1912 / 68 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 16 Mar 1912 18:00:01 GMT) scan diff

in solhem Falle durchzuführen. Dieser Schwierigkeit haben wir fon 1905 uns nicht entshlagen; für die Setattisenne Kündigung oder Erklärung der Ärbeiter über die Fortseßung des Arbeitsverhält- nisses wurde damals die L er befonderen Instanz ver- sucht. Man wollte dies gehä fige oment aus dem Arbeitsvertrag herausbringen, indem man eine Kollektivkündigung durch die Organi- sationen zuließ; bedauerlicherweise sind entsprechende Vorschriften nicht in die preußische Berggeseßnovelle damals aufgenommen worden. Die Forderung eines Minimallohnes, wie er neuerdings auch in Eng- land erstrebt wird, halte ih gleihfalls für nit so utopisch, wie das vielfach geschieht. In mehreren Gewerben haben wir ihn, und es steht ihm eine A s egénüber, die tatsächlich fast überall erreiht wird. Wir haben den Mindestlohn auch in anderen

Gewerben; und wunderbar ist es, daß gerade die Rechte der For- derung widerstrebt, dieselbe Partei, welch

verlangt, wonah dem M von Mindestlöhnen untersagt ist.

e die Aufhebung des § 100g Handwerker in der Zwangsinnung die Fest- Gerade die Rechte und das Zentrum haben sogar im Kaligeseß ausdrücklich Mindestpreise festgelegt, die sih freilih als sehr unpraktish erwiesen haben. Die Bergherren wollen keine Verständigung, sie wollen Herren im Hause bleiben. erinnere den Staatssekretar an den berühmten Aus- spruch in der Bergherrenkonferenz, daß der Negierung der Herren- standpunkt ins Auge gedrückt werden müsse. Herren verhandeln nicht, die dékretieren. Allerdings haben sie {ließlich diesmal verhandelt. Sie haben aber nur allgemeine Versprehungen gemacht, nicht festformulierte Bestimmungen des Tarifvertrages. Nicht immer sind alle Versprehungen gehalten worden, und da kann ih nicht sagen, daß das Recht immer aus\{ließlich auf Seite der Arbeitgeber gewesen ist; aber auch nicht immer auf Seite der Arbeiter. Hier müßte eine bestimmt formulierte Kundgebung herauskommen. Vielleicht könnte die Lohnerhöhung abgestuft werden. Das Richtige würde durch die Verhandlungen zwischen beiden Teilen gefunden werden. Ich sehe auch nit, warum die Zeit für eine Vermittelung der Regierung noch nit gekommen sein soll. Mir scheint im Gegen- teil zu spät eingegriffen zu sein. Jch habe die Empfindung, als ob man in den regierenden Kreisen fein rihtiges Verständnis für die F syche des Volkes hat. Man muß sih fagen, daß bei diesen Volksbewegungen auch eine Erregung, die sie steigert, mitspielt, und daß die Bewegung über die Köpfe der Führer hinausgeht, daß diese mit fortgerissen werden. Es ist dann die Zeit verpaßt, wo die Bewegung in ruhige Bahnen gelenkt werden konnte. Bei einer rechtzeitigen Vermittelung wäre es vielleicht gar niht zu einem Streik gekommen. Die Arbeiterorganisationen sind zu Verhandlungen bereit gewesen. Die Arbeiteraus\chüsse hatten niht das volle Vertrauen der Arbeiter. Es müßte von Organisation zu Orga- nisation verhandelt werden. Es wäre doch eine Kleinigkeit des Zecbenverbandes, sih für kompetent zu erklären, wenn man nur wollte. Die Herren wollen eben niht verhandeln, und wir haben ja gehört, daß sie den Vorwand erheben, daß sie es mit ihrem patriotishen Gefühl nicht vereinigen können, mit Arbeitern die Füße unter einen Tisch zu stellen. Schade, vas wir kein Arbeits- aUeraeieD haben, dann wären wir weiter. Diese Verhandlungen herbeizuführen, müßte niemals zu spät sein für die Reichsregierung. Ich halte den Standpunkt des Staatssekretärs nicht für staats- männish. Der Oberberghauptmann von Velsen hat während seiner früheren praftishen Tätigkeit feine Sozialdemokraten geduldet. Ein solcher Herr ist wenig imstande, seiner Arbeitgeberseele Herr zu werden. Der Staatssekretär ist auch die Eierschalen seiner srüheren Stellung als Handelsminister nicht losgeworden. Wir brauchen hier einen Me ritpier der Regierung, der niht alles Necht auf Seite der Arbeitgeber sieht. Die Forderung der Christlichsozialen war ja auch dieselbe wie die der anderen Verbände. Der Abg. Schiffer hat diese Forderung nicht desavouiert. Gs wäre jeßt die Aufgabe, zu einer gesunden Lösung. zu kommen. Wir brauchen ein Reichsberggesebß. Dies ift unzählige Male gefordert worden. Mit diesem Geseß hätten die meisten Forderungen, abgesehen von den Lohnerhöhungen, durh- geseßt werden können. Der Staatssekretär darf sih nicht auf den \harfmacherishen Standpunkt des Herrenhauses stellen. Jn der Konferenz der Bergherren im Jahre 1909 wurde mit Bezug auf das Beealiids Berggeseßz a Die einzige F, das Geseß zu Falle zu bringen, 1 das Herrenhaus; wir haben da auch glei eine Handhabe, den Minister, der Hand in Hand mit der Sozial- demokratie geht, zu beseitigen. Dieser Minister war, glaube i, da- mals Herr Delbrück. Auch wir wollen den Schuß der Arbeits- willigen und erkennen die Notwendigkeit an, wenn so viele Hundert- tausende streiken, die Schußmannschaft zu verstärken. Wir wissen auch, daß den Schußleuten der Dienst durch die Nervosität ihrer Vorgeseßten erschwert wird, und s Nervosität wird durch solche Verhandlungen, wie wir sie jeßt im Herrenhaus gehabt haben, außer- ordentlich gesteigert. Das kategorische Verlangen des Vertreters des ungekrönten Königs von Preußen nah wirksamem Schuß der Arbeits- willigen führt dazu, daß die Polizeiorgane es für eine gefährliche Sache halten, niht mit der öußersten Schneidigkeit vorzugehen. Wir verstehen nicht, warum man gegen das Institut der Ordnungsmänner ein derartiges Mißtrauen hat, in anderen Ländern hat sich dieses Institut außerordentlih bewährt. Die Ordnungsmänner konnten die Schutleute entlasten, und ihre Heranziehung zur Aufrechterhaltung der Ordnung würde das Mißtrauen gegen die Polizei von vorn- herein zerstreuen. Es stehen zu große volkswirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, als daß man die Sache jeßt ruhig gehen lassen fönnte. Die Reichsregierung hat daher die Pflicht, eine Verein- barung herbeizuführen. Ueber den Zänkereien der Verbände steht uns das Ziel der Gleichberehtigung der Arbeiter in der Regelung des Arbeitsverhältnisses. Wir wollen ein zufriedenes und ein freies Volk, und dazu müssen wir alle, auch die Regierung, mitarbeiten.

Abg. Sosinski (Pole): Die Bewegung im Nuhrrevier ist niht ein Sympathiestreik, sondern der Grund hierfür liegt viele Jahre zurück. Der Streik 1m Jahre 1905 wurde auf verschiedene Versprechungen des Fürsten Bülow hin abgebrochen, also nicht be- endet. Die im Jahre 1906 folgende Berggeseßgebung hat neben einigen Verbesserungen auch enorme Verschlehterungen gebraht. Im Jahre 1908 erfolgte dann die große Katastrophe auf Radbod, worauf im Jahre 1909 den Bergarbeitern eine sogenannte weiße Salbe in Gestalt des Instituts der Sicherheitsmänner gegeben wurde. Alle diese Geseßesänderungen haben die Unzufriedenheit der Berg- arbeiter nit beseitigen konnen, und die Erregung wurde noch ge- steigert durch die Einführung des Zwangsarbeitsnahweises. Um diesen einzuführen, haben die Bergbesißer die {lechte Konjunktur 25 (viba f und ebenso benüßen jeßt die Bergarbeiter die günstige Gelegenheit, die ihnen der englische Streik gibt, zur Erreichung ihrer Ziele. (Der preußische Handelsminister Sydow betritt den Saal.) Wenn die deutschen Verbände sih in Zukunft so bekämpfen, wie sie das bis jeßt getan haben, so werden sie sih gegenseitig aufreiben, und- den Nußen werden davon nur die Arbeitgeber haben. Wir bedauern, daß sich die Lage so zugespißt hat, da wir gegen jede Gewalttätigkeit sind, aber in vielen Fällen hat die Polizei L Veranlassung zu Ausschreitungen gegeben. Ich bin selbst im Strei cbiet gewesen und habe in Herne beobachtet, poB die Polizei die Arbeitswilligen aufgefordert hat, mit Steinen auf die Streikenden zu werfen. Wir sind bemüht gewesen, die Arbeiter im Ruhrrevier gt äußersten Nuhe zu ermahnen, und was tut die Regierung? Die

ersammlungen, auch geschlossene, werden ohne weiteres auseinander- gejagt. Die Polizisten erklären, es sei eine Verfügung von oben gekommen, daß in keiner Versammlung während der Zeit des Streiks polnisch gesproden werden dürfe. Das Betragen der Polizei wider- \priht dem Reichsvereinsgeseßh. Wie sollen die Streikbureaus die Arbeiter aufklären, wenn sie niht polnisch sprechen dürfen. Die Negierung scheint es geradezu darauf abzusehen, daß es zum Blut- vergießen kommt. (Vizepräsident Dr. Paasche: Sie Een der Regierung nicht vorwerfen, daß sie es zum Blutvergießen kommen lassen wolle; ich rufe Sie zur Ordnung.) Die Geseße sind doch da, Herr Vorsizender! Wenn die Regierung so vorgeht, so lieat die Gefahr vor, daß der Streik auch auf andere Gebiete übergreift. Dié Arbeitgeber Oberschlesiens stellen sich auf einen noch \{limmeren Herrenstandpunkt als die im Ruhrkohlenrevier, denn da wurde doch

wenigstens auf die Arbeiteraus\shüsse hingewiesen, die es bielfah auf den oberschlesishen Werken gar niht gibt. Die Löhne sind dort so niedrig, daß man sich nur wundern muß, wie die Arbeiter dabei überhaupt noch bestehen können. Jeder Lohnzettel beweist das. Von einer Grhöhung der Löhne aber wollen die Bergherren dort nichts wissen. Die polnische Organisation wurde auf ihre Eingabe an den Obers@lesischen Berg- und Hüttenmannschaftenverein an die ein- zelnen Zechen verwiesen; auf die Eingaben an diese, z. B. an die Steinkohlengewerks{haft „Charlotte“, erhielt die polnishe Berufs- abteilung der Bergarbeiter die Antwort, daß jede Verhandlung über Arbeitslöhne abgelehnt werden müsse, weil diese Organisation als Vertreter der Arbeiter nicht anerkannt werden könne. Nicht nur die Arbeitslöhne sind niedrig, auch die Arbeitszeit ist viel zu lang, häufig noch 10 bis 12 Stunden... Im preußischen Abgeordnetenhause hat der Handelsminister Sydow erklärt, die Löhne auf den fiskalischen Gruben Oberschlesiens würden erhöht werden; der Minister ist ja jeßt hier, er mag diese fr wiederholen, sonst kann man nicht wissen, wie auch in Oberschlesien die Dinge laufen werden. Den niedrigen Löhnen in Oberschlesien stehen enorme Ueberschüsse der Bergwerke, auch der fiskalischen, gegenüber. Wenn die Zechen- besißer also erklären, sie seien zur Bewilligung einer Lohnerhöhung nit in der Lage, so steht das mit den Tatsachen niht im Einklang. Der Generaldirektor der Hohenlohewerke hat O OELTNRen in fünf Jahren nicht weniger als 1200 000 Æ zur Verbesserung seiner Dienstwohnung und seines Gartens ausgegeben, den ganzen Betrag aber auf das Konto des Werkes geschrieben. Es wäre besser gewesen, man hâtte diese Summe zur Aufbesserung der Arbeiterlöhne ver- wendet. Es liegt am guten Willen der Regierung, zu verhindern, daß der Streik in Deutschland allgemein wird, so mag sie in Ober- \chlesien, im Saar- und Nuhrreviter mit dem guten Beispiel vor- angehen.

Abg. Mertin (Rp.): Der Abg. Gothein hat verschiedenes an dem Verhalten des Staatssekretärs auszuseben gehabt; wir unserer- seits haben uns über seine Rede gefreut, und namentlih gefreut über die Entschiedenheit des Tones, die in leßter Zeit bei der NRegie- rung oft zu vermissen war. Die Regierung foll Ordnung schaffen und Ordnung halten. Nur eine Stelle der Nede ist mir bedenklich erschienen, die Bemerkung, die Gründe des Streiks hätten kein Inter- esse. Er hat das wohl nicht so gemeint; die Gründe des Streiks haben das größte Interesse für uns und das ganze Land. Der Streik bedeutet einen s{hweren Eingriff in das gesamte deutsche Wirtschafts- leben, die Folgen davon find gar niht zu übersehen. Von jedem einzelnen gilt hier das Wort: tua res agitur. Der Abg. Sachse hat freilih gesagt, es wäre eine frehe Unwahrheit, zu behaupten, daß etwas anderes als die Lohnfragen der Grund sei. Die sozial- demokratische Partei hat nicht das Recht, über Wahrheit und Unwahr- heit zu entscheiden; eine Partei, die jeden, der eine abweichende Meinung äußert, als Anwalt der Zechenpartei bezeichnet, die den ruhigen Bericht eines Beamten als bestellte Arbeit bezeichnet, die den Ton und die Sprache eines Abgeordneten nachäfft, 1 nicht dazu berufen. Jch habe mi schon gestern gewundert über die Heiter- keit, mit der Sie diese Sache behandeln. Der Abg. Sachse hat be- stritten, daß es sih um einen Sympathiestreik handle. Aus Ihrer Mitte ist doch das Wort gefallen, wenn man in England streike, so würde man in Deutschland mitmachen. Es 1 nicht zu bestreiten, daß politische Motive den Streik herbeigeführt haben. Man wollte die Christlihen an die Wand drücken, bis sie quietshen. Der Abg. Sachse sagte, Lohnforderungen hätten niht zum Streik geführt. Es ist gestern bewiesen worden, daß die Löhne gestiegen sind und ein weiteres Steigen zu erwarten ist, auch von den Zechenherren in Aussicht gesteUt ist. Diese Tatsache können Sie nicht wegleugnen. Meine Freunde denken niht daran, jede ¿Forderung der Arbeiter nach Lohnerhöhung für ungerechtfertigt zu halten. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. Aber wir bestreiten, daß die Lohnerhöhung von 15 % berechtigt ist. Der Abg. Sachse sagte gestern: Wir versteifen uns nicht auf die 15 %, es können auch 14 oder 13 % sein. Warum haben Sie das niht yor dem Streik gesagt? Die *hrigen Forderungen der Arbeiter machen nur einen deforativen Einvruk. Zum Teil sind sie berehtigt, zum Teil ind ste erfüllt. Eine Verkürzung der Schicht zu fordern, 1 jeden- Ps nicht taktish richtig. Man hat nun gesagt, die Zechen hätten bindende Versprehungen machen sollen, andererseits sagt man, die früheren Versprehungen seien nicht gehalten worden, man glaube thnen überhaupt niht. Ja, wenn Sie thnen nicht glauben, warum verlangen Sie denn Versprehungen? Welche Stellung nimmt nun die Regierung nah dem Streik ein? Es ist hier Sitte geworden, unseren verehrten Kollegen Grafen Posadowsky zu zitieren. Gerade er hat als Staatssekretär erklärt, daß der Staat die Hände von solchen Dingen lassen solle. Es ist unerquicklich, ohne die Möglich- keit eines Erfolges zu haben, sih in solhe Geschichten Fen. Die Regierung als solche hat das Amt und die Möglichkeit, Ver- mittlerdienste zu leisten. Und wenn sie niht die Möglichkeit hat, etwas zu erreichen, so seßt sie ih Vorwürfen aus. Die Bemühungen der englischen Regierung sind vergeblih gewesen, und da hat man sie aufgefordert, ein Geseß über einen Minimallohn einzubringen. Das wollen wir doch niht mitmahen. Was wir fordern müssen, ist ein wirkliher Schuß der Arbeitswilligen. (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Glaubten Sie, daß 1h das nicht sagen würde? Der Abg. Sachse hat es fertiggebraht, große Organisationen, die den Streik nicht mitgemacht haben, als Streikbreher zu bezeichnen. Das verstehe ih nicht. Jch bedauere an den gestrigen Ausführungen des Abg. Schiffer die derben Ausdrücke der gelben Vereine. Er meinte, sie beständen fast nur aus Speichelleckern. Dieses Urteil ist ebenso hart als ungerecht. In diesem vaterländischen Arbeiter- verein sind 34 000 Arbeiter organisiert; sie erfüllen ihre vaterländi- hen Pflichten treu und ohne jede Spetchelleckerei, ohne dabei die Fühlung mit den übrigen Arbeitern zu verlieren. Die Zunahme der Streikenden erklärt sih einfach dadur, daß diejenigen, die arbeiten wollen, gar nit dazu gelangen Tönnen, infolge des unge- heuren Terrorismus der Streikenden. Die Führer der christlichen Organisationen sagen ihren Leuten deshalb, sie sollten lieber nicht arbeiten, als daß sie Gesundheit und Leben ständig in Gefahr bringen, man werde sie für die Dauer dieser erzwungenen Arbeitseinstellung unterstüßen und der Abg. Sachse spricht dann von den Streik- bureaus der Christlihen! Die Arbeitswilligen haben jeßt keinen aus- reichenden Schuß, sie werden in empörender Weise von den Streikenden drangsaliert; da muß abgeholfen werden. Mit geseßlihen Mitteln wird jeßt niht mehr Zeit sein vorzugehen; aber dieser Streik wird eine Lehre sein, ob die jeßigen geseßlihen Mittel ausreichen. Jch bin kein Freund von überflüssigen Strafgeseßen, und meine Freunde au nicht, aber es muß auch in dieser Richtung abschreckend ge- wirkt werden. Für jeßt müssen wir mit Schußleuten und Gen- darmerie auszukommen suchen. (Zuruf: Moabit!) Verseßen Sie sich doch einmal in die Situation eines Schußmanns in einer vollen, vom Terrorismus geleiteten Streikbewegung! Die Leute, die diesen so s{chweren Dienst leisten müssen, werden von Ihnen als „Blut- hunde“ bezeichnet, und dann nennen Sie sich auh wieder die einzigen Vertreter der Unterbeamten! Die Regierung muß sih auch weiter einer CGinmischung enthalten; die würde nur eine Verzögerung, nit eine Beschleunigung der Beendigung des Streiks bedeuten; sie wird am O den Streik beenden, wenn sie die Arbeitswilligen so wirksam wie möglih s{üßt. Wir wollen Koalitionsfreiheit, aber keinen Koalitionszwang; wir wollen das Recht des Menschen zur Arbeit schüßen. ei Ihnen (zu den Sozialdemokraten) ist an die Stelle des Rechts und der Freiheit der Terrorismus getreten; wir aber wollen die Freiheit schüßen!

Abg. Behrens (wirtsh. Vag.): Der Abg. Gothein sprach von einem Gezänke der Arbeitersekretäre. Die Arbeitersekretäre haben sih über wichtige, die Allgemeinheit interessierende Dinge zu unterhalten, mindestens ebenso wichtige wie die allmählihe Aus- einanderseßung des Abg. Gothein und seiner Gesinnungsgenossen über den Zolltarif. Warum der Abg. Gothein so lange Reden hält, versteht auh kein Mensh. Jch bewundere den Mut, mit dem der Abg. Sachse eine Menge von Jrrtümern vorgetragen hat. Er hat eine verlorene Sache vertreten, eine Sache, die für die Arbeiter

schädlich ist. Ueber die Berechtigung der Lohnforderungen der Berg- arbeiter herrscht kein Zweifel. Aber die Art und Weise der Lohn- forderungen scheint den Arden Arbeitern nicht richtig. Ueber die übrigen Forderungen ist unter den Bergarbeitern im allgemeinen auch keine S ti auge rad: vorhanden. Jch habe mich darüber schon früher ausgelassen. Ein Teil dieser Forderungen sind Forderungen, die von allen Organisationen auf geseßgeberischem Wege zu erreichen gesucht worden ist. Die P aa ewerktschaften haben im vorigen Jahre keinen Zweifel gelassen, daß sie eine Lohnsteige- rung über den Stand von 1907 hinaus verlangen. Wir sind auch der Auffassung, gab die Lohnmethode, wie der Arbeitsvertrag im Bergbau einer Reform bedürfen. Diese Reform kann aber nicht auf dem Wege erreiht werden, wie es die sozialdemokratishen und ähnlihe Verbände verlangen. Der Streit ist lediglih, waren Zeit und Umstände, die Art und Weise, wie die Forderungen erhoben wurden, richtig? e unterscheidet sich der christliche Gewerkverein von den übrigen Verbänden. Ihn leiten ledi e wirtschaftliche Interessen. Politishe Erwägungen und Einflüsse |pielen bei ihm keine Nolle. Die gegensäßlichen Darstellungen in der liberalen und sozialdemokratischen Presse sind absolut unwahr. Politische, ins- besondere Zentrumsinteressen haben auf die Taktik des christlichen Gewerkvereins keinen Einfluß. Man möge doch nicht auf die alten Märchen des „Berliner Tageblattes“ hineinfallen. Die Bergarbeiter- führer müssen wissen, daß die Löhne 1911 gestiegen sind. Es folgte Der Beschluß des Kohlensyndikats, die Preise um 4 zu erhöhen; die Zechen machten Anfang Februar durh ihre Presse auch bekannt, daß sie die Löhne erhöhen wollten. In der Konferenz der Ver- bände wurde dies mitgeteilt. Wir überlegten uns. nun, ob es an- ezeigt sei, bei dieser Sachlage in den Streik einzutreten. Ein Lkifäimpf moe nah unserer festen Ueberzeugung zuungunsten der Arbeiter ausfallen. Deshalb lehnte es der Sewarkpertin ab, sih an der Eingabe zu beteiligen. Wir wollten abwarten, ob die Arbeit- geber ihr Versprehen halten würden; geschähe es nicht, dann sei es Zeit, weiter zu handeln. Einen Sympathiestreik zugunsten der englischen Arbeiter hielt der christlide Gewerkverein für unrichtig. Die englishen Arbeiter wünschen selber keinen pa et, sagte Hue. Was hat aber der Abg. Sachse mit den englischen Arbeitern in London vereinbart? Darüber sollte er uns hier Rede und Antwort stehen. Ein allgemeiner Streik der Bergarbeiter würde den allgemeinen wirtschaftlihen Aufshwung stören, zum Schaden der Arbeiter selbst. Etwas anderes wäre es, wenn die Zechenbesißer es abgelehnt hätten, die Löhne zu erhöhen. Dazu kommt, daß die größere Hâalfte der Bergarbeiter im Nuhrrevier nicht organisiert ist. Es handelt sich also darum, ob genügend Geld vorhanden war, um den Streik länger als 14 Tage auszuhalten. Die finanziellen Kräfte der Verbände reichen nicht aus, um auch die nicht organisierten Arbeiter über 14 Tage zu unterstüßen. Der Streik is politisher Natur, er ist Revanche für Bochum. (Abg. Sa h se: Das ist Lüge!) (Vize- präsident Dove ruft den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung.) Der sozialdemokratishe Verband hat, während er auf der einen Seite versuchte, mit dem christlihen Bergarbeiterverband in Fühlung zu bleiben, auf der andern Seite einen unerträglichen Kampf gegen diesen Gewerkverein und seine Leiter geführt, sodaß die Führer der christlichen Bergarbeiter zu der Ueberzeugung kommen mußten, es handle sih für den fozialdemokratishen Verband darum, dem Gewerkverein ristliher Bergarbeiter den Garaus zu machen. In der sozialdemokratischen Presse hieß es, der politische Massen- streik sei jo lange aussichtslos, bis man nicht den gefährlichsten Gegner, den Gewerkverein christliher Arbeiter, vernihtet habe. Wir bedauern die beiden anderen Verbände, die sich in der Gefolgschaft des sozialdemokratischen Verbandes befinden, denn sollte es der Sozial- demokratie gelingen, den christlichen Verein kalt zu machen, fo würden diese beiden Verbände die nächsten sein. Mit diesen beiden Ver- bänden haben sih die Sozialdemokraten das bürgerlihe Schildchen umgehängt. In der Eingabe an den Zechenverband i} in keiner Weise verlangt worden, daß der Zechenverband und die drei Verbände als Verhandlungsträger anerkannt werden sollten, und auch von der 15 % Lohnerhöhung i nichts erwähnt. War dieser Bittbrief etwa das Zähnezeigen, von dem der Abg. Sachse gesprochen hat? Genau wie die Herren gefragt hatten, erhielten sie die Antwort: Die Löhne steigen, ste sollen weiter steigen, im übrigen find wir nicht zuständig. Nun stellten die Herren zehn neue Forderungen auf und verbreiteten gleichzeitig damit den Kampfruf. Daraus geht hervor, daß es den Sozialdemokraten nur um die Herstellung einer Kampfforderung zu tun war. Einige Zechenverwaltungen haben allerdings bestritten, daß die Arbeiteraus\chüsse die geseßlichen Vertreter der Arbeiter eien. Deshalb srage ih den Staatssekretär, ob nah dem Berggesetz von 1907 die Arbeiteraus\hüsse niht berechtigt und befugt sind, in Lohnfragen mit den Arbeitgebern zu verhandeln. Am 3. März sind von den Sozialdemokraten noch 50 bis 60 Nedner hinausgeschickt, um nah eigenem Ermessen zu reden; die Folge sind die Putschversucke auf den Zechen Scharnhorst und Kaiserstuhl gewesen. In der Konferenz mit dem Staatssekretär wurde erreiht, daß die Arbeiter- aus\chüsse zusammenberufen werden follten, aber {hon am darauf- folgenden Sonnabend wurde von den drei Verbänden der Streikaufruf gedruckt und der Streik am Sonntag beschlossen. Hier ist gegen jede gewerkschaftlihe Taktik gehandelt. (Abg. Sachse: Quatsdben Sie nicht! Vizepräsident D ove: Ich habe Sie shon einmal aufgefordert, die gesellshaftlihen Formen zu wabren, die auch fonst üblich sind.) Für den Christlihen Verband war die Erwägung maßgebend, daß die Sym- pathien des deutshen Volkes bei diesem Streik nah Lage der Ver- hältnisse nicht auf seiten der Arbeiter stehen könnten. Die Verantwortung für die Not und das Clend, für die Verleßten und Toten fällt auf die Sozialdemokraten zurück. Von Streikbruch der christlichen Berg- arbeiter kann feine Rede s\ecin, der Gewerkverein christliher Berg- orbeiter ist genau so sfsouverän wie der fozialdemokratishe. So weit ist die deutshe Arbeiterschaft noch nit, ‘daß alle Arbeiter nah der fozialdemokratishen Pfeife tanzen. Für die christlich - nationale Gewerkschaft ist der Streik ausschl eßlich ein wirtschaftlihes Kampf- mittel, für die sozialdemokratische ist er auch ein politishes und ein internationales Demonsftrationsmittel. Dur den Terror sind etwa 30- bis 40 000 Arbeiter davon abgehalten worden, zur Arbeit zu gehen. Im Jahre 1905 waren die Zustände gegenüber den heutigen während des Streiks völlig gesiheri, und erst bei Abbruch des Streiks hatten Sachse und Hue alle Veranlassung, gegen ihre etaenen Leute polizeilidhen Schuß in Anspru zu nehmen. (Abg. Sachse: Das is nicht wahr!) Sollen \sich unsere Leute denn die Knochen im Leibe kaput s\{chlagen, sch Haus und Hof demolieren lassen? Wenn die Staats- gewalt nicht ausreicht , us jeder zur Selbsthilfe greifen. Hat man niht auch hon einmal im Verbandsbureau Nevolver an- geschafft, Kollege Sachse? Warum sollen sich da auch nicht andere Leute einen Revolver anschaffen? Man hat uns erzählt, daß im Keller des sozialdemok. atishen Verbandes Schießübungen angestellt wurden, au ein Flugblatt der Streikleitung hat vor Ausschreitungen gewarnt. Jch halte es für eine große Feigheit, Frauen und Kinder mit in die Streikversammlungen zu nehmen; damit will man si nur deckden, man sagt si, die Polizei geht gegen Frauen und Kinder nicht vor. Das sollte also eine Gewerkschaft unter allen Umständen ver- hindern; ist es vorgekommen, so ist es eine Feigheit sondergleichen. Am Tage des Streikausbruches ist im ganzen n a beuebter von der Polizei a-gekündigt worden, daß jedermann, ob Streikender oder nit, in seiner Freihrit ges{üßt werden sollte. Mein Freund Effert ist weder au?gesch eden, noch falt gei!ellt, sondern hatte an anderer Stelle wichtige Aufgaben zu erfüllen; er ist auf feinen eigen:n Antrag nach dem Sieger Lande gegangen, um dort die Bewegung zu leiten. Dort ist er erfiankt und hat das Bett hüten müssen; seit einigen Tagen ist er wieder fii{ch und munter und hat bereits wieder in Do1tmund gesprochben, ganz auf unserem Standpunkte stehend. So hat auch Effert in der „Kölnishen Volkezeitung" selbst erklärt: Was vor 6 bis 7 Jahren in taktiishen Fragen ge- {rieen worden ift, fann nah 6 bis 7 Jahren anders ausfall-n, wenn \sich die Verhältnisse geändert haben (Zuruf linke), wenn Se das bereiten, tut es mir leid. Nach dem Abg. Sachse sind die Sozialdemokraten die unschuldigen

Lämmlein. Wer die Reviere kennt, weiß, daß es umgekehrt liegt. Wo unser Gèéwerkverein die Mehrheit hat, in Steele und Essen, dort berrscht Ruhe und Ordnung. „Wie der Herr, so’s Gescherr.“ Der Abg. Sachse nannte gestern hier im Hause ein Mitglied unseres Gerwerkvereins einen „hristlihen Halunken“ ; seine Kollegen hier riefen «Zudas* usw.; und das ist hier die Elite der Partei. Daß Hue zu der Konferenz ungeladen erschien, ist ja {on festgestellt : darauf kam es aber gar niht an. Ich begrüße es, daß er da war. Aber wie geht man draußen vor ? Das Organ des Herrn Hue, das „Bochumer %Bolksblatt“, schreibt, daß nicht der Vertreter des Kreises Bochum, Heckmann, der nur eine vorübergehende Erscheinung und nur eine Unternehmerpupve sei, sondern Hue an der Konferenz teil- genommen habe. Das ist eine ganz unglaubliche Jrreführung der Arbeitermassen. Dann wird fogar gesagt, er sei als Vertreter des Kreises Bochum geladen gewesen; mit einem Heckmann könne man überhaupt keine ordentlihe Verhandlung pflegen. Der Kollege Hek- mann hat während des Wahlkampfes einen \{chweren Unfall erlitten, seine gesunden Gliedmaßen verloren und liegt heute noch im Kranken- hause, sodaß er nit hier sein fann, und. diesen wirklihen Bergmann wagt man in dieser Weise zu behandeln. Das ist es, was uns das Blut in Wallun bringt. Ueber die Preßstimmen und. Telegramme des Abg. Sachse ilt niht viel zu sagen, die imponieren keinem, der im Nuhrrevier lebt und die dortigen Verhältnisse kennt. Wir kennen ja die Preßfäden sehr genau, die in der Börsenalarm- prefse, wie dem „Berliner Tageblatt“, gesponnen werden. Noch ein Wort über das Militär. Es \teht fest, daß es so wie bisher nicht weitergeben konnte. Die Unsicherheit wurde immer größer, und wenn die Regierung sich veranlaßt sah, Militär hinzuschicken, so war das ihre Sache. Selbst der Abg. Gothein wußte nichts dagegen zu sagen. Wir unserseits sind an sih keine Freunde davon, daß das Militär zu folchen Zwecken herangezcgen wird. Ih habe nur den ernstlichen ünd dringenden Wunsch, daß dem Militär keine Gelegenheit zum Ein- schreiten gegeben wird, daß Maschinengewehre und Militär außer Shuß- weite bleiben. Uebrigens ist der Streik scit gestern im Nückgang begriffen. Man hat von christlihen Streikbureaus gesprohen. Das sind aber nur Meldeämter für die armen Leute, die von den Streikenden ge- schlagen und zershunden worden sind. Selbstverständlih sind wir der Auffassung, daß die berechtigten Forderungen der Bergarbeiter bis zum 1. April erfüllt werden müssen. Die 150/ sind ja nah den Ausführungen des Abg. Sachse nicht ernst zu nehmen. Wir wünschen, daß dieser unglücklihe Streik, der hon bei seinem Beginn als ver- loren gelten fonnte, nit zu große Opfer kostet Die crifliben Bergarbeiter werden auf ihrem Standpunkt verharren. Hoffentlich kehren die Streikenden recht bald zur Arbeit zurück, damit wieder Ruhe und Ordnung im Ruhrgebiet herrscht.

Preußischer Minister für Handel undGewerbe Dr.S y d o w :

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat die Frage an die Ver- treter des Bundesrats gerichtet, ob nach ihrer Auffassung die Arbeiteraus\{chüsse zur Erörterung von Lohnfragen zuständig seten. Da es sich hierbei um die Auslegung eines preußishen Gesetzes handelt, erlaube ich mir das Wort zu nehmen, um die Auffassung der preußischen Staatsregierung hier zum Ausdruck zu bringen.

Es handelt \ich um den § 80 fi des Allgemeinen Berggeseßes, der seine leßte Fassung in der Novelle vom Jahre 1909, seine erste in der Novelle vom Jahre 1905 erhalten hat. Beide weichen nicht wesentlih vonecinander ab. Die einschlägige Bestimmung lautet jeßt:

Der Arbeiteraus\{uß hat Anträge, Wünsche und Beshwerden der Belegschaft, die sih auf die Betriebs- und Arbeitsverhältnisse und die Wohlfahrtseinrihtungen des Bergwerks beziehen, zur Kenntnis des Bergwerksbesizers zu bringen und sich darüber zu äußern.

Gegenüber von Zweifeln an der Zuständigkeit der Arbeiteraus\{hüsse zur Erörterung von Lohnfragen, die auf Aeußerungen in der Kom- mission des Abgeordnetenhauses vom Jahre 1905 beruhten, habe ih durh eine an die Bergwerksdirektionen gerihtete Verfügung vom 10. Dezember 1910 Stellung genommen, und zwar indem ih diese Zuständigkeit anerkannte. Es wird zur Abkürzung beitragen, wenn ih den einschlägigen Passus hier kurz verlese. Die Begründung liegt darin, ih habe gesagt:

Sowohl mein Herr Amtsvorgänger als auch die Regierungs- fommisfsare haben bei der Beratung der Berggeseßnovelle vom 23. Juni 1909 in der Kommission des Abgeordnetenhauses erklärt, daß es Sache der Arbeiteraus\hüse sein müsse, Lohnfragen allge- meiner Natur zur Sprache zu bringen. Die Mitglieder der Parteien des Abgeordnetenhauses waren in dieser Hinsicht ver- schiedener Ansicht. Ih trete der damals von seiten der Berg- verwaltung vertretenen Auffassung durhaus bei. Die Lohnfrage ift eine der Hauptfragen des Arbeitéverhältnisses, und man würde den Arbeiteraus\{uß ziemlich illuforish machen, wollte man thm das Recht aberkennen, in dieser Frage Wünsche und Beschwerden allge- meiner Natur zur Sprache zu bringen. Andererseits würde man in ernsten Zeiten, wo, wie bekannt, die Lohnfrage die Hauptrolle spielt, die geseßlih gegebenen Vertreter der Belegschaft der Gruben

lahmlegen.

In diesem Sinne zu handeln, habe ih die fiskalishen Berg- werksdirektoren angewiesen.

Abg. Dr. Erdmann (Soz.): Im Jahre 1905 wurde hier bon allen Seiten mit Ausnahme der Konservativen und einiger Nationalliberalen wie des Abg. Bäumer festg: stellt, daß der Berg- arbeiterstreil von 1905 aus einer Volksbewegung herauëtgewachsen fei, und daß die allgemeine Sympathie auf seiten der Bergarbeiter sei. Heute läßt sih leider eine folhe Einstimmigkeit des Urteils nicht feslstellen. Der Streik von 1905 bildet ein Chrenblatt der deutschen Arbeiterbewegung; der Abg. Behrens hat sich bemüht, dieses Ehren- blatt herabzureißen und in den Schmuy zu treten. Hatte 1905 der Streik niht auch begonnen unter Kontraktbruh? War nicht 1905 die Zahl der Organisierten noch viel geringer als gegenwärtig? War 1905 nit in demselben Maße zu befürchten, daß unsägliches Elend über die Arbeiterschaft durch den Streik heraufbeschworen wurde? Heute liegen die Dinge nicht so günstig wie dama!s8, soweit es die Stimmung hier im Hause betrifft; das Zentrum ist in dieser Frage, wie au sonst, nah rechts gerückt und hat den Bund ge- \{lossen mit den Konservativen und dem scharfsmacherischen Flügel der Nationalliberalen zu dem neuen antisozialen Block. Der jeßige Streik soll aus politnishen Gründen entstanden und foll durch eine Deße von Sozialdemokraten und Anarchosozialisten provoziert sein. Die leßteren fügt man hinzu, um die Bewegung noch be- sonders anrüchig zu machen; die Sozialdemokraten sollen die „Ge- chobenen“ sein. Jeder Kundige weiß, daß das ein ausgemachter Schwindel ist. Anarchosozialisten gibt es, sie zeichnen sih aber nicht durch ihre Zahl, sondern mehr durch ihren großen Mund aus. Führer wie Sahse und Hue lassen sich nicht von einigen Schrei- bâlsen dirigieren. Diese fürhterlihen Anarchosozialisten haben in der ganzen Bergarbeiterbewegung nichts zu sagen. Der Stieik soll auch eine Nevanhe für Bobum sein; mit demselben Recht könnte ih agen, das arbeiterschädigende Verhalten der Christlihen is eine Nevanche für Cöln. Die „Kölnishe Volkszeitung" bringt die Be- wegung sogar in Zusammenhang mit dem Aitentat, das gestern in Rom stattgefunden hat. Sie schreibt, diejenigen, die die Kugeln abschießen, seien dort wie im Muhrrevier dieselben Glemente. Sucht man nach der Heimat der Attentäter, so tôßt man vorwiegend auf urkatholi)he Gegenden, man findet le meistens in den romanishen Ländern. Der Attentäter Dalba ist nach den Meldungen der Blätter fehr religiös und hat

niemals sozialistishe Blätter gelesen, sondern die „Tribuna“. Es liegt mir fern, ihn mit dem fkatholischen Glauben in Zusammenhang zu bringen; aber ih weise aufs entsciedenste zurü, daß das Attentat irgendeinen auch nur geistigen Zusammenhang mit der Berg- arbeiterbewegung habe. Im Ruhrkohlenrevier brauchen wir nicht zu heben, da hegen die Verhältnisse, da hegt die wirtschaftliße Ent- wicklung für uns. Wenn im dortigen Industriegebiet eine Person über 180 Millionen und über ein Arbeiterheer von 70 000 zu ge- bieten hat, so muß das erbitternde Gedanken auch in dem rückständigsten Arbeiter erzeugen; wenn 300 Personen in Deutshland das gesamte wirtschaft! iche Leben beherrshen, so muß diese Tatsache auch beim Rükständigsten das Verständnis für den Sozialismus wecken. Die Arbeit des Bergmannes is härter, gefährlicher, \{ädlicher als die irgendeines anderen Berufes. Fast jeder siebente Bergarbeiter verunglückt einmal im Jahre. Der Bergmann trägt mit si ein ganzes Heer von Berufskrankheiten herum, er stellt ein wanderndes Lazarett dar. Da brauchen wir wahrlih nicht zu beßen; den Berg- arbeitern kommt mit dem Bewußtsein ihrer NRechtlosigkeit die Er- bitterung ganz von selbst, und notgedrungen kommt diese in den Aus- ständen zur Gntladung. Man kennt im Bergbau keine Organisationen, keine Tarifverträge, keine Verhandlungen. Der Abg. von Bieber- stein hat im üblichen Kasernenton sihch über den Kollegen Salhse entrüstet, der meinte, die Bergherren behandelten die Arbeiter wie die Hunde. Das ist ein harter Ausdruck, aber sein Sinn trifft zu; die Bergarbeiter werden höchstens sagen, sie würden noch \{leckchter behandelt als die Hunde, und fie wären froh, wie die Hunde und Pferde der Zechenbesißzer behandelt zu werden. Der preußische Handelsminister meinte, 6,50 4 Lohn sei hoh; er sollte do. einmal 4 Wochen mit setner Familie mit diesem Lohn im Revier auszu- fommen verfuhen. Man \priht von einem Streik aus politischen Motiven. Gewiß spielen politishe Momente, wie die Politik des \chwarz-blauen Blocks mit; ferner die Nücksiht darauf, da die Berggeseßgebung Landessahe ist, daß die preußische ahl- reform ausbleibt, dann die Gestaltung der Reichsversicherungs- ordnung und anderes. Die Sozialdemokratie braucht also keine Grbitterung zu erzeugen, sondern sie hat sih darauf zu be- schränken, thr die Wege zu weisen, um Schädlicheres zu verhindern. Das Zentrum hat noch voriges Jahr an dem Verhalten des Berg- fapitalismus scharfe Kritik geübt. Der Bischof Ketteler, dessen Ge- dächtnisfeier die Zentrumspartei so feierlich beging, hat über die Fabrifarbeit ein Urteil gefällt, das jeder Sozialdemokrat unterschreiben kann. Ganz ähnlich hat sih in einer Schrift ein junger Kaplan namens ¿Franz Hiße ausgesprohen. Gerade auf diese Auslassungen konnte und mußte das Zentrum jeßt den Ausdruck „Hetereien“ an- wenden. Der bekannte Unternehmervertreter Dr. Natorp hat in einer Schrift öffentlih die Auffassung vertreten, daß der Streik von 1889 vom Zentrum und von den Christlih - Sozialen angezettelt sei. Der Abg. Schiffer hat sich gestern gegen die Gemeinschaft mit den „Gelben“ gewehrt. Wozu der große Eifer? Namentlich nach dem neuesten Verhalten der Christlichen ist dazu doc gar keine Nöôtigung mehr vorhanden. Seit 1910 haben A ja auch die christ- lichen Gewerkschastca und die fatholishen Fachabteilungen auf bishöôf liche Anweisung vertragen müssen und sind jegt ein Herz und eine Seele, F der deutschen Ärbeiter\hafl sind im roten, nur 5 im {warzen Lager organisicrt; der Abg. Schiffer aber glaubt allein diesem Achtel die Eigenschaft „verständiger Arbeiter“ zusprechen zu sollen. Auch der Abg. Schiffer versuchte, die jeßige Bewegung im Gegensaß zu der von 1905 herabzuseßen. Hätte er damals die Scharfmacher- presse verfolgt, er würde darin ebenso viele Klagen über sozial- demokratischen Terroriêmus finden, wie jegt in der Zentrumspresse. Der christliche Bergarbeiterverein will durch die Behauptung, der sozialdemokratishe Verband wolle den christlihen Verband ver- nihten, nur sein eigenes arbeiterschädliches Verhalten rechtfertigen. Daß für einen Streik die günstigste Zeit gewählt werden muß, sollte der Abg. Giesberts auch {on wissen, und der Vorwurf, daß die Industrie geschädigt wird, follte an die Unternehmer ge- richtet werden, die durch ihre Unnachgiebigkeit den Streik ver- schuldet haben. Für das Zentrum spielt das politishe Motiv für sein Verhalten in der Bergarbeiterbewegung eine ganz gewaltige Nolle ; es weiß ganz genau, daß es seinen Bestand in Rheinland und Westfalen nicht halten kann, wenn es niht Anschluß an die Nationalliberalen sucht. Die cristlißhe Gewerkshaft hat bei dem „verständigen“ Teil der Arbeiter nichts mehr zu gewinnen. Die christlihen Arbeiter dürfen aus Nüksiht auf das Zentrum, auf die Negierung und auf die Kirhe an den großen Bewegungen nicht mehr teilnehmen, wte fie es 1905 noch durften. Daher diese Scheingründe über Verheßung der Bergarbeiter, deshalb auch der Nuf nach SO der Arbeitswilligen. Es ist bezeihnend, daß der erste Nuf nah Militär von einem Zentrumsblatt in dem Wahlkreise des Abg. Giesberts, von der Essener „Volkszeitung“ ausging, Wenn die christlihen Führer noch etwas an Kredit zu verlieren hatten, dann haben sie jeßt den leßten Rest verloren. Einige Ungehörigkeiten sind bei einem so großen Streik gar nicht zu vermeiden; wenn man abzieht, was direkt erlogen und was übertrieben ist, dann bleibt nicht viel mehr übrig, als was auch in ruhigen Zeiten im Industrierevier vorkommt. Wer die dortigen Arbeiter und ihren {weren Beruf kennt, der wird es nicht fo tragish nehmen, wenn sie einmal ein derbes Wort gebrauchen, oder wenn ihnen einmal der Ellenbogen ausrutsht. Unter dem Regiment der Junker und der Klerisei haben sie ihre Erzichung genossen, und sie werden erst Ordnung lernen, wenn wir ihre Erziehung übernehmen. Wer hat denn diese Elemente in das Nuhrrevier gerufen? Doch niht die Bergarbeiter, sondern die Bergwerksbesizer. Bei Aus- ständen ist die Arbeiterschaft sehr darauf aus gewesen, die Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, so 1905 durch Ordner. Den Scharfmachern kam es nicht so sehr auf die Aufrechterhaltung der Ordnung an, als vielmehr der Unordnung. Wäre es zu Krawallen gekommen, dann hätten sie die beste Gelegenheit gehabt, die damalige Bewegung in den Augen der Welt herabzuseßen, den Ausstand im Blut zu ersticken. Vom Regierungstish haben wir eine ganze Anzahl von Schauermären vernommen, um zu beweisen, daß die Hinsendung von Militär notwendig war. Der preußische Handels- minister wtes darauf hin, daß Pfui gerufen wurde usw. Wo stammt denn der Handelsminister her, und hat er jeßt versucht, mit den Arbeitern in nähere Berührung zu kommen? Der west- fälishe Bergmann is außerordentlih ruhig und bedächtig und viel zu schwerfällig, um zu Gewalttätigkeiten zu schreiten. Solange die Negierung aus Leuten besteht, die gegenseitig ihr Gesicht zu Hack- fleisch machen, hat sie kein Recht, in das NRuhrrevier Militär zu s{icken, weil der eine zu dem anderen Pfui gerufen hat. Graf Posadowsky sprach 1905 hier den Streikenden für ihre ruhige Haltung seine besondere Anerkennung aus. Jeßt ist es nicht anders. Der Staatssekretär war so vernünftig, den ent- gegenstehenden \charfmacherischen Mitteilungen keinen Glauben zu schenken. Er sagte, eine ganze Anzahl von Anzeigen habe fich als grundlos erwiesen. Das war eine wesentlich vernünftigere Auffassung, als je jeßt vom NRegierungsotisch vertreten wird. Was zur Aufrechterhaltung der Ordnung getan werden kann, wird von seiten der Arbeiterorganisationen iin Interesse der Arbetter selbst getan. Der Abg. Nogalla von Bieberstein traut allerdings unserer Disziplin nit, er hat nur insofern recht, als es sich um Arbeiter handelt, die aus seiner Gegend stammen. Die Auskunft der Regierung über den Stand des Streiks war eine einseitige, sie stüßte sih auf die Informationen des Unternehmertums und der Polizei, niht der Arbeiter. Die Taten der Regierung aber beschränken sih darauf, Militär in das Streikgebiet zu {icken. 1905 handelte es sih um eine Volksbewegung, um einen Kampf für die heiligsten Güter, um Luft und Licht, um Freiheit und Glück, um die Teil- nahme an der Kultur. Die Fristen zwischen den leßten Streiks sind immer kürzer. geworden. Werden jeßt die Bergarbeiter mit leeren Versprechungen -abgesp-ist, wird der Belagerungszu tand erklärt, dann wird es keine 7 Jahre dauern, bis ein neuer Ausstand ausbricht. Hat dann au die Jndustrie den Schaden davon, so trifft dafür die Ver- antwortung unsere Gégner. Unsere Forderungen werden durchgeführt

Ausstande sind die Heger, die Reihe „vornehm“ der Ton auf die Art und Weie, wie der „Vorwärts“ heute den Schiffer und seine gestrige Rede carakterisiert. Die Sozial- demokraten reden immer von Freiheit, tut man aber nicht, was sie wollen, dann hört ihre Freiheit auf. amerika und die Schweiz haben strenge Bestimmungen gegen das Streikpostenstehen erlassen, während bei uns das Streikpostenstehen bon den Sozialdemokraten als ein unveräußerlihes Recht aufreht- zuerhalten gefuhi wird. Wenn die christlichen Gewerkschaften sich in weiser Befonnenheit an dem Streik nicht beteiligt haben, so ge- bührt ibner dafür unser Dank. Wir wollen hoffen, daß der Streik unter Anerkennung der beendet wird.

Abg. Werner - Hersfeld (wirts{. IVgg.): Schuld an dem i aber nicht in der vordersten sich hübsch hinten halten. Wie sozialdemokratisher Seite ist, zeigt

Kollegen

fehten,

sondern

Freie Staaten wie Nord-

beiderseitigen Interessen möglich bald

Hierauf wird um 6/4 Uhr die Fortsesung der Be-

sprechung auf Sonnabend 11 Uhr vertagt; außerdem Etat- beratung..

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 37. Sißung vom 15. März 1912, Vormittags 11 Uhr. (Beriht von Wolffs Telegraphishèm Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißzung, in der zunächst die Be- ratung des Etats der Preußischen Zentralgenossen- shaftskasse fortgeseßt wird, ist in der gestrigen Nummer , d. Bl. berichtet worden.

__ Präsident der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse Dr. Hei- ligenstadt: Dem Wunsche des Hauses folgend, gehe ih aus den Streit zwischen der Zentralgenossenschaftskasse und der Landwirtschaftlichen Zentraldarlehnskasse nit ein, obwohl ih pern bedaure, den Standpunkt der Preußischen Zentral- genofssenschaftskfasse hier niht darlegen zu fönnen. Der Abg. Glaßel verlangte gestern ein weiteres Entgegenkommen der Zentralgenossenschaftskasse gegen die Handwerkergenossenschaften, wir lind aber {on seit Jahren diesen in weitestem Maße ent- gegengekfommen, weiter als den ländlihen Genossenschaften. Der Abg. Glayßel wünscht, daß wir den Handwerkergenossen\chaften Not- standskredite wie der Landwirtschaft zur Verfügung stellen. Not- standsfkredite im eigentlihen Sinne dieses Wortes hat die Zentral- genossenschaftskasse den landwirtshaftlihen Organisationen niemals zur Verfügung gestellt, sie hat nur aus besonderen Veranlassungen eine Krediterweiterung zugestanden. So haben wir ¿. B. die Dürre zum Anlaß von Ausnahmekrediten in weitestem Maße enommen, die aber keine Notstandskredite waren, und das Gleiche haben wir den Handwerkergenossenshaften gegenüber getan, indem wir ibnen ge- gebenenfalls auch erweiterte Kredite zur Verfügung stellten. ÎT unterstüßen sie, soweit es geht, aber wir können immer nur Kredite auf geshäftliher Grundlage gewähren. Der Abg. Crüger hat die von der Bentralgenossenshaftskasse verlangte Ausschließlichkeits- erklärung als den Ausdruck des Herrschgelüstes der Preußenkasse an- gesehen, das ist vollständig unrichtig, die Ausschließlichkeitserklärung beruht, wie aus unseren Geschäftsbedingungen hervorgeht, vollkommen auf Freiwilligkeit. Der Abg. Crüger hat auch darin unrecht, daß die Zentralgenossenschaftskasse den Organisationen, welche die Ausf\chließ- lichkeitserkläarung nicht abgeben, wie eine andere Bank entgegentrete. Die Zentralgenossen\chaftskasse ist ein Institut auf gemeinwirtschaft- licher Grundlage, das Erwerbsprinzip tritt bei ihr vollkommen in den Hintergrund. Der Abg. Crüger selbst hat anerkannt, daß die Auss\chließlichkeitserklärung berehtigt sei, wenn besondere Vorzugs- bedingungen gewährt werden. Die Preußenkasse verlangt eben die Aus\chließlihkeitserklärung nur dann, wenn sie den Genossenschaften in weitgehendster Weise in dem Umfang des Kredits und in der Höhe des 2-asfußes entgegenkommt. Auch im regulären Bankver- kehr machen die Banken unter Umständen eine Kreditgewährung zu threr eigenen Sicherheit davon abhängig, daß der Kreditnehmer nur an dieser einen Stelle Kredit nimmt. So stellt z. B. die Deutsche Bank in ihren Geschäftsbedingungen das Prinzip der Aus\cließlich- feitserflärung auf. Der Abg. Crüger sagt ferner, die Dezentralisation fórdere das Anwachsen von Niesenhaftsummen. Diese Behauptung ist ein alter Bekannter, trifft aber doch niht zu. Die Zentral- genossenschaftskasse verfolgt das Prinzip, daß die Haftsumme nicht hoher als 5 Millionen Mark sein soll. Daß der Kredit auf der Grundlage der Haftsumme aufgebaut wird, ist gerade eminent ge- nossenschaftlih und entspricht so ret dem Wesen der Genossenschaften. Das hat auch auf die ländlichen Genossenschaften die allerbeste Wir- fung gehabt. In welcher Weise man den Bedürfnissen der städtischen Genossenschaften mehr entgegentommen fann, darüber {weben zur- zeit Erwägungen. Der zusammengebrochenen Niederdeutshen Bank in Dortmund hatte die Zentralgenossenschaftsfasse nur einen Kredit von eiwa 10 000 # gewährt und sich dafür auch Sicherheit verschafft. Erst nachdem die Katastrophe eingetreten und die Liquidation be- {lossen war, ist die Zentralgenossenshaftskasse mit erheblichen Krediten eingesprungen und hat dadurch im Interesse der Betroffenen große Werte gerettet. Was den Zinsfuß der Zentralgenossenschafts- fasse betrifft, so is es ein Irrtum, daß wir den Zinsfuß nah dem geltenden Privatsaß des Dikonts der Börse bemessen. Der Abg. Crüger sprah von einem Boykott der Zentralgenossenschaftskasse gegen die Landwirtschaftlihe Zentraldarlehnskasse und die mit dieser in Verbindung |tehenden Verbandskassen und Betriebsgenossen\caften. Nachdem aber der Geschäftsverkehr zwischen Neuwied und der Zentral- fenen Gal orae erledigt war, hatte die Zentraldarlehnsfasse über- jaupt kein Konto mehr bei der Preußenkasse, und daher war diese. gar nicht mehr in der Lage, Schecks für die Iteuwieder Organisation einzulösen. Es handelte sih durhaus niht um einen Boykott, son- dern im Gegenteil um ein Entgegenkommen. Die Preußenkasse ist in loyalster Weise den Bankusancen entgegengekommen. Daß die Zen- tralgenossenschaftskasse, wie der Abg. Crüger gestern meinte, eine Zentralisation wäre, ift vollkommen unridhtig; sie is gar keine Orga- nisation, in der etwas zentralisiert werden kann, sie ist und darin sehe ih einen großen Vorzug ein Institut, das ganz außerhalb der genossenschaftlihen Organisation steht: sie ist, wie die Reichsbank und andere Banken, ein Kreditinstitut, in dem die Genossenschaften Kredit bekommen, aber wie die Reichsbank nicht die Zentralspibe sämtlicher Bankorganisationen des Reiches ist, so kann man auch nicht sagen, daß die Preußenkasse die Zentralisation der Genossen- schaften sei. ie Dezentralisation ist unbedingt erforderli, denn eine Zentralisation vernichtet mit Notwendigkeit die Selbstverwaltung. Notwendig ist auch, daß die Einfachheit der Kreditbeziehungen auf- recht erhalten bleibt; se ist notwendig bei dem genossen e ften Geldverkehr, der sih auf Kapitalien aufbaut, die den Genossen eten nicht ständig, sondern nur in wechselnder Weise zur Verfügung stehen. Es ift au ein Irrtum, anzunehmen, daß ein Zentralinstitut \räftiger und unabhängiger ist, die Erfahrungen haben uns vielmehr immer wieder gezeigt, daß die Dezentralisation die bessere Form ist. Ein Zentralinstitut ist in seinem Status von Zufälligkeiten abhängig; das zeigt uns gerade die Entwicklung von Neuwied, das durch vorüber- gehende Ansprüche in große Schwierigkeiten ackommen wäre, wenn wir nicht geholfen hätten. Gerade der Abg. Crüger hat 1903 seine Mede bei diesem Etat damit geschlossen, daß er vor einer verhängnis- vollen Zentralisation warnte. Er hat weiter gemeint, g die Preußenkasse ein Genossenschaftswesen mit staatliher Spiße alen wolle, was ein Hohn auf alle Selbfstn-&ltung der Genossenschaften sei. Das trifft niht im geringsten zu. Gerade die reußische Bentralaenossen\chaftskasse is immer ein guter Vertreter der wirk- lichen Genossenschaftsidee gewesen. Die genossenschaftlihe Anlage '

werden, mag's biegen oder brechen.

S

von Geldern bei Genossenschaften ift absolut sicher, entspricht aber