1893 / 10 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 12 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

berechnung zu grunde gelegt sind, durh die wir die Zahk 19,8 ge- funden haben.

Abg. Dr. Bachem (Centr.): Die Debatte würde viel kürzer ausgefallen sein, wenn die erste Lesung sih bis zur Entscheidung über die Militärvorlage hätte hinaus\hieben lassen. Wenn in der Mislitärcommission eiñe Vereinbarung etwa auf Grund der Vorschläge des Centrums gefunden würde, so hätte man doch dies Steuerbouquet nicht nôthig, fondern bloß die eine oder die andere Steuer. Jch habe

persönli zu erklären, daß die Biersteuer als Mittel der Deckun des Bedarfs weitaus die unerfreulihste Steuer ist. Die Statistik der Brauereien zeigt uns einen ganz colossalen Rückgang der kleinen und mittleren Brauereien zum Nußen “einer ganz kleinen Anzahl von größeren Betrieben. Es herrshen ganz colossale Unterschiede in der von den einzelnen Brauereien gezahlten Steuer. Ich würde der Staatsregierung für die uns hierüber gegebene Statistik noch dankbarer sein, wenn sie eine größere Specialisirung hätte eintreten lassen. Aus dieser Statistik ergiebt sich, daß die kleineren und mittleren Brauereien ganz bedeutend zurückgegangen sind, und daß der Nußen aus diesem Nückgange ciner kleinen Anzahl von größeren und Coloffalbrauereien zugewachsen ist. Diese Entwickelung is} eine Hö} unerfreulihe. Wenn wirklich eine Mehrbesteuerung nothwendig ift, fo hâtte ih eine Mehrbesteuerung gewünscht, durch welche diesem un- erwünschten Prozeß: der Unterdrückung der kleineren und mittlercn Betriebe durch die großen Betriebe, ein Damm gesetzt und der Mittelstand im Brauereigewerbe in der fkräftigsten Weise ge- stükt wird. Von diesem socialpolitishen Gesichtspunkt vermißt man in der Vorlage nicht weniger als alles. Der größte Steuersaßz von 9 M. ist nur 1 M höher als der Durchschnittssaß. In den Motiven wird gesagt. daß die kleineren Brauereien nicht im stande sind, den Braustoff vollständig auszunußen, sodaß sie verhältnißmäßig mehr Malz verbrauchen als die großen. Dennoch aber will die Reichsregierung ihre Hand nicht dazu bieten, die Entwickelung der Großindustrie hintan zu halten. Wir haben hier {hon manchce Maß- nabmen getroffen zur Erhaltung des Mittelstandes. Meine Partei hat sich mit besonderer Aufmertsamkeit diesem Gebiet zugewandt, denn fie hält den Mittelstand für das gesundeste und kernigste Element unserer Bevölkerung. Der Mittelstand muß erhalten werden als Puffer zwischen dem Kapital und der Arbeiterschaft, indem dem Arbeiter die Möglichkeit bleibt, sich zum Mittelstand emyorzuarbeiten. Wir sind mit den Socialdemokraten der Meinung, daß der Mittelstand im Niedergang begriffen ist. Die Socialdemo- Fraten ziehen daraus den Schluß, daß es nothwendig sei, daß der Mittelstand zerrieben werde, und thun alles, was dazu beiträgt. Wir unsererseits wollen diese kernige Schiht der Bevölkerung erhalten wissen. Wir wollen verhüten, daß immer mehr Existenzen prolcta- risirt werden, Auch auf dem Gebiet der Steuerpolitik muß dem NMNechnung getragen werden. Heute Morgen i} uns eine Petition aus Hildesheim zugegangen, welche cinen recht kräftigen Staffeltarif aufstellt, welcher mit 5 4 Steuer beginnt und bis 7 M steigt. Das ift ein Fingerzeig. Warum foll man niht sagen können: die kleineren Brennereien zahlen 5, die mittleren 7, de größeren 10—20 M? Dagegen hätte ih nichts einzuwenden, denn ih habe niht das Inter- esse der Großbrauereicn zu vertreten. Ich bin bereit, alles zu thun, was die Entwickelung der Großindustrie auf Kosten des Mittelstandes verhindert. Nach der uns vorgelegten Statistik bezahlen in der norddeutschen Brausteuergemeinscchaft 379 Betriebe je 15000 4. Steuer, es giebt aber auch Betriebe, welche bis 200 000 A Steuer bezahlen. diese Entwickelung hin? Wir haben ein Interesse daran, daß mög- list alle Leute auf dem beschränkten Boden unferes Vaterlandes aus- hasten fönnen. Wenn ein einziger solcher Betrieb mit 200 000 46 Steuer 200 andere Betriebe unmöglih macht, dann ist es angebracht, dagegen Maßregeln zu ektgreifen. Es muß angängig sein, eine Vor- lage zu machen, in welcher ausdrücklich steht: diejenigen Betriebe, die sih einmal entwickelt haben, wollen wix schonen, aber sie sollen ge- fetzlich gehindert werden, \sich noch weiter auf Kosten der kleineren auszudehnen. Ich weiß niht, ob dieser Vorschlag sih verwirklichen Die jeßt geplante

läßt, aber es ist qut, solche Gedanken darzulegen. Steuer wird die Entwicklung der Großbetriebe noch weiter fördern. Sie wird von Großbetrieben, die gut rentiren, unbedingt leiht ge- tragen. Dieselben können das Bier vershlechtern, denn vie von

ihnen gebrauten Biere sind durchweg die guten. Nur die billigen Biere werden von den mittleren und kleinen Brauercien hergestellt und dieses Bier erträgt absolut keine Vershlechterung mehr. Die mittleren und kleinen Brauereien werden also dur) die Vorlage ohne weiteres vernihtet. Dazu kann ih die Hand nicht bieten. Aber au vom Standpunkt der Großbrauercien kann man eine der- artige Vorlage nicht gutheißen. Die Vorlage will, daß die Steucr aus dem Profit der großen Brauereien gedeckt werde und daß eine Bier- vertheuerung nicht eintrete. Wenn man aber einmal eine indirecte Steuer will, so muß man dieselbe möglichst vertheilen und nicht auf einen einzigen Stand legen. Wenn die Steuer von den Brauereien niht abgewälzt werden kann, ist das der wichtigste Grund für die Ablehnung derselben. Denn die s{lecht rentirenden Brauereien werden geradefo getroffen, wie die gut rentirenden. Jch stehe über- haupt nicht auf dem Standpunkt, daß es nothwendig sei, neue Steuern aufzulegen. Die jeßt berathene Steuer ist absolut unan- nehmbar. Dennoch glaube ih, daß die Discussion nicht ganz un- fruchtbar ift. Es besteht eine permanente Gefahr, daß der Entwurf, wenn er abgelehnt wird, bei anderer Gelegenheit wieder auf der Tagesordnung erscheint. Auch dann werve ih für meinen Theil ‘einer Biersteuer nur bei absoluter Nothwendigkeit zustimmen, nur dann, wenn alle anderen Steuern, die nicht fo O tai fo beängstigend und ür den Mittelstand verderblich sind, schon voll und ganz erschöpft ind. Die Discussion hat der MRegicrung gezeigt, welher große Widerstand gegen die Biersteuer existirt, und das wird hoffentlich die Wirkung haben, daß, wenn sie wieder neue Steueryorlagen bringt, fie zu allerleßt auf die Biersteuer verfällt.

Abg. Broemel (dfr.): Nach den Ausführungen des Schaß- fecretärs erscheint die erhöhte Brausteuer garnicht als Verbrauchs- \stever, sondern als Gewerbesteuer. Der Schaßsecretär meinte, die Steuer werde zwischen Fabrikanten, Händlern und Schankwirthen vertheilt werden. Damit wird in unserer Steuerpolitik in nackter Weise der Grundsaß proclamirt: „Nimm, wo Du was fkriegen fannst, die staatlihe Steuerpolitik muß prüfen, wo Gewerbetreibende einen nach der staatsmännischen Auffassung zu beträchtlichen Gewinn haben, und dann diesen Gewinn durch Besteuerung ver- mindern“. Der Abg. Grillenberger vertritt denselben Grundsatz noch consequenter, wenn erx bei den Brauereien nit stehen bleiben, fondern auch den Gewinn der Hüttenbesitzer, Eisenindustriellen 2c. be- steuern will. Die Consequenz folher Vorschläge ist die zehnprocentige Einkommensteuer. Eine solhe Steuerpolitik Vat die Reichsregierung früher niemals vertreten. Die Motive aller früheren Brausteuer- vorlagen glaubten an die Abwälzung der Steuer auf die Consumenten uñd meinten, die Versteuerung würde den Consum nicht einschränken, also hätten weder die Producenten noch die Consumenten einen Schaden. Die jetzigen Motive erklären die Abwälzung der Steuer für ungerechtfertigt. Die erhöhte Brausteuer charakterisirt si nicht als Verbrauhs-, fondern als Gewerbesteuer, und ih bestreite dem Neiche das Recht, auf diese Weise Gewerbesteuern in Form von Verbrauchssteuern einzuführen. Das Bier foll Steuer- object sein, nicht die Bierproducenten. Man greift einfa nach irgend einem Artikel und erklärt: der kann mehr bringen; man greift nach einem Menschen, der wohlhabend ift, und sagt: der kann mehr be- zahlen. Unter den achtzehn Berliner Actienbrauereien haben sechs überhaupt feine Dividende bezahlt, die Durchschnittsdividende betrug nur 95,79%. Das if für ein Kapital, das in einer mit an- fehnlihem Risiko verbundenen Industrie angelegt ist, nur eine mini- male Verzinsung. Was soll nah der Steuererhöhung aus den Eta- blifsements werden, die schon jetzt einen geringeren oder gar keinen Er- trag liefern? Es ift kein Widerspruch, daß einerseits die Producenten die Steuertragen und andererseits der Consum eingeschränkt wird. BeideFolgen fönnen nah einander eintreten. Zunächst werden die Brauer die Steuer verauslagen und dann versuchen, die verauslagte Steuer von den Gastwirthèn wiedér einzuziehen. Dann entsteht sofort in dieser

Wo soll.

Industrie ein Kampf, der für die {chwächeren Etablissements geradezu ein Verzweiflungskampf fein wird, -und, wenn die Abwälzung nicht in vollem Maße gelingt, zu ibrer Untergrabung führen muß. Den Gast- wirthen thut man bitter Unreht, wenn man ihnen ganz ungemessene und ungerechtfertigte Gewinne zuschiebt. Mit demselben Necht könnte man das von vielen anderen Artikeln sagen. -Ein großer Vorzug der norddeutshen Gastwirths\chaften ist, daß sie zum größten Theile zugleich Speisewirthschaften sind. An den Speisen wird aber wenig oder nichts verdient. Der Gewinn muß alfo durch alkoholhaltige Getränke erzielt werden, ebenso wie der an Zucker und Kaffee sehr wenig ver- dienende Kaufmann an Delicateßartikeln desto mehr verdient. Die Petition der Berliner Gastwirthe hebt mit Recht hervor, daß, wenn die Gastwirthe die Bierpreise niht erhöhen könnten, sie die Speise- preise erhöhen müßten. Wird das. Preisverhältniß zwishen Speisen und Bier so verschoben, so wird der Biergenuß befördert, der Genuß der Nahrungsmittel ge|chmälert werden. Von Zwischenhändlern ist in der Brauinduttrie keine Nede. Immer mehr verbinden sich die Pro- ducenten direct mit den“ Consumenten. Ein großes Etablissement hat in einem Jahre 12 Millionen Flaschen Bier direct an die Consfumenten abgeseßt, d. h. ungefähr 40000 h1. Hierbei spielt der Schankwirth gar keine Rolle. Auch ein Theil der Gastwicthe wird die Last nicht tragen Ftönnen und ruinirt werden und dadurch werden wiederum auch die Brauercien geslädigt. Bei der Erhöhung der Branntwein- steuer entshädigte man sofort die Brennereien dur die Verschieden- heit der Steuersäte, die Liebesgabe. Hier steht es \{limmer, weil die Brauereiindustrie bisher nie etwas für sich verlangt hat, weder eine Liebesgabe, noch einen Zollshuy. Die Brausteuererhöhung ist nicht eher möglih, als bis man die Liebesgabe der Brenner bescitigt hat. Unter der einheitlichen Alkoholbesteuerung darf uin niht das Bier allein herausgreifen, zumal dies ein Getränk. der ärmeren Klassen ist. Es wäre am besten, der Meichstag lehnte ohne Commissionsberathung- diese Vorlage einfah ab. Geht sie aber an cine Commission, so wird sie hoffentlich keine Annahme finten.

Abg. Böckel (b. k. F): Obwohl wir absolute Gegner der Militärvorlage sind und also auh jeder Belastung des Volkes tur neue Steuern, die hierdurch nothwendig werden, Widerstand leisten, so halten wir es nicht für unmöglich, daß nach den Vorgängen in den leßten Tagen, diese Militärvorlage doch zur Annahme gelangt, und deshalb erklären wir hier ausdrücklih, daß wir die Brausteuer- erhöhung gleihfalls verwerfen. Wir thun dies niht aus Interesse für die Großbrauereien, bedauern vielmehr tief, daß der Börsen- und Gründungsschwindel sich auh des Braucreigewerbes so sehr bemächtigt hat. Die Schriften von Otto Glagau verbreiten darüber sehr viel Lichi. Natürlich werden die Brauereien doch versuchen, die neue Steuer auf die Consumenten abzuwälzen und sie gestehen das zum theil auch ofen ein. Die Landwirtschaft liefert den Brauern Gerste und Hopfen. Die Handelsverträge haben der Landwirthschaft bereits ein Sinken des Gerstepreises gebraht von 19 auf 16 A Gerade im Interefse der Landwirthschaft und speciell derjenigen von Hessen lehne ih die Vorlage ab. Durch die Handelsverträge is die böhmische und ungarische Braugerste tn Masse nach Deutschland eingeführt worden und haben die österreichislen Malzfabrikate dazu beigetragen, den Consum deutscher Gerste zu verringern. Dabei hat sih ein großer Theil der Bauern erst neuerdings, weil fie mit Weizenbau niht mehr weiter kommen, auf Braugerstebau geworfen, und fofort fommt die Regierung und ershwert ihnen durch die Vorlage auch hier wieder ihre Existenz! Wird die Vorlage Gescßh, dann werden die Brauer sich dadur zu helfen wissen, daß sie weiter auf den Groß- preis drücken: also wird s{ließlich der Landmann zu bluten haben, wenn die. Brauer den Preis bis zu 13 Mark und noch niedriger herunterdrücken. Aus diesen Gründen können wir die Vorlage nur verwerfen , umsomehr, als auch der Hopfenbau längst unrentabel gemacht wurde durch eine wüste Speculation. Diese ungesunde Speculation muß das ganze landwirthshaftlihe Gewerke lahmlegen. Ein mir vorliegendes Schriftchen {hildert, wie durch unsaubere Manipulationen ältere Hopfenjahrgänge für den Gebrauch wieder nußbar gemacht werden. Die Landwirthschaft braucht, - wenn die erforderlichen Futterartikel für die Vichwirthschaft nicht in genü- gendem Maße vorhanden find, Malzkeime und Treber, die Preise hier- für werden immer mehr in die Höhe getrieben und dies schädigt also ebenfalls die Landwirthschaft. Ein wirklicher Freund der Land- wirthschaft wird unter keinen Umständen der Vorlage feine Zuftim- mung geben können, und ich richte deshalb an alle Freunde der Landwirthschaft die Bitte, im Interesse der hon jeßt {wer gedrückten Landwirthschaft die Vorlage auf das entschiedenste abzulehnen.

Abg. von Gerlach (deous.): Wir haben au gegen die Vorlage ganz erhebliche Bedenken, die geforderte Steuererhhung is {hon so oft vom Reichstag abgelehnt wörden, daß dicsmal außerordentliche Gründe für die Annahme vorliegen müßten. Wir wünschen nun freilich auf das dringendste eine Verständigung über die Militärvorlage, und wenn diese zu stande kommt, müssen auch die Mittel beschafft werden. Wir hätten aber gewünscht, daß man die Deckung durch andere Steuern gesucht hätte, so durch die piel höher beranzuziehende Börsensteuer. Die Börsengeschäfte sind für diese Zwecke leistungs- fähiger, als das hier in Rede schende Steucrobject. Sollte wirklich das Speculationsgeschäft sih dadur verringern, so würde das nicht unter allen Umständen ein Schaden scin. Soll aber dem Brauer- gewerbe diese Belastung auferlegt werden, so bezweifeln wir nicht, daß die Großbetriebe, nameutlich die Actiengesellshaften, sie ohne Schwierigkeiten werden tragen können. Im einzelnen geht Redner dann noch unter großer Unruhe des Hauses auf die Frage des Verbots der Surrogate und auf die Uebergangsabgabe cin und empfiehlt \chließlich Commissionsberathung.

Ein Schlußanirag wirò angenommen.

Die Vorlïíage wird der Militärcommission überwiesen.

Schluß 5 Uhr.

Preufzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 12 SiBuna vom 11 Januar.

Bei der weiteren Berathung des Gesehentwurfs über die Verbesserung des Volksshulwesens und des Diensteinkommens der Volksschullehrer (vgl. den An- fang des Sißungsberichts in der Mittwochsnummer) ergreift das Wort der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dry. Bosse:

Meine Herren! Jch bin ja darauf gefaßt gewesen, daß bei der Discussion dieses Gesetzes, das Ihnen vorliegt, mancherlei zur Sprache kommen würde; aber daß die polnische Sprachenfrage dabei zur Dis- cussion kommen würde, darauf bin ih nicht gefaßt gewesen. Jch will aber dem Herrn Abg. Dr. von Jazdzewski gern die bündige klare Auskunft geben, die er begehrt denn gegeben muß sie doch werden —, wie ih zur polnishen Sprachenfrage stehe, und zu welchen Resultaten die kurze Neise nah Posen, von der ih allerdings nicht behaupten will, daß sie mir ein sicheres Bild aller Details der ganzen Provinz hätte vershaffen können zu welchen Ergebnissen diese Reise geführt hat.

Ich will zunächst voraus[chicken, daß der Erlaß eines Kreis-Schul- inspectors, dur den angeblih die Verfügung mcines Herrn Amts- vorgängers über den polnischen Privatunterricht illusorisch gemacht fein soll; mir noch nicht vorgelegen hat. Ich kann also darüber keine Aus- kunft geben. Jch will nur bemerken: ih für meine Person halte an diesem Erlasse fest. JIch gönne den polnischen Privatunterricht ‘den Polen. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, daß in cinzelnen Fällen felbst diese Concession gemißbraucht worden ift, daß in einzelnen Fällen polnische Lehrer die Kinder von deutshen Eltern, namentlich aus ge- mischten Ehen, in deren Haus deutsch gesprohen wurde, in den

polnischen Privatunterricht hineingelockt haben, und wenn dabei wirk- lih einem Kreis-Schulinspector der Zorn einmal überläuft über diefes illoyale Verfahren, so ist das nicht so sehr zu verwundern. Deun es

ist thatsächlich so, daß es in der Provinz Posen auch Leute giebt, die

polonisixen, die zwar über die Germanisirung klagen, die aber ihrer- seits die gemishten Elemente, die wir in Posen haben, ganz auf die polnische Seite hinüberzuziehen suchen. Ja, meine Herren, wenn alle Polen so loyale Preußen wären, wie der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski und eine große Anzahl der, wie ih gern anerkenne, namcntlich hier in Berlin lebenden Polen, auch manche Polen in der Provinz, dann würde man über diese Frage anders denken, dann würde die Regierung anders handeln, dann würde sie die straffen Zügel viel- leiht etwas nachlassen können. So liegt aber die Sache niht. Die Agitation hat sih nit gemindert, fondern sih vershärft. Ich werde das nachweisen.

Ich will zunächst hervorheben: der Gedanke des Herrn Abg. Dr. von Jazdzewski, daß er uns droht, das Gesetz vom Jahre 1887 werde auch auf die Provinz Posen übernommen werden, macht uns nicht zittern. Die Folge würde sein, daß wir noch viel weniger fatholishe Schulen in Posen bauen können wie bisher; darüber können Sie sih nicht täuschen, das müssen Sie felbst einsehen.

Auch die Statistik, die Herr Abg. Dr. von Jazdzewski beigebracht hat, kann ich nit als ganz s{lagend anerkennen. Man kann mit dieser Bolksschulstatistik eigentlich erst operiren, wenn sie in der Be- arbeitung des Sltatistishen Bureaus vorliegt. Ich will aber doch be- merken, daß wir in der Periode von 1886 bis 1891 über 100 fatho- lishe Schulstellen in Posen neu gegründet haben, und ih will bemerken, daß bei der früheren Forderung von 20 Millionen aus der lex Huene zu Schulbauten, an Schulbaufällen in der Provinz Posen 452 klatho- lishe (Hört! hört! links), 139 evangelische, 22 paritätische, zusammen 613 Schulbaufälle, vorwiegend. Neubauten bei 2399 Schulen vorge- schen waren, also fast ein Viertel mit 5 428 983 4, Staatsbeihil®e. Diese Mittel haben wir niht bekommen. Natürlih wird die weitere Entwickelung des katholishen Schulwesens in Posen dadurch gehindert, wenn wir nicht in der Lage sind, neue Schulen zu bauen und neue Systeme einzuführen. Also uns, glaube ih, trifft die Schuld daran nit.

Der Herr Abg. Rickert hat mir vorhin gesagt, wir sollten doch, wie er sih ausdrückte, unser Gewissen salviren diesen Mißständen gegenüber. Ja, worauf beruht denn die ganze Vorlage anders als auf dem Bestreben, unser Gewissen zu falviren? Jeßt, wo einmal ein Betrag zu haben i} für die Schule, ein geringer Betrag, wie id gern zugebe, da kommen wir, da greifen wir zu und machen wir Jhnen einen entsprehenden Vorschlag. Man kann ja über den Vorschlag ih erkenne das an über die Art und Weise der Ausführung ver- schiedener Meinung sein; gut, verständigen wir uns darüber. Aber das darf ich hervorheben, uns trifft die Verantwortung nicht, wenn bei dieser Gelegenheit das Bedürfniß, das schreiende Bedürfniß wieder feine Abhilfe finden sollte. (Sehr richtig! rets.)

Und nun will ich denn Herrn Dr. von Jazdzewski in Bezug auf die Syrachenfrage antworten. Der Standpunkt der preußischen Ne- gierung bezüglich der Sprachenfrage in Posen ift ein sehr {hieriger. Die Provinz Posen if eine preußische Provinz, die Schule in der Provinz Posen hat. daher die Aufgabe, die Bevölkerung dieser Provinz dahin zu bringen, daß sie die Sprache ihres Landes, die Amtssprache ihres Landes, die Sprache der Armee versteht (Abg. Dr. von Jazdzewsfki : Das wollen wir auch !), sie beherrscht. Das System, welches Herr Dr. von Jazdzewsfi fo verwerflih findet, will dieses Ziel erreichen. Und das muß ih sagen: alle Schulen, die ih in Posen gesehen habe ih habe vielleicht einige dreißig Klassen gesehen —, alle, gute und {chlechte

- das habe ich mir ausdrücklich ausgebeten, ich wollte niht blos gute Schulen sehen, ih habe auédrücklih gesagt: ich will auch s{lechtere Schulen, sehen mit weniger befähigten Lehrern, alle von mir be- suchten Schulen haben mir die Ueberzeugung verschafft, vaß dieses System des deutschen Schulunterrihts in Posen fehr viel bessere Er- gebnisse erreiht hat, als ich au nur von ferne zu hoffen wagte. Meine Herren, ih habe mit den Schulkindern, mit. kleinen und großen, selbst gesprochen, in jeder Klasse; ih habe ihnen selbst Fragen vor- gelegt und habe gefunden, daß die Kinder mir ausnahmslos verständig und mit Verständniß geantwortet haben. Der Vorwurf, der unsern Schulen von polnischer Seite so oft gemacht wird: die Kinder würden ledigli dressirt, sie würden wie Taubstumme unterrichtet und auf das Deutsche gedrillt, ist wenigstens in den Klassen, die ih gesehen habe, vollkommen unbegründet. Die Kinder wußten vollkommen Bescheid; sie wußten nicht blos Namen, nicht blos Worte, fondern sie wußten sehr genau, welche Begriffe damit zu verbinden waren, und welche Begriffe den Înhalk'dieser Worte bilden. Es ist das auch ganz begreiflich, es wird ja auf der Unter- und Mittelstufe natürlicherweise das Pol- nische immer da zu Hilfe genommen, wo es zum Verständniß noth- wendig ist, und ih kann nur sagen, ich habe keinen einzigen Fall gefunden, wo ih einen Tadel hätte ausfprehen müssen, daß die Methode in geistloser, in übler, {lecht wirkender Weise angewandt worden wäre. Ich habe allerdings cinmal tadeln müssen; das war aber nicht in ciner polnischen, das war in einer deutschen Schule, und ih fann sagen, in jeder Schule, wo die Kinder polnischer Herkunft waren, habe ich einen günstigen Eindruck bekommen; ih habe au nit unterlassen, die Schulvorstände, die zu meiner Genugthuung bei meinen Besuchen meist anwesend waren, nach der Revision zu fragen, ob sie denn irgend etwas an dem Unterricht auszusetzen hätten. Ich habe von feiner Seite auh nit auf eine einzige dieser Fragen, die in Gegenwart der polnischen, katholishen Geistlichen und Schul- inspectoren gestellt wurden, ein Ja empfangen oder eine wirkliche Klage gehört. Ganz anders, meine Herren, war die Sache, als die Ergebnisse meiner polnischen Reise, als die Reise überhaupt bekannt wurde. Da kamen die poluishea Agitationsblätter, und zwar nicht blos in Posen, sondern auch in Westpreußen und Oberschlesien mit der Sprache heraus. Da wurde die Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht, was sie dem Cultus-Minister sagen follte, wenn er dorthin fommen würde. (Hört! Hört.)

Meine Herren! Daß folhe Erfahrung auf mich einen gewissen Eindruck machen muß, das wird mir doch der Herr Dr. v. Jazdzewéki nicht übelnehmen.

Ih habe allen polnischen Zumuthungen, die an mih herantraten, als ih das Untecrichtsressort übernahm, gegenüber ganz begreiflicher Weise gesagt: ih kenne die Verhältnisse nicht genau genug, um foforkt aus derz Handgelenk eine Entscheidung über diese wichtige und \{chwie- rige prinziptielle Frage zu treffen. Ich bin deshalb, sobald ih es verutoht habe, nach Posen gegangen, wie ich zugebe, nur auf kurze

Zeit, aber ih bin ein belastcter Mann, ih muß mir die wenigen Tage, die ich cinmal abkommen faun, mit Mühe und Noth erkämpfen und das ist auch der einzige Grund, weshalb ih überhaupt noch nicht nah Schlesien und Westpreußen gekommen bin; sobald ih kann, werde ih auch dorthin gehen und werde mich von den näheren Ver- hältnissen überzeugen, so {wer mir das au gerade durch die in dieser Gegend herrschende polnishe Agitation gemacht wird.

Nun, meine Herren, wenn das System im großen und ganzen in den deutschen Schulen jeßt das erreiht, daß die polnischen Kinder bei ihrer Entlassung aus der Schule das Deutsche beherrschen denn dahin kommen sie, dieses Ziel wird im großen und ganzen erreicht, wenigstens in den Schulen, die ih gesehen habe —, so ift der wesentlihe Grund davon der, daß in den Schulen die Hauptsprache das Deutsche ist. Mit dem Momente, wo wix wieder einen polnischen obligatorishen Unterricht in der Schule einführen würden, würde einfa der Lehrer nicht nur erlahmen, sondern das ganze System würde durchbrohen fein; das Polnische würde mit diesem Momente wieder die herrschende Sprache in den Schulen werden, und das Deutsche würde darniederliegen. Wir würden einen Nükschritt machen gegen diejenigen Ergebnisse, die wir jeßt in der deutschen Culturarbeit zu verzeichnen haben.

Meine Verren, das kann uns, einer deutshen Regierung, doch auch niemand übelnehmen, wenn wir heute die Kinder nit zu national-polnishen Aspirationen erzichen. Wenn wir die national- polnische Agitation in der excessiven Form, in der sie jetzt in Posen auftritt, und die sfich sogar auf Oberschlesien erstreckt, auf eine Provinz, die niemals zum Königreich Polen gehört hat, stärken sollen, dann sägen wir einfa den As ab, auf dem wir sitzen. Das kann keine deutsche Regierung (fehr rihtig!), das kann kein deutscher Cultus- Minister jemals machen. (Bravo!) Meine Herren, das System ist nah meiner Ueberzeugung nicht fals.

Nun kann es scin, daß hier und da Mißgriffe vorkommen. Gut, wo sie vorlommen, werde ih sie abstellen. Jch habe in einzelnen Fállen gefunden, daß man in der Zuweisung der Kinder zum deutschen Religionsunterricht vielleiht zu stramm vorgegangen ist. Wir haben Familien, bet denen es zweifelhaft ist, ob die überwiegende Sprache im Hause polnisch, ob sie deuts{ch ist. Jn folchen Familien mögen die Kinder wohl auf Grund des Verständnifses, was sie in der Schule für das Deutsche gewonnen haben, hié und da dem deutschen Religionsunterriht zugewiesen fein, ohne daß cs nöthig war. Ich habe ausdrücklih angeordnet ih will in dieser Bezichung keinen falschen Zwang —: nur, wenn das Kind vollständig deuts is und das Deutsche beherrsht, dann soll es dem deutschen Neligionsunterricht zugewiesen werden. Sobald aber feststeht, daß die Eltern polnisch sind und die Sprache im Hause polnisch ist, kommt das Kind in den polnischen Religion?unterricht. Denn die Frage des Religionsunterrichts ist eine besonders zart anzufassende. Jch will keinen Gewissen s- zwang. Ich will den Unterricht im Deutschen nicht dazu benutzen, daß die Kinder mit Gewalt dahin gebracht werden sollen, daß fie, wenn sie in den polnischen Beicht- und Communionunterricht kommen, absolut nichts davon verstehen; sie müssen soweit gebracht werden, daß sie mit den religiösen Begriffen vertraut gemaht werden können, und nach dieser Nichtung hin werde ih thun, was ih irgend mit dem deutshen Gewissen und dem Schulinteresse vereinigen läßt. Es ift möglich, daß man nachhelfen kann, daß man auch in unsern Religions\tunden in den deutschen Schulen die Kinder dahin bringen fann, daß sie polnisch lesen lernen; es ist das uicht so shwer, wie von yolnisher Seite es immer dargestellt wird, denn die Kinder lernen ja die lateinishen Schriftzeichen, und es handelt sich da nur um gewisse

geringe Unterweisungen, mit denen man die Kinder sehr leiht dahin bringt, auch das Polnische geläufig zu lesen. Kurz, es sind Erhebungen darüber im Gange. In Bezug auf den Neligionsunterricht will ih niemand zu nahe treten, und es wird niemand zu nahe getreten.

Im übrigen kann ih nur sagen: das System, welches die preußische Regierung mit gutem Gewissen und aus guten Gründen gegenüber der polnischen Bevölkerung in den deutschen Schulen bisher angewendet hat, hat sie au, soweit ich Einblick gewonnen habe, für gut befunden, es hat si Dank der Arbeit der betheiligten Beamten, bewährt; und bis auf weiteres bin ih nit gesonnen, dieses System zu verlassen. (Bravo !)

Ich glaube, daß diese Antwort deutlich genug is, um den Herrn Abg. von Jazdzewski wissen zu lassen, wie ih zu dieser Sache stehe. (Brayo!)

Abg. Knör cke (dfr.): Die Vorlage enthält einen Fortschritt in der Befriedi desse 3 für die Scule geschehe D der Befriedigung essen, was für die Schule geshehen muß. Das offene Geständniß der vorhandenen Uebelstände zwingt die Regierung, alles daran zu seßen, daß sie beseitigt’ werden. Die Form der Vor- lage gefällt mir allerdings nit, aber ih sche ein, daß ein Unterrichts- oder Dotationsgeseß nicht möglich ist. J begreife nicht, wie der Abg. von Minnizerode angesichts der Zahlen in den Motiven einen Nothstand in Lehrerkreisen nicht anerkenuen will. Wenn Lehrer 900, 450 f Einkommen haben, während Unteroffiziere ohne besondere Vorbildung in Beamtenstellen mit dem doppelten Gehalt als Chaussee- Aufseher, Kanzleidiener 2c. eintreten, wenn dic Subalternbeamten fehr piel sicherere Gehälter beziehen, so muß man sagen, die preußischen Lehrer sind den Lehrern anderer Staaten gegenüber sehr zurügeseßt. YDezglich der formellen Frage f{chlicße ih mich den Ausführungen des Abg. Nickert an. Die Aufhebung des Geseßes von 1887 halte ih auch sür eine absolute Nothwendigkeit, wenn unsere Volkss{ule auf ihrer Höhe erhalten werden foll. Nicht bloß von liberaler Seite ist das Geseß bekämpft worden, fondern felbst Herr von Meyer- Arnswalde hat es verurtheilt und erklärt : Nach fünf Jahren werde man froh sein, das Gesch wieder los zu werden. D diesem Punkte kann ich der Vorlage nicht widersprehen. Denn die Wirkung des Gesetzes is eine verhängnißvolle gewesen. Ein Miß- trauen gegen die Selbstverwaltung haben wir nicht; aber eine anstän- dige Vureaukratie ist besser als eine unverständige Selbstverwaltung. Ver Bureaukratie verdanken wir die Ls unserer Schule ;

enn wie würden die Schulen auf dem Lande aussehen, wenn die Ge- meinden allein zu entscheiden hätten. Kein Minister kann die Schule mehr zurückshrauben, deshalb habe ih keinen Grund, der Schulverwaltung weitere Befugnisse zu verweigern. Ein Unterrichtsgeseß nah den Wün en ¿cs Abg. von Minnigerode wird niht kommen; wir können auch die Lehrer fo lange nicht warten lassen, bis ein Unterrichtsgefeß ertiggestellt werden kann. Geseßliche Nenn über die Ge- e und eine Neuregelung der Alterszulagen hatten die Lehrer Grerdings erwartet; diese Erwartung ist nicht erfüllt worden, troßdem 0 e ih lebhaft, daß das Haus die Vorlage annehmen möge. Wird sie gelehnt, so muß die Mißstimmung in den Kreisen der Lehrer sich mehren, sie müssen die Lust und Liebe zu ihrem Amt verlieren. i 00g, Wuermeling (Centr.): Wir wollen au füx die Volls- d Un nach jeder Richtung hin forgen, aber wir können es nicht ohne Ret eres billigen, daß die Mittel dazu aus den Ueberschüssen der Ein- uulensteuer genommen werden. Diese im § 1 enthaltene Frage 9B u der Skeuercommission geprüft werden ; denn das Geseß kommt niht allen Gemeinden zu gute, sondern nur einzelnen. In

der La On findet man vielleicht eine bessere Verwendung für das Geld, z. B. zur Ermäßigung der Vermögenssteuer. Ange- sichts der großen Zahl der vorhandenen Dispositionsfonds können wir einen neuen Fonds niht bewilligen, namentli da unser ganzes Schulwesen viel zu sehr auf der Willkür der Verwaltung beruht. Es hat mich gefreut, daß der Abg. von : Minnigerode ein Volks\{ulgeseß dringend verlangt hat. Die Aufregung der Geister hat nichts zu bedeuten. Glaubt man denn, daß in den positiv: christlichen Kreisen keine Aufregung darüber vorhanden ist, daß die Negierung einer Minorität geaenüber nicht energisch bei ihrem Willen stehen geblieben is ? Die Mißstimmung ist vorhanden, wenn sie au nicht so laut ausgedrückt wird, wie von anderer Seite. (Zustimmung rets und im Centrum.) Daß die MRegierung ein Volksschulgeseß gar nicht will, habe ich aus der Rede des Cultus-Ministers niht entnommen ; ih habe ihn dahin verstanden, daß neben der Steuerreform eine folhe Vorlage nicht gemacht werden könne. Daraus, daß cer das Dotationsgeseß nicht aus dem Schulgeseß auslöfen wollte, entnehme ih, daß er ein einheitliches Volkssculgeseß will. Der Abg. Knörcke hat sih als Schulbureaukrat vom reinsten Wasser entyupvt, während leine ¿Freunde fonst gegen Ministerwillkür sind. Das ift do kein ernsthafter politisher Standpunkt. Wenn man das Geseß von 1887 aufhebt, dann muß man den Gemeinden andere geseßlihe Garantien geben gegen die Willkür der Schulverwaltung. ;

6 0g. Dr. Enneccerus (nl.) {ließt sich den Ausführungen des Abg. Hobrecht au; er befürchte nicht, daß die Lehrer sih wegen ihrer {lehten Lage der Socialdemokratie anschließen würden; daran hindere sie die Bildung, die sie haben, und das Interesse an den idealen Gütern, die sie zu pflegen haben. Daß die Lehrer ih in einer s{lechten Lage befinden, sollte doch Herr von Minnigerode nicht bestreiten. Auf dem Lande haben 299% der Lehrer unter 750 46 Ein- kommen, davon befindet sich die Hälfte {on mehr als zehn Jahre im Amt; 50% haben 751 bis 1200 (, und nur 30% mehr als 1200 4 Gehalt. Aehnlich liegt es in den Städten. Sind Beamte von ähnliher Vorbildung, wie die Lehrer, wohl so {let gestellt ? Es handelt sich gar niht darum, ob das Geld den Beamten oder den Lehrern zugewendet werden soll; man benachtheiligt die Lehrer, ohne den Beamten zu helfen. Die Herren vom Centrum und von den Conservativen fordern die Wiedervorlegung des Bolksschulgeseßzes. Jch bin kein Gegner dieses Geseßes und werde es anstreben, sobald die Parteiverhältnisse dazu angethan sind. Nach den Grfahrungen der leßten Zeit aber würde ih cine solche Vorlage sür einen {weren Fehler halten, weil dur sie das Zusammen- arbeiten der Kreise erschwert würde, die gemeinsam an den staatlichen und Bolklsaufgaben mitzuarbeiten haben. Eine unüberbrückbare Kluft würde in der evangelischen Bevölkerung entstehen; das will auch das Centrum nur. Deshalb war es ein Frieden8werk, als die BVolks- shulvorlage zurückgezogen wurde. (Widerspruch rechts.) Die Vers weisung des § 1 an die Steuercommission wäre niht nur ein Be- gräbniß der Vorlage, sondern es würden die Parteien , die eine Aenderung der Vorlage wünschen, geradezu mundtodt gemacht. Wir wünschen gewisse Normen für die Vertheilung der Staatszuschüsse ; kann fich die vielbeshäftigte Steuercommission mit diesen Dingen be- fassen? Deshalb bitte ih, die Vorlage einer besonderen Commission zu überweisen.

Abg. von Strombeck (Centr.) bezeichnet die Mitwirkung der Steuerconmmission als absolut nothwendig. :

_ Abg. Freiherr von Minnigerode-Rossitten (conf.): Zur Ab- wehr gegen Legendenbiltung habe ih zu bemerken, daß ih gestern niht behauptet habe, unsere Lehrer hätten genug. Ih habe nur unsere gegenwärtige s{wierige Finanzlage betont und ausgeführt, daß angesichts dieser zunächst die Staatsbeamten berücksichtigt werden müßten. Die Ueberweisung des § 1 soll ein Begraben bedeuten? Jch habe bestimmt erklärt, daß ih für nothwendige Schulbauten in ärmeren Gemeinden namhafte Fonds bewilligen will. Aber die Finanzfrage muß zunächst klar gestellt werden.

__ Der Antrag von Strombeck wird angenommen; danach wird §1 der Vorlage an die Steuercommission verwiesen, der übrige Theil des Geschßes wird in zweiter Berathung im Plenum berathen werden. j

Das Geseß wegen Auf.hebung von Stolgebühren der evangelish-reformirten Kirche in der Provinz Hannover wird in dritter Berathung ohne jede Debatte angenommen, ebenso in erster und zweiter Lesung der E wegen Aufhebung von S tolgebühren für Taufen, Trauungen und kirhliche Aufgebote im Bezirk des Consistoriums zu Cassel.

Es folgt die ersie Berathung des Gesehentwurfs über den Vorsiß im Kirchenvorstande der katho- lishen Kirhengemeinden in dem Geltungsberciche des Nheinischen Nechts.

Abg. von Cuny (nl.): Das Gefeß unterscheidet sich zu seinem Nachtheil von den anderen kirchenpolitishen Gesetzen der 80er Jahre. Diese hatten den Zweck, den Zustand wieder herzustellen, der vor den Maigeseßzen bestanden hatte. Nach der Novelle von 1886 hat der Pfarrer dort den Vorsiß im Kirchenvorstande, wo dies vor 1875 d Fall gewesen war; wo früher ein Laie den Vorsiß führte, follte diefer Zustand bestehen bleiben. Fn den Nheinlanden hatte der Pfarrer hon seit 100 Jahren den Vorsitz nicht, dieses Gesetz will nun diesen Zustand ändern. Nun giebt aber bei Stimmen- gleihheit der Vorsißende den Ausschlag. Das Collegium hat lediglich die Vermögensverwaltung; es könnte die auss{hlaggebende Stimme des Pfarrers, falls dieser den Borsitz hat, zu besonderen Ausgaben im kirhlihen Interesse führen, die niht im Interesse der Gemcirde wären. Der evangelishe Kirhenrath hat nicht nur mit der Ver- mögen8verwaltung sondern auch mit religiösen Dingen zu thun, fo daß hier derx Vorsiß des Pastors angebraht scheint. Jch bitte um Ablehnung der Vorlage.

Abg. Lehmann (Centr.): Der Geseßzentwurf entspricht einer 1891 von diesem Hause mit großer Majorität angenommenen Ne- solution. Jch will nur den in den Rheinlanden noch im Gegensatz zu anderen Landestheilen bestehenden Unterschied hinsichtlich des Borsißzes im Kirchenvorstande beseitigen. Allerdings war auch bis 1875 am Rhein ein Laie Vorsißender. Diese Bestim- mung entspriht dem revolutionären, kirhenfeindlihen Geiste der französischen Geseßzgebung. In früherer Zeit wurde auh nicht wie jeßt der Kirchenvorstand gewählt. Jett is namentlich für die Land- gemeinden der Vorsiß des Pfarrers {hon deshalb nöthig, weil er der einzige ist, der genügend geseßesfkundig ist, um den Vorfiß zu führen. Fch bitte um 2 abe der Vorlage, und zwar bei der Einfachheit des Inhalts ohne Commissionsberathung.

Abg. Graf zu Limburg - Stirum (con): Wir haben es immer als zweckmäßig betrachtet, daß in den Kirchenräthen der Geistliche den Borsiß prt; deshalb werden wir die Vorlage an- nehmen. Die Ausführungen des Abg. von Cuny kann ih nicht als richtig anerkennen. Jn den Städten mögen sich Laien, die für den Vorsiß geeignet sind, in größerer Zahl finden, auf dem Lande ist allein der Geistlihe dafür vorhanden. Unsere kfatholisGen Mitbürger am Rhein wünschen, daß den Geistlichen der Vorsiy übertragen werde; dem steht kein staatlihes Bedenken ent- gegen, deshalb können wir der Vorlage niht wider| prechen.

(bg. Noeren (Centr.): Einen Widerspruch gegen die Beseitigung des alten Restes des Culturkampfes hätte ih heute nicht mehr erwartet. 1874 gab man den evangelishen Geistlihen den Vorsitz im Kirchenrath, 1875 verweigerte man ihn den katholishen Geist- lien, obwohl die Regierung gleiches Recht gelten lassen wollte, n LEFN En Rheinländer wlinshen den Pfarrer als Börsigenden zu haben.

Abg. von Cuny (nl.): Es handelt sih nicht um einen Nest des Culturkampfes, sondern um bestehendes Necht, das zum theil hon seit Mitte des vorigen Jahrhunderts- gilt; - in Frankreich finden fh folhe Vorschriften hon in früheren Jahrhunderten.

Abg. Dauzenber!g (Centr.): Jetzt soll das Alte aufrecht erhalten

werdeit, während man 1875 einfach darüber Hiuwegging. Schaffen Sie das Gesetz von 1875 über die Kitchenbérniöteis Verivaltung ab, dann mag avch bezüglich des Vorsitzes, im Kirchenrath alles beim Alten bleiben.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) erklärt sich für die Vor- lage, bemängelt aber, daß die Regierung verlange, die Kirchenvorstände follten deuts correspondiren, während in ihnen kein Mensch säße, der Deutsch verstände. Die politischen Dinge würden immer von der Re- gierung hineingetragen.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jh wikl Sie nicht lange aufhalten, denn der ganze Streit, der soeben von Herrn Dr. von Jazdzewski hier zur Sprache gebraht worden ist, ist in einer sehr ausgiebigen Discussion zwischen ihm und meinem Herrn Amtévorgänger, dem Grafen von Zedlitz, in der Sißung vom 6. Mai 1891 hier behandelt worden. Ich für meine Person stehe in dieser Frage ganz genau auf dem Standpunkt meines Herrn Amtsvorgängers. u

Ich möchte nur zu der Sache selbst bemerken, daß ich den Vor- wurf, die Königliche Staatsregierung trüge in der Provinz Posen in alle Verhältnisse die politishe Frage hinein und provecire damit den Streit, auf das allerentschiedenste zurückweisen muß. (Bravo!) Nicht die Königliche Staatsregierung trägt die politishe Frage hinein, sondern der Umstand, daß in Posen das Verhältniß der dort lebenden Deutschen zu den Polen sich wie 2 zu 2 verhält, der Umstand, daß die Polen, leider nur zu oft vergessen, daß in Posen doch au noch Deutsche wohnen (fehr richtig!), und für die Deutschen hat die Staatsregierung auch einzutreten. (Bravo!) Nicht wir tragen den Streit hinein, im Gegentheil unser ganzes Dichten und Trachten geht dahin, daß wir rieden schaffen in Posen. Aber wir sind es niht und ih weise den Vor- wurf zurück, daß wir es seien —, die den Streit provociren. (Bravo!) Auch nicht in dieser Frage, um die es sich hier handelt. Es ist wahr, die Verhandlungen find ins Stocken gerathen, und zwar ins Stocken gerathen s{chon seit der Zeit, wo sie mit dem verewigten Erzbischof Dinder geführt wurden. Sie sind ins Stocken gerathen deßwegen, weil die Königliche Staatsregierung im Interesse der deutschen Katholiken wünschte, daß in die Geschäftsanweisung eine Bestimmung aufgenommen werden 1nöhte, über die Géschäftsanweisung muß cine Verständigung zwischen Staatsregierung und dem Erzbischof stattfinden nah einer Bestimmung des Gesetzes von 20. Juni 1875 weil die Staats- regierung im Interesse der Deutschen wünschte, daß eine Bestimmung über die Geshäftsfprahe der Kirchenvorstände Hineinkäme, sodaß da wenigstens ausgeschlossen wäre, daß niht auß nah dieser Richtung hin wieder polnische Agitationen und Machinationen stattfänden. Es ift damals, wieder Herr Abg.Dr.vonJazdzewski richtig dargelegt hat, eine folche Vereinbarung nicht zu stande gekommen, auf unfer Verlangen, auf das Verlangen der Königlichen Staatsregierung i} eine officielle Ant- wort - seit jenér Zeit nicht | erfolat: Aber (ch6 Ln béi Herrn Abg. Dr. von Jazdzewski darüber beruhigen; ich habe in jüngster Zeit Anlaß gehabt, mit dem Herrn Erzbischof von Gnefen und Posen die Frage mündlih zu besprechen. Die Königliche Staats- regierung hat niemals Bedenken getragen, den Vorsitz im Kirchen- vorstande, vorausgeseßt, daß eine verständige Vereinbarung mit der kirhlihen Behörde zu stande käme, auch auf Posen auszudehnen. Das hat s{hon der Herr Graf Zedliz hier im Hause constatirt; ich für meine Person zweifle nicht im geringsten daran, daß dem ober- hirtlichhen Herzen des Herrn Erzbischofs die deutschen Katholiken feiner Erzdiözese ebenso nahe stehen wie die polnischen, und darauf gründe ih die Hoffnung, daß es möglich fein wird, ein verständiges Abkommen zu treffen. Aber, meine Herren, über die Linie hinüber, die uns durch das staatliche und das Interesse gezogen wird, das wir haben, um die Rechte der deutschen Katholiken zu \{hüßen, über diefe Linie kann ih niht hinüber und kann auch die Regierung nicht hinüber. (Bravo! rets.)

Abg. Schmidt- Warburg (Centr): Wir follten uns bei unseren Geseßen niht auf französisches Recht berufen, sondern auf deutsches Recht.

Abg. Freiherr von der Reckck (conf.) stimmt dem zu und bittet, die polnischen Dinge bei Seite zu lassen, da es sich hier nur um das Nheinland handele.

Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Centr.) bedauert, daß der Abg. von Cuny seinen Culturkampfeifer nicht zügeln könne: den Katholiken könne er doch damit keinen Gefallen erweisen, daß er Bu N Ausnahmestellung anweise auf Grund von veralteten

eleBcen.

Abg. von Cuny (ul.) erkläct, daß er auch für deutshes Necht fei, aber in diefem Falle habe er sich auf franzöfishes Necht gegen- über dem römischen Nechte berufen.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) meint, daß für die deutschen Katholiken genügend gesorgt und allen ihren Wünschen ent- gegengekommen werde. j

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch zweifle gar nicht, daß die deutschen Katho- liken in der Gemeinde des Herrn Dr. von Jazdzewski fehr gut unter feinem Schuß aufgehoben sind. Jch habe auch vorhin \chon erklärt, daß ih nit daran zweifle, daß der Erzbischof auch die Nechte seiner deutshen Diözesanen wahrnehmen wird. Jh erinnere aber daran, daß die Sprachenfrage, auch die Frage, welche Sprache im Kirchen- vorstand geredet werden foll, allerdings ihre Rückroirkungen hat. Denn davon ist abhängig, ob den deutschen Katholiken ein Gottesdienst ge- währt werde oder gewährt werden müsse. Also so ganz leiht zu nehmen ist die Sache nicht.

Ich will aber auf diese Fragen gar niht mehr zurü ckommen,

weil ih ja bereits angedeutet habe, daß ih eine Verständigung mit

dem Herrn Erzbischof wünshe und weil ich auch glaube, darauf rehnen zu dürfen, daß sie in irgend * einer Weise gefunden werden wird.

Was aber die Agitationen und Machinationen betrifft, so besteht zweifellos in der Provinz Posen eine große national-poluische Agita- tion, die jeden Anlaß benußt, um mit Hilfe der Sprachenfrage fort- während zu agitiren und Machinationen in alle möglichen Verhältnisse hineinzutragen. Daß man gegenüber folchen Agitationen und Machi- nationen hier in Berlin nicht immer wissen kann, ob das im einzelnen Fall etwa von einem „Querkopf“ herkommt, das werden Sie mir zugeben; ih bin außer stande, das zu untersuchen. Jh muß die Sachen nehmen, wie sie sind, und nah den Symptomen, die ih finde, muß ih meine Entscheidung treffen, und ich muß darauf halten, daß

die Rechte des Staats und des Deutshthums nicht zu kurz dabei

kommen. (Bravo! rechts und links.) Damit {ließt die erste Lesung; cine commissarishe Be- rathung findet nicht statt. G | IRTAN Schluß 3? Uhr.