1892 / 285 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 Dec 1892 18:00:01 GMT) scan diff

ein Mann, ter fich in dem Alter befindet, in tem wir an- erkennen, daß unsere Unteroffiziere berechtigt sind, eine Civilver- sorgung zu verlangen, wcil im allgemeinen ihre körperlichen Kräfte nit mehr ausreihen. Es is doch notorisch, daß in verschiedenen Schichten der Bevölkerung die Lute \sich s{neller consumiren, als es in den wohlhabenden Schichten der Fall ist; es ist notorisch, daß es eine große Anzahl von Berufen giebt, die den Menschen schneller consumiren oder ihn wenigstens in seiner Kriegsbrauchbarkeit be- schränken.

Also wir lassen die jungen Leute zu Hause und ziehen die alten Leute ein. Der Aeltere if mir militärisch weniger werth als der Junge, nit bloß körperlich, sondern auch um deshalb, weil er soviel länger aus der Truppe heraus is , wie der jüngere Mann. Das ift der militärishe Nachtheil.

Nun kommt der wirthschaftlihe Nachtheil. Jch ziehe die Leute ein, die Steuerzahler sind, die sich einen Beruf, ein Gewerbe ge- gründet haben, die eine Familie haben, die ctwas für den Staat leisten, und ih lasse die Leute zu Hause, die noch nit so weit find.

Und endlich finanziell! Ich ziehe Leute ein, von denen ich im voraus weiß, daß sie in einem ungleich höheren Maße Invaliden- vensionen und Familienunterstüßungen beanspruchen, als wenn t junge Leute einziehe. Ih schwädhe die Steuerkraft des Landes und belaste das Land finanziell.

Es ist do undenkbar, daß man gewillt sein soll, einen folchen Zustand länger fortbestehen zu lassen, und ich halte es für absolut undenkbar, daß das in der Bevölkerung populär fein foll! Ich bin der Ueberzeugung, ohne die Rekrutenmütter oder die Landwehrfrauen zu fragen im Lande ist die Ansicht sehr weit verbreitet, daß man mit diesem Zustande brechen muß. Jch habe das vcrige Mal schon angedeutet, daß dieser Zustand zum großen Theil willkürliche Maß- regeln zur Folge hat, daß er eine Ungleichheit vor dem Geseß statuirt, daß er in seinen moralishen Folgen hier und da bedenklih ist, und ich hätte geglaubt, daß die Fortschrittspartei niht fo heftig gegen diese Veränderung auftreten würde.

Ich entnchme einem Programm der Fortschrittspartei vom Jahre 1878 Folgendes:

Entwickelung der vollen Wehrkraft des Volks (Hört! hört! rechts) unter Schonung der wirthshaftlihen Interessen; daher Ver- minderung und gleihmäßigere Vertheilung der Militärlaft dur Verkürzung der Dienstzeit und volle Durhführung der allgemeinen Wehrpflicht. (Hört! hört! und Heiterkeit rechts.)

Nun sage ih: wir wollen hier ändern! und nahdem wir ange- fangen haben, was Sie (links) früher wollten, da fagen Sie: nein- nun wollen wir nicht mehr! (Große Heiterkeit.)

Wir ziehen also die alten Leute ein und lafsen dic jungen zu Hause, oder ziehen sie erst später cin. Was sind das für alte Leute, die wir einziehen ? Nun babe ih beute eine Belehrung von dem Abg. Richter bekommen, von der ih um Deutschlands willen wünschte, sie wäre wahr. Aber sie ist absolut falsch. Der Abg. Richter hat be- hauptet, die Reservedivifionen seßten ih ih weiß nicht: ganz oder zum großen Theil aus Reservisten zusammen. Ja, da sieht man: man fkann ein politishes A-B-C-Buh schreiben, was ganz geschickt ift, und kann doch im militärischen A-B-C noch einigermaßen zurück sein. (Heiterkeit.) Das ist für den Einzelnen an sih.ja kein Vor- wurf. Warum ? Das ist ja Sache der Fahmännecr, dies zu kennen. Aber ih wünschte doch, man hielte mit dem Urtheil zurück, wenn man in diesen Dingen niht ganz zu Hause ist. Faktisch liegt die Sache so, daß, ausgenommen bei der Garde, die eine größere Regimenter- zahl und von jedem einen größeren Etat hat, und dadurhjin der Lage ist, mit einer jüngeren Altersklasse auszukommen, in feiner unserer NReservedivisionen die Infanterie aus Reservisten zu- sammengeseßt ift. Diese Divisionen bestehen in ihrer Infanterie durchweg - aus Landwehr. Und nun kann ih mir erklären, worin die falshe Rehnung des Herrn Abg. Nichter liegt. Er hat son früher gewußt, daß vierte Bataillone aufgestellt sein sollen. Aber da er es noch nit officiell wußte, hat er davon nicht Act genommen. Es soll bei uns planmäßig im Kriegsfalle jedes Infanterie-Regiment, ausgenommen die Garde, cin viertes Bataillon aufstellen. Dieses vierte Bataillon soll in feiner Beschaffenheit gleich sein dem Feld- bataillon. Dies wird zusammengeseßt aus Reservisten. (Zuruf links.)

Es bleibt also kein Reservist übrig für die Reservedivision, die vierten Bataillone rücken mit ihren Regimentern als deren integrirender Theil aus.

Der Herr Abg. Nichter ift, indem cr die franzöosishe Organisation so eifrig studirt hat, der Meinung geworden, wir wollten au régi- ments mixtes machen. Das liegt nicht vor. Wir rücken mit dem Feldregiment zu vier Bataillonen aus. Diese und die Erfatbataillone consumiren nicht allein das, was wir an Reservisten baben, sondern der uns verfassungsmäßig für die Einstellung in die Feldtruppe zu- stehende jüngste Jahrgang der Landwcbren wird aub noch in die Feldtruppen eingestellt. Alles, was in die fogenannte Reservedivision kommt, ist Landwehr crsten Aufgebots, gehört also zu den Leuten, die dur die Reorganisation des Kaisers Wilhelm aus dem Verbande mit der Feldarmee ausgeschieden werden sollten.

Aber nicht allein das, au die Lantwchr zweiten Aufgebots, wie ih schon neulich anzudeuten mir erlaubt habe, wird zum überwiegenden Theile am crsten Mobilmachungstage mobil gemacht: es wird ein Theil des Landsturmes mobil gemacht, und wenn ih den Landsturm vor dem Feinde brauchen will am ersten Tage oder in der ersten Woche, so liegt es auf der Hand, ih fann nit diese jungen, viel- leiht vom besten Geiste bescelten Männer in den Landsturm ein- stellen, ihnen dic Flinte in die Hand gcben und sagen: Seid Soldaten soudern, wenn ich den Landsturm frühzcitig brauchen will, erübrigt nur, daß ih diejenigen und das gestattet das Geseg vorneweg heranziehe, die gedient haben. Alfo wiederum: Derselbe Mann, der früher eingestellt worden ist in die Truppe, wird verfolgt bis in seine Landsturmjahre, während auch im Landsturm die jungen Leute nicht berangezogen werden.

Ich: habe neulih davon gesprochen , daß die Jahrgänge, die die Basis unseres Militärfystems bilden, zu s{chwach wären. Ich habe dann ein Gleihuiß von der Pyramide gebrauht und gesagt, wenn die Grundlage zu schwach ist, dann wird die Spitze der Pyramide wadcklig. Die Schwäche habe ich nicht, wie der Herr Abg. Nichter mir im- putirte, in dem Mangel der Landwehr gesucht, sondern in der {wachen Basis. Jch will Ihnen ein anderes Gleichniß vorführen : Sie bauen ein Haus und feßen immer cine Etage nach der andern auf; das Haus wird wacklig. Wir find auf diesem Wege in Zustände gerathen,

.345 735 234 e, sodaß also den Einzelstaaten aus den Ueberweisungen

Icch will aber doch noch einen Blick werfen auf die Weise, wie

sie auf den Einzelnen wirken. Was giebt es Ungerechteres, fast

Grausameres, als Menschen im Kriege zu Diensten nöthigen wollen,

zu denen sie nit fähig sind? Ift es niht eine Grausamkeit, einen

nicht ausgebildeten Mann an den Feind zu bringen, der niht im stande

ist, sich mit der Waffe seines Lebens zu webren? Ist es nit eine

Grausamkeit, alte Leute wiederum „alte Leute“ im militärischen

Sinne in einem Bewegungskriege zu verwenden, in einem Kriege,

für den nun cinmal ihre Gliedmaßen nicht mehr binreihen? Muß

es nicht das Ziel einer jeden vernünftigen Organisation und Heer-

führung sein; den Rahmen fo zu gestalten, daß die Menschen je nach ihrer Qualification gebraucht werden können, daß fie aus dem Ein- zelnen den höchsten Nutzen herauszieht ? Thue ih das, wenn ih junge Leute ziehen lasse und alte einstelle? Nein. Wir können sehr wohl in die Lage kommen, wo auch der älteste Mann, au der Krüppel noch mitgehen muß. Die Türken haben uns vor Plewna gelehrt, daß, wenn man hinter dem Schüßengraben liegt und ein Gewehr hat, was ungefähr wie eine selbstthätige Maschine wirkt, man immer nur mit einer Hand berauszukommen braucht, die spannt, abdrückt, ohne daß der Mann si selbst einer nennenswerthen Gefahr ausfeßt, und daß doch cine fsolche Handhabung von Waffen von großem Nutzen sein kann. Wenn ich aber dieselben Leute, die in solchem Gebrauche à la Plewna nüyßlich sein können, im Feldkrieg gebrauchen wollte, Tag und Naht marschiren lassen wollte, alle An- forderungen an sie stellte, wie ich fie an die guten Feldtruppen stelle, so müßten ih diese Leute ruiniren. Ich habe die Behauptung aufgestellt, unsere Armee wäre in ihrer Kriegsorganisation zu s{chwach, zu alt und zu lose geworden; diese Behauptung erhalte ich vollkommen aufrecht. Jn dieser Behauptung liegt gegen keinen Menschen ein Tadel, Altwerden ist nicht tadelnswerth, der Tadel würde nur die treffen, die einen alten Menschen an der falschen Stelle gebrauchten. Ich habe aber auch und ich lege Werth darauf, das richtig zu stellen feine Aeußerung gethan, die dahin ginge, daß ich vom deutshen Soldaten irgendwie geringer dähte, wie von irgend einem der Welt, und ih bitte deshalb um die Erlaubniß, die bezügliche Stelle aus dem Stenogramm meiner leßten Rede vorlesen zu dürfen : „Wir haben noch heute personell nah meiner Ueberzeugung die

Ueberlegenkeit über jede andere Armee; unsere Generale sind besser, unsere Offiziere sind besser und unser Mann ist besser. Wir haben die Möglichkeit, unsere Stellung zu erhalten; aber woran es fehlt, das ift die Stärke und die Organisation. Wir sind zu s{wach, zu alt und zu lose in Bezug auf unsere Kriegsorganifation, und wir wollen verstärken, verjüngen und verbessern.“

Staatssecretär Freiherr von Malgtahn:

Der Herr Abg. Richter hat einen Saß der Thronrede bemängelt, mit welcher Seine Majestät der Kaiser den Reichstag eröffnet haben, und er bat gegen diejenige Stelle, welhe berufen war, den Entwurf dieser Thronrede aufzustellen, den Vorwurf erhoben, als fei der Ent- wurf fo aufgestellt, daß Seine Majestät etwas Unrichtiges an dieser Stelle gesagt haben. Diese Ausführung des Herrn Abgeordneten ift mir nur dann erklärlih, wenn er entweder den Wortlaut des be- treffenden Satzes in der Thronrede nicht genau beachtet hat, oder wenn ihn die genaue Kenntniß unserer Etatêverhältnisse, die' wir alle an ihm sonst kennen, in diesem Augenbkick vorübergehend verlassen bätte. Meine Herren, was sagt der- von dem Herrn Abg. Nichter citirte Say der Thronrede ?

Ungeachtet der nicht unerheblichen, im allgemeinen innerhalb der planmäßigen Grenzen \ih stellenden oder auf rehtlichen Ver- pflihtungen beruhenden Mehrausgaben, welche der Reichshaushalts- Etat für das nächste Jahr in Aussicht nimmt, werden die. Bundes- staaten in den ihnen gebührenden Ueberweisungen cine mehr als ausreichende Deckung für die allen gemeinsamen Matrikularbeiträge vom Reich empfangen.

Nun sagt der Herr Abg. Richter: „Es stehen im Etat 355 Millionen Matrikularbeiträge rund, 349 Millionen Ueberweisun- gen. Wie können diefe Ueberweisungen jene Matrikularbeiträge decken ?“ Das steht auch nicht in der Thronrede, sondern cs \teht n1r darin, taß cine mehr- als ausreihende DeckEung für die Allen gemein- samen Matrikularbeiträge wird gefunden werden. (Heiterkeit links.) Ich bitte, meine Herren, lachen Sie nicht, sondern vergegenwärtigen Sie sih die Lage unseres Etats. Jn den 355 718 797 Æ, welche als Matrifularbeiträge im Etat stehen befindet si{ch eine Summe von 9983 563 , welche fkeineëwegs gemeinsam von allen Staaten gctragen wrd, fondern welche diejenigen Staaten, welhe nicht zur Postgemeinschaft, niht zur Brausteuergemeinschaft u. |. w. gehören, vorweg als Aequivalent für diejenigen Steuern aufbringen müssen, welche innerhalb dieser Gemecinschaften aufgebraht werden. Erft wenn Sie diese Summe abziehen, kommen Sie auf den wirklihen Betrag der Matrikularbeiträge, welhe nach dem in der Verfassung bestimmten Maßstabe gemeinsam von allen Einwohnern des Reichs getragen werden, und dieser Betrag beläuft fih im Entwurf des Eta:s auf

über diefen Betrag hinaus noch eine Summe von 3 482 766 46 ver- bleibt. Ich glaube daber, daß der Sah der Thronrede vollkommen dem Inhalt der Etatsvorlage entspricht.

Der Herr Abgeordnete hat ferner einen Saß von mir nicht richtig citirt; er hat, wenn ih recht verstanden habe, gesagt, daß ih ausge- führt bätte, die Uebershüsse des laufenden Jabres seien bei den Ueberweifungstiteln fo gering, daß böchstens 14 bis Millionen an die Einzelstaaten fallen würden. (Abg. Richter: Nachträglich!) Das habe ich niht gesagt, sondern über den Etat hin- aus, (Abg. Richter: Gewiß, nachträglih!)) aber, meine Herren, der Etat selbst hai für die Einzelstaaten und ich nenue wieder die Zahl nach Abzug der Aequivalente eine Ueberweisung -von - netto 40505 219 4 in Aussicht genommen, ¡u denen diese 14 bis 15 Millionen für dies Jahr hinzukommen.

Der Herr Abgeordnete hat unter der Heiterkeit eines Theiles des hohen Hauses dargestellt, wie der Staatssecretär des Neicbs-Schaßzamts mit dem Hut in der Hand im Lande herumgereist sei, um die Finanz- Minister der Einzelstaaten um gütigen Rath und Belehrung zu bitten, woher wohl die Einnahmen genommen werden sollten, aus denen die Militärbedürfnisse gedeck werden könnten. Selbstverständlih ist diese Darstellung eine völlig irrige. (Widerspruch links.)

Die Ausarbeitung der Geschentwürfe, die Jhnen demnächst zugehen werden, i rechtzeitig innerhalb der Reichsbehörden erfolgt und zu der Zeit, als, was ih gar nit leugne, ich mi meiner Ver-

die nah meiner Ueberzeugung ftaatlich nicht länger zu dulden find.

pflihtung gemäß mit decn Finanz-Ministern der außervreußischen

Planes vollkommen fest, und ih habe mit den sämmtlichen Herren nur auf Grundlage der hier bereits ausgearbeiteten Grundzüge verhandelt und habe, wie ich gar nicht anders erwartet Habe, überall nicht nur Verständniß, sondern - vollständiges Entgegenkommen und fast in allen Punkten volle Uebereinstimmung mit dem, was ih vor- geshlagen habe, gefunden. Jch bin dem Herrn Abg. Richter dankbar, daß er nach dem vielen Unsinn, der in diefer Be- ziehung in den leßten Wochen und Monaten in der Presse geïtandén hat, mir eine Gelegenheit gegeben hat, dies mit cinigen Worten hier ausfprehen zu fönnen. Die Presse wußte allerdings, als die Con- ferenzen stattfanden, noch nicht, um was es sich handeln würde, und deswegen war auch die Beunruhigung noch nit vorhanden, von der der Herr Abg. Richter uns vorgeworfen hat, daß wir sie in den Taback hineingetragen bätten. Nein, meine Herren, das haben wir nit gethan, sondern die Erörterung über die Einnahmequellen, aus denen wir die Militärbedürfnifse decken wollten , find innerhalb der Reichsbebörden völlig fecret gehalten, und nur durch Indiscretion von anderen -Stellen sind fie hinausgekfommen, und die Presse bat fd» der Angelegenheit bemächtigt. Speciell, was den- Taback betrifft, fann ih dem Herrn Abgeordneten sagen, daß seit dem Beginne der Erörterungen bis zu dem Moment, wo die Angelegenheit an den Bundesrath gekommen ift, mit Ausnahme einer einzigen Notiz, durch die ih eine irrthümlihe Nathricht der Presse richtig gestellt habe eine Notiz im „Reichs-Anzeiger“ keine Silbe von mir in die Oeffentlichkeit gekommen ift, sondern nur durch den Interessenten selber. Aber, meine Herren, es war bekannt, daß für die militärischen Ausgaben Mehreinnahmen gefordert werden follten, und die Herren. von der Tabacksindustrie haben felber genug seit Jahren für die Be- unrubigung in ihrem Kreise gewirkt.

Nun sagt der Herr Abg. Richters daß die 58 Millionen, die ih

vorher vorgerechnet batte, noch nicht einmal an die 64 Millionen beranreichten, die aus der neuen Militärvorlage demnächst als Mehr- aufwand entstehen würden. Ja, das ist richtig, aber diese Mehr- ausgabe von 64 Millionen entsteht jeßt noch nicht, sondern erst nah Verlauf von mebreren Jahren, und nach den Erfahrungen, die ih bisher über die Stellung des Reichstags gemacht habe, namentlich aber nah den Erfahrungen, die ih über das Verbalten der deutf{- freisinnigen Parteien in Steuerfragen gemacht habe, habe ih es für völlig unmöglich gehalten, daß die deutshfreisinnige Partei den ver- bündeten Regierungen einen Pfennig mebr Einnahmen bewilligen würde, als sie im Augenblick bedürfen. Wenn die Herren in diefer Bezichung anderer Meinung find und uns Einnahmen im voraus bewilligen wollen, so würden wir uns cinem solchen Entgegenkommen gegenüber keineëwegs ablehnend verhalten. Dann, meine Herren, möchte ich no cinen Punkt erwähnen. Der Herr Abg. Richter hat sih darüber beklagt, daß er und viele seiner Collegen mit Zuschriften von Beamten darüber übers{hwcmmt würden, daß die Beamtenbesoldung nit endlih weiter fertgeführt werde, und daß sie dann immer antworten müßten: Wegen der Militärvorlagen geht cs nicht. Demgegenüber will ih doch noch einmal daran erinnern, daß bereits während meiner Amtszeit die verbündeten Regierungen eine Vorlage betreffs Erböhung von Beamtenbesoldungen Ihnen vorgelegt baben, weldbe im Reichstage und speciell auf Betreiben der freisinnigen Partei sebr wesentli be- schnitten worden ift. Hätten die Herren damals diese Vorlage an- genommen, so würde eine große Kategorie der Beamten bereits heute im Besitz einer Mehreinnahme sein. (Bravo! rechts.)

Abg. von Kardorff (Rp.): Den Grenzbewohnern liege die Frage einer PEreR rang näher als vielleicht anderen Bewobnern der Monardie; daß cine Militärvorlage kommen würde, babe man ja gewußt, denn der Reichskanzler habe s{on im vorigen Jahre erklärt, daß die höhere Bevölkerungsziffer ausgenußt werden müsse. Un- erwartet sei allerdings die finanzielle Wirkung der Vorlage und der Umfang der Neuformation. Man habe nicht geglaubt, daß man von den bisherigen Traditionen in der Armce in diefer Beziehung abgeben würde. Seit 25 Jahren hätten die conservativen Parteien gekämpft für die Aufrechterhaltung der dreijährigen Dienstzeit, und zwar auf Grund der höchsten militärishen Autoritäten. Schon in der Con- flictszeit habe Kriegs-Minister von Roon auf die Möglichkeit der Ein- führung der zweijährigen Dienstzeit der Infanterie hingewiesen. Gleich- wohl habe der hohjelige König Wilhelm mit eiserner Festigkeit an der dreijährigen Dienstzeit festgehalten, und Feldmarschall Moltke fei bis zuleßt, wie er glaube, ein Gegner der zweijährigen Dienstzeit gewesen. Er (Redner) erkenne an, daß die zweijährige Dienstzeit ihre erheblichen Vorzüge babe, namentlih in Bezug auf die älteren Leute, die etwas dadur geschont würden. Das Urtheil der militärishen Auteritäten gehe dahin: Was wir an Quantität gewinnen, verlieren wir an der Qualität der Armee. Das wäre ein bedenkliches Ergebniß. Die politishe Lage \ci eine fchr friedlihe, und seine (des Redners) Partei freue sich, daß auch das Ber- hältniß zu Rußland ie bessere. Er bedauere auch mit dem Neichs- kanzler, daß die deutsche Presse, namentli die Wißgblätter, in unwver- antwortliher und die Ruffen aufs tiefste belcidigender Weie dic russishen Zustände augriffen. Viel gefäbrlicher aber für den euro- päischen Frieden seine ihm ein anderer Vorgang zu fein. Der Abg. Dr. Leber habe in der Mainzer Katholikenversammlung für die Wieder- herstellung der weltlihen Macht des Papstes gesprohen. Man reifsse, daß die Führer nit Deutschland deshalb in einen abentenerlichen Krieg verroickeln wollten. Aber man wisse auch, daß sole Aeuße- rungen in Jtalien niht unbeachtet eblieben seien, namentlih da fich eine gewisse Neigung ¿u Frankreich breit madhe, die in der lezten Zeit immer mehr zugenommen habe. Auf das nationale Empfinden mache es feinen guten Eindruck, wenn von der weltlichen Hecrschaft des Da gesprochen werde. Er erinnere an die Rede Crispi?s in

lermo. Man möge über Criépi als Staatsmann denken, wie man wolle: cins aber werde man faum bezweifeln können, daß Crizpi stets einen außerordentli feinen Instinct für die verschiedenen Strömungen der öffentlichen Meinung in Jtalien gehabt habe. Wenn er alfo fo gesprochen habe, wie es bekannt sei, so lasse das leider einen Nü- \chluß zu, daß in Jtalien eine franzosenfreundlichere Strömung, als je bisher gewesen sei, herrsde. In Frankreih erwarte man den usgang des Experiments, weldes mäß hier mache; von ciner Be- unruhigung sei da garnihts zu merken, und die Ablehnung der Vorlage würde also dort auch keinen Eindruck machen. Finanziell un- möglich sei die uns der 60 Millionen allerdings niht: aber die wirthschaftlichen Verhältnisse seien durhaus nicht gut. Den wirth- schaftlichen Rückgang der Industrie habe der Reichskanzler {hon er- wähnt. Aber auch die Landwirthschaft stehe niht überall glänzend da. Der guten Kornernte stehe cine sehr s{lechte Futterernte und eine minderwerthige _Zuerrübenernte gegenüber. Die Land- wirthschaft erlcide a ua Verlust durch die Maul- und Klauen- scue: man shäße den Verlust auf 40 Millionen Mark. Wenn man den Steuersay für den Branntwein von 50 auf 55 4 erhöhen wolle, so bedeute das namentlich für die fleineren Brenner einen größen Ausfall. Das Land entvölfkere sih fortdauernd und die _Re- gierung habe diesem Mißstande bisber mit {önen Worten gegenüber- gestanden; namentli habe sic in der Währungsfrage nihts gethan. Der Rückgang der Landwirthschaft bedeute auch die Verminderung der Wehr- fraft des Landes, deshalb müsse der Landwirtbschaft geholfen werden.

Bundesftaaten in Verbindung geseßt habe, standen die Grundzüge dieses

Hierauf vertagt sih das Haus. Schluß 41/2 Ukr.

Zweite Beilage

- S.

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

M 2D

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstag is eine Denkschrift, betreffend die Vor- bereitungen für die Betheiligung des Reichs an der Welt- ausftellung in Chicago, zugegangen. Es ist ihr zu entnehmen, daß die Vorarbeiten soweit vorgeschritten sind, daß der mit ihrer Leitung betraute Reichscommissar seinen Amtssiy demnächst nah Ébicago zu verlegen haben wird. Bundesrath und Reichstag baben die Wichtigkeit des Unternehmens für die Gestaltung unseres überseeischen Ausfuhrhandels anerkannt, indem durch den Nachtrags8- Etat zum Reichshauéhalts-Etat für 1891/92 und durch den Ergänzungs- Etat zum Reichshaushalts-Etat von 1892/93 Kap. 3 Tit. 3 ins- gesammt drei Millionen Mark zur Bestreitung der aus der Betheiligung des Reichs an der Ausstellung erwachsenden Kosten bereitgestellt wurden. Die Erwartungen wegen einer regen Antheilnahme der deutschen In- dustrie sind durch die Thatsachen übertroffen worden. Man rechnete auf etwas mebr als 2000 Aussteller, d. h. etwa das Doppelte der zur Aus- stellung in Philadelphia zugelafjenen Theilnehmer. _ Wahrscheinlich aber wird ihre Zahl si auf rund 4009, d. h. auf annähernd das Doppelte desjenigen belaufen, was im Frühjahre dieses Jahres angenommen werden durfte. Das Ausstellerverzeichniß fübrt bis jeßt 25 Gruppen auf, welche hervorragend und würdig vertreten sein werden und ein weites

eld der deutschen Gewerbsthätigkeit umfassen. Innerhalb diefer Gruppen ollen die je einer Gruppe angehörenden Aussteller ihre Waaren in gleichartigem und gemeinsamem Rahmen zur Schau bringen, ohne deshalb auf ihre Eigenschaft als Einzelaussteller und auf die selbständige Entfaltung ihrer Erzeugnisse innerhalb des Rahmens zu ver- zihten. Im einzelnen sind zu erwähnen: die Weinausfstellung, welche nahezu 300 Aussteller aus den bedeutendsten deutschen Weinbau- gebieten (Rheinpreußen, Rbeingau, Rhbeinbayern, Franken, Württem- berg, Baden, Hessen, Ober-Elfaß, Unter-Elsaß, Lothringen) aufweist; die Garten- und Obstbauausfstellung, deren Organisation zwar nv niht abges{lofsen ist, welche indeß ebenfalls ein wirfungs- volles Bild der deutichen Blumen- und Obstbauzucht erhoffen läßt; die Bergbauausstellung, in welcher neben einer Collectiv- auéstellung des preußishen Staatsbergbaues _auch bedeutende vrivate Bergwerkseigenthümer, sowie die Staßfurter _Kaliwerke vertreten sein werden: die Ausstellung deutscher Bäder und Brunnen, welcher nahezu 50 Bäder angehören ; die Ausstellung von lebendem Vieh, mit Ausstellungen von Zuchtpferden aus Ost- preußen, Oldenburg und Schleswig-Holstein; die Maschin ausftellung, welhe, die Aussteller landwirthschaftliher Maschinen und Geräthe eingerechnet, gegen 100 Theilnehmer aufweist; die Elektricitätsaus stellung, an welcher \sih ungefähr 40 eleftro- technische Firmen betheiligen, von denen mehrere an der allgemeinen Beleuchtung der Ausftellung mit Bogen- und Glüblichtern, sowie mit Scheinwertern betheiligt sein werden; die Ausstellung von Instru- menten der Feinmechanik sowie die Ausstellung des deutschen Graveurvereins mit etwa 50 und 20 Ausstellern; die Ausstellungen der Architektur und des Ingenieurwesens, welche die bedeutjamsten neueren Schöpfungen und Erfindungen auf dem Gebiete des Hochbau-, Tiefbau- und Maschinenbauwesens in einer umfassenden Sammlung von S und Modellen zur Veranscbauli@ung bringen werden ; die Ausstellung chemischer und verwandter Erzeugnifse, in welcher etwa 100 Aussteller ein nahezu vollständiges Bild der deutshen Pro- duction liefern werden; die Auéstelung des Buchgewe rbes mit gegen 340 Ausstellern, welche sämmtliche Zweige des Drutereigewerbes (Buchdruck, Steindruck, Holzschnitt 2c.), fowie den Buch, Kunst- und Zeitschriftenverlag umfaßt; die Ausftellung photographischer Teistungen; die Ausstellung der dur Frauenhand ge- fertigten Erzeugnisse und Werke, welhe in einem beson- ders zu diesem Zweck bestimmten Gebäude Play finden soll; die Ausstellung der deulshen Kunst, welche eine umfangreiche Sammlung von neuercn Gemälden und Bildwerken enthalten foll; endli die Ausstellung des deutschen Scchul- und Erziehungs- wesens. : S

Außer diesen, die Aussteller aus dem gesammten Reichsgebiet in si vereinigenden Gruppen sind noch eine Reihe weiterer Gruppen gebildet worden, welche die Erzeugnisse einzelner, auf einem bestimmten industriellen oder gewerblißen Gebiet besonders hervortretenden Industriecentren in übersichtliher Weise zur Darstellung bringen sollen. Dabin gehören die Gruppen der Nürnberg-Fürther Spiel- waaren-, Spiegel- und Metallwaarenindustrie, der Spielwaaren- industrie von Sonneberg, Gotha, Walterthausen, Ohrdruf mit zu- fammen ungefähr 120 Ausstellern, der Textilindustrie des Königreihs Sachsen mit etwa 130 Auëstellern, der Sammet- und Seidenindustrie Krefelds, der Krefelder kirchlihen Kunst, der Edel- metallindustrie von Hanau, Pforzheim, Schwäbisch Gmünd und endlich der Fächerindustrie des Königreihs Sachsen. E

Neben diesen Sonderausstellungen is eine Anzabl fonstiger Industriezweige, wenngleih nicht in Gruppen zusammengefaßt, do so nachaltig vertreten, daß sie aller Voraussicht nah zu einem ein- druckévollen und würdigen Gesammtbilde das ihrige beitragen werden ; darunter beispielsweise die Bronze- und Schmiedeeiseninduftrie, die L die Zimmerauéstattung und Möbelfabrikation, die

roßeisenindustrie, die Porzellan- und Thonwaarenindustrie, die Fuwelierarbeiten, die Uhrenindustrie, die Lederwaarenindustrie, die Aealios medizinischer und cirurgischer Instrumente, die Fabri- ation von Musikinstrumenten. 7 : L /

Die Deutschland zugewiesenen Räume im Industriegebäude, in der Kunstgalerie, im Maschinengebäude, in der Elektricitätshalle, in dem Gebäude für Tranéportwesen, im Bergwerksgebäude und in der Landwirthschaftshalle befinden si fast sämmtlich in bevorzugter Lage und stehen auch hinsichtlich ihres Umfangs mit den den übrigen Nu eten zugewiesenen Pläßen auf gleicher Stufe. Vie

äumlichkeiten sind im wesentlichen bereits seit längerer Zeit fest- gelegt, und es haben dana die Gruppen und Einzelaussteller die für fie verfügbaren Pläße zugemessen echalten. Die Absendung der Güter und Ausftattungsstüke hat begonnen und wird d bis in die ersten Wochen des kommenden _ Jahres inein erstrecken; sie erfolgt auf Grund der von Seiten des Reihs- commifssariats ausgearbeiteten Transportvorschriften und unter Beob- atung derjenigen Formalitäten, welche zur Erlangung der zoll- is Einfubr und der auf den deutschen und amerikani]chen Eifen-

ahnen, sowie auf dem Seewege bewilligten Tranéportvergünstigungen vorgeschrieben sind. Der Katalog der deutshen Abtheilung wird in deutscher, englischer und spanischer Sprache herausgegeben werden.

__ Die steigende Betheiligung von Industrie und Kunst hat einen nit unerbeblichen Einfluß auf die Verwendung der dur den Reichs- baushalts-Etat vorgesehenen Mittel auëgeübt. Um die Gruppen und die Cinzelaussteller in der gefennzeichneten Weise zusammenzufassen, bedurfte es vielfach beträchtlicher finanzieller Aufwendungen, die die zur M rtmna stehenden Reichsmittel um etwas mehr als ein Viertel in Anspru nahmen. An eigenen baulichen Anlagen hat Deutschland vornehmli ein sogenanntes Staatsgebäude zu errichten, wie es seitens der Mehrzahl der anderen Länder ebenfalls geshieht. Der Plan zu Bee Gebäude hat sich feither insofern erweitert, als einzelne Aus-

ungsgruppen in seinen für folhen Zweck hervorragend gelegenen „unl ies gilt insbesondere für die Gruppe der kirhlichen Kunst, auf deren eindrucksvolle Vorführung um so höherer Werth gelegt wird, als Amerika für die Erzeugnisse dieses Industriezweiges ein lohnendes A bildet. Für diese Gruppe mit ihrem Altarschmuck, den Paramenten, Gewand-

Fräumli feiten unterzubringen waren

inene-

Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember

stüden, Glaëmalereien u: f. w. i in dem deutshen Staatëgebäude ein fapellenartiger Bau hbergerihtet. Ferner foll in dem Staats- gebäude die Collectivausstellung des Buchgewerbes Plat finden, weil auch für dies Gewerbe in dem Industriegebäude ein geeigneter, namentlich den binsihtlich der Lichtwirkung für Stiche, Drucke 2c. zu stellenden Anforderungen genügender Raum nicht vorhanden war. Durch die infolge dessen nothwendig gewordene Erweiterung des Bauwerks, an dessen Errichtung sih übrigens eine große Anzahl von nambaften Baufirmen und Gewerbetreiberden dur kostenlose Her- abe von Materialien und unentgeltlihe Ausführung bestimmter Bauarbeiten in entgegenfommender Weise betbeiligt hat, ist es noth- wendig geworden, über die ursprünglich gedahte Bausumme hinaus- zugeber, fodaß die gesammten Baukosten sih auf etwa 350 000 Æ belaufen dürften. Die Summe hält den von anderen betheiligten Nationen für den gleichen Zweck aufgewendeten Mitteln ungefähr die Waage. 5 2 : ;

Neben diesem Staatsgebäude haben noch einige weitere bauliche Einzelanlagen hergestellt werden müssen, um die Ünterbringung ver- schiedener, in die allgemeinen Ausstellungsgebäude nicht passender Gegenstände auf den für Deutschland im Freien reservirten E zu ermöglihen; fo namentlich die Unterbringung der Erzeugnisse des Kriegsbedarfs welche eine eigenartige Entfaltung erheischen, ferner gewisser maschineller Vorrihtungen und endlih der in einem Keller- raum auszustellenden Erzeugnisse des Weinbaues. L

Was die dem Reich obliegende Decorationspflicht anlangt, so er- streckt si dieselbe im wesentlichen auf die würdige Ausshmückung der deutschen Abtheilungen in den großen Ausftellungsgebäuden.

Die Gesammtsumme der für decorative und bauliche Zwedcke veranschlagten Ausgaben belävft sich auf reihlich ein Drittel, d. i. eine Million Mark, des Etatsbetrages.

Zu den dem Reich zur Last fallenden Ausgaben werden nunmehr, soweit si zur Zeit übersehen läßt, noch binzutreten : 1) die Kosten des Transports der vom Reich zu entsendenden Gegenstände, 2) die Prämien für die Versicherung diefsgr Gegenstände gegen Transport und Feuerêgefabr, 3) die Reisekosten und Kosten des Aufenthalts in Chicago für das dem Reichscommifsariat angehörige Personal und für cine Anzahl zu entsendender Sachverständiger, 4) die Löhne für die in Chicago zu beshäftigenden Arbeiter, 5) die Ausgaben für Her- stellung eines Katalogs der deutschen Abtheilung. S

Non diesen Ausgaben lassen sich nur diejenigen unter 9, welche ih in mäßiger Grenze halten werden, {hon jeßt mit Genauigkeit feststellen. Dagegen können die Aufwendungen für die unter 1 bis 4 bezeichneten Zwet nur shäßzungsweise veranschlagt werden. Nach den vorliegenden Anhbaltspunkten dürfte für diese Leistungen ein Betrag von mindestens einem Viertel der Etatssumme, also 750 000 #4, zur Verfügung zu halten sein. Werden sich die Annahmen, melche hierbei maßgebend waren, in der Wirklichkeit bestätigen, so bleibt noch ein Betrag von etwa 400000 #4 bis 500000 # zur Verfügung. Hieraus darf entnommen werden, daß die bisherige Art des Vor- géhens den Vorausseßungen entspricht, unter welchen die Bewilligung der Etatsmittel erfolgt ist.

Der Vorstand des Wahlvereins der Deutschen Con- servativen hat für einen in den nächsten Tagen in Berlin zusammentretenden Parteitag folgenden Entwurf eines neuen Programms zur Beschlußfassung festgestellt :

Die deutsche conservative Partei, unter Aufrechterhaltung ihres oa von 1876, hâlt es für geboten, in Anlehnung an diese

ewährten Grundsäße zu den wesentlihen Aufgaben der Gegenwart in nadstehendem Programm Stellung zu nehmen:

1) Wir wollen die Erhaltung und Kräftigung der criftlichen Lebenéanshauung in Volk und Staat und erahten ihre praftische Bethätigung in der Geseßgebung für die unerläßliche Grundlage jeder gesunden Entwickelung. E i

Staat und Kirche sind von Gott verordnete Einrichtungen ; ein Zusammenwirken beider ist die nothwendige Borbedingung zur Ge- sundung unseres Volkslebens. e

Mir erkennen einerseits dem Staat das Recht zu, kraft seiner Souberänität, sein Verbältniß zur Kirhe zu ordnen; andererseits wollen wir keinen Gewissenszwang und deshalb kein Uebergreifen der staatlihen Gesetzgebung auf das Gebiet des inneren firlihen Lebens. Fn diesem Sinne werden wir auch für das gute Ret der evangeli- schen Kirche auf selbständige Regelung ihrer inneren Einrichtungen eintreten.

Die confessionelle christlihe. Volksshule erahten wir für tie Grundlage der Volkserziehung und für die wichtigste Bürgschaft gegen die zunehmende Verwilderung der Mafsen und die fortschreitende Auf lösung aller gesellschaftlicen Bande. L ;

Wir bekämpfen den vielfah sich vordrängenden und zerseßenden jüdischen Einfluß auf unser Volkfsleben. : E e

Wir verlangen für das christlihe Volk eine christlihe Obrigkeit und christliche Lebrer für christlihe Schüler. l :

Wir verwerfen die PNSLPrer ungen des Antisemitismus.

2) Wir wollen die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichéverfassung in nationalem Sinne stärken und ausbauen. Wir wollen, daß innerhalb dieser Einheit die berehtigte Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten und Stämme gewahrt werde. :

Wir wollen in Provinz, Kreis und Gemeinde eine Selbstverwal- tung erbalten, gegründet nicht auf das allgemeine Wahlrecht, sondern auf die natürlichen Gruppen und organischen Gliederungen des Volks.

3) Wir wollen die Monarchie von Gottes Gnaden unangetastet erbalten wissen und bekämpfen, bei geseßlih gesiherter bürgerlicher Freiheit für alle und bei wirksamer Betheiligung der Nation an der

eseßgebung, jeden Versuch, die Monarchie zu unsten eines parla- mentarishen Regiments zu beshränken. , /

4) Wir können nur eine jolde Weiterbildung unseres öffentlichen und privaten Rechts als segensreih anerkennen, welche, auf den realen und geschihtlich gegebenen Grundlagen fußend, den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird und damit die Stetigkeit unserer gesammten politischen, focialen und geistigen Entwikelung sichert. |

Mir Si ah ei E S Geseßbuh von deutsh- nationalem Rechtsbewußtsein getragen werde. /

5) Für die gebotene Sparsamkeit bei allen öffentlichen Ausgaben in Reich und Staat treten wir ein zur Erhaltung der wirthschaft- lichen Wohlfahrt und der Steuerkra des Volls. i

6) Wir sehen in der vollen We rkraft des deutschen Volks eine unerläßlihe Bedingung für die SNachtstellung der Nation und für die Erhaltung des Friedens. _ Í : i ¿a

7) Die maßvolle Fortführung einer zielbewußten Colonialpolitik

unter dem des Reichs werden wir S ea / 8) Wir stehen auf dem Boden der Allerhöch ten Botschaft vom 14, O L wae die O r praktischen Christen- thums in der eßgebung zur g brin h y Die auf Grund dieser Botschaft erlasserfen Gesetze, bctreffend die Einrichtung von Krankenkassen, die Versicherung gegen Unfall und die Invaliditäts- und Alterspersicherung bedürfen der - tereinfahung.

Wie wir für die Besserung der Lage der Arbeiter, unter erheb- licher Belastung der Arbeitgeber, eingetreten ind, so halten wir nah wie vor die Stärkung des Mittelstandes in Stadt und Land und die Beseitigung der Bevorzugungen des großen Geldkapitals für die drin- gendsten Aufgaben der Socialpolitik.

1892.

Wir fordern ein wirksames Einschreiten der Staatsgewalt gegen jede” gemeïnschädliche Erwerbethätigkeit und gegen die undeutshe Ver- leßung von Treu und Glauben im Gefschäftsverkehr.

9) Wir erstreben eine Gestaltung des Erb- und Familienrechts, welche die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes gewährleistet.

Die Einführung einer zweckentsprechenden Heimstätten-Gesezgebung für den fleineren Grundbefitz und die Veberführung de#.au? dem Grundbesiß lastenden Hypothekarverschuldung in zu atfortisirende Rentenschuld erachten wir als wünschenswerth. L

10) Für die Landwirthschaft, welche unter der Ungunst des Welt- marftes, der internationalen Währungsverhältnisse und der inneren wirthschaftlichen Entwielung leidet, ist der beftehende Zollshuß auf- recht zu erhalten, im weiteren aber ein ausreichender Zollshuß för die Zukunft anzubahnen; au ist für die Umgestaltung der Gefeß ebung, detreffend den Unterstüßungswohnsiy im Sinne ausgleihender Gerech- tigkeit Sorge zu tragen. i

11) Für die Industrie ist der durch die Concurrenz des Aus- landes bedingte Zollshuß aufrecht zu erhalten und, wo nöthig, zu verstärken. L E ;

12) Für das Handwerk erscheint vornehmlich die Einführung des Befäßigungsnachweises, die Stärkung der Innungen und JFunnungs-

erbände, die Begründung und Fösrderung genossenschaftliher Ver- einigungen geboten. Redlicher Handel und Gewerbebetrieb ist zu schüßen durch Beschränkung und Beaufsichtigung des Hausirbanzels und der Abzablungsgeschäfte, sowie dur die Beseitigung der Wander- lager und der Wanderauctionen. : E :

13) Die Börsengeschäfte find durch eine Börsenordnung wirk- samer staatlicher Aufsicht zu unterstellen; insbesondere iît dem Miß- brau des Zeitgeshästs als Spielgeshäst, namentlich in den für die NVolksernährung witigen Artikeln, entgegenzutreten. /

14) Die Änbänger der Socialdemofratie und des Anarhismus, deren vaterlandslose und auf den Umfturz gerichtete Bestrebungen weite Kreise unseres Volks gefährden, sind als Feinde der ftaatlihen Drd- nung dur die Gesetzgebung zu tennzeihnen und demgemaß mit den Machtmitteln der Staatsgewalt zu bekämpfen. S

15) Einer gewissenlosen Presse, welhe durch ihre Czzeugnisse Staat, Kirche und Gesellschaft untergräbt, ist nahdrücklich entgegen-

utreten. :

y Hochhaltung von Christenthum, Monarchie und Vaterland, Scußz und Förderung jeder redlihen Arbeit. Wahrung berechtigter Autorität, das find die obersten Grundsäße, welche die deutsche conservative Partei auf ihre Fahne geschrieben hat.

Literatur.

Es wird unsern Lesern von Interesse sein, daß die biesige*König- liche Bibliothek das kürzlih erwähnte, in ihrem Besiß befindliche Original des von Luther im Jahre 1517 veranstalteten Drucks seiner Thesen, welche er an die Shloßkirhe zu Wittenberg ans{lug, dur Lichtdruck vervielfältigen ließ. Die genau facsimilirte Nachbildung ist in K Mittler'shen Buchhandlung, Mohren- straße 19, für 1 4 fäuflih.

Mislitärisches.

Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General-Feldmarshalls Grafen Helmuth von Moltke. Sechster Band. Briefe an seine Braut und Frau. Verlag von E. S. Mittler und Sobn (Berlin) und der Deutschen Verlags-An- stalt in Stuttgart. 1892. Preis geh. 8,40 Æ, geb. 109 A Schon die Briefe Moltke’'s an seinë Mutter, Geshwister und andere Ver- wandte baben uns gezeigt, daß in der Brust des bei feinen Lebzeiten den weiteren Kreisen des Volkes nur als der große Sdladtenlenter befannten Strategen die Gefühle findliher Liebe und Dankbar- feit, warmer und fürsorgender Freundschaft mit größerer Lbendigfkeit und Innigkeit herrschten als bei der Mehrzabl der übrigen Menschen. Dot lernen wir den ganzen Edelmuth dieser erhabenen Seele, die Weichheit seines Gemüths und sein reges Interesse für philosophische und religiöse Fragen, für Kunst und Wissenschaft in vollstem Maße erst aus den jeßt vorliegenden Briefen an feine Braut und Frau fennen. Die aus den Jahren 1841 und 1842 berrührenden Briefe an die Braut und die von 1843 bis 1868, dem Todesjahre der Gattin, an diese erihteten Briefe geben ein anziehendes Bild von dem glüdcklihen Verhältniß, das unverändert 27 Jahre hindur zwischen Moltke und seiner Frau bestanden hat. Außerdem werden diese Briefe aber au das lebhafteste Interesse erregen, weil fie Moltke's Eindrücke auf seinen vielen Reisen, an den verschiedenen europäischen Höfen in England, Spanien, Jtalien, Rußland und Oesterrei wiedergeben, seinen Sinn für die Schönheit der Natur, für die Kunst und seine scharfe dabei doch stets wohlwollende Beobahtung der Menschen hervortreten lassen, und endlich weil sie sämmtli als Muster klassischen deutshen Stils gelten können und von neuem den Beweis liefern, daß Moltke zu den bedeutendsten Schriftstellern Deutschlands gehörte. Eine willkommene Ergänzung dieser Briefe bilden die im Anhang gegebenen Briefe Moltke's an andere Ver- wandte, und Briefe seiner Schwester Auguste und der Frau von Burt aus den Jahren 1368 bis 1890. _ : ;

Die Kriegsartikel für den Dienstunterricht, er- flärt und dur Beispiele erläutert von Paul von Schmidt, General-Major z. D. Berlin 1892. Verlag der Liebel’shen Buchhandlung. (Preis 1,50 4). Troß der zahlreichen, zumeist recht brauhbaren Bücher über dasselbe Thema, die bereits als Hilfsmittel für den Unterricht des Soldaten dem jungen Offizier zu Gebote stehen, ist doch das jeßt vorliegende Werk zu begrüßen, einmal weil die Schwierigkeiten dieses Gegenstandes dur jede neue - sahverständige Bearbeitung vermindert werden, dann aber au, weil es dem Verfasser gelungen ist, mit zahlreichen gut ge wählten Beispielen dem militärishen Lehrer neue Gesichtspunkte für diesen Unterricht zu geben, Interessant ist au der als Einleitung der kleinen Schrift vorangestellte Beitrag „Zur Geschichte der Kriegs- artikel“, weil über ihre Entwickelung von den ersten vom Kurfürsten Albrecht Achilles im Jahre 1478 erlassenen Kriegsartikeln bis zur

Gegenwart berichtet wird. G 9 und Unterricht.

Erziehun Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten von J. Hopf und K. Paulsiek. Zweiter Theil, erste Abtheilung: für

Tertía und Unter-Secunda. Zwanzigste, den neuen Lehrplänen Hob,

abgeänderte Auflage, bearbeitet von Professor Dr. phil. R. Foß, Director des Luisenstädtishen Realgymnasiums zu erlin. erlin, E. S. Mittler u. Sohn, Königliche Po handlung. Nach dem Tode des Directors Paulsiek, der dieses Lesebuch lange Jahre und viele Auflagen indurch eifrig und - mit Erfolg sörderte, hat Professor R. Foß das Buch auf Grund der neuen Lehrpläne umgearbeitet, erweitert und erneuert. Besonders mußten im Prosa- theil Aenderungen vorgenommen und der neueren Zeit dur den nordischen eine eingehendere Berüsichtigung zu theil werden. Die

nordì und germanishen Sagen sind an den Anfang der poetisi

und | rosa-Stiuke niet worden ; L sollen das Gefühl das Volksthümlihe und echt Deutsche erwecken und anregen. Statt der Uebersetßungen, die in den früheren Ausgaben des Lesebuchs

von den altdeuts eldenliedern geboten wurden, find die neuesten

und besten Nachdichtungen gewählt. Im übrigen hat sich der Heraus- geber bemüht, den Grundzügen zu folgen, die sein Vorgänger für die