1912 / 109 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 May 1912 18:00:01 GMT) scan diff

wicklung des eia hinweisen und hinzufügen, daß augen- blicklih die Einkommensteuer viel zu niedrig eingeshägt ist. Stließlih will ich noch namens meiner. politischen Freunde fest- stellen, daß die neulichen Aeußerungen: der sozialdemokratischen Abgg. Ströbel und Liebkneht uns auf das allertiefite verleßt haben. ir sind stolz, Preußen zu sein, und werden uns diesen Stolz von den Sozialdemokraten niht rauben lassen. Wir sind uns wobl bewußt, was Preußen für die Einigung Deutschlands geleistet hat, und im Programm der Fortschrittspartei steht die Forderung der Einigung Deutschlands auf Grund eines starken, zielbewußten Preußens.

Damit schließt die allgemeine Besprechung. Zum Spezidletat des Staatsministeriums bemerkt

Abg. Strosser (fons.): Ueber die Chafjakter- und Titel- verleihung an mittlere Beamte bestimmt ein Erlaß des Staats- ministeriums, daß der ‘Titel als Rechnungs- oder Kanzleirat nur solchen mittleren Provinzial- und Lokalbeaniten verliehen werden soll, weldje eine Gesamtdienstzeit von mindestens 30 Jahren hinter sich haben. Das Staatsministerium hat also bestimmte Grundsäße für diese Titel- und Nangyerleihung ausgesprohen. Nun ist es aber Tatsache, daß bei verschiedenen Staatsverwaltungen nicht nach diesen “deli verfahren wird, vielmehr das Verfahren ein ziemli willkürlihes ist. Bei einer Neihe von Staatsverwaltungen wird der Titel nach 40 Dienstjabren verliehen, bei anderen überhaupt nicht. Dieje unterschiedlihe Behandlung gleihwertiger Beamten- fategorten und namentlich die Vorenthaltung des Matstitels bei cinzelnen Kategorien wird von den Beamten als eine Härte emp- funden. Etwas anderes wäre es, wenn derartige Titel überhaupt niht verliehen würden; da sie nun aber einmal gegeben werden, fo wäre es wirklih eine Aufgabe des Staatsministeriums, hierin eine Gleichheit herbeizuführen, beispielsweise wird bei der Polizeidirektton in Magdeburg den Beamten der Titel erst nah 40 Jahren ver- R E nach 30 Jahren, in Breslau und Steitin über-

aupt nicht.

__ Abg. Wißmann (nl.): Die Lage der Kriegsveteranen ist immer noch nicht gebessert. Man hat uns mitgeteilt, daß Preußen in ‘diéser Angelegenbeit nur die Vérmittlüngsstelle der vom Reiche be- willigten Beihilfen ist, und die Zahlung der Pensionen zum Ressort des Kriegéministeriums gehöre. Nach den Schilderungen, die mir zu- gegangen sind über die Notlage dieser Veteranen, muß es vielen von ihnen sehr \{chlecht gehen. Es ist doeh nit angängig, wenn man sie auf Almosen verweist und freiwillige Beiträge. Würden die damaligen Heerführer noch leben, sie würden die Regierung ganz sicher, Überzeugen, daß für die alten Veteranen mehr, als es bisher geschieht, geschehen muß. Es wäre dod Sache Preußens, darauf hin- zuwirken, daß den Kriegsveteranen ihr Recht geschieht.

Der zum Etat des Abgeordnetenhauses gestellte Antrag des Abg. von Ditfurth wird bis zum Ende der dritten Beratung zurückgestellt. Zur Begründung des Antrages über den Ankauf eines Grundstückes für die Zwecke des Abgeordneten- hauses nimmt das Wort

Abg. Strosser (konf.): Unser Antrag wird von allen Parteien dieses Hauses empfohlen. Es® ist ein dringendes Bedürfnis, das in Frage kommende Grundstück unter allen Umständen für die Zwecke des Abgeordnetenhauses zu sichern. Wenn dort von anderer Seite cin Haus gebaut würde, so würde darunter ganz besonders das Lesezimmer der Bibliothek, das nach dieser Seite hin liegt, zu leiden haben. Außerdem möchte ih dabei darauf hinweisen, daß ja auch das Herren- haus einen Garten besißt. Für uns ist ein Garten deshalb er- wünscht, weil wir ja häufig bis tief in den Sommer hinein tagen, und da ist es denn gut, wenn wir hier vom Hause aus einen Plaß baben, wo wir im #reien weilen können. Ich bitte die Königliche Staatsregierung dringend, zu diesem Antrag Stellung zu nehmen und den Ankauf sobald als möglich in die Wege zu leiten, zumal ja das Grundstück für Zwecke des Kiriegsministeriums, das, soviel ih weiß, der j bige Besißer ist, niht in Frage kommt.

Abg. Hoffmann (Soz.): S bitte, doch meine vorjährigen Anregungen betreffs der direkten Anstellung der Schreibmaschinendamen

und der Stenographen zu berücksichtigen. Unsere Diener, die die

Bescheidenheit selbst sind, sollten do wenigstens einen freien Sonntag im Monat haben. z

Der Antr(3z Strosser wird der Budgetkommission über- wiesen, der Etat des Abgeordnetenhauses wixd bewilligt, ebenfo ohne Debatte der Etat der Domänenverwaltung.

Beim Etat der Forstverwaltung befürwortet

Abg. Heine (nl.) erneut die Erhöhung der Dienstaufwands- entschädigung der Förster und bemerkt dann: Die Zinmermeister be- klagen sich darüber, daß die fisfalishen Forsten zu viel Nußholz im Wege der Submission verkaufen, woran sie sih nicht beteiligen können, weil fie so viel Holz auf einmal nicht brauchen und auch meist die Sicherheit von 5000 4 zu hinterlegen außer stande sind. So muß der Zimmermeister es zu höheren Preisen von den Großhändlern zurück- faufen. Die Förstereien sollten angewiesen werden, kleinere Lose zu machen oder das Holz freihändig zu verkaufen, eventuell Grleichte- rungen in der Sicherheits- leistung zuzugestehen. Von der Bezirks- regierung in Cassel sind alle diese Anträge und Anregungen ab- gelehnt worden. Die gleichen Klagen wie die Zimmermeister er- heben auch die Stellmacher und andere Handwerker. Wünschenswert wäre auch eine solhe Lagerung des Holzes, daß sich die rechtzeitige Abfuhr ermöglichen läßt.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Meine Herren! Ich bin selbstredend gern bereit, in eine weitere Prüfung der von dem Herrn Vorredner geäußerten Wünsche ein- zutreten. Ich möchte aber gegenüber der Beschwerde über das Ver- halten der Königlichen Staatsregierung in Cassel hervorheben, daß grundsäßlih gegen die Entscheidung der Regierung kaum mit Recht ein Einwand erhoben werden kann. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, daß, soweit der örtlihe Konsum das Holz aufnehmen fann, auch das Holz im Wege einér öffentlihén Subhastation im Walde versteigert werden soll und nur, soweit die Holzmengen den ört- lihen Bedarf übersteigen, soll der Verkauf im Wege des Submissions- verfahrens bewerkstelligt werden. Dagegen ist an sich nichts zu sagen, und es kommt nur darauf an, wle diese Anordnung der Regierung in der Praxis auégeführt wird. Da ist es nun Sache der örtlichen Snteressenten, sich mit dem zuständigen Oberförster in Verbindung zu segen und ihre besonderen Wünsche so rechtzeitig bekannt zu geben, daß vor Anberaumung der Versteigeturg darauf Rücksicht genommen werden kann.

Ich kann im Augenblick ebensowenig wie der Herr Vor- redner prüfen, ob die diesbezüglichen Angaben zutreffen, bitte ihn aber, nut zu veranlassen, daß etwaige einen einzelnen Fall betreffente Be- \{chwerden zu meiner Kenntnis gebraht werden; ih werde dann die Sache prüfen lassen. und zutreffendenfalls für eine Aenderung des bis- herigen Verfahrens Sorge tragen. Es liegt ja auf der Hand, daß auch der Forstfiskus ein erhéblihes Interesse daran hat, nicht die Zahl der Käufer zu beschränken, vor allem niht das Großgewerbe einseitig zu bevcrzugen; er handelt rihtig und im verständigen fiskalischen Interesse, wenn er möglichst viele Bewerber auftreten läßt, vor allen au dafür sorgt, daß die in der näheren Uingébung des Waldes wohn- ‘hafilen Abnehmer niht durch Mangel an Holz genötigt werden, ihre Betriebe einzustellen oder zu verlegén. '

Was nun die Frage der Bürgschaftsleisturig angeht, so gebe ih

getn zu und mäñnhe mir vorgebrachten Klagen spreckchen !

| Abg. Klo dcke e ] der Sekretäre und Ass

auch dafür —, daß die Bürgschaftsleistungen im einzelnen Fall für die Käufer Beschwerden und Unannehmlihkeiten zur Folge haben. Abcr, meine Herren, auf der anderen Seite kann der Forst- fiskus nicht darauf verzichten, daß in ten Fällen, wo Kaufgelder gestundet werden, au eine entsprechende Sicherheit geboten wird. Der Fiskus kann auch niht auf diè Forderung verzichten, daß in dem Augenblick, wo das Holz abgefahren wird, entweder der Preis bezahlt oder eine Bürgschaft dafür hinterlegt wird. Daß auch in dieser Nichtung nah Möglichkeit den Käufern entgegengekommen werden soll, ist von der Forstverwaltung \chon verschiedentlih angeordnet worden; bei der jeßigen Organisation des Handwerks, bei dem Vorhandensein zahl- reicher Genossenschaften, dürfte es auch wohl nicht allzu s{chwer fein, eine entsprehende, aud den fisfalishen Interessen genügende Bürg- chaft zu beschaffen.

Nun is mir auch im Vorjahre bekannt geworden, daß an ver- schiedenen Stellen Holz, welches bereits verkauft war, das die Käufer aber nit rechtzeitig abgefahren hatten, durch. Waldbrand vernichtet worden ist. Meine Hérren, nach den Bedingungen der Versteigerung ist der Fiskus nicht verpflihtet, in einem solchen Falle Ersay zu leisten. Jch bin daher auch nit in der Lage, in solchen Fällen dem einzelnen Käufer Ersaß zu geben. Das is gewiß sehr bedauerlich; aber auf der anderen Seite ist doch zu berücksichtigen, daß die meisten Käufer in der Lage gewesen sind, das gekaufte Holz bei rehtzeitiger Abfuhr der Gefahr der Zerstörung durch Brand zu entziehen.

Ich kann \{ließlich nur wiederholen, daß Klagen, die zu meiner Kenntnis gebraht werden, ausreichend geprüft werden sollen; soweit es erforderlih und gerechtfertigt erscheint, werden ¡auch die die Be- {werde veranlassenden Verfügungen abgeändert werden. (Bravo !)

Der Etat wird bewilligt, ebenso ohne Diskussion der Etat für die Ansiedlungskommission.

Beim Etat der landwirtschaftlihen Ver- waltung empfiehlt

Abg. Kriege (freikons.) die in seinem Kreise Grafschaft Bentheim \{chwebenden Kanalisierungs- und Moorentwässerungsprojekte dem Wohlwollen der Regierung und befürwortet die tunlihste Gr- höhung des Etatsfonds für die Gründung neuer Ansiedlüngen.

Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:

Soweit der Herr Vorredner allgemeine Wünsche bezüglih des von ihm vertrétenen Bézirks vorgebraht hat, wird es zunächst Sache der neu geschaffenen Moorstelle beim Oberpräsidiuum in Hannover sein, die Wünsche zu prüfen und deren Verwirklihung möglichst bald zu beantragen. Das Projekt der Vechteregulierung i} fertig gestellt es wird in nächster Zeit mit den Juteressenten verhandelt und bei dieser Gelegenheit au klar gestellt werden, inwieweit den VFnteressenten Staatsbeihilfen. gegeben werden können. Was den Picardie - Cowerdén - Kanal angeht, so ist der Meliorationskau- beamte beaustragt, das Projekt fertig zu stellen, und es wird auch geprüft werdén, inwieweit den von dem Herrn Vorredner hervor» gehobenen Gesichtspunkten Rehnung getragen werden kann. Die NRechtsansprüche der Fürstlilß Bentheimschèn Verwaltung erscheinen mir zu wenig geklärt, um jet auf dieselben näher eingehen zu können.

bri der Sypezialkommission hat in den be-

T

egung verursacht.

f Die große Differenzierung im Gehalt daß hier eine Aenderung stattfindet.

r teiligten Kieisen große Nu Es ist dringend nötig, Ein Regierungskommissar erklärt, daß an der Be- soldung8ordnung nicht geändert werden könne, daß sich im übrigen in der Budgetkommission Gelegenheit finden werde, auf diese Frage

genauer einzugehen.

Der Etat der landwirtschaftlihen Verwaltung wird be- willigt.

Bei dem Etat der Gestütverwaltung verwahrt sich

Abg. Dr. F derh off (freikons.) gegen einen“ ihm in zweiter Lesung gemachten Vorwurf, daß er den oldenburgischen Staat als Ausland bezeihnet habe; er habe lediglih gesagt, daß, wenn die preußischen Hengste ebenso gut wären, man nicht das gute preußische Geld nach Oldenburg zum Ankauf von Hengsten tragen solle.

Beim Etat der Berg-,- Hütten- und Salinen- verwaltung bemerkt

Abg. Goebel (Zentr.): Bei der zweiten Lsung hat der Minister eine Aufbesserung der oberschlesishen Löhne in Aussicht gestellt, es ist aber nur eine teilweise Crhöhung eingetreten. Die Leute auf der Königin-Luise-Zeche haben gar keine Aufbesserung be- fommen, wohl anscheinend deshalb, weil dort einige in den Streik getreten sind. Ich möchte den Minister bitten, die Lohnerhöhun allgemein auf alle oberschlesischen Gruben auszudehnen, einschließlich der Köntigin-Luise-Grube. Die Leute, die dort in den Ausstand ge- treten find, haben die Folgen ihrer Handlungsweise nicht übersehen. Jch hoffe, daß dieser Wunsch erfüllt wird, zumal nachdem die Bergverwaltung sich bereit erklärt hat, die ausständigen Bergleute zum großen Teil wteder einzustellen. Der Minister würde dadur ein s{chönes Beispiel geben, dessen Einwirkung fd die anderen oberschlesishen Gruben auf die Dauer nicht würden entziehen können.

Abg. Wodarz (Zentr.): Im Namen der deutschen Zement- industrie muß ich gegen die seitens der Nüdersdorfer Berginspektion geplante Gründung einer dritten Zementfabuik protestieren. Die Lage der deutschen Zementindustrie ist erst in leßter Zeit durch die Aüfnahme det Außensetter in das Syndikat, sowie dur den Abichluß der Berliner Konvention etwas freundliher geworden. Diese Besserung würde aber dur die geplante Neugründung bedroht, da ihre Folge die Auflösung der Berliner Konvention sein würde.

Abg. Letnert (Soz.): Gegen die streikenden Arbeiter auf den staatlichen Gruben am Deister und in Dbernkirchen ist in rigoroser Weise vorgegangen. Die Verhandlungen, die mit dem Arbretter- aus\husse stattfanden, waren nicht veranlaßt, um zu einer Einigung zu kommen, sondern der Bergrat wollte den Atbeitern nur plausibel machen, daß die gewünschte Lohnerhöhung von 159% nicht gezahlt werden solle. Er hat die einzelnen Leute gefragt, ob sie den Streik wollten oder nicht; er hätte sih doch selbst sagen können, daß der einzelne Arbeiter auf diese Frage nicht sagen kann, s er s\treiken wolle. So wie. die Verhandlungen ge- führt wurden, waren sie nicht ge 1 vermeiden, denn es wurde niht das kleinste Zugeständnis gemacht. Die Arbciter haben den Streik wieder aufgegeben, weil sie etnsahen, daß er bei der Haltung des Oberbergamts gegen die Berg- werksdirektion am Deister und in Obernkirchen nihts ausrichten fönnte. Die Etnstellung der Arbeiter erfolgte unter Umständen, daß der Anschein erweckdt wurde, als sollten die Arbeiter, die bei dem Streik hervorragend Fe waren, noch besonders beslraft werden; es {ieden dabei einige Sicherheitsmänner und Arbeiterausschußmitglieder aus. In Obernkirchen sind heute Hun- derte von Arbeitern noch nicht wieder eingestellt worden. Biele Arbeiter mußten auswandern, und den Gemeinden wurden dadurch die Steuerzahler entzogen. Es hätten wohl ‘alle Arbeiter wieder eingestellt werden können, aber es sollten eben einzelne Arbeiter be- straft werden. Ih bitte den Minister, seinen Einfluß geltend zu machen, daß die dortigen Werke sämtliche Arbeiter wieder in. den Betrieb aufnehmen, Unter den gemaßregelten Arbeitern befindet

geecianet, den Streik zu { : * gewesen sein, daß die Herren mit einer ganz festen Meinung zu ihm

sich auch ein Mann, der seinerzeit auf der Grube Radbod gea arbeitet und über *ie Katastrophe Auskunst gegeben hatte; er gehörte also zu den Arbeitern, denen - der Minister-- seinerzeit zugesagt Fatte, ‘dak sie feine Nachteile von der Auskunfterteilung haben, sondern auf staatlichen Gruben beschäftigt werden sollten. Diese Maßregelung der Arbeiter entspriht dem. Verhalten, wie es von den Grubenherren im Ruhrrevier gezeigt wird, nur daß die Herren dort noch etwas brutaler - sind. Wenn die Arbeiter mehr als Menschen betrahtet würden, hätte die Direktion am Deister und in Obernkirchen ganz anders mit ihnen über die Lohnerhöhung vérhandeln können. Die \taatlihen Betriebe sollen doch Muster- betriebe sein; über diesen Begriff wetden „wir uns “allerdings mit dem Minister nicht einigen können, aber es gehört doch zu einem Musterbetrieb, daß die Verhältnisse so sind, daß ein Streik überhaupt unmöglichß is, weil ein Vertrauensverhältnis zwischen der Direktion und den Arbeitern herrschen müßte. Es entspriht doch nicht einer staatlihen Behörde, den Arbeitern zu sagen, das Streikreht habt Ihr wohl, aber bewilligt bekommt Ihr nichts. Die M sagt immer, sie wolle um die Seele der Arbeiter kämpfen, aber diesen Kampf kann man doch nur führen, wenn man den Arbeitern mit Mens{hlihkeit entgegenkommt. Die Löhne in Obernkirchen sind jeßt wieder fo weit heruntergedrüdt, daß die Arbeiter meinen, daß sie dur die niedrigen Löhne aus dem Lande getrieben werden sollen. Eine solhe Rachepolitik sollte doch eine staatliche Behörde aegen die Arbeiter niht anwenden, besonders nicht nah einem Streik, der doch die Arbeiter {hon genug mitge- nommen hat. Hoffentlich tragen diese Ausführungen zu ciner Besserung der Verhältnisse bei. i

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Der Herr Abg. Leinert hat den Saß aufgestellt, die fiskalische Bergwerksverwaltung müsse so geführt werden, daß ein Streik dec Arbeiter unmögli wäre. Ih frage Sie, ob das allein von dem Willen der fiskalishen Bergwerksverwaltung, nicht auch von den Forderungen der Bergarbeiter abhängt. Jin allgemeinen wird wohl eine Verständigung mit den Bergarbeitern möglich sein. Schwerer wird das \chon, wenn hinter den Bergarbeitern die fozialdemokratische Organisation steht. Und die sozialdemokcatishe Organisation ist recht eigentlih die Triebfeder bei dem Streik im Deistergebiet gewesen. Die Beunruhigung der Bergleute hat dort angefangen, nachdem die soztaldemokratishe Richtung des Alten Verbandes bei den Sicherheits- männerwahlen einen durchshlagenden Erfolg erzielte. Sie ist ver- stärkt worden jeßt während der Reichstagswahlen, als zum Reichstage ein sozialdemokratisher Abgeordneter kandidierte, der seine Wähler dadurch zu gewinnen suchte, daß er ihnen in Aussicht stellte, wenn der Wahlkreis niht bloß in Preußen durch Herrn Lenert, fondern auch im Reichstage durch den Abg. Fis(er, also dur zwei Sozialdetnokraten, vertreten sein würde, dann würden die Abgeordneten {hon dasür forgen, daß den - Arbeitern in ganz anderer Weise als bisher seitens der Bergverwaliung entgegen- gekommen würde. Nun liegt die Sache im Deisterbergbau so, daß auc dort die Kohlenpreise seit tem Jahre 1907 herabgegangen sind, und daß si die Whne in derselben Richtung wie die Preise, das heißt, allmählich abwärts, bewegt haben. Zuleßt waren sie wieder im Steigen begriffen. Die Hauerlöhne haben im Februar 1912 4,11 4 gegen den Höthststand von 4,17 f im Jahre 1907 be- tragen. Die Schichtlöhne waren zur selben Zeit gegen den Stand von 1907 noch um 16 4 zurück. Als nun die Lohnbewegung in Westfalen einsetßte, traten die Arbeiter imi Deistergebiet an die Vers waltung mit Forderungen heran, dié nh nicht bloß mit denen im westfälischen Gebiete deckten, sondern zum Teil darüber hinau®gingen. Sie verlangten zunächst eine fünfzehnprozentige Lohnerhöhung für die Gedingelöhne und Garantierung eines Minbestlohnes von 42 # für die Schicht eines einzelnen Gedingearbeiters. Als diese Forderungen kamen, ließ sich der Bergwerksdirektor am Deister den Aus\{chuß kommen und setzte ihm auseinander, kaß er bereits vor Weihnachten für das Frühjahr, wenn eine Preiserhöhung \tattfände, eine Erhöhung der Schihtlöhne um 30 „F zugesagt hätte diese Er- höhung is inzwischen eingetreten und daß er zweitens die Gedinge- löhne nur heraufseßen könne in dem Maße, wie si dke Konjunktur bessere. Der Deisterbergbau ist im legten Jahre besonders dur einen großen Wassereinbruh geschädigt worden. Von einer derartigen Erhöhung, wie die Mitglieder des Arbetteraus\husses sie verlangt haben, konnte keine Rede sein, weil selbst, wenn eine Preiserhöhung für die Kohlen erzielt werden würde, bei 1509/6 Lohnerhöhung eine Unterbilanz von 100000 46 für das laufende Jahr eingetreten wäre. Im allgemeinen ich habe das hon, als über den Nuhrstreik ge- sprochen wurde, gesagt genügt die Zusage, daß nah Maßgabe der verbesserten Konjunktur auh die hne wachsen werden; denn es ist gar: kein Zweifel, daß die fiskalishe Bergverwaltung das auch ein- gehaltén hâtte.

Der Bergierködirektor hat dem Arbeitéraus\{uß aber noch etwas anderes auseinandergeseßt, nämlich, daß die Deislerkohle vermöge threr Beschaffenheit nur einen ganz beschränkten Absaßzkreis hat, der so weit reiht, als der Frahtvorsprung für die Deisterkohle \ih er- streckt, daß es daher wesentlich darauf ankäme, sich den Kundenkreis dauernd zu erhalten, und daß kein \{chlimmerer Schaden für den Deisterbergbau entstehen könnte, als ein Streik in der Zeit, wo die Kontrakte für 1912 abgeschlossen würden, d. h. im Monat März. Die Konsumenten würden dann genötigt sein, fich anderswo zu decken, und infolgedessen würde nahher eine gewisse Absaßschwierigkeit für die Deister- fohle eintreten. Das hat er es ist ein Mann von großer Geduld nicht bloß dem Arbeiteraus{chuß auseinandergeseßt, er ist au in die Bergarbeiterversammlung gegangen und hat den Bergarbeltern ein- gehend dargelegt, weshalb er nit mehr versprehen könne, und wele Gefahren mit einem Streik auch für die Arbeiter verbunden wären. Er hat sogar später nochmals das is ein Zeichen von großer Geduld und zugleich von großem Optimièmus —, als" die Herren Abgg. Leinert und Fischer zu ihm kamen, versucht, sie in einer langen Auseinandersezung zu überzeugen. Wenn er länger hier im hohen Hause gewesen wäre, würde er wohl von vornherein der Ueberzeugung

hineinkamen und mit derselben au wieder hinausgingen, und daß alle Bekehrungsversuche vergeblich waren. (Heiterkeit. Zuruf des Abg- Leinert.) Er hat s{ch aber mit den Herren zienilich lange unterhalten und ihnen alles auseinandergeseßt.

Aber das alles hat nichts geholfen: ein Teil der Arbeiter ist unter Kontraktbruch in den Streik getreten, und zwar am Tage, bevor

der Streik im Nuhrrevier zu Ende ging. Der Streik im Deister-

revier hat vom 18, bis zum 30. März gedaueit; von den Arbeitern unter Tage sind ungefähr 40 °/ im Streik getretèn. Infolgedessen hat der Bergwérkédirektor in Baisingshßausen andere Arbeiter als

: Ersay einstellen müssen. Ende März brach dieser Streik, wie zuvor die anderen Streiks, voUkomnen erfolglos zusamuen.

arf man sich do

Nun war aber das eingetreten, was der Bergwerksdirektor be- vtet und den Leuten vorher gesagt hatte: die Konsumenten hatten um Teil mit Yraunkohle eingerichtet, sodaß für die Deisterkohle sazshwierigkeiten entstanden sind. (Lebhaftes Hört, hört!) Der fa ift über 20% zurüdckgegangen. Der Bergwerksdirektor am ister stand nun vor der Frage, ob er alle Arbeiter, die abgelegt bén, wieder annehmen follte und dann Feiershichten für fämtliche eiter einlegen follte, oder ob er nur soviel von den Abgelegten ehmen follte, daß er Feiershichten für die bei der Arbeit gebliebenen E iede. Da hat er si denn gesagt ih trete ihm darin voll _ eg würde eine Ungerechtigkeit sein gegen die Arbeitswilligen, ¿ or fo verführe, daß auch sie von Feterschihten betroffen werden. ohr rihtig!) Er hat deshalb nicht mehr Arbeiter eingestellt, nôtlg waren, um vorausfichtlich feine Feierschichten ein- bi j müssen. (Sehr richtig!) Gleihwobl ist übrigens 94, April in Banterode doch elne Feterschiht eingetreten. ine Herren, das ist keine Nachepolttik die würde niemand r im Hause billigen —, fondern das ist eine Politik der Gerechtig- gegen die Arbeiter, die niht in den Streik getreten waren, und nun nicht dadur geschädigt werden sollten, daß ihre Arbeitsgenosfen, x Warnungen ungeachtet, in den Streik getreten sind. (Sehr tig! und Bravo!) Deshalb kann ich das Vorgehen der Berg- fsdireftion am Deister in keiner Weise als rigores anerkennen. bohr richtig! und Bravo!)

Der Etat der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung wird

willigt. Beim Etat der Handels- und Gewerbeverwaltung

tet

Abg. Neimer - Görlig (konf.) den Minister, dafür zu sorgen, 5 bei ter Königlichen Maschinenbauschule in Görliß der Sonntags- terricht, der im Sommer von 7 bis 11, im Winter von 8 bis 12 Uhr ttfinde, verboten wird, damit die Shüler Gelegenheit haben, am viteódienste teilzunehmen. In einer Zett, in der dur die Bestre- ngen von gewisser Scite die kirchliche Einwirkung auf die Jugend außerordentli erschroert sei, set. es doppelt notwendig, dafür zu gea, daß der Jugend der Besuch des Goltesdienstes ermöglicht rde.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Jh habe von der hier vorgetragenén Angabe erst vor kurzem wobl dur eine Mitteilung der Kreissynode Görliß wie dur eine itteilung des Herrn Abg. Dr. von Schenckendorfff Kenntnis erhalten. h werde darüber Bericht einfordern, und sollte sich in der Tat raus\tellen, daß der Sonntagsunterriht so gelegt ist, daß eine Be- hträhtigung der Möglichkeit, den Gottesdienst zu besuchen, statt-

det, so wird Nemedur geschaffen werden.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Die Praxis der preußischen nterrichtsverwaltung inbezug auf das Verlangen und die Erteilung 1 Unterrichtserlaubnis\{heinen wird auch in der Handels- und Ge- erbeverwaltung neuerdings geübt, indem von Personen, welche \andelsunterricht erteilen wollen, ein solcher Erlaubniss{chein auch hnn verlangt wird, wenn es \sich um Personen im Alter von über ÿ Jahren handelt, die unterwiesen werden sollen. Der Handels- inter hat hier gestern erkennen lassen, daß ihm das darauf ügliche Neichsgerichtsurteil gleichgültig ist, daß er ih daran nicht fehren gedenkt. Ich bitte ihn um eine Erklärung.

Ein Vertreter der Handels- und Gewerbeverwaltung vidert: Die Verwaltung - steht nah wie vor auf dem Boden der nbinettsorders von 1834 und 1839 und auf dem Boden des vom \andelsministerium 1908 herausgegebenen Erlasses. Der Vorredner hat fncint, es dürfe sich nur um Unterricht handeln, der an Leute unter ß Jahren erteilt wird. Das Landrecht. dessen Béstimmungen durch e Ministerialinstruktion von 1839 wieder hergestellt worden sind, versteht nter „Unterricht“ nicht nur solchen, der an Personen unter 18 Jahren tilt wird, sondern den Unterricht der Jugend. Zu dieser Jugend gehören B. auch dié Leute, welche die Universität besuhen. Außerdem ift der tandpunkt des Handelsministeriums auf dem Gebiete des Privatschul- jens bestätigt worden dur ein Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts. fn einem anderen Falle {webt das Verfahren noch beim Reichsgericht.

Abg. Dr. Liebkneht (Soz.): Ih kann nicht zugeben, daß die jtaxis des Handelsministeriums sich mit dem Neichsgericht8erkenntnis jreinbaren läßt. Es handelt sih- hier niht um solhe Kreise, die nt au noch Universitätsunterriht genießen, sondern um eine pri- ite Vorbildung über das hinaus, was die Schule zu gewähren pflegt, i fällt in das Gebiet der völlig freiwilligen Fortbildung. Da kann je staatliche Aufsicht nicht Plaß greifen, wie etwa bei den Universi- îten, denn es handelt sich ja gerade um Personen, die die Universität ar nicht beziehen können.

Zum Etat der Justizverwaltung bemerkt

_ Abg. Drinnenberg (Zentr.): Die Hilfs\{reiber sollen all- nählih durch ständige Schreiber, also durch Kanzleibeamte erseßt erden, und diese Stellen sind ausschließliq WMilitäranwärtern orbehalten. Die Entlassung erfolgt für einen Teil der Hilfs- reiber hon am 1. Juli 1912, für andere spätestens am 1. April 913. Dem größten Teil namentli der älteren Hilfsshreiber wird s nit möglich sein, eine andere Beschäftigung zu finden, sie werden rotlos oder N ihren Angehörigen zur Last. Die formale Be- tigung der Verwaltung ist ja nicht zweifelhaft, aber es sollten doh ille vermeidbaren Härten vermieden werden. Von den nur ganz vor- bergehend angenommenen Hilfs\chreibern kann man ja absehen; aber ille diejenigen, die mehr als 2 Jahre beschäftigt sind, erscheinen mir ils sehr benachteiligt. Was soll der Hilfsscreiber denken, wenn er chen muß, wie andere ganz leiht in eine Kanzleistelle kommen, die 1 erreichen ihm in 4 oder 5 Jahren troy befriedigender Arbeit nicht jelang ? Cine angemessene Mischung von Zivil- und Militäranwärtern st doh auch für oie Justizverwaltung von größtem Vorteil und die lljährliche Einstellung einer Schar ungeübter, unzuverlässiger Kanzlei- tâfte niht ganz unbedenklih. Hoffentlich unterzieht der Minister dle Frage einer nochmaligen wohlwollenden Prüfung.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Wir können . dem Abg. Haar- ann dafür dankbar sein, daß er unmittelbar auf die Aeußerung des ustizministers erklärt hat, er sehe es als die Hauptaufgabe der ustiz in Preußen an, daß sie einen festen Damm (oen die Sozial- tmokcatie bilde. Sie pflegt also niht Recht und Gerechtigkeit, sie illt ihre Urteile mit Rücksicht auf die politishe Stellung dex An- eflagten. Das ist ein Standpunkt bezüglich der Aufgaben der Justiz, der sür uns nit außer aht gelassen rverden darf. Aus solchem E te heraus fönnen natüurlich gerechte Urteile in politishen Prozessen nicht ergehen. Dieser Geist scheut \ich niht einmal k erklären, daß eine Klässenjustiz besteht. (Präsident: enn Ste von Klassenjustiz reden, so ist das eine Be- digung des Nichterstandes.) Der Minister hat auch zuerst von Klasseniustiz gesprochen, ebenso Herr Haarmann. Deshalb

„M d hier in diesem Hause darüber unterhalten. Präsident: Sie dürfen nit in diesem Sinne von Klassenjustiz peeden, wie Sie es tun. Auf einen Zuruf erteilt der Präsident dem j: q. Ströbel einen Ordnungsruf, zieht diesen aber zurück, als er erórt, daß dieser Zuruf von dem Abg. Borchardt herrührt, und l it diesem den Ördnungsruf.) Wenn die Angelegenheit hier so be andhabt wird, wie es der Präsident wünscht, dann wären wir ja pa den Punkt herum und könnten nah Hause gehen. (Abg. von Pappen- De ruft: Das wäre famos!) Unsere Justiz führt zu Tendenzurteilen. 4er Justizminister hat uns mitgeteilt, daß mehr als 4000 Anzeigen h degangen find. Wir wären nun sehr dankbar, wenn der Jusliz- inister uns auch über die Anzeigenden etwas sagen würde.

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Es wäre do interessant, zu erfahren, wieviele davon vom Christlichen Bergarbeiterverbande beritren Darüber wird ih ja wobl der Minister ausshweigen. Aber vielleicht gibt er uns darüber Auskunft, wieviel Untersuhungshaft diese Opfer der Denunziation zu verbüßen ge- habt haben, wieviel Jahre Gefängnis und witviele Geldstrafen insgesamt verhängt worden sind. In all den Fällen ist mit einer großen Ge- s{hwindigkeit Anklage erhoben worden, mandhmal sogar schon, ebe der Streik zu Ende war. Man ist so schnell vorgegangen, als ob Stand- recht geherrsht hätte. Diese Mitrailleusenjunig macht eine sachliche Nachprüfung unmöglich. Eine solche rasche Entscheidung muß in der Hiye der Aufreguna ein ruhiges, sahlies Urteil der Richter un- möglich machen. Der Minister sagte, ein so_schnelles Vorgehen sei nötig gewesen, um die Ruhe wieder berzustellen; aber ist denn die Ordnung überbaupt in nennenswerter Weite gestört worden ? Die meisten Prozesse sind doch erst nach dem Streike vor sich gegangen, nachdem der Streik niedergebrohen war, da war do von Unruhe feine Rede mehr. Wir sind der Ueberzeugung, daß dieses schnelle Vorgehen, wenn auch unbewußterwetse, diktiert war von dem Bedürfnis, Nache zu nehmen an Gg e ay Bergfsklaven. (Der Präsident maht den Redner wiederholt darauf aufmerksam, daß es unzulässig ist, von der Klassenjustiz zu sprechen.) Ich bin doch nidt {huld daran, wenn ih soldhes hier sagen muß. Ih muß doh das Vorgehen der Justiz ganz energish bve- fämpfen und kann mir eine scharfe Kritik an ihr nicht verbieten lassen. (Zuruf der Sozialdemokraten: Sehr richtig! Rufe rets: Dann wahren Sie doch wenigstens die parlamentarishe Form !). Es muß hier eine Ausnahmetendenz festgestellt werden, da diese Kammern speziel für Streikyergehen ein erihtet worden sind. Gewiß ist eine Scheidung nah Materien häufig bei uns, aber dann muß es sich um juristische Gruppierungen händeln, niht um eine Gruppierung nah dem Anlaß, nicht um politische Ausnahme- gerichte. Die {weren Urteile erklären ih nur aus der Gehässigkeit und Aufregung in dieser Zeit. Es hat sich weiter die Tendenz herausgestellt, alle Dinge, die vor die Schöffengerichte gehören, vor die Strafkammern zu bringen; sehr kleine Bagatell- sahen sind zu Strafsahen gemacht wörden, man hat den Leuten dadurch systematisch eine Instanz genommen. Wenn man alles dies zusammennimmt, \o E man, daß alle s{lechten Eigenschaften einer Ausnahmegerihtsbarkeit vorhanden sind. Im Reichötage hat I die Justizverwaltung in dieser Frage auf die Zuständigkeit

reußens zurückgezogen. Hier verlangen wir von dem Justizminister Antwort, ob dtîe einzelnen Ausschreitungen der Justiz, die hier als bösartige Auswüchse, als Ausnahmegerichtstendenzen auftreten, systematisch durch Anweisungen des Sustizministers herbeigeführt worden sind. Sollte si meine Vermutüng als richtig erweisen, so wird man nit anders können, als in diesem Vorgehen doch von einer Klassenjustiz zu sprechen.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Der Herr Abg. Hoffmann hat ja erst {on über diese Dinge gesprochen, und ih habe meine Stellung zu der Frage, die da behandelt ist, genommen. Herr Abg. Dr. Liebknecht hat die Anführungen des Herrr Abg. Hoffmann durch seine Angaben noch weiter ausgeschmüdt. Ich will zunächst auf die Anfragen antworten, die der Herr Abgeordnete: heute mit Nachdruck an mich gerichtet hat.

Es ist richtig, daß ich die staatsanwaltschaftlichßen Behörden darauf aufmerksam gemacht habe, daß ein schnelles Einschreiten bei den vorliegenden Untersuhungen nötig sei. (Bravo! rechts Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich habe das ja auch bereits gesagt und meine Gründe dafür angegeben, ih wiederhole, daß diese An- ordnung durch die Sachlage gerechtfertigt war. Weiter habe ih keine Anweisungen erteilt; ih habe nie gesagt, man müsse hier be- sonders mit Untersuchungshaft vorgehen, man müsse die Ver- zihte der Angeklagten auf die Fristen herbeisühren, oder man solle dafür sorgen, daß die sämtlihen Sachen an die Strafkammern, nicht an die Shöffengerichte kämen. Sole Anordnungen sind im Laufe des Geschäftsganges von den Lokalbehörden getroffen worden, sobald sie es nach threr Ueberzeugung der Rechtslage für entsprehend ge» halten haben. Wenn Herr Abg. Uebkneht zu erwarten schien, daß ih diese Anordnungen alle erlassen hätte, um dann zu sagen: seht, so ist die Justizverwaltung darauf erpiht, die unglücklichen Leute noch obendrein aufs \chärfste zu treffen, so kann ih ihm nur darauf er-

„widern: ih habe diese Anordnungen nit getroffen, sondern nur das,

was ih ihm gesagt habe. Welche Schlüsse Herr Abg. Liebknecht weiter ziehen wird, weiß ih nicht.

Dann hat Herr Abg. Liebknecht gesagt, die Kammerbildung gebe zu Bedenken Anlaß. Daß unter den obwaltenden Umständen Hilfe gegeben werden mußte, habe ih bereits gesagt. Das lag ja in der Natur der Sache. Daß die Kammerbildung Sache des Prä- sidiums des Landgerichts ist, weiß Herr Abg. Liebkneht natürlich ; daß die Kammern durhweg so gebildet worden sind, wie er heute gesagt hat, is nicht zutreffend. Nur bei einem Gericht find Sonderkammern gebildet worden; der Direktor, der sonst den Vorsiß in den Kammern führte, ist aber geblieben. Bei - den anderen Ge- ridten sind die Hilfen derart gegeben worden, daß die Kräfte auf die ordentlichen Kanimern verteilt und mehr Sihungen anberaumt worden find. Also auch in dieser Hinsicht ist die von dem Herrn Abgeordneten beliebte Verallgereinerung nit zutreffend.

Der Herr Abgeordnete hat sodann gemeint, es habe ih gewisser-

maßen um Kleinigkeiten, um harmlose Dinge gehandelt und es sei

niemals zu größeren Ausschreitungen gekommen, sodaß es niht nötig gewesen wäre, hier einen so großen Nachdruck in die Sache legen. Id) habe den Eindruck, als ob diese Auffassung sonst nicht geteilt wurde. Im Gegenteil, man sah das, was vorging, als \{were, drückende Eingriffe in die Nechtsordnung an, und viele Leute fühlten ih in ihrer persönlichen Sicherheit ernstlich gefährdet. Das sind doch keine Kleinigkeiten. Unter den Anzeigen, die eingegängen sind, war eine große Anzahl, die {chwère Fälle betrafen. Daß bereits An- fang April 4000 Anzeigen eingegangen waren, zeigt doch am besten, daß es sich hier nicht um vorübergehende kleine Ruhestörungen gehandelt hat, bei denen mit mögli{hster Sg@honung gegen die armen Leute vorzugehen gewesen wäre. (Züruf von“ den Sozialdemokraten: Shstematische Denunziation!)" Wer diese systematische Denunziation gemacht haben soll, weiß ih nicht. Der Herr Abgeordnete wird s{werlich annehmen, daß ih in jedém einzelnen Falle weiß, von wern die Anzeige ausgegarigen ist; ich be- zweifle gar nit, daß sehr viele Anzeigen von Priyatleuten aüsgegängen sind, die sich durch das Vorgehen der Ruhestörer empfindlih bedroht fühlten. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Streikbrecher! Heiter- feit rechts.) Ich lehne es ab, auf Ihre Unterbrehungen einzugehen. (Sehr richtig!) Ueber die Zusammenseßung der Kammern habe ih au {on gesprochen. Die systematische Untersuhungshaft, die vor- gekommen sein soll, ist niemals dagewesen. So viel Gefängnisraum ist dort gar niht vorhanden, daß jeder Mann hätte als Unter- suhungsgefangener ins Gefängnis eingebracht werden können. Jch habe eben noch cinen Bericht nahgelesen von einem der sehr mit in Îrage kommenden Undgerichtspräsidenten; es ergibt si daraus,

daß dié Untersuhungshaft keineswégs in besonders zahlreichen Fällcn verhängt worden ist.

Was den Vérziht auf die Einlassungsfrist anlangt, so ist in demselben Bericht gesagt, anfangs scien die Lute über den Verzicht befragt worden, später sei das nicht nötig gewesen, da die Ladungsfrist von vornherein eingehalten worden sei, und wo das im Einzelfalle nit geshehen set, hätten die Vorsißenden die Angeklagten belch1t und gefragt, ob sie noch weiter vertagen wollten oder zur Verhandlung bereit seien; da haben sie in der Regel gesagt: Ja. Wo sie es nicht wollten, sei vertagt worden. Also alles in allem: ein systematisckes * Vorgehen der von dêm Herrn Abgeordnetén angedeuteten Art ist mir nicht bekannt; den Berichten, die mir erstattet worden sind, kann ih der- artiges nicht entnehmen: Ich weiß nit, woher der Herr Abge- ordnete seine Informationen entnommen hat; aber fie find unzuver- lässig gewesen.

Dann hat der Herr Abgeordnete und das bin ih ja gewohnt, wenn et über den JIustizetat \pri(t {were allgemeine Vorwürfe angehäuft: die Richter seien in äußerst erregter Stimmung gewesen und rüdsichtslos vorgegangen, fie seien bestrebt gewesen, Nahe zu nehmen und .niht zu strafen. Weshalb sollen die Richter so erregt gewesen sein? Sie waren vom Streik am allerwenigsten betroffen! Ihr amtlihes Wirken rüdcksihtslcs zu nennen, wenn fie diejenige Strenge walten lassen, die bei ter Sachlage ihrer Ueberzeugung nah geboten war, ist unter allen Umständen unstatthaft, und von ihrer Tätigkeit als einem Nacheakt zu sprechen, das ist eine schwere Beleidigung. Ich welß nit, ob der Herr Abgeordnetc si klar gemacht hat, wie shwer die Beleidigung ist. Da er: doch ein durchgebildeter Jurist ist, muß er das am besten empfinden. (Sehr richtig!) Am allerentschiedensten muß ih derartige Behauptungen zurückweisen. Die ganzen Angriffe des Herrn Rechtsanwalts Liebkneht wegen der Streikangelegenheiten sind verfehlt; ih glaube vielmehr, daß dic Behörden volle Anerkennung verdient haben. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Jh werde zwar Herrn Liebkneht ebensowentg überzeugen, wie er mi, ih muß aber einen Vorwunf zurückweisen, den der Abg. Liebkneht tem Abg. Haarmann gemacht hat, indem er sagte; jener hätte die Klassenjustiz in Preußen ge- billigt. Der Abg. Haarmann hat nur seiner Befriedigung darüber Ausdruck gegeben, daß die preußishe Justiz noch einen festen Damm gegen die gemeingefährlihen Bestrebungen der Sozial- demokratie bilde. Es ist selbstverständlih, daß der Abg. Lieb- fnecht diesen Worten eine Auslegung gibt, die ihm paßt. Daß die Ausschreitungen im Ruhrgebiet im wesentlichen den Soztaldemokraten zuzuschreiben sind, wird der Abg. Liebknecht nicht bestreiten wollen. Der Sinn der Ausführungen des Abg. Haarmann war einfach der, daß die von den Sozialdemokraten begangenen Rechtsverleßungen von der Justiz auf das shärfste zurückgewiesen und geahndet werden müßten. Selbstverständlih ist es unsere Auffassung und auch die des Abg. Haarmann, daß Sozialdemokraten von dem Richter ebenso behandelt werden müßten wie andere Leute, also von einer Klassen- justiz kann keine Rede sein. Ich bin überzeugt, daß die Richter au. nach diesem Grundsage verfahren. Ob aber die Sozialdemo- fraten gegenüber dem Angeklagten in jenem Falle ebenso verfahren würden, is mir außerordentli zweifelhaft. Wer sozialdemokratische Versammlungen erlebt hat, wird die Ueberzeugung gewonnen haben, daß: die Vorsitzenden es an Objektivität fehlen lassen. Die sozialdemokcatische Auffassung: ist immer die gewesen: wer nicht gehort, der fliegt hinaus. Daß. unsere Richter bei ihren Urteilen zwar Firigkeit, aber nicht Richtigkeit bewiesen hätten, ist ebenfalls un- ritig. Daß in anderen Staaten demokratischen Charakters, wie SFranfreih und auch England, die Justiz bei solchen Delikten viel schneller als bei uns vorgeht, ist befannt; man hat sich bei uns darüber beklagt, dak die Justiz nicht schneller abgeurteilt habe. Man fann also unsere Justiz nicht tadeln. Unsere Justiz hat ihre volle Objektivität bewahrt.

Práäsidènt Dr. Freiherr von Erffa: Die Debatte is gez \{lossen, da kein weiterer Redner zum Worte, gemeldet ist.

Abg. Dr. Liebkneccht (Soz.): Ih habe mich zum Worte gemeldet.

Präsident: Dann liegt ein Schlußantrag vor. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Es waren auch die Abgg. von Pappen- heim und Lohmann zum Worte gemeldet, es wurde mir aber mit- geteilt, daß sie ihren Name von der Liste haben streichen lassen. Es war schon vorher von dem Abg. von Pappenheim ein A eingereiht, er wurde aber dadur illusorish, daß sih der Abg. von Pappenheim von der Liste streichen ließ. Ich gebe ihm jeßt das Wort.

Abg. von Pappenheim (kons.) beantragt mit dem Abg. Gyßling, der Étatsposition im Extraordinarium, die zum Neubau eines Dienstwohnungsgebäudes für einen Amtsrichter in Riesenburg 32000 6 fordert, eine andere Fassung zu geben.

Präsident: Da der Antrag niht gedruckt vorliegt, können wir erst in der nächsten Sitzung darüber abstimmen lassen.

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Abg. Dr. Liebkneccht (Soz.): Ih habe mich noch zu einem weiteren Titel zum Wort gemeldet. Ih muß doch Gelegenheit haben, auf die Ausführungen des Ministers und des Abg. Friedberg zu antworten. E

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Nah meinen Erfahrungen ist bei der dritten Lesung eine Besprechung der einzelnen Titel nicht möglich, sondern nur eîne des Gesamtetats. :

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Im Reichstag gibt es bei der dritten Lesung immer eine Spezialdebatte. Das, was der Abg. Dr. Friedberg gesagt hat, ist .niht durh die Geschäftsordnung ge- boten, es bedarf also zu diesem Vorgehen eines besonderen Beschlusses. Ein solcher Beschluß ist mir aber nicht bekannt.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (konf.): Ih fann mi der Auffassung des Präsidenten nur anschließen und aus meiner 25 jährigen Erfahrung bestätigen, daß immer bei der dritten Lesung nur eine Rednerliste für jeden Etat aufgestellt worden ift.

Präsident: Durh den Vizepräsidenten Dr. Krause ist bei Beginn der Einzelbesprehung ausdrücklich festgestellt worden, daß jeder Etat im ganzen zur Beratung gestellt wird.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Hätte ih das Wort bekommen, so wären wir längst fertig. Wir haben zur dritten Lesung drei Tage in Aussicht genommen, heute sind wir bereits aber bis zum 924. Etat vorgeschritten, was heute früh auch vom Präsidium nicht für neR gehalten wurde. Da liegt kein Anläß zur Schnellfeuer- arbeit vor. :

Abg. Dr. Por ch (Zentr.): Ich kann nur die Auffassung des Abg. Dr. Friedberg egn jen. enn: der Abg. Dr. ede mit Sud Behandlung nit Een war, dann hätte er bei der Feststellung des Vizepräsidenten Widerspruch erheben müssen.

Abg. Dr. Arend t (freikons.): Die Observanz, die besteht und die feit langen Jahren gehandhabt ist, kann nit allein aus|chlog-

ebend scin. Aber dadurch, daß der Abg. Dr. Liebknecht nit glei j D A hat, hat er ih jeßt des Rechts eines Widér- pru egeben. Mea

Abg. Str ö bel (Soz.): Dann darf aber au nicht über den Justizetat nah einzelnen Kapiteln und Titeln verhändelt werden. ;

Aba. Schriftführer von Bonin (freikons.): Die Meld e zu einzelnen Titeln des Kultusetats sind niht von den Abgeordneten, sondern von den Sten Venn, wn, um eine ge wisse Ordnuyg in die Debatte zu bringen. Der Abg. Lebkneht hat sich allerdings zu Kapitel 74 „Landgerichte und Amtsgerichte“ ge4