1912 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Feb 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Von 1898 ab suchte man nun mittels der sogenannten Spannungs. theorie den Effekt zu erzielen, daß im Verlaufe mehrerer Jahre Matrifkularbeiträge und Ueberweisungen {ih ausglichen. Dann bildeten sh allmählich die bestimmt bemessenen Matrikularbeiträge, aber zunächst in dem Sinne, daß man davon au®ging, es set den Bundes- staaten unmögli, mehr als 40 „L auf den Kopf der Be- vlferung Matrikularbeiträge zu bezahlen, und man müsse versuchen, mit diesem Betrage so lange und so gut, wie es gehe, auszukommen. Und daraus entstand dann das Institut der ge- \stundeten Matrikularbeiträge (Heiterkeit), welhes bekanntlich einer Hedingten Anleihe ganz zum Verwechseln ähnlih fieht (Heiterkeit), besonders wenn man bedenkt, daß die betreffenden Etats außerdem mnoh den Keim sehr großer Fehlbeträge in fih trugen. j

Meine Herren, war diese Zeit eine folche der größten Unsicher- heit für das Reich und des \{wersten Niederganges der Reichsfinanzen, fo hat sie au keineswegs den Bundesstaaten die von ihnen gewünschte Sicherheit gebraht; denn über ihnen {webt nun unausgeseßt wie eine drüdende Wolke die Wiedereinziehung der gestundeten Matrikular- beiträge. So ist die Geschichte der Matrikularbeiträge etne Leidens- geschichte für beide Teile, eine Quelle steter Unsicherheit der Finanzen sowohl des Reichs, wie der Bundesstaaten; denn auch diesen hat die Zeit, in welcher sie die großen Ueberweisungen erhielten, keineswegs durchweg zum Heile gereicht.

Dagegen bildet sich seit 1909 ein zwar nicht auf Gefeß beruhender Beharrungszustand des Inhalts: 80 H Matrikularbeiträge, Fehl- beträge und Uebershüsse zugunsten und zu Lasten des Reichs, und zwar sowohl in der allgemeinen Reichsrehnung wie bei den allein verbliebenen Ueberweisungssteuern, der Branntweinsteuer. Das sind also drei Ausstrahlungen eines und desfelben Grundgedankens:. die Bundesstaaten zahlen auf Gedeih und Verderb 80 „Z an das Reich.

Meine Herren, es läßt sih unmöglich bestreiten, daß diese auf

gegenseitiger fortlaufender Verständigung beruhende und vom Reichs- tage stets gutgeheißene Uebung den Finanzen des Reichs und auch denen der Bundesstaaten eine Sicherheit gebracht hat, welche ihnen bisher vollkommen abging. Wie man immer für die Zukunft über die Gestaltung des Matrikularwesens denken mag, meine Herren, große Experimente können wir auf diesem Gebiete fürderhin niht mehr an- stellen. (Sehr richtig! links.) Die Matrikularbeiträge sind nah wie vor ein wünshenswertes und unentbehrlihes Bindeglied zwischen Reich und Bundesstaaten. Aber einer der wesentlichsten Bestandteile der Reichseinnahmen find sie niht mehr, und können sie niht mehr werden aus tem einfahen Grunde, weil die Leistungsfähigkeit der Bundes- staaten gegenüber dem ungeheuerlih gestiegenen Heihsbedarf keines8- wegs eine unbegrenzte ist, jeßt noch wenige! als früher, nahdem das Neich sein eigenes Steuergebiet wesentlich ausgedehnt und den steuerlihen Zugriff der Bundesstaaten in entsp@chender Weise ein- geshränkt hat. Es ist wiederholt anerkannt worden, daß die Bundes- staaten, inébesondere viele ver feineren, außerstande sind, die Lasten des Reichs neben den eigenen Staatslasten noch ohne eine Begrenzung zu tragen. Wollten wir gleihwohl den bequemen Verfassungêweg gehen und ihnen einen Mehrbedarf aufdrängen, so hieße dies nichts anderes, als sich die gegenwärtige Verlegenheit in derselben Weise von der Seele zu schaffen, wie es auch auf andere Weise, also z. B. durch Strecken von Einnahmen oder durch Aufnehmen von Anleihen, gesehen kann und geschehen ist. Es läßt sich unschwer prophezeien, daß ein solcher, der anderen Seite zugeworfener Ball bald auf das Reich rikoschettiert. Wir haben dafür ein lebendes Beispiel in Ge- stalt der gestundeten Matrikularbeiträge und Fehlbeträge von 1906 bis 1908, mit denen der Etatsgeseßentwurf im § 4 sich nochmals zu befassen Veranlassung hat. Wollen wir bei entstehendem Mehrbedarf nit ein bloßes Beruhigungsmittel wählen, welches nacher um so größere Unruhe \{chaft, wollen wir der Deckungsfrage nahdrücklich ins Auge sehen, so müssen wir unser eigenes Feld bearbeiten, den Boden der NReichsabgaben.

/ Meine Herren, wenn man das Verhältnis zwishen Reih und Bundesstaaten fo auffaßt, so ist auch nicht zu erkennen, weshalk es die erste Sorge sein müßte, mit entstehenden Uebershüssen die nach oben begrenzten Matrikularbeiträge noch weiter herabzumindern. (Abgeordneter Erzberger: Sehr richtig!) Ueberschüsse und Fehl- beträge sind die Begleitersheinungen des wichtigsten Teils der Neichseinnahmen, nämlih der Zölle und Steuern, daneben auch der Post- und Eisenbahneinnahmen, und sie müssen naturgemäß bei diesen Einnahmequellen ihren Ausgleih finden. In den Uebershüssen und Fehlbeträgen prägt si zugleih der Geist der jeweiligen Finanzpolitik aus. In dieser Beziehung unterscheiden sih die drei leßten Jahr- zehnte einigermaßen voneinander. In den achtziger Jahren hatten wir fast regelmäßig Fehlbeträge, aber von sehr geringer Höhe; das Jahrzehnt von 1890 ab bringt meist Uebershüsse, und zwar sowohl bei den Zöllen und Steuern, wie au beim gesamten Neichshaushaltsabs{luß. Dagegen finden wir in den Jahren 1900 bis 1909, mit Ausnahme der Jahre 1905 und 1906, wtederum Fehlbeträge, die in den überaus großen Defizits von 1908 und 1909 ihren Kulminationspunkt fanden. Im Sahre 1910 haben wir dann wieder einen Uebershuß zu verzeihnen, und zwar im Betrage von 117,7 Millionen Mark. (Abg. Erzberger : Hört, hört!) Er besteht aus Mehreinnahmen von 58 Milltonen Mark bei den Zöllen und Steuern, von 23 Millionen bei der Post, 13 Milltonen bei den Eisenbahnen und 3} Millionen beim Bank- wesen, ferner aus Minderauëgaben von 21 Millionen Mark, im einzelnen besonders bei der Reichsshuld, beim Heere, bei dem Pensions- fonds, dem Reichsamt des Innern und der Marine.

Man wird sagen dürfen, meine Herren, daß diese Mehrerträge an sich normal waren, hervorgerufen durch die günstige Entwiklung der neuen Einnahmequellen, durch eine günstige Wirtschaftslage und durch eine vorsihtige Haushaltsführung. ;

Dagegen haben die Ergebnisse von 1911 entschieden einige Punkte, welche über das Normale hinausgehen, und zwar zunächst bei den Getreidezöllen, welche bei dem zu erwartenden Uebershuß an der Spitze stehen dürften. Die Mehreinnahme von Getreide- zöllen war im ersten Halbjahr des laufenden Rechnungsjahres eine große und in den Monaten Juni und Juli fogar eine außerordentlich große; seitdem hat sie wieder abgenommen, und es ist namentli auch wegen der Anrechnung der Einfuhrscheine (hôrt, hört! links) noch nicht mit Sicherheit vorauszusehen, welche Erträge am Schlusse des Etatsjahres sich ergeben werden, ob der jeßt geschäßte Mehrertrag von 45 Millionen sich halten wird. Auf alle Fälle aber, meine Herren, ist diese Mehreinnähme dem Jahre 1911 eigentümlih und kann, bei der Schätzung für die folgenden Jahre niht mitgerehnet

werden.

Aehnliches gilt von der Zuckersteuer, mit welcher wir uns soeben beinahe beschäftigt hätten. (Heiterkeit.) Meine Herren, sie hat voraussihtlich einen Mehrertrag von 18 Millionen Mark im Jahre 1911. Davon entfallen aber 13 Millionen Mark auf die Vor- versorgung, welche stattfand, als die ungünstige Rübenernte bekannt wurde. Dieser Mehrertrag wird sich also im kommenden Jahre nit nur nicht wiederholen, sondern er wird das nächste Jahr \ogar ungünstig beeinflussen. Da außerdem die Lage des Zuckermarktes gegenwärtig durhaus unsicher ist, so sind wir nit in der Lage, für 1912 an Zuersteuer mehr einzuseßen, sondern seßen sogar die Schäßung von 1911 noch um 7 Millionen Mark herab.

Endlich ist eigenartig dem Jahre 1911 die Ueberkontingentsabgabe für Kali im Betrage von 64 Millionen Mark, gleihfalls ein einmaliger Posten.

Meine Herren, einen großen Anteil an den Mehrergebnissen für 1911 haben diejenigen Zölle und Steuern, welhe im Jahre 1909 neu eingeführt oder umgestaltet worden sind. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Sie bringen voraussihtlih gegen den Anschlag von 1911 ein Mehr von 64 Millionen Mark (hört! hört! rechts und in der Mitte) und gegen das tatsählihe Ergebnis von 1910 78 Millionen Mark. (Hört! hört! rechts und in der Mitte.) Voran steht dabei der Branntwein mit 27 Millionen Mark, dann folgt der Tabak mit 20 Millionen Mark. (Hört! hört!) Das Tabakgeschäft ist für die Neichskasse in leßter Zeit recht günstig ver- laufen, wenngleich die Steuer auf inländishen Tabak nachgelassen hat. Es folgen dann die umgestalteten Börsensteuern mit 14 Millionen Mark mehr, wobei ich wohl gleich erwähnen darf, daß hier avs dem Lager der alten Steuern noch ein Mehr von 94 Millionen Mark, nämlih beim Kaufstempel, hinzustößt.

Dann sind an Mehr zu erwähnen die Steuern aus Leuchtmitteln mit 3 Millionen Mark, aus Zündwaren mit 24 Millionen Mark und aus dem Bier mit 2 Millionen Mark.

Der Stempel für Grundstülksübertragungen stieg im Sahre 1910 zweimal zu ungewöhnlicher Höhe, nämlich erst im April/ Mai bei Einbringung des Zuwachssteuergeseßes und dann wieder im September/ Oktober, als die Wiederaufnahme der Beratungen über das Zuwachssteuergeseß unmittelbar bevorstand. Demgemäß bringen gerade diese Monate des folgenden Jahres geringere Erträge Indessen ist der Grundstücksstempel in den leßten Monaten im wesentlichen {hon wieder auf den Betrag gestiegen, den er in den entsyrehenden Monaten des Vorjahres hatte. Was aber die Zuwachssteuer selbst anlangt, so kamen für sie leider die ersten Monate des neuen NRechnungsjahres überhaupt nicht in Betracht, weil der Erlaß der Ausführungsbestimmungen und die Organisation der Zuwachssteuerämter in allen Bundesstaaten sehr geraume Zeit in Anspruch nahm. Auch jeßt hat sich das Geseß zwar in dem größten Teil des Reiches, aber noch keineswegs überall vollständig eingelebt. (Sehr richtig! rechts.) Immerhin sind aber den Sommermonaten, in welchen die Erträgnisse sich nur auf je einige Hunderttausende von Ma1k beliefen, die Monate Oktober, No- vember und Dezember mit einem durchschnittlichen Ertrag von etwa 1,1 Millionen Mark gefolgt (hört! hört! rechts und in der Mitte); und im Sanuar 1912 hat der Ertrag fih auf 1 636 689 4 belaufen. (Hört, hört! in der Mitte.) Wenn man diese Zahl und das Fortschreiten der Zahlen zu Grunde legt, so ist die Erreihung des Beharrungs- zustandes keineswegs außerhalb des Bereihs der Möglichkeit. Be- stimmtes kann ih aber darüber noch nicht sagen, nur so viel möchte ih hinzufügen, daß allerdings die Bestimmungen des Geseßes über die Zurehnungen zum Erwerbtpreise und die Abzüge vom Ver- äußerungspreise den Wirkungsbereih der Steuer ganz ungemein ein- engen. (Sehr richtig! recht.) Das haben Sie aber selbst mit- gemacht. (Heiterkeit.)

Der Wecchselstempel hat si elwas gebessert, der Scheck- stempel aber niht. (Hört! Hört! links.) Von den alten Steuern wird die Erbschaftssteuer etwa 43 Millionen Mark bringen, das find 4 Millionen mehr als ges{äßt.

Mäßtige Ueberschüsse liefern die Abgaben für Fahrkarten, Fracht urkunden, Kraftfahrzeuge, Nennwetten und Auf- fihtsratstantiemen.

Die Salzsteuer zeigt eine unerwartete Stockung, wahrscheinli deshalb, weil weniger Gartenerzeugnisse im leßten Herbst eingemaht worden find. (Heiterkeit.)

Meine Herren, nah dem, was ich den Getreidezöllen zu der Zuckersteuer und zu der Kaliabgabe sagen durste, kann es niht wundernehmen, daß sih das tatsächlihe Ergebnis für 1911 in den Schätzungen für 1912 nicht vollständig widersptegelt. Immerhin is der Fortschritt von 1912 gegen 1911 gegen- über demjenigen von 1910 auf 1911 ein wesentlich größerer. Wir hatten im Jahre 1911 ein Mehr von 49 Millionen eingeseßt, dagegen beläuft es sich in 1912%auf 78 Millionen. (Hört! hört! in der Mitte.) Das ist reihlich, aber doch wohl noch vorsichtig ges{ägßt. Hier ist es eben, wo die Wege einer nur auf das Gleichgewicht des nächsten Etats bedahten und einer auf eine längere Periode vor- bedachten Finanzverwaltung auseinandergehen. Früher war es fast die Regel, daß man nah einem in der Vergangenheit liegenden Durchschnitt shematisch s{chäßte. Man darf dieses Hilfsmittel auh in keiner Weise verschmähen, aber man muß nach meiner Ansicht dke Verhältnisse des einzelnen Falles mehr berücksichtigen, auh die offen- sihtlich niht wiederkehrenden Einnahmen ausscheiden und, wie ih es jedenfalls tue, bei manchen der übrigen Einnahmen einen Sicherheits- gürtel zwischen sch und ein Defizit legen, fo z. B. bei den Börsen- steuern, die einen regelmäßigen Fortschritt unmöglich haben können. Ich muß meinerseits der Rückkehr zu dem älteren System auf das dringendste widerraten, jedem widerraten, dem gesunde Finanzen am Herzen liegen.

Meine Herren, der Fortschritt der gesamten Zoll- und Steuereinnahmen veranschauliht sich so: im Durchschnitt der beiden Jahre 1907 und 1908 sind je 1159 Millionen eingeseßt, da- gegen im Jahre 1909 1358 Millionen, 1910 1513 Millionen und 1911 ficher über 1600 Millionen. Für 1912 haben wir, wie ih {on erwähnen durfte, 1594 Millionen einges{äßt.

Was die übrigen Einnahmen anlangt, so entwickeln sie sich im ganzen durhaus normal. Post und Eisenbahn haben etnen erfreulihen Mehrüberschuß zu verzeihnen, der uns befähigt, für das Jahr 1912 troy erheblich gestiegener Mehrausgaben ein Gesamtmehr von 25 Millionen einzuseßen.

Die übrigen Einnakmnen zeigen keine besonderen Abweichungen von dem ruhigen Entwicklungsgange. Zum ersten Male erscheint in dem Etat ein Zuschuß aus dem Hinterbliebenenversicherungs, fonds, und zwar in dem Etat der allgemeinen Finanzverwaltung, der gleihfalls eine Neuerung ist. Der Hinterbliebenenversicherungs- fonds beläuft \sich jeßt auf 474 Millionen Mark, die sämtlih aus dem Jahre 1907 stammen. In diesem Jahre wird er, wenn man nur die 9 Monate rechnet, für welhe er geseßlich noch ofen ist, wahrseinlich einen Zushuß von etwa 44 Millionen Mark erhalten; müßte man aber, was ih hier niht entscheiden will, bis zum S{hluß des Nechnungsjahres durchrehnen, so würde dieser Betrag wahr- sheinlih wieder eins{chwinden.

Meine Herren, die Unruhen in China werden unsere Ein- nahmeverhältnisse für 1911 vorausihtlichß beeinflussen, weil die chinesishe Regierung mit Entschädigungszahlungen im Betrage von 3 Millionen Mark rückständig ist. Ich darf hier wohl gleih er- wähnen, daß wir für 1912 zur Wahrung unserer Interessen in China und zur Erhaltung der Besatzung in Kiautshou auf dem entsprehenden Stande eine Mehrausgabe haben werden, welhe bei Aufstellung des Etatsentwurfs noch nicht vorausgesehen werden konnte. Soweit die Schätzung jeßt reiht, wird diese Mehrausgabe etwa 650000 4 betragen.

Wenn ich mich nun ganz den Ausgaben zuwende, fo darf ih nahholen, daß wir auch im Jahre 1911 Ersparnisse zu erwarten haben, wenn auch nit ganz in der Höhe von 1910, und zwar haupt- sählih bet dem Kapitel Schuldzinsen, weil, wir längere Zeit eine Anleihe nicht begeben haben. Die einzelnen Zuschußverwaltungen das fann man wohl im allgemeinen sagen gleihen ein Mehr und ein Minder in si selbst aus.

Die Kolonialverwaltung hat eine auf ihrem hiesigen Dienstgrund- tüdck lastende Hypothek im Betrage von 1} Millionen Mark zum Vor- teil außeretatsmäßig abgestoßen.

Beim Auswärtigen Etat stehen sich gegenüber Mehraufwendungen an Reisekosten für das gesandtshaftlihe und Konsulatspersonal und Minderausgaben für deren Gehälter.

Beim Reichsamt des Innern ist eine Mehrausgabe für Unter- stüßungen aus Anlaß von Friedensübungen zu erwähnen, temgegenüber Mehreinnahmen beim Patentamt und beim Kolonialamt.

Heer und Marine haben Mehrausgaben von 3 bis 4 Millionen Mark für Mundverpflegung zu erwarten, dagegen Ersparnisse auf anderen Gebieten, so z. B. beim Pensionsfonds. Meine Herren, eine bessere Ausstattung der Armee mit Flugzeugen und mit Funkengeräten hat sich als dringlich erwiesen. Es werden deshalb über die in den Etats enthaltenen Ansäße hinaus 2 Millionen Mark in dem laufenden Etat außeretatsmäßig ausgegeben. Ihre Zustimmung hierzu wird auf dem vorgeschriebenen Wege erbeten werden.

Meine Herren, was den Etat von 1912 anlangt, so enthält er Mehrausgaben im Betrage von 140,6 Millionen Mark. Aber diese Ziffer verliert fehr viel von ihrem ahtunggebietenden Aussehen, wenn man ihr näher tritt. Zunächst {heiden aus die Ausgaben der Ueberschußverwaltungen in der Höhe von ungefähr 36 Millionen Mark, dann aber und vor allem sind die von mir bereits erwähnten Verschiebungen zwischen dem außerordentlichen und dem ordentlichen Etat zu beachten. Außer der Rate für den Kaiser-Wilhelm-Kanal find auf den ordentlichen Etat noch übergeführt 6,8 Millionen Mark ür die Festungen und 1,8 Millionen Mark für die Ausdehnung des Eisenbahnnetzes im Interesse der Landesverteidigung.

Ferner ift der außerordentlihe Etat der Marine entlastet um etwa 26,4 Millionen Mark, d. h. fast genau um den Betrag, welcher bet einer früheren Bedarfsberehnung ins Auge gefaßt war. Da aber die Zuschußanleihe zu den Schiffsbauten aus dem außerordentlichen Etat größer ih stellt als früher berechnet, so war dieses Ergebnis nur dadurch zu erzielen, daß die Ausgaben für die Wilhelmshavener Werfterweiterung, für den Helgoländer Hafenbau und für die Küsten- befestigung im Gesamtbetrage von 16 Millionen Mark auf den ordent- lihen Etat übernommen wurden. Demgemäß enthält der ordentliche Etat eine Mehrbelastung für die Marine von 25,7 Millionen Mark oder mit anderen Worten: die Marine bleibt, soweit der Etat von 1912 in Betracht kommt, auf fast genau derselben Höhe, wie sie im Sahre 1911 war.

Hiernach korrespondiert also eine Mehrbelastung des ordentlichen Etats um rund 76 Millionen Mark mit einer Entlastung des außer- ordentlihen Etats um 82,5 Millionen Mark. (Abg. Erzberger: hört, hört) In Gegenrehnung steht dann die Summe von 99 Millionen Mark, welche aus dem ordentlihen Etat wegfällt, weil die Abbürdung des Nückstandes von 1909 jetzt erledigt ist. Also alles in allem: die Neinausgabe des ordentlihen Etats von 1912 nah Abzug der Verschiebungen zwischen außerordentlichem und ordentlichen Etat beläuft sich auf ein Mehr von 57,5 Millionen Mark. Hiervon entfallen auf das Heer 53 Millionen und auf die Schuß- gebiete 3 Millionen Mark.

Meine Herren, beim Heere fällt wieder zunächst in die Augen das Mehr von 15 Millionen Mark für die Naturalverpfl-gung. Es ist nur zum Teil, wenn auch zum größeren Teil vorübergehend, weil die Preise jeßt besonders hoch sind, (hört! hört! links) dagegen zum anderen Teile voraus\ichtlich dauernd, weil die Preise des Vorjahres unter dem Durchschnitt waren.

Die Mehrausgaben für das neue Friedenspräsenzgeset, welde 1912 zum ersten Male stärker in die Erscheinung treten, hat der neue Etatsentwurf zu bewältigen vermoht, ebenso die erhöhten Ausgaben für Feldartilleriemunition, Luftschiffe, Funkentelegraphengeräte, fahr- bare Feldküchen und Verbesserung der Unterkunft der Unteroffiziere, au für eine Anzahl von Neubauten und für die nicht ganz geringe Steigerung infolge des Dienstaltersstufensystems.

Meine Herren, was die Kolonien anlangt, so ist das Mehr bei ihnen zum Teil nur etn s{einbares. Im allgemeinen läßt sid sagen, daß die Finanzen der Kolonien gut vorwärts kommen. Cine Ausnahme macht nur Südwestafrika, weil dort vermehrte S{hwierigkeiten in der Diamantenproduktion mit einer ungünstige! Lage des Diamantenmarktes zusammentreffen. Es soll versucht werden, durch eine Aenderung der Diamantenabgaben gleichzeitig die Diamantenförderung zu heben und die Einnahmen des Schub- gebietes zu verbessern. Deshalb hat auch Südwestafrika den weitaus größten Anteil an der gesamten Ausgabenvermehrung. Aber ma" muß hierbei berücksi{htigten, daß dem Etat für 1911 für Südwell- afrika ein Uebershuß an Ersparnissen aus dem Jahre 1908 zustattet

Der Ueberschuß der Nei chsdruckerei wird auch diesmal unter dem Etat bleiben, und zwar um etwa | Million, doch beginnen“ die

Verhältnisse dort si zu bessern.

kam, der aus mehr zufälligen Umständen wesentlich größer war alé

derjerize von 1909, welher auf den Etat von 1912 angeschriebe!

wird. Die Einzelheiten hierüber werden wohl einer späteren Berat"ng vyorzubehalten sein.

Ostafrika hat sehr erfreulihe Fortschritte gemacht. Es ist mögli gewesen, die Bürgschaftszahlung für die ostafrikanische Zentral - bahn vom Etat des Reichs auf den Etat des Schutzgebiets über- zuführen. Ostafrika und Kamerun haben außerdem die Bauzinsen für unvollendete Bahnstrecken und die Baukosten für Erschließungen von dem außerordentlichen auf den ordentlihen Etat zu überführen vermocht. é

Was die Kosten für das jüngst erworbene Gebiet Neu famerun anlangt, so lassen sie sich auch jeßt noch nit für 1912 mit Bestimmtheit übersehen. Zunächst werden die Kosten der Grenz- vermessungéarbeiten zu bestreiten sein.

Die Erhöhung des Reichszuschufses für Neu-Guinea entspricht den Wünschen, welche im Reichstage selbst eine eifrige Förderung ge-

unden ha ben.

Von den übrigen Ausgaben läßt sich auch hier im wesentlichen sagen, daß die Entwicklung durchaus normal ist: so die des Aug- wärtigen Amts, bei denen ih mir erlaube, die Erhöhung des S hul- fonds auf eine Million Mark hervorzuheben, und die des Reichs- amts des Innern, dessen Kleinwohnungsfonds von 2 auf 4 Mils lionen Mark erhöht worden ist. Es treten noch hinzu ein kleines Mehr an Pensionen, desgleihen Mehrausgaben für Veteranenbeihilfen und wiederum ein Mehr für die Familienunterstüßung infolge von Friedensübungen. Der ordentlihe Etat wird außerdem dadur um 7 Millionen mehr belastet, daß nunmehr der Invalidenfonds voll- ständig ershöpft ist. Aber alles dieses wird reihlich ausgeglichen dur eine Ersparnis an Schuldenzinsen, ferner durh Mehreinnahmen in den kleineren Verwaltungszweigen und endlich dadur, daß die Matrikular- beiträge infolge der leßten Volkëzählung in ihrer Endsumme gestiegen sind.

Einen etwas breiteren Naum als in den früheren Etats nehmen diesmal die neuen Beamtenstellen ein. Auf die Dauer lassen sih Personalvermehrungen nicht ganz hintanhalten. Beim Militär sind sie die jeweilige Folge der Friedenspräsenzgeseße und bei den Betriebsverwaltungen sind sie die Folge der Geschäftserhöhung und auch die Vorausseßung für erhöhte Gewinne. Daß aber hierbei Vereinfachung8bestrebungen obwalten, können Sie daraus ent- nehmen, daß die Zahl der höheren Beamten, die sich um 6000 be- wegt, seit 1909 um etwas abgenommen hat, während bei den mittleren Beamten eine Erhöhung von 63 800 auf 67 409 und bei den Unter- beamten von 102 500 auf 106 400 seit 1909 nicht hat aufgehalten werden können. Die Hilfsarbeiterfonds sind seit 1909 von 81 Mil- lionen auf fast 84 Milllonen Mark gestiegen.

Besonders aber ist zu erwähnen, daß bei Ausstattung der Unter - stüßun gsfonds die verbündeten Regierungen genau dieselben Be- strebungen haben, wie sie in Preußen bereits amtlich kundgegeben worden sind. Auch wir {lagen eine Erhöhung der Beamtenunter- stüßungsfonds vor, und zwar um 13 Millionen Mark, d. h. von 5,3 auf 6,8 Millionen Mark. Außerdem hegen wir den Wunsch, daß diese Erhöhung schon jeßt in Wirksamkeit treten möchte. Da aber die Unterstüßungsfonds als Dispositivfonds niht überschreitbar sind, so kann das nur mit Zustimmung des Neichstags ges{hehen. Ich würde aber diese Zustimmung als vorhanden vorausseßen, falls ein Widerspruch im Laufe dieser Etatsberatung nicht erfolgen sollte. Dasselbe Verfahren ist auch in Preußen {on ohne Widerspruch ein- geschlagen worden.

Meine Herren, der Etat von 1912 beruht also in aller Maße auf denselben Grundsäßen wie seine beiden Vorgänger. Er bestreitet die aus der bisherigen Entwicklung hervorgehenden Ausgaben mit den sich weiter entwidckelnden bisherigen Einnahmen und mit 30 „S Matrikularbeiträgen. Er entlastet den außerordentlihen Etat um 80 Millionen Mark und vermindert die Anleihe um 53 Millionen Mark. Befähigt er uns also, die bisherigen Bahnen zu verlassen, die Ausgaben wieder zu nehmen, wo wir sie finden, die Deckung aber der Vorsehung und einem späteren Stadium zu überlassen, in welhem das Wasser uns wieder an die Seele gegangen sein möchte? (Heiterkeit.) Diese Frage würde ungefähr dasselbe bedeuten wie die hon gefallene Bemerkung, wir {wämmen bereits wieder im Golde. (Heiterkeit.) Nein, meine Herren, wir {chwimmen nicht im Golde, wir chwimmen überhaupt nicht. Nein, wir befinden uns auf dem harten Boden realer Tat- und Geldsachen, auf dem s\teintgen und dornigen Wege, den jede Finanzverwaltung, insonderheit die des Reichs zu gehen bat. Auf diesem Wege sind wir ein gutes Stü vorwärts gekommen. Wir haben die außerordentliche Belastung unserer Schaßanweisungsfonds beseitigt, dessen weitere Herabseßung wir also vorschlagen können, und wir bestreiten die laufenden Ausgaben mit laufenden Mitteln. Auf dem Anleihemarkt treten wir nah dem Bedarf als Käufer auf, und die etwas zu große Masse der hauptsächlich 1907 ausgegebenen, verzinslihen Schaß- anweisungen, deren Einlösung oder Verlängerung leiht den Markt in Unruhe verseßen könnte, suchen wir nah Kräften zu mildern. Zu diesem Zweck haben wir uns an einer vor kurzem ausgegebenen preußischen Staatsanleihe mit dem Betrage von 80 Millionen Mark beteiligt. Das alles sind Lebensäußerungen, zu denen jede Finanz- verwaltung verpflichtet ist, welhe sich auf der Höhe und die Finanzen für schwierige Zeitläufte leistungsfähig erhalten will. Sie zeigen, daß unsere finanzielle Kraft sich zu regen beginnt.

Wenn aber der Erfolg der noch nicht ganz vollendeten Wieder- gesundung uns erhalten bleiben soll, so müssen wir auch die Mittel weiter verwenden, mit denen wir so weit gekommen sind. Entsteht ein neuer unabweisliher Mehrbedarf, so darf das niht der Anlaß sein, die jeßigen heilsamen Grundsäße wieder über Bord zu werfen. 8 darf nit der Anlaß sein, daß wir den heilsamen Wahrspruh: leine Ausgabe ohne Deckung, was doch wohl heißen foll: keine Ausgabe ohne Golddeckung —, verwandeln in den Wahrspruch : keine Ausgabe ohne Papierdeckung, ohne Briefdeckung, Wenn das Wohl des Vaterlandes ein Opfer erheischt, so muß es gebraht werden. Meine Herren, die Finanzen sind au ein Teil der Wehrtüchtigkeit des Reichs, au sie müssen gut einexerziert sein, auch sie müssen vor In- und Ausland untadelhaft dastehen und dürfen nicht, wenn auch uur aus Mißverständnis, als morsch und gebrechlich betrahtet und verspottet werden. Sind sie so beschaffen, daß sie Vertrauen ver- dienen, und wird ihnen dieses Vertrauen auch wirkli zuteil, dann dienen sie dem Ansehen Deutschlands und damit einer gedeihlichen friedlihen Entwicklung unseres gesamten Staatslebens. (Bravo! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.)

6. Sißung vom 15. Februar 1912, Nachmittags 1 Uhr. (Beriht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Nach der Annahme des Augs der Abgg. Albrecht und Genossen e Einstellung eines s{chwebenden Strafverfahrens gegen den Abg. Giebel für die Dauer der gegenwärtigen Session seßt das Haus die erste Beratung der Geseßentwürfe, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats und des Haushaltsetats für die Schußgebiete auf das

Ne 1912, fort. Abg. Dr. in seiner Rede, deren An-

Frank (Soz.), , Medi

fang in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilt worden ist, fortfahrend: In wirllGane Beziehung wäre es nach den Wahlen ein Hohn auf die Bevölkerung, wenn die Negierung ant- wortete mit einer Einführung des Kartoffelzolls. Die Oeffnung der Grenzen für ausländishes Gefrierfleisch und die Aufhebung der Futtermittelzölle ist eine Forderung der Konfumenten und der Bieh- züchter. Jn leßter Beziehung stehen Kleinbauern und Groß- grundbesißer auf verschiedenen Seiten. Cine Reform des Beamten- rechts ist weiter nötig. Die Beamten müssen [ih als freie Bürger fühlen, auch die Besserstelung der Soldaten ist erforderlich. Die Erhöhung der Soldatenlöhne für den Mann um 10 5 ist ein einfaches Gebot der Billigkeit und der Gerechtigkeit. Für die Privatbeamten und Angestellten verlangen wir ein Arbeitsreht, Schuß der Erfinder und das Koalitionsrecht. Den Klagen der Schauspieler sollte noch in dieser Session durch ein Theatergeseß abgeholfen werden. Für die Arbeiter müßte ein früherer Fehler des leßten Reichstags gut gemaht werden durch Herabseßung der Altersgrenze für die Rente der Arbeiter vom 70. auf das 65. Lebensjahr. Man empfindet die differentielle Behandlung der Privatangestellten in dieser Be- ziehung als ein s{chweres Unreht. Es ist jeßt die Zeit gekommen für ein Meichsgefeßp gegen Arbeitslosigkeit. Mehrere Städte haben den Versuh gemacht, zur Entlastung ihrer Etats mit einer Arbeitslosenversicherung vorzugehen. Die Bundesstaaten haben sih geweigert, diesem Beispiele zu folgen. Das Neich muß hier ein- treten. g ist notwendig eine Wohnungsreform, ein Wohngeseß. Viele Mitglieder des Hautea arbeiten in Sittlichkeitsvereinen, in Vereinen zur Bekämpfung der Trunksucht und der Tuberkulose. Jn leßteren ist der Reichskanzler deren Vorsißender; alle Einsichtigen sind zu der Erkenntnis gekommen, daß diesen Uebeln wirksam nur durch ein Wohnungsgeseß begegnet werden kann. Auf dem Gebiete des Wahlrechtes verlangen wir auch für die Frauen das aktive und passive Wahlreht zum Reichstage. (Lachen rets.) Von Ihrem Lachen wird das deutshe Volk Kenntnis nehmen; es sigt hier im Hause so mancher auf Grund der Wahlarbeit der éFrauen. Wir ver- langen die Ausdehnung des Reichstagswahlrehts auf die Einzelland- tage, insbesondere auf den pre Bene Man hat in diesen Tagen das Schauspiel gehabt, daß der Reichstag unter die gemilderte Pfleg- schaft der nationalliberalen Landtagsfraktion gestellt wurde; es ist Zeit, dem Spiele mit dem Gedanken der Unterstellung des Reichstags unter die Generalvormundschaft des preußischen Ab- geordnetenhauses ein Ende zu machen. Die Neichstagswahlen waren eine große Demonstration des Volkes gegen die Ausdehnung der indirekten Steuern. Verstände sich die Regierung auf Popularität, so hätte sie uns hier empfangen mit einer kleinen P 4 mit der Abschaffung der Fahrkarten- und der Streichholzsteuer 3. B. und mit der Deckung des Ausfalls durch die Erweiterung der Erbanfall- steuer. Die direkten Reichs\steuern kommen; sie müssen kommen. Sparen kann man nur an dem großen Ausgabeetat für Heer und Flotte. Davon sind wir aber vorerst weit entfernt; unser Kriegsminister verlangt mehr Soldaten. Wir können nicht anerkennen, daß dafür sachliche Gründe vorgetragen worden sind. Die Verstärkung des Heeres ist der Negierung bei der leßten Militärvorlage förmlich aufgedrängt worden. Der Zeitpunkt für die Anbringung einer \olchen neuen Heeresvorlage ist der denkbar ungecignetste. Die Friedensbestrebungen der Arbeiter- partei und der Gewerkschafter in England werden durch die Friedens- kundgebung der deutshen Wablen gestärkt werden. Man hört von Versuchen, mit England zu einer Verständigung zu gelangen. Wir werden alle Friedensbestrebungen wie bisher auch weiter unterstügen, aber die Haupthilfe wird und muß uns kommen von den Engländern selbst. Die Engländer sind nüchterne Nechner, und bie Stimmen in England mehren si, die sih gegen die Politik des jeßigen Kabinetts wenden, und ich hoffe, der Druck der englishen Arbeiterschaft wird die englische Politik hineindrängen in den Weg auf- richtiger friedlicher Verständigung mit dem großen deutschen Volke. Wir wünshen und verlangen dringend, daß nicht etwa in China gegen das Volk, das jet seine Verhältnisse zu ordnen im Begriffe ist, Deutschland eine Abenteuerpolitik ein- \chlägt. Mit einem deutlihen Nuck müßte die Regterung sich von jenen alldeutshen Politikern trennen, mit denen sie anscheinend im leßten Sommer eine geheime Rückversicherung eingegangen war. Der Widerspruh zwischen den Behauptungen des Staatssekretärs von Kiderlen und auf der anderen Seite in dem bekannten „Grenzboten“. E besteht noch immer. Mit der überlehten und unheilvollen Ge- eimniékrämerei muß gebrochen werden; sie ruft nur Mißtrauen hervor. Wir brauchen auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik demokratishe Einrichtungen. Wir sind die Sprecher von mehr als 4 Millionen deutsher Wähler; vielleiht i|stt es gut, wenn Sie sich sagen, woher wir so stark geworden sind. Wir würden eventuell unsferseits gern dem Abg. von Heydebrand dea Orden Pour le mérite verleihen. Auch die Negierung hat das JIhrige dafür getan. Jeden Tag haben amtliche Ziffern dem Volke bewiesen, wie sehr es mit Steuern belastet werden folle. Der Angstblock des Kanzlers hat aufflärend gewirkt. Die Sozialdemokratie ist nicht das Werk weniger Agitatoren, sondern das Werk einer geschihtlihen Ent- wicklung. Deshalb sind Sie (nah rechts) auch mactlos gegen uns in der Vergangenheit und Zukunft. Vor einiger Zeit saß dort, wo der Reichskanzler nicht sißt, Fürst Bülow. Er bildete sich ein, uns zurücgetrieben zu haben ; er ist gegangen, wir sind geblieben. Die Reichskanzler sind vorübergehende Erscheinungen. Wir sind ein Keil, der, getrieben, immer weiter eindringt. (Beifall und Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.) Präsident: Es hat ein Hände- kflatshen stattgefunden, das nah der Geschäftsordnung nicht zulässig ist; ih bitte, es zu unterlassen.) /

Abg. Spe ck (Zentr.): Ih möchte im Gegensatz zu dem Vor- redner zu dem sprechen, was auf der Tagesordnung steht, zum Neichshaushaltsetat. In maßgebenden Kreisen beschäftigt man sich mit einer weiteren Steigerung unserer Wehrkraft, und die Thronrede stellt entsprehende Geseßentwürfe in Aussicht. Es wäre müßig, im gegenwärtigen Zeitpunkte über den sahlichen Inhalt diefer Entwürfe zu sprechen, da wir sie niht kennen. Es muß aber befremden, daß wieder eine Heeresverstärkung in Ausficht steht, nachdem man im vorigen Jahre von seiten der Heeresverwaltung und au der Marine- verwaltung bestritten hat, daß dies der Fall sei. Die gestrigen Ausführungen des Staatssekretärs lassen darüber im Dunklen. Man könnte aber auf den Gedanken kommen, daß man durch eine rihtige Einnahmeshäßung und eine rihtige Etatsaufstellung die Deckung finden will. Der Vorredner hat noch auf die Erbanfall- steuer hingewiesen. Wir würden die Wiedereinbringung der von uns 1909 abgelehnten Erbanfallsteuer als eine Brüskierung jener Parteien ansehen, die das roe Opfer gebracht und die Neichs- inanzreform zustande gebracht haben. Ist denn überhaupt die Er- chließzung neuer Steuerquellen zur Deckung der neuen Vorlagen un- edingt notwendig? Ein richtiges Bild der Finanzlage zu finden, ist ja \{chwer, da wir den Umfang der neuen Forderungen nicht kennen. Ich glaube aber, der Etat ist fo vorsichtig aufgestellt, daß noch weitere Einnahmen mögli sind. Wir müssen die Einnahmen so festsegen, daß sie den wirklihen Erträgnissen entsprechen. Bisher hatte der Reichstag nur ein e die Einnahmen nicht zu hoch E Ich würde aber kein Bedenken tragen, dieses ungenaue Verfahren bei der Schäßung der Zölle und Steuern anzuwenden, ohne die Schuldentilgung aufzugeben. Die Folgen der niedrigen Einshäßung der Einnahmen waren die großen Uebershüsse, die 1911 mindestens 150 Millionen betrugen. Wir müssen uns doch

fragen, ob diese Art der Finanzgebarung auch für 1912 aufreht erhalten werden darf. Der Schaßsekretär hat gestern darauf hingewiesen, daß die Zolleinnahmen erheblich in die Höhe gegangen sind, die Brannt- weinsteuer hat ein Plus von 27 Millionen gebracht, die Brausteuer und speziell die Zuwachssteuer kann erheblih höhere Erträge bringen. Die Zuwachssteuer ist für 1912 ebenso wie für 1911 nur mit 13 Millionen im Etat eingestellt, obwohl die Einnahmen schon 1911 anz gewaltig in die Höhe gehen müssen, da die Progression in der innahme sich von Monat zu Monat im nächsten Jahre steigern wird, sodaß wir mit 30 Millionen für 1912 cher das Nichtige treffen würden als mit 13. Der Schaßsekretär suchte mit großer Beredsamkeit nachzuweisen, daß er diese aroßen Lee unbedingt nötig habe, um den Schuldenstand des Reiches herab- zudrücken. Wir sind auch unserseits entshlossen, an der geseß- lichen Schuldentilgung festzuhalten. Wir sind au heute noch der Meinung, daß „die Anleihepolitik den sichersten Gradmesser für die Sicherheit der Finanzpolitik eines Staates bildet ; aber is wirklich der heutige Zeitpunkt danach angetan, tunitlih ein Defizit zu schaffen, das durch neue Steuern ausgefüllt werden müßte ? Neue Steuern zum einzigen Zweck der Schuldentilgung dem Volke aufzuerlegen, ist doch von sehr fraglihem Werte. Eben erst haben wir 400 Millionen neue Steuern dem Volke auferlegt, der Be- harrungszustand ist noch nit einmal erreicht, und doch trägt man sih mit dem Gedanken neuer Steuern. Ih möchte dringend davor warnen; das deutsche Volk hat vorläufig genug Finanzreform, und neue Schritte auf diesem Gebiete könnten höchstens den Erfolg haben, die Zahl der Sozialdemokraten im Reichstage noG mehr zu steigern. Wir baben {hon 1909 und 1910 gemahnt, mit den neuen Millionen Haus zu halten und zu sparen, und der Reichskanzler hat 1910 ebenfalls bestätigt, daß das Volk fordern fönne, daß wir mit den bewilligten Mitteln Haus halten. Und \{on heute, ein gutes Jahr nah jener Erklärung sucht man uns die Notwendigkeit neuer Steuern nahzuweisen! Auch sonst hat sih der Reichsschaßsekretär gestern mit früheren Ausführungen der Ne zterungsvertreter in Widerspruch gesetzt; das läßt sih nur aus der Absicht erklären, die Uebershüsse unter allen Umständen im Etat unter- zubringen ; deshalb die Uebernahme von nicht weniger als 82 Millionen auf das Ordinarium. Sonst hätten wir diese Sumine bereits jeßt zur Deckung neuer Anforderungen disponibel. Es fragt sh allerdings, ob man niht durch die Zurückverweisung dieser Summe in das Grtraordinarium mit den Grundsäßen gesunder Finanzpolitik in iderspruch geriete. Die Ausgaben für den Kaiser Wilhelm- kanal z. B. sind noch mckner als auf das Extra- ordinarium zu verweisende angesehen worden. Der Reiths- shaßsekretär versuchte gestern auch das günstige Ergebnis der Zölle und Steuern tunlihst herabzudrücken, eine alte Gepflogenheit der Schatzsekretäre und Finanzminister, wenn der Kurs auf neue Steuern geht. Derselben Erwägung entspringt der Vorschlag des § 4 des Etatsgesezes, gewisse Vorshußleistungen jeßt auf das Ordinarium zu übernehmen; auch die Abbürdung der Anleihe will dèr Neichsschatz- sekretär aus den Uebershüssen verstärken. Alles das kann nur den Zweck haben, ‘die zu erwartenden außerordentlich hohen Ueber- \hüsse verschwinden zu lassen. Selbst wenig ünstig gerechnet, werden wir 180 Millionen frei machen können für die Deckung der Kosten der neuen Geseßesvorlagen. Da habe ich die Ueber- zeugung, es wird und muß gehen, die neuen Anssrderungen für die Verteidigung des Landes aus den eigenen Einnahmen zu decken. Der Sagletezr wird ja gegen diese Zahlen und Berechnungen \o manches Wenn und Aber einzuwenden haben. Dann n er aber ein flareres Bild unserer Finanzlage geben; selbst der Bundesrat weiß ja noch nihts Genaues über den Umfang der neuen Heeres- vorlage. Das Streben, die Reichsfinanzen zu fanieren, haben wir immer unterstüßt. Es gibt aber eine Grenzlinie in der Leistungs- fähigkeit des Volkes. Wir werden die neue Heeresyorlage prüsen und dazu Stellung nehmen nah den Bedürfnissen des Volkes. Wir billigen den Grundsaß: Keine neuen Ausgaben ohne Deckung. Der Etat im ganzen is übersichtliher gemacht worden, er verfolgt die rihtige Tendenz, sparsam zu wirtschaften. Bei einzelnen Kolonien habe ich allerdings eine Sparsamkeit vermißt. Der Etat bietet ein treues Spiegelbild unserer wirtschaftlihen Entwicklung. Namentlich die Haupteinnahme- quellen, die Zölle und Steuern, geben Zeugnis von der guten Ent- wicklung unserer Finanzwirtshaft im Neich und in den Einzelstaaten. Darauf muß besonders hingewiesen werden, nahdem die Negterung es an jeder Aufklärung hierüber im Wahlkampf hat fehlen lassen, um der unglaublichen Hete entgegenzutreten, die gegen die Retchsfinanz- reform getrieben wurde. Die Matrikularbeiträge haben wir er- leichtert, aber von den Einzelstaaten dafür keine Anerkennung ge- funden. Der Etat i} eine Rechtfertigung der Parteien, die das große nationale Werk der Finanzreform zustande gebracht aben. Der Erfolg ist um \o größer, als der Anleihebedarf auf 44 Millionen Mark heruntergesunken ist. Man könnte nun einwenden, daß, wenn dem Volke 400 Millionen neue Steuern auferlegt werden, auch Geld in die Kasse kommen muß. Ja, vor Tische las mans anders. "1909 hielt der Abg. Bassermann die Finanzreform für ungenügend, und nun sind die kühnsten Er- wartungen übertroffen. Die Herren sehnen ein Fiasko herbei, um auf die Crbschaftssteuer zurückkommen zu können. Die Thronrede spriht von bestimmt bemessenen Matrikularbeiträgen. Wir halten daran fest, daß die Festlegung dieser Matrikularbeiträge von Fahr zu Jahr erfolgt, und daß wir uns das Weitere vorbehalten. Der Vorredner hat auch die auswärtigen Angelegenheiten in den Kreis seiner Betrachtung gezogen. Ich glaube, es wäre gut, in diesem Augenblick uns eine gewisse Reserve aufzuerlegen. Es scheinen sich Dinge vorzubereiten, die eine Besserung der politischen Lage sichern. Das kann aber nur geschehen unter Wahrung der Selbständigkeit und der Stellung, die das Deutsche Reich im Rate der Völker einnimmt. Der Reichstag wird ja vor große Aufgaben gestellt werden, wenn nicht etwa eine Auflösung erfolgt, was wir niht hoffen. Es wird sich fragen, ob der Schuß der nationalen Arbeit auch in Zukunft aufrecht erhalten werden soll. Das ist für das Volk von der größten Bedeutung. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Industrie und die Arbeiter haben ein Interesse an der Aufrehterhaltung der Schußtzölle. Meine Partei steht noch heute auf dem Boden eines gesunden Schutzoll- \ystems, das unser wirtschaftlihes System zu einer nichtgeahnten Blüte gebraht hat, wie die steigenden Ziffern der Ausfuhr beweisen. Das ist auch den Judustriearbeitern in Form von höheren Löhnen zugute gekommen. Die Vorbereitung der neuen Handelsverträge muß alsbald in Angriff genommen werden. Wir haben deshalb einen Antrag wegen Aufstellung einer Produktionsstatistik eingebracht. Bei Abschluß neuer Handelsverträge muß auch auf eine größere Gleihmäßigkeit der sozialen Geseßgebung in den vertragschließenden Staaten hingewirkt werden. Das Deutsche Reih marschiert an der Spiße der sozialen Fürsorge; die Netchsversicherungs8ordnung bildet einen Markitein in der gesamten sozialen E „Die Ent- wicklung steht nicht till“, sagt die Thronrede; der Abg. Frank hat dem gegenüber versucht, alles, was im Deutschen Reiche geschieht, als Stillstand oder Nückschritt zu kennzeihnen. Will er das au von der sozialen Fürforge behaupten? Der Abg. Frank hat etne lange Liste von Anträgen uns vorgetragen. Nichts ist leiter, als Wünsche vortragen; aber wenn man fo weittragende, so kostspielige Reformen verlangt, muß man auch für die Deckung sorgen. (Lebhafte Zustimmung rechts; Zuruf links: Erbscha Btld Ja, was wollen Sie alles mit der Erbschaftssteuer decken! Schließli ershöpft sih doch jeder Brunnen. (Reichskanzler von Bethmann Hollweg erscheint am Bundesratstische.) Auch wir haben Ihnen eine Neihe gesetzgeberischer Wünsche in Gas Anträgen unterbreitet. Was die Landwirtschaft betrifft, haben vir einen Gegenstand von allerhöchster Bedeutung heraus egrifen, das ist die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Unsere ünshe auf politishem Gebiet decken sich in Cn Punkten mit denjenigen der Herren von der äußersten Linken. Auch wir verlangen die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, ein Komptabilitätsgeseß für das Reich, einen obersten Rechnungshof zur Prüfung und Sicherstellung der Kontrolle der