1912 / 78 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 28 Mar 1912 18:00:01 GMT) scan diff

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für die miltleren Beamten, in gehobene Stellen, die der Sekretäre, Obersekretäre, Bureaubeamten bei den Provinzial- und Zentral- behörden, aufzurückea. Das ist der Sinn der ganzen Organisation; und ih stehe au heute niht an, hier zu erklären, daß ich diese Organisation für die einzig richtige halte und niht in der Lage wäre, tem Herrn Reichskanzler irgend eine andere Organisation zu empfehlen. Denn alles, was bisher vorgeschlagen wurde, trägt eigentlich den Interessenstempel an der Stirn. Ih nehme es ja keinem Beamten und keiner Beamtenkategorie übel, daß sie fich ihr Häuschen für sich aufbaut und sich ausrechnet, wo sie am besten unterkommen könnte. Das ist natürli, weil in diesem hohen Hause dauernd das größte Interesse für die Beamtenkategorien bekundet wird, worüber ih mi ja freue; ih fann ja stolz darauf sein (Heiterkeit), daß die Tätigkeit der Beamten so anerkannt wird. Aber es liegt auch eine gewisse Verführung darin, die Wünsche immerfort zu steigern. Denn darüber ist do kein Zweifel: wenn wir eben in einer Organisation begriffen sind, und nun noch wieder die Einschiebung einer anderen Kategorie verlangt wird, so muß die eine geschädigt werden. Und diese Schädiguug führt dann natürlich wieder zu Unsfrieden. Eine solhe Organisation ist nit in fünf oder zehn Jahren auszu- führen, sondern die Erfolge treten erst viel später hervor. Aber wir müssen uns immer gegenwärtig halten, daß der Chef einer so großen Verwaltung, die tief in alle Lebenêverhältnisse eingreift, dafür sorgen muß, daß durch die Organisation keine Vershlehterung der Leistungen im Interesse der Allgemeinheit eintritt. Man kann also nicht heute mit einem Male so und soviele Beamte der Assistentengruppe er- seßen lediglich der Zahl nach durch gehobene Unterbeamte, sondern daß kann nur in dem Maße geschehen, wie tie Vertreter dieser Kategorie \sch als geeignet erweisen; und das geht nit so {nell und geht nur in beschränktem Maße. Denn ich habe bereits im vorigen Jahre und {on häufiger erklärt . die Kerntruppe des Betriebsdienstes wird immer die Afsistentengruppe bleiben müssen, wenn die Leistungen auf gleicher Höhe bleiben follen.

Nun sind alle möglichen Einrichtungen getroffen worden, um die Einstellung neuer Beamten einzushränken. Es ift gestern bereits von dem Herrn Abg. Freiherrn von Gamp ausgeführt worden, daß wir durch Einstellung von weiblihem Personal bei den Post- ämtern 111 in ter Lage gewesen sind, die Annahme von neuen Ge- bilfen zu beshränken. Aber der Schluß, den der Herr Abg. Freiherr von Gamp daraus zog, daß nun neue Beamten der Assistentengruppe überhaupt nicht angenommen werden sollen, ist nicht angängig. Ich entsinne mich auch nicht, daß ih das jemals erklärt habe; im Gegenteil, ih habe im vorigen Jahre in diesem hohen Hause erklärt, daß wir bald wieder neue Beamten annehmen müssen, um den Bedürfnissen des Verkehrs zu genügen. Ja, meine Herren, inwieweit neue Beamten anzunehmen sind, das kann eigentlich nur die Verwaltung selbst ganz genau beurteilen, weil sie den Bedarf kennt, und weil auf ihr die Verantwortung laslet, daß der Dienst ordentlich wahrgenommen wird. Das nügt mir nachher alles nit, wenn ih sage: diese oder jene Abgeordneten find der Meinung, ih brauchte keinen Beamten anzunehmen. Man wird mir dann sagen : solange du an der Stelle stehst, hast du dafür zu sorgen, daß das Personal da ist, um dem Betrieb zu genügen. Meine Herren, die Anforderungen sind namentlich im Sommer groß. Sobald die Badeorte mit den erforderlihen Beamten beseßt werden müssen, die Beurlaubungen eintreten, brauchen wir ein großes Per)onal.

Also ih möchte mich kurz dahin zusammenfassen, daß wir noch mitten in der Organisation begriffen find, in einer Organisation auf gesunder Basis, und daß ih nicht in der Lage wäre, eine neue Organisation vorzuschlagen oder höheren Orts zu empfehlen. Ich bin fehr dankbar für Vorschläge und prüfe fie fehr gern und ein- gehend, behalte mir aber auch vor, diejenigen, die nicht afkzeptabel find, für ungeeignet zu erklären, da ich mir meiner Verantwortlichkeit in dieser Beziehung voll bewußt bin.

Abg. Hubrich-Oberbarnim (forts{chr. Volksp.): Die Ueber- \chüsse der Postverwaltung mögen Musik in den Ohren des Schaß- sekretärs sein. Sparen und'immer wieder sparen ist das Leitmotiv der Schaßtverwaltung, aber nur sparen am rechten Ort und zur reten Zeit sind wirkli} von Nußen. Etne Sparsamkeit auf Koslen des Verkehrs und der Beamten ist keine rihtige Sparsamkeit. Von einem Verkehréluxus kann man wirkliß bei uns nicht reden. Die Vermehrung der Postagenturen oder Anstalten steht mit dem Verkehrs- bedürfnis niht im Einklang. Die Post ist mitunter do zu engherzig. Œs ist mir ein Brief übergeben worden, der als unbesteUbar zurü- gegangen ist, weil neben der Briefmarke eine kleine Reklamemarke aufgektlebt war. Es wird gesagt, der Postassessor ist bis jetzt nur als Embryo in Gestalt des Postreferendars vorhanden. Der Affsessorismus, Schematismus und Formalismus is aber schon heute vorhanden, in der Postverwaltung. Einzelne Vorkommnisse lassen aber feinen Schluß aufs Ganze zu. Deutschland steht heute noch überall in der Post an der Spiße aller Nationen und dient dem Aus- lande als Vorbild. Dies Bild hat aber cine Kehrseite: die fozial unbefriedigende Lage unserer Postbeamten. Die UÜnzufrieden- heit und Erregung unserer Postbeamten muß doch ihre tiefere Ursache haben. Die Erklärung dafür liegt nicht in den Personen, fondern in der Verwaltung.. Das Stephansche Gehaltsreglement 0 feine richtigen Grenzen zwishen dem mittleren und höheren Beamtenpersonal. Ein Teil der höheren Beamten verblieb in Stellungen, die mit einer geringeren Qualifikation zu erreichen waren, und fie versperrten den mittleren Beamten das Vorwärtskommen. Obwohl dies seit einiger Zeit in Wegfall gekommen ist, so_wirkt es doch noch jeßt fort. Erst 1920 und 1921 soll der leßte Oberpost- praktikant aus dea mittleren Stellen verschwinden. Die Aussichten der jüngeren höheren Postbeamten sind geradezu trostlos. Sie fühlen sih durch die Verwaltung „betrogen“. Wäre dieser Ausdruck un- berechtigt, so würde man gegen die betreffende Postbeamtenzeitung vo gegangen sein. Die Zahl der Stellen der mittleren Laufbahn steht in keinem rihtigen Verhältnis zu der Zahl der Anwärter. Man jagt, neue Stellen dürften nur im dienstlihen Interesse errichtet werden. Nun, die Zufriedenheit der Beamten, ihre Schaffens- freudigkeit ist auch viel wert. Jch möchte den neuen Schaßsekretär bitten, dem Drängen nach neuen Stellen mehr Rechnung zu tragen, als es sein Amtsvorgänger getan hat. Die große Masse der mittleren Beamten hat von der Besoldungsordnung von 1909 keinen Vorteil gehabt. Sie sind überzeugt, daß die Beseitigung der Ober- assistentenstellen als Beförderungasstellen ein Unreht gewesen ift, das gewiß nicht beabsichtigt war. Jch hoffe, daß der Neichstag durch cin- stimmige Annahme der Resolution der Kommission die Wünsche der Postassistenten als bere{tigt anerkennen wird. Es ift kein Wunder, daß die Gehaltsfrage nicht zur Nuhe kommt, folange die Ursache dieser Beunruhigungen nicht bejeitigt ist. Die minder besoldeten Beamten sind auch durch die bohen Lebensmittelpreise zu sebr belastet. Solange wir mit einer Lebenémittelteuerung zu rechnen haben, wird arch die Besoldungsfrage niht von der Tagesordnung verschwinden ; als „gottgewollt“ nehmen die Beamten die Preissteigerung nicht hin. Der Abgeordnete Graf von Posadowsky sollte den Beamten ketnen PBorwurf daraus machen, wenn sie sich in dem Gedankenkreise der Negierung bewegen, die in ihrer B foldungsvo:lage ausgesprochen

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oder die historische Entwicklung einer Beamtenkategorie maßgebend sei, sondern die Gleichstellung gleihwertiger oder von ihr als gleihwertig erahteter Beamtenkategoriea. Die Beamten- schaft weiß, daß im gegenwärtigen Augenbli dem Volk, zu dem sie sozusagen doch au gehört, keine neuen Steuern aufgebürdet werden Tönnen, und fie verlangt nur die Beseitigung der Härten und Qa die sih in der Praxis herausgestellt haben, und die ohne Mehrbelastung des Volkes ausgeglihen werden können. Die Stellen der Postsekretäre müssen vermehrt werden, auch die Anstellungs- verhältnisse der g in der Schaffnerklasse müssen als außer- ordentlich ungünstig bezeichnet werde ; die Wartezeit von 13 Jahren ist viel zu lang. Der Redner bringt sodann eine Reihe von Einzelwünschen auf dem Gebiete des Zulagewesens, auf dem eine große Buntscheckig- keit herrsche, zur Sprache und bittet den Staatsfekretär, daß die Zulagen der Bureaubeamten pensionsberehtigt gemaht weiden. In bezug auf die Ostmarkenzulage sei zu bedauern, daß die Polen einen Antrag auf Streichung dieser Zulage angekündigt haben. In Preußen hätte sie ja einen politischen Charakter, im Reiche aber fehlt ihr dieser Charakter, es seien nur die Reichsbeamten den Staats- beamten gleihgestelt worden. Aussclaggebend sei, daß von der Ost- markenzulage im Reich kein Beamter, auch kein polnisher Beamter ausgeschlossen sei. Gegen die Behauptung des Abg. Wendel, daß die Zulage eine FKorruptionéprämie sci, müsse entschieden als gegen eine hohle Phrase, ein Schlagwort protestiert werden, dem jede innere Berechtigung fehle. Die Klagen der Polen gegen die Beamten seien seit Einführung der Ostmarkenzulagen immer 1nehr verstummt, ein Beweis, daß die Beamten sih bemüht haben, die Zu- friedenheit der Polen zu crwerben. Solange die Zulagen in Preußen aufrecht erhalten werden, sei es ein einfahes Gebot der Gerechtigkeit, sie auch im Deutschen Neiche aufrecht zu erhalten. Wenn der Abg. Wendel gemeint habe, die Negierung würde hier eine Niederlage er- leiden, so würden die Beamten diese Niederlage schwerer empfinden als die Regierung. - Bedauerlih sei es, daß die Beamten keine andere Instanz für ihre Beschwerde haben als den Reichstag, da es an Beamtenausschüssen fehle. So müßten die Beamten den Reichstag mit einer Flut von Petitionen übershütten. So fehle es an einem Konnex zwischen Beamten und Lerwaltung, und es entstehe Miß- trauen in der Beamtenschaft. Diese kenne zwar nicht die Absichten der Negierung, aber mißbillige sie. Wohlwollen in Taten sei dem Beamten lieber als Wohlwollen in Worten. Nur eine groß- zügige Personalreform würde die Beamtenschaft z ufriedenstell: n. Entschieden müsse die haltlose und durh nichts gerehtfertigte Be- hauptung des Abg. Zubeil, daß die Unterbeamten - sih an ihren Cid nicht gebunden fühlen, zurückgewiesen werden. Kein einziger Beamter, weder höherer, mittlerer oder Unterbeamter denke an Streik oder passive Resistenz. Die Beamten denken niht an ein folch frivoles Spiel, das dem Verkehr die {wersten Wunden schlagen und am meisten die Arbeiter selbst \{ädigen würde. Die Postbeamten haben das Vertrauen, daß die Verwaltung ihre Beschwerden wohlwollend prüfen und ihnen bald abhelfen werde; au hier gelte der Saß: Wer \hnell gibt, gibt doppelt.

Abg. von Czarlinski (Pole) erklärt, daß seine Freunde den Antrag auf Streichung der Ostmarkenzulage aufrecht erhalten. Merk- würdig set, daß sich die Ansichten der fortschrittlihen Volkspartei seit 1906 vollständig geändert haben. Damals habe der Abg. Dove fich dahin ausgesprochen, daß seine Partei die Ostmarkenzulage ab- lehnen werde, gleichgültig, ob fie widerruflich sei oder nicht. Den Appell an die Gerechtigkeitsliebe der Polen habe der Abg. Wendel treffend charakterißtert. Die Herren, die einen solhen Appell an die Polen richteten, hätten aber zuerst Gerechtigkeit üben follen beim Sprachenparagraphen. Was gerecht oder ungereckcht sei, könne der Staatssekretär ruhig den Polen überlassen. Es wäre wichtig, zu erfahren, wer etwas bekomme -und weshalb. Durch die Gewährung solher Zulagen wird die Charakterlosigkeit gefördert und das Denunziantentum großgezogen. (Präsident Dr. Kaempf: Herr Abgeordneter, ih bin nicht in der Lage, diesen Ausdruck hingehen zu lassen, ih rufe Sie zur Ordnung.)

Nach einigen Bemerkungen des Abg. Freiherrn von

S chel e (Welse), die bei der im Hause herrschenden Unruhe auf der Tribüne verloren gehen, wird ein Antrag auf Schluß der Debatte gegen die Stimmen der Sozialdemokraten an- genommen. __ Zur Geschäftsordnung geben die Abgg. Dr. Struve (fortshr. Volksp.), Mumm (wirtsh. Vagg.), Ebert (Soz.) und Zubeil (Soz.) ihrem Bedauern Ausdruck, daß ihnen durch die Annahme des Antrages das Wort abgeschnitten ist.

Persönlich bemerkt der __ Abg. Wendel (Soz.), daß es ihm niht im Traum eingefallen sei, die Intelligenz der beiden Abgg. Dr. Oertel und Bek als defekt zu bezeichnen. Die Schlußfolgerung des Abg. Dr. Dertel sei ein Pfeil, der weniger gegen seine Brust als gegen die des Vize- präsidenten Dr. Paasche gerichtet fei.

Abg. Sachs e (Soz.) wendet sich gegen den Vorwurf des Staatssekretärs, daß er die Postbeamten der Bestechlichkeit bezichtigt habe. Er habe ausdrücklih am 16. März hervorgehoben, daß der Zehhenverband so unehrlih gehandelt und die Postbeamten zu bestechen versucht habe.

Abg. Dr. Oertel (dkonf.) nimmt davon Kenntnis, daß der Abg. Wendel ihn nicht als mit defekter Intelligenz behaftete Person Vabe hinstellen wollen. Im übrigen pflege er seine Pfeile immer direkt zu richten.

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt.

Ein Antrag des Abg. Freiherrn von Gamp, diejenigen" neu eingebrachten Resolutionen, die eine erhebliche finanzielle Tragweite haben, an die Budgetkommission zu verweisen, wird gegen die Stimmen der Reichspartei abgelehnt, die Ab- stimmung über die sämtlichen Resolutionen selbst auf morgen verschoben.

Darauf wird Vertagung beschlossen.

Abg. von Gamp beantragt, den Bericht der Geschäfts- ordnungskommission über die Frage, wie stark eine Gruppe von Mitgliedern sein müsse, um als Fraktion anerkannt zu werden, morgen vorweg zu verhandeln.

Dieser Antrag wird gegen die Stimmen der Reichspartei, der Deutschkonservativen und eines großen Teils des Zentrums abgelehnt.

Schluß 7!/4 Uhr. Nächste Sißzung Donnerstag früh 10 Uhr. (Kleine Vorlagen, Postetat, Wahlprüfungen.)

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 6. Sitzung vom 27. März 1912, Nachmitiags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Neu berufen is} für den Landschaftsbezirk Kulmer Land Herr Eugen von Bieter. Von den bereits früher berufenen Mitgliedern ist Staatsminister Freiherr von Rheinbaben in das Haus eingetreten.

Vor Eintritt in die Tagesordnung teilt der

Finanzminister Dr. Lentze mit, daß, da es leider niht gelingen fönne, den Etat für 1912 rechtzeitig fertigzustellen, die Budget- fommission des anderen Hauses dem Plenum den Antrag auf Auf- nahme eines Notparagraphen in das Etatsgeseß unterbzeitet habe. Die Negiecung kônne ohne eine derartige Bestlimmung nicht aus- kommen, da die Verwaltung nicht flill stehen könne. Der Minister

Zur Beratung und Beschlußfassung steht zunächsi der Gesegzentwurf, betreffend die Anlegung von Sparkassenbeständen in Jnhaberpapieren.

Die Vorlage verpflichtet in § 1 die öffentlihen Spar- kassen, von ihrem verzinslih angelegten Vermögen Mindeft- beträge zwishen 20 und 30%, in mündelsiheren Schuld- verschreibungen auf den Jnhaber anzulegen. Jm einzelnen foll die Sazung“ den Mindestbetrag bestimmen; mangels einer folhen Bestimmung gelten 25 9/% als Mindestbetrag. Nach 8 2 müssen 3/7, dieses Mindestbestandes in Schuld- vershreibungen des Reichs oder Preußens angelegt werden. Die 88 3 bis 7 treffen Bestimmungen u. a. darüber, wie zu verfahren ist, wenn die Sparkassen diesen Bestand noch nicht besißen. Nach § 8 soll das Geseß mit dem Jahre 1913 in Kraft treten. Die Finanzkommisjion hat den Entwurf mit derx einzigen Modifikation im § 6 angenommen, daß, falls diesex Mindestbestand so weit veräußert wurde, als es zur Aufrecht- erhaltung des Geschäftsbetriebes unbedingt notwendig war, der bisherige Besißstand bis zur Höhe der Mindestgrenze innerhalb zweier Jahre (niht innerhalb Jahresfrist, wie der Geseßentwurf vorschlägt) wieder herzustellen ist.

Neferent Dr. Graf Yorck von Wartenburg hebt, indem er im übrigen auf den von ihm erstatteten ausführlichen gedruckten Bericht verweist, hervor, daß die Sachlage scit dem Jahre 1906, in dem ein derartiger Entwurf im Landtage nicht die Zustimmung ge- funden habe, insofern verändert sei, a!s seitdem zahlreihen öffent lihen Instituten die gleiche Verpflihtung auferlegt wocden fei, wie fie jeßt den Sparkassen auferlegt werden solle.

Minister des Jnnern Dr. von Dallwißt:

Meine Herren! Wenn ih troß des außerordentli eingehender NReferats, das ihnen vorliegt, das Wort erbeten habe, so geschieht es, um der Ueberzeugung Auszruck zu geben, daß die Vorschriften, die wir in dem Geseßentwurf vorgeschlagen haben, geradezu unentbehrlich find, um weite Kreise unseres Volkes in fritishen Zeiten vor“ wirtschaft. lihen Schädigungen zu bewahren, die sich unter Umständen zu all- gemeinen Kalamitäten, zu ernsten Gefahren für die Gesamtheit aus- wachsen könnten. Der Mehrheit in diesem hohen Hause ist der Ge- seßentwurf ja ein alter Bekannter, der vor sechs Jahren etwas unvermittelt und überrashend hier aufgetau&t war und allgemein zunächit ein gewisses Gefühl des Mißbehagens ausgelöst hat. Han- delt es si doch darum, eine Abgrenzung oder Beschränkung des

auf die die öffentliße Meinung noch niht vorbereitet war und für welhe bet flüchtiger Betrahtung ein Bedürfnis weit eher durch das fisfalische Interesse des Staats als durch die Interessen der Sparkassen und der Sparer begründet zu sein schien. Sehr bald aber drang hier in diesem hohen Hause die Ueberzeugung dur, daß die Forderung nach Haltung eines Mindestbestandes an inündelsicheren Papieren, darunter eincs gewissen Prozentsaßes an Netchs- und Staatspapieren, kcineswegs einseitig und aus\chließiich im staatlihen Interesse geboten set, sondern weit eher und in wcit höherem Grade im ureigensten Interesse der Sparkasse selbst. Dem- gemäß wurde auch die wesentliche For derung des damaligen Entwurfs, einen Mindestbestand von 3009/6 des Sparkasseavermögens an mündel- sicheren Papieren zu halten, mit überwiegender Mehrheit in diesem hohen Hause genehmigt. Im Abgeordnetenhause wurte gleichfalls weit weniger die Höhe des Mindestbestandes bemängelt, als die glei- mäßig einheitlihe Festseßung für den ganzen Umfang der Monarchte und es wurde der Wunsch hinzugefügt, daß die Möglichkeit gegeben werden möchte, den örtlihen Verhältnissen in angemessener Weise Nechnung zu tragen. Der Entwurf vom Jahre 1906 ist in der Kom- mission des Abgeordnetenhauses stecken geblieben ; von eincr Wieder- einbringung ist seitdem abgesehen worden aus Gründen, ven denen nur der eine hicr interessieren dürfte, daß zunächst einmal der Versuch ge- macht werden sollte, ob es nicht möglih sei, den zweifellos bei einer großen Anzahl von Sparkassen bestehenden Mangel an liguiden Anlagen ohne geseßlichen Zwang im Wege der Verwaltung ab- zuhelfen. Dieser Versuch ist mißlungen. Die beiden Gesichtépunlte aber, die im Jahre 1906 zur Einbringung der Sparkassenvorlage geführt hatten, der Gesihtépunkt der Notwendigkeit der Sicherung cines angemessenen Mindestbestandes an mündelsiheren Papieren und zweitens die Notwendigkeit einer Erweiterung des Abnehmerkreises für Reichs und Staatspapiere, sind seitdem aus der öffentlihen Er

örterung nicht ausgeschieden. Der zuleßt genannte Gesichtspunkt hat fogar seitdem zu einer Reihe von Maßnahmen teils im Wege der Gesctzgebung, teils im Wege der Verwaltung geführt; fo ift ins- besondere durch die Neichsversiherung8ordnung, dur das NReich2gesey, betreffend dle Versicherung der Privatangestellten, und drittens dur das preußishe Gese vom 25. Juni 1910, betreffend die öffentlichen Feuei versicherungsanstalten, einer Neihe von Anstalten und Unter

nehmungen öffentlihen Charakters die Verpflichtung auferlegt worden, einen Teil ihres Verm3gens in Reichs- und Staatspapieren anzulegen- Aus Anlaß der Verabschiedung des Geseßes vom 25. Juni 1910 hat das Abgeordnetenhaus am 10. Juni desselben Jahres folgende Resolution angenommen :

Die Regierung zu ‘ersuchen, die erforderlihen Schritte zu tun, au anderen Anstalten und Unternehmungen, deren Geschäftsbetrieb einer dur besondere Vorschriften geregelten staatlihen Aufficht unterliegt, die Verpflichtung aufzuerlegen, die Vermögensbestände zu einem Teil in Reich8- und Staatsanleihen anzulegen.

t man nun gewillt, dieser Resolution Folge zu geben, so wird man unmögli an den Sparkassen länger vorbeigehen lönnen, und zwar um so wentger, als es in ihrem ureigensten Interesse ltegt, cinen au für außerordentlihe Fälle ausreihenden Mindestbestand an leiht realisierbaren Effekten zu halten.

Was nun den finanzpolitishen Effekt anlangt, der durch die ge- sicherte Mehrobnahme von zirka 60 Millionen jährlich erzielt werden dinfte, so läßt er ih in seiner ganzen Bedeutung nur dann voll eckennen, wenn man si vergegenwärtigt, daß die Heranziehung der Sparkassen nur ein Glied in der Kette der Maßnahmen darstellt, die in neverer Zit zur Hebung des Kurses der Reihs- und Staals- papiere \taats\eitig ergriffen worden sind. Ungleih {werer aber als der finanzpolitishe Gesichtspunkt fällt zugunsten der Vorschläge des Entwurfs in das Gewicht die Erwägung, daß im Interesse der Sparer wie der Sparkassen und, um kcitishe Zeiten ohne dauernd ew Nachteil für den Wohlstand des Landes und der überwegenden Mehrheit der Bevölkerung überwinden zu können, unbedingt dafür gesorgt sein muß, daß bei Anlegzng der Sparkassengelder au der Gesichtspunkt der ausreihenden Liquidität gebührend in Nüclsiht gezogen wird.

hat, daß bei der Bemessung der Gehälter nicht das Bedürfnis

bittet das Haus, auch setner]eits einem Notparagraphen zuzustimmen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Selbstbestimmungsrechts der Sparkassenverwaltungen zu sanktionieren »

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, an Versuchen, durch freiwillige, durh gütliche Ein- wirkung der Aufsichtsbehörden und dur wohlgemeinte Anregung und Natschläge seitens des Vorstandes des deutshen Sparkassenverbandes dieses Ziel zu erreichen, hat es auch bislang nicht gefehlt. So hat der Vorstand des deutschen Sparkassenverbandes bei Neuemission von Staats- und Reichspapieren in den Jahren 1909 und 1910 durch Sammlung vou Zeichnungserklärungen bei den deutschen Sparkassen die Uebernahme von 86 Millionen Mark durch die deutshen Sparkassen vermittelt- So hat sich das Ressort des Innern dur die Zusicherung von Er- Tleihterungen bei Verwendung der Sparkassenüberschüsse zu gemein- nüßzigen Zwecken im Falle besonderer Liquidität und durch sonstige Maßnahmen dauernd um die Erreichung dieses Zieles bemüht. Der Erfolg ist völlig negativ gewesen, wie Sie aus den der Begründung beigegebenen Nachweisen entnehmen können, aus denen si ergibt, daß in dem Zeitraume von 1904—1910 niht nur keine Erhöhung des Mindestbestandes an mündelsicheren Papieren bei den preußischen Sparkassen eingetreten ist, sondern daß sich dieser Mindestbestand im Durchschnitt von 27,5 9/9 auf 24,95 9/6 ermäßigt hat, mithin um 2,059/o berabgegangen ist. Aus diefen Nachweisen ergibt sich ferner, daß es heute noch 70 Sparkassen gibt, die Effekten überhaupt niht besißen, und daß nit weniger als 300 Sparkassen ganz ungenügende Vorräte an Effekten, nur bis zu 5 und 109/69 ihres Kapitalvermögens aufzuweisen haben gegenüber einem Durchschnittsbesiy von 24,95 9/0 innerhalb der ganzen Monarchie. Meine Herren, besonders ungünstig liegen die Verhältnisse in einzelnen Provinzen, und namentlich in Schleswig- Holstein, Hannover, Westfalen und in der Nheinprovinz; und der mangelnden Liguidität steht niht etwa gegenüber eine Steigerung des Wechselverkehrs oder eine stärkere Ausdehnung des furzfristigen Personalkredits, da vielmehr gerade in diesen 4 Provinzen in derselben Zeit auch die Pflege des Personalkredits wesentlich zurückgegangen ist. Die mangelnde Liquidität findet somit ihr Gegenbild lediglich in einer Ueberspannung des Realkredits, und zwar keineswegs nur des ge- sunden, durch das lokale Bedürfnis der näheren Umgebung bedingten hypothekarishen Kredites, wie \ih daraus ergibt, daß ein größerer Teil der ausgeliehenen bypothekarischen Dar- lehen gar nit innerhalb derselben Provinz, sondern in weit entfernt

gelegene Provinzen und sogar in andere Bundesstaaten ausgeliehen worden ist. Wollte der Staat, der den Sparkassen das Privileg der Mündelsicherheit verliehen hat, die Fortdauer derartiger Zustände dulden oder wollte er einer wetteren Entwicklung dieser Zustände untätig zushauen, so würde er angesichts der ungeheuren nationalen Werte, die in den Sparkassen investiert sind es handelt #ch in Preußen allein um 11 Milliarden Mark eine Verantwortung auf sh laden, die zu tragen er nicht imstande ist. Meine Herren, zur Verdeutlihung der Gefahren, welhe aus der unzureihenden Liqui- dität der Sparkassen sich ergeben können, will ich nur verweisen auf die verschiedenen Runs, die tnfolge ganz vager Gerüchte im vorigen Fahre gegen einzelne Sparkassen unternommen worden sind. Er- freulicherweise hatten gerade diese Sparkassen einen fo ausgiebigen Besißstand an mündelsitheren, leiht lombardierbaren Cffekten, daß fie durch Lombardierung ihres Effektenbestandes in der Lage waren, ohne irgendwelche Unzuträglichkeiten dem Ansturm der Sparer Stand zu halten. Immerhin, meine Herren, lassen derartige Vorkommnisse doch einen NRücks{luß auf die ernsten Gefahren zu, welhe bei ernsthaften länger andauernden Krisen unvermeidlich entstehen müßten, wenn nicht redht- zeitig den Mißständen, die ih soeben zu schildern mir erlaubt habe, entgegengetreten werden sollte. Meine Herren, wenn der vorliegende Geseßentwurf aus allen diesen Gründen die bereits im Jahre 1909 verfolgten Ziele wieder aufgenommen hat, so hoffe ih um so eher auf Ihre Zustimmung dazu, als bei den neuen Vorschlägen. die damals in diesem Hause geltend gemahten Wünsche und Bedenken zum weitaus größten Teil berüd- siditigt worden sind und als speziell demgemäß auch die Anforde- rungen, die an die Sparkassen gestellt werden, in der jetzigen Vorlage erheblih geringer sind, als dics in der Vorlage von 1906 der Fall gewesen ist. Meine Herren, in der Tat hat bei Ausarbeitung der Vor-

lage das Bestreben obgewaltet, das Selbstbestimmungsrecht der Sparkassenverwaltungen tunlichst zu sonen, soweit dies irgend mit dem gewollten Ziel vereinbar war, und ferner den Sparkassenverwaltungen die Möglichkeit zu geben, în angemessener Weise auf die lokalen Verschiedenheiten Rücksicht zu nehmen. Daraus ergibt \sch eine Anzahl von Abweichungen gegen- über dem Entwurf aus dem Jahre 1906, die ter Herr Referent soeben dargelegt bat und auf die ih kurz nochmals hinweisen will. Sie bestehen hauptsächlich darin, daß in § 1 an Stelle eines Mindest- bestandes von 309% nur ein solcher von 90 bis 3009/9 in mündel- sicheren Effekten gefordert werden foll resp. ein Mindestbetrag, der innerhalb der Grenze von 20 bis 30 9/o statutarisch dur die Spar- kassen selbst bestimmt werden kann; daß ferner bei der Verwendung desjenigen Teils des Zuwachses, der zum Kauf mündelsicherer Effekten in Zukunft verwendet werden soll, nicht 40 9/0 des Zuwachses Ver- wendung finden sollen, sondern nur 2b bis 30 9/0, je nach der Höhe des in § 1 fstatutarisch festgeseßten Mindestbestandes an mündel- siheren Papieren. Es ist somit lediglih für die Zukunft eine Aenderung vorgesehen in der Weise, daß ein verhältnis- mäßiger Teilbetrag des alljährlih den Sparkassen zufließenden Ueber-

{usses verwendet werden muß zum Ankauf von mündelsicheren

Papteren, bis der statutarisch festgeseßte Mindestbestand erreicht ist,

Im übrigen sind dem Oberpräsidenten in Z 4 weitgehende Dis-

pensationsbefugnisse beigelegt und in S eine Reihe von Erleich-

terungen zur Verwendung der Sparkassenübershüfse für die Spar- kassen vorgesehen, welhe den Mindestbetrag nach §1 nicht unter

25 9% ihres zinsbar angelegten Vermögens in Inhaberpapieren

dieser Mindestbestand von 20 % des Vermögens an mündel- fiheren Papieren teils Es wird daher eine Aenderung in der Ankaufspolitik all dieser Spar- | ¿ fassen dur die Annahme des Gesezentwurfs nahezu überhaupt nicht eintreten. Ich glaube daher, daß der Entwurf einerseits zwar noch genügende Garantien für die Erreihung des gewollten Zwecks bietet, daß er aber andererseits in bezug auf das Selbstbestimmungsreht, in bezug auf die Berückfichtigung der lokalen Verschiedenheiten ein \o

Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und KönigliŸ Preußishen Staatsanzeiger.

M T.

Berlin, Dounerstag, den 28. März

überschritten oder nahezu erreicht.

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weit gehendes Entgegenkommen an den Tag gelegt hat, daß die Be- \{werden, die früher dieserhalb erhoben worden sind, diesem Entwurf gegenüber hinfällig sein dürsten. Ich bitte Sie daher, dem Entwurf Ihre Zustimmung zu erteilen.

Graf zu Nantzau: Ich bin aus den Verhältnissen meiner engeren Heimat Schleswig - Holstein heraus gezwungen, gegen das Gesetz zu stimmen. Das Geseß greift mit rauher Hand in die wohlgeordneten Sparkassenverhältnisje Schleswig - Holsteins ein und wird außerdem den gewollten Zweck nicht erreichen. 1909 waren 463 Millionen Mark in unseren Sparkassen angelegt, welhe den Hypothekar- und den Kontokorrentverkehr ihrer näheren Umgebung befriedigen. Die Verwendung der Sparkassen- übershüsse zu wohltätigen und humanitären Zwecken ist in unserer Provinz tn hohem Maße ausgebildet und [iegt uns sehr am Herzen. Bon einer Gefährdung der Liquidität ist niht die Rede gewesen. Schon heute erklären die Sparkassen, an den Schuldverschreibungen 150 Millionen verloren zu haben. Die geplante Maßregel wird uns die jeßigen Anleger abspenslig maden, diese werden zu den Banken gehen, und die gemeinnüßige Tätigkeit unserer Sparkassen wird völlig lahm gelegt werden. Auch die gegen 1906 beabsichtigten Milderungen werden uns nichts nützen. Das Gesey wird ja auch motiviert mit dem berechtigten Wunsch, den Kurs der Staatspapiere zu heben, und diese Tendenz wird der Oberpräsident als Aufsichtsbehörde stets in den Vordergrund stellen. Unsere Provinz hat nur 69% in Staats- papieren angelegt, unsere Sparkassen sind aber stets [iquide geblieben, und die erwähnten Stürme und Runs sind_ bei uns überhaupt nicht aufgetreten. Was hilft es den Sparkassen, diesen vorgeschriebenen Mindeststand zu besitzen? Man wird sofort zur Lombardierung übergehen, und eine solche zu günstigen Bedingungen wird im Falle eines Krieges eine Unmöglichkeit sein. Glauben Sie, daß der Krieg so lange warten wird, bis jede Kasse nah 20 Jahren vielleicht den vorgeschriebenen Bestand angesammelt hat? I bezweisle überhaupt, daß folche Zwangsmaßregeln auf den Kurs der Paptere günstig einwirken fönnen; man wird im Gegenteil stutzig werden und noch weniger Staats- und Reichspapiere kaufen. Aber selbst wenn der Kurs gehoben würde, so meine ih doch, daß das an den 200 Millionen nicht liegen wird, denn das ist ein zu fleiner Teil des Gesamtbetrages an Konsols. “Der Hinweis auf die in- zwischen bereits analog verpflichteten öffentlichen Institute führt nicht zu den Sparkassen, fondern zu den Banken; das Gese t ein Avsnahmegeseß gegen die Sparkassen, stärtt nur die Kon- furrenz der Banken, namentlich der Depositenkassen der Banken. Ich muß also zu meinem Bedauern gegen das Gesetz stimmen. Herr Dr. Wahler: Ueber die völlige Resultatlosigkeit der bisberigen Schritte der Regierung bei den Sparkassen muß ih mich wundern; ih nehme an, daß - es sich da vorzugsweise um ländliche Kassen handelt. Im Jahre 1906 ging die Negterung über zur Erhöhung des Kapitals der Seehandlung zum Zwecke des Eingreifens auf dem Markte behufs Erhöhung oder doch Stabil- haltung des Kurses der Konsols. Nachher kam die Sparkassenvorlage, reren Vertretung der damalige Finanzminister mit hinreißender Beredsamkeit führte, und die das Haus dann fa\k gegen meine alleinige Opposition annahm. So sehr ich nun anerkenne, daß es erwünscht ist, daß ein großer Teil der Sparkassen erheblich liquider würde, wobei ich von den besonders fkritishen Zeiten absehe, so bin ich doch der Meinung, daß dies im Aufsichtswege „sehr wohl gelingen kann, daß das Beschreiten des g seglichen Weges vermöge seiner Schroffheit und seines Cingriffs in das wirtschaftliche Leben den größeren Nachteil haben würde. Die Frage der Liquidität ist wohl mehr dekorativer Natur. Der Kurs unserer Staatsanleihen ist in der Tat kein ungewöhnlich nieduger; er hängt von verschiedenen Momenten ab, die nicht in die Sparkassen geleitet werden können. Auch Frankreich und England beweisen, daß für den Kurs der Staatspapiere die wirtschaftlihen Verhältnisse im allgemeinen maß- gebend sind. Der deutsche Bankdiskont steht in der Regel 1 9/0 über dem englischen, 15 9/9 über dem französishen; beide Länder sind eben reicher als Deutschland, und die Gewohnheiten des Publikums sind dort andere. Aber auch die englischen und die französischen Kurse haben geschwankt je nah der Höhe des Zinses des Leihgeldes. In Eng- land hat die Kurs\{roankung 31 °/o, in Deutschland nur 1409/9 betragen. Dabei hat der jeßt für unsere Sparkassen beabsichtigte Zwang in beiden Ländern von jeher bestanden. Diese Tatsache sollte uns gerade davon abbringen, das geplante Experiment zu ‘machen. Die einzige Möglichkeit, den Kurs der Konsols zu heben, ist, sie tunlichst beliebt zu machen, so wenig wie möglich damit auf den Markt zu treten. In Frankreich ist das große Publikum Staats- rentner, und darum ist der Kurs so stabil. Die Ausübung eines Zwanges wird aber diefes Resultat bei uns nicht haben. Es ist auch bedenklich, daß immer und immer wieder betont wird, es sei nôtig, den Kurs durch künstliche Mittel zu heben. Ein solcher Zwang muß auch die Kommunalpapiere erheblih in threm Kurs \hädigen. Man will den Käuferkreis vermehren ; sollte es nicht zweckmäßiger sein, den Verkäuferkreis zu vermindern ? Die Pro- vinzen und Kommunen werfen doch enorme Massen von Papieren auf den Markt. Namentlich die Kommunen haben in den lezten Jahren außerordentlih große Ausgaben gemacht ; sollte da nicht einmal ein bißchen revidiert werden können? Geht man an die Sparkassen, }o ist der Weg zu den Depositenka)jen niht weit, und das wäre ein weiterer Schritt auf dem Wege der Eingriffe in das Wirtschaftsleben, dessen Folgen gar nicht abzusehen find. Das kann im Publikum nur Unmut und Unzufriedenbeit erzeugen, und ein großer Teil der gegen- wärtigen Verstimmung in der Bevölkerung, die fich auh in oppo- sitionellen Wahlen Luft chaft, rührt von folhen Zwangsmaßnahmen und Zwangsabsichten her. | Dr. Freiherr von Rheinbaben: Als ich heute in das Haus eintrat, war es nicht meine Absicht, das Wort zu ergreifen; die Aus- führungen des Vorredners und des Grafen Ranyau nötigen mich aber dazu. In Schleswig-Holstein bin ich selbst jahrelang in hoher Beamten- stellung tätig gewesen. Graf Nanßau meint, die Vorlage greife mit starker Hand in die bestehenden Zustände ein. Tatsächlich ändert der Gesetzentwurf nichts am gegenwärtigen Zustande ; auch von den neuen Mitteln können die Sparkassen dort noch 75 9/9 dem Hypothekarkredit zuwenden. Die dortizen Sparkassen waren ursprünglich überwiegend Privatsparkassen und find erst allmählich in Kommunalsparkassen übergeführt worden ; der Gesichtspunkt der Liquidität ist dort nicht überall mit der nötigen Entschiedenheit beobahtet worden. Das ist aber_ der wichtigste und vornehmste Gesichtspunkt. Was sollen diese Spar- fassen im Falle eines Krieges tun, wenn sie gar feine Inhaber- papiere oder nur 69% haben, wie in Schleswig - Holstein ° Die Erfahrungen der leßten Jahre s\sollten uns vorsichtig machen. Bei einer Sparkasse wurden in wenigen Tagen bis zu 2 Mil-

ih für eine wichtige Aufgabe des Staates.

1912.

sie nicht glückliherweise im Besiß einer enispre{henden Menge Staats- papiere gewesen wäre? In unserem Wirtschaftsleben herrscht nicht immer Sonnenschein ; ‘man muß ih auch in den Sparkassen auf

rübe Zeiten, auf Kalamitäten gefaßt machen. Den Optimismus des

Grafen Ranßau vermag ih nicht zu teilen; briht eine Panik aus, so greift sie epidemisch um fich und führt den Nun herbei. Das

ehr glücklihe Wachstum unserer Sparkassen, die enorme Steigerung

des Anlagekapitals ist ein überaus erfreulicher Beweis für die wirt- \chastlihe Entwicklung unseres Vaterlandes und ein Beweis dafür, daß der Wohlstand sih nicht bloß in den oberen Schichten der Be-

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völkerung mehrt, ein Beweis gegen die Verelendungstheorie der Sozial- demokraten. Wenn die Regierung mit der Vorlage Wandel \caffen will, wo der Liquidität niht genügt ist, sollte das Haus thr folgen.

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Was die Hebung des Kurses der Staatsanleihen betrifft, fo us doch auch betont werden, daß die Regierung nicht verabsäumen darf, zu tun, was sie kann, um den Kurs zu bessern. C : stabil gemacht werden, so muß man den Krets der Käufer e1 weitern. So weit zu gehen, wie England. und Frankreih gegangen sind, be- fürworte ih niht; aber die Sparkassen anzuhalten, einen be-

Soll der Kurs

\cheidenen Teil ihrer Uebershüsse in Staatspapieren anzulegen, halte ) Die Oeffentlichkeit schenkt dieser Frage noh lange nicht das Maß von Beachtung, das fie verdient. Wer hat jeßt an un}eren Staatspapieren die größeren NRerluste erlitten? Gerade die kleinen Leute, die kleinen Beamten, die Witwen, die ihre Ersparnisse in Staatspapieren angelegt hatten, oder gemeinnüßige und wohltätige Anstalten, die diese erheblichen Ausfälle erleiden. Die dreiprozentigen Papiere find von 100 auf 81 gesunken; dem muß staatsseitig entgegengetreten werden, so weit es in der Macht des Staates liegt. Auf die Per- spektive eines Ernstfalles will ih gar nicht erst hinweisen; daß aber im Hinblick darauf ein ungünstiger Kursstand schon in Friedenszeiten höchst bedenklich ist, wird man nicht bezweifeln können. Die Vorlage

wird hoffentlich geeignet sein, den Kurs der Papiere so zu heben, wie die Interessen der Allgemeinheit es erfordern. Die woblverstandenen Interessen der Spa1kassen liegen genau in derselben Richtung wie die Fnteressen der Staateregierung.

e us Grote: Io 7 follen die Sparkassenverwaltungen die Freudigkeit der Arbeit hernehmen, wenn ihnen Hunderte von Millionen durch die Kursverluste verloren gehen ? Man sagt, die Sparkassen könnten Opfer auf sih nehmen, da thnen die Mündelsicherheit verliehen sei. Das Argument ist {on auf seinen wahren Wert _ zurückgeführt worden. Der Finanzminister sollte einen neuen Lyp von Staatspapieren schaffen, der nicht an der Börse gehandelt wird, der den Sparkassen etwa zu pari gegeben ‘wird. Dabei würden Kursverluste aus- geschlossen. Solange letzteres nicht geschieht, bin ih gegen den be- antragten Zwang. : / Sinai Dr. Lentze : Der Staat muß für seine Kultur- aufgaben große Anleihen auf den Markt bringen. Sind keine Käufer da, so kommt er in Verlegenheit, gerät logar în Not, während er do) seine Kulturaufgaben erfüllen muß. Von den Käufern sieht leider feiner fo sehr auf die Sicherheit, wie auf die Höhe des Zinsfußes. Unsere Staatsyapiere haben eine absolute Sicherheit, die exotishen Papiere, die mancher Käufer vorzieht, gar keine. So muß denn ein Mittel gesunden werden, das die Staatsanleihen in ihrem Kurse hält und ihnen etnen festen Käuferkreis erhält. Die Kursbebung ist nicht sowohl der Zweck des Geseßes als die Schaffung eines festen Ab- nehmerkreises für die Staatsanleihen. Wenn ein Gläubiger einen fo \olventen Schuldner hat, wie es der preußishe Staat ist, so ist es doch hödst auffallend, daß legterem die Käufer mangeln. Welche öffent- lichen Institute in den leßten Jahren bereits der gleichen Verpflichtung unterworfen find, ist {hon ausführlich hervorgehoben worden. Daraus ergibt si ein jährlicher Bedarf von 200 Millionen. Zwischen 300 und 400 Millionen . kommen alljährlid allein von Preußen auf den Markt, daneben die Reichsanleihen. Für die Mündelsiherheit fann der Staat als Gegenleistung beanspruchen, daß ein Teil der Uebershüsse der Sparkaßen in Staatspapieren angelegt wird. Herrn Dr. Wachler erwidere ih, daß auch für Kommunalpapiere ein Zwang vorgeschrieben ist; die Kommunalsparkasjen werden ganz ohne Frage die ihnen überlassenen ?/; in Kommunalpapieren anlegen. Von einer fünstlihen Hebung des Kurses kann nit die Rede sein. Den Kreis der Verkäufer von Obligationen einzuschränken, wäre sehr s{ön, ist aber außerordentlich shwierig, da der preußishe Staat bei der Ge- währung von Privilegien an die verschiedenjten Korporationen stets schr weitherzig gewesen ist. Der Industrie die Geldbeschaffung zu ershweren, wäre auch ein sehr zweischneidiges Problem; die Verant- wortung dafür könnte der Staat gar nicht tragen. Es liegt im Inter- esse des ganzen Landes, daß die Staatsanleihen einen regelmäßigen Kreis von Käufern haben, daß diejer Krets ganz erheblich erweitert wird. Es ist tatkählih nur ein weiteres Glied in der Kette.

Herr Dr. Wagner: Ich stche in einem Gegensaß zu den her- vorragenden Kapazitäten des gegenwärtigen und des früheren Finanzministers. Auch ich, sehe die Hebung des Kurses der Staatsanleihen für ein erstrebenswertes Ziel an. Dan will einen größeren Markt von kaufkräftigen Abnehmern schaffen. Es kommt nit sowohl auf die Beschaffung von Käufern, sondern auf definitiven Besiy an. Da is mir zweifelhaft, ob die Vorlage diesen Zweck und nicht vielmehr den entgegengeseßten erreicht. Tatsächlich sind doch auch die Kurse der sichersten Papiere bei uns und im Auslande beträchtlich gesurken, in England noch stärker als bei uns. Die Ursache ist die ungeheure Vermehrung des gewerblichen und des industriellen Kapitals, wovon das Sinken der Kurse der Staats- yapiere eine unliebsame, aber unvermeidlihe Kon}equenz ist In kri- tischen Zeiten werden die Svarkassen gerade diese Staatsanleihen lom- bardieren oder verkaufen müssen; das haben die anderen bereits mit der Verpflichtung bedachten öffentlichen Institute keineswegs in diesem Umfange nötig. Die Sparkassen enthalten wesentlich die Sparfonds der unteren Klassen, das muß auch bedaht werden. Im Kriegsfalle wird eine stärkere Rückzahlung von den Sparkassen gefordert werden; es wird da immer mit Hunderten von Millionen zu renen fein. _Wie sollen diese beschafft werden? Denken Sie an die Zeit der Kriegserklärung von 1870 zurück; welche Summen haben wir da an den preußischen Wertpapieren verloren! Wenn nicht lombardiert werden kann, müssen die Sparkassen in größerem Maße verkaufen, und ist es da richtig, eine solhe Verpflihtung, wie fie hier statuiert werden soll, als im fiskalishen Staatsinteresse gelegen anzusehen? Kein Land der Welt muß mit Kriegsfällen so rechnen, wie das zentral gelegene Deutsch- land. Und wo sollen event. die Lombardierungbmittel hergenommen werden? Den Lombardkredit werden dann auh andere Institute, so namentlich die Reichsbank, sehr stark in Anspru nehmen müssen. Die Bank von Frankreih mußte 1870 zum Zwangskurs greifen. Wir wollen hoffen, daß wir, wie bibher, ohne ihn durchkommen. Wir müssen aber au alles vermeiden, was irgendwie dem Zwangs8- kurs näher führt. Das amerikanische System hat in großen Krisen dort versagt, und so wird es auh bei uns versagen. Wir können mit dem vorgeschlagenen Mittel nicht erreichen, daß der geschaffene größere Käuserkreis auh ein größerer Besißzerkreis wird. Den fisfalishen Zweck der Vorlage halte i also in dieser Weise nicht für erreidbar. Was die Liquidität betrifft, so wäre für fie mit dem Augenblick viel gewonnen, wenn man die Sparkassen als Bauk mehr den Personalkredit als den Realkredit pflegen ließe. Den Sparkassen müssen größere Barre]erven zugeführt werden; da wäre ein bestimmter Say von 8-—10 9/0 vorzuschreiben, die hier vorgeschlagene Maßnahme

festgeseßt haben. Meine Herren, für 838 Sparkassen, mithin für die Hälfte aller Sparkassen Preußens ist jeßt {on

lionen abgehoben ; wie hätte das gemaht werden können, wenn

wird thre Liquidität kaum fördern. Hier heißt es: principiis obsta!