1912 / 107 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 03 May 1912 18:00:01 GMT) scan diff

„den Reichskanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, a. daß es den Ansiedlern dur angemessenen Kredit“ ermöglicht wird, die Bohrungen nach Wasser auf ihren Farmen durch rivate Unternehmer ausführen zu lassen, damit \ih die taatlihen Bohrkolonnen in der Be der Wasfser- ershließung auf dem Kronlande widmen können, b. daß der Fiskus künftig möglichst nur solhe Farmen ver- kauft, auf denen genügend Waffer vorhanden ist.“

Zu den Einnahmen liegen folgende Kommissions- refolutionen vor :

I. „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, bis zur dritten Lesung des Etats sih damit einverstanden zu erklären, daß vom Jahre 1912 ab bis auf weiteres die „Erlöse aus den Land- verkäufen“ einschließlich der Restkaufgelder und rückständigen An- siedelungsbeihilfen als Teilkapital für eine öffentlich-recht- lihe Landeskreditanstalt in Südwestafrika verwendet und eine solche alsbald ins Leben gerufen wird.“ i

I]. „Den Reichskanzler zu ersuchen, die erforderlichen Maß- nahmen gegenüber der Kaoko Land- und Minengesellshaft behufs Durchführung der Bestimmungen der Bergverordnung vom 8. August 1905, besonders der Schürffreiheit in dem gesamten PRNNE dieser Gesellschaft, zu treffen, b. den Neichskanzler zu er- \uchen, Anordnung zu treffen, dur die in den Schußgebieten

1) für die in den Bergwerken beschäftigten Personen

a. Ott hender Schutz für Leben, Gesundheit und gute en, b. geordnete Krankenpflege, gesiherte Unfallfürsorge herbeigeführt wird;

2) diese Personen gegen Schädigungen durch ungeelgnete Lohn- und Arbeitsbedingungen, Ey unangemessene Strafen und bei Aufhebung des Arbeitsvertrages durch willkürliche Schadensersaßansprüche sowie dur Verweigerung der Kosten der Heimfahrt FINON werden.“ E

Abg. Ledebour (Soz.): Wir haben folgende Resolution ein- gebracht: den Reichskanzler zu ersuhen, er wolle dafür sorgen, daß die Verordnung aufgehoben wird, durch die den Eingeborenen die E von Großvieh nur nach der für jeden Fall einzuholenden

nehmigung durch den Gouverneur gestattet ist. Nach dem Auf- stande wurde sämtlichen Stämmen, die unterworfen waren, ihr Land fortgenommen. Man hat sie teils in Reservaten interniert, teils sofort in den Dienst der Farmer gegeben. Schon 1906 und 1908 haben wir den Antrag gestellt, in dem der Reichskanzler ersucht wird, den Ein- geborenen so viel Land zurückzugeben, daß sie darauf ihren Lebens- unterhalt in selbständigen Betrieben gewinnen können. Dieser An- trag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Dadurch, daß man den Eingeborenen das Land fortgenommen hat, wurde ihnen die Viehhaltung unmöglich gemaht. Auch wurde eine diesbezüglihe Verordnung erlassen. Das Verbot der Viehhaltung kann doh nicht damit be- gründet werden, daß durch die Viehhaltung eine Aufstandtgefahr geshaffen wird. Aber der Grund ist einfach der, daß man die Ein- eborenen zwingen will, den Farmern als Ausbeutungsobjekt zur erfügung zu stehen. Eine größere Zahl von Ochsen, Kühen,. ärsen und Kälbern findet sich nur in dem Bezirk der Bastarde von ehoboth, die sich an dem Aufstande nicht beteiligt hatten. Von 7000 Haupt Vieh, die in Deutsch Südwestasrika gezählt werden, ent- fallen auf die Bastarde allein 3500; diese mögen also genügend Vieh haben; aber 3500 Haupt für eine \{chwarze Bevölkerung von 70000 Köpfen ist absolut unzureichend. Die Eingeborenen haben ihre Viehzucht früher in Großfamilien von etwa 50 Personen etrieben; die weißen Farmer machen es ebenso; im Durchschnitt ann man auf jede Farm 8 Eingeborene mit ihren Familien rechnen. Dieser Eingeborenen bedürfen die Farmer dringend, sie haben ein roßes Interesse daran, daß die Eingeborenen. niht zu Kräften ommen. Die Verwaltung hat dem Drängen der ausbeutenden Farmer bisher nahgegeben, das liegt aber nicht im Interesse der Kolonie und nicht im Interesse der kulturellen Entwicklung. Die Ein- geborenen dürfen nicht als widerwillige Halbsklaven auf den Farmen arbeiten; ihr heutiges Verhältnis is ein viel \{limmeres als das der preußishen Landarbeiter. Darum unsere Resolution. Der E, ist zur Annahme dieser Resolution verpflichtet, denn das indirekte Viehverbot wird ja von der Regierung benußt, um die frühere Entschließung des MNeichstages, den Eingeborenen genügend Land zu geben, niht zur Durchführung kommen zu lassen. Der Kolonialsekretär wird zu seiner hohen Freude aus unserem Antrage ersehen, wie wir bemüht sind, positive Arbeit zu leisten. Dem An- sehen des Deutschen Reiches kann es nicht förderlih fein, wenn das Gouvernement die Eingeborenen mit dieser brutalen Bestimmung auf Jahre hinaus weiter niederdrückt.

Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:

Die Stelle, auf die sich der Herr Abg. Ledebour bezogen hat die in einer Verordnung aus dem Jahre 1907 steht und in der Bibliothek des Reichskolonialamts nicht gefunden werden kann, ist im übrigen veröffentliht worden in dem „Taschenbuch für Südweftafrika“, das überall für wenig Geld fkäuflih zu haben ist. Jch bin der festen Ueberzeugung, daß in der Bibliothek des Reichskolonialamts mehrere Exemplare davon sind.

Nun gibt es keine Verordnung an sich, die sih mit der Materie allein als Verordnung beschäftigt, sondern es verhält sich fo. Nach dem Kriege hat der Gouverneur von Lindequist als Uebergangs- bestimmungen von der Kriegszeit zur Friedens8zeit drei Ver- ordnungen zur Kontrolle der Eingeborenen erlassen; das ist die Verordnung, betreffend Maßregeln zur Kontrolle der Ein- geborenen, ferner eine Verordnung, betreffend Dienft- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen, und eine dritte Ver- ordnung über die Paßpflicht der Eingeborenen. In der ersten Verordnung, betreffend Maßregeln zur Kontrolle, steht als § 2:

Den Eingeborenen ist das Halten von Reittieren oder Groß-

vieh nur mit Genehmigung des Gouverneurs gestattet.

(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, diese Verordnung war damals notwendig. Ob Sie, Herr Abg. Ledebour, den Krieg in Südwrestafrika für notwendig oder nicht für notwendig halten, wie Sie vorgestern autgeführt haben, das wollen wir jeßt dahingestellt sein lassen. Jedenfalls stand die Ver- waltung der Tatsache gegenüber, daß wir diesen Cingeborenen und es rihtet fi diese Verordnung gegen die Herero und gegen die Hotten- totten 1500 Tote und ungefähr 7000 Invaliden verdanken. Um wieder Frieden zu bekommen, mußten Kontrollmaßregeln gegenüber diesen Eingeborenen, die uns eben in die Notlage dieses Krieges ge- bracht haben, angewendet werden. Es sind allerdings lediglich transitorishe Bestimmungen, und ih werde, wenn ih mich in Südwestafrika mit dem Gouverneur über alle diese Fragen besprochen haben werde, prüfen, ob wir möglicherweise diese Bestimmung etwas mildern können. Tatsählih ist aber diese Bestimmung niemals rigoros gehandhabt worden; es ift kein Fall bekannt geworden, daß einem Eingeborenen, wenn er um die Genehmigung eingekommen ist, die Haltung von Großvieh nicht gestattet worden wäre. Jch wieder- hole aber, es ist eine transitorishe Bestimmung, und es ist vielleicht niht notwendig, daß sie noch lange Jahre aufrecht erhalten wird. Wir werden die Sache prüfen.

Abg. Dr. Ku ckh off (Zentr.): Der Etat hat als Anlage eine Denkschrift über das höhere Schulwesen. Das klingt etwas groß-

eröffnet wurde und 1914 die ersten Abiturienten mit der Be- rechtigung zum Einjährigendienst entlassen wird. Der Lehrplan ist der einer preußishen Realschule mit English für das erst später ein- tretende Franzöfisch. Man will da auch noch nah Bedürfnis in Obertertia das Lateinische einführen; das scheint mir do etwas zu weit zu gehen. Leider ist die Frequenz noch sehr gering, 43 im anzen, darunter 11 Mädchen. Daß die Frequenz in den höheren

lassen abnimmt, darf niht der mangelhaften Intelligenz der Farmerfinder zur Last gelegt werden, wie es die Denkschrift tut; es handelt sich da doch um eine allgemeine, auch in Deutsch- [land allgemeine Erscheinung. In Swakopmund ist auch eine höhere Schule in der Entwicklung begriffen, die zuerst privater Natur war, neuerdings in s\tädtishe Verwaltung übernommen ist, und deren Uebernahme auf den Staat gewünscht wird. Nah meiner Meinung kann man zwei Schulen unmöglich unterhalten. Auch bedarf es gar nicht der Realschule nah preußishem Muster, um den Farmersöhnen die Berechtigung zum Einjährigendienst zu verschaffen ; dazu genügt auch eine Mittelshule. Das Berechtigungsunwesen sollten wir doch nicht noch in die Kolonien einschleppen. Daß erst in Zukunft zwei Stunden Turnen, und noch dazu wahlweise, in der Windhuker Anstalt eingeführt werden sollen, muß befremden ; die körperlihe Ausbildung muß auch in den Kolonien gründlih gepflegt werden. Wir haben mit dieser Realschule offenbar viel zu früh begonnen.

Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf:

Meine Herren! Eine höhere Schule brauen wir in Südwest- afrika ganz bestimmt, das ist der Wunsch des Landesrats, das ist der Wunsch der Ansiedler, und es is unsere Pflicht, Jungdeutschland drüben in Südwestafrika darin zu unterstüßen. Elne andere Frage ist die, die der Herr Vorredner eben angeregt hat, ob diefe Schule nach der Schablone der preußischen, der deutschen Schulen in der Heimat geartetet sein müsse, ob nicht vielmehr und darüber waren wir uns in der Budgetkommission {on einig andere Erfordernisse für das einjährige Examen und später für das Abiturientenexamen geschaffen werden können. Jch habe bereits in der Budgetkommision zugesagt, daß wir in eine wohlwollende Prüfung eintreten werden, und ih sage das auch im Plenum zu. (Bravo!)

Abg. von Böhlendorff-Kölpin (dkons.): Wir können dite Anregung des Abg. Kuckhosf nur unterstüßen. Die Frage des Kredits, speziell des Meliorationskredits, hat die Kommission ausgiebig beschäftigt. Die Verwaltung wird gut daran tun, fsich_ mit den leitenden Perjönlichkeiten unserer landwirtschaftlihen Genossenschaften sowie mit den Den Landschaften zu diesem Zwecke in Ver- bindung zu seßen, auch Volkswirte, die ständig in Berührung mit der Bevölkerung stehen, heranzuzichen. Sollen in unseren Schuß- gebieten Werte entstehen, so muß für Wassererschließung gesorgt werden. Man darf nicht alles der Privattätigkeit überlassen. Die großen Kosten der Bohrversuche baben A überrascht; auch wundere ih mi, daß man nit aus der S d ondern aus dem Kaplande Bohrmaschinen beschafft hat; auch in dieser Beziehung soll man die heimishe Industrie berücksichtigen. Eine Resolution zielt auf die möglichste Verminderung der Schußtruppe für 1913 ab. Die Schutz- truppe tst bereits auf 1700 Mann reduziert, eine so geringe eel daß man eine weitere Verminderung schon aus Nücksihten der Sicherheit nicht befürworten kann. : |

Abg. Dr. Paasche (nl): Jh will mich auf einige Be- merkungen be)chränken. Es stand heute zu meinem Erstaunen in der Zeitung zu lesen, daß ih Südwestafrika die versoffenste Kolonte ge- nannt Lebe Dagegen O ih sofort Protest erheben. Ich habe gesagt, der Abg. Noske habe Südwestafrika die vecsoffenste Kolonie genannt. Ich habe nicht daran gedaht, mich diesem Urteil an- Weber Jch weiß, daß dort recht tüchtige Beamte sind, die ihre Schuldigkeit tun. Wenn wir die Kolonie fortentwickeln wollen, so muß genügend Wasser vorhanden sein. Es O noch ganz anders gebohrt werden. Unsere Bohriechniker werden heute überall gesucht, man sollte es ihnen erleichtern, in Südwestafrika tätig zu sein.

Abg. Gothein (fortshr. Volksp): Die Wasserfrage ist aller- dings für Südwestafrika eine große Frage. Darin stimme ih dem Vorredner bei, auch darin, daß dort die Bohrindustrie am meisten entwickelt ist. Der Preis, der in Südwestafrika für das Meter des Bohrloches gefordert wird, {eint mir aber sehr hoh zu sein. Was die Schaffung der Kreditorganisation betrifft, so handelt es sih um die Schaffung eines gesunden Kredits. Es ist zu begrüßen, daß uns ein Nachtragsetat vorgelegt werden foll mit einer Forderung, die den Grundstock für die Kreditgewährung bilden soll. Das Nähere wird der Staatssekretär mit den Interessenten in der Kolonie zu verein- baren haben; vom grünen Tisch, wenn auch unsere Tische blau über- zogen sind, läßt sich die Sache niht mahen. Es ist gesagt worden, die Zahl der Schußtruppe sei jegt hon vermindert worden; aber die jeßige Truppe kostet uns beinahe soviel wie die frühere größere. Wenn wir in denselben Verhältnissen die Heeresausgabe in Deutsch- land bestritten, so müßten wir jährlich 130 Milliarden verwenden. Wir haben ein Interesse daran, den Daumen auf den Beutel zu halten. Die Verwaltung der Kolonie von hier aus ist zu teuer. Die Leute in Südwestafrika müßten Gelegenheit bekommen, in thren eigenen Angelegenheiten mitzusprehen. Das gegenwärtige Verordnungsrecht ist ebenso ein Provisorium, wie das ganze Kolonialrecht. Wir müssen vor allem ein Kompetenzgeseßz für die Kolonte haben, das der Staats- sekretär in dankenswerter Weise zugesagt hat. Die Dienstperiode der Beamten zu verkürzen, ist nur in den Kolonien am Plate, wo die sanitären Verhältnisse dies erheischen. In Südwestafrika haben wir ein Klima, das dem Europäer durchaus zuträglich ist, deshalb kann man hier davon absehen, die Beamten alle drei Jahre nes Deutsch- land zurückzuziehen. Ich kann Ihnen deshalb nur die Resolution etipfeblèn, die die Dienstperiode der deutshen Beamten in Süd- westafrika von 3 auf 4 Jahre verlängern will. Die Hauptsache ist die Ausgestaltung der Selbstverwaltung in diesen Schußgebieten, es muß durch ein allgemeines, geheimes, gleihes und direktes Wahlrecht eine Vertretung geschaffen werden, die der weißen Bevölkerung eine Mitwirkung an der Geseßgebung des Schußzgebiets sichert. Allerdings muß die Gesetzgebung über die Eingeborenen der Zu- stimmung der gesetzgebenden Faktoren des Reichs vorbehalten bleiben, damit die Weißen nicht den Eingeborenen gegenüber ihren Herren- standpunkt zur Geltung bringen. Die füdwestafrikanishen Berg- arbeiter müssen, wie es die Resolution der Komniuission vorschlägt, ausreichend ge{üßt und ihnen eine geordnete Krankenpflege und ge- erie Unfallfürsorge zu teil werden. Ich hoffe, daß auch diese esolution einmütig vom Reichstag angenommen wird.

Abg. N osk e (Soz.): Ein sehr erheblicher Teil der Nahrungs- mittel wird aus Kapstadt usw. nah Südwestafrika befördert. Das Verbot des Haltens von Großvieh durch die Eingeborenen follte eine Strafe für den Hereroaufstand gewesen sein. Diese haben aber durch ihre Dezimierung {on hart büßen müssen. Der wahre Grund des Verbots war, daß man den geringen Rest der Hereros als Arbeiter ausnußen wollte. Hüten sollte man sich in Südwestafrika, die Militärverhältnisse von Deutschland dort einzuführen. Bei der Sicherung des Landes, bei der Organisation der Beamten- förpershaft muß eine gründliche Aenderung des Systems stattfinden. Die Entwicklung von Südwestafrika is wesentlih basiert auf der Diamantengewinnung. Sobald die Diamantengewinnung nach- läßt, bleiben die großen Erträge aus den Zöllen aus, und es muß ein großer finanzieller Krach eintreten. Die wirtschaftlihe und finanzielle Lage des Landes ist, wie nicht bestritten werden kann, eine außerordentli trübe. Nur 1390 Antiedler find dort vorhanden, und es steht fest, daß nur ein geringer Teil von ihnen wirtschaftlih vorwärts gekommen ist. Eine ganze Anzahl von Leuten ist davon- gelaufen. Das zeigt, wie wenig groß das Zutrauen ist, dort weiter zu kommen. Augenblicklih stagniert die Entwicklung Südwestafrikas. Der Abg. Paasche verwahrte sih dagegen, daß er Südwestafrika die versoffenste Kolonie genannt habe. Kein Geringerer als Dernburg hat auf die ershreckende Zunahme des Alkoholverbrauhs in den

ist eine respektable Ziffer. Darum ist die von mir gewählte Bezeichnung keine unzutreffende. Infolge des Regenmangels im vorigen Jahre befinden sich viele Ansiedler in einer |{chlimmen Lage. Wenn die Wasserershließung des Landes durch große tehnishe Foit- schritte niht erhöht wird, is an eine Lunge der weißen Be- völkerung nicht zu denken. Unter den dortigen klimatischen Ver- hältnissen ist ein Arbeiten sehr s{chwer. Die Sterblichkeit infolge von Skorbut usw. ist gegenwärtig unter den Arbeitern noch sehr groß. Wir haben allen Anlaß, mit gespannter Aufmerksamkeit der Ovambobewegung zu folgen. Wir hätten dann mit einer farbigen Truppe im Ovgmbolande zu rechnen, wie von zuständiger Seite versichert wurde. Das hätte dann wieder eine Erhöhung der Kosten zur Folge. Ob das Land rascher zu besiedeln ist, ist sehr fraglih. Es ist carafkteristish, wie von seiten einzelner Negierungsvertreter in der Kommission Schwarzmalerei getrieben worden ilt: es soll niht möglich sein, die Dien|stperioden der Beamten in Südwestafrika zu verlängern. Ist das richtig, so ist erst ret unverantwortlich, leine Leute in Südwestafrika anzusiedeln. Zunächst handelt es sih darum, die im Lande vorhandenen Leute nicht wirt- \chaftlih zusammenbrechen zu lassen. Dazu gehört zunächst Wasser. Das kostet aber sehr viel Geld, und das kann kaum anders als durh Wassergenossenschaften beshafft werden. Mit der von der Regierung in Aussfiht genommenen Kreditorganisation für Südwest: afrika können wir uns nicht einverstanden erklären. Der Abg. von Böbhlendorff sagte, die Schußtruppe sei auf ein Minimum reduziert worden. Nun, dies Minimum kostet 40 Mill. Mark. Von einer Aufstandsgefahr kann gegenwärtig niht geredet werden, außer- dem ist die Zahl der Weißen jeßt größer als vor dem Aufstande. Wir haben einen Antrag auf einen weiteren Abstrich von der Zahl der Schußtruppe diesmal nicht gestellt, weil wir hoffen, daß auch ohnehin eine Reduktion eintreten wird. Der Staatssekretär will sih in dem Schußtgebiete selber informieren, ob eine Verminderung der Zahl der Beamten möglich ist. Viel versprehe ih mir davon aber nicht. Jst die Regierung der Frage der Einseßung ehrenamtliher Beamten nähergetreten? Der Ausgabeetat des Schußgebiets ist unverhältnis- mäßig groß. Deshalb müssen vor allem die Dienstperioden der Be- amten verlängert werden. Jeder Polizeibeamte in M amin: A kostet uns iegt 6500 A. Jm Kapland hat man auf diesem Gebiete ein großes MNeinwaschen vorgenommen. So wie bisher, kann es jedenfalls in Südwestafrika nicht weitergehen, das können die deut- schen Steuerzahler nicht ertragen. Südwestafrika ist zu einem Danaergeschenk für das E Volk geworden. : /

__ Abg. Erzberger (Zentr.): In Südwestafrika sind zwei Dinge unbedingt notwendig: Geld und Wasser. Es muß im Laufe Gie ad Jahres eine öoffentlih-rehtlihe Landes-Kreditanstalt dort errichtet werden. Von ungezählten Millionen kann dabei nicht die L O Der Staatssekretär wird ja die Sache auf seiner Reise zu prüfen haben. Es handelt sih auch um eine werbende Anlage. Die ¿ôrderung der Bohrungen in Südwestafrika müßte vom Privatkapital in höherem Maße in die Hand genommen werden. Es könnte ohne allzu viel Geld viel al diesem Gebiete erreicht werden. Am besten wäre es, wenn alle s dur private Tätigkeit in der Bohrungsfrage gemacht würde. Was die Höbe der Schußtruppe betrifft, fo hat der Abg. Noske in der Kommission überhaupt keinen Antrag gestellt. Auch ich hâtte es gern gesehen, daß schon in diesem Jahre eine Ver- minderung der Schußtruppe auf etwa 1200 Mann vorgenommen würde. Nachdem aber der Staatssekretär eine Prüfung der Frage an Ort und Stelle in Aussicht gestellt hat, bescheiden wir uns. Wir erwarten, daß er im nächsten Jahre entsprechende Vorschläge machen wird, damit wir dort nur ei ne militärish-organisierte Macht haben. Auch die Verwaltung der Schußtruppe für kulturelle Zwecke ist im Auge zu behalten. Besonders empfehlen möchte ich dem Staats- R die Resolution der Kommisfion, die den Reichskanzler zu Maßnahmen gegenüber der Kaoko-Land- und Minen-Gesellschaft, be- sonders bezüglih der Schürffreiheit auffordert. Möge der Staats- jekretär von seiner Reise nah Südwestafrika mit fruhtbaren Ideen zurückkehren, die geeignet sind, das Schußgebiet finanziell zu entlasten.

Damit schließt die Besprechung.

Das Gehalt des Gouverneurs wird bewilligt.

___ Die von der Budgetkommission vorgeschlagenen Refolu- tionen, betreffend die Verlängerung der Dienstperiode der deut schen Beamten in Südwestafrika, betreffend Vorlegung eines Kompetenzgeseßes für sämtliche Schußgebiete, und betreffend die Einführung eines Parlaments in Südwestafrika, werden angenommen; gegen die leßte Resolution stimmt die gesamte Rechte. Angenommen wird auch die Resolution Albrecht wegen Aufhebung der Verordnungen über die Haltung von Großvieh durch die Eingeborenen. Ferner wird die von der Kommission vorgeschlagene Resolution angenommen, die die Verwendung der Schußtruppe zu öffentlichen wirtschaftlichen Arbeiten, eine anderweitige Organisation der Landespolizei und die Herab- O der Stärke der Schußtruppen und der Landespolizei ordert.

Die Kommissionsresolution wegen der Bohrungen in Süd- westafrika gelangt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten zur Annahme. Der Rest der Dauernden Ausgaben wird ohne Debatte nach den E der Kommission bewilligt.

Bei den Einmaligen Ausgaben hat die Kommission die Ortszulage von 40 000 #4 für Lüderißbucht gestrichen.

_… Auf Antrag des Abg. NRoland-Lüde (nl.), der auf die eigenartige Lage der dortigen Beamten hinweist, wird die Regierungsforderung wieder hergestellt.

Bei den Einnahmen werden die Kommissionsresolutionen, betreffend die Reform der Diamantenregie, betreffend die Er Lettent einer öffentlich-rechtlichen Landeskreditanstalt, be treffend Maßnahmen gegen die Kaoko-Land- und Minengesell-

die Beamten des Bezirks

schaft und S den Schuß der Bergarbeiter angenommen.

A db ist der Etat für das Schußzgebiet Südwestafrika erledigt.

Es folgt der Etat für das Schußgebiet Samoa. Hierzu \hlägt die Kommission folgende Resolution vor:

„die verbündeten Régierungen um Einführung eines Geseß- entwurfs zu ersuchen, welcher die Gültigkeit der Ehen zwischen Weißen und Eingeborenen in allen U Beh Schußgebieten sicher- stelli und das Necht derjenigen unehelichen Kinder regelt, auf welche etwa das Bürgerliche Geseßbuch zurzeit niht Anwendung findet.“

Staatssekretär des Reichskolonialamts- Dr. Solf:

Meine Herren! Die Frage, welche jeßt zur Verhandlung steht, ist eine sehr ernste Frage, und ih bitte Sie, heut zum ersten Male daran erinnern zu dürfen, was ich mir erlaubt habe als Einleitung zu meiner Etatsrede Jhnen auseinanderzuseßen: ih bitte Sie, die Mischlingsfrage nicht vom Parteistandpunkte, sondern vom allgemeinen nationalen Standpunkte aus zu betrachten! Ih habe den cincn Wunsch und die eine Bitte an das hohe Haus: es möge die Ne- solution der Budgetkommission reformieren und niht annehmen.

Meine Herren, das Problem der Mischehen ist ein außer- ordentli \{chwieriges Problem und, wie ih bereits vor einigen Woen hier an dieser Stelle gesagt habe, sehr {wer verständ- lich für diejenigen Deutschen, die în der Heimat leben und niht jene Under kennen, wo sich Schwarz und Weiß berührt.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

artia, denn es handelt L4 vorläufig nur um eine noch in der Ent- wicklung begriffene Realschule in Windhuk, die 1909 mit der Sexta

Kolonien hingewiesen. Auf 27 Einwohner kommt eine Kneipe. Das

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

¿ 107.

Zweite Beilage

Berlin, Freitag, den 3. Mai

1912.

E S C E R R R R R

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

F will keine juristishen Ausführungen machen; ih möchte nur dte Tatsachen auf Sie wirken lassen, die Tatsachen, wie sie in anderen Staaten und Nationen festgestellt worden sind, die länger Kolonia!politik treiben als wir. Denn die üblen Folgen der Misch- ehen find von allen Nationen erkannt worden, die ihr folonisatorischer Beruf in Berührung mit farbigen Völkern niederer Kultur und minderer Zivilisation gebracht hat. Die \ämtlihen Tatsachen, die ih auf die Mischehenfrage beziehen, faßt man in Indien unter dem Stichwort der eurasishen Frage zusammen, und die mit der Zeit immer s{chwieriger werdende Lösung dieser Frage maht den indischen Staatsmännern und analoge Fragen in den anderen englischen Ko- lontien der britischen Kolonialverwaltung überhaupt Kopfzerbrechen. Aehnlich, meine Herren, geht es den Holländern in ihren malaiischen Besißungen, ähnli den latinischen Staatsgebilden in Südamerika, und wean Ste, meine Herren, in dem Buch der Geschichte Brasiliens blättern, so werden Sie fast auf jeder Seite Argumente finden für die Stellungnahme, die ih einnehme gegen die Mischehen.

Und, meine Herren, was ist denn die negro question die Negerfrage in den Vereinigten Staaten von, Amerika etwa anders als eine Mischlingsfrage? Von den 11 Millionen ih betone: 11 Millionen, denn in den Budgetdrucksachen steht 11000 Bürgern der Vereinigten Staaten, die aus Westafrika stammen, ist nur ein ver- \{chwindend kleiner Teil ungemischt, die überwiegende Mehrheit find Mischlinge aller Nuancen von den früheren afrikanischen Sklaven und Amerikanern. Meine Herren, das 13. Amendement zur Konstitution der Vereinigten Staaten und das Lincolnsche Emanzipationsedlkt find warnende Menetekel für alle kolonisierenden Nationen. Mißverstandene Humanität rächt sh ebenso wie würdeloses Herabsteigen zur niederen Nasse. (Sehr richtig!) Meine Herren, Sie mögen gegen die Sfklaveret sagen und ich habe s{chon neulich betont, daß wir selbstverständlih gegen die Sklaverei sind und sein müssen von unserem ethishen Standpunkt aus was Sie wollen: aber, meine Herren, der Neger hat \ich in den alten patriarchalischen Verhältnissen in den Südstaaten besser gefühlt, als er sich jeßt inner- li, als Mensch, fühlen muß. (Sehr richtig!)

Metne Herren, die Anerkennung des Negers als weißer Bürger in der Theorie und die Bemühungen eines. selbstbewußten Volkes, die Konsequenzen dieser Theorie zu verhindern, führt in Amerika zu un- geheuerlihen Konsequenzen. Ießt ist der Neger frei! Er kann sogar Präsident werden, wenn er nicht vorher gelyncht wird! (Heiterkeit) Meine Herren, Sie mögen über die Brutalität des Lynhens noch soviel sagen, es: wird bestehen bleiben, bis Staatsgesezß und Volk3- empfinden im Gletichklang steht.

Meine Herren, ih bitte Sie dringend, \sch in dieser Frage von Ihren Instinkten leiten zu lassen, ih bitte Sie dringend, keine fozialpolitishen und dogmatischen Momente in das Problem der Mischehen hineinzutragen. Ich bitte Sie, einfach die nackten Tat- sachen auf sich wirkèn zu lassen. Sie senden Ihre Söhne in die Kolonien: wünschen Sie, daß sie Ihnen s{warze Schwiegertöchter ins Haus bringen, wünschen Sie, daß sie Ihnen wollhaarige Enkel in die Wiege legen? (Heiterkeit.) Aber noch viel \{chlimmer: die Deutsche Kolonialgesellsbaft gibt jährlih 50 000 6 dafür aus, daß weiße Mädchen nah Südwestafrika geshickt werden: wollen Sie, daß diese weißen Mädchen mit Hereros, mit Hottentoten und Baftarden zurückfehren als Gatten? Nein, meine Herren, lassen Sie die Tat- fachen auf sih wirken, Ihre Instikte als Deutsche, als Weiße! Dte ganze deutshe Nation wird Ihnen Dank wissen, wenn Sie keine andere Erwägung haben als die: wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Weiße bletben. Das ist niht der von den Sozial- demokraten geschmähte Herrenstandpunkt, den Farbigen gegenüber ist au der Proletarier Herr, und gerade Sie, die Herren Sozial- demokraten, müßten auf meinem Standpunkt stehen. Denn nicht der Wohlhabende kommt draußen in die Lage, si eine eingeborene Frau zu heiraten, nein, der arme Mann, der kleine Mann kommt in diesen Konflikt, und gerade den zu {hüßen, haben Ste sih zur Pflicht ge- macht. Und das können Sie in den Kolonien nur, wenn Sie sich meiner Ansicht anbequemen und die Mischehe verurtetlen.

Meine Herren, ih lasse juristishe und sonstige Erwägungen völlig beiseite, ih bitte Sie, sich nur zu halten an das Ungeheuerlihe der Tatsachen. Der Herr Abg. Schwarze hat gestern sehr rihtig ausge- führt, wir müßten in unseren Kolonien zweifellos alles dafür tun, daß die Baumwolle nicht verbastardiert würde. Sißt uns das Hemd nicht näher als der No; sollen wir dulden, daß unsere Nasse ver- bastardiert werde ?

Ich bitte Sie also, meine Herren, den Beschluß der Budget- kommission zu reformieren, und bitte Sie, \sih auf den Standpunkt zu stellen, auf dem die Reichsregierung steht, nämlich fich gegen die M ischehe auszusprehen. (Bravo !)

e von Böhlendorff-Kölpin (dkons.) verzichtet aufs

Abg. Ledebour A Die Rede des Staatssekretärs ist das Erstaunlichste, was wir seit langem gehört haben. Seine Worte richteten si nicht gegen die betreffende Che als solche, sondern gegen den Geshlehtsverfehr und seine Resultate. Er sollte do keine Ver- \chleierung treiben und offen heraussprehen. Es ift doch eine Tat- sache, daß die 10 Millionen Mischlinge in Nordamerika Relultate des Konkubinats oder des ungeregelten Geschlehtsverkehrs sind. In allen Kolonien anderer Völker sehen wir genau dasselbe Nesultat. Wir müßten mit Blindheit On sein, wenn wir uns der Tat- sache vershlössen, daß das Entstehen der Mischlinge eine Natur- notwendigkeit ist. Wenn es ein Unheil ist, daß folche Mischlinge entstehen, so müßte man die Kolonien aufgeben und die jungen Leute von dort zurüc{ziehen. Wollen Sie etwa, daß deutshe Viädcben, die dort hingehen, sich mit den Eingeborenen abgeben ? Was haben Sie getan, um das Unvermeidlihe zu hintertreiben. Sie haben die Chen zwischen Weißen und Eingeborenen in Südwest und in Samoa verboten, nicht in anderen Kolonien. err von Schuck- mann, der bekannte sittlihe Reformator aus dem bgeordnetenhause, hat dies in Südwestafrika getan und damit einfah die Pro- miscuität herbeizüführen gesuht. Der Staatssekretär hat als früherer

Wor

Gouverneur von Samoa dann auh in den fauren Apfel gebissen. Die jungen Kaufleute und Beamten, die naß Samoa hinkamen, sind zum Teil zu wirklichen Chen geschritten, 80 im ganzen. Jeßt ver- bietet der Gouverneur den Weißen die Che. Was ist das für ein unglaublicher Zustand! Diese 80 Eben werden dadurh einfach defamiert. Ist das die Aufgabe der deutshen Verwaltung? Wenn es wirklich möglich fein oll, nicht bloß die Ehe zwischen Weißen und Samoanern zu verbieten, sondern auch den Geschlechtsverkehr ein- zuschränken, dann ist es nötig, für die deutschen jungen, Leute eine entsprehende Anzahl von deutschen Frauen und Mädchen _hin- zubringen. Das würde aber an den Kosten scheitern. Der Staatssekretär hat als Gouverneur seine Stimme erhoben gegen die Ghe mit weißen Frauen, weil das Nesultat degenerierte Weiße sein würde. Und da verbietet er die Ehe zwishen Wetken und Samoanerinnen! Ja, was wollen Sie denn eigentlih ? Das sind geradezu unsinnige Widersprüche. (Vizepräsident Dr. Paas che rügt diesen Ausdruck.) Dann bitte ih den Staatssekretär, diese Widersprüche aufzuklären. Es bleibt doch nur das Konkubinat oder der ungeregelte Geschlehtsverkehr übrig. Dle eigentliche Triebfeder ist: man befürchtet, daß durch die Vermischung mit weißem Blut die Widerstandskraft der samoanischen Bevölkerung wächst. Das Entstehen von Mischlingen können Sie niht verhüten. Wir stehen vor der ungeheuerlichen Tatsache, daß, während man den Geschlechtsverkehr nit verhindern fann, seine höchste Form, die Che, verhindert wird. Das ist Ihre Christlichkeit. Der Staatssekretär bat, die Frage nicht als Parteifrage zu behandeln. In der Tat müssen hier alle Parteirücksihten verstummen und nur die Stimme der Menschlichkeit zur Geltung kommen.

Inzwischen ist ein Vertagungsantrag der Abgg. Basser- mann (nl.) und Dr. Spahn (Zentr.) eingegangen.

Vizepräsident Dr. Paasche s{chlägt dagegen vor, nur die Mischlingsfrage zu vertagen und den Etat selbst zu erledigen.

Die Abgg. Ledebour (Soz.), Bassermann (nl.) und Erzberger (Zentr.) erklären sih damit einverstanden unter der Vorausseßung, daß morgen zunächst die Frage der Aenderung der Geschäftsordnung verhandelt wird. :

Damit ist das Haus einverstanden.

Das Gehalt des Gouverneurs wird bewilligt und der Rest des Etats ohne weitere Debatte genehmigt.

Schluß 71/4 Ühr. Nächste Sißung Freitag pünktlich 1 Uhr. (Anträge wegen Aenderung der Geschästsordnung ; Fortsegung der Besprehung der Resolution wegen der Misch- lingsehen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 62. Sißung vom 2. Mai 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus segzt zunächst die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Jnnern für 1912 im Kapitel „Medizinalwesen“ fort. i

Zu den Besoldungen für die Kreisärzte spricht Abg. Underberg (Zentr.) den Wunsh nah Errichtung eines ledikfamentenvertriebes in Breyell in der Rheinprovinz aus Ein Negierungskommissar erkennt das Bedürfnis für Breyell an und sagt Erfüllung dieses Wunsches zu. n Abg. Dr. Wagner - Breslau (freikons.): Die Neuorganisation der Kreisärzte hat sih durchaus bewährt, und die Phantasien einzelner Herren gegen diese Einrichtung sind auf das ridtige Maß reduziert worden. Allerdings hat auch hier der alte Sah gegolten: Neue Besen kehren gut, aber jeßt gibt die Organisation zu irgendwelchen Ans- ständen feine Veranlassung mehr. Ich habe nur zwei Wünsche zu äußern. Zunächst müssen die Kreisärzte ihr besonderes Augenmerk auf alle die Falle richten, wo die spinale Kinderlähmung und die Genick- starre irgendwie mtt der Schußpockenimpfung in Verbindung gebracht werden kann. In der Petitionskommi|sion lagen mehrere Petitionen vor, worin ausgeführt wurde, daß infolge der Schußpockenimpfung Kinder an der spinalen Kinderlähmung erkrankt seien, und in einem au eine staatliche Rente verlangt wurde, weil ein Kind wegen eines gelähmten. Armes nit für seine Eltern sorgen konnte. Die Imvfagegner haben diese Fälle mit großer Energie verfolgt. Cine Broschüre des Sanitätsrats Belzinger „Genickstarre, Kinderlähmung und Impfung“ sucht zu beweisen, daß die Impfung die Ursache der zunehmenden spinalen Kinderlähmung und der Genickstarre set. Diese Verbindung kann aber nicht angenommen werden. Um das festzustellen, ist es wichtig, daß die Kreisärzte ihr besonderes Augen- merk auf alle diese Fälle rihten. Jm vorigen Jahre lagen der Petitionskommissson drei Fälle vor, die einfach nach dem Grundsatz: „Post hoc, ergo propter hoc“ behandelt waren. Es war aber faum anzunehmen, daß hier irgendein kausaler Zusammenhang bestand. Wenn aber Sanitätsrat Belzinger in seiner Broschüre sagt, die Fälle von Genickstarre und Kinderlähmung kämen deshalb so häufig vor, weil eine gemeinsame Grundlage, nämlich die Pocken, vorliege, fo ist es dringend notwendig, mögli überall den Beweis zu führen, daß diese Zusammenstellung unbegründet ist. Alle Reichstagskandidaten wurden von dem Verein der Impfgegner mit Anfragen überschüttet, wie sie sich zur Impffrage stellen, und ob sie für die Bildung einer Kommission stimmen würden, die aus Impffreunden und Impsgegnern zusammengeseßt sein würde. _Ich habe darauf geantwortet, daß ih gegen die Bildung dieser Kommission nichts einzuwenden haben würde, weil ich annehme, daß die Impf- gegner dur Vernunstgründe belehrt werden und von ihrer Agitation ablassen könnten. In der Broschüre stößt man auf die interessante Aeußerung. daß die E der Kinder dazu betgetragen habe (Präsident Dr. Freiherr von Erffa macht den Redner darauf aufmerksam, daß es W um _ den Titel der Kreisärzte haudle). Ich wollte nur beweisen, daß die Kreisärzte dieser Frage nen müssen. Ferner wünschte ich, daß die Schulärzte aus hygientschen Gründen einmal sih mit der Frage beschäftigen, ob der frühe Schul- anfang im Sommer um 7 Uhr angebracht ist. In dem Bericht eines Psychiaters babe ich gelesen, daß die fortwährende Verschiebung des Schulunterrichts um eine Stunde im Sommer unzuträglich sei. Die Berufe, die frühzeitig ihr Tagewerk beginnen müssen, sollen mehr Krankbeitsfälle stellen, als andere. Es t interessant, daß die Land- wirtschaft, die ja besonders Frühaufsteber braucht, eine größere Kranken- zahl aufweisen soll. Das soll kein Privilegium für alle Faulpelze sein, daß sie möglichst lange liegen bleiben, aber ich möchte doch bitten, daß auch die Kreisärzte in ihrer amtliden Eigenschaft sih über diefe für einen großen Teil der Bevölkerung wichtige Frage uen e sie den früheren Schulanfang im Sommer für angebracht halten. (Präsident Dr. Freiherr von Erffa verweist den Redner nohmals auf die Sache.) Speziell in Breslau haben si außerordentliche Uebelstände bemerkbar gemacht, und das hängt, was ih wohl kaum noch sagen darf, damit zusammen, daß im Osten nah der Ortszeit der Schulanfang noch

rüber, in Breslau niht erst um 7 Uhr, sondern nah der Ortszeit Bes um 6 Uhr 40 Minuten stattfindet, Die Verschiebung geht

nah Osten immer weiter, die Kinder im Osten werden immer früh- zeitiger hinausgetrieben. Das bedarf ernstlich einer Remedur, und ih bitte die Kreisarzte, darauf ihr Augenmerk zu richten. Ministerialdirektor Dr. Kirchner: Die Kreisärzte achten schon besonders auf die Fälle der Genickstarre und der Kinderlähmung, und in den Aerztekursen werden sie darauf hingewiesen. Ein Zusammen- hang zwischen der Pockenimpfung und diesen Krankheiten ist nicht fest- zustellen. Mit der Anregung wegen des Schulanfangs wird sich die Unterrichtsverwaltung beschäftigen. 2 Abg. Dr. Crüger (fortschr. Volksp.): Die Feuerbestattung wird durch die hohen Gebühren der Kreisärzte fast unmöglich gemacht. Sehr oft wird die Leichenöffnung verlangt. Ich möchte den Minister bitten, bier Abhilfe zu schaffen. Es scheint fast, als ob ein Erlaß ergangen wäre, daß die Kreisärzte die Durchführung des Gesetzes ershweren sollen. / E Piinisterialdirektor Dr. Kirchner: Es ist vollständig un- rihtig, daß ein solher Erlaß ergangen is. Wir denken nicht im geringsten daran, die Durhführung des Gesetzes irgendwie zu ershweren Bei dem Titel „Jnstitut für Jnfektions- kfranktheiten in Berlin“ wird auf Antrag des Abg. von der Osten (konf.) ohne Debatte beschlossen, gemäß der Kabinettsorder vom 29. März 1911 auch im Etat diesem Institut den Namen des Professors Koch hinzuzufügen.

Bei den Ausgaben für die „Versuchhs- und Prüfungsan stalt für Wasserverforgung und Abwässerbeseitigung in Berlin“ beklagt sih

Abg. Hoeveler (Zentr.) über die Verunreinigung der Niers durch Abwässer in den Kreisen Gladbach, Kempen, Geldern und Kleve. Unterhalb Gladbachs sei überhaupt jedes organische Leben erloschen. Der Redner fragt, ob die Vorverhandlungen fo weit gediehen seien, daß nun endlih Vorschläge zu einer Aenderung dieses Zustandes von der Regierung gemacht würden.

Geheimer Oberiedizinalrat Dr Abel erklärt, daß die Regierung die Uebelstände voll anerkenne und die Versuchs- und Prüfungsanstalt mit einer Untersuhung der Wässer der Niers beauftragt habe. Dieses Gutachten liege jeßt vor, und hoffentlich gelinge es, durch einen Zusammenschluß der in Betracht kommenden Gemeinden die Ver- unreinigung der Niers zu beseitigen. Z

Abg. Underberg (Zentr.) {ließt fich den Ausführungen des Abg. Hoeveler an und bittet um eine möglichst s{chnelle Regelung.

Bei den Ausgaben für das „Hygienische Jnstitut in Posen“ macht i

Abg. Dr. nig (Zentr.) auf die Notnssidigkeit aufmerksam, mehr Nahrungsmittelchemiker anzustellen. Nur "ein geringer Teil der Nahrungsmittelchemiker fei zurzeit fest angestellt, die Mittel reichten zu einem angemessenen Lebensunterhalt nicht aus. Eine Anrechnung der Dienstzeit finde beim Uebergang von ciner Anstalt zur anderen nicht statt, auch mit dem Sommerurlaub sei «s \{chlecht bestellt. Van wünsche eine Gleichstellung mit den übrigen gleihwertigen akademischen Berufen.

Bei den Ausgaben für das „Hygienische Jnstitut in Beuthen“ befürwortet

Atg. Stanke (Zentr.) die Errihtung eines Nahrungsmittel- amtes in Ratibor. Natibor sei jeßt auf das Institut in Oppeln an- gewiesen, das aber zu weit entfernt sei. Uebrigens hätten alle preußischen Grenzstationen derartige Institute.

Ministerialdir-ktor Dr. Kir chner: Der Bedarf für Ratibor ist durchaus gedeckt dur die Institute in Oppeln und Beuthen. Eine weitere Gründung winde fich nicht empfehlen.

Bei dem Zuschuß von 1800 s für einen Arzt auf der Kurishen Nehrung, der als künftig wegs fallend bezeichnet ist, bittet

Abg. Dr. Gaigala t (Litauer), dafür zu sorgen, taß auch künftig ein Arzt sich dort mederläßt und der Zuschuß wieder bewilligt wird.

Damit sind die ordentlichen Ausgaben für das Medizinal- wesen erledigt.

Bei den einmaligen und außerordentlichen Ausgaben wünscht

Abg. Velt in (Zentr.), daß die Kellerkontrolleure niht den Nahrungsmittelamt, sondern den Regtierungspräfidenten unterstellt würden. Um die Auslegung, die das NReichsgeriht dem Begriff „guter Jahrgang“ gegeben hat, hätten fh manche Nahrungsmittel=- ämter nicht gekümmert. Er würde der Negterung dankbar sein, wenn sie die bètreffenden Instanzen zur Beachtung dieser Entscheidung an=- halten würde.

Im übrigen werden die einmaligen und außerordentlichen Ausgaben ohne Debatte bewilligt.

Damit it der Etat des Jnnern erledigt.

Bei Beratung des Etats des Finanzministe=- riums maren die Anträge der Abgg. Dr. Schroeders=- Cassel (nl.), Aronso hn (fortshr. Volksp.) und Dr. Arendt (freifon}.), welche eine Erhöhung der Pensionen und Relikten- bezüge der sog. Altpensionäre teils durh Geseß, teils durh Erweiterung des Etatsfonds für die Unterstützungen wünschen, an die Budgetkommission überwiesen worden. Die Kommission beantragt nunmehr die Ablehnung der Anträge und die Annahme folgender Resolution:

„die Regierung zu ersuchen,

a. die Voraussegungen und die Bemessung der aus den Fonds für UAltpensionäre zu gewährenden Unterstützungen sowie das Verfahren zur Feststellung der persönlihen Ver- bältnisse durch allgemeine Grundsäße zu regeln und diese Grund!äße dem Hause der Abgeordneten noch im Laufe der gigenrvärtigen Tagung mitzuteilen ;

. die für die pensionierten Lehrer aus der früheren Berehnung des Wohnung8wertes entstandenen Härten besonders zu berüsichtigen ; :

. dafür Sorge zu tragen, daß bei der Feststellung der per- fönlihen Verhältnisse der Altpensionäre jede unnötige Bes lästigung vermieden wird;

. tim laufenden Jahre die erforderlihen Ueberschreitungen der betreffenden Fonds eintreten zu lassen und im nächsten Jahre die Fonds angemessen zu erhöhen.“

Die Abgg. von Goßler (kons.), Schmedding=- Münster (Zentr.) und Kraus e- Waldenburg (freikons.) bes antragen, hinter Absaß a. noch folgenden Absaz einzuschieben :

„nach diesen Grundsäßen auch ohne Antrag zu verfahren ;*

Die Abgg. Dr. Schroeder - Cassel (nl.) und Wißs mann (nl.) beantragen : ;

„die Negierung zu ersuchen, nochß im Laufe dieser Session

einen Gesepentwurf vorzulegen, welcher eine prozentuale Erhöhung

a. der Pensionen der vor dem 1. April 1908 in den Nuhe- bars getretenen Staatsbeamten, Lehrer und Lehrerinnen

owie

Ministeriums des

Staatsbeamten und Lehrern vorsicht“.

i þ. der Neliktenbezüge der Witwen und Waisen von solchen *

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