1892 / 258 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 31 Oct 1892 18:00:01 GMT) scan diff

: „AlerdurSläuhüigster, Gr; tigster Kaiser und König !. Alle Be leuer

gi fter Kaiser, onig aut ret d Kaiserliche und ‘Königliche E tät, um aufs 4 : nit U

ajestät haben mit Allerhöchstihren lauchtigsten Gästen Einzug lige Ee. ‘an welcher Gc rein und lauter i : s uns -Des ns - : : so daß Er he !

bei uns gehalten, um die erneuerte S{hlo zu einem Heiligthum | und die heiligen Sacramente cinseßungsgemäß verwaltet werden follen. trennt; bis einst die Ewigkeit es lehren und bird : dieses Tages Feier, Bekenntniß undGelöbniß! Und Gengsien seiner Freude

der gesammten evangelischen Christenheit zu weihen. Welch wunder- Eure Majestät bitte ich- als Allerhöchstdero Minister der gest Reformation war ein Wort, das Gott, der Allerhöchste, Selbst in | sind heute mit der Kaiserin, seiner Gemahlin,“ die Glieder seines

bare Wege hat Gott unser Volk geführt seit dem Tage, an welchem | lichen Angelegenheiten ehrfurchtsvoll um die Allergnädigste Erlaubniß, diese Welt hineingesprohen; und es von allen Zungen und aus allen | Hauses. Genossen sind alle die Fürsten und Herren, die Stände und

Kaiser Karl V. in diese Stadt einzog, bis heute, wo Eure Kaiserliche | daß der Meister, dessen bewährter Hand Eure Majeität das Werk Le chen in Einem Chor erschallen wird: Gerecht allein aus | Städte, die Geistlichen und Weltlichen, die seiner Ladung freudig ge-

und Königlihe Majestät durh die Weihe der Kirche, in welcher | der baulichen Erneuerung anvertraut haben, den Schlüfsel der Thesens - Glauben. folat sind, Zeugniß zu geben, daß es noch eiwas Großes ist um die

die Gebeine Luthers ruhen, dem Werke und den Manen | thür überreichen dürfe, um dieses Heiligthum für den Weiheact und In dieser Gewißheit bat unsere theure evangelische Kirche niht | Macht anger Wabrheit, und daß es auch noch nihts Geringes den gottesdienstlihen Gebrau wiederum öffnen zu laffen. nur den Trost für ein zerbrochenes Sünderherz, den einigen Trost im | ist um die Macht evangelischer Einheit.

Leben und im Sterben ; sondern es rauschen in ihr auch die Brunnen,

aus denen Kraft und Jugend quillt; Genesungskräfte für eine

kranke Welt.

„Ist Jemand kühn, so bin ih auch kühn!“ darf der Protestantis- mus mit dem Apostel sprehen. Er gab der Obrigkeit ihr göttlich Siegel zurück; dem Volke ieine Bibel, der Schule ihren Katehiëmus, das güldene Kleinod ; dem Hause seine Ehre, dem Gewissen sein heilig Necht. In diesem „Allein aus Gnaden“ ist Alles unfer: die Ge- bundenbeit in Gott wird wahre Freiheit; was Verarmung scheint : der fern L : act Verlust an allem eigenen Ruhm, is uns Gewinn; im Frieden Gottes | Gestalten“, die, rings an den Pfeilern gereiht, selbt tragende Säulen haben wir die Waffen wider Unzufriedenheit und finstres Grollen. | find im Geistesdome der Christenheit, fest auf dem einen Grunde, „Wer hier am meisten glaubt, der wird am meisten schüten.“ Nur 4 außer dem fein anderer gelegt werden kann, welcher ift Christus. In an dem Strom der Gnade fann die Todeswunde heilen, daran die | unsere Augen leuchtet es vom Gewölbe oben bis zum Gestühl da unten,

Ï x : h » i D s s \ s . . # _ hat es angefaßt und gefördert, und | ja, das ist Gottes heilige Flamme, erwärmeud und belebend den D A Dei. ys j t

Und nun sagt an: wo in dem verfönlichen Leben eines erlösten und geheili Sünders die heilige Offenbarung Gottes so mit be- sonderer heit vor uns steht, ist da niht wirklich ein „heiliges Land“ und muß niht auch von da aus Gottes leligeader Mabhnruf mit besonderer Dringlichkeit unserem Herzen vernehmbar sein Luther's Zeit hat es eins verstanden, was Gott dur diesen kräftigen Zeugen sciner Wahrheit ihr hat sagen wollen. Was die Wittenberger Nachtigall sang, das ist wie ein erlösendes Wort ge- wesen für den Bann der aliinaaten damaligen Welt; das ift, wie auf Windesflügeln von Ort zu Ort, von Land zu Land getragen ; das° hat fe schnell, so allseitig scinen Widerhall gefunden, daß man wobl meinen mochte, aíles Volk müsse binnen kurzem®* evan elis fein. Denn da sind sie gefommen von Morgen und Abend, von Mittag und Mitternacht, und sie haben die „Schuhe ausgezogen von ibren Füßen“; sie haben abgeiban das alte eigenwillige und eigen- gerechte Wesen, den Staub und Moder der vergangenen hunderte; s sie haven fi und ihre Zeit „erneuert im Geiste ihrSäSemüthes*. Zum Gleichniß des Ganzen is da geworden, was hier in diesem Hause im Einzelnen geschah, wo die tausend und abertaufend Reliquien, die eines Kurfürsten Frömmigkeit als Notbkbelfer und Tröster, als Frömmigkeitsbeweise und Himmelss{lüfsel bier gesammelt hatte, ihm nichts mehr galten und unter seinen Händen zerrannen, und statt

Auslandes, der Reichskanzler, die Generalität, die Chefs des Civil-, des Militär- und des Marinecabinets, die Staats- Minister und der Präsident des Evangelischen Ober- Kirchenraths, der inister des Königlihen Hauscs, Vertreter der Präsidien beider Häuser des Landtags, der Präsident der Ober-Rehnungskammer, der Präsident des Reichsgerichts und der Ober-Reichs-Anwalt, die Staasfecretärc des Reichs-Schagamts und des Auswärtigen Amts, die stimm- : p führenden Bundesrathsbevollmächtigten der evangelishen Fürsten | des Reformators huldigen. Die Geschihte der Schloß-

ien Stä i St 6 i firde ist mit Recht eine Deutshe NReichs- und Kirchen- fa varlmans lade Tnxtreter der QI0Ds Ub Des ATees geschichte im verjüngtem Maßstabe genannt worden, an fie ist das

L , : s Gedächtniß dreier edler Fürstenhäuser geknüpft. Befonders aber habeu Die Stadt hatte zu ihrem Ehrentage ein festliches Ge- | die pr Nba Bois E A, seitdeza Wittenberg unter des wand angelegt. Vom Bahnhof aus war die in die Stadt | erlauhten Hohenzollernhauses ruhmvollem Scepter steht. Davon führende Straße zu beiden Seiten mit Masten cingefaßt, die | zeugen unfere Bauten, davon unsere Denkmäler. Und nun erhält mit Guirlanden umwunden waren und von denen | diele Stadt, und mit ihr die ganze evangelische Christenheit beute Fahnen in den deutshen Farben flatterten. Am Ein- | noch das kostbare Geschenk der herrlich erneucrten SMolcade gange zur Stadt, diht vor dem Lutherhause, war eine Gerubhen Eure Kaiserlihe und Königlihe Majestät, huldreichst zu reih befränzte und geschmüdckte Ehrenpforte erbaut, vor

gestatten, ae ih mein a Ter Roe I Rees mit dem Lutherhause cine Tribüne für die Allerhöchsten Herr- dem ehrerbiefigften Dante für dieses Geschenk verbinde! chaften und deren Gäste errihtet, von der aus Seine Majestät

als ‘der | 1h hi getreuer Erbe, hat es mit jugentfri! her j“ zu empfangen s eie Thatkrafl Sllcaden dürfen, so daß Er heute seine heilige Luit sieht an

Endlich was heilige Erinnerungen werth sind, au das drängt ih Hier im engen Raume mit weltbewegender Fülle. Aus den Grüften redet es von dort her, wo der Asfanier alterémorshe Särge durch Kaiserliche Pietät eine würdige Ruhstatt gefunden haben, bis dort hin, wo neben ihren fürstlichen Beschüyern die geistesmächtigen Helden der Reformation von ihrer Arbeit und von ihrem Kampfe s{chlum- mern. Die Steine zeugen es, die, mehr denn einmal, indes Vaterlands Wehe zusammengebrochen und in des Vaterlands Sieg erneuert worden find. In unsern Ohren rauscht es aus diefem „Vochwald mächtiger

Nachdem Seine Majestät die Erlaubniß ertheilt hatten, ge- ruhten Allerhöchstdieselben aus der Hand des bauleitenden Architekten, Geheimen Ober-Bauraths Adler den Schlüssel zu übernehmen und ihn sodann mit Worten des Dankes und der Genugthuung über das vollendete Werk dem Präsidenten des Evangelischen Ober-Kirchenraths zu überreichen, welcher mit folgender Ansprache dankte :

Allerdurßlauchtigster Großmächtigster Kaiser und König! Aller- nâädigster Herr! Mit tiefem ehrfurchtévollen Danke nehme ich den

chlüfsel aus Gurer Majestät Händen in Empfang, welcher das in reidem Shmudck erneuerte Heiligthum der evangelishen Kirche er-

{lichen foll. von den Émporen hier und aus den Fenftern dort mit manchem

Seine Majestät der Kaiser erwiderte hierauf, wic Er den historischen Festzug in Augenschein nehmen wollte. Jn der Collegienstraße, die vom Lutherhause beim Marktplaß vorbei nah der Schloßkirche führt, hatte sich jedes Haus mit Fahnen, Kränzen und Guirlanden geschmückt. Der Marktylaß, auf welchem die Standbilder Luther's und Melanchthon's vor dem Rath- hause stehen, war von einer Reihe hoher mit Guirlanden ver- bundener Mastenumgeben; ander südlichen Front des Rathhauses war für die fürstlihen Gäste ein Podium errichtet, das gleich: falls in würdiger Weise decorirt war.

Schon in der Frühe entfaltete sich bei herrlihem fonnigen Wetter ein reges Leben. Von den geladenen Fürstlichkeiten waren eiwa in der zehnten Stunde Jhre Königlichen Hoheiten die Prinzen Friedrich Heinrich und Foachim Albrecht von Preußen sowie der Großherzog von Sachsen und der Großherzog von Oldenburg, Jhre Hoheiten der Herzog von Sachsen-Altenburg und der Herzog von Anhalt sowie Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg-Sondershausen ein- getroffen und hatten sich alsbald nah dem Podium vor dem Nathhause begeben. Bei der Anfahrt daselbst wurden Höchst- dieselben von dem Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse und dem Präsidenten des Evangelishen Ober- Kirchenraths Dr. Barkhausen begrüßt. Am gestrigen Abend waren Jhre Durchlauchten der Fürst zu Waldeck und Pyrmont, der Fürst zu &chwarzburg-Rudolstadt, der Fürst Reuß älterer Linie sowie in Vertretung des Fürsten Reuß jüngerer Linie Seine Durchlaucht der Erbprinz eingetroffen. Seine Majestät der König von Württemberg war durch den gestern Abend er- folgten Toò Jhrer Majestät der Königin Olga am Erscheinen behindert und hatte sih deshalb genöthigt gesehen, die bereits angetretene Fahrt nah Wittenberg zu unterbrechen.

Um 11 Vhr Vormittags erfolgte die Ankunft Jhrer Majestäten mittels Sonderzuges. Mit Allerhöchstdenselben zugleich trafen cin: Seine Königliche Hoheit der Prinz Heinrich von Preußen, Jhre Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrich Leopold von Preußen, Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, in Vertretung des Herzogs von Sachsen-Meiningen Seine Hoheit der Erbprinz, Jhre Königliche Hoheit die Erbprinzessin von Sachsen- Meiningen, in Vertretung des Großherzogs von Baden Seine Königliche Hoheit der Erbgroßherzog, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen, Jhre Königlichen Hoheiten der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin von Oldenburg, in Vertretung des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin

Seine Hoheit der Herzog Johann Albrecht, ferner Seine Hoheit der Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein, für den Mingeg zu Schaumburg - Lippe Seine Durh- laucht der Prinz Adolf, für Jhre Majestät die Königin von Großbritannien und Jrland Seine Königliche Hoheit der Herzog von York, für Jhre Mazcstät die Königin - Regentin der Niederlande der Ober-Mundschenk Baron van Harden- broek, für Seine Majestää den König von Dänemark Seine Hoheit der Prin Johann zu Schleswig - Holstein- Sonderburg - Glücksburg und für Seine Majestät den König von Schweden und Norwegen Seine Königliche oheit der Kronprinz von Schweden und Norwegen. ls Vertreter des Großherzogs von Mecklenburg - Streliß war der Staats - Minister von Dewitß, für den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha der Wirkliche Geheime Staatsrath und Staats-Minister Strenge entsandt. Außerdem waren be- reits gestern Abend der Bürgermeister von Lübeck Dr. Behn, der Bürgermeister von Bremen Dr. Pauli und der Bürgermeister von Hamburg Dr. Mönckeberg eingetroffen.

Am Bahnhof fand kein officielleec Empfang statt. Als die Majestäten in die Stadt einfuhren, ertönte von allen Thürmen Glockengeläute. Zuerst fuhren Jhre Majestät die Kaiserin und Königin, von der Menge mit Jubel und aus den Fenstern mit Tüchershwenken begrüßt, um das Rathhaus herum nah der Schloßkirche; in dem folgenden Wagen saßen die drei ältesten Kaiserlihen Prinzen. Jhre Majestät begaben Sich direct in die Sacristei der Schloßkirhe, wo Allerhöchsldieselbe von dem Unter-Staatssecretär D. von Weyrauh, dem Ministerial-Director Dr. Bartsch, dem Ober-Consistorial:Nath Hubert und dem Ober-Consistorial- Rath Dóblin empfangen und unter Vorantritt der Oberinnen der deutschen Diakonissenhäuser auf den für Allerhöchstdieselbe auf der südlichen Empore zwischen Altar und Kanzel hergerichteten Plat geleitet wurden.

. Seine Majestät der Kaiser und König, Allerhöchstwelcher die Uniform des Regiments Gardes du Corps angelegt hatten, begaben Sich nach der Ankunft in Begleitung des Fürsten zu Stolberg- Wernigerode unter dem Jubel der Menge nah dem Markt- plag, wo eine Ehrencompagnie des Infanterie-Regiments Graf Tauengzien von Wittenberg Nr. 20 aufgestellt war. Seine Majestät verließen den Wagen vor dem Play, um die Ehrencompagnie, deren Musikcorps das „Heil Dir im Siegerkranz“ spielte, abzuschrciten und alsdann den Parademarsh_ abzunehmen. Hierauf näherten Sich Scine Majestät dem Aufgang zum Podium am Rathhause, auf dem die Fürsten und deren Vertreter bereits versammelt waren, während auf dem weiten Marktplaß im Halbkreise vor der südlichen Front des Rathhauses der Reichkanzler, das Staats- Ministerium, die Generalität, die Directoren des Prediger- Seminars, die Vertreter der evangelischen Kirchenrcgierungen und Vertreter der Stadt und des Kreises Wittenberg Auf- ellung genommen hatten. Dort wurde llerhöchstderselbe von

dem Bürgermeister der Stadt Wittenberg Dr. Schild," der von

‘den Mitgliedern: des Magistrats und der Städtverordneten-

- Kaiser Friedrih?s Majestät, mit einer H

nur das Werk vollendet habe, zu welchem Allerhöchstsein Groß- vater den Grund gelegt und welches Kaiser Friedrih mit allen Fibern seines Herzens gefördert habe. eide Kaiser hätten das Werk nicht mehr vollendet gesehen. Jndem Er jeßt das schóne Gotteshaus der evangelishen Christenheit über- gebe, hoffe Er, daß es dieser wie der Stadt Wittenberg eine Mahnung zur Gottesfurht, zur Königstreue und Loyalität sein werde. Alsdann reichten Seine Majestät dem Bürger- meister dankend die Hand und betraten darauf das Podium zur Begrüßung der Fürsten.

Nunmehr erfolgte die Huldigung der auf dem Markt- plaß Versammelten, die vor ihrem Kaiser und König sih tief verbeugten, während Seine Majestät Sich in huldvoller Weise verneigten. /

Es war 111/, Uhr geworden, als von hier aus unter GloŒengeläute der feierlihe Kirchgang seinen Anfang nahm. Den Zug, der sich durch ein Militärspalier Ute und von einem militärischen Detachement geschlossen wurde, Dircctoren des Wittenberger Prediger - Seminars, Superintendent Quandt, Pro- fessor Reinete und Professor Schmidt; hinter diesen ihritten zunächst die Hof- und Domprediger Vieregge und Faber sowie der Verfasser der officiellen Festshrift (Friedrich der Weise und die Schloßkirhe von Wittenberg) Conjistorial- Nath D. Köstlin aus Halle. Sodann folgten unter Führung des Ersten General-Superintendenten der Provinz Sachsen D.Schulge, sowie der General- Superintendenten Ober-Consistorial-Rath Braun T1. aus Berlin und Wirklicher Dber-Contistorial-Rath D. Erdmann aus Breslau, die übrigen preußishen General- Superintendenten, der Feldpropst und der Abt von Loccum; es schlossen sih an die Vertreter der evangelischen Kirchen- regierungen, der Rector, der Universitätsrihter und die vier Decaue der Universität Halle-Wittenberg (der niht evan- gelishe Decan der medizinischen Facultät wurde durch einen evangelishen Professor dieser Facultät ver- treten); der Kreisausshuß des Kreises Wittenberg, die Vertreter der Stadt Wittenberg und die evangelischen Geistlihen von Wittenberg, das Fesicomité, die Generalität, die Staatssecretäre des Deutschen Reichs, der Präsident des Neichsgerihts und die Bundesrathsbevollmächtigten; der Präsident der Ober - Nehnungskammer und Vertreter der Präsidien beider Häuser des Landtags; die Chefs des Civil, des Militär- und des Marine- cabinets: das Staats - Ministerium, der Minister des Königlichen Hauses, die inactiven Staats-Minister und der Präsident des Evangelishen ODber-Kirchenraths. Alsdann nahten die hohen Fürstlichen Gäste nebst ihrem Gefolge, und zum Schluß Seine Majestät der Kaiser und König, von Allerhöchstscinem Gefolge begleitet. Sobald Seine Majestät Sih dem Plaß vor der Thesen- thür, neben der für Allerhöchstdenselben cin Zelt (mit der Jnschrift Nisi Dominus frustra) errichtet war, näherten, intonirten die auf dem Thurme der Schloßkirhe aufgestellten Bläser das alte Lutherlied: „Ein? feste Burg ist unser Gott“. Alsbald betraten Seine Majestät und die Fürstlihen Gäste das Zelt, während die anderen Theilnehmer an dem Kirchgang sich in der Reihenfolge, wie sie gekommen, zur anderen Seite der Thesenthür und gegenüber dem Zelt im Halbkreise auf- gestellt hatten. Die den Bau leitenden und ausführenden Architekten hatten zwischen der Thesenthür und dem Kaiserlichen Zelt Aufstellung genommen, rechts und links vor dem Aufgang zum Zelt der Minister der geistlihen, Unterrichts- und Medi- zinal-Angelegenheiten Dr. Bosse, . sowie der Präsident des Evangelischen Ober-Kirchenraths, Wirklihe Geheime Rath Dr. Barkyausen. Auch zahlreiche Geistlihe sowie Vertreter I Corporationen aus Halle hatten sih hier ver- sammelt.

Nunmehr trat Staats-Minister Dr. Bosse hervor und richtete an Seine Majestät folgende Ansprache zur Uebergabe des Schlüssels:

Eure Majestät stehen hier im Angesihte des Gotteshauses, an dessen Thür D. Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen anges{lagen hat. Die Stätte, auf der wir stehen, die Kirche, auf welche Eure Majestät hier blicken, is heiliges Land. Sie is die Wiege der deutschen Reformation. Bie Stürme der Zeiten find darüber hingegangen. Zwei- mal hat der Krieg die Grundvesten dieses Gottteshauses ershütter. Es hatte {wer gelitten und war hin- fällig geworden. - Gott aber hat es erhalten als ein Zeugniß für die Lebenskraft der evangelischen Kirche.

_Aus Anlaß der vierhundertjährigen Wiederkehr des Geburtsjahres Luther's faßte des in Gott ruhenden Kaisers und Königs Wilhelm des Ersten Majestät den bo{hberzigen Entsbluß, das ehrwürdige Bau- denkmal in einer der Würde seiner geshichtlihen Bedeutung ent- spreche nden Gestalt zu erneuern. / Diesen Gedanken hat Eurer Majestät Hochseliger Vater, [ X ingebung und Treue ohne Gleichen unablässig gepflegt und der künstlerishen Ausführung ent- gegengeführt. *

Beiden unvergeßlichen Herrschern wird dafür von allen evangelischen Herzen tiefer Danë gezollt. i] j]

; In pietätvoller Liebe haben Eure Kaiserliße und Königliche - Majestät das Erbe Allerböchstdero großer Vorfahren niht nur als Schirmherr der evangelischen Landeskirhen Preußens, fondern auch als Erneuerer dieses

eröffneten die zeitigen

otteshauses übernommen.

als je steht heute das Denkmal der Reformation, die Ruhbestätte Luthers und Melanchthou's, vor unseren Augen, - eine unvergleichliche Zierde für diese altberühmte Stätt, ein weit in» die Lande . hinaus

Versammlung umgeben war, durch folgende Ansprache begrüßt :

Gott hat Eurer Majestät das Werk gelingen lassen. Herrlider |.

Ist diefes Kleinod den evangelischen Landeskirhen Deutsländs ein Unterpfand der treuen Fürsorge, mit welcher Eure Majestät und die evangelischen Fürsten Deutschlands Ihres hohen- Amtes als Plleger, Hüter und Schirmer des evangelishen Glaubens zu walten

eflissen find, so soll es. den Dienern der evangelischen Kirhe Wahr-

zeichen und Mahnung fein, in treuem Eifer auf dem Grunde des Wortes Gottes und in dem Sinne der gottbegnadeten Reformatoren fortzuarbeiten, um die Seelen dem Herrn zu gewinnen.

Und. laut und hell foll der Mahnruf hinaus\{allen in das evangelische Volk: Haltet fest in deutscher Treue, in deutscher Frömmig- keit am Glauben der Väter an Jesum Christum den Gekreuzigten und Auferstandenen, fl-ißigt Euch erbarmungsreiher, duldsamer Liebe gegen alle Mitbrüder, getröfstet Eu der feligen Hoffnung auf das den bußfertigen Sündern in Christo Jesu allein durch Gottes Gnade verheißene ewige Leben. :

Das walte Gott in Ewigkeit. Amen!

Darauf übergab Präsident Dr. Barkhausen den Schlüssel dem Superintendenten Quandt etwa mit folgenden Worten: „Auf Befehl Seines Majestät des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, des Schirmherrn und Bauherrn dieses Gottes- hauses, und kraft des mir übertragenen Amtes als Vorstehers der höchsten kirhenregimentlichen Behörde dieser Lande, über- gebe ih Jhnen, als dem berufenen Diener am Worte diesen Schlüssel, um die Thür des erneuerten Gotteshauses zu öffnen. Möge diese Pforte Allen, welhe durch dieselbe eintreten, werden zur Thüre zum Himmelreih. Amen !“

Nunmehr öffnete Superintendent Quandt die Thesenthür, und unter den Klängen der vom Kosleck schen Bläserhor vor- getragenen Festhymne trat der Zug in derselben Reihenfolge, wie er vom Markftplaß gekommen, durch die Thesenthür in das Gotteshaus. Die General-Superintendenten nahmen um den Altar Aufstellung; vor den Altar traten die General- Superintendenten D. Schulße, D. Braun und D. Erd- mann; in der reihgeshnißten und mit Wappen verzierten Chorstühlen, rechts und links vom Altar im Chor, nahmen die Fürstlichkeiten Plaß; rechts am Altar die Vertreter der vier ausländischen B S links vom Altar, zwischen diesem und dem Fürstengestühl Seine Majestät der Kaiser und König auf dem für Allerhöchstdenselben bestimmten Kaiserstuhl ; ferner vor dem Fürstengestühl links der Reichskanzler, der Minister der en 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse mit dem Präsidenten

r. Barkhausen und den übrigen Mitgliedern des Staats- Ministeriums sowie der Fürst zu Stolberg-Wernigerode ; vor dem Fürstengestühl zur Rechten die Generalität, im Schiff links hinter dem Grabmal Melanchthon's das Fürstliche Gefolge, rechts hinter dem Grabmal Luther's die Vertreter der Kirchenregierungen; dahinter - und auf der Empore saßen

- die übrigen zu dem Weiheact Geladenen; im Chor und in

dessen Nähe hatten auch die Ob-rinnen der deutschen Diaconissen- häuser, welhe vorher Jhre Majestät auf die Empore geleitet hatten, Platz erhalten.

Nachdem dic Hymne verklungen, stimmte die Gemeinde den Choral: „Komm', heiliger Geist, Herre Gott“ an, worauf der Ersie General - Superintendent der Provinz Sachsen D. Schulge folgende Weiherede hielt :

Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Hohe Festversammlung! Theure evangelisWe Brüder! In ernster, tiefbewegter Zeit ein Tag des Heils! und die Glocken läuten’s weit durch das Land, und in der betenden Gemeinde tönt es wieder „Ein? feste Burg is unser Gott!“ Was weiland Friedrich Wilhelm TV. abnungëvoll begonnen, als

er die 95 Zeugen, aus Erz gegossen, in diefen hehren Tempel ein- efügt ; was der glorreihe Schöpfer deutscher Einheit als ein heiliges Vermächtniß zurückgelassen; was der Dulder auf dem Thron in den Tagen seiner Kraft kunstsinnig und begeistert in die Hand genommen : der Kaiserliche, erhabene Gebieter des Reichs, Dem's unter Gottes Gnade und Segen beschieden, das Werk in hochherziger Pietät zu för- dern uxd glücklih zu vollenden, Er opfert es heute dem Herrn; und um Ihn geschaart, feiert das evangelische Deutschland, in seinen fürst- lichen Häuptern und all seinen Ständen, ein Opfer des Danks und des Bekenntnisses, dem König der Könige zu Chren, den Vätern in Christo zum Gedächtniß, den nachkommenden Geshlechtern zum Zeugniß: ehrwürdiges Gotteshaus, Geburtsstätte deutscher Re- formation und zuglei ihrer Helden Grab, von Alters her dem Volke heilig und nun verjüngt in wunderbarer Schöne, sei uns gesegnet, sei uns gegrüßt! In Deinem- Schmuck ein Spiegel: was deutshe Kunft noch beute kann, bleibt Deine Krone doch jene Thür, die einer ge- fangenen Christenheit die Thür zur Freiheit ward; Dein höchster Ruhm: das eherne Lutherwort, das allem Menschenruhm ein Ende seßt. Die Hammerschläge dort, sie zitterten durch die deutshe Seele nah. „Als wären die Engel Selbst Botenläufer gewesen“, so zog der Weckcuf des deutshen Gewissens von Ort zu Ort, von Haus zu Haus; und beute noch, foweit die Kirhe des Worts ihre Kinder unter ihre Flügel sammelt, ift dieses „Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes* ihr höchster Schah :

«Wir werden obne Verdienst gerecht, aus Seiner Gnade, dur die Erlö’ung, so ducch Jésum Christum geschehen ist."

(Röm. 3, 24.)

__„Dhne Verdienst"; ein König läßt sich nichts abmarkten: er ver- weigert entweder, oder er s{enft; und Er, der ewige König, der s und Erde in seinen Händen trägt? „Mein Haus ist ein Bet- aus, kein Kaufhaus“, spriht der Herr Herr. Daß die Gnade mit dem flehenden Sünder niht um Werke hanvelt und sich mit Opfern nichts abhandeln läßt: daß die Nenn unserer Sünden ein könig- lih Geschenk: um Christi willen | dem Glauben allein gegeben, und mit der ausgestreckten Hand des Glaubens allein genommen, „von dem Artifel kann man nicht weihen noch nachgeben, es falle

immel und Erde, oder was nicht bleiben mag!“ Dem Heiland feine

ittlerkrone, die theuer erw e: die Krone, die er mit Keiném theilt! auf dem Symboluin tehen wir, sterben wir. --.- Ob Deutschland- cs mit einem tiefen Riß bezahlt, ob auch der

ragendes Zeugniß für den Bestand der evangelischWen Wahrheit.

S{hmerz uin die vermißten Brüder nicht in uns vernarbt, zwar,

Völker beut zu verbluten drohen: nur fo aus Naht und Dunkel der Morgen tagen, da Brüder einträchtig bei einander wohnen : daf, wer da niedrig ist, si feiner Höhe rühme, und wer da rei ift, fich rühme seiner Niedrigkeit. j : Kir&e des Evangeliums! auch Du, die Er rei gemacht, rühme Dich Deiner Niedrigfeit! Der Tag von Wittenberg, der Tag des Bekenntnisses, sei auch ein Tag der Beichte: „Du, Herr, bist gerecht, wir aber müssen uns s{ämen.“ Aber die Wahrheit soll fröhlih das Haupt aufheben; und dur die Gnade entsündigt, werfen wir Panier auf: „Der Herr, der unsere Gerechtigkeit, ist unsere Stärke!“ Aus Brand und Feuersgluthen war die Herrlichkeit dieses neuen Haufes größer, denn die des ersten war; in Gottes heiligen Flammen geläutert, wird auch die Kirche an Hauyt und Gliedern herrlicher erstchen. Die alte Thesenthür, sie ist zerfallen. Auf, Volk des Herrn ! ziehe Macht an, Macht tes Glaubens, daß ihr Lutherzeugniß in die Tafeln des deutshen Herzens eingegraben bleibe, daß Ströme des Lebens und der Liebe sich von diejem Tag ergießen! Und wenn heut? Deine Athen ih um die Losung shzaren: „Jh und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“; wenn fie, wie einst die Fürsten am Tag von Augsburg, nun mit dem Kaiserlichen Haupt an ihrer Spiße, si zu dem großen Evangelium bekennen: „gerecht aus Gnaden dur den Glauben“, es sei auch unser Gelübde ver aller Welt, und in des Herrn Kraft wollen wir es halten. i Dein sind wir, Du Gott unserer Väter, Dein bleiben wir auch! Amen. Und so, kraft meines Amts und aus der Vollmacht, die mir vom Kaiser, unserem Könige, dem erhabenen Schirmherrn unserer Kirche,

hierzu verliehen ist, übergebe ih dieses Haus zum Tempel dem drei-_

einigen Gott in Seinen Dienst; und Alles, was beten kann, stimme betend in die Weihe mit ein : Barmherziger, gnädiger Gott, wir danken Deiner großen Güte, daß Du wvvrnials an diesem Ort ein es Deiner Wunder estiitet,- und daß Du uns gegeben hast, dies Haus Dir neu zu auen. Wir bitten Dich von ganzem Herzen: mache Dich nun auf zu dieser Deiner Wohnung, mit den Mitteln Deiner Gnade; laß Deiner heiligen Taufe Werk an diesem Taufstein kräftig walten, laß Dein alleinseligmachendes Wort auf dieser Kanzel erschallen, dee diesen Altar mit den gnadenreien Gaben Deines Tisches, heilige diese Orgel durch die Lieder Deines Lobes, daß also dies Haus Dein Haus werde. Nimm auch niht weg, Du treuer Gott, von diefer täâtte das Regiment Deines Gesalbten, erhalte Dein Wort und Sacrament lauter und rein an diesem Ort, und allcs Velk, das Du jetzt und künftig Dir hier sammelst, erleuhte und heilige, daß es Deine Behausung werde in dem Heiligen Geist. L Gedenfe nah Deiner Güte des Kaiserlichen Bauherrn, und wie Er Dir das Haus zugerichtet bat, so baue Du Ihm Sein Haus und fülle es mit Gnade und mit Frieden. _ N Segne auch den Baumeister diescs Hauses, und Alle, die mit Nath und That an demselben geholfen und gearbeitet haben. Und Alle, die als Deine Gemeinde an dieses Haus gewiesen ind, fonderlich die zukünftigen as Deiner Wahrheit, weide b mit Deinem Wort, sende allzeit treue Hirten und Lebrer an diese Stätte und gieb den Worten Kraft und Segen, hier_ und draußen, daß diese Stadt, daß unsre ganze Kirche, unterm Schuß unsers geliebten Kaisers si baue, wie vor Alters, zu einer Stadt auf dem Berge. Du starker, barmherziger Gott, der Du verheißen hast: „Bittet, so wird euch gegeben“, erhöre folch unser Gebet um Deines Namens Ehre willen, durch Jesum Christum Deinen Sohn, unsern Herrn. Amen.

Als der Geistlihe das Weihegebet begann, kniete die ganze Gemeinde nieder; zugleih fang der Domchor in leisen Tóöónen die Hymne von Bortnianski: „Du Hüter Jsrael's“, während die Glocken der Schloßkirche und der benachbarten Gemeinden die Vollziehung des Weiheacts verkündeten.

Nachdem die Weihehandlung vollzogen, begann der eigentliche Festgottesdienst mit dem vom Domchor ge- sungenen Pjalm: „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“, worauf die Gemeinde den Choral: „Ein? feste Burg ift unser Gott“ anstimmte. Superintendent Quandt hielt die Liturgie, bei der die Bibelstelle Römer 5, 1 und 2 verlesen wurde. Nach dem abermaligen Gesang der Gemeinde bestieg der Hof- und Dom- Be Vieregge die Kanzel und nahm das Wort zu folgender

redigt :

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ift und der da kommt. Der Himmel ist sein Stuhl und die Erde seiner Füße Schemel, doch läßt er sih's gefallen, zu wohnen bei den De- müthigen, und einzufehren, wo ihm treue Hände einen Altar bauen, und wo reine Herzen ihn anbeten im Geist und in der Wahrhéit. Er fôrdere das Werk unserer Hände! er segne das Zeugniß der Lippen, die seinen Ruhm verkündigen! Herr, unser Herrscher, wie herrlich ift dein Name in allen Landen! Halleluja! j L

Dies Gotteswort, welhes als erster Predigttert an dieter er- neuerten Stätte der Verkündigung laut werden joll, steht geschrieben im 11. Mose, 3. Vers 4 und 5, also lautend:

„Da aber der Herr sahe, daß Moses binging zu sehen, rief ihn Gott aus dem Busche und sprach: Mose, Mose! Und er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, ziche deine Schuhe: aus von deinen Füßen, denn der Ort, da du auf stehest, ist ein heiliges Land.“

Ein heiliges Land! Ist es niht wirklich an dem, daß im gegen- wärtigen Augenblick jeder unter uns fich getragen fühlt von der einen Empfindung: „wie beilig ist diese Stätte“! Was heilige Kunst ver- nag, das ist in wundervoller Weise, in Kraft und Schönheit, in Würde und Anmuth, in SWhlichtheit und Mannigfaltigkeit über dies Haus ausgegofsen, und ob wir zum BoUwerk ausshauen, welhes wie ein Sinnbild seiner eigenen Inschrift draußen E sEine feste Burg is unser Gott“! ob wir den fein\ten Zügen nachspüren, welche hier drinnen Zeugniß geben: „Jh s{äme mi des Evangelii von Christo nit“, überall freuen wir uns folcher heiligen

óne, und unser Herz möcbte lobsingen: „Wie lieblih find Deine

ohnungen, ebaoth!“ Und was beilige Liebe erreicht, au) dafür steht dieses vollendete Gotteshaus als ein föstlihes Denkmal da. Fürstenliebe hat es gegründet, gehegt und FMral- einst noch im irrenden Glauben, dann im geläuterten Glauben. Königsliebe. konnte das- Herz uicht. davon losreißea, und Kaiserliche,

finnigen Wahlspruch, mit manchem beredtsamen Bild und Wappen. Ist es nit also: „Der Ort, da du auf stehest, ist ein heiliges Land“ nah Kunst, nah Liebesbeweis und Erinnerung? Und doch seben deine Augen fragend mich an: „O warum läßt du das tiefst-, das ‘entscheidende Wort unauêgesprochen 2?“ und du hast Recht. Aber unausgesproWen ist diésès Wort bisher nur geblieben, nicht um ver- gessen zu sein, sondern um aufgesyart zu werden als höchstes und bestes. Denn heiligen im eigentlichen Sinne das vermag nicht der Menschen Thun und Geschick, sondern das ist die Sache Gottes des Herrn. Darum ein hbeiliges Land in Wahrheit ift vie Scholle noch niht, wo Menschen ihr Größtes und Bestes, ihr Schönstes und Liebstes zusammengetragen haben, fondern das ift die Stätte allcin, wo wir in unmittelbarer Erfahrung die Ueber- zeugung davongetragen: „Gewißlich is der Herr an diesem Orte!* Und der Herr war an diesem Orte, als Luther's Hammerschläge jene Thorflügel \{chmiedeien zu Pferten der Gerechtigkeit, die da kommt „allein durch den Glauben“. Der Herr war an diesem Orte, als das lautre Wort, die Predigt der freien Gnade Gottes in Christo, der Dienst der unverfälschten Sacramente von hier seinen Auëgang nahm in alle Lande. Der Herr war an diesem Orte und hielt seine Augen ofen über der Wiege, über der Kirche der Reformation. Und der Herr bleibt an_ diesem Orte, er wird fortfahren, sein Volk zu segnen von einer Stätte aus, wo er seines Namens Gedächtniß also gesliftet hat, wenn anders auch das Volk fortfährt bei seines Gottes Namen und Worte zu bleiben: „Herr ih habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnet*, wenn auch künftige Geschlechter, in reinem Verständniß und dankbarer Verbundenheit, hierher schauen und hicrber pilgecn werden mit dem gleichen Bekenntniß, welches heute unfer Be- kenntniß ist: Siehe, der Ort ist ein heiliges Land, wo wir erstens Gottes heilige Offenbarung in besonderer Klarheit erkennen, und zweitens Gottes heiligenden Mahnruf in besonderer Dringlichkeit vernehmen.

Und beides, dürfen wir getrost sagen, geschicht für jeden evan- gelishen Christen hier. Allerdings wohnt der Heilige niht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, und alles Vergängliche ift für die Fülle seiner Erscheinung nur ein Gleichniß, fei es der brennende Dornbusch wie dort auf dem Horeb, sei es ein ragendes Gotteshaus wie heute und bier. x

Und doch bleibt es richtig: „Gott war in Christo“; „das Wort ward Fleis und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlich- feit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahr- heit.“ Im persönlichen Leben des menshgewordenen Gottesfohnes auf Erden ist die Fülle der Gottkeit leibhaftig, erscheinend, sich ofenbarend: „Philippe, wer mich sicht, der sichet den Vater!“ Und ebenso bleibt es dabei: „Wie der Vater hat dem Sohne gegeben das Leben zu haben in ihm selber“, fo ist dieses heilige, göttliche Leben in Christo das Licht der Welt, das Licht der Menschen geworden, und auch „der Sohn machet kebendig, welhe er will“. Und darum: wo seines Lebens Frucht, wo seines Geistes Kraft, wo scines Wortes Licht im persönlichen Leben eines erlösten Sünders fich besonders wirksam zeigt, da ist auch heute noch „beiliges Land“; da ist Gottes Offenbarung in besonderer Klarheit. Ist das nun etwa der Heiligen Dienst? Da sei Gott vor, daß wir hier den Dornbush nit mehr Dornbusch nennen sollten! Aber das ist Gottes Ehre, das ist die Herrlichkeit seiner Gnade und Wahrheit in Christo, daß seine Flamme auch im Dornbusch brennen kann, und daß der Dornbusch nit verzehrt, sondern zum Leben erhalten wird. D, ihr wißt cs wohl, wessen wir dabei vor allen gedenken müssen, zumal an dem heutigen Tage und an der gegenwärtigen Stätte. Zwar nit eine Gedächtnißkirhe Luther's ift dieses Gotteshaus, sondern vielmehr ein Heiligthum der gesammten Reformation. Wer aber will es wenden, wenn„Luthec's mächtige Gestalt dabei ganz von felbst in den Vordergrund tritt; wenn sie, wie hier dem Centrum, so auch unsern Herz-n am nächsten steht. Jmmerhin er war ein Dorn- bus, und wer hat die Dornen seiner Natur wohl \{ärfer empfunden als er selbst? Aber in diesem Dornbusch branute des Herrn Flamme, und er ward nicht verzehrt, fondern erleuchtet und gereinigt, erwärmt und geheiligt, und da fing selbst der Dornbusch an, viele Früchte zu tragen, und vom Leibe dieses Gläubigen flossen Strôme des lebendigen Wassers. L

Wir sehen ibn im Geiste, wie er dort an der Pforte den Hammer hebt; wie er ihn s{metternd niederfallen läßt auf eines Tegel’s flingenden Ablaßkasten, auf alle die Rohrstecken priesterliher Heils- vermittelung. auf alle die thönernen Gefäße der SelbstgereWtigkeit und der Werkgerechtigkeit: „Es ist doch unser Thun unmfonst au in dem besten Leben!“ Aber wir sehen ihn L wie er Nagel um Nagel fester einschlägt in den neu gefundenen Trost der Schrift: „Der Gerehte wird feines Glaubens leben“; wie er si immer stärker, immer freudiger aufritet an der Erkenntniß: „Wir boffen auch, durh die Gnade des Herra Jesu Christi selig zu werden.“ Sebt, das ift Glaube, das ist der aue dene; das ist Gottes Flamme, leuchtend im

ornbush.

Und wir hören Luther sich rüsten zum Zuge nah Worms, wie er sih wehrt gegen die eigenen Bedenken, gegen der HEupta Nath- \d:läge, gegen der Feinde Anschläge: „Und wenn in Worms so viel Teufel wären wie Ziegel auf den Dächern, ih wollte doch hinein.“ Aber wir hören ihn auch ringen im Kämmerklein mit seinem Gott; und wir hören ihn dann vor Kaifer und Reih, vor Fürsten und Gewaltigen, vor Hobenpriestern und Schriftgelehrten bezeugen, die Hand fest auf Gottes Wort gelegt : „Hier stehe ih, ih kann nicht anders, Gott helfe mir!* Seht, das ist das Gewissen, das is das ete, ves christlihe Ge- wissen, stark und furhtlos nah allen Seiten hin, aber uuwiderstehlih gebunden in Gottes Wort, das ist Gottes heilige Flamme, läuternd den Dornbusch. S /

Und wir überschau’n endlich dieses Mannes Leben, wie es nah folhen Anfängen seinen Luf genommen hat. Wir seben ihn so ernst und wieder so innig, fo mannhaft und wieder so kindlich, fo E und wieder fo demüthig, so leidvoll und wieder so frohgemuth. _ Wir aa ihn im Streit mit der Welt und im Frieden und in der Freude

Volk, ein Berather für alle; die Gelehrten meisternd, den Kindern ver- traut und verständlich; im Leid gezüchtigt aber nicht getödtet, im Sterben gequält aber doch überwindend. Seht, das ijt Wandel, das ist echter, rechter istenwandel, in der - herzlichen Gebundenheit . und zuglei in der hecrlichen Freiheit eines Christenmenfchen, eines Kindes Gottes, bei dem alles auf Sins. bezogen wird, auf das Wort Gottes, alles von Einem getragen, vom Glaubea an Jesum: Christ, alles von

eines Hauses; im Verkehr mit den Fürsten, im Verkehr mit dem

dessen ¿bn Eins immer theurer und immer gewisser wurde: Das Wort Gottes, welches bleibet in Ewigkeit. Da ire anderes Angesicht bekommen, als sie mit reinem Eifer und mit reinen Händen anfing Menschenseelen zu suchen und zu fangen zum ewigen Leben. Da hat das Staatéleben ein anderes Anfesicht bekommen , als

hat die Kirche ein

Neid und Streit der beiden Schwerter aufhören durfte, als Könige

des Glaubens Pfleger und Fürstinnen der lautern Frömmigkeit Sâug-

ammen wurden und dankbare Unterthanen zu ihnen aufshauten al zu den Hütern ihrer herzlihsten Güter. Da hat die S@vle én anderes Antliz bekommen, als Unterriht und Erziehung, um den einen Kern ber: „weiset meine Kinder, das Werk meiner Hände, zu mir“, sich erweitern und vertiefen, ih bereihern und heiligen fonnten aus jedem Gebiete des Geistes. Da bat das Haus ein anderes Angesicht bekommen, als es vor Möncherei und Nonnerei sich nicht mehr zu schämen brauchte, wie vor dem Vollkommeneren; als Einer drinnen wieder sein konnte, Mann oder Weib, Vater oder Sohn, Mutter oder Tochter, Knecht oder Magd und durfte wissen: so er es war in Christo, dann that er Gottesdienst daran. Und ein anderes Angesicht hat auch der einzelne Christ da bekommen, er, der nun seines allgemeizien Priesterthums fich bewußt werden durfte und batte dur seinen Heiland einen freien Zugang zu Gottes Gnade und fonnte findlich, gläubig, ohne Vermittelung sprechen: „Abba, lieber Vater !* Jawobl, ein neues Zeitalter hat «seinen Auê- gang genommen von den Tagen der Reformation, aber darum? heißt es heute etwa nicht mehr: „Ziehe deine Schuhe aus!“? Wehe der Eigenart oder vielmehr der eigenen Unart unserer Natur, daß wir selbst Gottes freieste Gnadengaben sobald als unsern Willkürbesiß betrahten und nun aus dem Unsern binzuthun, was nit taugt, fremdes Feuer auf den Altar tragen, mit staubigem Schub auf den heiligen Boden treten. O, wie viel Jammer ist der evangelischen Christenheit daraus erwahsen, daß man bald hier, bald dert die S({uhe nit von den Füßen ziebn, das Eigensinnige nit abthun mochte; den Streit mehr als den Frieden liebte, die Zerspaltung höher als die Einigkeit achtete! Wie viel Staub und Wirrniß tragen Unglaube und Aberglaube, Unweisheit und Afterweisheit oft selbst in das Heiligthum! Ja, wie viel Kehricht und Unrath wird von einem sündentrunkenen Geshlehte aus den Een gewirbelt, um die heilige Flamme zuzudecken, wo sie noch brennt im Dornbush! Ds#cum muß wohl ein folher Tag wie der heutige mit befonderer Dringlichkeit mahnen: Du aber ziehe Deine Schuhe aus! Bring? Opfer auf diesem Berge, wie Gott damals dem Moses zum Zeichen gab: Dankopfer, Selbst- opfer! Tritt mit nacktem Fuß, ohne Compromiß und Vor- behalt, an den Ort der Gerechtigkeit! und mit nacktem Fuße, ohne Unaufrichtigkeit und Selbstbetrug auf dem Boden der Wahr- heit! und mit nacktem Fuß, mit voller Selbstverläugnung und Selbst- bingabe auf den Fels des „Heils! Reines Wort, fester Glaube, beiliges Leben, siehe da, von Gottes Dffenbarung in einem Menschenleben is unsre Betrahtung ausgegangen; auf Gottes Offenbarung in -deinem Menschenleben läuft sie am Ende wieder . binaus. Und kommt sclches der Welt niht zu gute, o, Ihr Fürsten und Gewaltigen dieser Erde, gesegnet seid Ihr, denn es fommt Eurem Volk zu gute, und aus Einem können und sollen der Tausend werden, und wo Moses allein seine Schuhe auêgezogen, da hat naher sein ganzes Volk angebetet und geopfert.

Und fommt es etwa nit cinem ganzen Volk zu gute, gesegnet seid au ihr Geringeren, weun es eurem Umfreis, eurem Hause zu gute kommt. Und fommt es selbst seinem Hause niht zu gute, so fommt es doc dir selbst, dem wahrhaftigen und ewigen Leben deines inneren Menschen zu gute, und gesegnet bist au du. Denn deß darfst du gewiß sein : was dich also innerlich erbaut, das verseßt dich ne auf ein viel hbeiligeres Land, als Horeb war; das gliedert dih mit ein in einen unendlih Lkerrliheren Bau, als dieses Gotteshaus is; das mat dih hbeimisch im Himmelreih und zu- gehörig zu dem ewigen Dom, welcher droben #sch vollendet. Dabinein führen niht nur die ehernen Thore der Gerechtigkeit im Glauben, fondetn die Perlenthore seliger Vollendung im Schaub: Da beißt es nicht: „Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen“, denn die Schuhe der irdischen Wanderschaft sind ganz abgethan, und felbst der Leib, den du als Staub im Staube zurükließest, ist dort erneuert und verberrlicht.- Da spricht keine Stimme: „Tritt nit herzu“, sondern vom Stuhle des Lammes geht ein seliger Ruf: „Komm her, du Ge- segneter meines Vaters“. Da brennt keine Flamme mehr*im Dornbusch, aber der Herr wird das ewige Licht sein. Dort ist keine Horebsfrage mehr übrig : wer bist du! wie heißt du? sondern wir erkennen ihn, wie wir selbst erfannt sind; indem wir ihn schauen, wie er ist, werden wir in böchster Erfüllung das uralte, apostolische „Reformationslied“ besiegeln: „Gelobet sei Gott und der Vater unseres Herrn Jefu Christi, der nach seiner aroßen Barmkherzigkeit uns wiedergeboren bat zu ciner lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Todten, zu. cinem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelk- lichen Erbe, das behalten ist im Himmel !*

Amen!

Mit Gebet und dem Segensspruh {loß der Gottesdienst, nach dessen Beendigung der Koslecks{he Bläserhor das Lied „Wilhelm von Nassauwe“ von der Empore ertönen ließ.

Für diejenigen Theilnehmer an der Feier, welche nicht Zutritt zur Schloßkirche erhalten hatten, fand um 12 Uhr ein eat _in der Stadtkirhe statt, bei welhem der Militär - Oberpfarrer, Hofprediger D. Frommel die Predigt

hielt.

ZaN Beendigung des Gottesdienstes in der Schloßkirche R eide Majestäten und die anwesenden Höchsten Herr- chaften durch die Collegicnstraße, von der Menge. und den Spalier bildenden Kriegervereinen jubelnd begrüßt, nah dem Lutherhaus, wo von Allerhöchst- und Höchstdenselben die (im amilihen Theil veröffentlihte) Urkunde unterzeihnet wurde. Sie ist in gothischem Stil gehalten, zeigt in ihrem oberen rechten Theile die äußere Ansicht der Schloßkirche und das Bildniß Luther's, auf der oberen linken Seite das Innere der erneuerten Schloßkirhe, darüber das Wappen Seiner Majestät des Kaëers und Königs. i

Nach der Unterzcihnung nahmen Jhre Majestäten und Allérhöchstderen Gäste nebst den Kaiserlichen Prinzen von der vor dem Luthergause erbauten Tribüne die i des historischen Festzug3 entgegen, der von Bewohnern Wittenbergs

unsrer Kaésér Liebe, hat cs hinausgéführt. Und der Großabhn, im stillen Siuneu des Alters; bol ‘es geplant, und der Sohn, mit dem

Einem beherrscht, vom Gehorsam gegen Gottes gnädigen Vaterwillen,

und der Umgegend veranstaltet war.