1912 / 71 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 Mar 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Ersaßstücken für beschädigte Schuldvershreibungen und Zins- scheinbogen, abhanden gekommene oder vernichtete Schulde verschreibungen und Schaßanweisungen sowie um das preußische Staatsschuldbuh und das Reichs\huldbuch handelt. Ueber die zu ihrer Kenntnis gelangenden Vermögensangelegenheiten der Staatsgläubiger haben die Beamten unverbrüchliches Still-

schweigen zu wahren. Berlin, den 12. März 1912. Königlich Preußische Hauptverwaltung der Staatsschulden und Reichs\schuldenverwaltung. von Bischoffshausen.

BeranntmacPbung.

Nach Vorschrift des Gesegzes vom 10. April 1872 (Geseßsamml!. S. 357) sind bekannt gemacht :

1) tas am 25. November 1911 Allerhöchst vollzogene Statut für die Wodki-Grünhofer Entwässerungégenossenschaft in Grünhof im Kreise Witkowo durch das Amtsblatt der Königlichen Negierung zu Bromberg Nr. 52 S. 509, ausgegeben am 21. Dezember 1911:

2) der Allerhöchste Erlaß vom 2. Dezember 1911, betreffend die Verleihung des Enteignungsrechts an die Gemeinde Hatshausen im Kreise Aurich für den landstraßenmäßigen Ausbau des Gemeindes. wegs von Königshoek über Hatshausen nah Ayenwolte, durch das Amtsblatt der Königlichen Negierung zu. Aurih Nr. 51 S. 5TL, ausgegeben am 22. Dezember 1911;

3) das am 6. Jaruar 1912 Allerhöch# vollzogene Statut für

die Wongrowiter Entwässerungsgenessenschaft in Wongrowiß im Kreise Wongrowiß dur das Amtsblatt der Köntglichen Negierung zu Brom- berg Nr. 5 S. 29, ausgegeben am 1. Februar 1912: __ 4) der Allerhöchste Erlaß vom 10. Januar 1912, betreffend die Verleihung des Enteignungsrehts an den Landkreis Oppeln für den Bau der Chausseen von der Kreischaussee Oppeln—Chmiellowiß über Zirkowitz und Mucheniß nah Chrosczinna und von der Grenze des Stadtkreises Oppeln über Kempa bis zur Malapane bei Luboschüt, durch das Anitsblatt der Königlihen Negierung zu Oppeln Nr. 5 S. 35, ausgegeben am 2. Februar 1912:

9) das am 10. Januar 1912 Allerhöch\ vollzogene Statut für die Entwässerungsgenossenshaft in Neisby im Kreise Hadersleben durch das Amtsblait der Königlichen Negierung zu Schleswig Nr. 6 S. 93, ausgegeben am 10. Februar 1912:

6) der Allerhöchste Erlaß vom 13. Januar 1912, betreffend die Verleihung des Enteignungsrehts an die Gemeinde Radlin im Kreise Rybnik für den chausscemäßigen Ausbau des Weges von Nadlin nah Glafin, durch das Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Oppeln Nr. 6 S. 44, ausgegeben am 9. Februar 1912;

7) der Allerhöchste Erlaß vom 5. Fehruar 1912, betreffend die Berleihung des Enteignungsrechts an die Stadtgemeinde Berlin für die bebauungsplanmäßige Freilegung der Stromstraße, durch das Amtsblatt dec Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin Nr. 9 S. 195, ausgegeben am 1. März 1912;

8) der Allerhöchste Erlaß vom 12. Februar 1912, betreffend die Verleihung des Enteignungsrehts an die Stadtgemetnde Cottbus für die Erihtung einer Waldschule und eines Beamtenerholungsheims in der Gemarkung Madlow, dur das Amtsblatt der Königlichen Re- gierung zu Frankfurt a. O. Nr. 9 S. 69, ausgegeben am 28. Fe- ruar 1912.

Nichfkamtlicßhes. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 20. März.

Der Ausschuß des Bundesrats für Rechnungswesen, die vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für Rechnungswesen, die vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für Justizwesen sowie die vereinigten Aus- schüsse für Zoll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr hielten heute Sißungen.

Laut Meldung des „W. T. B.“ sind am 18. d. M. S. M. Tpdbt. „G 175“ in Tunis und S. M. S. „Tiger“ in Swatau angekommen.

Oesterreich-Ungarn.

Das österreihishe Abgeordnetenhaus seßte gestern die erste Lesung der Wehrvorlag e fort.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ klagte der Abg. Bianchini darüber, daß die Dienstzeit bei der Kriegsmarine nicht herabgesett set. Die Bewohner der Küjtenländer würden dadurch \{chwer benachteiligt. Gr beschwerte sich ferner darüber, daß die Südslawen in Armee und Marine zurückgeseßt würden, während höhere Stellen den Deutschen und Magyaren vorbehalten seien. Schließlich erhob er gegen die Verwendung der Armee bei den Wahlen in Kroatien Einspruch und erklärte, die Kroaten könnten aus öfonomischen und nationalen Gründen die Wehr- reform nit, unterstüßen. Der Abg. Pogacnik (Slowene) legte die Nachteile klar, die sich aus der im ungarishen Parlamente bcab- sihtigten Resolution zum Wehrgesetßze für Oesterreih ergäben und er- klärte, taß der Kriegsminister Auffenberg seine Pflicht erfüllt habe, als er gegen die Resolution, die niht bloß eive Einschränkung der Kronrehte, sondern auhch eine Lockerung der dualistischen Verhältnisse bezwecke, Stellung genommen hätte. Die Slowenen seten bereit, die Wehrreform aus sachl chen Gründen in der Presse, der Armee und der Bevölkerung zu unterstüßen, müßten si ledoch entschieden gegen etne Behandlung der Reform als politisches Zauschobjekt sowie gegen die Förderung der magyarischen Bestrebungen verwahren. Der Abg Klofac (ts{hehisch-radikal) betonte, daß die Slawen mit Ausnahme der Polen keinen Grund hätten, der Staats- verwaltung ungeheure Opfer an Geld und Blut zu bringen. Eine Reform der Armee sei notwendig, müsse aber den Gefühlen der nationalen Zugebörigkeit und des bürgerlihen Empfindens sowie dên temo- kratischen Anforderungen der Zeit Rechnung tragen. In der Armee müßten alle Nationen und Sprachen gleihberechtigt sein. Mit Rücksicht auf die politishe Lage wäre es am besten, über die Wehr- vorlage zur Tagesordnung überzugehen Vedenfalls aber sei eine vor- läufige Regelung mit erhöhtem Rekrutenkontingent unannehmbar. Schließlih sprach \ich Redner für die Abrüstun g und die Schieds- gerichte aus. Der christlih-soziale Abg. von Guggenberg erklärte, daß die Wehrfähigkeit des Reiches es am wenigsten verdiene, ein Splel staatsrehtliher Zänkereien zu sein, und wandte sich gegen die ungarische Resolution. Angesichts der ernsten auswärtigen Lage werde seine Partei troß der neuen Belastung für die Bevölkerung in patriotischer Brreitw Uigkeit in die Verhandlung der Vorlagen eintreten, damit das Vaterland auh wiklich jene Stellung und Macht erhalte, die ihm mit Nücksiht auf seine Aufgaben in Europa unbedingt gebüh1e.

ver T\hehe Subrt meinte, wenn der Staat Geld für das Heer verlange, habe er auch dafür zu sorgen, daß die wir! schaftlichen Kiäfte des Staates gehoben würden. Ein Weg würde bestimmt zur Er- Pöhurg der Wehrkraft führen, nämlich gleihe Gercchtigkeit und gleiches Net sür alle Völker Oesterreichs.

Die Regierung hat im Abgeordnetenhause einen Geseß- entwurf über die allmählihe Aufhebung des Zahlen- lottos und die Einführung einer Klassenlotterie eingebracht.

Großbritannien und Frland.

Jm Unterhause wurden in der gestrigen Sitzung zunächst mehrere Anfragen, betreffend die Verhandlungen zwischen Frankreih und Marokko, Kreta und eine Schiffs- verbindung zwischen Bagdad und dem Persischen Golf, erledigt.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Sir Edward Grey auf die Marokko be- treffende Anfrage, die britishe Negierung wolle an den Verhandlungen zwischen Frankreich und Marokko nit teilnehmen. Es sei etne allgemeine Regel, daß man gute Dienste niht anbiete, wenn sie nicht von beiden im Widerslreit befindlihen Parteien verlangt werden, und daß man fie niht verweigere, wenn sie fo verlangt werden. Er habe keinen Grund zu der Annahme, daß in diesem Fall irgend eine Differenz entstehen könne. Auf die Frage, ob England beabsichtige, alle Interessen in Marokko aufzugeben, erwiderte Grey, Englands Stellung Marokko gegenüber sei gegeben dur die Abkommen, die dem Hause vorgelegen hätten, und durch die Mitteilungen, die dem Hause im legten Jahre gemacht worden seien.

Die von tem Abg. Lloyd (kons.) an den Staatssekretär ge- richtete Anfrage, ob die Shußmächte Kretas Deutschland und Oester- reich aufgefordert hätten, in der Kretafrage wieder mit ihnen zu- fammen zu wirken und ob, wenn dem so |ei, Oesterrei und Deutsch- land dies abgelehnt hätten, verneinte Grey und sagte, die Schußt- mächte hätten fih gemeinsam über die Schritte beraten, die zu er- greifen notwendig sein könnten, um den status quo in Kreta auf- recht zu erhalten. Sie hätten keine andere Macht aufgefordert, die nicht sehr angenehme Verantwortung zu teilen. Sollten aber die Schwierigkeiten wachsen und Anlaß geben zu einer Ausdehnung der Verwicklungen außerhalb Kretas, die man nicht vorausgesehen hâtte, dann set es seine Hoffnung und sein Wunsch, die, soviel er wisse, von den anderen Mächten geteilt würden, daß die Mächte, Deutschland und Oesterrei mit eingeschlossen, sih gemeinsam beraten würden.

Auf die leßte Anfrage erklärte Sir Edward Grey, daß zwischen der englischen und der türkishen Negierung seit einiger Zeit Ver- handlungen wegen einer Schiffahrtsverbindung zwischen Bagdad und dem Persischen Golf und wegen anderer Fragen ähnlicher Art im Gange seien. Die englische Regierung sehe augenblicklich der Mitteilung wichtiger Vorschläge seitens der türkischen Negierung entgegen. Aber die Verhandlungen seien in diesem Stadium vertraulich.

Hierauf brachte der Premierminister As qu ith den Geset- entwurf über den Mindestlohn in der Kohlenindustrie ein und führte, obiger Quelle zufolge, aus:

Er schlage diese Maßregel nur mit großem und aufrihtigem Widerstreben vor, aber eine |hnelle Annahme des Gesezen1wurfs ci absolut notwendig zum Besten des Landes, und die Negierung habe zu einem Geseß erst ihre Zuflucht genommen, als jede Hoffnung auf Beilegung des Streiks dur Verglei ges{wunden wäre. Nachdem er fodann die Politik der Regiezung bei den Verhandlungen ver- teidigt hatte, crläuterte er die Vero: dnungen des Gesetzentwurfs, der feslseße, daß den unter Tage Arbeitenden ein Mindestlohn gezahlt werden solle. Dieser Lohn solle von dem Augenblick an zahlbar sein, wo die Arbetter ihre Arbeit wieder aufnähmen, und solle durch Bezirksauss{üsse festgeseßt werden. Die Bezirksaus\hüsse würden auch Bestimmungen auszuarbeiten haben, um die Regelmäßigkeit ter Arbeit zu sichern. Während der Arbeiter berechtigt sein würde, den Arbeitgeber wegen des Mindestlohns zu verklagen, solle andererscits der Arbeiter zum Bezuge des Mindestlohns nicht berechtigt sein, wenn er nit diese Bestimmungen erfüllt habe. Der Entwurf enthalte keinerlei Straf- bestimmungen. Der Wbeitgeber dürfe dem Arbeiter unter Tag nicht weniger Lohn zahlen, als in dem Entwurf werde be- stimmt werden, indessen werde der Entwurf den Grubenbesitzer niht zwingen, - seine S@zrube zu öffnen, eb-nsoncenig wie den Arbeiter dazu“ einzufah A in Zwang werde also nah keiner Seite hin ausgacübt nerden. Auch |& der Entwurf nut eine vorübergehende Maßnahme, diê drei Jahre lang in Kraft bleiben werde. Er, Béquith, glaube und befe, daß der Entwurf Erfolg haben werde. Aber tas set alles, was vom Parlament augenblickli{ch verlangt werde. Die Stellung des Parlaments werde durch diese Maßnahme gefestigt sein, wenn es, was der Himmel verhüten möge, zu anderen und«ab- weichenden Maßregeln gezwungen sein würde, um die Indusirie und das Volk gegen Lähmung und Not zu s{üten.

In der Debatte erklärte der Abg. Bonar Law es für möglich, daß das von der Regierung vorgeschlagene Mittel gegen die herrsdende Notlage sich als weit gefährlicher herausstellen könnte, als die Not- lage felbst. Jn dem Entwurf sei keine von den Bürgschaften gegen elne Verminderung der Kohlenförderung vorgesehen, die Asquith den Grubenbesigern versprochen habe. Die Lage sei die, daß die Bergarbeiter organifation so mächtig gewesen sei, daß sie cinen Dru auf die Regierung und das Parlament habe autüben können, um ihre Forderungen du ch- zuseßzen, und dadurch, daß das Haus den Entwurf annehme, würde es jeden anderen Handelszweig, der eine starke Organisation besie, auf- fordern, feine Macht zur Erreichung desselben Crfolges zu gebrauchen, und die Bildung neuer Organisationen hervorrufen, wo fie augen- blicklih noch nicht beständen. Der Abg. Namsay Macdonald sührte aus, jedermann wünsche den Streit unter Bedingungen bei- gelegt zu sehen, die von den Grubenbesitßern verwirkliht und von den Arbeitern argenommen werden fönnten. Wenn der vorli gende Cntwourf dies erreihe, so würde die Arbeiterpartei ihre Unter- stüßung dazu geben. Obgleich sie für die Aufnahme von gewissen Bürgschaften in den Entwurf eintrete, würde sie do alles tun, was in ihrer Macht slehe, um die Durchbringung des Gescßes ncch in dieser Woche zu sichern. Lord Robert Cecil erkiärte, der Streik sei ein Teil der aroßen Vershwörung ciner kleinen Schar von revolu- tionären Gewerkschastlern, die die Macht über die Industrie des Landes eilançcen wollten. Der Schaßkanzler Lord George gab zu, daß die Bill ein zeitweiliger Notbehe1f sei. Aber es sei gegenwärtig ein zeit- weiliges und sofort wirksames Mittel notwentig, das den Charakter cines Versuchs tragen müsse. Er glaube nit, daß die Gewerk- schaften eine wirklide Gefahr darstellten, und die Forderung eines Mindestlohnes sei gar keine Forterung der Gewerkschaften. Niemand habe einen besseren Vorschlag machen können als die Negierung. Wenn die Maßnahme fehlshlage, dann könnten immer noch stärkere Mittel angewandt werden.

Die Mindestlohnbill wurde sodann in erster Lesung einstimmig angenommen.

Frankreich. Der König und die Königin von Belgien sind nah einer Meldung des „W. T. B.“ gestern abend in Paris ein- getroffen.

Der Präsident Fallières hat gestern im Ministerrat den Geseßentwurf, betreffend die Verlängerung der inter- nationalen Zuckerunion, unterzeichnet. Die Vorlage ist gestern der Kammer zugegangen.

Die Deputiertenkam mer verhandelte in der gestrigen über einen Ergänzungskredit von ungefähr

Sizung 60 Millionen Francs für die militärischen Operationen in Marokko.

Wie „W. T. B.* berichtet, erklärte der Abg. Driant, er mache sich Sorge über den Wert, den man den \cherifis{chen Truppen

zushreibe. Frank: eih müsse französishe Streitkräfte organisieren. Der Kriegêm'nister Millerand betonte, daß Frankreih in dem Augenblick, wo es daran gehe, das Protektorat zu errichten, alle zur Verfügung stehenden Mittel anwend n müsse. Es werde Marokkaner zum Kriegsdienst annehmen, aber die a:s thnen rekrutierten Str it- kräfte würden aués{ließlich den französishen Interessen dienen. Auf

Hierauf wurden die Verhandlungen auf heute vertagt.

eine Anfrage des Abg. Naffin - Dugens, ob die Höhe des Kredits

im Budget berücksichtigt sei, erwiderte der Ministerpräsident Poincaré, die Negierung betrachte es einstimmig als unmöglich, im voraus die notwendigen Kredite zu bestimmen. Man müsse für das nächste Jahr genau die g'eihen Summen wie für dieses Jahr vor- sehen. Aber die Regiernng könne sich nit verpflichten, fie nicht zu überschreiten. In Erwiderung einer Anfrage des Sozialisten Thomas führte der Kriegsminister Mill erand ans, die Tätigkeit des Sanitätsdienstes habe ih erheblih gebessert. Die Impfung gegen Typhus, die glänzende Resultate ergeben habe, würde in noch größerem Umfange fortgeseßt werden.

Die Vorlage wurde mit 425 gegen 70 Stimmen an genommen.

Rußland.

Das Verkehrsministeruum hat, wie „W. T. B.“ meldet, eine Kommission gebildet, die den von privater Seite ent- worfenen Plan, eine Wasserverbindung zwischen der Wolga und dem Don herzustellen, prüfen soll. Der Kanal soll von Zarizin nah Kalatsh führen, die Baukosten sind mit 60 Millionen Rubel veranschlagt.

talien,

Jm Senat wurde gestern der endgültige Etat für 1911/12 beraten.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte der Schatz minister Tedesco, daß der Ueberschuß der Einnahmen im laufenden Nechnungsjahre sicherlih 57 Millionen überschreiten werde, die mit den übrigen 57 Millionen zusammen, die die Veberschüsse der Einnahmen des verflessenen Nechnungsjahres bildeten, mehr als die Hâlfte der Kriegsausgaben bis zum 29. Februar deten. Der Nest der Ausgaben könne vom Etat übernommen werden. Der Minister hob hervor, daß die Einnahmen in den fünf Monaten des Krieges monatlich um 714 Millionen gegen das Vorjahr gestiegen seien, und fügte hinzu, die Steigerung der Ein nahmen aus dem internationalen Handel und dem Eklsenbahnbetriete beweise die Nichtigkeit der Versicherung der Budgetkommission im Senat über die Lebensfähigkeit, Elastizität und Solidität der National- wirtschaft. Die italienishen Finanzen seien gesund und kräftig. Das italienische Volk habe ein Gefühl des Stolzes, weil es wisse, daß es seine glänzende Lage seiner Arbeit und setner Sparsamke’t zu danken habe.

Spanien.

Der Ministerrat hat gestern laut Meldung des „W.T.B.“ beschlossen, das Parlament, das bereits seit der leßten Krise vorläufig vertagt worden war, am Sonnabend endgültig zu vertagen.

Amerika.

Das amerikanische Nepräsentantenhaus hat gestern laut Meldung des „W. T. B.“ das demokratishe Verbrauchs und Einkommensteuergesez ohne Abänderung mit 249 gegen 41 Stimmen angenommen.

Asien.

Nach einer Meldung des „Neutershen Bureaus“ hat Ja pan das Angebot, sich an der chinesischen Anleihe zu beteiligen, angenommen und die Speciebank mit seiner Vertretung im Anleihesyndikat beauftragt.

Die provisorische Regierung in Kanton hat beschlo\sen, die meuternden Truppen aus den Regierungsforts der Danes insel in der Nähe von Whampoa zu vertreiben. Chinesische Kanonenboote beschießen die Forts, die das Feuer erwidern.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sizungen des Rei chs- tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Der Reichstag seßte in der heutigen (31.) Sißung, welcher der Staatssekretär des Jnnern Dr. Delbrück und der Staatssekretär des Reichs\shaßamts Kühn beiwohnten, die Spezialberatung des Etats für das Neichsamt des Jnnern fort und nahm die Debaite über das Ausgabekapitel „Reichs8gesundheitsamt“ und die dazu vorliegenden Resolutionen wieder auf.

Abg. Dr. Burkhardt (Wirts. Vagg.): Ich komme zunächst mit einigen Worten auf den Schluß unjerer gestrigen Nachtsitung zurück. Es wurde da von der Linken über die Zurückweisung zweier jüdischer Aerzte von bestimmten Krankenhäusern Beschwerde geführt. Wenn sich einmal ein sfolter Fall ereignet, wird fofort die ganze Judenschaft mobil gemaht. Bezcihncnderweise ist es gerade tie Partei der Fretheit, die fortschrittlide Bolkí partet, die hier ver langt, daß die Freiheit der Krankenhausdirektoren beschränkt werden soll. Der Abg. Dr. Struve follte sich das ange!ührte Gegen- beispiel des Profcefsors Zimmer eclwas genauer ansehen, tann witd er finden, daß ein früher rational.- sozialer, fortschrittliher und liberaler Geistlicher gegenüber einer Katholikin genau dasselbe getan hat, was der Abg. Struve dcn betreffenden Direktoren vorwirft. Was tie beiten auf die Weinfrage bezügl hen Resolutionen betrifft, so bitte ih, thnen zuzustimmen, auch im besonderen Interesse der pfälzischen Weinbauern, für die heute einzutreten mein Fraktionsfreund Gebhart [eider verhindert ist. Wie stebt es mit der einheitlichen Apotheken - geseßgebung? Wenn das Neich die Sache nicht regeln will, so muß doch etwas geschehen, damit die Landesgesetzg: bung hier die unbedingt nötigen Schritte tut. Das Kurpfusd ereige]eß soll niht wieder ein gebraht werden. Erwünsht erscheint jedo, daß wenigstens der zweite Teil, das Geheimmittelunwesen betreffend, wieder zur Vorlage an den Reichètag gelangte. Die Forderung, die das Zentrum wegen der Durchführung einer VBerlürzung der Arbeitszeit für die Arbeiter in ten Metall-, Hütten- ur d Walzw. rken in einer MNesolution erh bt, können wir auch nur lebhaft unterstüßen. Die tunlihste Erleichterung, insbesondere der pekuniären Lasten, die die Schlachtvich- und Fleischbeshau den kleinen Landwirten auferlegt, kann ich nur nochmals der Reicsverwaltung warm ans Herz legen.

(Schluß des Blattes.)

+ Das Haus der Abgeordneten seßte in der heutigen (41.) Sizung, welcher der Minister der geistlichen und Unter- richtsangelegenheiten D. von Trott zu Solz beiwohnte, die zweite Beratung des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1912, und zwar die Verhandlungen über den Etat des Ministeriums der geistlichen und Unter rihtsangelegenheiten bei dem Kapitel „Evangelischer Oberkirchenrat“ fort.

Abg. Kop\ch (fortschr. Volksp.): Ich möchte an den Kultus- minister die Bitte richten, dafür zu sorgen, daß das Vorgehen gegen liberale Geistlihe durch tie oberste Kirchenbehörde möglihst ein geshränkt werde. Dieselbe Bitte hat vor Jahren {on der Abg. Wetéekawp an din Kultusminisler gerihtet. Ich werde mich von solchen ¿Forderungen nicht abbringen lassen, auch wenn es einer einseittg lirhlichen NRichturg nicht gefällt. Das Vorgehen der obersten Kirchenbehörde widerspriht den Interessen des religiösen Lebens. Der Fall Jat!ho hat in den fretgesinnten evangelishen Gemeinden die

arôßte Beunruhigung hervorgirufen, und es ist der Wunsch berechtigt, folhe Männer der Kirhe und dem religiösen Leben zu erbalten.

Der Kultusminister hat hier allerdings nur einen moralischen Einfluß, aber diesen sollte er wenigstens anwenden. Der Abg. Windckler tat so, als ob es in der evangelishen Kirhe nur eine Richtung gebe, die positive. Das ist unrichtig; die liberale Richtung ist gleihberechtigt. Abg. Winckler meinte, das FIrrlehren- geseß sei ein Fortschritt auf dem Wege der Toleranz. Sclche Aeußerungen über „Toleranz“ aus jenen Kreisen find immer unfair gewesen; die Herren, die da glauben, im Besiß der einzig wahren Religion zu sein, find gewöhnlich von der wahren Toleranz weit entfernt. Die Männer, gegen die das Irrlehrengeseß angewandt wurde, fönnen weder auf dem Wege des Difziplinarverfahrens verfolgt, noch mit einem persönlichen Makel behaftet werden. In dem Prozeß gegen den Pfarrer Traub is ausdrücklich ausgefprohen worden, daß es gerade seiner Tätigkeit zu danken sei, wenn in seinem Wirkungskreise neues Religionsleben geweckt sei und die Monisten- und freidenkerishen Bestrebungen - keine Ausdehnung gewonnen hätten. Hochachtung muß man haben vor den Männern, die, vor die Wahl zwischen dem Wohl und Wehe ihrer Familie und dem uner- shrockenen Bekenntnis zu ihrer Ueberzeugung gestellt, das leytere wählen; das sind Männer im echten Sinne des Worts, gegen die si der Spruch des Oberkirchenrats rihtet. Eine Reihe von Strafen find allein im Jahre 1911 gegen liberale Geistliche verhängt worden; es spricht sih darin eine gewisse Nervosität des Oberkirchenrats aus, die der Herr Kultusminister doh einzudämmen versuchen sollte.

Abg. Dr. Nunze (fortshr. Volksp.): Durch den heute geseßlih vorge'chriebenen Wahlinodus für die kirhlihen Körperschaften werden die Wähler in ihren Nechten und in ihrer kir{chlichen Freiheit be shränkt; das Mitregieren und Mitarbeiten in der Gemeinde wird dadurch den liberalen Wählern oft ganz zur Unmöglichkeit gemacht. Umsomehr wird einem Einfluß orthodorer Geistlihen Vorschub geleistet. Der Odterkirchenrat ist eine durhaus reakiionäre Schöpfung. Unter dem liberalen Ministerium wehte ein anderer Wind. Die Synodalverfassung sollte gerade diese Freiheit garantieren; aber da die darin vorgeschriebene Form der Urwahlen fast überall zu liberalen Pfarrerwahlen geführt hatte, wurde \chleunigst dieser Wahlmodus geändert und durch den gegenwärtig geltenden erseßt. Da {uf man darn die Bestimmung, daß jeder, der sein Wahlrecht ausüben wolle, sih zum Pfarrer begeben und dort protokollarisch seine Absicht, das Wahlrecht auszuüben, bekannt geben muß. Unter dieser reaktionaren Maßnahme leidet unsere ganze evangelische Kirche. Berlins Bevölkerung is der großen Mehrheit nah in kfirhliher Hinsicht entschieden liberal, und doch führen die Ver- treter der Orthodorxie das Regime, und diese Herrschaft wird noch mehr dadur verstärkt, daß in der Vertretung zur Provinzial- synode die Berliner Kreissynoden nicht mehr Rechte haben, als irgend eine andere Kreissynode Brandenburgs. Die Vertreter des kirhliden Liberalismus sind so gut wie ganz ausgeschlossen aus ter Generalsynode, und der Oberkirhenrat übt sogar einen Einfluß auf die Beseßung der theologischen Professuren aus. Wir stehen auf dem Boden der Volkskirhe und müssen deshalb auch das Spruchkollegium energisch verurteilen, das eine durchaus unevangelishe Einrichtung ist. Wie man im Volke über das Spruch follegium denkt, zeigt die ungeheure Entrüstung, die der Fall Jatho hervorgerufen hat. Die Berliner Stadtsynode treibt dur den Ankauf der riesigen Friedhöfe in Stahnsdorf, Ahrensfelde un- glaublihe Terrainspekulation. So hat sih eine kirchlide Bureau- fratie gebildet: diese muß durchbrohen werden, wir müssen wieder eine wahre Volkskirche erhalten, wahre Priester, die überall, wo sie au stehen, für die kirchlihen Ideale eintreten.

(Schluß des Blattes.)

Dem Reichstage ist eine Denkschrift zugegangen, in der die Ergebnisse der auf Grund einer Resolution des Reichstags angestellten Prüfung zusammengefaßt find, aus welchen Gründen die Bauten der Reichsbetriebe (Militär, Marine, Post, Eisenbahn) regelmäßig erheblih teurer seien als Privatbauten, und durch welhe Maßnahmen eine angemessene Ermäßigung der Preise zu erreichen sei.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Eine gestern nah Bochum einberufene Nevier konferenz des Bergarbeiterdreibundes des Ruhrreviers (vgl. Nr. 70 d. Bl.) hat, wie ,„W. T. B.“ meldet, beschlossen, den Ausstand aufzugeben und fordert alle Kameraden auf, diesem Beschluß zu folgen. Die Annahme erfolgte mit 349 gegen 215 Stimmen. Dreizehn Vertreter hatten sich der Abstimmung enthalten. Da somit keine Dretviertelmehrheit für die Forlsezung des Ausstands zustande gekommen war, ist der Streik aufgehoben. Im Laufe des gestrigen Abends wurden überall Versammlungen abgehalten, die durhaus ruhig verliefen, so in Essen, in Bohum und anderwärts. In diesen Versammlungen wurden die Gründe für den Streikabbruch ausführlih erörtert und beschlossen, heute, Mittwoch, wieder an- zufahren. Wie mitgeteilt wird, ging heute die Wieder- aufnahme der Arbeit auf den Zechen im allgemeinen glatt von statten. Der Ausstand auf den Gruben der Saar- und Mosel-Bergwerksgesellshaft ist ebenfalls beendet. Heute früh find sämtlihe Arbeiter zur Arbeit erschienen. Die bon der Verwaltung von Anfang an gemachten Zugeständnisse sind ron den Arbeitern angenommen worden. Zur Lage im Fürstentum Schaumbu rg-Lippe wird berichtet, day gestern nacb- mittag in verschiedenen Orten stark besuchte Versammlungen der Arbeiter des fiskalishen Gesamtkohlenbergwerks in Obernkirchen stattfanden, in denen über das Ergebnis der Ver- handlungen zwischen dem Arbeiteraus\chuß und Vertretern des Berg- amts beraten wurde. Die von dem Bergamt zugestandene Erhöhung des Shihtlohns um 10 4 vom 1. April ab wude als un- zureichend bezeihnet und dann mit etwa Fünfachtelmehrheit der Ausstand endgültig. beschlosse n. Die Gesamtbelegschaft beträgt etwa 2500 Arbeiter. j

Zur A ss\tandsbewegung der \chlesischen Bergarbeiter er- fährt „W. T. B.“ aus Zabrze, daß eine Bewegung der Schl ep per bom Hermannschaht in ziemlihem Umfange auf die Peremba- ch ächte und auf das Westfeld übergegriffen hat und sih auf den Georgshaht autdehnen zu wollen \cheint. Bei der vor- gestrigen Nachtschicht fehlten auf dem Hermannshaht 319 von 684 und auf den Perembashächten 233 von 684 Mann. Gestern früh fuhren auf dem Hermannshaht 581 von 777, auf den Peremba- {ächten 255 von 702 und auf dem Georgshacht 95 von 596 Mann ein. Heute hat mehr als die Hälfte der Gesamtbelegscha\t die Arbeit niedergelegt. O ;

Das Köniuliche Bergamt in Freiberg teilt über seine Ver- mittlungstätigkeit im sächsischen Bergarbeiterstreik nit, N es sich bei der Besprehung am Sonnabend nur um eine Fühlung- nahme mit den Werkvertretern gehandelt habe, die aber eine An- rufung des Schiedsgerichts nah wie vor ablehnten. Darauf mußten auch die allgemeinen Verhandlungen mit den Werk- und Arbeiter- bertretern unterbleiben. Die Zahl der Ausständigen beträgt leßt nah Feststellung des Königlichen Bergamts im Durchschnitt 999% der Belegschaften. : , , Aus Prag wird dem „W. T. B." telegraphiert : In Dru sind gestern bei der Nachmittagsschiht von 736 Bergleuten 634 nicht angefahren. Zum Schug der Arbeitswilligen ist Gendarmerie aufgeboten worden. Im Teplißer Gebiet wird der Ausstand [Ut den 31 März angekündigt, falls die Forderungen un- beantwortet bleiben. Doch hält eiu Teil der Arbeiterschaft diefen Veitpunkt für zu weit hinaus geschoben mit Rücksicht auf die der

Löfung sich nähernde Streiklage in Deutschland und England. Jm Klada Aa Er haben die Grubenbesiger beschlossen, eine Lohn - erhöhung vom 1. April ab in Ausficht zu stellen. ,

Zum Ausstand der englischen Bergarbeiter wird dem „W. T. B.“ aus London berichtet, daß es in mehreren Streik - gebieten gestern zu Kundgebungen und Unruhen kam, die fich gegen nihtorganisterte Arbeiter rihteten, welhe die Arbeit wieder aufgenommen hatten. In mehreren Fällen mußte die Schugmannschaft einschreiten. In St. Helens (Lancaster) machten die Streikenden mehrere Versuhe, die Grube Collins-Green zu stürmen. Bei dem Zusammenstoß mit der Polizei wurden «auf beiden Seiten mehrere Personen verleßt. Nachdem die Polizet Ve1stärkungen erhalten hatte, gelang es, die Menge zu zerstreuen.

Der ausführende Ausshuß des Nationalverbandes der französishen Bergarbeiter hat eine Kundgebung erlassen, in der er die Bergleute auffordert, sich dem Beschluß des Kongresses von Angers zu fügen, und wortn die Streikenden im Denain- revier (bgl. Nr. 70 d. Bl.) ersucht werden, die begonnene Be- wegung einzustellen und ihre Kräfte für den von dem Kongreß in Angers bestimmten Moment aufzusparen. Der Berg- arbetterverband m Devarfement Loire erließ einen gleihlautenden Aufruf an seine Mitglieder mit der Erklärung, daß nur Disziplin und Einigkeit den Erfolg verbürgten. In Valenciennes haben die Vertreter der_ Syndikats- abteilungen den Ausstand beschlossen, der sib bereits über das ganze Revier ausdehnt. Von 13 000 sind 6500 Mann im Ausstande. Die Bergleute des Gebiets von Abscon stimmten gleihfalls für den Streik; {ie fordern den achtstündigen Arbeitstag und nach 25 Jahi1en Arbeit eine Pension von 2 Fr. täglich.

(Weitere „Statistishe Nachrichten“ \. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wisseuschaft.

A. F. In der allgemeinen Sitzung ter Gesellschaft für Erdkunde sowohl als in der Gesellschaft für Anthropologie wenige Tage vorber, spra unter Begleitung auêLgezeihneter Lichtbilder Professor Dr. Eduard Seler über Reisen in Süd- und Mittelamerika, tie er im Anschluß an den Besuch der Hundert jahrfeiern von Argentinien und von Mexiko im Jahre 1910, gemeinsam mit seiner Gattin und einigen anderen deutsh- redenden LTeilnehmern ausgeführt hat. Die Reise begann in Buenos Aires, von wo mit kurzen Aufenthalten in La Plata und in der {ôn bewaldeten Sterra von Cordoba auf langer Cisenbahnfahrt bis zur bolivianishen Grenze gefahren wurde. Die interessante Bahnstrecke führt bis 3300 m Höhe und endet bei La Quiaca, an der Grenze von Bolivia. Solange die geplante Eisen- bahn nah Uyuni noch nicht besteht, welche dort Anschluß an die Bahn vcm Hafen Antofagasta nah der Landeshauptstadt La Paz finden soll, muß die Strecke Gréenze—Uyuni zu Wagen zurückgelegt werden. Die Reisenden fuhren in einem leihten, mit 8 Maultieren bespannten Wagen über das Gebirge. Die großartige Einblicke in die Cordillera und wertvolle Eindrücke von Land und Leuten gewährende Fabr1t führte in 34 Tagen über Tupiza, Escirioni (4000 m hoch) und Cinas. Von hier ist Uyuni nur noch etne halbe Tagereise entfernt. Bei der Weiterfahrt von Cinas kam zum ersten Male in beträchtlicker Ferne dic große Salzfläche bei Uyunt zu Gesicht mit hohen Schnee- bergen dahinter, die infolge von Luftspiegelung wie in der Luft \{chwebend ershienen ein wundervoller Anblick. Zugleich verkündete eine weißlihe Dampfwolke am Abhang, daß man fd in der Nähe des großen Silberbergwerkes Pulacayo befinde. Nah mehrstündiger Fahrt durch eine wüste Strecke lag endlih die weite Ebene mit den funkelnden Schneespißen darüber vor den Blicken der Nelsenden und am jen'eitigen Abhang, einer grauen, anscheinend vegetationslosen Fläche Uyuni, eine breite Zeile aus Holz gebauter Häuser mit ein paar hohen Schornsteinen; freudig begrüßt als die Station an ter Eisenbahn, die man fortan, einige kurze Ausflüge landeinwärts au8gerommen, nicht mehr zu verlassen brauchte. Die vom Winde durchtoste Ebene von UÜyxuni, 3664 m über dem Meer, hat für den Menschen noch einen besonderen Nachteil. Die Luft ist von so übermäßiger Trockenheit, taß die Laut reißt und die Fingernägel brehen, wo immer man hart anstößt. Nur die Rücksicht auf Ewerb oder Amtepflichten halten die Menschen an diesem unwi1tlihen Ort, in dessen Gastzimmern, weil sie keine Oefen besißcn, \ch am Morgen das Washwasser ein- gefroren zeigte. Abends hörten die Reisenden im Saale des Stadt- ha uses einen Vortrag über Land und Leute, der im Hinblick auf die Weiterreise über Seltsamkeiten der Bevölkerung unterrichtete und hohes Interesse für diese an alten Gewohnheiten und Ueberlieferungen hängenden Indianer e1weckte. Bekanntlich trafen die Spanier, als sie unter Pizarro ihren Eroberungszug gegen das Incareih mit der Hauptstadt Cuzco unternahmen, eine hochkultivierte, gesittete Be- vôlkeruna, die ganz erheblich alle anderen Ureinwohner Amerikas über- ragte. Troß aller Bedrückungen durch 4 Jahrhunderte haken \ich Spuren dieser höheren Gesittung noch hier im Zentrum des alten Incareihes erhalten. Es find wesentlich 2 an ihren alten, bon einander abweihenden Sprachen festhaltende Indianerstämme, die in Betracht kommen: die Khehua und die Aymará. Erstere, in der Nachbarscha‘t von Uyuni wohnend, sind till ergebene, arbeit fame Naturkinder, die sih bei gegenseitiger Begrüßung noch heute den alten Incagruß zurufen: Oma sua, oma quella, oma mulla, d. st. „Stiehl nicht, sei nicht faul, lüge niht!“ Der nächste Tag war dem Besuch des der Rothschildgruppe gehörigen Bergwe1ks Pulacayo gewidmet. Von Uyuni nah der Landeshauptstadt La Paz gelangt man in 24stündiger Eisenbahnfahrt. Die Gesellschaft beschloß jedo, 2 Tage darauf zu verwenden, um in Oruro zunächst eine Anzahl deutscher Landsleute zu besuchen.

Von Oruro nordwärts gelangte man mit der Eisenbahn ins Gebiet der Aymará-Indianer. Es blieb noch immer bei der ein- förmigen, bestenfalls mit spärlihem Grase bewahsenen und als Weide- land gebrauchten Hochebene der Puna. Nur hin und wieder sah man ein dürftiges Kartoffelfeld oder mit Oca bestandenes Land, d. i. Enollentragender Sauerklee. Auffällig war, daß die den Lehmmauern der Ställe angefügten Wohnhäuser aus Lehm hier runde Turmgestalt zeigten. Turmartig angelegt zeigten sih auch die Wohnungen der Toten chulpa. Hier bekamen die Reisenden auch die ersten Aymará - Indianer zu Gesicht: kräftige, sehnige Gestalten im braunen wollenen Ponko. Viele trugen in sfelbst- gewebten wollenen Säcken Kartoffeln und Oca zur Station. Erst gegen Abend dieses Tages gelangte die Reisegeselschaft nach Viacha, wo die Bahn nah Tiahuanaco und dem Citikakasee abzweigt. Hier hatte man den Hochgenuß, zum ersten Male in voller Pracht die stolzen Schneeberge zu sehen, die sih über dem Hochlande des Titikaka erheben: Quisun Cruz im Süden der Talspalte des Nio de la Paz und dann fest zusammenhängend die Kette des Jlimani (7509 m), Musurate (6183 m), Huayna Potosi (6184 m) und den gewaltigen JÜampu (7696 m), eine Kette, die von der genannten Talspalte bis Caraluco am Titikakasee reiht. Je näher man dem großen Sce kommt, dessen Größe die des Genfer Sees neunmal übertrifft, während er vom Oberen See (Lake Superior) nur !/16 beträgt, um so mehr verwandelt ih der Anblick der Landschaft. Die Ebene ist nit mehr bloß Weide- land, fondern in großez Ausdehnung gut bestellt, wie es \{eint unter dem klimatish günstigen Einfluß des nahen g! oßen Wasserbeckens des Titikaka. Es dunkelte \{chon, als man auf der Altos de La Paz 4085 m ho, dem Nande der großen Einsenkung (Barranca) ankam, in der La Paz liegt, und der Steilheit der Hänge wegen die Lokomotive durch elek- trishen Betrieb erseßt wurde. Die Hauptstadt Bolivias liegt am oberen Ende eincr Talspalte, die, sih rasch vertiefend, die östliche Berg- lette durchbricht und ihre Wässer dem aroßen Rio Bert zufübrt. Während oben in der Hochebene um diese Jahreszeit {on alles kahl und perdorrt ist und die dürren Büschel des Co1dilleren-Grases sh endlos auébreiten, is die Talspalte {on ganz 9ben, dem Plateau benachbart, mit Kräutein, blühenden Stauden (darunter eine rotblühende, \tahlige Loasacee) erfüllt und find die Hänge mit den Büschen der prächtig orangeblühenden Mutisia, mit dem

violetten Solanum auratam und den eleganten RNispen des Pampa- grases bedeckt. Der um diese Zeit strahlend blaue Himmel, die kräftig wirkende Sonne lafsen hier die Kälte, die Oede und den Staub der nahen Puna vergessen; nur die dem Organismus des Menschen niht zufagende Wirkung der Höhe bildet ein Hindernis des Wohlbehagens; denn La Paz liegt immer noch 3630 m hoh. Das ist für die hier wohnen- den Europäer ein Grund, Wohnung weiter unten im Valle de Obrajos zu nehmen und nur zu den Geschäftsstunden nach La“Paz htnauf- zukommen. Für viele genügt au diese Vorsicht nicht. Um ibrem Herzen Nuhe zu gönnen, sehen sie sih genötigt, von Zeit zu Zeit längeren Aufenthalt an der Sceküste zu nehmen. Die Lage ron

La Paz, das im Gegensay zu dem ganz modernen Buenos Aires

noch eine ganz alte spanishe Kolonialstadt ist, bringt es mit

sich, daß die . horizontal laufeaden, unter \ich parallelen

Ss in verschiedener Höhe liegen und durch fie ret-

winklig fkreuzende, äußerst steile Querstraßen verbunden sind.

Die nur mit kleinen Höfen versehenen Häuser sind meist ebenerdig

oder höchstens einstöckig, viele sind reich ges{mückt durch in Stein

gearbeitete Portale, durch \{hêne Holzarcitektur an Erkern und Galerien,

durch eigentümlihe barockartige Verzierungen in Blumen- oder anderen

Mustern. Von den 80 000 Einwohnern der Stadt sind der größte

Teil Indianer und Mestizen. Das mat das Bild von

Straßen und Markt außerordentlich bunt; tenn es wimmelt

hier auch von Indianern ter Unigegend {n ibren Ponchos,

die gleih den Frauengewändern meist leuhtend orangefarben sind.

Die Frauen tragen viel Schmuck, vor allem die große Gewandnadel,

bestehend zumeist in einer Platte von löffelartiger Gestalt mit aller-

hand Gebânge daran, u. a. silberne Fis&@en. Im Gegensaß zu den Indianern von reinem Blut zeigen sich die Cholas, das find die Frauen und Mädchen der flädtishen Mischbevölkerung, in eter alt- spanischer Tracht, runden Hütchen, Tuch und Mieder, kurzen abstehenden Nödcken von \{chwarzer Farbe, die bloßen Füße in niedlihen Stuben steckend. Auf dem Markt werden neben den Erzeugnissen des einbeimischen Ackerbaues (Kartoffeln, Oca, Kréesse und Chuñu, tas sind dur abwechselndes Frieren und Dörren in ter Sonne in etne Dauerform übergeführte Kartoffeln), neben europäishen Stoffen, Cisenwaren und allerhand Tand auch eine Menge indianischer Medizinen, Coca mit Aeßtkalk, Kräuter, Pulver, verschiedene Erden und allerlei „Amulette“ feilgeboten. Leßtere beweisen, daß sich der alte heidnishe Aberglaube hier neben dem bigottesten Christentum behauptet. Wagen sieht man in La Paz nur auf der einen großen, talabwärtsführenden Straße, der Geländeverhältnisse wegen stets mit 4 Prerden bespannt. Um fo häufiger werden inner- halb und außerhalb der Stadt Züge von Llamas und Esecln an- getroffen. Die nächsten Tage brachten den Besuch des Titikaka- Sees und der Trümmer von Tsahuanaco, 3901 m hoch in einem nördli und südlichß von Bergen begrenzten Tal gelegen, das fich nah Westen zur Buht von Umamarca, der südlihsten Aus- buhtung des Titikaka, öffnet. Die gestaltlosen Ueberreste riesiger Bauten beim Dorfe Tiahuanaco lagen früher wohl innerhalb des Sees. Man will berehnet haben, daß zur Zeit ihrer Errichtung dessen Spktegel 34 m höher lag als heute. Das erscheint an Ort und Stelle sehr glaubhaft, und wenn heute nocch_ein sehr erbeblider, das Klima mildernter Einfluß der großen Wasserfläche auf die Umgebung zu gewahren ist, so muß dieser früher ungleich größer gewesen sein. So erklärt \sich wobl die Ui d Bevorzugung dieses Gebietes, eines Paradkteses inmitten öder Hochfläche, durch die ÎInca. Mit Staunen seht man die Ufer des Sees vnd die Inseln an den Hängen bis hoh hinauf mit in Terrasscn an- gelegten Feldern bedeckt, und nur der früher wobl vorhanden ge- wesene, später verwüstete Baumwuchs fehlt. Daß Bäume hier ge- deihen, beweisen einige an geshüßten Stellen vorhandene, das Auge erfreuende Haine, unter ihnen der Jardin del Inca genannte, einft wohl dur den Kultus beansprucht gewesene Hain bei Challa mit statt- lichen Beständen der Quisuar und Queñoa genannten Bäume, deren botanische Namen Buddleia incana und Polylepis racemosa find. Der einstige Waldreihtum des Gebietes is wohl erst unter spanischer Herrschaft, dem Minenbetrieb zu Gefallen zum Opfer gefallen. Der Titikaka.See (altperuanisch: Chucuito) liegt 3816 m über Meeres- spiegel. Fast allseitig von hohen Bergen umsäumt, besteht er aus einem größeren nordwestlichen und einem kleineren \üdös!lihen Teil, die voneinander durch die beiden einander gegenüberliegenden Halbinseln Topacabana und Achacaha getrennt und nur durch die Enge von Tequina verbunden sind, an der einander gegenüber die Dörfer San Pedro und San Pablo liegen. Der größere Teil des Sees stellt die Haupteins: nkung von 272 m Tiefe dar, der kleinere Teil ist flach. Die größte Längenausdehnung ift etwa 160 km, die größte Breite 60 km. Vom Wasser bedeckt sind nach Abrechnung der Inseln und Vorgebirge 5100 qkm. Umsäumt ist der See fast am ganzen Ufer durch den breiten Streifen einer „Totora“ genannten Binse, die auch das Material für die eigenartigen, floß- ähnlthen Fahrzeuge hergibt, mit denen seit uralter Zeit Khechua- und Aymará-Indianer den Seè befahren. Seit 1860 wird der Titikaka auch mit Dampfern befahren. Augenblicklich gibt es deren vier von 160 bis 250 Tonnen. Der größte von diesen, der „Vavari“, wurde seitens der Regierung von Perú, dessen Gebiet man jenseits des Titikaka betrat, der Gesellshaft für 2 Tage zur Verfügung gestellt, die mit dem Dampfer eine Rundreise auf dem See unternahm und u. a. auf der Sonnen-Insel und der Mond- Insel die dortigen alten Bauten besichtigte. Die erstere wird auch „Kayeninsel“ oder Titihuhua genannt, wegen des an fteiler Felêwand deutlich erkennbaren Abdrucks eines Katengesichts, der in der allperuanishen Schöpfungssage eine große Rolle spielt : denn an dieser Stelle soll der Schöpfergott Wirakoha Sonne, Mond und dite Urbilder der Menschheit geschaffen und der Sonnen- gott, als er zum Himmel aufstieg, einen Abdruck seines Fußes im Fel8gestein zurückgelassen haben. Die Mondinsel wird von den Eingeborenen auch die „Insel der Königin“ genannt. Dort sah die Gesellshaft die ganz im Stil der Inca - Arbeiten von Cuzco erbaute gewaltige Stüßmauer und darüber auf der Terrasse die Nischen des Klosters der Seenjungfrau. Die genußreicken Aus- flüge endeten mit einem der Gesellschaft in dem großen Indianerdorf Copacabana bereiteten festlihen Empfang mit Fahnen und zwei Chören von Panflötenbläsern, die freilih den Fehler begingen, gleih- zeitig zu blasen, der eine eine nationale Melodie, der andere die Marseillaise. Eine Anzahl der Bläser waren in eigentümliher Tanz- tracht ershienen. Schließlih wurde auch noch, während die wenigen Mönche das Ave Maznia sangen, das wundertätige Marienbild im Franziskanerkloster von Copacabana besichtigt, ein unter Glas ge {chüßtes, von Juwelen strablendes Bild, zu dem die Indianer von weit und breit her wallfahrten. Von Puno fuhren die Reisenden über den Paso de la Naya nah der alten Incahauptstadt Cuz co. Bei Hatun Colla, einer etwas abseits der Eisenbahn gelegenen uralten Stadt, am Ufer des Umayosees zwischen niedrtaen Bergen gelegen, zeigten sich die als die \{chönsten alten Grabsteine anerkannten Sillustani. Die Weiterfahtnt am Juliaca brachte interessante Bilder von Eingeborenen auf den verschiedenen, in einem weiten, wasserreihen Hochtal gelegenen Stationen, das seine Wasser nah dem Titikaka entsendet. Hier sah man eine Mençe Vieh, ebensowohl Llamas als Ninder, weiden. Nachher trat der Zug wieder in ein zwischen Bergzügen eingesenktes \{males Tal ein, in dem es, immer höher ansteigend, zu dem 4313 m hoch gelegenen aan la Naya ging. Dies ganze ausgedehnte Tal ift eine einzige, Nur einem Besißer gehörige Hacienda, in der über 5000 Llama und Alpacca weiden, da ein das Tal durchfließender wasserreiher Bach für gute Weide sorgt. Viele im Tal zerstreuten Tümpel zeigten fih von wildem Geflügel belebt, chwarz und weiße Punagänse, graue Enten, reiherartige Vögel und der Flamingo der Cordilleren, Phoenicopterus. Hier auf der Paßhöhe waren rets der Bahn Schneeberge zu sehen, links Klippen und fenkrechte Steilwände. JIenseits der Paßbhöhe ging es teil ab- wärts, vorüber an Hängen mit reidem Pflanzenwuchs, zumeist fomm- bildenden Bromeliaceen. Bald ist der Fluß jenseits der Wasserscheide erreiht. Der Villcanota führt seine Wässer dem Rio Tambo, somit dem Ucayali, zu. Das Bild ändert sich pun \{chnell. Häuser

und Felder treten auf, Sträuchher uñd blühente Büschez