1912 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Mar 1912 18:00:01 GMT) scan diff

versuhen sollte, eine geseglihe Lösung herbeizuführen, deren Ende

niemand absehen kann. Es fommt dazu, meine Herren, daß

mwanhe der Schwierigkeiten, die ‘speziel in der uter: pretation der fraglihen Paragraphen gelegen haben, durch die

Judikatur des Reichsgerihts ausgeräumt sind, fo daß das Koalitions-

ret allmähliŸ verständig und zweckdienlih ausgebaut wird, zweck-

dienlicher, als es voraus\sihtlich ges{ehen würde, wenn l diesem hohen Hause auf Grund von Kompromissen ein Gesetz geschaffen würde, das {ließli keinen befriedigte. :

i Die zweite Frage, meine Herren, die ja in unseren Erörterungen

eine besondere Rolle gespielt hat und weiterhin spielen wird das ist der T arifvertrag und das Verlangen nal einem Einigungs- amt. Ja, meine Herren, auch über den Tarifvertrag haben wir ein- gehend gesprochen, und ih habe meine Auffassung darüber eingehend dargelegt. Ich habe, soweit ih mich erinnere, darauf hingewiesen daß ih in dem Tarifvertrag allerdings ein wesentlihes Mittel febe gewerbliche S!reitigkeiten zu verhindern oder hinauszuschieben. Jh habe aber au darauf hingewiesen, daß auch der Tarifvertrag nit ein Instrument des absoluten Friedens ist, sondern daß er eigentli aur einen bewaffneten Frieden, eine Waffenrubhe haft. Ih habe ferner darauf hingewtesen, daß ein folcher Tarifvertrag nur solange von Wert ist, als er beiden Teilen, Arbeitgebern und Arbelitnehmern genehm ist und nügt. Sodann habe ih darauf aufmerksam gemadt, daß auch das Recht des Tarifvertrags durch die Judikatur des NReichsgerihts in einer fortshreitenden und nach meiner Ansicht erfreulih fortshreitenden Entwicklung gehalten wird und ih habe endli darauf hingewiesen, meine Herren, daß jede ge: feßlihe Regelung des Tarifvertrags so lange bedeutungslos bleibt, als nit die Korporationen, die Verbände, die hüben und drüben diese Verträge s{ließen, unbeshränkte Rehtsfähigkeit besißen, und solange diese Korporationen niht unter dem gemeinen Ret stehen, d. h. die- jenigen Verpflichtungen haben, welche alle anderen Korporationen haben, nämlich die, daß sie mit ihrem Vermögen haften für das, was thre Organe getan oder unterlassen haben. (Zuruf bei den National- liberalen: Rechtsfähigkeit der Berufsvereine!) Es wird mir eben zugerufen „Rechtsfähigkeit der Berufsvereine". Da der Herr Abg. Junck mi darauf aufmerksam macht, darf ih vielleicht bei diesem Wort wenige Augenblicke verweilen. Meine Herren, die Frage der Rechtsfähigkeit der Berufs- vereine ist für mich immer besonders lehrreich, weil sie zeigt, wohin man mit verpaßten Gelegenheiten kommt. (Heiterkeit.) Wenn man die Berufsvereine bei Emanation des Bürgerlichen Gesetz- buchs den eingetragenen Vereinen gleihgestellt hätte, was damals nicht die geringsten Schwierigkeiten gemaht hätte, so würden wir jeßt cinen nah meiner Ansicht einwandfreien und idealen Zustand haben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Wic würden vor allen Dingen au flagbare Tarifverträge haben, und wir würden in der Lage sein über vollstreckbare Tarifverträge zu verfügen. So lange aber diese Voraussezung nicht erfüllt ist, meine Herren, halte ih es für ¿weckmäßig, au an den Tarifvertrag im Wege der Geseßgebung nicht zu rühren, den Tarifvertrag, der ja etnen Siegeêzug eigentlich durch alle Gewerbebetriebe mit wenigen Ausnahmen gemaht hat, fich selbst zu überlassen und es der Judikatur des Reichëgerichts zu überlassen, das Necht des Tarifvertrags allmählich zu entwickeln. JIch habe oft gesagt und ih kann es nur bei dieser Gelegenheit wiederholen —: für alle Verhältnisse, wo es irgend tunlich ist, ist es förderlicher, die Ausbildung eines Rechtsinstituts der wirtschaftlißen Ent- wicklung und der Judikatur der Gerichte zu überlassen, als in der- artige Fragen mit einem Geseß hereinzufahren, das in den seltensten Fällen nah juristishen und ethishen Gesichtspunkten, sondern im wesentlihen unter dem Gesichtspunkt politisher Machtverbältnisse zus- stande kommt.

Und nun, meine Herren, hängt ja mit der Frage der Vollstreck- barkeit der Tarifverträge eng zusammen die Frage, ob wir Ein- rihtungen treffen sollen, die als ftändige Institutionen des Neiches berufen find, Streitigkeiten, die über die Auslegung eines Tarifvertrages entstehen, zu begleichen oder die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, die fih über einen Tarifvertrag nicht einigen Tönnen, beim Abschluß eines Tarifvertrages zu unterstüßen. Das würde im wesentlichen die Aufgabe der Einigungsämter sein, die ja wiederholt im Reichêtage gefordert und mit einer ganzen Reihe von Gründen als zweckmäßig und nüßlich hingestellt sind. Meine Herren, auch hierüber habe ih mich wiederholt geäußert, und ih kann nur fagen, daß ich meine Meinung in diesem Punkte im Laufe des legten Jahres in nihts geändert habe. Jh bin der Ansiht, daß solche Instanzen, die eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern herbeiführen sollen, wenn niht der Verhandlungszwang und nicht die Vollstreckbar keit der Entscheidungen gegeben ist, zweckmäßig ad hoc gebildet werden, daß sie gebildet werden möglihst frei von dem Ein- fluß der Behörde und ohne behördlihen Charakter, daß fie fo ge- bildet werden, daß die Mitglieder und der Vorsitzende ihre Stellung uur für den betreffenden Fall erhalten und durch das Vertrauen beider Teile erhalten. Nur fo gibt man!?den Entscheidungen des Einigungs- amtes, dem die Möglichkeit einer Vollstreckung seiner Entscheidungen nicht zusteht, das nötige Gewicht.

Ich bin wiederholt angegangen, bei der Bildung derartiger Einigungsämter mitzuwirken, ih habe dem gern entsprochen, ih werde das jederzeit gern wieder tun; ih habe meinerseits, soweit die Ver- wendung von Beamten in Frage gekommen ist, die dadur ent- stehenden Kosten aus meinem Geschäftsbedürfnisfonds entnommen; ih habe das hier {hon wiederholt gesagt; es hat \sich nie ein Widerspruch dagegen erhoben. Jch halte es für zweckmäßig, die Entwicklung dieser Sache so zu lassen, wie sie augenblicklich besteht. Sie können ver- sichert sein, daß, was an mir liegt, zur Förderung von Tarifverträgen alles mögliche geschehen wird.

Nun, meine Herren, ist eine besondere Forderung, die auf der einen Seite gestellt, auf der anderen Seite bekämpft wird, und die au zusammenhängt mit den §§ 152 und 153 der Gewerbeordnung, die Frage des Schutzes der Arbeitswilligen. Die Herren von der Rechten haben einen Antrag gestellt, man möge vor Emanation des neuen Strafgesezbuhes ein besonderes Gesey zum Schutze der Arbeitswilligen erlassen. Meine Herren, es i} von en verbündeten Regierungen wiederholt der Auffassung Ausdruck gegeben, daß es eines folhen Geseßes nicht bedarf (sehr rihtig!), und ich fkann diese Auffassung nur bestätigen auf Grund der Eindrücke, die ich bei einer dauernden Bearbeitung dieser Sache, bei einer dauernden

anderen Staate besteht.

Jahren niemand vorher gesehen hat, ist die Entwicklung des Koali- tion8gedankens, und in einer Ueberspannung des Koalitionsgedankens liegt eine Gefahr für die Freiheit des einzelnen (sehr rihtig! rechts), für die wirtschaftlihe und politishe Freiheit des einzelnen, die viel größer ist als die Gefahr einer Beeinträchtigung der politischen und wirtschaftliGßen Freiheit durch den Staat. wirtschaftlichen, ist wir werden uns allerdings ernsthaft die Frage vorlegen müssen, ob die geseßlichen Bestimmungen, die wir zum Schutze der persönlichen Frethelt gegen Uebergriffe des Staates erlassen haben, ausreihen gegen- über den zunehmenden Beeinträhtigungen der perfönlihen Freiheit durh die Organisationen. Herren, das ist nicht eine Frage, die die Organisationen der Arbeiter allein haben entstehen lassen, sondern das ist cine Frage, die alle Organisationen betrifft (sebr rihtig!), eine Frage, die alle politischen Parteien betrifft; und auf dieser Grundlage werden wir allerdings an die Frage herantreten müssen, ob eine Veränderung der geseßlichen Bestimmungen, die zum Schuße der persönlihen Freiheit bestehen, notwendig ist mit Nücksicht auf die inzwishen immer größer werdende Macht der Organisationen.

niht nur die überkommenen Aufgaben auf dem Gebiete der Sozial- forgsamen Kontrolle der | politik weiter zu fördern, sondern auch an neue Probleme beran-

Meine Herreo, sie dürfen niht vergessen, daß der §153 der Gewerbe- ordnung an si eine Verschärfung der Strafbestimmungen für diejenigen Delikte enthält, die aus Anlaß eines Streiks um mih einmal kurz auszudrücken begangen werden. Sie wissen, daß durch diesen Paragraphen insbesondere ohne Antrag des Beleidigten alle Be- leidigungen verfolgt werden können, die zugefügt werden aus Anlaß eines Lohnkampfes, und es hat sich herausgestellt, daß diese Bestim- mungen vollständig genügen, um eine angemessene Bestrafung solcher Delikte herbeizuführen, vorautgeseßt, daß es gelingt, die Deliquenten zu fassen. Die Schwierigkeit das is ja von dieser Stelle wiederholt ausgesprochßen liegt nit darin, Gefeßesparagraphen zu maten die haben wir —, sondern die Schwierigkeit liegt darin, die Leute zu fassen, auf die diese Geseßzesparagraphen angewandt werden. (Heiterkeit.) Deshalb bin ih der Meinung, daß auch ein Gesetz, das fi speziel mit dem Streikposten stehen beschäftigt, nit not- wendig ist. Alle Delikte, die ein Streikposten begeht, stehen unter den vershärften Bestimmungen des § 153 und werden nah der Praxis unserer Gerichte unnachsihtlich und mit relativ hohen Strafen ge- ahndet. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Dazu kommt, daß wir darüber hinaus in der Lage gewesen sind, durch Polizeiverordnungen über die Regelung des Verkehrs, deren Gültigkeit von allen Gerichten anerkannt ist, Ausschreitungen von Streikposten, welche die Nube und Ordnung, die Sicherheit des Verkehrs "auf den Straßen stören, zu ahnden. : i Ich würde also dringend davor warnen, dem Uebel auf diesem Wege zu Leibe gehen zu wollen, ganz abgesehen davon, daß die Geset- gebung anderer Staaten eber den entgegengeseßten Weg geht, als den von Ihnen gewünschten. Wobei ih bemerken möte, daß auch andere Staaten zu denselben Ergebnissen gelangt sind, zu denen die ver- bündeten Regierungen mein Herr Amtsvorgänger, der hier vor mir sit, und ich immer wteder gekommen sind.

Nun gebe ich Ihren aber zu, meine Herren, daß die Forderung eines Schußes der Arbeitswilligen einer gewissen Berechtigung nit entbehrt. Es handelt sih bei den Belästigungen der Arbeitswilligen ‘dur die Angestellten und Angehörigen der Organisationen um das Symptom einer Entwickelung, die sich nicht bloß auf dem Gebiete der Arbeitskämpfe, sondern überhaupt in unserem wirtschaftlichen, in unserem öffentlichen und in unserem politishen Leben zeigt —, einer Erscheinung, die nicht bloß die Arbeiter betrifft, sondern die mehr oder weniger alle Kreise und alle Stände des Volkes berührt. Einer der Herren Redner tch glaube, es war der Herr Abg. Bassermann hat vorhin bei der Erörterung von Miltelstandsfragen darauf hin- gewiesen, daß wir uns in vieler Beziehung in einer Rücbildung der Verhältnisse befänden. Er hat darauf hingewiesen, daß jeßt beinahe alle Parteien im Interesse des Mittelstandes und speziell des Handwerks Forderungen stellen, die noch vor 20 Jahren unvereinbar gewesen wären mit den damaligen Anschauungen über die Gewerbe- freiheit und mlt den damaligen Programmen fast aller politischen Parteien. Das ist ein ganz normaler Vorgang, ein Vorgang, der sih auf allen Gebieten wiederholt. Jede politische, jete wirtschaft- lihe Maßnahme \chlägt zu weit aus; sie ist nicht bloß in der Lage ihre Vorteile, sie ist auch in der Lage, ihre Fehler zur Geltung zu bringen; und das führt dann naturgemäß zu Beschränkungen dessen, was man vor fünfzig Jahren als das Palladium der Freiheit, als das Palladium einer gesunden wirtshaftlißen Entwicklung an- gesehen hat.

Ich möchte um hier noch ein besonders interessantes Beispiel herauszugreifen auf die vershiedenen Vorstellungen hinweisen, die sich im Laufe des legten Jahrhunderts über die Behandlung, die Mobilisierung des Grundeigentums entwickelt haben. Fünfzig Jahre lang ist unsere Gesetzgebung, find unsere Politiker von der Vorstellung beherrsht gewesen, daß das Ideal einer wirtschaftlihen Ent- wicklung wäre: eine Mobilifierung des Grundbesigzes, eine völlige Loslösung des Grundbesißes von allen die Veräußerung und die Teilung einengenden Bedingungen. Meine Herren, wir find längst zu anderen Auf- fassungen gekommen. Wir fangen an, die alte superficies in der Form des Erbbaurehts wieder erstehen zu lassen, und wir zerbrechen uns den Kopf, wie wir das Institut nupbar machen können. Wenn man das ver 50 oder 60 Jahren einem Herrn der liberalen Parteien gesagt hätte, würde er mit der Ahsel gezuckt und gesagt haben: wie ist das möglich!

Eine ähnlihe Entwicklung vollzieht sich auf einem anderen Gebiete. Die Parlamente, die Gesezgebung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind von der Vorstellung beherrs{cht gewesen, daß man dem einzelnen Staatébürger, daß man dem Individuum volle Freiheit sihern müsse, und unter dieser Freiheit hat man eine Be- freiung von der Bevormundung des Staates verstanden, eine Sicher- heit gegen Eingriffe des Staates in die wirtschaftliche und politishe Be- tâtigung des einzelnen. Nun, meine Herren, diese Freiheit baben Sie im Deutschen Reiche in einem Maße erreiht, wie sie kaum in einem Etroas,

Aber jeyt treten die Rückschläge ein. was vor 50

Der Boykott aus | aus politishen Gründen und dergl. eine Erscheinung, die auf diesem Boden gewachsen ist, und

(Sehr richtig! rechts.) Aber, meine

(Sehr richtig! rets.) Sie sehen, meine Herren, daß wir nah wie vor ents{hlossen sind,

einzelnen zu meiner Kenntnis gelangten Vorgänge gewonnen habe.

zutreten, die uns unsere wirtshaftlihe und politishe Entwicklung bietet,

kann und muß, ist, daß sie die arbeitern zu arbeiten. pflichtung, erst if da ist, um die Arbeiter zu {üten. Sachsen im Bundesrat einen folhen Schuß verlangt haben. Preußen durch seine Majorität die anderen Staaten zu einer Äb- lehnung dieses Schutzes veranlaßt ? Das zweite wirksame Mittel zur OU R LEngung der er Arbeiter, auf die hon Fürst Bismarck sei in ei i E hat, chon Fürs: seinerzeit in einem Erlaß dringende Bedürfnis, sich ein Häushen und Grund und Boden zu erwerben.

und ih darf hinzufügen: wir werden auch bei der Lösung dieser Auf gaben bestrebt sein, sie zu lösen niht im Interesse einzelner oder zun Schaden einer einzelnen Gruppe, \cndern wir werden, wie wir das gewöhnt find, au hier versuchen, eine Lösung zu finden, die den ver schiedenartigen Interessen und den politischen Bedürfnissen der All gemeinheit gerecht wird. (Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.)

Abg. Freiherr von Gamp (Np.): Ih möchte d i

daß der Verwaltungsorganismus der Ac ridta e E einfahung vertrüge ; ih sehe nicht ein, warum im Reichsamt des Znnern und des Auswärtigen selbständige Handelsabteilungen bestehen müssen. Dem Nate des Grafen Posadowéky, daß die Budgetkommission den Etat mit größter Gewissenhaftigkeit auf seine sparsame Aufstellun prüft, wird hoffentlich entsprochen werden. Der Neichskanzler hat bei den jüngsten Wahlen den Grundsay aufgestellt, daß die Beamten sich jeder Einmischung enthalten follten. Jch kann nicht finden, daß diese Auffassung des Kanzlers die rihtige war, auch Graf Posadowsky hat in dieser Beziehung seine abweichende Meinung kundgegeben Die Beamten haben nach meiner Ansicht die Verpflichtung, für die Politik des Reichs einzutreten und in erster Reihe die Sozial- demokratie zu bekämpfen. (Stürmischer Widerspruch links.) Ich habe doch nicht die Verpflihtung, mich dieser Aufgabe in dem Wahlkampf zu unterziehen wie ein Beamter, der doch s\chließlich dafür bezahlt wird. (Stürmische Heiterkeit und Zurufe links.) Ic bedauere, daß nit ein Präsident amtiert, der mich wirksamer gegen diese Zurufe {hügt. (Vizepräsident Do ve: Eine solche Kritik des Prä- sidenten steht Ihnen nicht zu, und ih verbitte mir dies.) Durch feine Anweisung an die Beamten hat der Reichskanzler es gesehen lassen daß die Wahlen einen sehr viel ungünstigeren Charakter gehabt haben und den Sozialdemokraten in großem Umfange zugute gekommen find Die Geschäftslage ist ja eine günstigere; aber aus i hohen Dividenden eintger Großaktiengesell|haften den Schluß zu ziehen, daß die _Lage im allgemeinen günstiger geworden fei ist doch nicht zulässig. Es gibt große Industriezweige, die an diesem Aufschwung keinen Anteil haben. Der Abg. Wurm hat die Be- seitigung der Frauenarbeit verlangt; ih mache ihn darauf aufmerksam taß die Textilindustrie sih ganz wesentli einshränken müßte wenn die Frauenarbeit verboten würde. (Zuruf des Abg. W urm.) Dann habe ih das also mißverstanden und konstatiere hier vor dem Lande daß der Abg. Wurm die Entfernung der Frauen aus den Fabriken nicht wünsht. Im Durchschnitt der Jahre hat die Rente der Landwirt- schaft auch noch nicht entfernt den Durchschnitt der Rente unserer sichersten Papiere erreiht, das kann ih bezeugen, über 40/9 ist der Ertrag nur selten, und die Landwirtschaft ist ja au eins ter gefähbr- lihsten Gewerbe. Das Jahr 1911 war eines der besten innerbalb der beiden leßten Jahrzehnte, aber die vorher notwendig gewesenen Opfer haben die Rente auf eine Reibe von Jahren hinaus absorbiert Die Latifundienwirtschaft hat in keiner Zeit weniger Fortschritte ge- macht als heute, vielmehr sind Hunderte und Tausende von Latifundien zershlagen worden, um Bauerngüter zu schaffen (Stürmische Nufe bei den Sozialdemokraten: Wo denn ?) Es sind allein 25 000 Nentengüter geschaffen worden; in Pommern und Ost- preußen sind Ansiedlungsgefellshaften ins Leben getreten, die die Zerschlagung der Latifundien und die Schaffung von Bauernböfen sich zur Aufgabe gemacht haben. Graf Posadowsky hat sich mit erbobener Stimme gegen das Bauernlegen erklärt; diese Zeiten find längst vor über. Von folhen Dingen follte man hier doch in solhem Tone niht reden; ih muß dem im Juateresse des östlihen Grund- besizes durhaus entgegentreten. Unter Weiterentwicklung der Sozialpolitik versteht hier im Hause jede Partei etwas anderes. Die Anträge der Sozialdemokraten lassen alles Maß und alle Besonnen- heit vermissen und unterscheiden fih von den Forderungen des Aba. Bassermann wte Feuer von Wasser. In der heutigen Zeit stellen fie weite Kreise in den Dienst der Wohltätigkeit und bringen den Ar eiterklassen ein großes Maß von Liebe und Charitas entgegen Gs sind keine egoistishen Motive, die die Töchter Woblhabender veranlassen, in die Kinderheime einzutreten. (Zuruf links: Sport !) . - « Wenn Sie glauben, daß diese Frauen das zum Vergnügen tun dann haben Sie keine Ahnung von den Dingen. Gewiß ist noch nicht alles, wie es sein soll; aber hat es früher eine Zeit gegeben, wo sich wie heute die Frauen zu Hunderten und Tausenden einreiben in den Kampf gegen die Tuberkulose *ck Was sollen da diese ge- hässigen Anguiffe ® Die Sozialdemokraten haben abermals Anttäge auf Verkürzung der Arbeitszeit gestellt. Ja, wenn wir in Deutsch- land ein abgeschlossenes Wirtschaftsgebiet bildeten; aber unter den tatsächlihen Verhältnissen kann man das nicht zugestehen wir müssen auf das Ausland Nücksiht nehmen, oder aber die Arbeiter erhalten die Bewilligung ihrer Wünsche, müssen dann aber die Kon fequenzen tragen. (Abg. Wur m: Wir wünschen ja internationale Verein- barungen.) Wir auch; aber die können niht von Negierung zu Ne zierung sondern die müssen von Arbeiter|chaft zu Arbeiterschaft erfolgen. Wenden Sie sich an Ihre Freunde în Cngland, Amerika Frank. reich und sorgen Sie zunächst dafür, daß dort die Industrie mit den fozialen Lasten versehen wird, die sie in Deutschland zu tragen hat. In England wird es ja jeßt anders kommen aber es ist auf die englishen Gesinnungsgenossen des Abg. Wurm wenig Verlaß; in der Budgetkommission babe ih dafür einen sehr bezeichnenden Beleg erhalten. Sie können do nur der Landwirtschaft dankbar sein, daß sie die Viehproduktion so ge- steigert hat, daß sie fast den vollen Bedarf deckt. Allerdings mü}sen Industrie und Landwirtschaft ausländische Arbeiter beranziehen Wie würde es aber erst sein, wenn der Achtstundentag eingeführt würde ? Graf Posadowsky sagte, die Staatssekretäre wären in threr Tätigkeit gebunden, sie müßten auf andere Ressorts Rüksicht nehmen. Ich muß sagen : Gott sei Dank, daß es so ist. Der Staatssekretär bat, wie ih anerkenne, sehr maßvoll gesprochen und \ich von allen Extra- vaganzen fern gehalten. Er hätte allerdings auch derer gedenken follen die ein Hauptverdienst an der Sozialpolitik gehabt haben, des alten Kaisers Wilhelm und des Fürsten Bismarck. Von einer Versicherun der Witwen und Waisen war schon die Rede, als an die Sozial, demokraten noch niht gedaht wurde. Haben Sie (zu den Sozial- demokraten) nicht das Unfallgeseß zweimal zu Fall gebracht waren die Freisinnigen nicht seine Gegner? Selbst unter den Nationalliberalen war ein folches sozialpolitishes Ver- ständnis noch niht zum Durchbruch gekommen ; große Teile haben gegen die sozialpolitischen Gesetze gestimmt. Die Zunahme der sozialdemokratishen Stimmen is eine ernste Sorge. Ich halte es nicht für nötig, auf dem Wege des Zwanges die Sozialdemokratie _zurückzudrängen. Aber ebensowenig ver- sprehe ih mir von einer Fortführung der Sozialpolitik in dieser Beziehung. Seit zwanzig Jahren werden diese Geseßze gebäuft Tausende von Millionen werden für diese Zwecke ausgegeben ‘aber die Sozialdemokratie wächst und wächst. Was müssen wir tun um die nicht zielbewußten Anhänger der Sozialdemokratie dieser zu entziehen? Es muß der Terror bekämpft werden. Der Staatssekretär sagte, es genügen dazu die bestehenden Geseße. Er würde eine solche Auffassung nicht aussprechen, wenn er die Erbitterung der kleinen Gewerbetreibenden über den sozialdemokratishen Terror kennte. Die großen Betriebe können sih ja helfen. Was die Gesetzgebung tun 1 Arbeiter \{üßt, die von Ihren Mit- im Lande (zu den Sozialdemokraten) gehindert werden

Der Staat hat da unter allen Umständen die Ver- entgegenzutreten. Polizeiverordnungen müssen dcch erlassen werden, sorgen Ste dafür, daß die Polizei auch Es beißt, daß Hamburg und at

ozialdemokratie erblicke ih in der Seßhaftmachung Gerade im Ruhrgebiet haben die Arbeiter das

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

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Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

1912.

Berlin, Freitag, den 1. März

(S{luß aus der Ersten Beilage.)

Durch diesen Erwerb wird auch der Arbeiter in die Lage gesetzt, not- wendige Lebensmittel selbst zu produzieren. Der Abg. Wurm sollte ich solhe Arbeiterniederla\sungen einmal ansehen. In bezug auf die Wohnungsfürsorge kann ih die Ausführungen der Vorredner nur unterstüßen und die Bundesstaaten dringend auffordern, selbst auf diesem Gebiete vorzugehen, wenn fie nicht gewärtigen wollen, daß thnen von Reichs wegen die nötigen Direktiven gegeben werden. Ein weiteres Mittel zur Wiedererlangung von sozialdemokratisch angefränkelten Arbeitern ist, daß wir diejenigen Kreise stärken, bei denen die Sozialdemokraten auf Stimmenfang ausgehen, die kleinen Gewerbetreibenden in Stadt und Land. Wir müssen das Kletin- gewerbe schüßen, damit es widerstandsfähiger wird gegen die Sozial- demofratie. Früher sagte einmal der Oberbürge rmeister Baumbach, die Zeit des Handwerks sei vorüber. Heute hat der Freisinn seine Auffassung glücklicherweise geändert. Wir find mit dem Zentrum und den Konservativen {on seit Jahren für das Hand- werk eingetreten. Unsere Wünsche über das Submissionswesen haben wir in einer Mesolution detailliert niedergelegt. Unter- streihen möchte ih aber das, was unser Parteifreund NRahbardt über den Bauschwindel im Abgeordnetenhause gesagt hat. Wenn der Handelsminister Sydow selbit zugegeben hat, daß sih 264 Be- \@werden als gerechtfertigt herausgestellt haben, so sollte er daraus do den Anlaß nehmen, Schritte zu tun, damit der zweite Teil des Gesetzes über die Bauforderungen der Handwerker endlih in Kraft geseßt wird. Von großer praktisher Bedeutung ist die Frage des Geld- und Kreditwesens. In dieser Beziehung möchte ih das unterstützen, was neulich der Kollege Mayer-Kaufbeuren gesagt hat. Die Reichsbank hat sich genötigt ge?ehen, g?genüber den Großbanken Hinsihtlid des Lombardverkehrs Maßregeln zu ergreifen, die diesen gewiß nicht g:fallen haben. Wir baben {on früher darauf hin- gewiesen , daß die Großbanken nicht liquide Mittel haben, und daß sie verpflihtet werden müßten, einen gewissen Prozentsaß bei der Meichsbank zu hinterlegen. Das Reichsamt des Innern sollte die Reichsbank in ihrem Kampfe geaen die Großbanken zum Besten der Allgemeinheit unterstüßen. Es ist kein Zweifel, daß dur die große Inanspruhnahme der Bankmittel der Bankdiskont fünsilih in die Höbe getrieben und der Hypothekenmarkt geschädigt wird, Hoffentlich wird \sich der jeßige Neichsbankpräsident nicht wie sein Vorgänger durch die Großbanken einshüchtern lassen. Durch das Abwandern des Geldes nach dem Auslande wird das Volk geschädigt. Die Banken brauchen ihr Geld doch in der Haupt- fache ¿u Spekulationszwecken, sie haben sih wiederholt als Agenten des Auslandes erwiesen.

Abg. Dr. Will - Stlettstadt (Els.): Gegenüber den Angriffen auf den elsaß-lothringishen Landtag möchte ih ausdrüdcklih feststellen, daß die Budgetkommission der elsaß - lothringishen Zweiten Kammer bei ihrem Beschluß über die Ablehnung des Dispositions- fonds ledigli ibr Budgetreht ausgeübt hat. Jahrelang ist der Disyositionsfonds von 10 000 4 für das Kaiser Wilhelmdenkmal ver-

wendet worden : eine nähere Einsicht in die wirklihen Verhältnisse hat man uns verweigert. Wenn der Landtag Mittel bewilligen foll, so darf er auch verlangen, daß ihm Rechenschaït über die Ver- wendung der Mittel gegeben wird. So ist der Konflikt gekommen. Mir können doch niht, wie Graf Posadowtky es bezuüglih der Militärforderungen verlangt hat, der Regierung blindlings vertrauen. So wie man bci uns in verschiedenen Ressorts gewirtschaftet hat, darf nit weiter gewirtshaftet werden. Der Redner polemisiert dann noch gegen die neulichen Ausführungen des Abg. Grafen Posadowsky in bezug auf die Haltung und Gefinnung der Elsaß-Lothringer, ver- weist darauf, daß die Regierung die Sozialdemokraten auch bei den leßten Wablen gehätschelt babe, und {ließt mit der Ver- sicherung, daß, wenn man die Elsaß-Lothringer so gut behandeln werde, wie es zur Franzosenzeit geschehen war, sie auch das nötige Kontingent für Offiziere und Mannschaften des Neichsheeres und der Marine und für die Beamtenschaft stellen würden.

Nach persönlihen Bemerkungen der Abgg. Wurm, Cedebour und Freiherr von Gamp wird um 6 Uhr die Fortseßung der Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 96. Sigzung vom 29. Februar 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Das Haus geht zur Beratung des Etats für die Ver- waltung der direkten Steuern über. Die Diskussion über die Einnahmen aus der Ein- fommensteuer, 352500 000 e, wird mit der Besprechung der Ausgaben für die Einkommensteuerveranlagungs- fommissionen und Gewerbesteueraus\chüsse verbunden. Der Ausgabetitel für diese Kommissionen und Ausschüsse führt neben 881 Steuersekretären 57 Vorsißende und stellvertretende Vorsißende auf. | Dazu liegt ein Antrag der Abgg. von Hennigs- Techlin (kons.) und Wallenborn (Zentr.) vor, Vorsitzende und stellvertretende Vorsizende nur: zu bestellen für Kreise, in denen der Umfang oder die Schwierigkeit des Veranlagungs- bezirks die Wahrnehmung des Veranlagungs8geschäfts durch einen besonderen Beamten erfordert. l Referent der Budgetkommission ist der Abg. Schmedding (Zentr.), der beantragt, die Uebersicht der Ergebnisse der Ver- anlagung zur Einkommensteuer für 1910 und 1911 und zur Ergänzungssteuer für 1908/1910 und 1911/1913 für durch Kenntnisnahme erledigt zu erklären. i Abg von Hennigs-Techlin (kons.): Die Einkommensteuer und die Ergänzungssteuer haben ih in normaler Weise entwickelt ; sie bringen zusammen jet 414 Millionen. Woran es liegt, daß der Er- trag der Besteuerung der juristischen Personen zurückgegangen ist, wird erst später erkannt werden können. Mit gutem Recht können wir in Anspruch nehmen, daß der Ausbau unseres direkten Steuersystems den Charafter sozialer Gerechtigkeit in hohem Maße an sih trägt. Das heutige Steuerminimum wird angegriffen, es soll, weil es 1891 fest- gesezt wurde, jeßt nah zwanzig Jahren den wirklichen Verhältnissen nit mehr entsprehen. Ein starres Steuerminimum kann man allerdings nicht festhalten; ein Ausweg ist aber inzwischen durch das Kinderprivileg gefunden worden. Ob im 20 des Gesehes noch weiter gegangen werden fann, wird die Beratung in der Steuergeseßz- fommisfion erweisen. Die Ergänzungssteuer hat h ebenfalls ent- sprechend entwickelt. Zu bemängeln ift die Gestaltung des RNechts- mittelverfabrens, die noch immer nicht genügt. An Steuerstrafen für Steuerhinterziehung ist 1911 etwa 14 Million aufgekommen.

der Nemunerationen die berechtigten Ansprüche zu befriedigen versucht hat, ift ta der Kommission nicht durchweg auf Billigung gestoßen. Vor allem follte die Staatsregierung niht davor zurückshrecken, die betreffenden Fonds zu erhöhen. Unser Antrag bezweckt nit, die grundsäßlihen Fragen wieder aufzurollen, noch soll der endgültigen Regelung durch den Antrag vorgegriffen werden. Es sind bekanntlih zehn neue Stellen ausgeworfen, sodaß im ganzen 57 Vorsizende von Veranlagungskommifsionen im Etat stehen. Ueber die Art der Beseßung der neuen Stellen hoffen wir Auskunft zu er- halten und werden dana unsere Stellungnahme bestimmen. Ueber

als Vorsitzende bestellt werden, hat der Mirister sich in der Kom-

mission geäußert; wir haben diese Grundsätze in unseren Antrag auf-

genommen.

Finanzminister Dr. Len tze:

Meine Herren! Ich möhte nit unterlassen, erhebliche Bedenken

gegen die Annahme des Antrags von Hennigs-Wallenborn hier vor-

zubringen. Der Antrag foll in Zukunft im Wege eines Etatsdispositivs

die Vorausseßungen schaffen, welche für die Anstellung besonderer

Veranlagungskommissare bei der Veranlagung zur Einkommensteuer

vorliegen müssen. Meine Herren, das geht nach meiner Ueberzeugung hon etatsrechtlich nit (sehr rihtig! links); denn wenn ein Diépositiv in den Etat eingefügt werden \oll, welhes die Nichtshnur für die Verausgabung bildet, dann müssen ganz positive, un- zweideutige Merkmale vorliegen, nicht aber solhe, welhe in das Ermessen der betreffenden Behörde gestellt find. Sobald nur Merkmale des Ermessens vorliegen, entsteht nachher leiht die unangenehme Folge, daß cinmal Meinungsverschiedenheiten zwischen Negierung und Parlament entstehen können, daß aber auch zweitens was sehr viel \{werwiegender i hinterher auch erhebliche Meinungéverschiedenheiten zwishen der Regierung und der Ober- rechnungskammer entstehen. Die Oberrechnungskammer ist verpflichtet, alle Nehnungen nachzuprüfen und auch zu kontrollieren, ob tatsächlich die Voraussetzungen für die Verausgabung der einzelnen Positionen vorgelegen haben. Wenn nun die Verausgabung in das Ermesseneiner Behörde gestellt ist, dann muß die Oberrechnungskammer selbstredend auch nachprüfen, ob das Ermessen auch zutreffend gewesen ist, und da man stets bei diesen Fragen zweierlei Meinung sein kann, so würde das dazu führen, daß die Oberrehnungskammer zum Teil in die Exekutive der Regierung hineingriffe, und {were Differenzen entständen, die niht im Interesse des Ganzen liegen.

Ich habe aber auch neben diesen etatsrehtlißen Bedenken erheblide geseßliche Bedenken. Meine Herren, nach dem Ein- fommensteuergesez ist es der Regierung überlassen, zu bestimmen, wo Verarlagungskommissare angestellt werden follen. Wenn nun dur einen solhen Etatsvermerk eine Einschränkung dieser Bestimmung vorgenommen wird, wenn bestimmte Voraussezungen geschaffen werden, welche vorsehen, daß nur unter den und den Voraussetzungen ein Kommissar angestellt werden soll, dann wird die Negierung in ihrer freien Entschließung eingeengt (¡ehr richtig! links), und er bedeutet daher auch zweitens einen Eingriff in die Erekutive der Regierung. (Sehr richtig! bei den National- liberalen.) Das Steuergesey hat es dec Exekutive der Negierung übertragen, in welchen Fällen der Veranlagungskommissar bestellt werden soll. Eine derartige Einschränkung durch ein Dispositiv des Etats würde zu gleicher Zeit eine Geseßesänderung und auch einen Eingriff in die Exekutive der Negierung bedeuten. (Sehr wahr!) Ich möchte nit unterlassen, diese ernsten Bedenken hier zur Geltung zu bringen und Sie zu bitten, den Antrag lieber nicht anzunehmen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)

Abg. von dem Hagen (Zentr.): Nah der Erklärung des Ministers können wir beute niht zur Entscheidung kommen. Ich beantrage deshalb Zurückverweijung des Ausgabetitels, zu dem der Antrag vorliegt, an die Budgetkommission. j

Abg. Freiherr von Zedliß undNeu fir (freikonf.): Ih bin au der Meinung, daß eine Reihe der Bedenken, die der Minister erhoben hat, ret zutreffend sind, wenn auch meine Freunde in der Annahme des Antrages eine sebr erwünshte Eniwicklung sehen würden, sowohl nad unserer Nichtung bin, als auch für die konservative Partei. Jch möchte bitten, dem Antrage des Vorredners zu folgen und den Antrag an die Budgetkommission zurückzuverweifen.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Jh würde nihts dagegen haben, wenn der Antrag zurückverwiesen wird. Der Antrag würde tat- \ählid in die Exekutive der Regierung“ eingreifen. Das wäre eine Erweiterung der Befugnis der Oberrehnungskammer, die fich die Staatsregierung unter keinen Umständen gefallen lassen kann. Ebenso ift auch klar, daß er im Widerspruch mit § 130 des Ein- fommensteuergesezes steben würde. Danach steht es im Ermessen der Negierung, Borsißende der Veranlagungskommissionen zu ernennen. Eine derartige geseßlihe Bestimmung kann man unmöglich dur einen Etatsvermerk abändern. Dazu kommt, daß sih das Herren- haus in einer ganz unmöglichen staatsrechtlihen Lage befinden würde. Wenn Sie dur einen Etatsvermerk das Gesey abändern wollen, so halten Sie das Herrenhaus als geseßgeberischen Faktor aus, da das Herrenhaus nur das Recht hat, den Etat im ganzen anzunehmen oder abzulehnen. Ich muß mich außerordentlih wundern, daß diesen Antrag cine Partei gestellt hat, die in dieser Zeit immer mit aller Schärfe betont, daß fie nidt das Recht des Parlaments zu Ungunsten der Negierung erweitern will. Hier liegt aber ein solher Eingriff vor. Aus diesem Grunde würde ih es für das richtigste halten, wenn die Herren Antragsteller ihren Antrag zurückziehen. Sollten fie sich nicht dazu entschließen können, so würde die Verweisung an die Kommi|}ion das beste sein, um dort die Rechtslage zu prüfen. Aber aus staatsrehtlichen Gründen sollte der Antrag überbaupt nicht aufrecht erhalten werden.

Abg. G yßling (fortshr. Volksp.): Die Ausführungen des Vorredners und des Finanzministers enthalten die Gründe, weshalb auch wir gegen den Antrag sind, der einen Eingriff in die Erekutive bedeutet. Der Antrag könnte höchstens in die Etatserläuterungen aufgenommen werden, bätte dort aber auch keinen Zweck. Meine Freunde sehen in dem Antrag keine Hinneigung der Konservativen nah unserer Richtung, sondern vielmehr den Versuch, der Ernennung der besonderen Steuerkommissare einen Riegel vorzuschieben, Meine Freunde lehnen den Antrag ab, au wenn er der Kommission über- wiesen werden sollte. Der vorliegende Steueretat zeigt, daß die Finanzlage fehr viel günstiger ist, als in der Regel angenommen wird. Der Ertrag der Einkommensteuer ist wieder um 4% höher angeseßt, angesichts der günstigen Wirtschaftslage könnten e e gut 549% mehr einstella. Die Aisistentenfrage ist nit glü lich

elôst, der Unterstüzungsjonds muß fo weit erhöht werden, daß alle

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Finanzminister Dr. Lengte: Meine Herren! Ich halte es doch für außerordentlich verant-

wortungévoll, hier vor dem ganzen Lande zu erklären, daß die Unter- stüßungen, die für die Assistenten vorgesehen werden, bei weitem nicht ausreichen, und daß die Unterstüßungen noch ganz erheblih erhöht werden müßten bis an die Höhe detjenigen Satzes, den die Assittenten im Reich als Gehalt beziehen. Ein solcher Ausspruch tut sh leiter, ( E u l als er verwirkliht werden kann. die Grundsätze, nah denen solche besonderen selbständigen Kommissare Hoffnungen erregt, die niht zu erfüllen sind. Im vorigen Jahre hat das hohe Haus, soviel ich mich erinnere, einstimmig beschlossen, es möchten Vorkehrungen getroffen werden, wonach den Assistenten ein

(Sehr richtig! rechts.) Es werden

Ausgleich gewährt würde, aber unter Aufrehterhaltung der Be- soldungsordnung. Das war die Vorausseßung. Wenn wir die Besoldungsordnung aufrecht erhalten wollen, dann gab es aber gar Feinen anderen Weg als den der Unterstüßung; denn wenn man \ämtlihen Beamten gleihmäßig eine Aufbesserung gegeben bätte, so wäre das eine vershleierte Aenderung der Besoldungs- ordnung, etwas geseßlich Unzuläßliches gewesen. Es ließ si daher in keiner anderen Weise ein Ausweg finden, wel@er den Wünschen des hohen Hauses und der Assistenten gerecht würde, als der, eine Unter- stüßung zu normieren. Das Wort „Unterstüßung“ sagt ja von vorn- herein, daß die Unterstüßung nit allen gewährt werden kann, sondern nur bestimmten Beamten unter bestimmten Vorausseßungen; denn wenn man allen die Unterstüßung gewährt, so wäre das wiederum eine yerschleierte Abänderung der Besoldungsordnung. Infolgedessen war es für die Königlihe Staatsregierung sehr s{chwierig, eine be- stimmte Norm zu finden. Sie is aber überzeugt, eine gute und rihtige Norm gefunden zu haben und empfiehlt sie Ihnen zur Annahme. Die Assistenten können in dieser Hinsicht zufrieden fein. Fh habe allerdings gelesen, daß in verschiedenen Versammlungen von feiten der Assistenten erklärt worden ist, das wäre gar nichts, sie hätten Anspruch darauf, daß sie dasselbe Gehalt beziehen wie ihre Kollegen im Reiche, und sie müßten es als eine {were Mißachtung und Benathteiligung betraten, wenn die Gleichstellung nicht sofort herbeigeführt würde. Wie liegen denn nun die Dinge? Hier handelt es fich doch um eine vollständige Ver- fennung der Tatsachen. Preußen hat seinerzeit seine Besoldungsord- nung festgeseßt und hat es für angemessen erachtet, daß die Assistenten das Gehalt békommen sollen, welches sie heute beziehen. Es kam dann das Reih und seßte in den unteren Stufen seine Assistenten etwas hôher. Weil es nun sehr mißlich is, wenn gleiche Beamten- fategorien vershiedene Besoldungen bezichen, ist im hohen Hause der Wunsch laut geworden, es möchte ein gewisser Ausgleich getroffen werden. Einen Rechts- oder einen moralishen Anspru haben die Assistenten darauf aber nicht. Ih möchte hier eine Parallele ziehen. Das Reich hat bei Festsezung seiner Besoldungsordnung nit überall die preußishen Säße angenommen uud ist z. B. in einem- anderen Punkte auch von den preußishen Säßen abgewichen. Es ist bei den vortragenden Räten im Reich eine höhere Besoldung fest- geseßt als in Preußen, und doch ist bei den vortragenden Räten in Preußen, obwohl sie dleselbe Arbeit zu leisten haben, niemals der Wuns laut geworden, oder der Antrag gestellt worden, sie möchten ihren Kollegen im Reih glei gestellt werden (Heiterkeit), weil es sonst eine Herabminderung ihres Anschens und ihrer Schaffensfreudigkeit bedeute. Menn dle vor- tragenden Räte es hinnehmen, dann dürfen die Assistenten das au tun, und es ist dann auch für diese keine Minderung des Ansehens. Ih möchte bitten, daß solhe Anträge und Wünsche der Beamten, die über das Maß hinausgehen, in dem hohen Hause nicht unterstüßt werden. Das ist für die Beamten niht nüßlich und auch für den Staat unzuträglich. (Bravo! rets.)

Abg. Freiherr von Richthofen (konf.): Eine Aenderung des Einkommensteuergesetes wird von uns nicht beabsichtigt, wir stimmen vielmehr dem Abg. Gyßling zu, daß in eine Etatsposition „nicht hin- eingebraht werden kann, was nur bei etner organischen Reform ge- regelt werden könnte, prinzipiell beim Einkommensteuerge}eß oder bei den Vorschlägen der Immediatkommission für die Verwaltungsreform. Gerade wir möchten dur unseren Antrag festlegen, daß wir bei der Etatsberatung nit vrinzipiell den bisherigen Zustand ändern wollen, fondern nur in der Weise fortfahren wollen, wie es {on in den leßten Jahren bei der Gründung neuer Stellen für Vorsitzende von Veranlagungskommissionen geschehen ist, und zwar in Städt und Land. Wir machen gar keinen Unterschied, ob es sih um die Vor- sitzenden in Landkreisen, also um Landrâte, oder um Vor- sißende in den Stadtkreisen, also Bürgermeister , handelt. Für beide Kategorien treffen die gleichen Voraussetzungen zu. Der Vorwurf, als wollten wir eine gerechte Eiîn- shäßzung verhindern, ist absolut unsachlich und _ unbegründet. Mir haben doch die Einkommensteuexnovelle von 1908 mitgemacht, während gerade die Herren vom Freisinn gegen wesentlihe Punkte der Novelle damals gestimmt haben, also nicht solhe Verteidiger des Gesezes gewesen sind. Wir haben auch die anderen Novellen mit- beraten und mitgeshaffen. Mein Freund von Hennigs bat bei der ersten Lesung der jetzt vorliegenden Novelle namens meiner Fraktion erklärt, daß wir den vershärften Strafbestimmungen zustimmen wollten, während gerade von der Linken Bedenken dagegen geltend gemacht wurden. Das beweist doch, daß wir eine aerechte und gleich- mäßige Einschäßung durchaus wünschen und niht daran denken, Bürgermeister oder Landräte, die Fehler begehen „in Schuß zu nehmen. Wir halten den Erlaß des Ministers des Innern, soweit er in der Presse veröffentlicht ist, für durchaus berechtigt, worin den untergebenen Beamten die strengste Gerechtigkeit und forgfältigste Prüfung des Materials zur Pflicht. gemacht wird. Wenn ein Landrat oder Bürgermeister jeine Pflicht nicht täte, so hâtte die Regierung do Mittel genug, ihn zur Pflichterfüllung anzuhalten. Es kommen also für unseren Antrag sahlihe Gründe in Betraht. Wenn nur persönlihe Gründe in einem feine Pflicht nit erfüllenden Beamten liegen, so brauhte man nicht eine ganz neue Bebörde zu organisieren, und wenn folche persönlichen Gründe nur in einer Stadt oder in einem Kreise vorliegen, so brauht man doch nit einen besonderen Kommissar für mehrere Kreise zu ernennen. Eine sol neue Behörde würde keine Erleichterung des Publikums herbeiführen. Wir wissen ja, wie immer von der Bevölkerung Widerspruch er- boben wird, wenn für mehrere Kreise eine Kreiskasse eingerichtet wird, weil - das Publikum lieber nah seiner Kreisstadt als nach der Nachbarstadt in feinen Steuerangelegenheiten gehen will. Wir sind wiederbolt von der Bevölkerung ersucht worden, nit eine solche be-

ssistenten eine solhe Zulage bekommen können, daß sie den

Die Gehaltsfrage für die Assistenten harrt au hier noch einer be- friedigenden Lösung; die Ark, wie die Verwaltung auf dem Wege

Assistenten im Reich volllommen gleich stehen,

lästigende Organisation für mehrere Kreise zu \{haffen, sondern