1892 / 274 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 Nov 1892 18:00:01 GMT) scan diff

schaft nur die Befugniß zur Versicherung gegen directen Schaden, fowie zur Versicherung von beweglichen oder unbeweg- lichen Sachen gegen solche indirecten Schäden enthalten sollte, welche beim Brande dur Einreißen, Löschen und Fortschaffen bewirkt werden. Euer Hochwohlgeboren wollen die genannte Gesellschaft hiervon gefälligst benachrichtigen. Berlin, den 29. Oktober 1892. Der Minister des Jnnern. Graf zu Eulenburg.

An den Königlihen Regierungs - Präsidenten Herrn Zimmermann Hochwohlgeboren zu Schleswig.

Ministerium der geistlichen, Unterrihts- und Medizinal-Angelegenheiten.

Der bisherige Privatdocent Lic. theol. William Wrede zu Göttingen ift zum außerordentlichen Professor in der evangelisch - theologischen Facultät der Universität zu Breslau ernannt worden. :

Nichtamtliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 18. November.

Seine Majestät der Kaiser und König begaben Sich heute Morgen um 8 Uhr von der Wildparkstation zur Abhaltung von Pa R nah der Göhrde. Seine Kaiserliche Hoheit der Großfürst Wladimir von Rußland, Höchstwelcher gestern Nachmittag in Potsdam eingetroffen war, begleitete Seine Majestät ebendahin. 4 S

Seine Majestät haben dem Großfürsten Wladimir die Hofjagd-Uniform verlichen.

Durch eine Reihe von Zeitungen ist die Behauptung ver- breitet worden, Seine Majestät der Kaiser habe, als Allerhöchstderselbe Seine Zustimmung zu der Militärvorlage gab, dem Reichskanzler gegenüber geäußert: „Sehen Sie zu, wie weit Sie damit kommen“. f E

Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß die Seiner Majestät in den Mund gelegte Aeußerung vollständig erfunden ist. Seine Majestät hat weder die erwähnten Worte gebraucht, noch Sich in diesem oder einem ähnlichen Sinne geäußert.

Der Bundesrath hielt heute eine Plenarsizung. Vorher waren die vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Rechnungswesen zu einer Sitzung zusammengetreten.

Dem Bundesrath sind die neulich von uns an- gekündigte Vorlage / über einen Gescßentwurf wegen An- wendung der für die Einfuhr nah Deutschland vertrags- mäßig bestehenden -Zollbefreiungen und Zollermäßi- gungen gegenüber den -niht meistbegünstigten Staaten, ferner . der Cr agt wegen Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres, der Marine und der Reichseisenbahnen sowie zur Erhöhung der Betriebs- fonds der Reichskasse und der Entwurf eines Gesehes wegen Feststellung des Reichshaushalts-Etats für 1893/94 zugegangen.

Die Commission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Geseßbuchs für das Deutsche Reich erledigte in den Sißungen vom 14. bis 16. November zunächst den Rest des Abschnitts über Schul d- verhältnisse aus unerlaubten Handlungen. Jm Anshluß an die zu S beschlossenen Vorschriften über die Haftung wegen Beschädigung durh Thiere waren Anträge gestellt, eh über die Haftung für Wild- \{ch aden Bestimmungen in das Geseßbuch aufzunehmen. Man verständigte sih dahin, die Berathung über diese Anträge bis zum S faß des Obligationenrehts auszuseßen. Von anderer Seite war beantragt, den Entwurf durh- Vorschriften zu er- gänzen, welhe demjenigen, der leiht sih entzün- dende oder leiht explodirende Sachen auf: bewahrt, für den durch - ihre Entzündung oder Explosion entstehenden Schaden eine über die allgemeinen Grund- säße hinausgchende strengere Verantwortlichkeit aufzuerlegen bezweckten. Der Antrag wurde jedo abgelehnt. Die Be- rathung wandte sih sodann den Vorschriften des § 735 über die Haftung ' wegen Beschädigung durch Einsturz eines Gebäudes odèr eines jfonstigen, mit einem Grundstücke verbundenen Werkes zu. Nach dem Entwurfe soll der Besizer des Grundstücks wegen eines durch fehlerhafte Errihtung oder mangelhafte Unter- haltung des Gebäudes oder Werkes verursahten Schadens nur dann verantwortlich scin, wenn er es an der behufs Ab- wendung der Gefahr des Einsturzes ihm obliegenden Sorgfalt habe feh‘en lassen. Demgegenüber war von einer Seite der Antrag gestellt, im Anschluß an das Französische Recht und das Schweizer Obligationenreht den Eigenthümer des Gebäudcs oder des Werkes ohne Rücfsiht auf ein Ver- schulden desselben für haftbar zu erklären. Dazu lag der Unterantrag vor, diese uneingeshränkte Hofs nicht dem Eigenthümer, sondern dem (juristishen) Besizer des Grund- stücs aufzuerlegen. Ein anderer Anirag ging dahin, grund- fäßlich an dem Standpunkt des Entwurfs lan ck rens zu Gunsten des “e Belge aber die Beweislast umzukehren, der- gestalt, daß der L des Grundstücks von der Haftpflicht nur dann befreit ist, wenn er beweist, daß er zum Zwecke der Abwendung der Gefahr des Einsturzes die im Verkehr a die 2 Sorgfalt beobachtet be. Dieser Antrag fand die Zustimmung der Mehrheit. Hinzugefügt wurde, daß in gleiher Weise der frühere Besißer wegen eines innerhalb eines Jahres nah der Beendigung seines Besißes erfolgten Einsturzes haften soll, sofern er niht beweist, daß er während der Dauer seines Besißes die erforderliche Sorgfalt beob- achtet habe oder daß cin späterer Besizer durch Beobachtung dieser Sorgfalt die Gefahr des Einsturzes hätte abwenden können. Gegen die Vorschrift des § 735 Abs. 2, daß, wenn jemand auf fremdem Grund und Boden in Ausübung eines Rechts cin Gebäude oder sonstiges Werk hält, ihn die im Abs. 1 bestimmte Verantwortlihkeit an Stelle des Besizers des Grundstücks trifft, erhob sih kein Widerspruh. Ebenso wurde der Abs. 3

ebilligt, der die gleihe Verantwortlichkeit demjenigen auf- ericht, welcher A den nah Ab 1. und 2 Ver- pflichteten dice Unterhaltung des Werkes übernommen hat. Einer solchen Uebernahme soll es gleihstehen, wenn jemand vermöge eines ihm zustehenden Nußungsrehts zu der Unter- haltung des Werkes verpflichtet ist. Ein Antrag, den Entwurf nah dem Vorbilde des Schweizer Obligationenrehts durch die Vorschrift zu ergänzen, daß der von einem Gebäude oder sonstigen Werke wegen Gefahr des A E mit Schaden Bedrohte von demjenigen, welher nah 735 im Falle des . Einsturzes verantwortlih ist, die Vorkehrung - der zur Abwendung der Gefahr erforderlihen Maßregeln verlangen kann, fand keinen Anklang. Abgelehnt wurde ferner ein Antrag, die Vorschriften des § 735 auh auf den Fall auszudehnen, nenn jemand eine mit Dampf oder gespannten Gasen arbeitende Maschine im Betriebe at und die Maschine infolge fehlerhaften Baues, mangel- after Unterhaltung oder unrichtiger Bedienung explodirt. Die Vorschriften des § 736 Absaß 1, 2 über die Verantwortlichkeit eines Beamten wegen vor- säßliher oder fahrlässiger Verleßung der gegenüber einem Dritten ihm obliegenden Amtspflicht fanden unter Streichung des Art. 55 des Entwurfs des Einführungs-Gesezes mit dem Zusag Annahme, daß, wenn der Schaden nur infolge einer fahrlässigen Verlegung der Amtspfliht entstanden 1st, der Beamte erst dann in Anspruch genommen werden kann, wenn der Beschädigte auf andere Weise Ersaß des Schadens nicht zu erlangen vermag. Gemildert wurde die Haftung ferner durh den Zusaß, daß, wenn dem Beamten die Amtspfliht einem bestimmten Dritten gegenüber oblag, die Ersazpflicht, unbeschadet der aus den allgemeinen Vor- schriften der §8 704, 705 sih ergebenden Haftung, fih nicht auf den Schaden crstrecken soll, dessen Entstehung nah den Umständen, welche der Beamte kannte oder kennen mußte, außerhalb des Bereihs der Wahrscheinlichkeit lag. Der Abs. 3 des § 736, welcher die Haftung eines Beamten, der bei der ihm obliegenden Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache seine Amtspflicht verleßt, auf den Fall be- s{hränkt, wenn die Pflichtverlezung mit einer im Wege des gerichtlichen Strafverfahrens zu verhängenden Strafe bedroht ist, wurde nah dem Entwurf mit der Abweichung an- genommen, daß diese Beschränkung für pflihtwidrige Ver- weigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts nicht gelten soll. Ein Antrag, die Schadensersaßpflicht eines Beamten allgemein, unter Beseitigung der besonderen Vor- schrift des Abs. 3, davon abhängig zu machen, daß der Beamte die gegenüber einem Dritten ihm obliegende Amts- pflicht vorsäßlich oder aus grober Fahrlässig- keit verlegt hat, wurde nah einer eingehenden Erörterung abgelehnt, ebenso der Vorschlag, die Haftpflicht des Beamten an die Vorausseßung zu knüpfen, daß der Dritte den Schaden nicht durch den Gebrauch der zu- lässigen Rechtsmittel abwenden fonnte, ohne Unterschied, ob der Nichtgebrauch dieser Rechtsmittel auf cinem Verschulden des Dritten beruhte 222 des Entw.) oder nicht.

Im Anschluß an die Vorschriften der §S 704—736 war noch eine Reihe pon Anträgen gestellt, welche in verschiedenen, mit den Vorschtiften über die Haftung aus unerlaubten Handlungen im Zusammenhang stehenden Punkten den Entwurf des Einführung3geseßes zu ergänzen bezweckten. Einvernehmen bestand, in das R den Vorbehalt aufzunehmen, daß unberührt bleiben die Vorschriften der Landesgeseße über die Verantwortlichkeit der Beamten für die von ihnen angenommenen Stellvertreter und Gehilfen, die Vorschriften der Landesgeseße über die Verantwort- lihkeit des Staats oder einer Körperschaft, Stif- tung oder Anstalt des öffentlichen Rechts an Stelle des Beamten, sowie die Vorschriften der Landesgeseße über die Haftung der zur amtlichen Feststellung des Werths von Grundstücken bestellten Sachverstän- digen wegen Verlegung ihrer Berufspflichten. Die Aufnahme einer besonderen Bestimmung, daß auch diejenigen landesgesctlichen Vorschriften unberührt bleiben, nach welchen die civilrehtliche Verfolgung eines Beamten wegen Verleßung seiner Amts- pflicht innerhalb der im § 11 des Einf.-Ges. zum Gerichts- verfassungsgeses gezogenen Schranken an die Vorentschei- dung einer bestimmten Behörde gebunden ist, hielt man angesihts des allgemeinen Vorbehalts im Art. 9 des Entwurfs des Einf.-Ges. für entbehrlih. Der von der Zulassung eines nicht mit Vollmacht versehenen L vertreters handelnde § 85 Abs. 1 der Civilprozeßordnung soll durch den Zusaß ergänzt werden, daß, wenn zur Zeit der Erlassung des Endurtheils die Genehmigung der vertretenen

artei nicht beigebracht ist, der cinstweilen zur Prozeßführung Zugelassene dem Gegner die durh die einstweilige Zulassung verursachten Kosten und Schäden zu erseßen hat. Als §8 697 a der Civilprozeßordnung soll ferner bestimmt werden, daß, wenn die auf Grund cines vorläufig voll- streckbaren Titels erfolgte Zwangsvollstreckung als ungerechtfertigt erkannt wird, der Gläubiger verpflichtet sein soll, dem Schuldner den Schaden zu erseßen, der ihm durch die Zwangsvollstreckung odcr dur eine zur Abwendung derselben gemachte Leistung entstanden ist. iese Vorschrift soll entsprehende Anwendung finden, wenn im Urkunden- und Wechselprozeß cin nah § 562 unter Vor- behalt der Ausführung der Rechte des Beklagten erlassenes Urtheil aufgehoben oder abgeändert wird. Eine entsprechende Vorschrift wurde ferner als § 813a der Civilprozeßordnung für den Fall beschlossen, wenn ein vollzogener Arrest nah S 805 oder § 806 Abs. 2 dec C.-P.-O. aufgehoben oder ab- geändert wird oder wegfällt, weil der Hauptanspruch als un- begründet erkannt wird.

Die Commission trat sodann in die Berathurig der Vor- schriften über Bereicherung (S8 737—748) ein. Der Entwurf regelt in den S8 737—747 zunächst diejenigen Fälle, in denen jemand durch die Leistung eines anderen aus dessen Vermögen ohne rehtlihen Grund bereichert ist (condictio indebiti, condictio causa data causa non secuta, condictio ob causam finitam, condictio ob turpem causam). Am Schlusse im § 748 wird dann eine allgemeine Vo Irie für solhe Fälle gegeben, in denen jemand in sonstiger Weise aus dem Vermögen eincs anderen bereichert ist. Man überzeugtc

sich, daß es dieser Anordnung gegenüber im Jnteresse der Einfachheit

und der Durchsichtigkeit des Gesetzes den Vorzug verdiene, nah dem Vorgang des Schweizer Obligationenrehts Art. 71 ff. das all- gemeine die Condictionen beherrschende Princip arn die Spitze zu stellen, daß, wer auf Kosten eines anderen durch eine Leistung desselben oder in anderer Weise etwas ohne reht- lihen Grund erlangt hat, dem anderen zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet ist, und. im Anschluß an

Sag die speciellena Condictionsfälle, soweit zweckmäßig, besonders hervorzuheben und zu regeln. Die definitive n des an die Spiße zu stellenden allgemeinen Saßes sowie die Beschlußfassung über die besonders hervorzuhebenden Condictionsfälle und über den näheren Jnhalt der Verpflihtung zur Herausgabe blieb der nächsten Sigzung vorbehalten. Einvernehmen bestand darüber, die im S 748 Abs. 2 enthaltene Vorschrift, nah welcher es im Zweifel als rehtlicher Grund angesehen werden soll, wenn ein Rechts- verlust auf einer ihn bestimmenden Vorschrift beruht, in den an die Spitze zu stellenden Saß nicht zu übernehmen. Ebenso: erachtete man es E entbehrlih, besonders zum Ausdru zu bringen, daß die Verpflihtung zur Herausgabe des Erlangten auch den Fall umfasse, wenn jemand den Besiß oder die Jn- habung einer Sache ohne rechtlihen Grund erlangt habe (8 737 Abs. 3, § 748 Abs. 3).

diesen nöthig oder

In der Tagespresse ist mehrfach ein Erlaß: des Justiz- Ministers erwähnt worden, der Erhebungen über eine Er- weiterung der amtsgerihtlihen Zuständigkeit in Civilprozessen anordne. Wir sind in die Lage verseßt, den Wortlaut des an die Präsidenten der sämmtlichen Ober- Landesgerichte gerichteten Erlasses nahstehend mitzutheilen.

Bei der Berathung des Gerichtsverfassungsgeseßes in der Com- mission, wie im Plenum des Reichêtags wurde von verschiedenen Seiten hervorgehoben, daß die Abgrenzung der amtsgerichtlichen Zu- ständigkeit in bürgerlihen Rechtéstreitigkeiten, soweit dieselbe auf dem Werth des Streitgegenstandes beruhe, zunächst nur als ein Versuch betrachtet werden fönne und es späterer Prüfung wvorbe- halten bleibe, ob mit Rücksicht auf die bis dahin gemachten Er- fahrungen eine Erhöhung der Werthsgrenze für jene Zuständigkeit zu- lässig fein möchte. Nachdem inzwischen eine längere Reibe von A lew dürfte es nunmehr an der Zeit sein, in jene Prüfung einzutreten.

Ein abschließendes Urtheil über die Wirkungen einer Competenz- beränderung in der angegebenen Richtung läßt ih selbstverständlilp erst gewinnen, wenn eine bestimmte höhere Grenze für die amtsgericht- liche Zuständigkeit in Aussicht genommen und auf dieser Grundlage festgestellt ist, welhe Verschiebungen in der Geschäftslast der Landgerichte und der Amtsgerichte die Maßregel zur Folge haben würde. Bevor jedo derartige specielle Erhebungen angeordnet werden, ist es für midy yon Werth, fowohl von den Gerichten wie auch aus den Kreisen der Nechtsanwälte allgemeine gutahtlihe Aeußerungen darüber zu hören, ob sich cine Erhöhung der im § 23 Nr. 1 des Gerichts- verfassungsgesees genannten Summe etwa auf den bei den Reichs- s R S Ged O vorgeschlagenen Betrag von 500 #4 empfehlen würde.

Bei der Beantwortung dieser Frage wird in erster Reihe in Er- wägung zu ziehen sein, ob seit dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungs- geseßes die Nechtspflege in Civilprozessen bei den Amtsgerichten eine solche Entwickelung genommen hat, daß es unbedenklich erscheint, au bürger- lihen Nechts\treitigkeiten mit einem höheren Object als 300 A die Garantien collegialisher Rechtspflege zu entziehen. 5

Sodann kommt in Betracht, ob die als Folge der veränderten Zuständigkeitêgrenze eintretende Befreiung einer größeren Anzahl Rechtssti eitigkeiten vom Anwaltszwang in der That eine Kosten- erleihterung für die Parteien zur Folge haben, oder ob anzunehmen sein wird, daß troß des Wegfalls der geseßlichen Nöthigung die Zu- ziehung von Anwälten in jenen Sachen nah wie vor die Regel bilden wird. i

Ferner werden die organisatorischen Folgen der in Nede stehenden Maßregeln eingehend zu prüfen sein. Bezüglich der Gerichte drängt sich der Zweifel auf, ob aiht etwa nah Lage der wirthschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Theilen der Monarchie ein so erheb- liher Bruchtheil aller gegenwärtig bei den Landgerichten zu ver- handelnden Civilprozesse in die Grenzen eines Streitwerths von 300 bis 500 4 fällt, daß ein Theil der Landgerichte nach Ab- zweigung dieser Sachen niht mehr lebensfähig bleiben und ihre Aufhebung erforderliz werden würde Diesem Bedenken tritt dann wiederum die Erwägung gegenüber, ob niht eine Reihe ungenügend beshäftigter Amtsgerichte, deren Aufrechterhaltung gleich- wohl im Interesse der Bevölkerung erwünscht erscheint, auf diefe Weise einen Zuwachs von Arbeitsftof erhalten würde, der ihre ge- deihlihe Fortexristenz ermöglicht. : O

Bezüglich der Anwaltschaft wird der Einfluß zu prüfen sein, den die Competenzverschiebung auf die Vertheilung der Anwälte zwischen Landgerichten und Amtëégerichten ausüben wird, ob ins- besondere, wenn die Wutiehung von Anwälten in den auf die Amts- gerihte übergehenden Civilprozessen regelmäßig stattfinden follte, zu erwarten ist, daß die bei den Landgerichten entbehrlich gewordenen Anwälte fi bei den Amtsgerichten niederlassen und dort eine aus- reichende Praxis finden werden, ob endli eine derartize Veränderung. den allgemeinen Interessen der Nechtspflege zuträglih erscheint.

Nicht minder wird die Veränderung des Rechtsmittelzuges für die den Amtsgerichten zu überweisenden Civilprozesse in ihrem Éin- fluß auf die fahlihe Erledigung der Prozesse, auf die Gerihtsorgani- tation und auf die Verhältnisse der RNechtsanwaltschaft in Betracht zu zieben sein. : :

Besondere Beachtung verdient auch die Thatsache, in welchem Maße bereits jeßt von einer Vereinbarung des Gerichts\stands bei den Amtegerichten in den zur landgerichtlicen Zuständigkeit gehörigen Sachen Gebrauh gemacht wird. Sollte dies in erheblichem Umfange geschehen, so wird zu untersuchen sein, einestheils, ob sich hierin ein Vertrauen in die amtsgerichtlihe Rechtspflege kund giebt , - das eine Erweiterung der Zuständigkeit rehtfertigen könnte, andern- theils, ob anzunehmen ist, daß schon jeßt im Wege der Prorogation die zur Verhandlung vor den Amtsgerichten geeigneten Prozesse mit höherem Streitwerthe thatsählih vor dieselben gebraht werden, sodaß ein Eingreifen der Geseßgebung nicht erforderli erscheint. L

Durch die vorstehenden Andeutungen follen selbstverständlich die Gesichtspunkte, unter denen die angeregte Frage zu prüfen sein wird, niht beschränkt werden ; vielmehr würde eine tbunlichst allseitige Er- örterung derselben auf Grund der gemachten Erfahrungen in Pobém Maße erwünscht sein. :

__ Euer Hochwoblgeboren ersuche ih daher, \sih über die Zweck- mäßigkeit einer Erweiterung der amtsgerihtlihen Zuständigkeit in Civilprozessen eingehend äußern zu wollen, soweit dies ohne besondere

tatistishe Erhebungen, deren Veranstaltung zur Zeit nicht in meiner bsiht liegt, möglich ist. Auch wollen Sie den Vorstand der An- waltskammer des dortigen Obef-Landesgerichtsbezirks unter Mitthei- lung einer Abschrift dieses Erlasses um ein Gutachten über jene Frage ersuchen und dasselbe Jhrem Bericht beifügen. Berlin, den 11. November 1892. Der Justiz-Minister. von Schelling.

Die Nummer 22 der Sonderausgabe der „Amtlichen Nachrichten des Reichs-Versiherungsamts, Jnuva- liditäts- und Altersversicherung“, vom 15. November dieses Zahres enthält folgende bemerkenswerthen Revisions- entscheidungen: .

Ein von der Versicherungsanstalt während des \hiedsgerihtlichen Verfahrens abgegebenes An- erkenntniß des Rentenanspruchs ist nur dann wirk- sam, wenn demselben auch der Staatscommissar als Vertreter der Interessen des Reichs und

etwá betheiligten anderen Versicherungsanstalien .zuge- stimmt hat. Bezüglich der Form, in welcher jene Zu- stimmung erklärt werden muß, ist 8 14 der an ‘lihen Verordnung vom 1. Dezember 1890, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des JInvaliditäts- und Alters- versicherungsgeseßes errihteten Schiedsgerichten, sinngemäß zur Anwendung zu bringen.

Das in der Bestimmung des § 13 Absatz 3 der Kaiserlihen Verordnung vom 1. Dezember 1890 dem Staatscommissar gewährte besondere Recht bezieht sih keineswegs auf jeden einzelnen in den Schriftsäßen von ihm gestellten Beweisantrag, sondern nur auf folche -Anträge, welche nah Abschluß der sonstigen Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgericht gestellt werden, um die vollständige Klarstellung des Sachverhalts herbeizuführen.

Ein wesentliher Mangel des Verfahrens im Sinne des 80 Absag 2 Zier 2 des JInvaliditäts- und Altersversicherungsgeseßes liegt vor, wenn die Ladung zum Verhandlungstermin vor dem Schiedsgericht so \pät erfolgt ist, daß dadurch den Parteien oder do einer von diesen die Möglichkeit ihrer Rechtsverfolgung oder Rechts- vertheidigung entzogen oder wesentlih vershränkt worden ist. Während des schicdsgerihtlihen Verfahrens hatte die beklagte Versiherungsanstalt, nahdem ihr die Berufung des Klägers mitgetheilt worden war, zur Wider- legung der in der lehteren aufgestellten neuen Behauptungen umfangreihe Erhebungen durch Vernehmung von ärztlihen Sachverständigen und Auskunftseinholúng von Be- hörden angestellt und das so entstandene Material dem Schiedsgericht mit dem Bemerken übersandt, daß der Anstalts- vorstand auf Einreichung einer Gegenschrift verzichte. Darauf wurde Verhandlungstermin anberaumt und in diesem, ob- wohl der Kläger weder erschienen noch vertreten war, auch vor dem Termine keine Kenntniß von den neuen Erhebungen crhalten hatte, auf Grund der lehteren eine dem Kläger ungünstige Entschei- dung getroffen. Die von diesem eingelegte Revision hat das Reichs-Versicherungsamt für begründet erachtet, indem ange- nommen wurde, daß das Verfahren des Schiedsgerichts an wesentlihen Mängeln im Sinne des 8 8 Absatz 2 Ziffer 2 des Juvaliditäts- und Altersversicherungs- Geseßes leide.

Die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Kosten kann allein niht Gegenstand der Revision sein, vielmehr ist einc Revision hinsihtlih des Kostenpunktes nur dann zulässig, wenn das Rechtsmittel zugleich in der Hauptsache eingelegt wird.

Das Hauptblatt der „Amtlichen Nachrichten“ ent- hält eine Nachweisung der von den Berufsgenossenshaften an- gestellten „Beauftragten“ (Betriebs-Revisionsingenicure), auch theilt es die Entscheidung mit, daß Betriebe zur Her- stellung von Pußfe dern bei regelmäßiger Beschäftigung von nur 7 bis 8 Arbeiterinnen als Fabriken nicht anzusehen sind.

Der General - Lieutenant von Lindequist, General- Adjutant Seiner Majestät des Kaisers und Königs und Commandeur der 26. Diviston (1. Königlih Württembergische), ist mit Urlaub hier angekommen.

Der Kaiserliche Minister-Resident in Luxemburg Graf von Wallwiß hat einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub angetreten.

S. M. Kreuzer „Falke“, Commandant Corvetten- Capitän Beer, ist am 16. November cr. in St. Vincent (Cap Verdishe Jnseln) eingetroffen und beabsichtigt, am 20. dess. Mts. nah Freetown Sierra Leone (West- Afrika) in See zu gchen.

Kiel, 17. November. Wie die „Kieler Zeitung“ meldet, hat Seine Majestät der Kaiser an den Staatssecretär des Reichs-Marineamts, Vice-Admiral Hollmann, folgendes Telegramm gerichtet : i

„Meinen Dank für die Meldung des glücklichen Stapellaufs des Avisos „Komet“. Wieder ein erfreulicher Schritt weiter zur Stär- kung Meiner Marine. Möge er seine Aufgabe nah Wunsch erfüllen und manchen Collegen erhalten !“

Anhalt. JZhre Hoheiten der Herzog und die Herzogin sind mit den Prinzessinnen Aribert und Alexandra vorgestern Abend aus Sondershausen wieder in Dessau éingetvaffen.

Waldeck und Pyrmont.

Der Landtag hat, wie die „Köln. M0 erfährt, die Verlegung des Herbstbußtages auf den Mittwoch vor dem leßten Trinitatisfonntag beschlossen.

Hamburg. :

_ Dem Senat ist aus Anlaß des Hinscheidens des Bürger- meisters Dr. Petersen das nachstehende Schreiben des Generals der Cavallerie Grafen Waldersee zugegangen:

Altona, den 15. November 1892.

Den Hohen Senat bechre ih mich aus Anlaß des Hinscheidens

Hochdessen Präsidenten, des Bürgermeisters Dr. Petersen meines auf-

E Beileids zu vergewissern. i

ie langjährigen und hohen Verdienste des ausgezeichneten

Mannes nicht nur um den Staat Hamburg, sondern auch um dessen

gutes Verhältniß zu Preußen und zum Reich lassen seinen Verlust weit über die Grenzen Hamburgs hinaus s{wer empfint en.

Im Besonderen fühle ich in meinem Verhältniß als comman- dirender General des IX. Armee-Corps mi gedrungen auszusprechen, wie das so vortrefflihe Verhältniß der mir untergebenen Militär- behörden und Truppen, welhe zu Hamburg in Beziehung stehen, vor allem aber des 2. Hanseatishen Infanterie-Regiments Nr. 76, zu den ariseitigen Behörden wie zur Bevölkerung in hohem Grade dem

erblichenen zu danken ist. :

Der commandirende General. Graf Waldersee. ohen Senat der freien und Hansestadt Hamburg zu urg.

._ Am Sarge des Bürgermeisters Dr. Petersen sind neuer- dings, außer zahlreichen anderen Blumenspenden, noch T Kränze niedergelegt worden : der eine von Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser, aus Lorbeer und Rosen, mit weißer Sleife, auf der ein W mit der Kaiserkrone, der andere von Zhrer Majestät der Kaiserin Friedrich, aus gelben Rosen mit \{hwarz:r Schleife.

An den

Oesterreih-Ungarn.

Der ungarishe Minister-Präsident, Dr. Wekerle ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Nachmittag um 3 Uhr von dem Kaiser in einer gegen 11/2 Stunden währenden Audienz empfangen worden. Die Eidesleistung des neuen Minister- Präsidenten sowie der Minister Hieronymi und Ludwig Tisza soll morgen stattfinden, worauf dann die Vorstellung des Gesammt- cabinets beim Kaiser erfolgen wird. Der „Budapester Correspondenz“ zufolge wird der Minister-Präsident am Montag anläßlich der Vorstellung des neuen Cabinets .ink ment eine ershöpfende programmmäßige Erklärung abgeben.

Der Kaiser hat einer Deputation aus Galizien die Uebernahme des Protectorats über die im Jahre 1894 zu veranstaltende galizishe Landesausstellung zugesagt und zugleich seinen Besuch in Galizien gelegentlih der nächst- jährigen Manöver sowie für das Jahr 1894 in Aussicht gestellt.

Der König von Rumänien und der Prinz Ferdi- nand haben gestern Nachmittag 21/4 Uhr die Rückreise nah Bukarest angetreten. Der Kaiser gab ihnen bis zum Bahnhof das VGeleite und verabschiedete sih dort auf das herzlihste, indem er den König wiederholt küßte und dem Thronfolger die Hand drückte. Dem Minister-Präsidenten Grafen Taaffe is das Großkreuz des Ordens des Sterns von Rumänien verliehen worden. /

Bei der gestern im österreihishen Abgeordneten- hause fortgeseßten Budgetberathung erklärte der Abge- ordnete Dr. von Plener, er könne sih eine Cooperation der vereinigten deutshen Linken mit anderen Parteien auf gewissen Gebieten reht wohl vorstellen; die deutshe Linke sei auch stets bereit, unter entsprehenden Cautelen hierzu die Hand

zu bieten. Frankreich.

Die Debatte über das Preßgeseß ist in der gestrigen Sibung der Deputirtenkammer noch nicht zu Ende ge- führt, die Weiterberathung vielmehr auf heute vertagt worden. Ueber den Verlauf der gestrigen Debatte liegt folgender Be- riht des „W. T. B.“ vor: Zunächst sprach sih der Deputirte Ernest Noche gegen die Vorlage aus, weil das Geseß nur als Kampfmittel gegen die Socialisten dienen werde. Der Anarchismus sei eine Folge der auf dem Volke lastenden Noth. Ein Heilmittel dagegen sei nicht in Repressivgeseßen, sondern in der Lösung der focialen Frage zu suchen. Der Deputirte Aynard wandte sich gegen diese Ausführungen und betonte unter Protestrufen der äußersten Linken, die gemäßigten Republikaner allein könnten die sociale Frage lösen. Nach cinem lebhaften Wortwechsel zwischen dem Deputirten Lafargue und Mitgliedern der Rechten forderte Aynard, in seiner Nede fortfahrend, die Regierung auf, zu erklären, daß sie in Zukunft mehr Ent- schiedenheit und größere Festigkeit zeigen werde. Hierauf er- ariff der Minister-Präsident Loubet das Wort und erklärte in Erwiderung auf die Ausführungen der Vorredner, in keinem Lande thue die bürgerlihe KGesellshaft soviel für das Volk wie in Frankreih (Beifall). Frankrei genieße volle Freiheit. Man spreche von Spaltungen, aber man werde, sobald eine Gefahr entstehe, hon sehen, ob nicht volle Einigkeit bestehe. (Beifall). Zu dem u übergehend, legte der Minister-Präsident unter Anführung einzelner Beispiele dar, daß das Gesch vom Jahre 1881 sih als unzureichend erwiesen habe.- Eine gewisse Art der Presse sei eigens geschaffen wor- den, um fortgeseßt Drohungen zu verbreiten. Diese Presse entziche sih durch den Wechsel der verantwortlichen Heraus- geber der geseßlichen Verfolgung. Es handle sih niht um einen Angriff auf die Freiheit, sondern um die gerichtliche Ahndung solcher Handlungen. Loubet beantragte, in die Be- rathung der einzelnen Artikel der Vorlage einzutreten, und stelle zu dem bezüglihen Beschluß der Kammer die Vertrauensfrage. Der Deputirte Deramel (Nechte) bekämpfte den Entwurf als willkürlih und behaupte, er sei geeignet, ein Geseg gegen die Verdächtigen zu werden. Hierauf wurde der Schluß der Generaldebatte be- antragt, jedoch mit 285 gegen 247 Stimmen abgelehnt. Die Weiterberathung wurde sodann mit 317 gegen 203 Stimmen auf heute vertagt und die Sißung aufgehoben. Der Deputirte Moirand brachte vorher noch eine Jnuterpellation über die allgemeine Politik der Regierung mit dem Bemerken ein, daß er die Berathung darüber bei Beginn der heutigen Sißung beantragen werde.

Der Senat hat eine besondere Commission zur Prüfung des am leßten Sonnabend von der Kammer adoptirten An- trages Pontois (Abschaffung der Justizprivilegien der Groß- cordons der Ehrenlegion) ernannt. Die Majorität der Com- mission ist der „Frkf. Ztg.“ zufolge dem Antrage günstig.

__ Wie verlautet, ist dem Polizeipräfecten ein Droh- brief zugegangen, in welhem unter Hinweis auf die vom Polizeigerihtshof von Bowstreet beschlossene Auslieferung des Anarchisten P an Frankreich ein neuer anarcistisher Anschlag angekündigt wird.

Nach einem Telegramm des „H. T. B.“ aus Lille hätte dort eine Anzahl eingestellter Rekruten anarchistische Lieder gesungen und die Anarchie hochleben lassen. Die Polizei fei eingeschritten, habe aber lebhaften Widerstand ge- funden und Verhaftungen vornehmen müssen.

Der russishe Minister des Auswärtigen von Giers empfing gestern in Monte Carlo, wie der „Magd. Ztg.“ be- richtet wird, den Besuch des russischen Botschafters in Paris Barons von Mohrenheim. Wie es heißt, werde der Minister von Giers, dessen Zustand sih täglich bessere, bis März in Monte Carlo bleiben.

Parlamentarische Nachrichten.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 3. Sißung vom 18. November.

,_ Der Sigung wohnen der Präsident des Staats- Ministeriums, Minister des Jnunern Graf zu Eulen- burg, der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsh, der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen bei.

In der ersten Berathung des Gesehentwurfs wegen Au f- hebung directer Staatssteuern und der Denkschrift ergreift zunächst das Wort: :

inanz-Minister Dr. Miquel: :

; ie einzelnen Geseßentwürfe und der Gesammtplan der Reform liegen Ihnen gedruckt vor, ih darf mich daher auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken. Dies Reformwerk ist die-getreue Erfü ung

derjenigen Zusagen und Versprehungen, welche die Staatsregierung

bei der Berathung . der früheren Stceuergeseßentwürfe gegeben hat. Von vornherein hat die Staatsregierung ausgesprochen, daß es ihre Absicht nicht sei, die Einnahmen der Staatskassen zu erhöhen, daß sie vielmehr die Mehrerträge der reformirten Einkommen- steuer zu verwenden gedähte, um die weitere Reform zu erleihtern. Dies Wort löst hiermit die Staatsregierung ein; sie ver- zihtet au heute, troßdem sich die Finanzlage des Staates nicht ver- bessert hat, vielmehr ein trübes Gesicht zeigt, auf die Vermehrung der Staatéeinnahmen. Es wäre aber unverantwortlih, wenn die Regierung ohne Ersaß auf feste Einnahmen verzihten wollte. Jede Reform der Steuern findet ihre natürlihe Grenze an der Lage der Finanzen. Wenn Sie nicht geneigt sind, der Staatéregierung entgegenzukommen, so ist die Reform, wie sie hier vorgeschlagen wird, undurchführbar. Aber au nach der materiellen Seite bewegt si . die Steuerreform in der Nichtung, die hier und im Herrenhause vertreten wocden ist und welche sich co hat in der geleptenEBetimmung des Haragrapüen 82 des CEinkommensteuergeseßes. Wer ‘é Actenstüke des auses agr hat, wird sih überzeugt haben, daß seit 1865, wo zum ersten Mal die Nothwendigkeit einer Verwandlung der Grund- und Gebäudesteuer in eine Communalsteuer ausge- sprohen wurde, bei den verschiedensten Gelegenheiten dieser Gesichtépunkt geltend gemacht worden it; die Verminde- rung der Bodenbelastung und die Erleichterung der Communen ist von allen Seiten gefordert worden. Ih will nicht behaupten, daß man über die Art der Ausführung einig und klar gewesen wäre. (Zuruf rets: sehr wahr!) Die Erleihteæung der Communen oder der Kreise, die Beseitigung der Doppelbesteuerung, die Umwandlung der Grund- und Gebäudesteuer in Communalsteuern, die Zu- weisung bestimmter Beträge aus diesen Steuern : diese verschiedenen Gesichtspunkte sind angeregt worden. Die bisher unreifen Gedanken find nah der Meinung der Staatsregierung jeßt reif geworden, und ih glaube nicht, daß in der großen Mehrheit des Hauses große Meinungsverschiedenheiten über die Grundlage dieses Reformwerks vor- banden sind. Es treffen jeßt auh Umstände zusammen, welche die Ausführung finanziell mögli machen. Wenn Sie den gegen wärtigen Augenblick, wo wir 40 Millionen in der Hand haben, die no niht „zur Verwendung bestimmt sind, wo wir die Gelder der lex Huene verwenden können, vorüber- gehen lassen, ohne daran eine grundlegende Reform zu knüpfen, so müssen Sie sich sagen, daß ein folcher Zeitpunkt niemals wieder- kehrt, jedenfalls „nicht zu unseren Lebzeiten. (Sehr wahr! rechts.) Worin - haben die Beschwerden über uuser Staatssteuersystem be- standen? In der Begründung der Einkommensteuervorlage bieß es, daß diese Steuer nach ihrer Reform die Hauptträgerin des ganzen Staats- steuersvstems wérden würde; wir müssen uns entscheiden, guf welche Seite wir treten wollen. Aus der Denkschrift werden Sie si überzeugt haben, daß das Nebeneinanderbestehen der verschiedenen Steuern, der Real- steuer und der Perfonalsteuer, niht sehr berechtigten Ursachen ent- sprang, sondern lediglih fiscalishen Rücksichten. Das Princip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist unvereinbar mit dem Bestehen einer Realsteuer, welhe \sih nicht um die Leistungsfähigkeit und die persönlihen Verhältnisse des Einzelnen kümmert. Dazu kommt, N das Nealsteuersystem sehr s{chlecht ausgebildet ist. Unsere Grundsteuer is von vornherein sehr ungleich veranlagt, die Gewerbesteuer is zu verschiedenartig gestaltet. Diese Steuern können nidt untereinander in Harmonie gebracht werden. „Wenn man den Besiß als solchen treffen will, dann müßte auch eine Kapital- rentensteuer bestehen, aber die dazu gemachten Versuche sind gescheitert, weil man zwischen Rentenkapital und Betriebskapital niht unter- scheiden konnte. Selbst die Freuude eines gemishten Steuer- systems müssen agestehen, daß eine Reform der Real- steuer nothwendig wäïe, daß diese aber in Preußen unausführbar ist. Die Regierung mußte sich sagen: mit halben Maßregeln is nichts gethan, es muß eine Reform an Haupt und Gliedern vorgenommen werden. Die Realsteuern sind innerhalb des Staats starr und todt und entwickelungsunfähig. Entwickelungsfähig sind sie in den Gemeinden, wo die localen Verhältnisse zweckmäßige Berücksichtigung finden können. Es sind ja erheblihe Bedenken dagegen elten geme worden. Ein der natürlichen Gewohnheit entsprechendes Gefühl pricht gegen die Aufgabe einer so sicheren Steuer, wie die Grund- und Gebäudesteuer, die früher eine sehr erheblihere Bedeutung für die Staatsfinanzen hatte, als jeßt. Aber die Einkommensteuer hat heute einen ganz anderen Charafter als früher, das zeigt sich besonders daran, daß 3% aller Steuervflihtigen von dem Mehrertrage von 40 Millionen allein 28 Millionen aufbringen. Der erzicht auf die Grundsteuer, die man nur als Rente betrachtet, soll eine A an die Grundbesißer fein. Wenn man die Grund- und Gebäudesteuer an die Gemeinden überweisen wollte, so würde der Einwand passen, aber es handelt sih nicht darum , die Steuerpflichtigkeit aufzuheben, sondern umzuwandeln. Die Grund- und Gebäudesteuer konnte sih son deshalb nicht in eine Rente verwandeln, weil die we{selnden Gemeindezuschläge dies verhinderten. In den neuen Provinzen i die Ver- anlagung der Grundsteuer überhaupt sehr jungen Datums. Aber man weist auf die Gutsbezirke hin, welhe feine Steuern er- heben; da tritt das Geschenk, der agrarishe Charakter des Gesetzes in den Vordergrund. Es giebt auch eine Anzahl von Gemeinden, welche keine Steuern erheben; follen sie auch von der Beseitigung der Nealsteuern ausgeschlossen werden? Die Frage der Gutsbezirke ist gelöst worden durch die Landgemeindeordnung; diese &rage liegt überhaupt auf dem politishen Gebiet, nicht auf dem der Steuerreform. Was hat diese Frage über- haupt für eine Bedeutung gegenüber der Entlastung des gesammten Grund und Bodens in Preußen! Glauben Sie, daß die Bauern in Hannover und Schleëwig- Holstein die Last gern weiter tragen, weil die Gutsbezirke sic auch tragen? (Zustimmung rets.) Uebrigens. ist die Belastung der Gutsbezirke niht allzu gering anzuschlagen:- Sie tragen schr bedeutende Lasten LEEUe richtig! rets), allein 17 536 000 Æ an Krei8- und Communallasten, während die Grund- und Gebäudesteuer nur etwa über 9 Millionen ausmacht. Diese Communal- lasten werden in Zukunft in den östlichen Provinzen steigen, wenn die Ueberweisungen aus der lex Huenc aufhören. Denn der Kreis bildet eigentli im Osten die Urgemeinde und dessen Lasten baben auch die Gutsbezirke zu tragen. Auf den Vorwurf, daß die Vorlagen agrarisch seiea, würde ih nicht das eringste Gewicht legen, wenn darin nit der Tadel enthalten wäre, daß die Staatslasten ungerecht vertheilt werden. DieNReform wird denen zu gute kommen, welche bisher zu stark belastet waren. Man könnte behaupten, daß die ganze Neform nicht agrarish, sondern urbanisch ist. Cr eaG, In Städten kommen auf an Grundsteuer 22 A, an Gebäudesteuer 2,30 4 pro Kopf. Auf dem platten Lande kommen auf an Grundsteuer 2 , an Gebäudesteuer 47 -Z pro Kopf der Bevölkerung, also zusammen durwschnittliß 2,49 A Bei der Gewerbesteuer würden im ganzen auf den Kopf der Be- vlferuna 64 4 fallen, auf das platte Land nur 24 4, der Rest fällt auf die Städte. Wie kann man da von einer Bevor- zugung des platten Landes sprehen ? Das Land bekommt die fixirte Grundsteuer, die Städte bekommen die wachsende Gebäudesteuer und die wachsende Gewerbesteuer. Nun sagt aber Herr Richter: ja, die Einkommekisteuer. Ja, kann denn die Stadt Berlin darüber klagen, daß dort so viele reihe Leute sind, welhe dem Staat Steuern zahlen ? Der Staat fragt nicht darnach, wo die reichen Leute wohnen, fie werden zu den Staatssteuern berangezogen, und die Gemeinde mag sih glücklih schäßen, welche viele solcher reichen Leute hat. Daß die Entschädigungen, welche für die Aufhebung der Grundsteuer- freiheit gezahlt worden sind, wieder zurückgezahlt werden müssen, ist selbstverständlich. Daß auch die Majorate sie zurückzablen müssen, läßt sich allerdings civilrechtlich niht construiren, aber staatsrechtlids ist die Forderung berechtigt. Die Gemeinden sind auf die Real- steuern anzuweisen und auf die Autbildung der indirecten Steuern. Da von Rechtswegen die indirecte Besteuerung beschränkt ist, wurde die Gemeinde gedrängt zur Belastung der Personalsteuern. Das reine Perfonal- und Kapitaleinkommen is aber mit der Ge- meinde, welche eine wirthshaftlihe Körperschaft ist, garniht ver-

wachsen; die Personalbesteuerung stellt daher das Verhältniß gerad auf den Kopf. Deshalb fol as Bettonalstenec-Einkomuns in en