1912 / 120 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 May 1912 18:00:01 GMT) scan diff

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gegenüber, aber da die Vermehrung der Hengststationen auch Geld kostet, so muß sie immerhin mit den vorhandenen Mitteln haushalten ‘und kann nicht überall in der Weise eintreten, wie es bielleicht von den Interessenten nicht mit Unreht gewünsht wird. Das trifst speziel auh zu auf die Provinz Pommern. Jh konnte bereits: in der früheren Beratung darauf aufmerksam ‘machen, daß in der Provinz Pommern die Zahl der den einzelnen Hengsten im Durchschnitt zugeführten Stuten gegenüber anderen Remonteprovinzen eine verhältnismäßig gertnge ist. In der Provinz Pommern kommen auf. einen Hengst durhshnittlich 48 Stuten, während z. B. in den Bezirken von Ostpreußen die Zahl auf 69, 58 und nohmals 58 steigt. hervor, daß. in Pommern wenigstens im allgemeinen ein so großes Bedürfnis nah. Vermehrung der Hengste nicht vorhanden ist, und ih glaube nit zu irren in der Annahme, daß es in der Provinz Pommern ganz besonders darauf ankommen würde, die Qualität der Hengsté zu vermehren und gleichzeitig, soweit es möglich und erforderli ist, auch auf die Vermehrung der Pribathengsthaltung hinzuwirken. Wir werden im Laufe der Jahre in den verschiedenen Provinzen nicht ohne kräftigere Unterstüßung und Förderung der Privathengsthaltung auskommen. Es ist ganz unmöglich, z. B. in der Rheinprovinz und in Westfalen den Bedürfnissen der Pferdezühter lediglich durch Vermehrung der Beschäler in den staatlichen Gestüten naGzukommen. Ich habe die Herren, die si mit ter Kaltblutzucht befassen, immer wieder auf das Beispiel von Belgien hinzuweisen gesudht, wo ohne jegliche staatliche Hengst- haltung die Pferdezucht zu so großer Blüte gelangt ist, und ih glaube, daß weder die geologischen, noch die klimatishen Verhältnisse in der Nheinprovinz und in Westfalen so vershieden sind, daß niht auch dort mit entsprechender Unterstüßung der Staatsregierung ähnliche Zustände wie in Belgien ges{haffen werden könnten. In Provinzen, die fi teils mit der Kaltblut-, teils mit der Warmblut- und Halb- blutzuht beschäftigen, ist es ganz besonders von Wert, die Kaltblut- zuht auf Privathengsthaltung zu. basieren und damit in den staat- lichen Gestüten für die warmblütigen Hengste wieder Plaß frei zu machen. Von diesem Gesichtspunkte geht die Gestütverwaltung auh ferner aus, und ih. glaube, daß, sie damit auch in der Lage ist, den berechtigten Wünschen der Pferdezüchter entsprehen zu können. (Beifall.)

Herr Graf Seidliß-Sandreczki: Im Laufe der leßten Jahre hat sich der Rennbetrieb unglaublih gehoben. Indessen. ist doch. nicht alles-fo, wie es sein sollte. Wir müssen eine Menge nicht gerade howertigen ausländishen Materials einführren, um die vielen Nennen bestreiten zu können. WVielfah ist die Zahl der Nennen für unser wvorhandenes Material zu groß. Der Hauptmangel liegt aber darin, daß unser Material zu früh angestrengt wird. Die zu frühe Anstrengung der zweijährigen Pferde hat niht nur s{ädigend eingewirkt auf ihre spätere Dauerhaftigkeit, sondern auch auf die- Pferdezuht im- allgemeinen. Das hat ih ebenso auch in England gezeigt. Ih möchte also. den Minister bitten, seine ganze Machtvollkommenheit dafür einzuseßen, daß mit dem früheren Zeitpunkt der Zweijährigenrennen gebrohen und daß die großen Zweijährigenrennen erst im Herbst gelaufen werden. Jn den Verbandlungen. mit den betreffenden Kreisen sollte der Vertreter vnserer Landwirtschaft recht fest bleiben. Bei der Zuteilung der __ Sprünge- an die Züchter sollten außerpreußishe Vollblutzüchter erst in zweite Linie berüdsihtigt werden. : A Ein Negierunaskommissar erkennt die Berechtigung der eben vorgebrahten Beschwerden, insbesondere die über die Nennen mit zweijährigen Hengsten, an. Die Gestütsverwaltung stehe über diése Frage. noch habe aber doch. eine Kehrseite.

in Verhandlungen. Die Sache Zweiféllos würden dur. die Einschränkung der Zweijährigenrennen fowohl die Rennstallbesißer wie die Vereine pekuniär ge|chädigt werden, allerdings nur vorübers gebend. Anderseits. dürse man aber nit übersehen, daß diese früheren Zweijährigenrennen auf unser Zuchtmaterial \{chädigend einwirken. In England fei durch das frühe Zweijährigenrennen in den leßten 50 Sahren ganz; deutlich ein Nückaang der Vollblutjucht / nah Güte und Zahl hervorgetreten. Diese Frage dürfe deshalb wentaer vom pekuniären Gesichtspunkte als von dem der patriotischen Rücksicht auf unfere Landespferdezucht betrachtet werden. Der Gestütsetat wird genehmigt. Darauf wird gegen 5 Uhr die weitere Beratung des Etats auf Montag 12 Uhr vertagt. Vorher kleinere Vorlagen.

Haus der Abgeordneten. : 75. Sigung vom 18. Mai 1912, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf. der Tagesordnung steht die zweite und dritte Be- ratung des Geseßentwurfs über Stärkung des Deutsch- tums in einigen Landesteilen (Besißfestigungsgeseß).

Justizminister Dr. Besele r:

Meine Herren! Sowohl bei der ersten Lesung dieses Geseßes als auch in den Kommissionsberatungen sind vielfah Bedenken geltend aemackcht worden gegen die Konstruktion dieser Vorlage vom rechtlichen Standpunkte aus. Ih lege Wert darauf, mich zu diesen Fragen aussprechen zu können, und sehe mich gezwungen, das schon in dem jeßigen Zeitpunkte zu tun, weil ih zur Beratung des Justizetats binnen kurzem im Herrenhause erwartet werde. Jch werde mich rein auf das juristishe Gebiet beschränken und diejenigen Punkte hervor- beben, welhe soweit ih übersehen kann zum Gegenstand der Erörterung etwa noch kommen fönnen. r

Es liegt ein neuer Antrag vor, in dem gefordert wird, daß der jezige Geseßentwurf gemäß Artikel 107 der Verfassung zu nochmaliger

Abstinunung gebracht werde. Ich kann diesen Antrag nur dahin ver- stehen, daß Zweifel erhoben werden sollen, ob der Artikel 4 unserer preußishen Verfassung in Frage gestellt wäre; denn fonst sehe ih keinen Anhalt, wie der Äntrag überhaupt motiviert werden köunte. Jch rechne also mit. der Möglichkeit, daß auf den Artikel 4 verwiesen witd, und muß deshalb zu dem Antrage s{hon jeßt sprechen.

Meine Herren, bisher ist bon diesem Artikel bet den jeßigen Ver- handlungen nit die Rede gewesen, wohl aber vielfah bei früheren Verhandlungen, fn denen ähnliche Geseßentwürfe zur Verhandlung standen. Der Artikel 4 lautet : j Í

____ Alle Preußen sind vor dem Gesege gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind, unter Einhaltung der von den Gesepen festgestellten Bedingungen, für alle dazu Be- fähigten glêich zugängli@h.

Bel früheren Verhändlungen ist gesagt, der Geseßentwurf verlehe

diése Beslimmüng insofern, als hiér nit alle Preußen vom Geseh

finden nit statt, und alle‘ B dazu haben, nach gleichem Maßsta

Meine Herren, aus diesen Zahlen geht*

jeder Preuße einen Anspruch hat auf lle 4

i würden. (Sehr niht zu. Es heißt : Standesvorrechte sle die Eigenschaft erden. Es besteht Inhalt des Artikels 4

gleih behandelt, sondern best rihtig! bei den Polen.) Diese in dem Arlikel 4, wie {ch bereits

eine Auffassung, daß das überhauy sein solle, daß eben sein Zweck ge] beseitigen und wegen der Beamtè êworte nur dasjenige, was nachher im einzelnen erlô 0 Andere An- fichten bestehen auch, die A sei nicht in beiden Säßen dasselbe gesagt, 68 sei im zweiten Say „nur ein Beispiel angeführ er im übrigen solle zum Ausdruck gebracht werden die ( eit vor dem Geseß im allgemeinen. Das kann natürli n verstanden werden, daß jenigen Einrichtungen, die etwa das staatlidie Leben mit sich brächte. Das ist unmöglich, das würde zu Absurditäten führen. N ‘Auslegung, die die Nechts- doktrin dieser Bestimmung gegebên ist anzunehmen, daß gesagt sein soll: jeder Preuße soll, wenn in den Bereich irgend einer Geseßesanwendung gezogen wird, nid) ders behandelt werden wie jeder andere, also die Anwendung des C seßes, soweit es überhaupt zur Anwendung komme, solle für ihn dieselbe sein wie für jeden anderen. Davon wird hier bei der Vorlage des jeßigen Gesezes nit abge- wichen. Es ist ein Hineinziehen des Einzelnen in den Geseßesbercih erst dann vorhanden, wenn der Staat sih-in vertragsmäßige Verbindung mit dem Einzelnen seßt. Tut er das, beginut er also, wie wir es hier vorausseßen, das Rentengutsbildung8werk, so ist es sein freier Wille, zu bestimmen, mit wem ex verhandeln will, und nur, wenn er mit einem Staatsbürger in Verbindung tritt, muß er dieselden Nechtsgrundsäße gelten lassen, wie bei jedem anderen, mit dem er {ih in gleihe Verhandlungen einläßt (Heiterkeit bei den Polen) diese Auslegung ist niht von mir allein —, aber er ist. niht gezwungen, jeden, der es verlangt, zur Verhandlüng zuzulassen. Diese Auffassung ist bet den früheren Gesetzen vertreten worden; sie hat die Zustimmung der großen Mehrheit der Parteien gefunden,

und sie ist auch in der Doktrin begründet. Also Art. 4 kommt bei

dem vorliegenden Gesehentwurf gar niht in Frage. (Heiterkeit bei

den Polen.) ; : Des weiteren ist auf die Bestimmungen der Reichsgesetgebung hingewiesen worden. Es heißt zuerst im Art. 3 der Verfassung : Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Jndigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Untertan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaats in jedem andéren Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsiß, zum Gewerbe- betriebe, zu öffentlihen Aëémtern, zur Erwerbung von Grund- stücken usw. unter denselbe Voraussegungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsvêrfolgung und des Rechts- \{hußes demselben glei zu behandeln ist. i Kein Deutscher darf fn der Ausübung dieser Befugnis durch die Obrigkeit seiner Heimat oder durch: die Obrigkeit eines anderen Bundesstaats beschränkt werden Was bedeutet das? Meire Hérren: jeder deutshe Staatsbürger kann verlangen, daß er in jedem deutshen Staate bei dem Erwerbe eines Grundstücks ebenso behandelt wird wie die Angehörigen dieses Staates selbst. Er ¿kann also ebensowenig, wie cin preußischer Stäaatsangehöriger verlangen kann, daß er zur Nentengutsbildung mit herangezogen * werde, dieses für sich beanspruhen. Ein solches Necht besteht für thn ebensowenig wie für einen Preußen. Es ist aber hier nicht etwa gesagt, daß die Angehörigen anderer Staaten anders ge- stellt werden sollen wie die Preußen, und wenn die preußt- schen Angehörigen keinen Anspruß haben, bei Nenten- gutöbildungen hHinzugezogen zu werden, so hat es auch der nicht, welher einem anderen Bundesstaate angehört. In den damit in Verbindung stehenden Bestimmungen des Fretz zügkeitsgeseßes, auf die auch hingewiesen worden ist, heißt es: Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundes-

gebiets : 1) ‘an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine

etgene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu vershaffen im- stande ist; 2) an jedem Orte Grundeigentum aller Art zu erwerben.

Das leßtere bedeutet natürlich niht, daß nun jedermann befugt ift, zu sagen, er wünsche, irgendein bestimmtes Grundstück zu erwerben, und man solle ihm das überlassen. Ein sol{cher Eingriff in die privatrechtlichèn Bestimmungen ist nicht beabsihtigt, sondern es handelt sich hièr um verkäufliße -Grundstücke. Allerdings darf nit bestimint werden: ein Nichtpreuße oder ein Angehöriger dés preußishen Staates folle bei diesem Grundstückswerte {on ohne weiteres ausgeschlossen sein. Andererseits is aber nicht vorgeschrieben, daß jedèr das Necht habe, einen anderen zu zwingen zu verkaufen oder, wenn ex verkaufen will, gerade an ihn zu verkaufen, sondern diese Disposition bleibt \elbstverständlich dem Eigentümer.

Es ift au, wenn ih mihch recht erinnere, gelegentlich gesagt worden, man könne bei den geseglihen Bestimmungen, namentlich was die Reichsverfassung anlangt, dahin kommen, daß, wenn etwa ein polnisch Gesinnter in einen anderen Stáat ginge und nun von dort aus Ansprühe an eine Nentengutsbildung machte, man ihm nit entgegenhalten könne, er werde nit zugelassen weil er polnisher Herkunft set; viel- mehr müsse er zugelassen werden, weil er Angehöriger cines anderen Bundésstaats sei. Das ist durchaus unzutreffênd. Er wird, wenn er überhaupt hier in Frage kommt, lediglih deshalb zurückgewiesen, weil der Fisküs ihn persönlih als Käufer nicht will, das ist das Necht des Fiskus, so zu handeln.

Dann ist während der Verhandlung au davon gesprochen worden, die Art und Weife, wie das Gese zur Ausführung gebracht werden soll, set ein Scheingeschäft; es wérde ja gar nit beabsichtigt, wahres Eigertum zu übertragen an den Fiskus, fondern das sei nur, wie dort gesägt worden ist, eine Schlebung; ein ernstliher Eigentumserwerb könne garnicht in Frage kommen, denn der Fiskus wolle das Land nit behaltén, bewirtschäften und daniit handeln wie ein Eigentümer. Dabei ist jedoch vergessen worden, daß der Hauptinhalt des Eigentums die Verfügungsberehtigung ist. Und diese VérfügungsbereWtigung brauht der Fiskus, um die Rentengutsbildnng dur{hzuführen, diese Verfügungöberechtigung is ein wesentliher Teil des Eigentums, er muß das Eigentum érwerben, um diesé Berechtigung zu haben. Das ist kein Schein, sondern das ist eine Notwendigkeit.

Zum Sgluß ist noch hervorgehoben worden, daß die älteren Gläubiger dessen, der ein Rentengut erhält, leiht geschädigt würden (sehr richtig bei den Polen), weil sie-beim Steigerlöse nahher um thre Dekungsmöglichkeit kommen könnten, wenn der Fiskus von seinem Wiederkaufsrecht Gebrau} mache und dahec nur ein geringer Erlös eingehe. (Sehr richtig! bei den Polen.) Meine Herren, das ist allerdings insofern richtig, als der ältere Gläubiger sich an einen höheren Steigerlös nit halten kann, .wenn von dem Wiederkaufsrecht Ge- brauch gema@ht wird und daher der höhere Erlös nicht eintritt. Dur dieses Vorgehen des Fiskus, dadur, daß er das Wiederkaufsreht ausübt, wird aber keineswegs in erster Linie der Gläubiger getroffen, sondern derjenige, der das Nentengut erhalten hat. Die selbst- verständliche Folge ist, daß seia Personalkredit in gewisser Weise beshränkt wird, aber andererseits genießt er die großen Borteile, welche die ganze Rentengutsbildung mit sich bringt. (Abg. Kratoinkel : Sehr richtig !) Und wenn demPrivatgläubiger, der für seinNecht nicht Dinglichkeit genießt,

ein Mehrerlös entgeht, so ist das nihts3, was an seinem bestehenden ' Necht etwas ändert, weil er keinen Nechtsanspruh darauf hat, daß

das Gut zu einem bestimmten Preise verkauft werde. Es ist dagegen schon, auch in der Kommission, erwähnt worden, daß hier, wenn wirklih die Absicht bestände, den Gläubiger zu s{chädigen, cine An- fehtung, möglich wäre. Wenn dagegen erwidert ift, solche Anfechtung sei möglich, aber sehr schwierig, dann liegt der Grund nicht in diesem Gesetze, sondern in unseren ge)eßlihen Bestimmungen über die An- fechtung überhaupt. Deshalb kann daraus gegen dieses Gesetz kein Bedenken hergeleitet werden.

Meine Herren, das sind in Kürze die rechtlichen Gesichtspunkte, wie die Staatsregierung sie vertritt, und wie {sie früher von ihr ver- treten worden sind mit Zustimmung der überwiegenden Mehrheit im Landtage.

Ich möchte also damit \{ließen, daß ich beantrage, den ‘vor- liegenden Antrag, der nachher zur Verhandlung kommen wird, abzu- lehnen. Ich halte ihn für ganz außerhalb des Rahmens des jeßigen Gesetzes fallend und daher für unzulässig; ich glaube, daß die recht- liche Grundlage des Geseßes eine durchaus - richtige und vertretbare ist. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen. Zischen bei den

Polen.)

Abg. von Trampczynsfki (Pole): Wenn in Oesterreich die Deutschen wixklih einmal dahin streben sollten, mit dem Deutschen Neiche vereint zu werden, so würde es dort niemand einfallen, den Deutschen ihre Rechte zu nehmen. Sollten die Tshehen wirkli einmal in Oesterreih die Macht erhalten und die Deutschen so be- handeln, wie hier die Polen behandelt werden, indem man ihnen ge- wissermaßen empfiehlt, in das große gérmanishe Reich auszuwandern, was: würde man dann hier wohl sagen? Wenn jemand ein Grundstück kauft, dann tut er es do nur aus dem Grunde, weil es ihm gefallt. Wenn unter der polnischen Bevölkerung eine Empörung Play greift dur. solhe Behandlung, dann kann man es verstehen. Der Pole haßt das Deutschitum nicht. Er will nur nicht so behandelt werden. Nach den Erklärungen vom Regierungstish aus können Sie cs nicht übelnehmen, wenn wir alle Anstrengungen machen, taß uns unser Volkstum nicht verloren geht. Ver Bericht der Ansiedlungs- kommission gibt kein flares Bild von den Verhältnissen. Der Staat hat durch sie sehr viel Geld verloren. Nechnet man: zu den bisherigen Kosten noch die geschenkten Stempel- und Gerichtskosten hinzu, so sind, mindestens bisher. in die, Ansiedlungspolitik 700 Millionen hinein- gesteckt worden. Der Justizminister ist unserem Antrage entgegen- getreten, daß wegen Ne eine nochmalige Abstimmung nach 21. Tagen stattfinden soll. Der zweite Absaß des Artikel 1 der Reichsverfassung ist geradezu vernichtend für die Ausführungen des Justizministers. Das angezogene Urteil des Neichsgerichts beweist nur, daß das NReichsgeriht sehr überlastet war. Jeder Winkelkonsulent würde sich \{ämen, derartige Cinwendungen zu machen, wie sie dort gemacht sind. Das ist eine Sophistik, wie sie im Buche teht. Bezüglih des Art. 4 der preußishen Ver- fassung hat sich der Justizminister sehr vorsichtig ausgedrückt und hat gesagt, es besteht cine Auffassung. Die andere Auffassung gebt aber dahin, daß der Saß, daß alle Preußen vor dem Gese gleich sind, das Fundament der ganzen Verfassung ist. Es werden sih noch Nichter in Preußen finden; und daun wird die ganze Gescßesmache gründlih fompromittiert werden. Unserer Behauptung gegenüber, daß die Festseßung einer Konventtonalstrafe für den Fall, daß ein Gut wieder an einen Polen zurück- verkauft wird, gegen die guten Sitten verstoße, ist mit einem Hinweis auf ein Neich2gerichtsurteil zurückgewiesen worden. Jch bin gerecht genug, es keinem Deutschen übel zu nehmen, wenn er lieber an einen Deutschen .als an einen Polen verkäuft. Aber hier handelt es sich doch um die Tätigkeit des Staates, und der Staat darf die Gelder aller Steuerzabler nicht zuungunsten eines Teils der Bevölkerung verwenden. Die Freisinnigen sagen, cs handelt fich nur um die Förderung des Deutschtums. Aber wenn eine Nationalität gefördert wird, dann wird eben die andere unterdrückt. Im Mittelalter wurde einmal ein armes Weib als Hexe verschrieen, man schleppte es zum Wasser, um es. zu- ertränken. Da kam ein Kriegémann vorüber und sagte: Was macht Ihr da, Ihr wollt das arme Weib in so \{chmußigem Wasser ertränken ? Geht doch hin und werft es in ein reines Wasser! Das ist der Standpunkt, den die Freisinnigen uns. gegenüber einnehmen. Die Hauptbefürworter der Vorlage sind die Freikonservativen und. die Nationalliberalen. Von. den. Freikonservativen wundert es mi nit; denn sie kämpfen um ihre Existenz. Von den 13 Mandaten, die sie bei den leßten Reichstagswahlen gerettet haben, sind 8 aus den polnishen Gegenden. Der Abg. von Zedliß is am wenigsten berufen, feine monarchischen Gefühle hier zur Schau zu tragen. Troßdem unsere Stimmungen menshlich berechtigt waren, angesichts der ganzen Bedrückungspolitik gegen ns, haben wir dem Monarchen immer die Ehre erwiesen, die wir ihm s{uldig find. Die ließ aber der Kaiserartifel der „Post“ vom 4. August vermissen. Dieser Artikel ist’ der Ausdruck der ganzen „Post“atmosphäre. Von den National- liberalen if uns vorgeworfen worden, daß wir mit den Sozial- demokraten gegangen std. Wir haben keine große Sympathie mit den Sozialdemokraten, aber wir finden doch bei ihnen ein gewisses Maß von Opferwilligkeit, eine Portion von Mechtsgefühl. Aber das vermissen wir bei den Nationalliberalen vollkommen. Sie betraten jedes E von dem Standpunkt aus, ob es der eigenen Partei R er Abg. Schifferet war in der érsten Lesung sehr unvorsichtig, daß er uns den Vorwurf machte, wir ingen mit der Sozialdemokratie. Denkt er niht an die Ha tung seiner Partei im Reichstage bei der Präsidentenwahl °

iht wir haben . für den Abg. Bêébel. gestimmt, ‘fondetn Naätional- liberale! Nicht wir haben für den Ába. Scheidemänn gestimmt, sondern wteder Nationalliberale. (Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Ih habe Ihnen sehr weiten Spielraum gelassen, aber weder der Abg. Bebel noch der Abg. Scheidèmann gehören zu dieser «Frage.) Meinert AnsiŸt nah behandle ih die Stéllung der einzelnen

arteien zu uns. Jch habe ausführlih auf die Ausführungen in der ersten Lesung Bezug genommen. Die konservative Partei war. mit Blindheit geschlagen, als sie dem Enteignungsgeseße zustimmte. Diese Blindheit ist bis jeßt noch niht von ihr gewichen. Sie haben _ einen -Präzedenzfall geschaffen, wegen dessen - Ihnen vielleicht Jhre Enkel noch einmal fluhen werden. Die: Negierung bemüht e seit 1886, die Wurzel unséres Volkotums abzugraben. Schaffen. Sie uns doch andere Möglickhkeiten, unsér. Volkstum zu erhalten , A E Sie uns unsere Sprache, schaffen Sie uns eigene Schulen; dann werden wix uns nicht àäbsondern.

Gesinnung abgesprochèn worden. | Gerechtigkeit

| Yentrum dabei machen. i: dle Nationalitäten als gleihberehtigt angesehen werdenaund friedlich

wvahrung ein gegen dieB

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Aber solange Sie uns mik Ausnahinegéseßen bekämpfen, könnèn Sie sich nicht wundern, -wenn-wir- uns ab}ondern. - Wir haben ein Necht zu leben. Sie nennen es. Boykott, wenn wir nur unseren Gewerbe- stand fördern, -um- unser Volfstum zu erhalten. Es wäre eine Niederträchtigkeit, wenn dieser polnische Boykott bestände, um einen deutschen Gewerbetreibenden zu s{hadigen; das ist aber nicht beab- sichtigt. Daß die polnische Bevölkerung dur das Ansicdlungsgeset verdrängt werden soll, ist immer bestritten worden, wird beute aber zugegeben. Man spricht vom Staatsinteresse, das Staatsinteresse ist abex das Interesse aller Staatsbürger. Wir fürchten, daß die Scleiben: ge Sie heute einschlagen, einmal der preußishe Staat be- zahlen muß. : Abg. Borchardt (Soz.): Mit überlegenem Humor wird die Nachwelt auf die. Bemühungen herabshauen, uns nach- zuweisen, daß die. Pelenpolitik und Dänenpolitik auf Gerechtigkeit beruhen. Mit feiner, ausgeklügelter juristischer Auslegung will man uns beweisen, daß Unrecht Recht sei. Cin Meisterstück dieser Art war die Nede des Abg. Viereck, aber nah der heutigen Rede des Justizministers weiß ih nicht, wem ih die Palme zuerkennen soll. Fur den Abg. Viereck ist es ein Verbrechen, daß die polnischen Fleifher sich vermehrt haben, und ein s{chwercs Verbrechen ijt es, daß es-Polen gibt, die am Kaisersgeburtstag. ihre Fenster niht illuminicren. Während der Abg. Viereck sonst ein Nedner ist, den man nur ver- stehen kann, wenn man sich diht unter die Rednertribüne stellt, hat er diese Worte fo laut gesprochen, daß sie sogar hier auf unseren Pläßen zu verstehen waren und vielleicht auch außerhalb dieses Hauses gehört werden sollten. Ein Jurist kann alles beweisen, es kommt nicht darauf an, wie man die Geseße auslegen muß, sondern wte man sie auslegen will. Es wäre wunderlihh, wenn man alle diese Aus- legungsfünste unterließe und einfach zugäbe, daß es ih um. cine politische Macdifrage, handelt: Die heutige Rede, des Justizministers wird noch mehr polnische Arbeiter zu Sozialdemokraten machen. Uns nügt die Polenposlitik auf jeden Fall. Aber-- auch die Polen handeln fal]ch, wenn sie immer wieder den Rechtsstandpunkt hervorkehren ; Friedri Wilhelm Il. hat allerdings den Polen gesagt, daß sie ihre Nationalität uicht zu verleugnen brauchten, aber ein solches Ver- sprechen kann doch nicht die Politik für ein ganzes Jahrhundert be- stimmen. (98: evt einfah nicht. Wér glaubt denn fonst an cin diplomatisches Versprechen ? Solche Versprechen werden nur ge- halten, folange die Machtverhältnisse dazu zwingen. Auf dem Gebiet der juristischen Zwirnsfäden kann die Polenfrage nicht gelöst werden. Die Polen follen dankbar sein dafúr, daß Preußen fie erst auf eine Kultur-

stufe gehoben hat. Ein Artikel in den „Grenzboten“ von 1908, einem .

konservativen Delan, dessen Verfasser cin wahrscheinlih au konserva- tiver Herr von Massow ist, weist aber darauf hin, wie die Polen cine eigene reid entwidelte Literatur und Kunst haben, wie sie nationales Pflichtgefühl, Treue und Opferwilligkeit haben. Sodann gibt man die Ctistenzfrage in den Vordergrund und be- hauptet, daß die Polen wieder ein eigenes Volk bilden und den preu- E Staat gefährden wollen. An diesem Nationalgefühl der Polen ollten doch diejenigen keinen Anstoß nehmen, die so gern ihr Na- tionalgefühl im Munde führen. Wenn die Polen {ih von der Unter- drückung befreien wollen, kann man nicht von Hochberra1 sprechen. Die Nede des Abg. Schisferer am 9. Mai hat leider ein jo tra- gishes Ende gefunden, daß es mir besonders leid tut, sie nicht zu Ende gehört zu haben. Der- Abg. Schifferer hielt den Polen ibr Zusammengehen mit der Sozialdemokratie vor. Wir Sozialdemokraten haben eine internationale Gesinnung, billigen jeder Nation ihr Recht zu und können gerade deshalb die Polen unterstüßen. Aber gerade darum haben wir au ein echt, den Polen zu sagen, daß sie die Hand von Bestrebungen lassen sollen, die zum Krieg, zum Mord und Totschlag führen können. Für uns brauchte es aus allen diesen Gründen wegen der 34 Mil- lionen Polen, die es im ganzen Deutshen Reiche gibt, keine Polenfrage zu geben; die exorbitante preußishe Unfähigkeit zu regieren, ist. die .wabre. Ursache. der Polenfrage. adielbe ¡zigen uns die Dinge in Elsaß-Lothringen, das doch in der Tat ein deutsches Land ist, in dem es aber noch immer die franzó- sichen Bestrebungen gibt. Herr Glatel und Herr von Zedlitz baben nichts“ gegen die Enteignung solcher Besißungen, deren Be- siver im Auslande leben, weil das unpersönlihe Einnahme- quellen sein würden, die da enteignet würden. Wenn Sie diesen Grundsaß allgemein einführen wollten und niht nur in Aus- nahmege)eßen, daß alle unpersönlichen Einnahmequellen enteignet werden, wie z. B. die Einnahmequellen der Banken usw., so würden Sie dazu die volle Zustimmung der Soztaldemokraten haben. Der Minister erwähnte, daß viele Deutsche polonisiert würden, aber es gibt au Polen, die germanisiert sind; ich brauche nur an die Namen Podbielski, Posadowsky zu erinnern. Mit der Zeit könnte man die Polen ganz und: gar germanisieren. Sonst kann man in seinem arishen Bewußtsein niht weit genug von den Juden ab- rüden, aber in der Ostmark werden mit einem mal die Evan- gelishen und Juden gemeinsam als die echt Deutschen gezählt. galsch wäre es, wenn man die Blamage, der sih Preußen mit seiner Polenpolitik fortgeseßt a den Ministern allein zur- Last legen wollte; ‘nein, diese Politik ist die Politik der herrschenden Klassen, und dann gewinnt die Polenfrage ein anderes Bild. Die Polen gewähren zu lassen, liegt niht im Interesse derjenigen ‘eute, die in Preußen die Macht haben. Da fallen einem die hohen Güterpreise ein, die duch die Schikanierungen der Polen hervor- gerufen worden find. Und deshalb müssen wir Protest gegen die Polenpolitik eiulegen. Der Abg. von Zedlitz hat in der deutlichen Absicht, uns zu provozieren, Schmähungen gegen unseren Freund Sheidemann ausgesprochen. Das find einfa Beleidigungen. Wir lassen uns aber niht provozteren, es fällt mir nicht ein, darauf zu antworten, hon weil dann der Ton in diesem Hause wieder Schaden leiden würde. Wir stehen turmhoch über solhen Schmähungen. Aber wenn einer von uns das Herrenhaus kritisiert, werden wir unterbrochen und ermahnt, das andere Haus nicht zu kritisieren. Das andere Haus nimmt diese Rücksicht nicht, dort hat gestern gegen

dieses Haus der Herr von Buch gesaat . . . (Vizepräsident Dr. Por) ch

bittet, davon niht zu sprechen.) Es ist nur ein kurzes Zitat . gejagt, daß der Etat _niht rechtzeitig fertig würde, weil in diesem Hause zuviel geredet sei. Das richtet sich gegen uns. Dort wird natürli niemand unterbrochen, wenn er uns angreift. Auch hier ist der Abgeordnete von Zedliß nicht unterbrochen worden, als er meinen Freund Scheidemann beschimpfte, aber wir werden

| immer unterbrohen. Das zetgt wiederum, daß hier mit zweierlei

Maß gemeen wird. |

Abg. Ni\ \ en (Däne): Mit ganz winziger Begründung hat die Regierung dieses Auösnahmegeseß eingebracht; gerade in bezug auf die Vanen steht die Begründung auf wackligem Sandboden. C8 scheint

| fast, als ob in Nord\shléswig Deutsche und Dänen Grundbesiß nur

erwerben, um sih gegenseitig zu ärgern. Nein, so liegt die Sache nt. Deutshe und dänische Ausiedlèr wollen in Frieden miteinander leben. Alle Staatsbürger sollen vor dem Geseß glei sein, der Staat hat. kein Recht, einem Teil der Staatsbürger den Grund- étwerb zu ershweren. - Man verlangt von den Dänen, daß sie eine

: staatserhaltende Gesinnung haben sollen; was aber jtaatserhaltende

elinnung ist, das hängt davon ab, wte der gerade regierende Landrat darüber denkt. Jst do auch dem Zentrum \chon die itaatserhaltende ollen Sie dieses Geseß nit aus t verwerfen, so müssen Sie és aus Sen tun. Es ist für alle ein chlechtes Geschäft, und das s{lechteste Geshäft wird das Es wird doch einmal die Zeit kommen, wo

i witelnander leben können.

Ein Schlußantrag wird angenommen.

Abg. Freiherr vo.n Ze dli ÿ (freikons., persönlich): Jch lege .Ver-

s R des Abg, Borchardt, daß ih die Sozial, nmofraten hu provozieren wollen. Wer nur einen Funken von National- “übI hat, wir wissen, wie ein deutsher Mann über die gestrigen

tußerungen des Abg. Scheidemann denken muß. lege aud

Verwahrung ein gegen die Behauptung, daß ih die Sache nicht

ih dies, so ist der

geshäftsordnungsmäßig vorgebracht“ - Gégen den Artikel der „Post“ habe ich seinerzeit sofort be der Schriftleitung protestiert.

. Borchardt (Soz.): Ich hak au gesagt, daß der Abg. von Zedliß geschäftsordnungéwidrig die Sache besproen hat, ih habe nur gesagt, daß er den Abg. Schei nann angegriffen hat in einer Wei M ai Sn des H 9 lee E eie, E

g. bon Lrampczynski (Pole): Der Einspruch des Abg. von Zedliß gegen den Artikel richtet sih nux gegèn die Form, der Fürst Haßfeld hat aber au den Inhalt | “4 ; L gemiybilligt. Gu

n Freiherr von Zedliß ons.):. Der Abg. von Tramp- czynski hat keine Ahnung von den Dingen, über die er spricht. Jch dabe aar feinen Einfluß mehr auf die „Post“. Fürst Hatfeldt hat sein Schreiben veröffentliht im Nauen einer Partei, für die er zu \prechen kein Recht hatte. F ;

Bei der von polnischer Seite beantragten namentlichen Abstimmung über Artikel 1 werden 113 Stimmen dafür und 86 Stimmen dagegen abgegeben ;- das Haus ist also nicht beschlußfähig. Für den 8 1 stimmen geschlossen die beiden konservativen Parteien und die Nationalliberalen; dagegen ebenfalls geleloffen die übrigen Parteien. |

Vizepräsident Dr. Porsch beraumt die nächste Sizung auf 3 Uhr an mit derselben Tagesordnung, jedoch mit der Aenderung, daß das Besizbeféstigungsgesez an den Schluß der Tagesordnung gerückt wird.

Schluß: 2 Uhr 55 Min.

76. Sißung vom Sonnabend, den 18. Mai 1912, 3 Uhr. __ Am Regierungstische: Staatsminister und Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach.

Vizepräsident Dr. Po r\ ch eröffnet die Sißung pünktlich um 3 Ühr.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Beratung des Eisenbah nanleihegeseßes, das. von der Budget- kommission mit einer unwesentlichen Aenderung angenommen ist. (Der auf die Elektrisierung dexr Berliner Stadt-, Ning- und Vorortbahn bezügliche Teil der Vorlage ist ganz aus- geschieden und einer besonderen Kommission überwiesen worden.)

Die Vorlage enthält zunächst die Forderung für weitere Kosten von 14 Millionen Mark für die Hauptbahn Nienburg a. Weser Minden i. W., für den Grunderwerb für eine Hauptbahn von Dort- mund (Preußen) nach Münster i. W. von 3 Millionen Mark und für weitere Kosten von 16,8 Millionen Mark für die Hauptbahn von Oberhausen -West nah Hohenbudberg ein- O einer neuen Eisenbahnbrücke über den Rhein bei

uhrort.

Abg. Strosser (kons.): JIch habe am 20. April hier die Grafenstadener Angelegenheit zur Syräche gebracht und muß heute nah den Verhandlungen im elsaß - lothringishen Landtage und im Relhstage namens meiner Freunde nochutals: darüber sprehen. Der elfaß - lothringishe Landtag hat cine Mesolution gefaßt, von der die Regierung. selbst gesagt hat, daß sie vom einseitig elsaß-lothringischen Standpunkt aus gefaßt fei. ir um preußishen Landtag Éönnen wohl mit Recht darüber empört sein, daß man in jenem Landtage eine solche Sprahe gegen uns geführt hat. Der Abg. Scheidemann hat gestern im Reichstag gesagt, daß ei Denunziation der. rheinish-westfälischen Konkurrenz und die. Geheim- lhnftctet eines erxzellenten ZpiBßels diese Angelegenheit n Fluß gebracht habe. Er hat ferner vön dem „angebli“ deutsh- feindlichen Direktor Feiveogen Und darauf seine Beweise aufgebaut. Wenn der Abg. Borchardt -heute sagt, daß der Abg. von Zedliß das Niveau des Hauses herabgedrückt habe, frage ih, wer wohl weniger recht haben: kann, darüber zu- reden, als gerade der Abg. Borchardt... Lesen Sie die Nede des Abg. Scheidemann im Neichs- tag, und ih frage, wie überhauvt das Niveau eines Parlaments tiefer herabgedrückt werden kann als durch solhe Reden, und -ob nit jedem Preußen die Schamröte ins Gesicht steigen muß? Wir sind hier das preußische Parlament, . obwohl der Abg. Scheidemann die Stirn gehabt hat, davon zu reden, als seten wir alle, mit Ausnahme der ‘sechs8 Sozialdemokraten, gar keine Abgeordneten. Das wagt man im Reichstage dem preußischen Parlament zu sagen. Was die „angebliche“ Deutschfelndlichkeit des Direktors von Grafen- staden betrifft, so verweise ih auf das, was der Neichskanzler gestern tin Neichstag darüber gesagt hat. (Nedner zitiert die Aeußerungen des Meichsfkanzlers im Wortlaut.) Wix können diese Er- klärungen des Reichskanzlers nur mit hoher Genugtuung - und Freude begrüßen, und wir hier im preußischen Parlament haben alle ‘Ursache, uns mit der Angelegenheit auch unsererseits zu beshäftigen. Jn dankenswerter Weise hat der Eisenbahnminister in der Budgetkommission eine ähnlihe Erklärung abgegeben. Meine Freunde, und ih glaube, mit Ausnahme der wenigen Sozial- demokraten auch das ganze Haus, steben hinter der preußischen Staatsregierung, wenn sie einen solhen Standpunkt einnimmt. Cs ist unsere Pfliht und Schuldigkeit, mit dafür einzustehen, daß nicht Firmen Aufträge von der Staatsverwaltung erhalten, die sich in solcher Weise geradezu befleißigen, den preußischen Staat und das Deutsche Reich zu bekämpfen, wie es hier in unverantwort- licher Weise geschehen ist. Im elsaß-lothringischen Landtage i\t durch die Regierung besonders darauf hingewiesen worden, daß in dieser Fabrik Leute beschäftigt wurden, die fich später der Fahnen- fluht bezw. der Entziehung der Wehrpflicht s{uldig gemacht haben und dann jenseits der Grenze auf französishem Boden in einer Filiale der Fabrik sofort wieder angestellt wurden. Wenn solche Dinge von einem Direktor geschehen können, so ist es selbstverständliche Pflicht der Regierung, zu fordern, daß, wenn das Werk noch weitere Staatslieferungen erhalten will, der Direktor unter allen Umständen vershwinden muß. Es liegt uns fern, in irgendeiner Weise zugunsten von altdeutshen Firmen einseitig dafür einzutreten, daß elsaß - lothringischen Firmen Aufträge entzogen werden. Aber wir fordern, daß ‘diese Firmen nicht bloß deutsch sind, sondern auch sih von jeder deuts{feindlichen Bestrebung fern halten. Wir wollen als pre Abgeordnete hier diesen preußischen Standpunkt unter allen Umständen frei und offen zum Ausdruck bringen.

Abg. Freiherr von Zedliß (freikons.): Auch ih habe im Auf- trage meiner Freunde die Grafenstadener Angelegenheit zu besprechen. Mit dem Abg. Scheidemann beschäftige ih mich nicht. Nach den Erklärungen des Reichskanzlers steht feft, daß die Fabrik in Grafen- R unter Führung des Direktors geradezu oîtentativ deutsh- eindlihe Gesinnungen nah allen Nichiungen bestätigt hat. Da ist es nationale Pflicht der preußischen wie der Reichsregierung, die geschäftliche Verbindung aufzugeben und der Fabrik- keinerlti Aufträge mehr zukommen zu lassen. Die Cisenbahnverwaltung hat völlig forreft gehandelt, daß sie die. Aufträge zurüdcthielt, bis die Verhaudlungen über - eine Besserung in der Haltung der Fabrik zum Abschluß gebraht wären. Eine olche Verständigung ist noch nit erzielt, die ¿Fabrik weigert \ich, den Direktor zu entlassen, und nah den heutigen Morgenblättern ist die Verständigung. ge- eitert, weil die Fabrik irgendeine Aenderung. ablehut. Bestätigt Augenbli gekommen, die Aufträge T Fabrik zu. reservieren, sondern sie definitiv anderen Fabriken zu übertragen. Das ist eine nationale Pflicht, und ih hege feinen Zweifel, daß die Eisenbahnverwaltung in diesem Punkte ihre volle Pflicht tun wird. Wenn bedauerlicherweife dadurch die Arbeiter Schaden erleiden sollten brotlos weiden fie ja wohl nicht weiden, sondern sie werden an

niht mehx für die

anderen Stellen Beschäftigung finden —, \o- trägt dafür allein die 2 k die die de

Verantwortung die Fabrikleitung, uts{feindlihe Gesinnung Le M hat. Meine Freunde \bro&en der Fulinpagnvecwalung die volle Anerkennung für ihr Verhalten in diesem Falle und das volle

«gar kein Zweifel bestehen.

Vertrauen aus, daß sie au in der Folge die Ehre und die nationalen Interessen Deutschlands zu wahren wiflen wird. Was die Eisenbahn- vorlage betrifft, so entbält sie erfreulicherweise die große Ford.rung bon 112 Millionen Mark für die Verstärkung des Fubrparks. Das wird im Herbst wohliätig empfunden werden. Die volle Zulänglich- keit des Wagenparks ist die Vorausseßung für die rihtige Bedienung des Verkehrs.

Minister der öffentlihen Arbeiten von Breitenbach:

Meine Herren! Es kann mich nur mit _Genugtuung erfüllen, daß im preußishen Abgeordnetenhause die Grafenstadener Angelegen- heit in der Form, wie es eben gesehen ist, zur Sprache gekommen ist. Veber die Stellungnahme des preußischen Ministers und des Chefs der Reichscisenbahnen konnte von Anbeginn in dieser Frage Er mußte auch den Weg gehen, den er gegangen ist, nämlich die Feststellungen, da es si zweifellos zugleich um eine erheblihe politishe Frage ‘handelte, durch die Landes- regierung vornehmen zu lassen und diese, wie dies unter“ Bundes- regierungen üblich ist, um die Vornahme dieser zu ersuhen. Der Vorstand der Gesellschaft hat es vorgezogen, den Weg, der für ihn der gegebene war, nicht zu gehen. Die Angelegenheit ist im elsaß-lothringischen Parlement, in der Zweiten Kammer, in der bekannten Weise behandelt worden, wie ih in Ueber- einstimmung mit den Herren Vorrednern feslstelle, ohne daß die geringste Neigung vorhanden war, die \{wierige und doch so einfahe Frage objektiv nach allen Richtungen würdigen zu wollen. (Hört! hört! rechts.) Der größte Teil des Parlaments hat damit nationalistisGen Bestrebunçcen Vorspann geleistet. Dieses i die einzige Wirkung des einmütigen Beschlusses des Parlaments. Ich habe aus diesen Verhandlungen keinen Anlaß nehmen können, meine Haltung zu ändern (Bravo!); im Gegenteil, ih habe, wie ih dies hon gestern in der Kommission mitgeteilt habe, die Generaldirektion der Reichseisenbahnen nunmehr beauftragt, dem Vorstand mitzuteilen, daß der leitende Direktor, den wir für diese deutschfeindlihe Haltung der Fabrik verantwortliß machen müssen, innerhalb kurz bemessener Frist zu entlassen sci, daß Vorsorge getroffen werde, daß er in keine Stellung wieder gelange, die thm irgends- welchen Einfluß auf das Unternehmen gestattet, und daß ferner innerhalb zweier Wochen nach Behändigung der Erklärung der Vorstand sich über Annahme oder Ablehnung \chlüssig mache. (Abg. Hoffmann: Ist das nit Terrorismus? Lachen rets.) Sollte die Erklärung des Vorstands negativ ausfallen oder nicht innerhalb der Frist erfolgen, dann wird die Vergebung der zurück- gehaltenen Aufträge erfolgen und muß erfolgen an andere Stellen. (Bravo! rechts.) Dann aber können wir auch sagen: die Verant- wortung für dieses ungeheuerlihe Vorgehen trifft allein die Fabrik- leitung (lebhafte Zustimmung), die Verantwortung dafür, daß ein Stamm von Arbeitern zeitweilig in Verlegenheit geraten kann. Ich bemerke, daß die Grafenstadener Fabrik eine Arbeitershaft von rund 2000 Köpfen beschäftigt, und daß davon etwa die Hälfte im Loko- motivbau tätig ist. (Abg. Hoffmann: Hört, hört!) Den weiteren Wunsch des Herrn Abg. Freiherrn von Zedliß, daß die Staats- eisenbahnverwaltung für die den Verkehrsbedürfnissen entsprehende Entwicklung ihres Betriebsparks, seien es Lokomotiven, seien es

‘Wagen, zu sorgen hat, diesen Wunsch bestätige i wiederholt als

durchaus berechtigt. liberalen.)

Abg. Dr. Nöchling (nl.): Auch ih bin von meinen Freunden beauftragt worden, der Regierung für ihre Haltung unsére volle Anerkennung auszusprehen. Die Fabrik hätte sich solhes Ver- halten nicht [eisten dürfen, wenn Elsaß noch untér französischer Herrschaft wäre. Die: preußische Reaierung bat große Nücksicht geübt, sie hat aber nur Schimpf und Schande dafür erfahren. Das muß uns Preußen mit größter Entrüstung erfüllen. Wir billigen die Haltung der Regierung und bitten fie, darau festzuhalten, daß sie ein Hort nationaler Gesinnung bleibt. Wir wollen niht Gelder ausgeben, um eine deutschfeindliche Gesinnung zu bezahlen. (Abg. Hoffmann : Bestellte Arbeit !) Abg. Hoffmann, ih lasse mir von dem preußischen Minister keine Arbeit bestellen, und der Minister bestellt bei mir keine Arbeit. Jn der ersten Lesung hat der Minister mir das Kompliment gemacht, daß ich in meinen Eisenbahnwünschen konsequent bin ; ih taun ihm das zurückgeben. Jch meine, daß die Auffassungen des Ministers über die Verbindung zwischen der Nuhr und der Mosel nicht ganz zutreffend sind. 1908 hat der Minister auf den durch- en Nuhrkohlenverkehr von Nordwesten nah Südwesten großes

ewicht gelegt und erklärt, daß die Brücke bei Oberhausen dazu not- wendig sei. Später ist die Anficht eine andere geworden, aber heute sicht man ein, daß man doch neue große Aufwendungen machen muß, um den Verkehr zwishen Nordwesten und Südwesten zu verbessern. Der Rhein-Hannover- Kanal wäre viel rentabler geworden, wenner 10 oder 15 Jahre sruher gebaut worden wäre. Er ijt viel zu spät gebaut. Ich muß mich salvieren, ih kann nicht die Verantwortung für eine Politik übernehmen, die mit großen Kosten Eisenbahnen über die Gebirge bauen will, um die Kohlen zu transportieren, während eine einzige Wasserstraße, die Kanalisierung der Mosel, dafür genügt hätte. Ich 1timme gegen die Forderung für den Bau der Linie Oberhausen— Hohenbudberg.

Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach:

Aus den SWhlußworten des Herrn Vorredners darf i ließen, daß er gegen die Verstaatlihung der Bergheimer Kreisbahnen und der Mödrath-Liblar-Brühler Bahn stimmen werde, auch gegen die Grweiterung des Bahnhofs Hohenbudberg und damit Zusammen- hängendes. Meine Herren, wenn wir von der Frage der Kanalisierung der Mosel völlig absehen, so würde die Königliche Staatsregierung unter allen Umständen eine Vorlage wegen Erwerbs dieser beiden Privatbahnneßze gemaht haben; ebenso wäre sie verpflichtet, für die Ausgestaltung der Bahnlinie von Oberhausen West nah Hohen- budberg dieselben Beträge anzufordern wie geschehen. Ih glaube, daß der Herr Abg. Röchling gegen Windmühlen fiht. Wir haben den Erwerb dieser beiden Privatbahnneßze in Aussicht genommen, weil der Verkehr auf den Linien derselben fich ganz ungewöhnlich ent- widelt hat, bedingt durch die Entwicklung des rheinishen Braun- tohlenreviers, welche eine über die Erwartung allec Sachverständigen hinausgehende gewesen ist. Die {nell steigende Bedeutung dieses Privatbahnnetes hat zur Folge gehabt, daß si? zwischen den Staats- bahnen und diesen Privatbahnen enge und vielseitige tarifarische Wechselbeziehungen gebildet haben, die sogar weit über die Staats- bahnen hinautgehen bis ins Ausland, und diese Wechselbeziehungen haben wieder zur Folge wenn Herr Dr. Röchling in der Kommission gewesen wäre, hätte er gleichartige Ausführungen hören

können —, daß die Staaisbahnen veranlaßt, geradezu genötigt

(Lebhafter Beifall rechts und bei den National- :

ihren Wagenpark für den Verkehr des Privatbahnnezes zur Vet fügung zu stellen. Bei solchen Anlässen ist das Gegeb ee nahdem wir nun einmal das Staatseisenbahnmnonopol besißen,

v

daß man die zwishenliegenden Privatbahnen für den Staat erwirbt,