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Es lag in der Thurmscene in ihren Geberden und Bewégungen ein jungfräulihes Widcrstreben gegen. die anstürmende Liebesgluth Leander's, das zart und rührend das Verhängniß einleitete; die wachsende Flamme der Leidenschaft, die das Weib in - ihr enthüllt, hätte aber fraftvoller und feuriger zum Durchbruch kommen fönnen. Trefflih gelang der Darstellerin wieder das schmach- tende Erwarten, die holde Begeisterung des liebekranken Mädchens, das nur halb ahtlos die Worte hinwirft, wenn es durch eine Frage aus ihrer Gefühlswelt Quge Pren wirb; der jammer- volle Smetz Hero's an der Leiche Leander’s erschien nicht immer wahr aus tiefster Seele hervorgegangen. — Neben Frau yon Hochen- burger entwickelte Herr Matkowsky als Leander ein frishes, natür- lihes Empfinden, das anfangs in feiner Unbeholfenheit rührend wirkte, und in den Scenen beglückter Lebe zu ciner {öôn aufwallenden Sinnlichkeit emvorwuchs. — Eine ganz vorzügliche Gestalt, stroßend in gesunder Lebensfreudigkeit, stellte Feet Purschian als Naukleros dar; es ging eine Fülle kraftvollen Behagens und fonniger Heiterkeit von feinem Spiel aus, als er seinem |\chwermüthigen Freunde das lebentfrohe Genießen s{hildert und ihn jubelnd glücklich preist, daß er endlih die Pfeile Amor's verspüre. Den ernsten Oberpriester und mitleidigen Oheim stellte Herr Kahle würdevoll dar, mit strenger Unerbittlichkeit, wenn er die Götter anfleht, den Frevel an der jungfräulichen Priesterin zu rächen, und mit warmem Gefühl, wenn er den Schmerz Hero's zu trösten und zu dämpfen versucht. Friedrih-Wilbel1mstädtishes Theater. - Gestern Abend wurde die neue Operette „Fürstin Ninetta“ von Hugo Wittmann und Julius Bauer, Musik von Johann Strauß, zum ersten Male aufgeführt. Die Verfasser des Libretto haben es verstanden, bei einer äußerst einfahen Handlung durch cinen lustigen und witßzigen Dialog sowie einzelne zündende Couplets stellenweise cine schr heitere Stimmung herbeizuführen, die aber nicht durch alle drei Acte andauert und deshalb auch nicht zu einem ganz unbestrittenen Erfolge geführt hat. Die den Tert begleitende Musik is von jener bestrickenden Liebenswürdigkeit, wie d nur Johann Strauß so meisterhaft zu ccben versteht. Bedauerlih if es nur, daß fie bei diesem Werk etwas in den Hintergrund tritt, weil fie ihm nur sparsam zugemessen und dem gesprohenen Wort vor dem ge- sungenen zu häufig der Vorzug eingeräumt is. Wo aber die Musik ertönt, ift sie stets von cinem bezaubernden Wohllaut. Aus der Handlung sei erwähnt, daß die russische Fürstin Ninetta sich mit einem Verwandten, dem egyptishen Finanzmann Kassim. Pascha, cinem gescheiterten russishen Beamten, in cinem heftigen Erbschaftsstreit befindet, der dadurch beendigt wird, daß sie in einem Hotel in Sorrent zusammentreffen, ohne sich zu kennen, und sich verloben. Außerdem sehen wir ein älteres Paar, däs in der Iugend sich geliebt hat, durch widrige Umstände aber an der Ver- einigung gehindert wurde, nachdem beide verwittwet waren, zum Ehebund zusammenkommen, zu derfelben Zeit, wo ihre durch gegenseitige Neigung verbundenen Kinder zur Freude der Eltern auh sih ehelich vereinigen wollen. Die Eltern haben aber den Kindern die eigene Heirath vers{chwiegen, um sie bet der Hochzeit mit dieser Nachricht zu überraschen, und dabei nichk bedacht, daß sie durch ihre Ehe die Kinder zu Geschwistern gemacht und fomit ihr Glü zerstört haben. Schließlih wird aber -ein Scheidungsgrund gefunden und damit das Hinderniß für die Ver- einigung des jungen Paares beseitigt. Die Nolle der Fürstin ruht in den bewährten Händen des Fräulein Cornelli, die mit Fräulein Collin und Navarra sowie den Herren Wellhof, Steiner, Klein und Broda wieder durch ansprehenden Gesang und gewandtes Spiel am meisten hervortraten. “Die mit großem Geschick und kost- barer Decoration von Herrn Director Frißsche inscenirte Operette wurde von Herrn Kapellmeister Federma nn tadellos geleitet.
Kroll’s Theater. : i
Gestern Abend fand in dem Theâtersaale cin großes, an musikalishen Genüssen reiches Concert statt, welches von der öster- reihishen Kammersängerin Frau Friedrih-Materna, dem Herzoglich sächsischen t T Herrn Georg Liebling und dem Biolinvirtuosen Herrn Alfred: Kra sselt gegeben wurde. Eine jede Nummer des Programms fand den verdienten Applaus des leider nur. spärlich ershienenen Publikums, der sich fo steigerte, daß Frau Materna sowohl als auch die anderen Mitwirkenden sih zu ciner Zugabe entschließen mußten. Erstere is hinreihend als große Bühnensängerin und besonders als Wagnersängerin bekannt. In der Arie der Elisabeth aus Wagner's „Tannhäufer“ bekundete sie ihr ganzes Können von neuem, die Begeisterung der Zuhörer legte beredtes Sni davon ab. Im großen Stile trug fie dann die Arie und Liebestod aus „Alceste" von Gluck und später eine ‘Arie aus „Tristan und Isolde“ vor. Der vollendete Vortrag der leßt- geaannten Arie brahte ihr - wiederum reihen verdienten Beifall. Der Violinvirtuose Herr Alfred Krasselt zeigte in dem ersten Saß des Concerts E-dur von H. Vieurtemps, daß er sein In- strument vollfommen beherrscht, wenn man auch nicht gerade behaupten kann, daß die Wahl des Sates eine befonders glückliche war. Jeden- falls gefielen die beiden später folgenden Nummern: „Berceuse“ von Fouré und „Perpetuum mobile“ aus der Suite Nr. [1[l von Fr. Mies schr viel besser. Die Zugabe, fehr discret gehalten, is noch besonders rühmend zu erwähnen; dazu begleitete in feiner Weise der Klaviervirtuose Herr Georg Liebling, der über- haupt durch seine herrlichen klünstlerischen Vorträge den Abend zu einem besonders genußreihen mahte. Er eröffnete den zweiten Theil des Concerts mit. einem Adagio und Scherzo aus dem D-moll- Concert vón Litolf, licß als Zugabe das Ständen von Schubert folgen und beendete das Concert mit der Wiedergabe der Rhapfodie Nr. 2 von Liszt. Ein jedes dieser Stücke wurde in bester und harafteristisher Weise vorgetragen und seßte die kläre voll- endete Technik des Künstlers in das hellste Licht. Das Orchester der Kroll’shen Opernkapellc, Dirigent: Kapellmeister Z\hoppe, eröffnete den Concert-Abend mit der Ouverture zur Oper „Der Frei- {chüßz" von Weber, die es mit größer Correctheit spielte, und begleitete auch die verschiedenen Gesangs- und Instrumentalstücke in anerkennens- werther Weise. Daß das Publikum so wenig zahlreich erschienen war, ist um fo mehr zu bedauern, als dieses Concert bei weitem mit zu den besten in dieser Saison gezählt werden muß.
Im Königlichen Schauspielhause findct zur Borfcier von Lessing's Geburtstag morgen eine Aufführung von dem Schau- spiel „Nathan der Weise“ statt. Die Beseßung ist die bekannte: Herr Klein: Nathan, Herr Matkowsky: Tempelherr,. Frau Schramm:
Daa Uw:
Bei der Aufführung von Goethe?'s „Iphigenie“, die im Berliner Theater am Montag stattfindet, wird außer Herrn Ludwig Barnay als Orest und Anna Haverland als Iphigenie, Emanuel Stockhausen als Pylades mitwirken. Eine Wiederholung dieser Aufführung in derselben Beseßung ist niht in Aussicht genommen. Am Frei- tag kommen „Die Journalisten“ zur Darstellung, für Sonn- abend ift „Othello“ mit Ludwig Barnay in der Titelrolle, Agnes Sorma, Nuscha Bute und Ludwig Stahl in den übrigen Hauptrollen angeseßt. Der Sonntag Nachmittag bringt cine Aufführung der „Sungfrau von Orleans“, der Sonntag Abend eine solche von „Dora“.
Im Kroll’\chen Theater findet am 30, Jänuar, Abends 8 Uhr, cin großes Streichinstrumental-Concert statt, das von den vereinigten Mufik-Corps der Kaiserlichen 1. Matrofen-Division und des Königlichen Garde-Füsilier- Megiments (96 Musiker) unter Leitung der
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Königlichen Musikdirigenten H. Pott und C. Freese ausgefüßrk werden wird. , s : i
„Der Distanzritt“, die nächste Neuheit des „Wiener Ensemble“ in Do mas T brater: gelangt am Sonnabend zur Aufführuns. Die Hauptrolle des Stücks befindet sich in den Händen“ des Herrn Müller, der den verirrten Diener eines Distanzreiters spielt, ira übrigen wirken die A Grünecker, Blum, Digruber fowie die Damen Jolly, Grasfelli, Mentel und Eberty hervorragend mit. Herr Director M wird den Distanzfahrer Wiener Fiaker Edelmann ofs Morgen bleibt das Theater der Generalprobe wegen ge-
ossen.
Der Spielplan des Neuen Theaters hat folgende Abände- rung erfahren: Morgen wird das Henle'sche Preislustspiel „Durch die Intendanz", hierauf der Einacter „Die Lore“; am Sonntag „Durch die Intendanz“ und zum Schluß der Labiche'she Schwank E Hände“ gegeben. An beiden Abenden wirkt Frau Hachmann-
ipfer mit.
Im Concert. von Elise Kutscherra im Saal Bechstein am Sonnabend ‘77 Uhr übernehmen die Herren Sandow (Cello) und Capllonch (Klavier) die instrumentale Mitwirkung ; ersterer wird cine Mazurka von Popper und neuere Stücke von Richard *I. Eichberg und Fr. E. Koch spielen. — Die dänische Geigerin Fräulein Frida Scotta veranstaltet am 21. d. M, Abends 8 Ühr, in der Sing-Akademie cin Concert mit dem Philharmonischen Orchester.
Im Concerthause werden in dem morgen stattfindenden Wagner- Abend der Huldigungs-Marsch, Königsgebet aus „Lohengrin“, Album- Sonate, Charfreitagszauber aus „Parsifal“, Kaiser: Marsch, Stücke auc den Musikdramen „Das Nheingold“ und „Die Walküre“, Walther’ Preislied aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ (für zwölf Solo- Wiolinen) u. #. w. zur Aufführung gelangen.
Nach Schluß der Redaction eingegangene Depeschen.
MUhlh ausen 1 D), 19. Zauuar. (W D B) In Neudietendorf stießen in vergangener Nacht ein Eilgüter- zug und cin Güterzug zusammen. Beide Maschinen und verschiedene Güterwagen sind zum theil stark beschädigt. Fünf Beamte sind leiht verleßt.
Paris, 19, Januar. (W. T. B,) Die in der gestrigen Sißung der Panama-Untersuchungscommission betreffs Clé menceau’s gemachten Emhüllungen (vergl. Frankreich) er regen großes Aufsehen. Einzelne Blätter kündigen neuerliche bewegte Kammerdebatten und Moor berge E ena Wen- dungen in ‘der Panama-zAngelegenhet an — Dem „Gaulois“ zufolge scheinen die Opportunisten die Ansicht zu haben, daß Clémenceau, falls er thatsählich die Reinach sche Liste erhalten habe, durch deren - Uebergabe an Herz eventuell ‘eine politishe Waffe gegen die Gemäßigten habe schmieden wollen. Jn der Liste sei kein Name eines Nadicalen enthalten gewejen. Die beschlagnahmten, nah Hunderten zählenden Arton’schen Checks seien zu Gunsten von Politikern, Journalisten, Financiers sowie anderen Leuten der höheren Gesellschaft ausgestellt.
(Fortsezung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)
ericht vom 19. Januar,
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Kapellmeister.
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Scchster Symphonic- Abend der Königlichen Kapelle zum Besten ihres Wittwen- und Waisen-Fonds. Dirigent: Herr
Programm: „Cine Faust-Ouverture“ von Wagner.
Bon August Strindberg.
Sonnabend: Familie Pont-Viquet, | Sountag, Mittags 12 Uhr: Matinée. Felir Weingartner, Königlicher | biger. — Herbstzeihen. — Vor dem Tode.
Concerte.
Concert-Haus, Leipzigerstraße 43. Freitag: Karl Meyder - Concert. VL. Wagner: Abend. Anfang 7 Uhr.
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Wind. Wetter.
Stationen.
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I) Nachts Schnee. 2) Dunstig. 3) Dunst. 4) Dunst.
Uebersicht der Witterung.
Gin hohes barometrishes Maximum über dem Innern Nußlands entsendet einen Ausläufer west- wärts über Deutschland hinaus na dem centralen An e ein anderes Maximum liegt über dem Kanal. Nord-Europa steht unter dem Einflusse eincr umfangreichen Depression, deren Kern s von Schottland liegt. Dieser Einfluß dürfte si weiter südwärts zunächst über Nord-Guropa aus- breiten, und dort erhebliche Aeg bringen. Auf den britischen Inseln sowie über West- kund Südfrankreih hecrscht Thauwetter, dagegen in Deutschland dauert die strenge Kälte noh fort ; am fältesten, unter minus 20 Grad, ift es in Süd- deutshland und in dem Gebiete zwishen Bayern und der Se, Tiefste Temperatur betrug zu Magdeburg 25, Chemuiß 28, Swinemünde und Bamberg 30 Grad unter Null. Das Wetter ist in Deutschland ruhig, vorwiegend heiter, zum theil neblig. An der Nordsee ist stellenweise Schnee
gefallen. Deutsche Seewarte. REES C TAL MOSER T BRDE T F R EREMEEE CEs F ZER E R H R Theater - Anzeigen. Königliche Schauspiele.
Hâus. Keine Vorstellung.
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Freitag: Opern-
29) Symphonie H-moll von Borodine. 3) Ouverture „König Stevyhan“ von Beethoven. 4) Symphonie (G-dur von Haydn. 5) Ouverture „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Nicolai.
. Anfang 74 Uhr.
Siebenter Symphonic-Abend am 9. Februar (Bes- ginn des 2. Cyclus).
Schauspielhaus. ‘20. Vorstellung. Donna Diaua. Lustspiel in 5 Aufzügen, nah dem Spanischen des Don Augustin Moreto, von West. In Scene gesetzt vom Ober-Regisseur Max Grube. Anfang C LUNS,
Sonnabend: Opernhaus. 19, Vorstellung. Oberon, König der Elfen. Romantische Oper in 3 Auf- zügen. Musik von C. M. von Weber. Die MNecitative von F. Wüllner. Ballet von Emil Graeb. In Scene geseßzt vom Ober - Regisseur Teßlaff. Dirigent: Kapellmeister Sucher. Anfang 7 Uhr.
Schauspielhaus. 21. Vorstellung. Nathan der Weise. Dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen von G. E. Lesfing. Anfang 7 Ühr.
Deutsches Theater. Freitag: Das Käthchen von Heilbronn. Anfang 7 Uhr.
Sonnabend: Zwei glückliche Tage.
Sonntag: Lolo’s Vater.
Berliner Theater. Freitag: 21. Abonnements- Borstellung. Die Journalisten. Anfang 7 Uhr.
Sonnabend: Othello. (Agnes Sorma, Nuscha Bute, Ludw. Barnay, Ludw. Stahl.)
Sonntag: Nachmittags 2} Uhr: Dic Jungfrau von Orleans, Abends 74 Uhr: Dora.
Lessing-Theater. Freitag: Heimath. Anfang 7# Uhr.
“Sonnabend: Baumeister Soklucf.
Sonntag: Heimath.
Wallner -Theater. Freitag: Der Probe- pfeil. Anfang 7# Uhr.
Sonnabend: Grofßftadtluft.
Sonntag: Der Probepfeil.
Friedrich - Wilhelmstädtisches Theater. Chausseestraße 25. | Freitag: Zum 3. Male mit neuer Ausstattung:
ürstin Ninetta. Operette in 3 Acten von Hugo Mttnatia und Julius Bauer. Musik von Johann
Strauß. In Scene geseßt von Julius Frißsche. Dirigent: Herr Ret elnelster Federmänn. Mae, 7 ;
r 7 Sonnabend: Fürftin Ninetta.
Residenz-Theater. Direction : Sigmund Lauten- burg. Freitag: Zum 29. Male: Biquet. Schwank in 3 Acten von Alexandre Bisson. Deutsch von Max Schönau. Jn Scene gefeßt von Sigmund Lautenburg. Anfang 7# Uhr.
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Kroll's Theater. Freitag: Mala vita. Anfang 7 Uhr. -
Sonnabend: Fritchen und Licschen. Darauf: Oberst Lumpus. Zum Schluß: Abu Hafsan.
Victoria-Theater. Belle - Alliancestraße 7/8. Freitag: Mit neuer Ausstattung: Die Reisc um die Welt in achtzig Tagen. Großes Aus- stattungs\tück mit Ballet in 5 Acten (15. Bildern) von A. d’Ennery und Jules Verne. Ballet arran- girt vom Balletmeister C. Severini. Musik von Debillemont und C. A. Raida. Anfang 7# Uhr.
Sonnabend u. folgende Tage: Die Reise um die Welt in achtzig Tagen.
Ueues Theater (am Schiffbauerdamm 4/5). Freitag: Durch dic Juntendanz. Preislustspiel in 5 Aufzügen von E. Henle. Hierauf: Die Lore. Plauderei in 1 Act von O. L. Hartleben. Anfang 74 Uhr. S
Sonnabend: Dieselbe Vorstellung. e
Sonntag: Durch die Jutendauz. Hierauf : Kleine Häude. Lustspiel in 3 Aufzügen von Labiche. Deutsh von Franz von Schönthan. (Frau Hach- mann-Zipser als Gast.)
Theater Unter den Linden. Freitag: Zum 6. Male: Lachende Erben, Operette in 3 Acten von Horst und Stein. Musik von Carl Weinberger. Inscenint durch den artist. Leiter Ed. Binder. Dirigent: Kapellmeister A. Ferron. Die militär. Evolutionen im 3. Act arrangirt von L. Gundlach. Vollständig neue Ausstattung an Deco- rationen und Kostümen. — Hierzu: Die Sirenen- Insel. Ballet in 1 Act von" H, Regel. Musik von N. Mader. Der U Theil von Jos. Haß- reiter. JInscenirt durch den Balletmeister Herrn L. Gundlah. (Sensationeller Erfolg.) Anfang 7# Uhr.
Adolph Ernsi-Theater. Freitag: Zum 27. Male: Modernes Babyloun. Gesan ole in 3 Acten von Ed. Jacobson und W. Mannstädt. Couplets theilweise von G. Görß. Musik von G. Steffens. In Scene geseßt von Adolph Ernft. Anfang 7§ Uhr. i:
Sonnabend: Dieselbe Vorstellung.
Thomas-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Freitag: Gesammt-Gastspiel des Wiener En- femble unter Leitung des Directors Frauz Josef Graselli, Die Gigerln von Wien. Lofkalposse mit Gesang in 4 Acten von J. Wimmer. usik von Carl Kleiber. Anfang 74 Uhr.
Sonnabend: Zum 1. Male: Der Disftanzritt. Nopität! Original-Gesangsposse in 5 Bildern von C. Costa und Franz Müller. :
Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde.
Am Landes - R - Park (Lehrter Bahnhof). Geöffiiet von 12—11 Ubr.“ * /
Saal Bechstein, Linkstraße 42. Freitag, An- fang 74 Uhr: Quartett - Abeud von A. Nosé, August Siebert, Siegmund Bachrich, Rein- hold Hummer.
Circus Renz (Carlstraße.) Freitag, Abendé 77 Uhr: Große Komiker-Vorstellung. U. a.: Mr. James Fillis mit dem Schulpferde „Germinal“. — „Punsch*“, shwedisher Ponyhengst, komische Original- Dressur vom Clown Misco 2. — Zum Schluß:
F Eiu Künstlerfest. “Wi
Große Ausftattungs - Pantomime vom Hofballet- meister A. Siems. Mit überraschenden Licht- und Wassereffecten und auf das Glänzendste inscenirt vom Director Franz Renz. Großer Blumencorfo. Cosftume, Negquisiten, Wagen vollständig neu. Unter Mitwirkung des gesammten Personals. Ballet von 100 Damen.
Sonnabend, Abends 74 Uhr : Große Borstellung mit neuem Programm und Ein Küunstlerfést.
Sonntag: 2 große Borstellungen um 4 Uhr (ein Kind frei): Auf vielseitiges Verlangen: Die lustigen Heidelberger. Abends 73 Uhr: Ein Künsftlerfeft.
Billet-Verkauf an der Circuskasse und beim „Invalidenvank“, Markgrafenstraße 51 a.
Familien -Nachrichteu.
Verlobt: Frl. Martha Chales de Beaulieu mil Hrn. Prem.-Lieut. Giesbert von Klißing (Kunter- \tein—Graudenz).
Geboren: Ein Sohn: Hrn. Pfarrer Meye: (Rastenburg). — Hrn. Negierungs-Assessor Frhrn. von der Gols (Straßburg i. E.). —EineTochter: Hrn. Hauptmann von Hanstein (Han- nover). /
Gestorben: Hr. Ep an Karl von Zelewski- Hackebeck (Dietenmühle-Wiesbaden). — Hr. Real- Ema a, Tee a. D. Dr. Ernst Friedrich Wilhelm Brandt (Stralsund). — Fr. Regierung? und Baurath Betty Bessert-Nettelbeck, geb. Ridder, (Köln).
Frhrn.
Redacteur: Dr. H. Klee, Director. Berlin: ————— Verlag der Expedition (Scholz).
Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlaçt- Anstatt, Berlin Be Wilhelmstraße Nr. 32. Sechs Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage), !
und die Gewinnliste der 7. Weseler Geld- Lotterie, :
Deutscher Reichstag. 24. Sißung vom Mittwoch, 18. Januar, 1 Uhr.
Auf der Tagesordnung stehen die Anträge Ackermann und Genossen, wonach der Reichskanzler um die Vorlegung einer Reihe von Geseßentwürfen ersucht wird, die sämmtlich einen erhöhten Schuß des Handwerks erstreben. Jn derselben Richtung haben die Abgg. Rintelen, Gröber, Hiße, Spahn, Megzner drei Gesegentmwlirfe eingebracht, welche die Abänderung der Concursordnung, die Abänderung der Gewerbeordnung und die Abänderung des Genossenschaftsgeseßes bezwecken.
Zur Debatte werden zunächst von den acht Forderungen des Antrags Ackermann diejenigen gestellt, welhe von den Geseßentwürfen des Centrums nicht berührt werden. Es sind dies drei Punkte; sie fordern die Vorlegung von Gesetzen, durch welche ;
1) die Erlaubniß zur selbständigen Betreibung eines Hand- werks unter vollständiger Zusammenlegung verwandter Gewerbe von dem vorausgegangenen Nachweis der Befähigung abhängig gemacht wird,
__2) der § 100e der Gewerbeordnung dahin abgeändert wird, daß die in demselben den Jnnungen in Ausficht ge- stellten Vorrechte auch gegen die Arbeitgeber, welche selbst zur Aufnahme in die Junungen nicht befähigt sind, geltend gemacht werden können, j
3) bestimmt wird, daß die Vorrechte aus §8 100e und 100f beim Vorliegen der sonstigen Vorausseßungen einer Znnung dann gewährt werden müssen, wenn sie die Mehrheit der selbständigen Handwerker ihres Bezirks in sih vereinigt.
Abg. Ackermann (dcons.) legt in längerer Ausführung namens der
Antragsteller dar, daß diese Forderungen von den conservativen Freunden des Handwerks schon seit 20 Jahren erhoben und ausdauernd ver- fohten würden, daß es troß der ablehnenden Haltung des Bundes- raths sehr erfreulih sein würde, wenn der Reichstag si wicderum unzweideutig für den Befähigungsnachweis aussprächhe und sich auch auf den Standpunkt der Forderungen 5 und 6 stellte, deren Erfüllun( längst von allen einsihtigen Freunden des Handwerks als unumgängli erkannt ift. Abg. Stolle (Soc.): Was hat der Befähigungsnachweis denn in Desterreih genüßt? WVerwunderlicherweise hat der Abg. Ackermann heute nicht, wie noch vor wenigen Jahren, das Lob der Verhältnisse in Oesterreich gesungen. Und allerdings sind da ganz merkwürdige Er- fahrungen gemaht worden. Man braucht nur die Berichte der dortigen Fabrifinspectoren anzusehen. Die Fabrikinspectoren haben ja dort ein viel größeres Wirkungsgebiet und größeren Einfluß, da ihnen auch das Handwerk und die Hausindustrie unterstehen. Aber diese Fabrikinspectoren- berihte stimmen fast alle darin überein, daß die Ausbildung der Lehrlinge durch die Meister eine höchst mangelhafte is und daß es als Aus- nahme erscheint, wenn ein Lehrherr seinen Verpflichtungen gegen die Lehrlinge nahkommt. In Sachsen hat sich ganz dasselbe Ver- hältniß herausgestellt bezüglih des Besuchs der Fortbildungs\chulen. Die Meister lassen einfa die Lehrlinge garniht in diese Schulen gehen; in Allenstein in Ostpreußen hat sogar eine öffentliche Volksversammlung stattgefunden, welche Front gegen die Fortbildungs- \{ulen überhaupt maht. Nun will der Abg. Ackermann alle die Klippen, welche die österreihische Construction des Befähigungs- nachweises. gebraht hat, dadur vermeiden, daß er verwandte Ge- werbe ganz zusammenlegt; sein Ziel, die Pfuscharbeit zu beseitigen, steht ihm so hoch, daß er in diese Concession gewilligt hat. Aber erreiht wird damit doch nihts. Wie soll auf dem Lande die Grenze zwischen Schlossern und Schmieden gezogen werden? Wie will ferner der Abg. Ackermann das Handwerk von der Hausindustrie gesetzlich unter- heiden? Wenn einmal Handwerkerkammern kommen werden, wird dieser Unterschied doch auch ganz besonders ins Auge gefaßt werden müssen. Der Abg. Ackermann hehauptet immer, die Socialdemokraten feien Feinde oder Gegner des Handwerks. Er kann dies nicht be- weisen. Wir sind eben solhe Freunde tes Handwerks wie er. Wir sehen aber ein, daß den Handwerkern mit diesen Mitteln nicht zu helfen ist, sie sind für uns einfache Arbeiter, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo auch alle Handwerker sih uns zu-, sih von Ihnen ab- wenden werden. Wir werden gegen diese Anträge Ackermann ebenso, wie gegen die sämmtlichen Anträge des Centrums stimmen.
__ Abg. Metzner (Centr.): Wir sind es ja gewöhnt, daß die So- cialdemokraten den Bestrebungen der Innungen feindselig gegenüber- stehen. Sie stellen diese Bestrebungen als dictirt von Dunmmheit und Bosheit und die Innungsmeister als Ausbeuter der Lehrlinge, als Dummfköpfe und Unfähige dar. Wir werden uns dadurh nicht irre machen lassen. Der Mittelstand und das Handwerk müssen erhalten werden im Interesse der Erhaltung des Reichs, als Gegengewicht gegen die umstürzenden Bestrebungen von unten. Zu diesem Zwecke nuß das Handwerk den Befähigungsnachweis erhalten. Die beiden andern Forderungen des Antrages Ackermann werden erst Werth be- tommen, wenn das versprochene Geseß wegen Organisation des Hand- werks an uns gelangen wird.
s „Abg. Schrader (dfr.): Früher haben die Antragsteller den Befähigungsnachweis ganz consequent für jedes einzelne Gewerbe ge- fordert; nah und nach sind sie, erst versteckt, heute ganz offen, dazu übergegangen, die verwandten Gewerbe zusammenzulegen. Was ift denn damit gewonnen? Friseur und Barbier find solhe ver- wandten Gewerbe. Werden die Antragsteller sih von einem Friseur, der nicht Barbier i}, barbieren lassen? Mit diesem Ausweg werden doh auch die Schwierigkeiten, welche sih namentlih auf dem Lande aus dem Befähigungsnachweis ergeben müssen, keineswegs beseitigt, vielmehr esteigert. Die Zusammenlegung soll auch Sache des Bundesraths sein, der betanntlich in geheimer Sitzung ver- handelt und heute so, übers Jahr anders entscheiden kann, ohne daß über die Gründe die betheiligten Gewerbe und Handwerker etwas erfahren. Es wird immer so dargestellt, als ob alle Hand- werke gleihmäßig den Befähigungsnachweis nothwendig haben, und als ob alle diejenigen, die durh die Prüfung gekommen a au) das Ziel des Handwerks erreiht hätten. Muß man fes vahre Lehrling und Geselle sein, um Schwarz- oder Weißbrot aden zu können? Auf dem Lande backen die Frauen fast alle durchweg ohne Befähigungsnachweis selbständig Brot und welche Schwierigkeit hat ih denn daraus ergeben? Wollen Sie en e Sie d e dann müssen Sie einen Schritt weiter gehen, ba Grenze für die Ausdehnung des Gewerbes, die Maximalzahlen xXr Gesellen u. st. w. vorschreiben. Das wollen Sie aber nicht, weil Sie es nicht können, weil die Entwickelung über diese Schranken hinweg- geht, Es werden kaum ein, zwei Jahre vergehen und der Dank, den Sie G Handwerkerkreisen hin und wieder noch finden, wird in sein gerades egentheil pigesMlagen fein, da Sie nicht erfüllen können, was le versprochen haben, und mehr als dieses niht versprehen können. Pandwerkerkammern werden weder viel nügen, noh viel fd,
ie werden aber au niht das Kunststük fertig bri Ç A e ' ; nl as Kunststück fertig bringen, das Hand- U wieder mitten in das Mittelalter zu versezen. Ebenso wenig A die Anträge auf Ausdehnung der Privilegien der §8 100 o und auf von großer Bedeutung sein. . Wir ‘werden jedenfalls den ‘Herren dem von Jhnen angerathenen Wege nicht folgen, und wir
Erste Beilage um Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Auzeiger. 7 :
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Berlin, Donnerstag, den 19. Januar
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glauben es noch zu erleben, daß die Abgg. Ackermann und Hitze auf unserem Wege angetroffen werden.
Abg. Dr. y. Dziembowski-Pomian (Pole) erklärt sih namens der Polen für den Antrag Ackermann, den sie früher aus politischen Gründen bekämpft hätten, aber heute annehmen, da es si ja noch nicht um einen formulirten Geseßentwurf handele. Liege dieser vor, dann würden die Polen durch Anträge zu demselben ihm die Form zu geben suchen, welche ihnen die definitive Annahme ermögliche.
Abg. Hitze (Centr.) dankt zunächst den Polen für diese Wen- dung zu Gunsten des Antrags. Die Socialdemokraten und die Herren vom - Freisinn hätten die Anträge kritisirt, aber positive anderweitige Vorschläge niht gemaht. Die Freisinnigen verwiesen immer auf die Schulbildung; damit allein wäre nihts anzufangen. Die Socialdemokraten ertlärten einfach, der Mittelstand, das Handwerk, müsse zerrieben werden. Zu hoffen sei, daß die Regie- rung, wenn sie auh die Vorschläge des Neichstags bezüglich des Be- fähigungsnachweises ablehne, doh die Grundgedanken derselben acceptire, und zwar sei diese Hoffnung daraus zu s{chöpfen, daß die Regie- rung für den Bergbau in Preußen selb} in diesen Tagen einen Be- fähigungsnachweis eingeführt habe. Man motivire dieses Vorgehen mit der Nothwendigkeit der Sicherung des Betriebes und der Weckung des besonderen Standesbewußtseins beim Bergmann. Diese beiden Motive können aber mit gleicher Kraft für den Befähigungsnachweis in jedem Handwerk geltend gemaht werden. Wenn gar im Bergbau eine 8—9jährige Vorbildung vorgesehen, bis der Lehrling zum Voll- hâuer wird, fo deckt sih das vollständig mit unseren Forderungen auf dem Gebiete des Befähigungsnachweises. Die Erfahrungen, welche die Regierung auf dem Gebiete des fiscalishen Bergbaues hiermit machen wird, werden sie hoffentlih unseren Wünschen geneigter machen. Was die Forderung betrifft, daß den Innungen gewisse Vor- rechte bezüglich ihrer Disciplinargewalt gewährt werden müssen, wenn sie die Majorität der Meister besißen, so herrscht do das Majoritätsprincip in der ganzen Welt; warum soll es hier allein unberechtigt sein?
Abg. Dr. Hirs (dfr.): Wenn man die wirklihen Verhältnisse des Lebens betrachtet, muß man darüber \taunen, wie diese Forderung des Befähigungsnachweises immer noch so viel Anhang findet und noch immer ernsthaft erhoben wird. Steht denn Deutsch- land allein in der Welt? Wo hat man aber sonst je erfahren, daß dieses Postulat erhoben wird? In England, Frankrei, Belgien denkt doch niemand an diese reactionären Dinge, und das Handwerk blüht dort überall. Es müssen sih also diejenigen, die in Deutsch- land . diese Forderung erheben, nothwendig auf Jrrwegen befinden. Beim Bergbau spielt doch wirklich die Sicherheit des Lebens nicht bloß des einzelnen Arbeiters, sondern der gesammten Beleg- schaft eine ganz außergewöhnlihe Rolle. Jst denn das etwa beim Schuhmacher, beim Schneider, beim Ua auh der Fall? Nein, hier handelt es sih einfah um die Beschneidung oder völlige Abwehr der Concurrenz, es handelt sich um das Gegentheil des Gemein- interesses, um Egoismus.
Abg. Bo ck- Gotha (Soc.): Das Schornsteinfegergewerbe hat der Abg. Meßner als Beweis für die Nothwendigkeit des Befähigungs- nachweises nicht angeführt. Dafür werden die Schuhmacher ins Ge- feht geführt. Jch selbst bin als Schuhmachergeselle zünftig los- En worden; solcher Schuhmacher giebt es heute nur noch ehr wenige. Ich muß aber erklären, daß der Fortschritt der Maschinentechnik au in diesem Gewerbe geradezu \taunenswerth ist; erst neuerdings habe ih die Vpupeletn lUbttaiciea besichtigt, die au die complicirtesten Schuhmacherarbeiten so vollendet und vorzügli liefert, wie es Menschenhand garniht mehr vermag. Jch wünsche persönlich nichts sehnlicher, als daß der Befähigungsnachweis eingeführt würde, dann würden die Handwerker und Zünsftler sehen, daß ihnen der Befähigungsnachweis und der ganze Innungskram auch) nicht die Probe nützen. Auf dem Schuhmacher-Innungstage in Berlin vor zwei Jahren hat ein Meister ganz direct vor der Uebershäßzung des Be- fähigungsnachweises gewarnt. Man erklärt diesen Nachweis für noth- wendig nicht bloß beim Bergbau, sondern beim gesammten Bau- gewerbe, wegen der Gefahren für Sicherheit und Leben der Be- wohner. Da müßte aber doch eine kleine statistishe Feststellung vorausgehen. Man Ee ermitteln, wie viele der eingestürzten Häuser von JInnungêmeistern, wie viele von anderen Unternehmern erbaut worden sind. Die Wiedereinführung des Befähigungsnach- weises würde vor allem das alte Lotterwesen in den Innungen wiedererwecken, das das Handwerk ruinirt hat. Man hat damals Meister mit dem Zeugniß versehen, welche mit Lehrlingsarbeiten, die sie nicht gefertigt hatten, zur Prüfung gingen. Ebenso s{limm wird es dann wieder mit der Lehrlingszüchterei werden. Jch kenne Schlosser- meister, die mit sechs oder aht Lehrlingen ohne einen Gesellen arbeiten. Sowie ein Lehrling ausgelernt hat, wird er entlassen und an seine Stelle tritt ein neuer Lehrling. Genau dasfelbe trübe Bild ergeben die neuesten statistishen Aufnahmen über das Bäckergewerbe. Die Abgg. Ackermann und Genossen hüten sih ja heute au, Anträge in der Nichtung zu \tellen, daß die Zahl der Lehrlinge beschränkt wird. Früher it dies noch von Ihrer Seite geschehen. «Die Grundursache der jeßigen Lage des Handwerks ist die Entwickelung der kapitalistischen Production, gegen welche wir alle machtlos sind. Die Maschine liefert {hon Schuhe zum Selbstkostenpreise von 1,25 s, die Handarbeit kostet mindestens das Dreifache. Wer also endlich in diesem Concurrenzkampf siegen wird, is garniht im mindesten zweifelhaft. Jn sämmtlichen Militärwerkstätten wird nur noch mit Maschinen durchgenäht und genagelt; die Eleganz kann in der That nur noch durch die Maschine erreiht werden. Die Anträge werden S Uer nicht helfen; das Schicksal des Handwerks ist be- negelt. i : ; ; M
Damit schließt die Discussion. Befähigungsnachweises wird angenommen. Sizung abgebrochen.
Schluß gegen 41/5 Uhr.
Der Antrag bezüglich des Darauf wird die
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
17. Sißung vom 18. Januar.
Fortseßung der ersten Berathung des Staats- haushalts-Etats für 1893/94, Ueber den Beginn der Sißung ist bereits in der Nummer vom OoA berichtet worden. Nach der {hon mitgetheilten Rede des Abg. Dr. Hammacher erhält das Wort:
Abg. Nikert (dfr.): Ich erkenne die Verdienste des jeßigen Finanz-Ministers um Einführung der Declaration an. Ich habe es aber stets bedauert, daß der Finanz-Minister der rechten Seite dieses N soweit entgegengekommen ilt wie fonst niemals ein preußischer Finanz-Minister. All die S Grundsäße, die er hier vor Jahren mit uns zusammen vertrat, hat er als Minister vergessen. Wenn man sich hier befindet, wo die schle{chte Finanzlage discutirt wird, und am anderen Ende der Leipzigerstraße, wo ein Halb- hundert Millionen für Militärzwecke gefordert werden, glaubt man in ganz verschiedenen Ländern zu sein. Was nothwendig ist für Ehre und Sicherheit des Vaterlandes, wird keine Partei ver- weigern, aber über das Maß des Nothwendigen gchen die Ansichten
auseinander. Jeder Kriegs-Minister, wie sie aufeinander folgten, hat darüber vollkommen neue Gesichtspunkte entwickelt, welhem follen wir folgen? Wir haben das Vertrauen verloren, weil 1887 der Reichs- tag wegen der Septennatsfrage aufgelöst wurde und heute {hon wie- der das Septennat für hinfälli erklärt, wird. Wir haben nichts dagegen, wenn der Finanz-Minister Miquel sich auch das Reichs- Schatzamt erobert; aber ih fürhte, daß es ihm nicht gelingen wird. Wenn gefragt wixd, wie - die Regierung denn sparen könne, fomme ich auf das Programm des hochseligen Kaisers Friedri 11[1., der dafür hielt, daß man weniger Beamte haben, diese aber besser bezahlen sollte. Hier zu bessern, vermögen nur die Minister, nicht die Volksvertretung, und der Minister Miquel könnte hier dem Kranze, den ihm der Abg. Hammacher fo s{chön gewunden hat, ein neues Nuhmesblatt einfügen. Was die Finanzen der Staats- eisfenbahnen betrifft, fo sind sie nur durch cine rationelle Tarifreform zu befsern: Grmäßigung der Tarife und Vermehrung der Züge! Auch kann hier an Beamten gespart werden; die Betriebs- ämter könnten so selbständig _gemacht werden, daß fie un- mittelbar mit dem Ministerium verkehren. Angesichts der 1chwankenden Einnahmen muß die Frage der Verpachtung der Gisenbahnen wicder auftauchen, die Lasker gleih bei der Verstaat- lichung befürwortet hatte. Gegen den Vorschlag, die Lotterie zu ver- mehren, ist trauriger Weise kein Wort aus dem Hause gesagt worden. Wir follten doch nicht den Standpunkt der politischen Moral so ver- gese, Die Mittel, die sich aus der Organisfationsfrage zwischen den ¿Finanzen des Neichs und Preußens ergeben, können nur durch Quoti- sirung der Steuern für das Neih und die Einzelstaaten gehoben werden. Der Abg. von Minnigerode hat in seiner gestrigen Rede es als Schlagwort bezeihnet, wenn man die 92er Ernte eine vorzüglihe nenne. Dies „Schlagwort“ findet \sich in der Thronrede, mit der am 22. November 1892 der Reichstag eröffnet worden ist. Thatsächlih haben wir eine solche gehabt. Bei seiner Schwarzmalerei hatte der I von Minnigerode auch die Kühnheit, zu fragen, wo denn bei den billigen Kornpreisen eine Ermäßigung des Brotpreises ersichtlih geworden sei. Lesen Sie lieber statt meiner Neden, die für Sie doch nuylos sind, die Statistik! Die Zufammenstellungen des Berliner städtischen {tatistishen Bureaus vom Januar bis September 1892 beweisen, daß der Brotpreië genqu dem Noggenpreise gefolgt is. Man hat sich hier auch über die Handelsverträge beklagt; diese sind ein bleibendes Ver- dienst des Grafen von Caprivi, und ich wünsche ihm auf dieser Bahn weitere Erfolge, wenn er fie auch nur unter dem Widerstande der Agrarier erreihen wird. Die Berliner Handelskammer, dazu zahlreiche aus Schlesien, Sachsen, Westfalen und Hessen-Nafsau, haben ihre Zufriedenheit mit den neuen Handels- verträgen anerkannt. Auch die russischen Handelsverträge sind bier berührt worden. Bisher legten wir uns bei noch s{chwebenden Ver- handlungen immer Reserve auf, und ih bedauere, daß dies diesmal nicht geschieht. Sie beunruhigen das Land bloß durch Gespenster! Ein Bewohner der öftlihen Provinzen versteht von deren wirth- schaftlihen, auch von déren landwirthschaftlihen Interessen, für die der russische Vertrag eine Lebensfrage ift, so wenig, daß er dagegen spricht! 1879 verhielt \ich Ihre Partei zu den Anträgen auf Aufhebung des Identitätsnachweifes ablehnend, — jept petitioniren die landwirthschaftlichen Centralstellen von Ost- und Westpreußen felbst dafür. _JIeyt kommen Sie zu spät ! Das „zu spät“ ift überhaupt das Unglück der conservativen Partei. Ich würde in dem Abschluß eines Handelsvertrages mit Rußland eine große Friedensgarantie sehen. Jch bedauere, daß in einem Theil unserer Presse eine feindselige Stimmung gegen Rußland herrscht. Wir würden uns freuen, wenn wir auch mit Rußland in politischer Freundschaft ständen. Jch glaube, au im Interesse unserer Landwirth- schaft würde ein Abschluß eines Handelsvertrags mit Rußland liegen. Die antisemitishe Propaganda des Bauernbundes wird den Land- wirthen nichts helfen ; besser wäre es, wenn die Landwirthe vor allem Buchführung lernen würden. Dann würden sie manche Liebhabereien lassen und rationeller wirthshaften. Gegen die Liebesgabe — den Ausdruck hat übrigens zuerst Herr von Wedel-Malchow gebraucht — werden wir polemisiren, bis sie aufgehoben is. Die Herren, die immer über den Nothstand der Landwirthe klagen, sind, wohl wider Willen, Gegner der Landwirthschaft. Unfere ganze finanzielle Situation fordert zu ängstliher Vorsicht heraus. Nothwendiges werden wir bewilligen, alles nicht unbedingt Erforderliche aber streichen.
Finanz-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Einige von den Herren Vorrednern haben sich mit meiner Person beschäftigt. Befürchten Sie nicht, daß ich darauf eingehe. Mir ift ein persönliches Lob gespendet von dem einen, der andere hat, wenn auch in leidlih freundlicher Weise, mich getadelt. Das Lob möchte ih nicht acceptiren, und den Tadel — ablebnen. Der Tadel \tüßt sih aber auf bestimmte Thatsachen, und sie möchte ih doh mit zwei Worten beantworten.
Der Herr Abg. Nikert fängt fast jede Rede, wo er Gelegenheit hat, sih mit mir zu beschäftigen, mit der Behauptung an, ih triebe zu seinem großen Bedauern unter Verleugnung meiner früheren An- sicht eine reine Agrarpolitik. Diese Behauptung wird gestüßt theils auf die Steuerreform, theils auf meine Unterstüßung als Abgeordneter — und nicht als Minister — des Branntweinsteuergeseßzes von 1887. Was diesen leßten Punkt betrifft, so habe ih hon Gelegenheit gehabt, mich darüber auszusprehen; und ih fkann nur wiederholen, daß ih in einer gleichen Lage wie 1887, ob als Minister, ob als Ab- geordneter, genau zu demselben Resultate dahin kommen würde, daß cin Branntweinsteuergeseß, welches diesem Gewerbe, das für die Land- wirthschaft von so großer Bedeutung ist, 100 Millionen Steuer auf- legt, unmöglich fei ohne die Garantien für die Existenz der landwirth- schaftlihen Brennerei. Die Erhaltung der landwirthschaftlichen Brennerei halte ih für unsere östlihen Provinzen insbesondere, aber auch für einen großen Theil von ganz Deutschland geradezu für eine Lebensfrage der Landwirthschaft. (Sehr richtig! rets.) Das ist die cine Seite. der Sache. Zur andern Seite — und der Herr Abg. Rickert liest ja alle diese alten Reden fo genau, das is fein Haupt- vergnügen von jeher gewesen (Heiterkeit) —, da hätte ih wobl er« wartet, daß der Herr Abg. Rickert sih auch einer bestimmten Rede von mir erinnert hätte. Jh habe bereits im Jahre 1879 als Ab- geordneter die Grundzüge der Steuerreform, die ih mi beute als Minister durchzuführen bemühe, ausgesprochen, alfo kann man nun mir doch nicht sagen, daß ih nun auf einmal ein Agrarier geworden wäre. Meine Herren, ih sagte damals in einer Rede:
Soviel muß doch anerkannt werden, daß die natürlichste Be- steuerung innerhalb der Commune die Heranziehung des von der Commune unzertrennlih, auf Gedeihen und Verderb mit der Com- mune verbundenen, durch fast alle Maßregeln der Commune in seinem Werthe erhöhten oder verminderten Grundbesißes
ist, daß umgekehrt der Staat viel natürlicher angewiesen ist auf das