haben, doch hoffen, daß die große Verkehrsstraße ins Innere Kameruns in der Nichtung weiter ge- führt werde, in der sie heute {on ins Hochland hineinweist.“ Die Deutsche Kolonialgesellschaft hat vor zwei Monaten in ihrer Vorstandésizung den Beschluß gefaßt, für e'ne {nelle Weiterführung der Kameruner Nordbahn, die in ibrer Ausdehnung ven 160 km nur ein Stückwerk darstelle, bei den maßgeb-nden Stellen einzutreten.

Die Gleisspige der deutschostafrikanischen Zentralbabn Daressalam—Morogoro—Tabora befand ih, wie der „Deutschen Kolontalzeitung“ aus Daresfalam telegraphiert wird, am Anfang dieses Jahres 37 km vor Tabora, 810 km von Daressalam entfernt ; es sind im Dezember 1911 19 km vorgestreckt worden.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zudccktergewinnung, -besteuerung und -verbrauch in Deutschland im Jahre 1910/11.

Im Betriebsjahre 1910/11 (vom 1. Septemker 1910 bis 31. August 1911) find 354 Zuderfabrifen mit Nübenverarbeitung im Be- triebe gewesen (im Vorjahre 356). Ferner haben 35 NRaffinerien (gegenüber 36 im Vorjahre) gearbeitet. Die Zahl der Melasse- entzuckerungsanstalten betrug 6. In diesen 395 Betriebsanstalten sind im ganzen 2589 869 t Zucker gewonnen worden (alle Erzeugnisse auf Rohzucker umgerechnet), im Vorjahre 2 037 397 t.

In den rübenverarbeitenden Fabriken wurden in 49 304 zwölfstündigen Arbeits\{hihten 15 748 981 t Nüben verarbeitet, mithin in einer Arbeits\chicht 319 t, während im Betriebsjahre 1909/10 in 43 917 Arbeits\{hichten 12 892 068 t, mithin in einer Arbeits\{ickcht 294 t verarbeitet worden waren.

Die verarbeiteten Nüben wurden auf 477909 ha (1909/10: 457 718 ha) geerntet. Der Preis der angekauften Nüben berechnet ih im Durchschnitt auf 225 S (1909/10: 2,19 M) für 1 dz.

Die Rübenernte ist eine gute zu nennen. Der Durchschnitts- ertrag auf 1 ha betrug 330 dz Rüben, im Vorjahre 282 dz. Aus 1 dz Rüben wurden durhshnittlih 15,96 kg Rohzucker gewonnen, während das Vorjahr 15,11 kg ergab. Zur Herstellung von 1 kg Zucker waren durhschnittlih 6,27 kg Nöben gegenüber 6,62 kg im Borjabre erforderlich.

Bon inländishem Zucker sind in Nohzuckerwert 1 382 197 t, von ausländischem 1728 t in den freien Verkehr übergegangen, gegenüber 12622955 t und 1927 6 im verflossenen Betrieb: jahre. Der gesamte A bgabenertrag belief sich an Verbrauchs8abgabe abzüglich der Steuervergütungen auf 173 263 000 4, an Zoll auf 332 000 44, ir Vorjahre auf 158 474 000 46 und 353 000 /(. Auf den Kopf der Bevölkerung betrug der Verbrauch in Verbrauchszucker 19,00 kg (1909/10: 17,52 kg).

Die Ausfuhr hat in Rohzuckterwert um 333 098 t, zugenommen ; sie erreichte eine Höhe von 1116 535 t. Davon entfielen auf Nohb- zuder 546 281 t und auf Verbrauchszucker 513 229 t, während 1909/10 nux 310 131 & NRoh- und 425 976 t Verbrauhszucker ausgeführt worden waren. Der Hauptabnehmer war Großbritannien mit 447 719 t Roh- und 327 735 t Verbrauchszuer.

Bevölkerungsbewegung, Shlachtungen, städtische Spar- kasse, Krankenversicherung und Armenpflege in Berlin

im November 1911.

Nach dem Novemberheft der „Monatsberihte des Statistischen Amts der Stadt Berlin“ belief ih die fortgeshriebene Bevölke - rungsziffer der Neichshauptstadt Anfang Dezember 1911 auf 2 082678 (zu der gleihen Zeit des Vorjahrs auf 2 070695). Sie ist im November um 6247 (im November 1910 um 6625) gestiegen. Lebend geboren wurden im November 1911 3416 (im gleichen Monat des Vorjahrs 3517) Kinder, darunter 776 (755) oder 22,72 (21,47) 9/6 unchelihe. Auf das Jahr und Tausend der mittleren Be- völkerung berechnet, ftellte sih die Geburtenziffer auf 19,99 (20,70). Ehen wurden im November 1675 (in demselben Monat des Vor- jahres 1608) geschlossen, darunter 329 (326) Mischehen. Die Zahl der Sterbefälle (ohne die Totgeburten) belief sich im No- vember auf 2554 (im November 1910 auf 2542). Im Alter bis zu 1 Jahr starben 463 (499) Kinder, das sind 18,13 (19,63) 9% aller Sterbefälle des Berihtsmonats. Auf das Jahr und Tausend der mittleren Bevölkerung berechnet, stellte si die allgemeine Sterblich- keitsziffer auf 14,94 (14,95).

¿ Der Auftrieb auf den städtischen Viehhof betrug für den Monat November 1911 14 891 (für denselben Monat des Vorjahrs 14 580 Rinder), 11 717 (10617) Kälber, 38223 (33 989) Schafe, 121 007 (102 722) &dweine. In den öffentlichen Schlacht - häusern wurden im November 10786 (im November 1910 11 824) Rinder, 12 228 (11 078) Kälber, 39 069 (36 635) Schafe, 124 005 (95 867) Schweine geschlahtet.

__ Bet der städtishen Sparkasse beliefen sih die Einzahlungen im November 1911 auf 5 614 765 4 (im gleihen Monat des Vor- jahrs auf 5 368 229 4), die Rückzahlungen auf 5 311 173 (4 529 748) 4; demnah ergab \ich ein Mehr an Einzahlungen von nur

303 592 (in demselben Monat des Vorjahrs ein Mehr an Ein- zahlungen von 838 481 46). /

Der Mitgliederbestand der der Aufficht des Magistrats- fommissars unterstellten Krankenkassen betrug am 1. Dezember 1911 835 785 (zur gleichen Zeit des Vorjahrs 819 964), unter denen si 60 767 (53 271) freiwillige Mitglieder befanden. Erwerbsunfähi waren an diesem Tage bei den bezeihneten Kassen 27 613 (25 213) verpfli{chtete Mitglieder.

Die städtishe Armenpflege umfaßte im Monat November 35 305 (im gleihen Monat des Vorjahrs 35 707) Almosengeld- empfänger u einem Gesamtbetrage an laufenden Unterstüßungen von 619 213 (622 208) M, darunter 2 064 (2 017) Almosenempfänger mit außerdem gewährten 15380 (14 762) # Extraunterstüßungen. Solche wurden ferner für 6 107 (6 289) nicht laufend unterstüßte Personen im Gesamtbetrage von 79 615 (81 039) 4 gewährt. Pflege- finder waren 12 678 (12 878) vorhanden, für bie 120 492 (121 181) aufgewendet wurden. :

Im Arbeitshause zu Nummelsburg befanden sich am 1. De- zember 1027 (zu derselben Zeit des Vorjahres 1321) Männer und 49 (78) Frauen, in den Hospitälern des Arbeitehaufes 738 (693) Insassen, in den Erziehungsanstalten zu Lichtenberg, Birkholz und Klein Beeren 273 (252) Fürsorge- und Zwangserziehungs- zöglinge, in Privatverpflegung 1147 (1163) Kinder. In der städtishen Waisenpflege waren an demselben Tage 8695 (8280) Kinder. Das Familienobdach beherbergte am 1. Dezember außer 25 (32) Familien mit 63 (60) Personen noch 107 (212) Einzel- personen. Im städtischen Obdach nähtigten im November 106 977 (90 669) männlihe und 660 (507) weibliche, zusammen 107 637 (91 176) Personen, im Männerasfyl des Asylvereins 14 900 (14 642), im Frauenasyl 3969 (4304) Personen einschließlich von 61 (38) Kindern.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Dockarbeiter und Eifenbahürollfuhrleute in Barreiro, gegenüber Lissabon am Teéjo gelegen, sind, wie der „Frkf. Ztg." telegraphiert wird, in den Ausstand eingetreten. Am 7. d. M. hielten die Ausständigen eine Versammlung ab, in der eine Resolution gefaßt wurde, in der die Sabotage befürwortet wird. Die Dampfer werden militärisch bewacht. Einige Verbaftungen wurden vorgenommen und die Eisenbahnstation von Barreiro durch Truppen beseßt.

Wohlfahrtsþpflege.

Der Volksheilstätten-Verein vom Noten Kreuz in Berlin hat einen Bericht über die Entwicklung seiner Erholungs- stätten im Betriebsjahr 1910 erstattet. Die in Amerika mit Nacht- erholungsstätten gemachten günstigen Erfahrungen ermutigten den Verein, einen Versuh mit Nachtkuren zunächst in seinen beiden Frauenerholungsstätten (in Schönholz-Pankow und in Eichkamp) zu unternehmen. Zweck der Einrichtung sollte sein, gesundbeitlih ge- fährdeten Personen, die während des Tages ihrer Berufsarbeit nah- gehen, während der Nacht Kuraufenthalt in der Stille des Waldes zu ermöglichen. Der von Anfang Mat bis Mitte Oktober durchgeführte Versuch kann als gelungen bezeichnet werden. Die Nachtkur- pfleglinge kamen gegen 7 Uhr. Abends von ihrer Arbeits- stelle direkt in die Erholungsstätte, erhielten dort ein warmes Abendessen, \chliefen fsodann tin den offenen Liege- hallen, die während des Tages bei s{lechtem Wetter den Tages- patienten zur Unterkunft dienen, und verließen Morgens zwischen 6 und 7 Uhr, gestärkt durch ein reihlihes Frühstück, wieder die Erholurgéstätte, um ihrem Beruf nachzugehen. Die Kurerfolge waren sehr zufriedenstellend. Im ganzen wurde die Zahl von 1696 gewährten Kurnächten erreiht; für jede Nacht wurden 70 4 erhoben. Der Versuh foll fortgeseßt und auch auf Männer aus- gedehnt werden. Der Männererholungsstätte in der Iungfernheide wurde ein größeres, festes Blockhaus geschenkt; die Stadt Char- lottenburg hat eine wesentliche Vergrößerung des Waldgeländes dieser Erholung®stätte bewilligt. “Im ganzen waren im Berichts- jahr sieben gut ausgestattete Erholungsstätten im Be- trieb: 2 för Männer (Jungfernheide und Sohannisthal), 2 für Frauen (Schönholz-Pankow und Eichkamp) und 3 für Kinder (Schönholz, Sadowa und Cichkamp). Die Zahl der Ver- pflegungstage, einshließlich der Kurnähhte, belief sich auf 165 718 gegen 177297 im Vorjahre. Die Minderbenußung betraf aus\ließlich die Kindererholungéstätten und hatte ihren Grund darin, daß es Etatsrücfsichten der Stadt Berlin nit gestatteten, die gleiche Zahl von Kindern wie in früheren Jabren zu überweisen.

Die Winterkuren haben ausgezeichnete Heilwirkungen aufzuweisen gehabt und ihre Inanspruchnahme hat erheblich zugenommen. Während die Zahl der im Winter gewährten Verpflegungstage 1906/07 8000, 1907/08 11 645, 1908/09 16 709 betrug, bezifferte fie sich tm Winter 1909/10 auf 26 145, die 305 Männern, 222 Frauen und 422 Kindern zugute kamen. Namentlich Lungen- und Nervenleiden wurden dur die Winterkuren günstig beeinflußt. Die Gesamtzahl der Patienten, die in den 4 Erholungsheimen für Erwachsene im Be- rihtsjahre Aufnahme und Verpflegung fanden, betrug 3457, darunter 26952 entfandt von 108 Krankenkassen und 408 von den Armen- direktionen Berlin und Charlottenburg. Die Gesamtzahl der auf- genommenen Kinder betrug 1166; hinzukam noch eine größere Anzahl sogenannter Besuchskinder, die gleichzeitig mit ihren erwachsenen weib- lichen Angehörigen in den Erholungsstätten für Frauen Aufnahme fanden. Ordnung und Disziplin in den Erholungsstätten waren recht gut. Der Betrag der laufenden Ausgaben erreihte im Berichtsjahr die Höhe von 126 517,74 . Sie haben an den Einnahmen keine volle Deckung gefunden, \odaß leider ein Fehlbetrag von 4992,89 46 in das nächste Jahr übernommen werden mußte. Der Pflegesaßz für Tageskuren betrug wie im Vorjahre für Erwachsene 55 4 Z im Sommer und 70 S im Winter, für Kinder 50 im Sommer und 60 im Winter. Die Zahl der freien Verpflegungstage belief sih für ganze Fretstellen auf 9606, einschließlich 494 freie Kur- nächte, für halbe Freistellen auf 7802. Eine besondere Auszeichnung erfuhr die Erholungsstätte in Eichkamp durch den Besuch Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin am 14. März 1910.

Kunst und Wissenschaft.

A. F. Unter dem Vorsiß von ee Dr. von Luschan fand am 3. Januar die 16. Generalversammlung der „Vorder - asiatischen Gesellshaft“" statt. Wie alljährlich aus diesem An- laß erfreute sih die Gesellshaft der Anwesenheit zahlreiher aus- wärtiger Mitglieder aus Leipzig, München, Wien, Halle, Gießen, Marburg 2c. Der geschäftlihe Teil der Versammlung brachte aus dem Munde des Vorfißenden den Rechenschaftsberiht. Er zeigte die Gesellschaft in gedeihliher Entwicklung, wenn auch, vorauésihtlich vorübergehend, die nahezu 500 be- tragende Mitgliederzahl um zehn zurückgegangen is. Ehrend wurde zweier dur den Tod abgerufener Mitglieder gedacht, deren Scheiden besonders |chmerzliche Lücken in der Zahl der hervorragenden Forscher läßt: Puchstein und Messershmidt. Der befriedigende Kassenberiht erwies die Vermögenslage als weiter verbessert. An den Bericht über die „Mitteilungen“ und den „Alten Orient“ knüpften fich aus der Versammlung einige kritishe Bemerkungen, die zufriedenstellende Beantwortung fanden. Nah Erledigung des geschäftlihen Teils hielt Professor von Luschan einen durch Lichtbilder in überrashender Fülle begleiteten Vor- trag über das Thema „Griechenland und der O rient“. Er wolle, fo begann der Redner, unter dem absihtlich weit Ee Titel seines Vortrags mancherlei sagen, was ihm als das Ergebnis dreißigjähriger Studien am Herzen liege. Das bekannte Buch des Griechen Stepanos nôtige zunächst zu entschiedener Ablehnung der hier über die Abstammung der Griechen ausgesprochenen Gedanten: Stepanos ei keinen Untershied zwishen den Bewohnern des griehishen Festlandes und der griehishen Inseln gelten. Er über-

E dabei vollkommen, daß es sich hier und dort um ganz ver- chiedene Arten von Menschen handelt, die weder in der Cs noch in der Religion übereinstimmten. Seine eigene langjährige Be- s{äftigung mit der Chronologie Griechenlands und Vorderasiens, seine Untersuchungen, wie eigentlich die Dorer und Jonier sich gegenein- ander verhalten, haben Professor von Luschan zu ganz abweichenden Ergebnissen geführt, die thn vermuten lassen, daß die Dorer den alren Vorderasiaten entsprechen, dagegen die Jonier sehr viel nordishe Ele- mente aufgenommen haben, fomit viele Volkêgenossen von langem Schädel, blauen Augen und blondem Haar zählten. Wissen wir aus der Schule auch nur von einem homerischen Helden, der vom Dichter aus- drücklih als blond bezeihnet wird, fo find literarisch doch wenigstens 4 bis 500 Griechen als blond nahweisbar. Von diesem Typus stark und carafteristisch verschieden find allerdings die Vorderasiaten, wie sie uns in zahlreihen Reliefs und Skulpturen entgegentreten, die bis in das 10. bis 14. Jahrhundert vor unjerer Zeitrehnung in Sendschirli, in Aegypten noch erheblich weiter zurückgehen. Eigenartig für diesen Typus ist Kurzköpfigkeit, ertrem hohe und extrem breite Schädel und besonders kräftige, große Nasen. In einer großen Zahl von Bildern der bezeihneten Herkunft aus der alten Welt führte der Vortragende den Beweis für die offensihtliche Uebereinstimmung der genannten Merks male und {loß durch Vorführung von Bildern lebender Menschen aus Vorderasien und Syrien den nicht minder bündigen Beweis, daß sich dieser Typus mit erstaunliher Beharrlichkeit, namentlich in ab- elegenen Landschaften und im Hochgebirge, bis beute erhalten hat. ast noch überrashender gelang der Beweis für die Ansicht des Vor- tragenden, daß fich dies vorderasiatishe Urvolk in schr früher Zeit nah Westen ausgebreitet habe und die alpine Nasse, der wir in großer Reinheit noch tin manchen Al„entälern begegnen, von ihnen abstamme, als einige Bilder solcher lebenden Alpenbewohner mit den harakteristischen Eigenschaften vorgeführt wurden. Als Vertreter der reinen vorderasiatischen Nasse dürfen die Hethiter gelten mit der Einschränkung, daß \chon im 13. vor(hristlihen Jahrhundert vor- dringende nordishe Elemente mit der ursprünglichen Bevölkerung fich zu mischen begannen, aber doch bis heute im wesentlichen rein blieben. Als die Nachkommen dieser nordishen Einwanderersind die Kurden anzusprechen. Dagegen ist semitische Beeinflussung in der Entstehung und Heraus- bildung der vorderasiatishen Rasse niht nachweisbar, wohl aber eine spätere Vermengung beider Nassen. Reinen Semiten begegnen wir wiederholt einwandfrei in ägyptishen Reliefdarstellungen unter Be- zeichnung ihres Herkunftslandes Arabien. Sie zeigen in Schädel- und Nasenbildung einen wesentlich verschiedenen Typus von dem bisher gewöhnli als semitisch bezeihneten, wogegcn sih nähere oder entferntere Verwandtschaft mit der einen und der anderen Nasse bet Aramäern, Israeliten, Armenltern vermuten läßt. Wohin die Phönizier zu rechnen sind, die {on um 2000 v. Chr. ein unternehmendes Volk waren, it {wer zu er- mitteln, da jeglihe Typen von ihnen fehlen, eine Lüdke, die in der Folge vielleiht ägyptische Funde ausfüllen werden. Armenoïde Elemente, wohin die Phönizier vielleiht zu zählen, sind hon während des alten Netiches nach Aegypten gekommen, und es ist bekannt, da die ägyptishen Künstler es mit der Treue der Darstellung innerhal der ihnen zu Gebote stehenden technischen Mittel genau nahmen. Die in Sendschirli tätig gewesenen Steinmeten übrigens nicht minder, sodaß hier eine Quelle der Belehrung über Menschentypen fließt, die uns deutlih den Affyrer vom Hethiter, diesen vom Kurden unter- scheiden läßt und die aramäischen Frauen kennen lehrt. Jedenfalls zeigt die Betrachtung der vorderasiatischen Nasse, mit der die Dorer Vorder- asiens und der Inseln des Aegäishen Meeres in naher Verwandtschaft standen, daß von ihr die Jonier sehr verschieden waren, deren hervor- ragendste Künstler das Schönheitsideal \{hufen und zu deren blonden Vertretern ein Praxiteles und der große Alexander gehörten. Im Anschluß an die Würdigung der bei tieferem Eindringen sich immer richtiger und bedeutsamer erweisenden Skulpturenshäße von Sendschirli führte der Vortragende hierauf die Bilder dreier Seitenstücke zu der im Vatikan befindlißen Nachbildung eines verloren gegangenen, berühmten Urbildes vor. Es handelt fich um den vom Adler Jupiters emporgetragenen Ganymed, ein Meisterwerk des griehishen Erzgießers und Bildhauers Leochares. Der gleide Gedanke, wenn auch in entsprehend gröberer Ausführung, liegt einem Bildwerk aus Sendschirli, einer indishen Steinskulptur und einem Relief zugrunde, das aus einem chinesishen Kloster bei Schanghai herrührt, nur mit dem für den höheren Shwung des griechischen Geistes bezeihnenden Unterschiede, daß diese teilweise sier viel älteren Darstellungen erwachsene Menschen, die indishe Darstellung eine Frau durch einen mächtigen Vogel emporgetragen werden lassen. Die Vorzeigung der Abbildung eines Steinblocks aus Sendschirli, welher eine wohlerhaltene femitishe Inschrift trägt, gab dem Vortragenden Anlaß, auf die bésondere Ehrwürdig- keit dieses Steines hinzuweisen, weil er das biéher bekannte älteste Denkmal der auf etwa 1000 vor Chr. anzuseßenden Erfindung der „alphabetishen Schrift“ auf semitisher Grundlage ist, einer Er- findung, die nah dem Nedner zu den größten Errungenschaften der Menschheit gehört und der Erfindung der Buchdruckerkunst als einer ähnlichen, großen, weltbedeutenden Sache an die Seite zu stellen ist. Die Sendschirli-JInschrift datiert aus dem 9. Jahrhundert. Durch Vorführung der s{chönen Darstellung einer Säule aus dem" Athene- Tempel von Priene mit ionischem Kapitell, wohlerhaltenen prächtigen Voluten und Eistab, leitete Professor von Luschan zu dem leßten Teil seines Vortrages hinüber, dem „Nachweis der Ent- stehung der ionishen Säule“. Er sieht fie als aus der Nachbildung des Fruchtständers der Dattelpalme entstanden an und erblickt in dem Cistab die Nachbildung eines Blattkranzes. gleichen Ursprungs. Wie der Vortragende den Nachweis für die Richtigkeit seiner Anschauung führte, das war in der hierbei gewählten Methode, dem lückenlos mit mathematischer Genauigkeit und Folgerihtigkeit ge\{ehenden Aufbau des Beweises für die Versammlung von hohem Interesse. Es hat in jedem Fall großer Ausdauer und jahrelanger Mübe bedurft, um alle diese in Gestalt von Bildern aus den Skulpturens{häßen Assyriens, Babyloniens, Syriens, Aegyptens und Alt Griechenlands vorgeführten beredten Zeugnisse zu sammeln, und nur bei voller Beberrshung des Gegenstandes waren diese so zusammenzustellen und ancinanderzureihen, daß angesihts des leßten Bildes dem „Quod erat demonstrandum“ die Zustimmung der Hörer kaum fehlen fonnte. Naturgemäß hat die Heimat und bevorzugte Pflegstätte der Dattelpalme, Aegypten, zu diesen Zeugnissen den wichtigsten Teil geliefert, nämli den Nachweis, wie die Pflege der Dattelpalme im Lande, dies unerläßlihe Eingreifen des Menshen durch Befrouhtung der Blüten der ungleih bäufiger vorhandenen weiblihen Bäume mittels des Blüten- staubes der viel selteneren männlihen Bäume, die gesamte Dattel- kultur im alten Aegypten zum Gegenftand liebevoDer Beschäftigung erhoben und es tatenlustigen Künstlern nahe gelegt hatte, sie in bildlihen Darstellungen zu bverherrlihen. Diese Bilder geben den Grundflock der oben gedahten Beweismittel, denn sie zeigen die Dattelpalme in allerlei Gestalt: thren s{lanken Wuds, ihre s{chöône Blätterkrone, und eine bevorzugte, häufige Darstellung ist natürlich die Dattelpalme in reihem Fruhtbehang. Bet mehreren dieser leßteren Bilder hat der Beschauer den Eindruck, daß die Phantasie von diesen aus dem Laube herabhängenden, mit Datteln beladenen Frucht- ständern bis zu deren Nachbildung in den Voluten der tonishen Säule keinen ungewöhnlih großen Sprung zu machen hatte. Aehnliche Betrachtungen knüpfen sh an Laubkränze der Palme im Vergleich zu den Eistäben der tionischen Kapitelle, den die Voluten verbindenden Gliedern des Kapitells. Die volle Ueberzeugung, daß es mit dieser Erklärung des Ursprungs des tonischen Kapitells seine Richtig- keit hat, gewinnt man tndefsen erst aus der in einer Fülle von Bildern weiter vorgeführten Entwicklung, welche die Nachahmung der Dattel- palme in der Säule dur die Jahrhunderte hindur bis zur klassischen Beit Griechenlands genommen hat, die den vollendeten Typus der tionishen Säule \{uf. Von Theben aus, wo eine Grabstätte aus der Zeit der 18. Dynastie niht bloß diese, sondern auch andere flanzenmotive zu arhitektonishem Schmuck verwertet zeigt, hrt der Weg dieses Nachweises über Sendschirli, über HeLs und seine Säulenhalle, über Cypern und kene zu den ältesten ionishen Säulen auf dem Boden Griechenlands, zuleßt zur