1912 / 37 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Feb 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 2. Sißung vom 8. Februar 1912, Nachmittags 3 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die W ahl des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Schriftführer.

Alterspräsident Tra e e (fortshr. Vpt.): Wir würden nun n die Tagesordnung eintreten müssen; es liegt aber ein Vertagungs-

antrag vor, gestellt von dem Abg. Bassermann. : Abg. Bas sermann (nl.): Die Vorbereitungen für die Prä- fidentenwahl, die Verhandlungen in den Fraktionen und unter den einzelnen Fraktionen haben große Schwierigkeiten ergeben , deren Lösung bis zur Stunde nicht erfolgt ist. Jch beantrage daher, die heutige Sißung zu vertagen, und würde vorshlagen, mit derselben Tagesordnung morgen eine Sißung abzuhalten ; vielleicht darf ih mir den Vorschlag erlauben, die Stßung auf 2 Uhr anzusebßen. 4 Abg. Gröber (Zentr.): Jch trete dem Vorschlage des Vor-

redners bei.; : Unter stürmischer Heiterkeit des ganzen Hauses wird dieser Vorschlag Bassermann einstimmig angenommen. : Schluß 3 Uhr 19 Minuten. Nächste Sißung Freitag 2 Uhr. (Wahl der Präsidenten und Schriftführer.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 9. Sizung vom 8. Februar 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißzung ist in der gestrigen Nummer

d. Bl. berichtet worden. Bei der ersten Beratung des Geseßentwurfs, betreffend die Bewilligung weiterer Mittel zum Ausbau der

neuen staatlihen Doppelschachtanlagen in Westfalen sowie von Mitteln zur Beteiligung des Staates an den Aktiengesellshaften Rhein- und T SUnIE fahrtsgesellshaft in Cöln und Mannheimer Damp \chleppschiffahrtsgesellschaft in Mannheim, erklärt in Erwiderung auf die hon auszugsweise wiedergegebenen Aus- führungen der Abgg. von Pappenheim (kons.), Brust (Zentr.) und Vorster (freikons.) der

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Meine Herren! Jh will Ste hier niht durch eine lange Aus- einanderseßung aufhalten. Jch bin vollkommen damit einverstanden, wenn Sie die Vorlage in beiden Teilen einer ganz gründlichen Prü- fung in der Kommission unterziehen. Ih glaube, sie verträgt die Prüfung, und Sie werden sich dur die Vorführung der Einzel- heiten überzeugen, daß alle Bemängelungen, die, wie ih gern an- erkenne, auf Grund der gedruckten Begründung unter dem Schein der Berechtigung hier vorgebracht sind, sih widerlegen lassen.

Es handelt sich bei dem zweiten Teile des Geseßentwurfs um die Uebernahme von Aktien einer Privatgesellshaft. Man kann bei einer gedruckten Begründung nicht alles das der Oeffentlichkeit preis- geben, was \sich im Schoße der Kommission sagen läßt und gesagt werden muß, weil man damit unter Umständen die geschäftlichen Verhältnisse der Gesellshaflen auch klar legen würde, über die es nicht zweckmäßig ist, die Oeffentlichkeit zu informieren. Aber es wird der Kommission bis auf alle Einzelheiten das ganze Matertal klar gelegt werden, wie wir es geprüft haben.

Was die allgemeinen Gesichtspunkte für den zwelten Teil betrifft, so ist die Notwendigkeit maßgebend gewesen, dem Nuhrberg- fiskus, der 309% seiner Produkte nah Süddeutschland abseßt und absezen muß, eine unabhängige Schiffahrtsverbindung dauernd sicher ¿zu stellen. Gerade gegenüber der Konzentrationsbewegung, dte ih jeßt im Schiffahrtsgewerbe, besonders am Rhein, geltend macht und die zur Bildung einiger großen Gruppen, von denen die größte das

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Kohlenkontor mit den ihr assimilierten Firmen ist, muß si der»

Fiskus, wenn er selbständig bleiben will, dauernd eine Schiffahrts- verbindung zwischen setner Produktionsstelle an der Nuhr und seinem Absaßgebiet in Süddeutschland sichern. Ein 7 jähriger FraMtvertrag, wie wir ihn ges{lossen haben, bietet keine genügende dauernde Sicherung. Er hat auch den Nachteil, daß die Frachten festgelegt werden müssen für die ganze Dauer nah den Verhältnissen, die maßgebend gewesen sind zur Zeit des Frachtvertragab\chlu}ses. Als wir diesen Frachtvertrag abs{lossen, schienen z. B. die uns be- willigten Sätze für die 7 Fahre recht günstig; nah den Verhältnissen des jeßigen Jahres waren sie schon weniger günstig. Für den Fall, daß eine Uebernahme der Aktien, wie sie beantragt wird, erfolgt, sind wir in der Lage auf Grund vertragliher Rechte, von Jahr zu Jahr eine Neuprüfung der Angemessenheit der Säße zu verlangen. Nun kommt dazu, daß die Gefahr unmittelbar bevorstand, daß die Rhein- und Seeschiffahrtsgesellshaft in Cöln zusammen mit der Mannheimer Lagerhausgesellschaft und der Mannheimer Dampf-Schlepp-Schiffahrts- gesellshaft in die Hände einer anderen Gruppe überging, die etne scharfe Konkurrentin des Fiskus im Bergbau ist und nahe Beziehungen zum Kohlensyndikat hat. Die Einzelheiten werden s\ih in der Kom- mission darlegen lassen. War das gesehen, so war der Fiskus für die 7 Jahre, für die sein Frahtvertrag lief, mehr oder weniger, wie jeder Gegenkontrahent, von dem Wohlwollen dieses seines Konkurrenten abhängig. Das mußte vermieden werden. Das war einer der Gründe, die uns nötigten, {nell zuzugreifen. Alles übrige wegen der Rentabilität der Gesellshaften und wegen der Angemef}enbeit der Preise, darf ich der Kommissionsberatung vorbehalten. Nur das möchte ich dem Abg. Brust, wenn er sagt, s{lecht rentierende Ge- schäfte kaufe man doh nit auf, bemerken: wenn man gut rentierende aufkauft, wird es noh viel teurer. Hier handelt es sich um eine Ge- fellshaft, die neuerdings durch den Zusammens{luß mit den Mann- heimer Unternehmungen \sich auf eine neue und gesunde Grundlage gestellt hat, und wenn sie durch den Vertrag jeßt die Sicherung der Kohlenfrahten des Fi:kus von der Ruhr nah Süddeutschland erreicht, alle Aussicht hat, fich gut zu entwickeln, und zwar unter finanzieller Beteiligung des Fiskus.

Was den ersten Teil der Vorlage betrifft, so will ih mi be- schränken, darauf hinzuweisen, daß der Mehrbedarf nur zum Teil in zu niedriger Veranschlagung liegt; es spielen noch zwei andere Faktoren mit, einmal, daß auf die Anleihe auch die Kosten für den Hafenanbau in Bottrop und für die damit in Zufammenhang stehende Zechenbahn, die zusammert etwa 54 Millionen betragen, genommen worden sind, daß ferner die Doppelschachtanlagen, die ursprünglih alle für etwa 750 000 t Förderung veranschlagt waren, im Interesse der Wirtschaftlichkeit für eine größere Förderung, näm-

lih von 1 Million Tonnen, ausgebaut worden find, was natürlich nah allen Richtungen hin mehr Kosten veranlaßt hat, und daß sich endli, da man später, als man hoffte, an die abbauwürdige Kohle gekommen ist, der Zeitpunkt, in dem sich die Schächte weiter frei- bauen können, weiter hinauss{chob. Es handelt sich nur darum, ob, da do niemand in diesem Hause die halb angefangenen Shächte in unfertigem Zustande wird liegen lassen wollen, die Fertigstellung aus Mitteln der Anleihe oder aus Mitteln des Ordinariums bewirkt werden soll. Daß es auch im Interesse der Fiskalität liegt, die Schachtanlagen so {nell wie mögli fertigiustellen, wird wohl kaum bestritten werden können. Dann aber würde eine Uebernahme der Kosten auf den ordentlihen Etat nicht bloß den Bergetat, sondern den gesamten Etat mehr belasten, als es, wie ih meine, in diesem hohen Hause gewünsht wird. Es besteht überdies der Vorgang, daß die bisherigen Kosten für diese 3 Doppelschachtanlagen auch auf Anleihe genommen worden sind, und es ist endlih eine rasche Tilgung vorgesehen. Gerade das Be- streben, auf Grund der Ermittlungen, die in der vorjährigen Unter- fuhungskommission stattgehabt haben, den Bergbau auch fiskfalisch vorteilhafter zu gestalten, muß, glaube ih, dahin führen, diese Vorlage in thren beiden Teilen anzunehmen.

Im übrigen möchte ich nickt mißverstanden sein in bezug auf das, was ih neulich wegen des Kohlensyndikats gesagt habe. Fch will gar nit leugnen, daß es mir gerade wegen der fortgeseßten Klagen über die mangelnde Rentabilität der Bergverwaltung wünschenswert ist, wenn dabei auch die Bergverwaltung günstigere Einnahmen er- zielt; aber was für den Beitritt des Fiskus zum Kohlensyndikat entscheidend ist darin gebe ih den Herren Vorrednern vollkommen recht —, ist nur die Frage, ob er im allgemeinen Interesse liegt oder niht. (Bravo! rechts.)

Abg. Macco (nl.) macht in längerer Ausführung u. a. das Bedenken geltend, daß durch die beabsichtigten Maßnahmen die Ver- ständigung des Fiskus mit dem Kohlensyndikat eventuell erschwert werden könnte. Der Schiffahrtsbetrieb sei in privaten Händen besser aufgehoben als in jenen des Fisfus. Jedenfalls bedürfe die Vorlage in ihren beiden Teilen einer äußerst gründlichen Prüfung in der Budgetkommission.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow: l

Die lezten Bemerkungen des Herrn Vorredners nötigen mich doch zu einer Erwiderung.

Der Herr Vorredner ist bei seinen Darlegungen davon aus- gegangen, daß der Schiffahrtsbetrieb besser in den Händen von Privatunternehmungen als in denen des Staates liege. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Dabei hat ihn wohl das Mißverständnis geleitet, als ob der Staat durch den vorliegenden Geseßentwu:f die NRhein- und Seeschiffahrtsgesellshaft übernehmen würde. Daran denkt er gar niht. Indem der Staat ih die Majorität der Aktien erwirbt, unternimmt er in keiner Weise eine Verstaatlihung des Vetriebes; das kann er auch gar nicht; das könnte er nur, wenn er das ganze Unternehmen erwürbe. Gerade darin sehe ih einen Vorteil dieses Vorschlags, daß der volle privatwirtschaftliche Betrieb nah kaufmänntscher Weise, wie bisher, beibehalten werden kann, aber auf der anderen Seite die Sicherheit geaen ist, daß der Staat bei seinen Abschlüssen mit diesem Privatunternehmen auch das möglichste Entgegénkommen, soweit es mit den Interessen der Aktien- gesellshaft vereinbar ist, findet, und daß diese Unternehmung für die Frachten des Staates niht durch die Konkurrenz anderer Bergbau- unternehmungen öder Schiffahrtsunternehmungen ausgeschaltet werden kann. Also alle die Bemerkungen, die \sich darauf bezogen, daß hier der Staatsbetrieb an Stelle des Privatbetriebes gefeßt werden foll beruhen auf falschen Vorausseßungen und treffen jedenfalls hierfür nit zu.

Was die Beteiligung der Partikulierschiffer betrifft, so haben die Partikuliershifer bekanntlih Kahnraum, aber keine Schleppkraft. Nun hat die Rhein- und Seeschiffahrtsgesell haft immer in besonders hohem Maße die Partikuliershiffer hberan- gezogen, weil fie verhältnismäßig mehr S(leppkraft als Kahnraum besißt. Sie besißt nah der mir vorliegenden Aufstellung S{lepp- kraft genug, um jährli 2 Millionen Tonnen Kohlen zu befördern, aber nur Kahnraum für 1 Million Tonnen. Daraus ergibt sih {on von selber, daß sie auf die Anmietung von Kähnen angewiesen ist, und wir haben auêdrücklich auch in unserem Abkommen mit der Rhein- und Seeschiffahrtsgesel{\haft eine Beteiligung der Partikulier- schiffe vorgesehen; sie ist uns zugesagt worden.

Die Bedenken des Herrn Vorredners gaben im wesentlichen das wieder, was im vorigen Sommer, als von dem Abkommen etwas in die Deffentlichkeit drang, aus den Kreisen der rhetnisch-westfälischen Industrie dem Abkommen gegenüber geltend gemacht wurde. Ich gebe vollkommen zu und betone das nohmals, meine Herren, halte es aber auch für erwünscht,“ daß burch die Sicherung eines dem Bergfiëkus zu Gebote stebenden Verbindungsweges zwischen seinen Produktionsfstätten an der Ruhr und den Absaßstätten in Süd- deutshland die Stellung des Fiskus gegenüber dem Kohlen- syndikat stärker wird, wcil er in der Lage ist, wenn wider Erwarten eine Verständigung nit erfolgen follte, selbständig, frei von jeder Einwirkung von anderer Seite, feinen Absatz zu betreiben. Kommt andererseits eine Verständigung mit dem Kohlensyndikat zustande, so wird sich auch leiht der Weg finden lassen, die Schiffahrtsgesell{chaften, an denen der Staat interessiert ist, an den Kohlenfrahten nah Süd- deutshland zu beteiligen, wie es sfonst der Fiskus getan hätte. Also nach beiden Richtungen is eine, wie mir \{eint, für den Fiskus annehmbare und mit dem Allgemeinwohl recht gut vereinbare Sicherung geschaffen. Von diesem Standpunkte hauptsächhlih sehe ih den zweiten Teil der Vorlage an und befürworte seine Annahme vorbehaltlih der Prüfung in der Kommission.

Abg. Büchtemann (forkschr. Volksp.): Schon die Vorlage von 1908 ließ jeden grofzügigen Plan vermissen; man kehrte nur das Dringendste hervor, lebte von der Hand in den Mund, anstatt ofort ganze Arbeit zu machen, um die Produktion ins Leben zu rufen. Daher iegt die große Nachforderung. Der erste Teil der Vorlage muß, vorbehaltli eingehender Prüfungen im einzelnen, angenommen werden, denn er ist nur die Konsequenz des 1908 gebilligten Grund- gedanftens; wir erden dafür stimmen. Was den Ankauf der Schiff- sahrtsafktien betcifft, so bemerkte der Minister u. a., es sei besser, \hlecht- rentierende Gesfellschaften anzukaufen, als gute; wenigstens kamen seine Ausführungen darauf hinaus. Diese Auffassung läßt si doch wohl nicht gut als Prinzip aufstellen. Ueber den Ankaufspreis er- fahren wir nichts. Wir höèren nur, daß die Seehandlung gegen den Preis der Aktien Bedenken niHt erhoben hat. Etwas mehr hätte dcch zur Orientierung für uns angeführt werden können. Im großen und ganzen sind wir der Meinung, daß es gut ist, wenn die Berg-

aus laufenden Mitteln sind in leßter Zeit reihlih hoh

vertvaltung sich den Absag ihrer Produkte auch dadur i daß sie b e nach Süddeutschland geht, und auch Tre f wir mit dem Minister einverstanden, daß es besser ift, ber Staat beteiligt sih an einer Aktiengesellschaft und läßt sie den ganzen Betrieb nah kaufmännischen Grundsäßen weiter führen, als daß Staat selbst \solhe Verkehrsunternehmungen in die Hand nimmt Ist noch zweifelhaft, ob ersteres gelingt, so steht bei le terem der Mißerfolg außer Frage. Die Stimmung von 1908 hat fich ja be. reits geändert. Bei dem Kollegen Macco ist sie beinahe hon ret pefsimistisch geworden. Nun brauht man gegenwärtig bezü li des Betriebes des Steinklohlenbergbaues durch den Staat nit pesfimistis zu scin, denn es ist doch alles noch Uebergangszeit, und es muß do erst alles zum vollen Betriebe eingerichtet sein. Nichtig ist es au, den Weg der Anleihe zu beschreiten; die Ausgaben für den Betrieh gewesen, 1908 sind ja die Amortisationsverhältnisse dieser Anleihe aufs E gehendste in der Kommission geprüft worden, und man wird dog wohl die Anleihen gleichmäßig zu behandeln haben. Mit Kom- missionsberatung der Vorlage, der wir [ympathisch gegenüberstehen find wir einverstanden. /

Abg. Dr. Grunenberg (Zentr.) dankt dem Minister für die in der Begründung der Vorlage enthaltene Zusage, daß die Interessen der Partikulierschiffer gewahrt werden sollen, und bittet, die Sradt. säße fo festzuseßen, daß diese Schiffer auch etwas verdienen können.

Abg. Hoffmann (Soz.): Wir stehen der Vorlage sympathisch gegenüber und bedauern nur, daß der Staat nicht gleih ganze Arbeit gemacht hat. Wir verlangen, daß die Beamten und Arbeiter dabei auch auf ihre Kosten kommen und nicht zu Heloten gemacht werden. Nach den leßten Aeußerungen des Ministers des Innern sind die Beamten und Arbeiter des Staats ihres verfassungsmäßigen Rechtes beraubt, und wir verlangen, daß, wenn der Staat derartige Betriebe übernimmt, er auch die Garantien dafür gibt, daß derartiges nicht weiter ausgedehnt wird.

Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen.

Es folgt die erste Beratung des Geseßentwurfs zur Abänderung der Vorschriften über die Abnahme und Prüfung der Rechnungen.

Finanzminister Dr. Len gte:

Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist Jhnen nicht unbekannt; er ist Ihnen bereits in derselben Gestalt im vorigen Jahre zur Beschlußfassung vorgelegt worden, ist aker leider, weil die Session zu früh geschlossen wurde, niht zur Verabschiedung gelangt, troßdem Ihre Kommission den Entwurf vollständig durchberaten und etnmütig zur Annahme empfohlen hatte. :

Das vorliegende Geseß ist dazu bestimmt, die Verwaltung zu reformieren, und es ist das erste Gesez, welches zur Verwaltungs- reform Ihnen zugeht. Die Immediatkommission hat si auch ein- gehend mit dem Geseßentwurf beshäftigt und empfohlen, das Gesetz anzunehmen. Nachdem die Staatsverwaltung einen ganz riesenhaften Úmfang angenommen hat, find natürlich die Geschäfte der Ober- rehenkammer in einer Weise gewachsen, daß die Gefahr entsteht, daß sie in den Geschäften ersticken und den großen Aufgaben, welchen sie gerecht werden soll, niht voll genügen kann, infolge des vielen Klein- werks, welches sie mit bearbeiten muß. Der Gesetzentwurf bezweckt deshalb, der Oberrechenkammer alle diejenigen Nechnungen zu ent- zichen, bei welchem die ganze Prüfung mehr formaler als materieller Natur ist, und bet welchen erfahrungsgemäß irgend welche Monita nicht zu ziehen sind und finanzielle Fragen auch weniger in Betracht kommen, sondern es sich mehr oder weniger um unwichtigere Fragen handelt. Selbstverständlich soll die Oberrehenkammer auch bei diesen Rechnungen na wie vor diejenige Behörde sein, welche die maßgebenden Vorschriften für die Art der Untersuchung zu treffen und darüber zu wachen bat, daß die Behörden, auf welche die Untersuhung delegiert ist, auch den Vorschriften und Grundfäßen der Oberrechenkammer gemäß verfahren. Sie soll auch außerdem genötigt sein, von Zeit zu Zeit diese Re- nungen felbst wieder zu revidieren und sich zu überzeugen, ob die NRechnungsrevision bei der beauftragten Behörde in ordnungsmäßiger Weise vorgenommen worden ist.

Es war in der Kommission das Bedenken geäußert worden, ob niht dur dieses Verfahren die Verfassung verleßt, und ob nicht

“au die Sicherheit, welhe ‘die Revision dur die Oberrehenkammer

herbeiführen soll, gefährdet wird. Jhre Kommission hat diese Fragen sehr eingehend erörtert, hat \sich aber davon überzeugt, daß gar keine Bedenken in der Hinsicht obwalten, weil die Ober- rehenkammer ja nach wie vor die Oberaufsicht auch über diese Revisionen behält und tie Grundsäße zu bestimmen hat, nah denen revidiert werden muß, und sie außerdem von Zeit zu Zeit selbst diese Rechnungen revidieren muß. Auch die Bedenken gegen die Ver- fassungsmäßigkeit sind in der Kommission zerstreut worden, weil ja dieses Verfahren mit der Verfassung durhaus im Einklang steht. Nach der Verfassung ist die Oberrehenkammer berufen, die Nech- nungen zu prüfen.FIn welcher Art und Weise sie die Prüfungen vor- nimmt, ist ihr selbst überlassen; ob sie sie einem bestimmten Beamten oder einer bestimmten Behörde überträgt, ist einerlei, wenn nur die Grundsäye, die Voraussezunzen und das Verfahren von der Ober- rechenkammer festgestellt und überwacht werden.

Das Gese sieht ferner vor, die Oberrehenkammer zu ent- lasten von all den fleinlihen Fragen, welche auch in der Oeffent- lihkeit oft besprochen worden sind, daß wegen ganz geringer Mehrforderungen oder Nahhforderungen oder Nachzablungen große Grörtecungen hin und her gepflogen werden mußten. Es soll in Zukunft bei geringfügigen Beträgen der Oberrechen- kammer und derKvon ihr delegierten Behörde überlassen sein, zu bestimmen, ob im einzelnen Falle etwas nachgefordert oder nah- gezahlt werden soll.

SwWließlich hatte bei dem bisherigen Verfahren sih auch heraut- gestellt, daß häufig größere Erörterungen notwendig waren, wenn es sich darum handelte, ob eine Etatsüberschreitung vorlag oder nicht. Infolgedessen will die Novelle den Begriff der Etatsüberschreitung, deklarieren und festsezen, in welhen Fällen eine Etatsüberschreitung nit anzunehmen ift. Das gilt namentlih für solche Fonds, die in sich oder fnit anderen übertragbar \ind, nnd welchen wieder Einnahmen von anderer Seite her zufließen. In diesen Fällen soll von Ueber- schreitungen niht die Rede sein und es soll so gelten, als ob der Fonds nit überschritten wäre.

Wenn dieses Geseß angenommen wird, dann wird die Ober- rehenkammer von sehr viel lästiger und, ich möchte mi so aut- drücken, überflüssiger Arbeit entlastet. Sie ist dann in der Lage, ih den großen Aufgaben, die thr obliegen, mehr zu widmen, in allen grundsäßlichen Fragen eine eingehende und sorgfältige Prüfung vor- zunehmen und dafür zu sorgen, daß bei der Rechnungsführung und Rechnungsgebarung in der ganzen Monarchie ein einheitlihes Ver- fahren beobadtet wird. Ich möchte mir erlauben, dem hohen Hause die Annahme des Gesetzentwurfs zu empfehlen.

Abg. von Goßler S Meine politishen Freunde sehen ir dem Gesehentwurf eine Entlastung der Oberrehnungskammer und werden thm ohne weitere Beratuno in erster und zweiter Lesung timmen. z

N Die Abgg. Klausener (Zentr.), Brütt (freikons.), Dr. Ns lin g (nl.), Gyßling (fortschr. Volksp.) und Dr. Liebknecht (Soz.) erkláren gleihfalls ihre Bereitwilligkeit, dem Geseß in erster und ¡weiter Lesung zuzustimmen.

Damit schließt die erste Beratung. Der Gesezentwurf wird darauf auch in zweiter Beratung ohne Debatte an-

genommen. i

Es folgt die erste Beratung des Geseßte ntwurfs über die Reinigung öffentliher Wege.

Unterstaatsf\ekretär _Dr. Freiherr von Coels van der Hrügg hen: Die Befürchtung, daß eine weitgehende Mehrbelastung der Hausbesißer dur diesen Gesetzentwurf entstehen könnte, ift unbegründet. Sein Hauptzweck ist nur die Beseitigung oder wenigstens die Milderung von Unstimmigkeiten, welche sich bezügli der Reinigungspfliht zwischen der Nechtsprehunge des Neichsgerichts, des Kammergerihts und des Oberverwaltungsgerihts ergeben haben. Der Geseßentwurf will eine sichere Grundlage für die Neubildung und Fortentwicklung des örtlihen Rechts durch Ortsstatute geben und der Betätigung der Selbstverwaltung den weitesten Spielraum lassen.

| Abg. Braemer (kons.) beantragt die Ueberweisung der Vor- lage an die Gemeindekommission.

Abg. Linz (Zentr.) stimmt diesem Antrage zu; er hätte be- züglih des Geseßentwurfes gewünscht, daß die Observanzen ganz be- seitigt würden.

Abg. E cke r - Winsen Kommission, darauf hinzuarbeiten, daß noch mehr, Vorlage geschicht, klares Necht geschaffen wird.

Abg. von Bonin - Stormarn (freikons.) und Abg. Dr. M izerski (Pole) sprechen si ebenfalls für die Ueberweisung der Vorlage an die Gemeindekommission aus.

Abg. Lippmann (fortschr. Volksp.) tadelt es, daß die Pflicht der Reinigung öffentliher Wege dur ein Ortsstatut den Anliegern auferlegt werden kann, und daß die Gemeinde ferner das Recht erhält, die Neinigungslasten auf die Anlieger auch da abzuwälzen, wo bisher diese Pflicht nicht bestand.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) erklärt seine Zustimmung zu dem Geseßentwurf. Wie werde aber die große Verwaltungsreform aussehen, wenn man schon ley mit allen möglichen Bedenken komme, und die Regierung mit einer jolchen Zagheit an die Neform herangehe !

Der Entwurf wird der Gemeindekommission überwiesen.

Das Haus geht dann zur Beratung von cTnitiativ- anträgen über.

Die Abgg. Dr. Schrock (freikons.) u. Gen. bean- T Aen:

„die alezuns zu ersuchen, durch“ einen Zusaß zu 8 4 des Kommunalabgabengeseßes vom 14. Zuli 1893 ficherzu- stellen, daß die auf Grund dieses Paragraphen zu erhebenden Ge- bühren, soweit fie den Grundstückseigentümern als folhen auf- erlegt werden, die Natur der öffentlichen Lasten des Grundstücks und somit ein Necht auf Befriedigung aus dem Grundstück gemäß § 10 Nr. 3 des Zwangsversteigerungsgeseßes haben.“

Abg. Dr. Schr o ck (frkons.): Der Antrag entspringt einer An- regung aus kommunalen Kreisen. Der § 4 des Kommunalabgaben- geseßes gibt den Gemeinden die Befugnis, für die Benußung der im öffentlihen Interesse unterhaltenen Veranstaltungen Gebühren zu er- heben. Durch die neue Nechtsprehung des Oberverwaltungsgerichts und des Kammergerichts ist es zweifelhaft geworden, ob die Kanali- sations- und Wassergebühren den Grundstüseigentümern als folchen mit der Wirkung auferlegt werden können, daß sie als öffentliche Lasten des Grundstücks mit deren Vorrechten bei der Zwangs- versteigerung gelten. Für die Gemeinden entstehen dadurch beständig Verluste, denen nur dur die Geseßgebun abzuhelfen {#, da man nen rechnen muß, daß die NeShsvreduna an threr Auffassung reIthalt.

Abg. Dr. Levy (nl.): Der Vorredner macht sih zum Sprecher gewisser kommunalfiskalischer Wünsche. Es ist aber Sache der Ge- meinden, rechtzeitig diese Gebühren einzutreiben. Der Antrag könnte die Hypothekengläubiger, die ja nicht immer an dem Wohnsitze ihres Schuldners oder an dem Orte des Grundstücks wohnen, gefährden. Ich glaube, daß an und für sih eine Notwendigkeit für den Antrag nicht ea indessen beantrage ih, ihn an die Iustizkommission zu verweisen.

Abg. Linz (Zentr.) erklärt sich mit der Tendenz des Antrags Schrock einverstanden und \chließt sich dem Antrag auf Kommissions- beratung an.

Der Antrag wird an die Justizkommission verwiesen.

Es folgt die Beratung des Antrages des Abg. Dr. Gottschalk-Solingen (nl.):

„die Negterung um die Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu ersuchen, durch den für den Umfang der Monarchie a. die Dauer der Shulpslicht nach einheitlichen Gesichtspunkten, jedoch unter Berücksichtigung berechtigter Sonderverhältnisse der einzelnen Landesteile, geregelt wird, b. einheitlihe Bestimmungen über die Folgen der ungercchtfertigten Schulversäumnis, die Vor- ausseßzungen ihrer Strafbarkeit, den Kreis der verantwortlichen Personen, die Art und Höhe der Strafen und das Strafverfahren getroffen werden.“

__ Abg. Dr. Go tt\chalk (nl.): Mein Antrag ist kein Neulin in diesem Hause, er hat es {hon wiederholt beschäftigt, er ist au ¡weimal in der Unterrichtskommission beraten und es ist über ihn Bericht erstattet worden, zu einer Beschlußfassung des Plenums ist es aber weder 1909 noch 1911 gekommen. Ueber die Bedeutung der all- gemeinen Schulpflicht ist es wohl unnötig, noch ein Wort zu verlieren. Seit der Regelung von 1717 ist es in fast 200 Jahren niht mögli gewesen, in dem Einheitsstaate Preußen ein einheitliches Necht zu \haffen ; die Buntscheckigkeit der geltenden Bestimmungen läßt deutlich erkennen, wle die einzelnen Teile des späteren Einheitsstaats bestrebt gewesen sind, auf diesem Gebiete ihre berechtigten oder unberectigten Eigentümlichkeiten zu erhalten. Dasselbe gilt von den Strafen. Solche find für Schulversäumnisse vielfach gar nicht oder nur in minimaler Höhe angedroht. Der Mangel einheitlicher Bestimmungen hat eine unendlihe Judikatur des Kammergerichts erzeugt. ie Schwierigkeiten, die ciner einheitlihen Regelung im Wege standen, sind in neuerer Zeit dadurch beseitigt, daß Art. 26 der Verfassung, der ein umfassendes Unterrichtsgeseß forderte, abgeändert und die Bahn für cine Teilgeseßgebung freigemaht worden ist. Eine neue Schwierig- leit aber entsteht, wenn man die Materie mit anderen Problemen belastet, mit der Regelung des Privatschulwesens, mit der Erziehung der Kinder aus Mischehen, mit der Teilnahme von Dissidentenkindern am Religionsunterriht. Insbesondere das Zentrum glaubte, die Er- drterung dieser Frage mit dem Antrage verquicken zu sollen, und so ist esdenn gekommen, daß überhaupt keine Negelung zustande kam. Inzwischen hat die Judikatur immer wteder neue Lücken aufgedeckt, sodaß in den leßten Jahren seit 1905 besondere Geseße für Hannover, Nassau, ommern und das vormalige Kurfürstentum Hessen erlassen werden mußten. as find aber Gelegenheitsgeseße, die flagranten Mängeln abhelfen sollten. Die Hoffnung der Yegierung, auf dem Verwältungswege einheitlihe Grundsäße zur Geltung zu bringen, hat sih nicht erfüllt, und ein solcher Ausweg erscheint mir auch nicht angezeigt. Im Gegen- teil ist neuerdings für gewisse Gebiete durch Gerichtsentscheidungen ¡weifelhaft geworden, ob geseßlih eine Schulpflicht überhaupt besteht. Da stellt sich denn do die dringlihe Notwendigkeit eines einheit- lien Geseßes heraus, welches Schulpfliht und Schulzwang für die ganze Monarchie regelt. Die von der Regierung vorgebrachten dilatorischen Einwände, die Nücksiht auf die Regelung des Fort- bildungs\hulwesens oder auf die bevorstehende anderweite Organisation der Verwaltung, sind unhaltbar, wie ganz besonders au der im

(nl.) hält es für die Hauptaufgabe der als es durch die

vorigen Jahre von D. Hackenberg erstattete Kommissionsberiht nach- weist. Der „alte Friß“ hat im Generallandsculreglement einheit- liche Bestimmungen für die Dauer der Schulpfl:cht und für die Strafen ‘zur Geltung gebracht; er würde, könnte er heute wieder- kommen, diejenigen, die daran {huld find, daß in dem Einheitsstaate Leg gleiche noch nicht erreiht werden konnte, seinen Krückstock fühlen assen.

Abg. He ckenroth (fons.): Wir halten die Regelung der an- geregten Frage für wünshensmert. Die Buni!scheckigkeit auf diesem Gebiete hat manche Schwierigkeiten nah \fich gezogen für unsere Schulbehörden wie für unsere Bevölkerung, Aber wir verhehlen uns dabet au nicht, daß die Regelung der Materie Schwierigkeiten in fich birgt. Wir haben in der Kommission vernommen, p eine große Partei ihrerseits Bedenken dieser Frage gegenüber hat, über die man niht ohne weiteres hinweggehen kann. Dtese Bedenken liegen auf dem Gebiete der Privatschulen, der Unterbringung der Kinder in aus- ländischen Schulen und der Teilnahme der Dissidentenkinder am Neligionsunterriht. Wenn es uns gelingen sollte, dic Negelung auf das zu beshränken, was wir als wünschenswert ansehen, alles ‘aus- zuschalten, was nicht ganz unmittelbar mit der Dauer der Schul- pflicht und mit den Strafen für unents{uldigte Schulversäumnis zu- sammenhängt, dann würden wir es allerdings begrüßen, wenn uns die Staalsregierung einen dahingehenden Geseßentwurf vorlegte. In diesem Sinne sind wir bereit, in der Unterrichtskommission zu ver- suchen, eine Einigung ter Parteien herbeizuführen.

Abg. Dr. I der h o f f (freikons.): Wir haben bereits wiederholt im diesem Hause Anträge gestellt, die darauf abzielen, diese Materie geseßlih zu regeln. Inzwischen sind Spezialgeseße erlassen worden, die aber ledigli Gelegenheitsgeseße sind, ungeeignet, den yor- handenen Mißständen in vollem Umfange abzuhelfen. Auch die Ver- waltungêmaßnahmen find nicht als ausreihend zu bezeichnen. Es besteht somit das Bedürfnis, die Dauer der Schulpfliht und die Strafen neu zu regeln. Eine neue Beratung in einer Kommission würde ih nicht für nötig halten, wenn der Maler niht nach- gewiesen bätte, daß es einer Prüfung bedarf, ob überall die Schul- pflicht in der Monarchie geseßlich zweifellos begründet ift. Wenn wir dabei prüfen, welhe Ausnahmen von dieser Schulpflicht zuzulassen sind, so kommen rotir damit zu der Regelung der Frage, wieweit der Privatunterriht als Ersaß anzusehen ist, auf die Frage des NReligionsunterrihts der Dissidentenkinder usw. Man follte sich bemühen, die Negelung zu beschränken auf die Dauer der Schulpflicht und die Besixafung der Schulversäumnisse. Sollte das gelingen, fo brauchte die Staatsregierung nicht Anstand zu nehmen, in der nädtsten Session einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Wir sind“ der Meinung, daß die Sha lien welche den Gegenstand des Antrages bilden, nur im Zusammenhang mit anderen wichtigen Fragen behandelt werden können. Unsere Bedenken rihten sich nit gegen Nr. 1 des Antrages, denn auch wir erkennen an, daß die Verschiedenheiten in etnzelnen Landesteilen mit Unzuträglichkeiten auch rechtliher Natur verbunden find. Unsere Bedenken richten sch gegen Nr. 2, betreffend die Strafen für ungerechtfertigte Schulversäumnis. Was ist eine gerecht- fertigte Strafe? Wenn ein Dissidentenkind vom Neligionsunterricht fern gehalten wird, ist das eine ungerechtfecrtigte Schulversäumnis oder niht? Ist es eine strafbare Handlung, wenn Eltern ihre Kinder in einem ausländischen Penfionat erziehen lassen? Ist es strafbar, wenn die Eltern thre Kinder Lehrern entziehen, die ihrer Auffassung über Kindererziehung nicht entsprehen, und für diesen Unterricht einen Ersay bieten? Wir meinen, daß das Korrelat des Schulzwanges die Unterrichtsfreiheit sein muß. In demselben Sinne hat sich seinerzeit auch der Abg. Eugen Richter gegenüber dem nationalliberalen Nbg. Eneccerus ausgesprohen. Wir wollen die Sache nech einmal in der Unterrihtskommission erörtern und versuchen, einen Gesetzentwurf zu verabschieden, der ih zunächst auf die Dauer der Schulpflicht und die Art der Strafen bezieht.

Abg. Hoff (fortschr._ Volksp.): Meine politischen Freunde stimmen dem Antrage zu. In der Tat kann es auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden, daß in- einem einbeitlihen Staate auf dem Gebiet der Schulversäumnisse eine so große Buntscheckigkeit besteht. Die berechtigte Eigentümlichkeit, daß die Knaben erst mit 16, die Mädchen mit 14 Jahren entlassen werden, möchte ih aufrecht erhalten wissen. Der Abg. Dr. Dittrih will anscheinend einige Zentrums- wünsche mit dicser Vorlage verknüpfen. Wenn das geschehen sollte, dann müssen wir allerdings gegen den Antrag sein. Hoffentlih wird uns bald ein Gesetz vorgelegt, damit es sih zeigt, daß die Kultur- aufgaben in Preußen nicht leiden.

Abg. H tr | ch - Berlin (Soz.): Es ist recht bezeichnend, daß ein folher Antrag {hon zum fünften Male das Haus beschäftigen mußte. Aber das ist bezeihnend für die Kulturfreundlihkeit der Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses. Die Frage der be- rechtigten und unberehtigten Schulversäumnisse sollte man nit auf- rollen, wenn ein E Gesetz zustande kommen foll. Aber wenn es das Zentrum will, dann möchte ih erklären, daß wir z. B. die Be- urlaubung von Kindern zu Erntearbeiten für eine ungerechtfertigte Schulversäumnis halten. Das Zustandekommen eines allgemeinen Volksschulgesezes halte ich für agel GLg!jen, folange das Zentrum seine Sonderwünsche durchdrüccken will.

Abg. Kurzaws kt (Pole): Ih stehe dem Antrag wohlwollend gegenüber. Die Schulversäumnisstrafen halten wir für nötig; wir wünschen jedoch, daß die Strafen niht durch nachgeordnete Beamte erteilt werden, sondern nach dem Prinzip der Gerechtigkeit. Es ist vor-

ekommen, daß Kinder mit Schulstrafen belegt worden find, obwohl

fie anwesend waren, aber deshalb, weil sie „geistig abwesend“ waren. Es ist sogar vorgekommen, daß eine Witwe, die eine Schulstrafe nicht zahlen konnte, in das Untersuhungsgefängnis gebracht wurde und dort verbrannte. Die Strafen müssen deshalb geseßlih geregelt werden. Ich bin für Ueberweisung an die Schulkommission.

Damit schließt die Debatte.

Nach einem Schlußwort des Antragstellers Dr. Gott- \cchalf (nl.) wird der Antrag an die Ünterrichtskommission verwiesen.

Es folat die Beratung der Anträge der Abgg. Aron - sohn (fortshr. Volksp.) u. Gen.:

1) die Königlihe Staatsregierung zu ersuchen, die Be - fuanisle der UrbeiterausMl fe t den staats lichen Betrieben dahin zu erweitern, daß die Ausschüsse über die Lohnhöhe und über die Festseßung der Akkordsäßze gehört werden,

2) die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in allen staat- lien Betrieben den Mitgliedern der Arbei ter- aus\chüsse und den anderen im Ehrenamt tätigen Arbeitern dieselben Sicherungen ihres Arbeitsverhältnisses zu gewähren, welche dur die neue Berggeseßgebung den Sicherheits- männern gewährleistet sind.

Abg. Dr. Fle f ch (fortshr. Volksp.): Diese Forderungen sind nichts anderes als Wünsche, die {hon oft im Neichstage und auch hier im Hause zur Sicherung der Mitglieder der Arbeiterausfüsse er- hoben worden sind, und denen das Zentrum eigentli auch zustimmen müßte. Man wird uns wieder entgegnen, daß diese Anträge nicht durchführbar sind. Aber ih erinnere mi aus meiner Tätigkeit als Schiedsrichter,! als ih zum ersten Male vorshlug, daß die Arbeit- geber mit den Arbeiterorganisationen unterhandeln sollten : da wurde mir auch von jener Seite gesagt, das ist unmöglich. Und doch ist es vielfah mögli geworden. Auch in der Frage der Arbeitgebernahweise sträubte man sih anfangs dagegen, daß auch Arbeiter zur Kontrolle herangezogen werden follten. Und doch ist es möglich geworden. Die Arbeiterausshüsse stecken jeßt noch in den Kindershuhen. Sie müssen erst entwickelt werden, und diesem Zwecke soll unser Antrag dienen. Wir haben im Staate noch massenhaft Betriebe mit großen Arbeiter- zahlen, wo noh gar keine Ausschüsse bestehen. *

Ministerialdirektor Hoff: Gegenüber dem erslen Antrage weise ih darauf hin, daß die Staatseisenbahnverwaltung und ebenso das

Handeminsierium sckon jeßt die Anordnung getroffen hat, daß die rbeiter Gelegenheit haben, über Lohnverhältnisse zu sprehen und Anträge zu stellen. Im Jahre 1910 find in unseren Arbeiter- ausschüssen im ganzen 5482 Angelegenheiten zur Sprache gebraht worden. Darunter befanden si 1920, d. f. mebr als der dritte Teil, die Löhne betrafen. Mehr als der Hälfte der Anträge ist dann auch Folge gegeben worden. Sie sehen also, daß diese Anordnungen durchaus nit auf dem Papier stehen. Betreffs der Akordsäße wäre es nicht zweckmäßig, die Arbeiter- ausshüsse zu hören, weder im Interesse der Verwaltung, noch im Interesse der Arbeiter selbst. Jetzt wird {on so verfahren, daß niht nur ein Arbeiter, sondern mehrere Arbeiter gehört werden. Diese machen Proben, und nah diesen Proben werden die Preise mit den Leuten vereinbart. Das ist das Nichtige, nicht daß ‘eiw Arbeiteraus\{chuß gehört wird, der sich aus allen möglichen Per- sonen zusammenseßzt. In der Eisenbahnverwaltung haben wir jeßt hon die Bestimmung, daß ein Aus\schußmitglied nicht ohne An- ordnung der Eisenbahndirektion entlassen werden kann. Auch darüber hinaus steht es dem Arbeiter noch frei, an den Minister zu gehen. Der Minister würde in einem solchen Falle die Angelegenheit noch einmal eingehend prüfen und Remet ur eintreten lassen, wenn ein Bedürfnis bestände. Diese Bestimmungen genügen vollauf. Sie dürfen uns au zutrauen, daß wir den Staatsarbeitern ein menschen- freundliches Entgegenkommen zeigen. Wir freuen uns, wenn wir mit ihnen in bester Harmonie zusammenarbeiten können. Die Be- stimmungen für die Sicherheitsmänner in der Beraverwaltung lasen sich aber gar nit auf diese Aus\{hü}e anwenden. Diese Vorschriften find da dar Jon worden, weil die Sicherheitsmänner eine Art sach- verständiger Bergpolizei ausüben. Es liegt also kein Bedürfnis vor, in den Vorschriften für die Arbeiteraus\{üsse noch weiter zu gehen.

Abg. Graf von der Groeben (kons.): Die Ausführungen des Negierungskommissars haben bewiesen, daß ein Bedürfnis für die Anträge nah keirer Nichtung vorliegt, weder für die staatlichen Be- triebe, noch für die Arbeiter selbst. Wir werden daber die Anträge ablehnen ; wir wollen weder das Verantwortungegefühl der Regierung shwächen, das geschwäht werden könnte, wenn die Anträge an- genommen werden, noch die Interessen der Arbeiter schädigen, die durch die Arbeiterauss{chüsse nur aufgereizt werden.

Abg. Dr. Wagner - Breslau (freikonf.): Die Arbeiterauss{üsse sind bei den Staatseisenbahnen seit Jahren in Tätigkeit, sie wurden zuerst in den Werkstätten eingeführt und dann auh auf die weiteren Betriebe ausgedehnt. Es liegen also Erfahrungen vor. Die Leistungen der Arbeiteraus\{hüsse haben fich nach der Aussage der Interessenten selbst wesentlich gebessert, und wenn man im vorigen Jahre in Breslau in einer großen Eisenbahnarbeiter- versammlung gehört hat, daß die Arbeiteraue\chüfe- das nicht leisten, was sie sollen, weil Leute hineingewählt werden, die gar nicht ge- eignet sind, die Interessen der Arbeiter zu vertreten, so müssen die Arbeiter doch selbst wissen, welche Leute ihre Interessen sachlich ver- treten können. Aber leider find andere als sachliche Erwägungen bei der Wahl der Mitglieder maßgebend, und da kann man ih nicht wundern, wenn die Arbeiteraus|{chüsse zum Teil sehr stark zu wünschen lassen. Meine Freunde waren nicht abgeneigt, den Antrag wegen der Anhörung der Arbeiteraus\hüsse bei der Sestschung der Löhne und Akkordsäße in einer Kommission einer weiteren Prüfung zu unterwerfen, aber nah den Ausführungen des Negierungskommissars erscheint mir das alles nicht mehr nötig; denn worauf es ankommt, das ist ja durch die Ausführungen des Kommissars vollkommen festgestellt. Die Arbeiter sollen gehört werden. Das ist doc der Wunsch des Antrages, und der Negierungskommissar hat festgestellt, daß die Arbeiteraus\{üsse in allen diefen wesentlichen Fragen gehört werden. Ich sehe also niht ein, was dieser Antrag noch soll, der lediglih etwas Bestehentes bestätigt. So freundlich wir der Sache gegenüberstehen, erscheint uns der Antrag niht mehr not- wendig, wir werden ihn daher ablehnen. Den anderen Antrag werden wir grundsäßlih deshalb ablehnen, weil das Institut der Sicßerhcits- männer ein ganz exzeptionelles ist, ein Unikum, das gerade nur für den einen Zweck vorgesehen war und, wie damals bei den Beratungen betont worden ist, auf die besonderen Verhältnisse des Bergwerks- betriebes beschränkt werden sollte, Man machte sich \chon damals klar, wohin es führen sollte, wenn die Sicherheitsmänner auf alle anderen, z. B. handwerksmäßige Betriebe, auêgedehnt werden sollten. Daß dadurch die Arbeiten gebessert würden, wird man kaum sagen können. Die Berichte aus Belgien und England über das: Institut der Sicherheitsmänner enthalten nit gerade viel Günstiges, aber die Parteien, die das Institut der Sicherbeitsmänner an- genommen haben, haben geglaubt, daß man dem Verantwortungs- gefühl der Arbeiter diese allerdings niht kleine Aufgabe übertragen könnte, weil dadurch die Leitung der einzelnen Unternehmungen und auch die Bergbehörde von einer sehr großen Verantwortung entlastet werden können. Wir wollen hoffen, daß das Institut der Sicherheitsmänner sih so ausgestaltet, daß es allen Anforderungen entspricht, L i

Abg. Heine (nl.): Meine Freunde haben die Anhörung der Wünsche der Staatsacbeiter immer für nötig gehalten ; mein Freund Schroeder-Cassel hat sih 1910 und 1911 dafür ausgesprechen , daß alle Lohnänderungen in den Arbeiteraus\hüssen besprohen werden müßten. Die Arbeiter müssen darüber aufgeklärt werden, weshalb Lohnändes- rungen stattfinden müssen. Dasselbe gilt für die Akkordsäß-; denn es muß jeder Arbeiter von vornherein beurteilen können, was er verdienen kann. Jedoch kann diese Frage nur unter Zustimmung der Leitung der Staatébetriebe befriedigend gelöst werden, und der Negierungskommissar hat gebeten, den Anträgen keine Folge zu geben. Die Festseßung der Akkordsäße is allerdings eine andere, als der Regterungskommissar annimmt... Wir tun nicht gut, den ersten Antrag ohne weiteres abzulehnen, denn man foll alles tun, um Be- ruhigung bei unseren Staatsarbeitern zu schaffen. Es herrscht aber gerade A tufelebenkeit über die Festseßung der Akkordsäße. Wir

As daher, den ersteren Antrag an die Budgetkommission zu

überweisen. Der zweite Antrag ist eigentlih nicht nötig. Weshalb sollen wir die Sicherheitsmänner im Bergbetriebe hier berücksihtigen 2 Denn dort sind ganz andere Verhältnisse als in den anderen Staats- betrieben. „Aber man könnte auch dabei mancherlei erwägen, und i beantrage, au diesen Antrag der Budgetkommission zu überweisen. Abg. Beyer - Dortmund (Zentr.): Namens meiner Freunde beantrage ih ebenfalls, beide Anträge der Kommission zu überweisen. Meine ¿Freunde find von jeher dafür gewesen, daß die Arbeiteraus\{ü}e bei Lohnfragen gutachtlich E werden. Ih wundere mich, daß der Negierungskommissar sagt, daß bei der Festsetzung der Afkkordsäte vorher roben gemacht werden. Nein, Herr Kommissar, das ist nit der Fall. Am 1. August v. I. stellte der Arbeiteraus\chuß in Essen unter Teilnahme des Oberbaurats Köhler und eines anderen Geheimen Negierungsrats den Antrag, die s{lechtesten Akordsäße zu erhöhen : mir als Antragsteller wurde später mitgeteilt, die Sache werde untersucht, und heute nah sieben Monaten ist die Untersuhung noch nit abgeschlossen! Wenn aber ein Werkmeister in eine andere Werkstätte verseßt wird, so betrahtet er es als seine erste Aufgabe, die Afffordlöhne zu prüfen, und wenn erx eine Herabseßung beantragt, werden die LWhne innerhalb von aht Tagen, ohne daß ein Arbeiter befragt ist, heruntergeseßt. «Der Antrag will nur, daß bei Lohnerhöhungen die Arbeiteraus üsse vorher gehört werden, damit das Wohlwollen, das von der Regierung. und dem Hause den Arbeitern entgegengebraht wird, nicht von den unteren Instanzen durhkreuzt wird. Eine Anordnung des Ministers über Lohnänderungen ist einfach über den R geworfen worden. Die Proben für die Akkordsäße beziehen sich nur darauf, daß man auf eine andere Aordidee gekommen ist, auf die Idee des sogenannten Zeitakkords, und da wurden von einzelnen Arbeitern Proben gemacht, und dann nah den Erfahrungen damit sollte der Zeitakkord beurteilt werden. Gerade das Akkordsystem ist fortwährend ein Zankapfel und die Ursache der Unzufriedenheit in den Eisenbahnwerkstätten. Als ein- mal in Essen der Arbeiteraus\{uß die Lohnerhöhung auf die Tages- ordnung seßte, erklärte der Oberbaurat Köhler, die Arbeiter mögen nur zum Abgeordneten Beyer gehen, er müsse erst eine Million bewilligen. Die Mitglieder der Arbeiteraus\{üsse sollen nur von den Eisenbahn=