1893 / 15 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Jan 1893 18:00:01 GMT) scan diff

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welches einer

bei den Berathungen im Bundesrath von Seiten anderer verbündeten Negierungen ein sehr entshiedenes Gewicht auf die Beibehaltung der bisherigen Spannung von 20 Æ gelegt wurde, als namentlich von Seiten der süddeutschen Regierungen darauf hingewiesen wurde, daß ihr Eintritt in die Branntweinsteuergemeinshaft unter der Voraus- seßung erfolgt sei, daß diese Spannung von 20 4 für absehbare Zeit unverändert bleiben derjenigen Gründe verstärkt wurde, welche auch innerhalb der Reichs- behörden und bei der Königlih preußishen Regierung bereits zur Er-

artet als die beiden anderen, weil er außer den auf die Erhöhung des finanziellen Ergebnisses der Branntweinbesteuerung geri{chteten Be- stimmungen noch eine Reihe anderer Bestimmungen enthält, mit denen hervorgetretenen Uebelständen der bisherigen Geseßgebung be- gegnet werden foll. Diese leßterèn Vorschläge haben in der öffentlichen Discussion bishér in höherem Maße Zustimmung gefunden, als die Neuforderung auf finanziéllem Gebiete. Es liegt das ja in der Natur der Dinge. Die verbündeten Regierungen vertreten diese Vorshläge voll und ganz; dennoch glaube ih kaum, daß, wenn das finanzielle Bedürfniß nicht darauf hingewiesen hätte, den Ertrag der Branntweinsteuer zu steigern, man in diesem gegenwärtigen Moment bereits zum dritten Mal wieder mit einer Novelle zum Branntweinsteuergeseß von 1887 vor den Reichstag getreten wäre. Wie Sie wissen, beziehen \sich diese Abänderungsvorschläge auf eine Reihe verschiedener Bestimmungen. Sie wollen neu ordnen die Vor- schriften über die Contingentirung, sie hlagen vor, die Contingentirungs- perioden zu verlängern, sie wollen die Bestimmungen über die Gewäh- rung von Ausfuhrvergütung verlängern, sie wollen eine Vergünstigung, welche in der leßten Novelle mit Rücksicht auf die Verhältnisse der süddeutshen Brenner für die Kleinbrennereien gegeben waren, durch eine zweckmäßigere Fassung des damals gewählten Wortlauts noch günstiger für die Betheiligten ausgestalten, und sie wollen und das ist der Hauptpunkt —— die Zahlen, auf Grund deren die Con- tingentirungsmengen Bberechnet waren, reduciren in Norddeutschland von 4F auf 4 1 pro Kopf und dementsprehend in Süddeutshland wo ja aber die Zustimmung der betheiligten Regierungen und eventuell der Landésvertretungen vorbehalten werden mußte von 3 auf 25 1. Weshalb wir diesen Vorshlag machen, werden die Herren aus der Motivirung ‘des Entwurfs ersehen haben; wir machen ihn, weil \sich die Annahme, daß dauernd ein Theil des Inlandconsums noch durch siebziger Brannt- wein gedeckt werden müßte, durch die thatsählihen Verhältnisse als unzu- treffend herausgestellt hat. Ich lasse dahingestellt, ob man von Anfang an den Inlandconsum zu hoch geschäßt hat, ob ein zu starker Nückgang des Trinkconsums im Inland stattgefunden hat, oder ob, wie ih vor allem glaube, wir bei den früheren Berelhnungem die Masse desjenigen Branntweins untershäßt haben, welcher zu gewerblihen Zwecken ver- wandt wird und zur Zeit also steuerfrei, in denaturirtem Zustand zur Verwendung gelangt. Diese ganze Vorschrift hat eine finanzielle Bedeutung nicht oder wenigstens nur in sehr untergeordnetem Maße. Wir haben geglaubt, fie vorshlagen zu müssen, weil sie im Interesse des Brennereigewerbes nothwendig is, wenn demselben dauernd die- jenigen Vortheile erhalten bleiben sollen, um derenwillen seiner Zeit der doppelte Steuersatßz von 50 und 70 Pfennige in das Gesetz ‘ein- gefügt wurde.

Den finanziellen Mehrertrag, den wir dur das Gesetz zu haben wünschen, wollen wir gewinnen durch eine Erhöhung der Verbrauchs- abgabesäte um 5 Æ Das Geseß vom Jahre 1887 selbst sieht eine periodishe Revision dieses Theils seiner Bestimmungen bereits im § 1 vor. Wir hoffen, durch diese Erhöhung einen Mehr- ertrag von etwa 124 Millionen zu gewinnen, und wir würden damit nur etwas über denjenigen Betrag der Einnahme hinauskommen, welhen wir ursprüngliß aus der Verbrauchsabgabe gewinnen zu können glaubten. Denn wie Ihnen aus den Vorschlägen zum Etat gegenwärtig sein wird, bleibt die Veranschlagung für das nächste Jahr, aufgestellt auf Grund der bisherigen Erfahrungen, um etwa 10 Millionen hinter den früheren Annahmen zurü.

Wir haben. geglaubt, daß man dem Branntwein eine um diesen Betrag erhöhte Belastung wohl zumuthen könnte, obwohl sie ja an und für fich unerwünscht ijt, unerwünscht gerade bei einem Product, welchés vor- wiegend von der ärmeren Bevölkerung consumirt wird, bei einem Product, welches im Verhältniß zu andern , auf gleicher Linie stehenden Pro- ducten bereits jeßt sehr erheblich belastet ist. Allerdings ist dabei unsererseits von der Annahme ausgegangen, daß, wenn man im Jahre 1893 einen im Jahre 1887 normirten Verbrauchsabgabesaß für den Branntwein erhöhen will, man dann auch seitens des Reichstags keinen Anstand nehmen würde, einen im Jahre 1819 normirten Abgabesatz für das Bier ebenfalls im Jahre 1893 zu erhöhen. Jch glaube, daß, wenn Sie die Erhöhung beim Branntwein zugestehen , die Erhöhung der Bierabgabe eine einfahe Forderung der ausgleihhenden Gerechtig- feit ist.

Die zu erwartende Mehreinnahme wird nun nach Lage der Verhält- nisse wesentli durch die Erhöhung des niedrigeren Verbrauchsabgabe- saßes von 50 auf 55 - erreicht. Es entstand die Frage, ob man au den oberen Abgabesaß von 70’ auf 75 4 erhöhen sollte. Das Gesetz selbst in seinem § 1 hat für die periodishe Revision nur eine Neunormirung des niedrigeren, niht des höheren Abgabesatzes in

Aussicht gestellt, dennoch steht selbstverständlich der gleichzeitigen Er- höhung des höheren Abgabesaßes ein geseßlichßes Bedenken nicht entgegen.

Die Wirkung der Maßregel wird nun zweifellos eine verschieden: artige sein, je nadhdem man gleichzeitig mit der Erhöhung von 50 auf 55 „F auch den oberen Satz von 70 auf 75 » erhöht oder es bei 70 „s bewenden läßt. Erhöht man ihn auf 75 4, so wird in stärkeèrem Maße, als im andern Fall geshehen würde, die Last auf den Consumenten fallen; beläßt man ihn auf 70, so wird der Producent im höhern Maße als im anderen Falle die Last zu tragen haben. Für beides sprechen sehr gewichtige und erhebliche Gründe. Bei der ersten Redaction des Gesetzes es ist das ja durch die Presse bekannt geworden und ih habe gar keinen Grund, dieses Sach- verhältniß zu verschweigen hatte man sich innerhalb der Reichs- behörden und unter Zustimmung der Königlich preußishen Negierung

dafür entschieden, den oberen Verbrauchsabgabensaß nicht zu erhöhen, sondern auf 70 Pfennig zu belassen, obwohl man nit verkannte, daß damit die jetzigen Verhältnisse zu Ungunsten des Brennerei- gewerbes verschoben würden. Man legte dem Bedenken, , höheren Heranziehung des Consumenten ent- gegenstand, doch? ein lüberwiegendtes Gewicht bei. Als nun aber

würde, als hierdurch das Gewicht

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wägung gekommen waren, da hat die Königlich preußishe Regierung geglaubt, bei der s{ließlihen Feststellung des Gesetzentwurfs im Bundesrath auch ihrerseits ihre Stimme dafür abgeben zu sollen, daß für. jeßt von“ einer Verringerung der Spannung von ‘20 A Abstand genommen werden möge. (Zuruf, rechts.) Sie werfen mir “ein: „Für jeßzt?* Sie werden mir zugeben, daß man nicht für hundert FJahre Geseze macht, und wenn ein Geséß wie das von 1887 ausdrücklich eine periodische Revision diefes Punktes seiner Bestimmung vorschlägt, so werden Sie es verstehen, daß ih nichts weiter erklären kann, als daß für jeßt, d. h. für die nächste Periode diese Spannung beibehalten werden soll. Ob in einer späteren das ganze System aufreht erhalten wird, ob“ die Spannung aufrecht erhalten wird, welche Säße gewählt werden, ob cine Ermäßigung der Säße nah Maßgabe der allgemeinen Finanzlage möglich it, ob eine Erhöhung nothwendig ist, das alles sind Dinge, die in der Zukunft verborgen liegen, über die wir heute irgend eine Erklärung nicht abgeben können.

Ich möchte den Herrn Abgeordneten, der mich eben unterbrach, und die übrigen Herren, die sih für die Sache interessiren, bitten, meine sämmtlihen Erklärungen jeßt wie auch die früheren so aufzufassen, wie sie gegeben und gesprochen sind, und keine Hintergedanken darin zu suchen. Ih habe in der That und ih glaube mich. darin auf das, was ih eben ausgeführt habe, beziehen zu können die Absicht gehabt, Ihnen, um den landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, völlig reinen Wein ein- zushänken, und ih habe Sie nun zu bitten, das Gese sachlich zu prüfen und demnach Ihre Beschlüsse wie ih hoffe und bitte, in zustimmendem Sinne zu fassen.

Ueber die darauf folgende Nede des Abg. Siegle haben wir bereits berichtet. Darauf erhält das Wort der

Abg. Dr. Witte (dfr.): Die Branntweinsteuernovelle steht unter den für die Kosten der Militärvorlage gemachten Steuervorlagen ganz für sih da und muß für sih betrachtet werden. Wenn die Regierung an dem erst seit fünf Jahren bestehenden Branntweinsteuergesetz eine so umfassende Aenderung machen will, hätte sie uns in der Be- gründung die bisherigen Wirkungen des Gesetzes für die Brennereien und das landwirthschaftlihe Gewerbe ausführlich darlegen follen. Ueber diese Wirkungen besteht in den interessirten Kreisen noch große Unkenntniß. Die großen Brenner werden immer tiefer und tiefer in die Lage hinein- kommen, aus welcher sie sih durch dasGesetz von 1887 zu befreien glaubten. Das Brennereigewerbe befindet sih ja seit Jahren in einer sehr ungünstigen Lage. Das Gesetz von 1887 hat niht im geringsten die hohgespannten Hoffnungen der Herren auf der Rechten erfüllt. Im Gegentheil. Die 40 Millionen fließen niht in den Reichs- sâckel; ob sie in Ihrer Tasche bleiben, is eine andere Frage, die noh zu untersuchen ist. Weder mit dem Geseß von 1887, noch: mit dieser Novelle i} eigentlih irgend jemand zufrieden. Der Redner geht hiernah auf eine Anzahl zur Vorlage eingegangener Petitionen ein. Eine Petition von Kornbrennern sagt: Laßt uns in Nuhe; besteuert den Alkohol im Wein und im Bier, und wenn Ihr dann noch mehr haben wollt, so führt die Wehrsteuer ein, und dann ist Allen ge- holfen. Das Geseß von 1887 ist so construirt, daß es gerade das Gegentheil von dem erreihen mußte, was man beabsichtigte. Die Rentabilität der Brennereien ist stetig zurückgegangen, 1891 it das einzige Jahr gewesen, in welchem sih das Brennereigewerbe gut be- funden und auch Geld verdient hat. Im übrigen können die Brenner selbst innerhalb des Contingents nur noch mit Zuhilfenahme der 20 4 - Steuerdifferenz Spiritus brennen, ohne Verluste zu haben. Die Differenz von 20 A zwischen den beiden Contingenten ist aus- drücklich zu dem Zweck gemacht, um dem Brennereigewerbe, nament- lich dem landwirthschaftlichen, entgegenzukommen und ihm einen A Vortheil zu gewähren. Hätten die Brennereien sich inner- jalb des Contingents gehalten, alfo nur contingentirten Spiritus gebrannt, dann wäre die Differenz von 20 4. resp. die 40 Millionen Mark un- zweifelhaft in die Taschen der Brenner geflossen. Daher i} der Ausdruck „Liebesgabe“ oder Geschenk vollkommen berechtigt. Daß sih die Sache in Wirklichkeit anders stellt, und daß von den 20 Millionen Mark die Brenner nur einen bestimmten Theil in der Tasche behalten, ist richtig, ändert aber nihts an dem Charakter des Gesetzes, daß die 40 Millionen vom Volke aufgebraht werden müssen, jih aber niht im Neichs\äckel befinden. Die Construction des Geseßes, nah welher das erlaubte Contingentsquantum auf die einzelnen Brennereien von fünf zu fünf Jahren neu vertheilt wird, zwingt die Brenner, wenn sie thr Contingent in der bisherigen Höhe beibehalten wollen, zunächst das Contingent selbst und dann noch darüber abzubrennen. Die daraus folgende Ueber- production hat seit dem Bestehen des Gescßes von 1887 unaus- geseßt ein Fallen der Preise herbeigeführt, und wir werden das- selbe so lange haben, bis das Gesetz selbst seinen unnatürlihen Zwang aufgegehen und verständigen und vernünftigen Bestimmungen Platz gemacht hat. So lange Sie nicht eine reine Consumsteuer ein- geführt haben, werden Sie keine Ruhe haben. Die Zeit wird kommen, wo auch die Herren rechts ihre Meinung geändert haben werden. Wer is überhaupt mit dem jetzigen Geseg zu- frieden ? Stehen die Brenner niht geradezu unter einer geseßlihen Plage? Das Gesetz hat ihnen die Freiheit der Be- wegung genommen. Sie können nicht ein neues Gefäß aufstellen ohne die Genehmigung der Behörde. Wie würde sich das Gewerbe erst entwickeln, wenn es in wirkliher Freiheit lebte, wenn eine Consumsteuer eingeführt würde und es von allen diesen Sesseln befreit wäre! Jett is es der Behörde gegenüber geradezu rechtlos. Von der Kartoffelernte von 1890/91, die 142 844 461 Doppel- centner in Preußen betrug, wurden zur Branntweinbereitung 72/10 9/6, 1889/90 78/10 9/0, 1888/89 78/10 9/6, 1887/88 89/6 verbrauht. Wenn es möglih wäre, an dic Stelle des bisherigen Branntweinsteuergesetzes ein vernünftiges neues Gesey zu seßen, wenn die Wirkungen der angebahnten und fortgeführten verständigen Handelspolitik weiter aus- gedehnt werden können, dann werden die Schmerzen der Brenner bald vershtvinden, dann werden sie sich nicht ein Geschenk von 40 Mil- ionen geben lassen, von denen doch nur der kleinste Theil in ihren Taschen bleibt.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Königlich bayerischer Finanz- Minister Dr. Freiherr von Niedel: Sowie die Branntweinsteuer in irgend einer Weise legislatorisch berührt wird, entstehen sofort einerseits eine Reihe von Befürchtungen und Besorgnissen und an- dererseits zahlreiche Kritiken und neue Vorschläge. Das ift auch gegen- wärtig der Fall. Es handelt ih hier um eine große Anzahl von Betrieben. Die Zahl derselben, wenn die kleinen Betriebe mitrechnen, beträgt in ganz Deutschland gegen 90 000; wenn Sie nur die landwirth- shaftlihen Betriebe in Betracht ziehen, gegen 12 000. Der Werth des gegenwärtigen Erzeugnisses ist gegen 100 Millionen Mark. Diese Ziffer ist doch im großen und ganzen in unserem wirthschaftlichen Leben niht zu untershäßen, auch wenn der Bruchtheil des ge- sammten Kartoffelbaues ein verhältnißmäßig nicht sehr hoher ift. Auf den Bruckwtheil kommt es überhaupt niht an. Wir wissen ja, ces in vielen Gegenden Deutschlands überhaupt keine Brennerei betrieben wird, weil es dort eben nicht nothwendig ist. Die Gründe, warum die Regierungen dem Brennereigewerbe als solchem eine besondere Beachtung senken, liegen in der Bedeutung der landwirthschaftlihen Brennereien, als des Gewerbes, welches in einzelnen Gegenden eine Reihe minderwerthiger Böden erst der Bebauung zuführt und würdig maht. Es muß an- erkannt werden, daß die landwirtitäattlicke Brennerei ganz entshieden zur Bodenverbesserung beiträgt, hauptsählich aber daß sie eine Erzeugung von größeren Mengen von Nährwerthen ermög- licht, als wenn feine Brennereien betrieben würden. Das sind

L RA ZuiitdeiEriiidäiewi nam aei niedri C BRRRE C E A

bei der Sache legen müssen. Nun haben die Brenner in ihren ver- schiedenen Eingaben in erster Linie deshalb Besorgnisse aus e- sprochen, weil fie aus der höheren Besteuerung einen ang fee Consums befürchten. Die Besorgniß is nicht begründet. Die rhöhung der Steuer um 5 pro Hektoliter ist nicht erheblich für den Consum denn der Trinkbranntwein hat höchstens 33 0/9 Alkohol, er trägt also für das Hektoliter nur 152 M Steuer. In den anderen Staaten, in denen der Branntwein mehr als doppelt so hoch besteuert ist, ist der Consum nicht geringer, sondern eher größer geworden; aber wir E in Betracht ziehen, daß zur Erfüllung der großen Zwette welche gegenwärtig Deutschland -bewegen, ein Burük reifen auf dén Branntwein in dieser mäßigen Form wohl kaum besondere Bean- standung finden kann. Unter allen Umständen sind die Regierungen der Meinung, daß bei jeder Branntweinbesteuerung, möge sie eine Form haben, wie sie will, das volkswirthschaftliche Interesse in Betracht ge- zogen werden muß und werden wird. Die Herren, die über die Zu- stände des Brennereigewerbes anfangs der achtziger Jahre informirt sind, werden mir zugeben, daß damals eine Ueberproduction herrschte welche das Bestehen des Gewerbes gefährdete. 1886 hatten wir in Deutschland verschiedene Branntweinsteuergebiete: das norddeutsche bayerishe, württembergische und badische Steuergebiet. Als es sih darum handelte, aus dem Branntwein eine ergiebigere Steuer- quelle zu bekommén, waren die Regierungen und die große Mehr- heit der Volksvertretung übereinstimmend der Ansicht, daß man so hohe Auflagen niht machen könne, wenn man nicht gléichzeitig einen Weg finden fönne, der die große Mehrzahl der Brenner vor dem wirthshaftlihen Ruin bewahren kann. Dazu kam noch die Frage des Eintritts - der süddeutschen Staaten. Es ist abfolut wahr, daß die einseitige Einführung eines so hohen Abgabesaßes gar nicht dur- führbar gewesen wäre ohne entweder den Eintritt der Süddeutschen oder ohne die Aufrichtung einer Zolllinie am Main, welche Handel und Verkehr von ganz Deutschland in hohem Grade be- lästigt, große Kosten verursaht hätte und auß aus politischen Gründen durchaus verderblih gewesen wäre. Nicht weil die Süddeutschen in die norddeutsche Brennercigemeinshaft hinein- wollten, auch nicht, weil die Norddeutschen uns zu umgarnen suchten, sondern weil dies der einzig gangbare Weg war, eine gleihmäßige Besteuerung herzustellen, wurde er gewählt, einmal um einen finanziellen Erfolg zu erzielen und dann um jene wirthschaftlichen und politishen Nachtheile zu vermeiden. Das erklärt auch die einzelnen Bestimmungen des Geseßes. Die süddeutshen Staaten haben einerseits den Wunsch, der Ueberproduction in Norddeutschland mit ihren verheerenden Wirkungen zu steuern, und auf der anderen Seite, den füddeutshen Brennern die Möglichkeit der Forteristenz zu sichern. Wir haben es zuerst mit dem Monopol versucht, mit diesem aber außerordentlih wenig Glück gehabt. Daher mußte trgend ein anderer Weg gefunden werden. Mit der unveränderten Aufrechterhaltung der Bestimmungen des Gesetzes oder dem Fallen- lassen desfelben steht oder fällt der volkswirthschaftlihe Theil des Branntweinsteuergeseßes. Die Vorlage beläßt es in der Hauyt- fache bei den Grundgedanken von 1887. Die Differenz des Steuer- saßes wird auch in der Vorlage grundsäglih aufrecht erhalten. Es wird nur der andere Grundgedanke, das Contingent, geändert: dasselbe wird von 4} auf 4 1 herabgeseßt. Diese Maßregel ist nothwendig, weil in dem Augenblick, wo die Branntweinsteuer erhöht wird, die größeren Schwankungen in der Preisbildung eintreten, ein Nachtheil für den Producenten, während für den Consumenten wohl kaum ein Vortheil daraus entsteht. Wir hören so viel von dem Vierzigmillionengeschenk \prehen. Wenn cin folches Geschenk von 20 oder 40 Millionen wirkli existirte, so würde ein Brenner, der 100 h1 herstellt, ein Jahresgehalt von 2000 beziehen, einer, der 590 hl herstellt, 10000 M Ich glaube, die Brenner haben von diesem Geschenk bisher sehr wenig bemerkt, sonst würde doch auch selbstverständlich die Zahl der Brennereien seit 1887 außerordentlich zugenommen haben. Wenn die Brennereien ein \o namhaftes Geschenk erhielten, so müßte dies doch wenigstens in den Branntweinpreisen seinen Ausdruck finden. Es müßten die Durch- shnittspreise in den leßten Jahren außerordentlih höher geworden sein. . Die Mär von der Liebesgabe is wohl daraus ent- standen, daß der Spiritus sämmtlich mit 70 M abgefertigt wird und die Brenner für ihren Contingentsspiritus Berechtigungsscheine er- halten, die mit 20 4 honorirt werden. Darin würde ein Geschenk liegen, wenn der 70 er Spiritus wirkli einen solhen Preis hätte, daß er die Productionskosten deckte; das ist aber durchaus nit der Fall. Der Preis von 50 4, den man früher als normalen ansah, besteht längst nicht mehr. Die Preisbildung wird dadurch bestimmt, daß die meisten Brenner nicht die Freiheit haben, je nach Umständen ein beliebiges Quantum zu brennen, fondern ein bestimmtes Quantum brennen müssen, damit ihr Vieh nicht verhungert. Wenn der Brenner für den 50er Spiritus einen hohen Preis bekommt, kann er den 70er billiger abgeben. Da diese Manipulation aber durch ganz Deutschland sich vollzieht, kann von einer Liebesgabe an die Brenner keine Rede sein. Eine Licbesgabe bekommt der Con- sument. Die Industrie, welche steuerfreien Spiritus verwendet, zahlt weniger für denselben, als sie bezahlen müßte, wenn gar feine Differenz in der Besteuerung bestände. Das Gescß der Concurrenz läßt eine Ausbeutung der R Sea nicht zu. Der ganze Zweck der Differenz bestand darin, der Ueberproduction zu steuern, inden sie dahin wirkte, daß die Brenner über die Contingentsmenge möglichst nicht hinausgehen. Der kleine und mittlere Brauer wurde dadurch geschüßt, in ihrem Interesse wurde diese Differenz gemacht. Bis zu den vierziger Jahren hatten wir in Bayern ein blühendes ei ate Mit dem Ein- tritt in den Zollverein und dem Wegfall der Schutzmaßregeln einerseits, der Vermehrung der Eisenbahnen andererseits wurden die bayerishen Brennereien allmählich von der norddeutshen Con- currenz erdrücktt. Wir hatten in den siebziger Jahren in jeder Hinsicht traurige Zustände. Wir haben dann das nämlihe Geseß gemacht, was in Norddeutschland bestand, und dadurch die Verhältnisse gebessert, indem die neue Steuer eine gewisse Prämie für guten Be- trieb darstellte und wir in der Uebergangsabgabe einen gewissen Schuß für unsere Brennereien erreihten. Diese Maßregel hat das Brennereigewerbe in Bayern in kürzester Zeir ganz außerordentli gehoben. Die Production hat sich in 2—3 Jahrèn ungefähr vervier- faht. Daher hatte 1887 bei uns niemand das Bedürfniß, in die nord- deutshe Branntweinsteuer - Gemeinschaft einzutreten. Wir A ein- getreten aus politishen und patriotishen Gründen. Im Jahre 188 habe ih fein Hehl daraus gemacht, daß wir nur eintreten können, wenn unseren Brennereien die Möglichkeit der Forterxistenz erhalten bleibt. Wir haben, so lange wir im Deutschen Reich . sind, uns immer verständigt, uns immer die Hand gereiht und bei jeder Gelegenheit das gehalten, was wir versprochen hatten. LTroh- dem wir mit-dem Eintritt ein ganz gutes Geschäft machten, haben der bayerische und der württembergische Landtag gar keine große Be- reitwilligfeit dazu gehabt. In München und Stuttgart wollte man lieber die bisherige Selbständigkeit als den Profit. Gleihwohl kam das Gesetz zu stande. Nun würde jedoch eine große Beunruhigung ent- stehen, wenn man an der Steuerdifferenz rüttelte. Denn die Ver- hältnisse haben sih seit 1887 niht in der Weise geändert, daß eine so eingreifende Maßregel bei der Besteuerung des Brauntweins berechtigt wäre. Eine Anzahl kleiner und mittlerer Brennereien würde dadurch in Bayern vernichtet werden. Wenn der Abg. Siegle sich draußen im Lande umsähe, würde er sehen, daß das bisher bestehende Geseß den fleineren und mittleren Brenne- reien zur Stütze gereiht hat. Ällerdings konnte das Geseß nicht Preise hervorrufen, welche die Brenner zu jeder Zeit befriedigt hätten, aber es wollte au fein Geschenk machen, sondern nur die kleinen Brenne- reien gegen das Großkapital {üßen. Durch Aufhebung der Differenz würde derselbe wilde Concurrenztkampf hervorgerufen werden, welcher im Anfang der 80er Jahre herrshte. Der Preis würde dann viel- leiht etwas heruntergehen, zuglei aber au tie chwäcer situirten Brennereien vernihtet werden. Nach dem Verschwinden derfelben würden die übrig bleibenden Sieger sich durch Erhöhung des Preises schadlos halten. Die verbündeten Regierungen haben kein Interesse

die Gesichtspunkte, auf welche die Regierungen das Hauptgewicht

daran, daß Branntwein erzeugt wird, sondern daß die Landwirthschast

wird. Wenn Sie es unmöglih ma i gee heimishen Boden ganz audtligen, so E M i Gn Réih und der öffentlihen Volkswohlfahrt keinen Dienst. Die süddeutshen Staaten sind der Branntweinsteuergemeinschaft nur in der Erwartung beigetreten , daß’ das Geseß von 1887 keine principiellen Aenderungen erfährt. Deshalb müssen auch die ursprünglichen Gegner desselben für Aufrechterhaltung desselben in seinen Grundlagen sein. Es ist deutshe Art, gegebene Zusicherungen zu halten. Bei radicaler Aenderung des Geseßes würden eine ganze Reihe von Unternehmungen, welche im Vertrauen auf das Geseß von 1887 gegründet wurden, dem Ruin preisgegeben werden. Von diesem Gesichtspunkt aus bitte ich Sie, das Geseß in möglich unveränderter Form anzu- nehmen.

Staatssecretär Freiherr von Maltzahn:

Der Herr Abg. Dr. Witte hat es als einen Mangel der Vor- lage bezeihnet, daß ihrer Begründung nit eine Denkschrift über die heutige Lage des Brennereigewerbes beigefügt sei. Meine Herren, über die Lage des deutschen Brennereigewerbes und die Veränderungen, welhe darin infolge des Branntweinsteuergeseßes von 1887 eingetreten sind, ist im vorigen Jahre hier im Reichstag und namentlich in der Commission, bei Gelegenheit der Berathung der leßten Novelle fo eingehend und so umfangreich discutirt worden, daß eine Denkschrift, die wir etwa diesem Gesetz hätten beifügen wollen, im wesentlichen nur eine Reproduction der damaligen NReichstags- yerhandlungen unter Fortführung bis zur Gegenwart hätte sein fönnen. Wir haben geglaubt, von der Beifügung einer solhen Denk- chrift absehen zu follen.

Es würde mir das allein nicht Anlaß gegeben haken, noch einmal das Wort zu nehmen, wenn der Herr Abgeordnete niht am Anfang seiner Nede mit einem gewissen Scherzwort, welches mir in der Presse schon früher begegnet ist, die Vorlage als eine „Calculator- arbeit“ bezeichnet hätte. An und für sich liegt ja darin, wenn nan eine finan- zielle Vorlage als eine Calculatorarbeit bezeichnet, noch kein erheblicher Borwurf; denn es liegt darin das Anerkenntniß, daß sie richtig ge- rechnet ist. Aber der Herr Abgeordnete hat diesen seinen Ausdruck dahin näher erläutert, daß er sagte, man habe diese Steuerobjecte ge- wählt als die nächsten und ergiebigsten Objecte, und wenn Sie dieses zusammenhalten damit, daß frühere Redner in den leßten Tagen bereits von „steuerpolitisher Wegelagerei" und derartigen Dingen ge- \sprochen haben, fo lege ih do Gewicht darauf, hier noch einmal zu erflären, was ih bei der Discussion des Brausteuergesclzes bereits erflärt habe, daß der erste und hauptsächlichste Grund, weshalb wir diese Steuerobjecte gewählt haben, der gewesen ist, daß sie sich innerhalb des Nahmens derjenigen Abgaben befinden, auf welche verfassungs- und gesetmäßig das Deutsche Reih angewiesen ist, und daß es uns nicht angezeigt erschien, über diesen Rahmen hinaus in das zur Zeit den cinzelnen Bundesstaaten vorbehaltene Gebiet neue Einbrüche zu machen, solange wir durch weiteren Ausbau der dem Reich verfassungs- und besißstandsmäßig überwiesenen Einnahmen die nöthigen Mittel für die Bestreitung der nothwendigen Mehrausgaben finden konnten.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Königlich württembergisher Ge- sandter von Moser: Jch habe zu erklären, daß wir nach Lage der Brennereien in Württemberg den allergrößten Werth darauf zu legen haben, daß die Differenz von 20 46 beibehalten wird. Wir haben im Jahre 1892 6791 Brennereien in Betrieb gehabt, davon haben nur 13 der eigentlichen Controle des Geseßes unterlegen. Es handelt sich bei uns um vorwiegend kleine Betriebe. Von jenen 6791 Brennereien haben nur bis zu 50 1 producirt 4814 Brennereien. Im ganzen haben nur 54 Brennereien über 20 hl1 Branntwein producirt. Unsere Brennereien würden nicht im stande fein, mit dèn norddeutshen zu concurxiren, wenn dieser Unterschied für den Abgabesay nicht aufreht erhalten würde. Ungünstig ins Gewicht fällt außerdem, daß niht nur die Branntweinmaterialpreife, insbesondere der Kohlen, viel theurer find als in Norddeutschland, sondern daß auch die Arbeitslöhne viel höher find als in Norddeutsch- land. Der Arbeitsverdienst beträgt durhschnittlich in Ostpreußen 456, in Westpreußen 523, in Pommern und Mecklenburg 548, in Posen 494, in Schlesien 511, in Bayern, Württemberg und Baden aber 754 M. Viel \{lechter \teht es mit den Preisen der Kartoffeln. Die Differenz zwischen Nord und Süd beträgt mindestens 2 4 pro Doppelcentner. Alles dies sind \tringente Beweise für die Noth- wendigkeit, die Differenz von 20 4 aufrecht zu erhalten. A

Abg. Holt (Rp.): Durch die Besteuerung des Branntweins wird der Sofia noch weiter eingeschränkt und damit der leßte Absay im Julande, der unseren Producenten noch zurückblieb, wesentlich beschnitten. Das is um so bedenklicher, als die landwirth- shaftlihe Krast ohnehin im Sinken begriffen ist. Durch die Handels8- verträge sind wir ohnehin stark geschädigt worden. Mit der nöthigen Opferfreudigkeit kann nur der Stand s{hwere Opfer bringen, der wirthschaftlih prosperirt. Dies ist aber thatsählih bei der Land- wirthschaft nicht der Fall, und da es auch beim Handel nicht der Fall ist, fo sind darin die Ursachen zu finden, daß die Militärvorlage Schwierigkeiten begegnet. Der Branntwein ist der am höchsten besteuerte Gebrauchsgegenstand. Im Jahre 1890/91 zahlte der Branntwein 3,12 6 pro Kopf der Bevölkerung, Zucker 1,64, Tabak 1,58 4, und zuleßt folgte das Salz mit 89 und das Bier mit 78 -. Eine kräftige Fortentwickelung der Branntweinindustrie wäre für Deutsch- land von großer finanzieller, aber auch von volkswirthschaftlicher Bedeutung, wie ein Vortrag beweist, den Professor Märker im Februar 1892 im Verein der Spiritusfabrikanten gehalten hat. Keine andere Frucht, auch das Getreide nicht, erhält den Boden fo tragfähig, wie die Kartoffel. Nach Abzug desjenigen, was zum Spiritus verarbeitet wird, bleibt noch so viel für Futter übrig, daß für Milch- und Fleischproduction in viel ausreihenderem Maße gesorgt ist, als dur den Körnerbau. Die Kartoffel erhält dem Boden seine gesammten Nährstoffe, der Getreidebau vermindert sie. Wir haben also an der Erhaltung des Kartoffelbaues das größte Interesse. Um so bedauerlicher is es, daß uns der Absaß unserer Spiritusproducte im Auslande vollständig verloren gegangen ist. Die Production ist wegen der Verringerung des Absaßzgebietes um 100 Millionen Liter eingeschränkt worden. Nach Frankreich und Spanien exportiren wir keinen Liter mehr, nahdem die Zölle eingeführt sind. Mit Rußland und Oesterreich können wir auf dem Weltmarkt nicht concurriren, denn sie zahlen 6 bis 8 M Exportprämie. Möchte unsere Negierung dafür sorgen, daß unsere Exportindustrie ihren alten Plaß auf dem Weltmarkt wiedergewinne! Man sollte nicht den Jnlandéconfum dur fortgesezte Steuererhöhungen cinshränken. Ein mäßiger Branntweingenuß is durchaus zuträglih, er erzeugt Wärme und regt die Thatkraft an. Die Trunkenbolde haben infolge der höheren Steuer nicht einen Liter Branntwein weniger getrunken; nur die Sparsfamen haben ihren Consum eingeschränkt. Der ethishe Zweck der Steuererhöhung is also nicht erreiht worden. (Fs He en besonderer Vorzug der indirecten Steuern, daß der _Con- sument fein eigener Censor ist. Uebrigens hat das Bier in Summa ebenso viel Alkohol, wie der Branntwein. Es ist mir yon verschiedenen Aerzten mitgetheilt worden, daß das Bier durch den Massengenuß der Gesundheit mehr hade als es beim Alkohol der Fall ist. Eine Zustimmung zu dieser Vor- lage wird uns thatsächlih nicht leiht. Dessenungeachtet habe ih namens meiner politischen Freunde zu erklären, daß wir dieselbe E ablehnen werden. Wir wollen der Regierung die „Mittel nicht verweigern zur Durchführung einer Maßregel, welche fie für die Er- haltung der Integrität des Deutschen Reichs für nothwendig hält. Maßgebend i} für mich, daß die Differenz von 20 4 bestehen bleibt. Eine Reduction auf 15 4 ist für mich und einen großen Theil meiner

politischen Freunde unannehmbar. Das würde einer persönlichen Besteuerung der Brenner gleihkommen. Man spriht von einem Geschenk an die Brenner. Wenn ih ein Geschenk bekomme, um es sofort wieder weggeben zu nen, so ist es kein Geschenk mehr. Das ift nur ein Si lagwort, hervorgeholt aus der Rüstkammer, um die landwirthschaftlihen Interessen zu befehden. Das Schlagwort hat auch allmählich an Zugkraft verloren. Das Volk ist nicht fo urtheilslos, wie man glaubt. Es sieht genau, wo und wie si Vermögen bilden, und daß die Landwirthe und besonders die Brenner in den leßten Decennien kein Vermögen erworben haben. Bei den beutigen Preisveckältnifien wird die Kartoffel innerhalb des Con- tingents mit 1,35 M verwerthet, darüber hinaus mit 27 Z. Jeder Fabrikant kann doch verlangen, daß er in seinem Product wenigstens die Anlagekosten, Amortisationskosten und die Kosten des Nohmaterials bezahlt befommt. Die Brauer wollen doch auch ihre Kosten für Malz, Hopfen 2c. durch das Bier wiederbekommen. Daß dié Kar- toffel über das Contingent hinaus mit 27 § verwerthet wird, zeigt den wahren Charakter des Contingents. Das Contingent ist keine Belohnung, kein Geschenk, sondern eine Strafandrohung von 20 M für den, der über das Contingent hinaus brennt. Das Con- tingent bezwedt, ein Gewerbe lebensfähig zu erhalten, dessen Product durch Steuern von 600 9/9 des Werthes belastet ist. Eine folche Be- steuerung kann eine Privatindustrie bei bestehender Concurrenz nicht tragen. Deshalb wurde 1886 das Monopol vorgeschlagen, Bei einer \folhen Belastung ist eine Regelung der Production durchaus nothwendig. Angebot und Nachfrage müssen sich einigermaßen entsprechen, sonst ent- \spinnt sich eine wilde Concurrenz ; dabei besteht der Stärkere länger als der Schwächere, und der Stärkste bleibt zuleßt, er beherrscht den Markt, und so entsteht eine Art Privatmonopol. Hier bildet das Contingent einen Negulator. Dem Brenner wird die Verwerthung eines ge- wissen Kartoffelquantums zu marktfähigem Preise garantirt; brennt er darüber hinaus, so erhält er die Strafandrohung von 20 M Sinkt der Bedarf, so sinkt auch der Preis und die Strafandrohung bekommt eine höhere Geltung; der Brenner wird dann selbstverständlich seine Production einshränken. So erseßt das Contingent als selbständiger NRegulator das Staatsmonopol, die östlihen Brennereien bekommen für ihr Product jeßt 50 Millionen weniger als vor dem Gesetz von 1887, sie zahlen also diese Millionen als Steuer, aber das Gewerbe is vor dem Verfall ges{hüßt, ist lebensfähig und zahlungsfähig geworden. Eine höhere Belastung wäre für das Gewerbe außerordentlich bedenklih, und ganz unmöglich ist es, an dem Fundament des Geseßes, am Contingent, zu ändern. Das würde das ganze Gewerbe zu Fall bringen und das Brennereisteuer- geseß unmöglih machen. Eine Aenderung würde nur die Einführung des Monopols zur Folge haben. Die Vorlage enthält manche Ver- besserungen des Geseßes von 1887. Die längere Contingentsperiode verschafft dem Brenner stabilere Verhältnisse und is auch naturgemäß, da die Volkszählung die Grundlage für die Vertheilung des Cons- tingents bildet und dieselbe auh alle fünf Jahre stattfindet. Daß die Berehnung im leßten Jahre der alten Contingentsperiode statt- fliidet, alt vie Bib int cten ahre D neuëit Periode, is auch ein Vortheil. Ebenso ist die Abgrenzung von 800 hl für die neuen Brennereien angemessen [sorgfältig zu erwägen, und eine Beschränkung des Contingents auf 4, resp. in Süddeutschland auf 2j 1 pro Kopf scheint nothwendig zu sein. Der Consum s{wankt außerordentlih. Ich hoffe aber, daß, wenn die Beschränkung sür Süddeutschland abgelehnt wird, auch im Norden der alte Say bestehen bleibt. Troß großer Bedenken bin ih doch bereit, die Regierung in dieser Frage zu unterstüßen und vertraue darauf, daß sie bestrebt fein wird, die Landwirth|haft zu fräftigen, da nur eine lebenskräftige Landwirthschaft dauernd die Lasten tragen und die Regierung stüßen kann. Troß der Handels- verträge werden sich Mittel und Wege dazu finden. Jch verweise z. B. auf die Remonetisirung des Silbers. Es wird erforderlich sein, die Vorlage gründlich zu berathen und ih beantrage, deshalb sie der Militärcommission zu überweisen. / : Abg. Freiherr von Gagern (Centr.): Wenn die Regierung eine Erhöhung der Branntweinsteuer vorschlägt, so müssen wir die Vorlage genau prüfen, aber der Weg, den der Abg. Witte einschlagen will, it niht gangbar, denn das Brennereigewerbe muß als ein land- wirthschaftlihes Nebengewerbe angesehen werden; eine Verschiebung der Steuerverhältnisse würde hier Hunderte von Eristenzen vernichten. Wir Süddeutsche sind durchaus nicht mit Vergnügen in die Braunnt- weinsteuergemeinschaft eingetreten. Jch bedaure, daß der preußische Finanz-Minister Dr. Miquel nicht anwesend ist. Er hat damals uns ge- tröstet und uns versichert, daß an den Steuerverhältnissen nichts geändert wird. Er würde dem Abg. Witte klar machen, daß der Weg, den er vorgeschlagen hat, die Brennereien ruiniren würde. Jch beantrage ebenfalls die Verweisung der Vorlage an die Militär- commission. / : : Abg. Wurm (Soc.): Die Branntweinsteuergeseßgebung wird immer vom agrarishen Standpunkt betrachtet, aber agrarische Gesichtspuukte und Volksernährung stehen heute im Deutschen Meich in krassestem Widerspruch, und zwar gerade dadurch, daß die Brannt- weinsteuer den Kartoffelbau künstlih züchtet zum Unglück für das Deutsche Reich. Friedrich der Große hat seinerzeit Schlesien gewalt- sam dazu gezwungen, Kartoffeln zu bauen, nah und nach mußten auch die anderen Provinzen nachfolgen; doch hat die Einführung der Kartoffel unsere Volksernährung wesentlih verschlechtert. Die Kartoffel hat einen geringeren Nährwerth, als die fonsti- gen Nahrungsmittel, sie is zu voluminös und sättigt zu schnell, was allerdings für viele Leute ein Vorzug is. Das Kilo- gramm Stärke in der Kartoffel kostet 33 -§, im Brod 40 s, ist also nicht viel theurer, aber das Brod is deswegen theurer, weil der arme Mann davon mehr essen muß, als von Kartoffeln, um gesättigt zu werden. Wenn das Volk aber stark erhalten werden fol, so ist die Kartoffelnahrung nicht ausreihend. Der Kartoffelbau soll die Ausdehnung der Landwirthschaft ermögliht haben. Däs ift richtig. Aber davon hat das Volk keinen Vortheil gehabt; denn die Löhne sind in Gegenden, wo der Kartoffelbau vorherrscht, die niedrigsten. Der Export von Spiritus is in rasender Schnellig- feit zurücgegangen, die Agrarier verlangten einen Schußzzoll und Absperrung der Producte. Das Ausland wies darauf den contingentirten Spiritus zurück und die Folge war, daß der Export von 100 auf 6 Millionen zurückging. Das Sinken des Exports ist für die, die sich auf großem Fuß eingerichtet hatten, von ganz gewaltigem Scha- den gewesen. Die Großbetriebe haben gar keinen freien Willen mehr, sie müssen brennen. Die Folge war, daß der Markt überschwemmt wurde und die Preise für den Spiritus sanken. Da sollte die Regierung helfen, indem sie die Interessen der Brenner wahrte, dadurch, daß fie ihre Production einschränkte; das war die Aufgabe der Gpuengen tirung, nicht als Strafe für die Brenner wurde diese eingeführt, sondern zu ihrem Nuten, damit sie verständen, ihre eigenen Jn- teressen zu wahren und nicht producirten über das Maß dessen, was der Markt bedarf. Daß das die erren aber _ noch heute nicht verstehen, zeigt eine Zuschrift im „Hannoverschen Coutlér“, n der es heißt: Zahlreihe Brennereien haben nad) Einführung des neuen Branntweinsteuergeseßes ihr Bestreben darauf gerihtet, dur) Preisangebote, bei welhen der Betrieb nicht rentabel ist und auf die Dauer nicht haltbar sein wird, den Kreis ihrer Ab- nehmer auf Kosten ihrer Concurrenten zu erweitern. Es wird immer von der Nothwendigkeit der Brennereien für die Landwirthschaft gesprochen. Es ist aber bekannt, daf 92 9/9 der Production von 16 °/6 der Bren- nereien hergestellt werden, die übrigen 84 9/6 der Brennereien stellen nur 89% des gesammten Branntweins dar. Diese kleineren Brennereien führen uur eine Scheinexistenz, thnen kann durhch die Steuer- differenz gar nicht geholfen werden, denn sie hâtten ja nur 40 M Steuerdifferenz durhschnittlich. Wenn ein landwirth- \chaftlißer Betrieb von diesen 40 4 abhängt, dann ist er doch hon längst niht mehr haltbar. Die Brenner, welche am meisten aus der Contingentirung beziehen, find folgende: ein Badenser 181 000 M. ein Württemberger 160 000 M; ein Schlesier 153 000 M, ein Hannoveraner 144 000 4, ein Sachse 137 000 4, ein Bayer 134 009 Æ, ein Hannoveraner 126 000 4, ein Badenser 126 000

Diese aht Gewerbebetriebe beziehen allein 11/6 Mill, Mark von der

rämie, die übrigen 982 gewerblihen Brennereien beziehen niht mehr i jene aht zusammen. Bei den landwirthschaftlichen Betrieben i} es ähnlih. Da kommen 35 Millionen zur Vertheilung. Es be- kommen z. B. sieben landwirthschaftliche Betriebe in Bayern, die rößten, die wir haben, 430000 /; genau fo in Württemberg. Diese fi d natürli mit der Liebèsgabe zufrieden, die große Masse der fleinen rennerein hat gar feinen Vortheil davon, weil der Betrag, der wirklich auf siè fällt, ein außerordentlich geringer ist. Die Land- wirthe könnten die 40 Millionen Liebesgabe sehr gut brauchen, um nicht in Konkurs zu kommen. Aber wie werden denn die Arbeiter in jenen fartoffelbauenden Gegenden Le und genährt? Die Löhne sind menshenunwürdig. Freilih nach einem in München- Gladbach erschienenen Kohbuch kann man für vier erwachsene Personen mit 10 H pro Kopf aus 5 Pfund Sauerkraut und dem entsprehenden Quantum von Speck und Kartoffeln ein Mittagsmahl herstellen. Allerdings bei den Löhnen, welche in einigen Gegenden gezahlt werden, ist eine andere Ernährung nicht möglih. Wir sind in jeder Beziehung bestrebt, die Landwirthschaft zu unterstüßen, wo sie im Interesse der arbeitenden Klassen unterstüßt werden muß. Durch diebisherigen Geseße ist aber nur die Rente der Landwirthschaft erhöht, und der Arbeiter ist gerade in den Gegenden, wo die Liebesgabe hauptsächlich ein- geheimst wird, am allererbärmlichsten bezahlt. Wo der Arbeiter einiger- maßen gut genährt, ist, verzichtet er auf den Schnaps. Er weiß ebenso gut wie die Angehörigen anderer Klassen den O IGmes eines guten Glases Bier zu shäßen. Der Consum an Trinkbrannt- wein geht durh eine Erhöhung der Steuer- niht zurück, sonst müßte Rußland mit seiner Spiritussteuer das genügsamste Land der Welt sein. Mit den amtlichen Zahlen, die bisher angeführt wurden, um den Nückgang des Consums an Trinkbranntwein zu beweisen, beweisen Sie nihts. Denn im Jahre 1887 waren fo bedeutende Läger von Spiritus vorhanden, daß noch bis ins vorige Jahr hinein der Branntwein verseßt wurde. Der Consum an Trinkbranntwein is in Deutschland seit 1887 niht zurückgegangen. Die 160 Millionen, welche auf Grund des- selben bisher vom Volke gezahlt wurden, haben in der Hauptsache die Branntweintrinker und die Arbeiter bezahlt. Allerdings kann sich der Arbeiter vor den indirecten Steuern shüßen, indem er entsprechend weniger consumirt, aber ein Arbeiter, der in Frost und Kälte arbeitet, fann den Schnaps nicht entbehren. Die Vorlage beabsichtigt in keiner Weise eine höhere Besteuerung der großen Brennereien, obwohl 39% der gesammten Production in den Händen derselben sind. Sorgen Sie für eine Hebung des allgemeinen Wohlstandes, dann wird Allen geholfen sein. Durch die bisherige Geseßgebung wird aber der Consum immer mehr zurückgedrängt. Wir beantragen, daß die gesammte Branntweinbesteuerung aufgehoben wird und das Reih sich andere Einnahmequellen verschafft. Vor allen Dingen schädigt das Geseg die Arbeiter, welche mit de- naturirtem Spiritus arbeiten, Dieser macht die Arbeiter krank, wie man {hon längst erkannt hat. Aber die Chemie kennt noh kein ungefährlihes Mittel der Denaturirung und für das vernünf- tigste Mittel zur Abhilfe, die Aufhebung der bisherigen Besteuerung, sind Sie nicht zu haben. O | : Bevollmächtigter zum Bundesrath, Königlich bayerisher Finanz- Minister Dr. Freiherr von Riedel protestirt dagegen, daß in Süd- deutschland au sehr große Brennereien seien; die großen Brennereien befänden sich niht in einer Hand, sondern seien Genossenschafts- brennereien, die an Stelle vieler kleiner Brennereien getreten seien.

Darauf wird um 53/4 Uhr die Weiterberathung bis Diens- tag 1 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Das Wirthschafts8jahr 1892. : In ihrem Jahresberichte für 1892 stellt die Handelskammer zu Koblenz die allgemeine Lage von Handel und Industrie für ihren Bezirk folgendermaßen dar: Das abgelaufene Jahr war im allgemeinen für den Handel und das Gewerbe recht ungünstig. In fast allen Zweigen gingen Umsaß und Verdienst noch hinter das Jahr 1891 zurü, Die Ursachen, welche die rückläufige Bewegung in jenem Jahre herbeigeführt und gefördert hatten, wirkten ungeschwächt fort und bétscbievene neue diente trugen dazu bei, die Ungunst der Lage zu verschärfen. Den nahtheiligsten Einfluß hatten auf die ge- werbliche Thätigkeit neben den Zollmaßregeln verschiedener Länder un- zweifelhaft die \{chlechte vorjährige Ernte mit ihrem Gefolge von ver- minderter Kaufkraft der ländlihen Bevölkerung und bedêutender Ver- theuerung der Lebenshaltung des ganzen Volks bis zur neuen Ernte, sowie der Umstand, daß die Höhe der. Brennmaterialpreise und die für die menschlihe Arbeit in Form von Löhnen und Ver- sicherungsbeiträgen zu zahlenden Summen im Verhältniß zu den auf dem Weltmarkt für viele Ausfuhrartikel zu_ erlangenden Preisen zu hoh waren. So sehr alle Arbeitgeber die Shmälerung des Arbeits- verdienstes zu verhindern suchten, hat doch vielfah nihcht nur eine Verminderung der A oder der Arbeitszeit, fondern auch eine Herabsetzung der Löhne eintreten müssen. Die Besserung, welche sich in den leßten Monaten des Jahres in verschiedenen Zweigen der Textilindustrie zeigte, konnte unserem, nur wenige nicht bedeutende Fabriken dieser Art enthaltenden Bezirk auch nur in geringem Grade zu statten kommen. Das Herab- gehen der Preise für einige i V baa nach der Ernte und der überwiegend gute Ausfall der Ernte genügten nicht, um eine all- gemeinere Wendung zum Besseren herbeizuführen, wenn sih au örtlich, namentlich in den Weingegenden, in welchen Trauben und Most zu ganz ungewöhnlih hohen Preisen aufgekauft wurden, eine wesentliche Erleichterung der Lage zeigte.

Statistik der höheren Lehranstalten in Bayern im Winter-Halbjahr 1892/93. Es waren vorhanden: 7 Lyceen mit zusammen 791 Zöglingen, eine Technische Hochschule mit 1145 Studirenden) darunter 660 Bayern),

eine Thierärztlihe Hochshule mit 183 Studirenden (darunter 154 Bayern), 37 humanistishe Gymnasien mit zusammen 16626 Sqhülern (gegen 14675 im Jahre 1882/83) darunter die 4 Viet Gymnasien mit zusammen 3478 Schülern —, 14 Studien-Seminare und Alumneen mit 1120, 12 erzbis{öfliße und bischöflide Knaben - Seminare mit 1747, 7 Klerikal-Seminare mit 942 (darunter das E Klerikal-Seminar in München mit 90), 4 städtische Gun n- stitute für Real- und Handels\{hüler mit zusammen 403 Zöglingen, 50 Königliche Realschulen mit 12 362 Schülern (darunter die beiden Münchener Realschulen mit 1445 Schülern), 4 Königliche Nealgym- nasien mit 509 und 3 Königliche JIndustrieshulen mit 441 Schülern ; endlich 35 Präparandenschulen mit 1668, 11 Schullehrer-Seminare mit 908 und 6 Lehrerinnen-Bildungsanstalten mit 369 Zöglingen. Zur Arbeiterbewegung. :

Die Nachrichten, die heute aus den Bergarbeiter- Ausstandsgebieten in Rheinland-Westfalen vorliegen, lassen erkennen, daß die Bewegung in s{hnellem Erlöschen be- gten ist. Im Saarrevier waren gestern nah einem Telegramm des „D. B. H.“ nur noch 2900 Bergleute aus- tändig, obwohl noch am Sonntag eine von 3000 Personen be- uchte Versammlung die Fortsezung des Strikes beschlossen atte. Auf zehn Gruben waren gestern, wie die „Frkf.

tg.“ mittheilt, die Arbeiter bereits vollzählig angefahren. Im Ober-Bergamtsbezirk Dortmund wurde die Gesammt- zahl der Ausständigen gestern auf 10950 Mann angegeben, die sih auf 34 Schächte vertheilen. Während nur von einer Zeche (Friedrih der Große) gemeldet wird, daß Ar- beiter neu in den Ausstand eingetreten a liegen von mehreren Zechen Meldungen vor, daß dort der

Ausstand beendet sei. Juzwishen gehen aber die