1893 / 32 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Ä

pepntel auf Erden schaffen könnten, würde sich Ihre Logik erst recht n den Schwanz beißen. Dann müßte Sie die größte Sorge vor der Uebervölkerung diefes Himmels erfassen. Nah Bebel's „Die Frau“ ist jeder Neugeborene ein angenehmer Zuwachs der Gesellschaft. (Abg. Bebel: Sie sind nit verheirathet!) Sehen Sie, ‘das ist wieder Ihre ganze Verlegenheit. (Stürmischèr anhaltender Beifall.) Das ist der Führer der Sociäldemokratie (erneuter lebhafter Beifall). Hat es jemals eine Partei gegeben, die in dem Augenblick, wo sie Rede stehen soll, in fo fleinliher Weise (nochmaliger lebhafter Beifall) so unter aller parlamentarischen Kritik sich aus der Schlinge zu ziehen suht ? Die größte Sorgeist, eine der Uebervölkerung entsprechende Kapitalvermeh- rung herbeizuführen. Wenn das Kapital fich nit fortwährend im Ver- hältniß der zunehmenden Bevölkerung vermehrt, geht die ganze Kultur zurück. Der Abg. Bebel hat in seinem Buche „Die Frau“ dieser Frage ein besondere Kapitel gewidmet. Er tröstet ih mit Lassalle, indem er auf den Norden von Norwegen hinweist. Außerdem erzählt er, daß man nach der Schilderung von Reisenden im Norden Sibiriens ganz an- cerehm wohnt. Hier wäre vielleicht auch der Play, wo Abg. „Bachem dann feinen Wirkungskreis erhielte. (Große Heiter- keit.) Aber auch wenn sich der Uebershuß der Bevölkerung in dem focialdemokratishen Himmel auf Erden im Norden von Sibirien nit unterbringen lassen follte, ist der Abg. Bebel nicht ver- legen. Dann wäre noh die Wüste Sahara. „Wenn es da gelingt, ein Meer auszugraben, würde es möglich fein, viele tausend Quadrat- meilen in fruchtbare Länder zu verwandeln“, Alles nachzusehen in „Die Frau“. (Widerspru des Abg. Bebel.) Das steht allerdings Nur in den ersten Auflagen. Mit der Wüste Sahara haben Sie sich in der leßten Auflage „gemausert“. (Stürmische Heiterkeit.) Vielleicht haben Ste inzwischen etwas Besseres entdeckt, und ih bitte Sie, uns diese Länder nicht vorzuenthalten. Der Abg. Bebel hat die Wahrnehmung gemacht, daß, je edler eine Thierart ist, um so weniger Junge sie hat. (r demonstrirt, daß Löwen, Elephanten und Kameecle weit weniger Junge haben, als z. B. die Hasen. Der Abg. Bebel folgert also: wenn die Menschheit im socialdemokratishen Zukunftsstaat mehr den Löwen, Elephanten, Kameelen gleiht, wird die Besorgniß einer zu großen Volksvermehrung s{winden; aber ganz reiht diefer Trost für den Abg. Bebel nicht aus. Als Schlußstein empfiehlt er die Regelung einer Volksvermehrung durch die Art und Weise, wie ‘die Ernährung regulirt wird. Hier i er wieder der ganze logishe Kopf. Das logishe Gebäude zwingt ihn, Ga bloß die Lebensweise der Menschen in aller und jeder Beziehung von Obrigkeit wegen zu regeln, son- dern auch die Fortpflanzung, womit dann freilih die socialdemo- kratishe Gesellschaft weit unter die Zuchthäusler in das Thierreich binabgedrückt wird. (Sehr richtig!) Am Schlusse seines Buches s{wingt sih der Abg. Bebel zu dem Satze auf: „Der Socialismus ist die mit vollem Bewußtsein und voller S, auf alle Gebiete menschliher Thätigkeit angewandte Wissenschaft." Jch schließe diefe Ausführungen mit dem bs 1 Der Socialismus ift eine auf unklaren Behauptungen und unzureihender Erkenntniß der Natur und des Wesens der Menschen Ee Irreleitung der Arbeiter. (Sehr richtig!) Unsere Gesellschaftsordnung is nichts weniger als vollklommen. Der Abg. Bebel hat selbs anerkannt, sie sei die beste seit Erschaffung der Welt. Warum foll der Fortschritt in dieser Ge- sellschaft ausgeschlossen fein; warum sollen thr die tehnishen Ver- befsserungen nicht ebenso zu gute fommen, wie der künftigen |ocialdemo- fratischen Gesellshaft? Sie können niht leugnen, daß alle focialen Schichten, verglichen mit früheren Generationen und Jahrhunderten, bei der jeßigen Generation besser daran sind. Darum können wir hoffen, daß wir auf dem bisherigen Wege zu besseren Zuständen gelangen, Nichts ift verkehrter als allein auf den Staat zu rechnen. Die Vervollkommnung und Besserung muß bei der Gesellschaft selbst ein- treten. Das gerade werfe ich Ihnen vor, daß Sie auf die Arbeiter in der Weise einwirken, alles vom Staat zn—erwarten und nicht von der eigenen Vervollkommnung. Wenn Ihr Staat möglich wäre, wäre er es nur mit Arbeitern und Menschen, die alle Vollkommenheiten und Tugenden în noch höherem Maße bei sich entwickelt haben, als es bisher der L ist. Der Fortschritt kann nur- kommen von der Gesellshaft und nur in gewissem Umfange von der Mitwirkung des Staats, welher die Hindernisse beseitigt. Die Socialdemokraten haben durch ihr Auftreten die Fortschritte in unserer inneren Politik erheblih gefährdet und verringert. Unsere größere freiheitlihe Ent- wickelung in wirthschaftliher und politisher Beziehung wird in hohem Maße dadur ershwert, daß Sie die Bürgerschaft in zwei verschiedene Lager gespalten haben. Sie machen uns Freisinnigen den Vorwurf, daß wir nihts mehr erreihen. Das kommt daher, weil wir fort- während genöthigt sind, einen Krieg in zwei Fronten zu führen gegen rechts und links. Schwierig genug ist diese Situation. Wir werden aber nit erlahmen, um Rückschritte sowohl von rechts als von links abzuwenden. Wir führen diesen Kampf niht um unserer selbst willen, fondern um das Volkswohl und die Zukunft! (Beifall.)

Abg. Frohme (Soc.): Es ist. interessant, zu sehen, wie die Vertreter der staatserhaltenden Parteien Arm in Arm si bemühen, der Welt ihre Gedanken und den fogenannten socialdemokratischen Zukunfts\taat vorzutragen. Es sind in der That Ihre Gedanken, es ist der Staat, wie Sie ihn sich construiren, um uns in den Augen thörtter, unwissender Menschen zu compromittiren. Das war auch Ihr Zweck, als Sie diese Debatte provocirten. Der politische Faschingsgeist, der sih bis jeßt in den Aeußerungen unserer Gegner fundgiebt, dürfte dazu beitragen, weite Kreise des Volkes zum ernsten Nachdenken über diese Dinge zu bringen. Der Abg. Nichter stellt die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit fest. Es giebt nicht einen einzigen namhaften Vertreter der Natiónalökonomie, welcher es gewagt hâtte, diese Harmonie. zu behaupten, von Adam Smith bis Stuart Mill. In den Werken aller diefer Männer finden Sie den Nachweis, daß allerdings ein stetig verschärfter Interefsengegensap zwischen Kapital und Arbeit besteht. Wo foll auch ‘diese Harmonie herkommen? Unsere ganze Oekonomie beruht darauf, möglich} viel“ für das Unternehmerinteresse aus der Arbeit zu gewinnen. Wenn wirkli diefe Harmonie bestände, glauben Sie, daß es dann nicht den Herren, welhe im Besiß aller Macht und Bildungsmittel sind, möglich gewesen wäre, den Kampf zwischer® Kapital und Arbeit zu beseitigen? Im Ernste kann kein wirklich nationalsfonomisch gebildeter Mens, mag er Herr Nichter oder anders heißen, an die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit glauben. Das ist eine Phrase, um die Arbeiter von sfelbstständiger Initiative in ihrem Interesse zurückzuhalten, und fie i von den Arbeitern längst durchs{chaut. Die Herren vom Centrum haben die Aeußerungen des Abg. Richter mit Wohlwollen aufgenommen. Sie mögen doch einmal lefen, was Bischof von Ketteler in seinem Buche über dicse Harmonie von Kapital und Arbeit gesagt hat. Er spricht dort von dem gottlosen Kapitalismus, vertheidigt fogar die Strikes als ein durch die Verhältnisse gebotenes Mittel zur Ber- besserung der Lage oer Arbeiter, Ich könnte Jhnen noch eine ganze Reihe von Sociologen nennen, die in schärfsten Ausdrücken gegen den Kapitalismus zu Felde zichen und in ihm nicht ein Glück für die Zeit, fondern ein Unglück erblicken. Aber den gesammten Ae Parteien {eint es lediglih darauf anzukommen, vor der Welt einmal eine, wenn auch noch so fünstlich construirte Einmüthigkeit in der Bekämpfung der Socialdemokratie zu erweisen. Sie werden damit fein Glück haben. Die Massen draußen werden er- kennen, was von dieser Einmüthigkeit zu halten ist. Die Be- hauptung, daß wir Unzufriedenheit hafen wollen, haben wir fast noh in jeder socialpolitischen Debatte gehört. Wenn die Massen auf

Grund der Mens unferer Zustände unzufrieden werden, so ift

es ihr gutes menschliches Recht, diese Unzufriedenheit zu äußern. Welche Gesellschafts\{chicht ift T zufrieden? Keine einzige. Wenn nun die Arbeiter ihrer Unzufriedenheit Ausdruck geben, schreit man: Das find die Früchte der Socialdemokratie! Jh verwahre meine Partei und insbesondere uns, die wir hier fven, auf das Entschiedenste, gegen den Vorwurf, als wollten wir durh unsere Theorie zu einer vershwenderishen Wirthschaft verleiten, Auch wir wünschen, daß {ih jeder nah der Dee strecke, aber wir wünschen au, daß die übrigen Gesellschaftsklassen "ebenfalls diesen Spruch beherzigen, Wir wenden uns lediglich gegen die unerhörte demagogishe Praxis, die in vielen

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gegnerischen Kreisen geübt wird, den Arbeiter eng zu: sagen: seht, wenn Ihr gut fpart, dann kann es"Euch nicht \{hlecht gehen, Jhr müßt im stande fein, Euch soviel zu ersparen, um ein kleines selbständiges

Gewerbe zu ‘gründen. “Man will mit folchent Gerede .lediglih eine

Verbesserung der Lage der Arbeiter hintanhalten. Was bedeutet ein folhes Sparen für den Arbeiter anders als eine weitere Ver- s{lechterung der Lebenshaltung und Lebensverkürzung? Auch wir wollen eine weise Wirthschaft, aber das Sparen ist kein sociales und wirthschaftlihes Heilmittel gegenüber allen Schäden. Der Abg. Richter \pricht das große Wort gelassen aus, daß unsere Bestrebungen wider die Natur gehen, keine Ausficht auf Entwickelung und Durch- führung hätten. Wenn das wahr ‘wäre, wozu dann diese lebhafte Anfechtung? Die Natur wird ja dann wohl mit uns und unseren Bestrebungen fertig werden. Weshalb kommt man denn mit einer Discussion hier im Reichstag der Mutter Natur zu Hilfe? Um die ernsten sachlihen Darlegungen des Abg. Bebel über-den Socialismus hat gerade der Abg. Richter herumgesprochen, wie auch in den übrigen Reden nur ein focialpolitischer Faschingögeist zum Ausdruck kam. Der Abg. Bebel hat ausgeführt, daß der Socialismus die Entwicke- lungstheorie und daß die sfociale Revolution im Grunde ge- nommen nichts Anderes i, als die von dem Bedürfniß des Volkes nah Besserung der Zustände getragene und bestimmte Evolution. Die Entwickelungstheorie, welhe wir vertreten, ist ja in der Hauptsache ein Ergebniß der Wissenschaft des Liberalismus, und Sie haben gewiß Ihre Gründe, darauf nicht näher einzugehen. Die heute herrs{enden Klassen sind en mit der Erbsünde der blutigen Revolution behaftet; die Evolutionstheorie hat diesen Standpunkt überwunden. Der Papst hat ausdrücklich anerkannt, daß die Franzosen das Recht hatten, ihre Staatsform in die Nepublik um- zuändern; er hat damit das Princip des Gottesgnadenthums bei Seite gestellt. Cine Zukunfts\staatsausmalerei ist alle Zeit eine Schwäche der herrshenden Elemente gewesen, Das Centrum follte doh am wenigsten nach folhen Ausmalungen verlangen. Thomas von Aquino, der „wahrste und wissenschaftlichste Interpret der An- siht der fkatholischen Kirche“, hat ebenfalls einen Zukunftsstaat ausgemalt und was für etnen! Arbeiter, Handwerker und Ackerbauer sind ihm keine Bürger, kein Theil des Staats. Die Bauern sind Knechte, die Handwerker dienende Leute, entweder Barbaren aus dem Auslande bezogen oder von Sklaven geboren. Nur Krieger, Ver- walter und Priester sind Theile des Staats. (Redner citirt die be- treffenden Stellen.) Er empfiehlt auch die Beschränkung der Kinderzahl. WVerstößt dies niht gegen Religion und Sitte? Thomas von Aquino sagt: Der Staat sei eine Gemeinschaft , - in welcher alle zu leben haben müssen, „deshalb muß im Staat alles verhütet werden, was Mangel nach \ich ziehen kann. Von der Art sind aber viele Kinder.“ Conservative, Centrum und Libera- lismus haben für ihre drei Staatsbegriffe auch nit einen einzigen gemeinsamen Punkt. Der Begriff des christlichen Staats it vollends ein Unding, wie es shon Freiherr voû Vincke 1847 an der Hand des Alten und Neuen Testaments nahwies. Seien Sie doch ehrlih und geben Sie zu, daß der ganze heutige Staat nichts Anderes is als eine Einrichtung für das Interesse der herrschenden privilegirten Klassen! Das ist der Staat, für den Sie eintreten, der nah Jhrer Behauptung die höchste Stufe der Entwickelung is! Der Abg. Richter kennt die factishe Lohnsclaverei im gegenwärtigen Staat niht, sonst würde er sie nicht in dem von ihm erfundenen focialdemokratishen Zukunftsstaat vermuthen! Selbst nach John Stuart Mill müßte für die große Masse ein Dasein unter socialistishen oder communistishen Jdealen eine Befreiung fein gegenüber der jeßigen Unfreiheit. Was Sie Zukunfts\taat nennen, kann und wird es nicht geben. Was wir vertheidigen, ist die nächste Etavpe der focialvolitischen Evolution! Der Abg. Prinz -Carolatl hat hier einmal öffentlih gemahnt: Laßt dem Volke feine Ideale! Nur- eine Partei hat solche, das ist die unsrige, die das Ideal der focialen Gerechtigkeit im Herzen trägt. Warum soll den Massen bei uns nicht vergönnt werden, auf eine bessere Zukunft zu hoffen? Arbeiten Sie so fort, wie diese leßten drei Tage; Sie thun uns damit den allergrößten Gefallen. :

Abg. Stöcker (de): Ich muß zunächst dem Abg. Richter darin widersprechen, daß er die Interessen einiger Tausend arbeitsloser Menschen mit den Interessen der gesammten deutschen Landwirthschaft auf eine Stufe stellt. Er hat sich auch felbst widersprochen, indem er {ließlich den ganzen Nothstand aus den Ernten ableitet. Einen flareren Beweis für die Bedeutung der Landwirthschaft in Rücksicht auf den Nationalwohlstand kann es niht geben. Der Abg. Richter irrt auch, wenn er meint, - der Finanz-Minister Miguel würde viel darum geben, wenn er die Verstaatlihung der Eisenbahnen los wäre. Der font recht beachtens8werthe Rechen- künstler ‘hat hier doch einen Fehler gemaht. Er sagt, daß, wenn wir jeßt die Eisenbahnen in Privathänden hätten der Ausfall des Zinses von Privatleuten getragen würde. Einen Ausfall von Verzinsung haben wir bis heute noch nicht. Wir haben nur niht den großen .Uebers{huß, den wir früher hatten. Auch was der Abg. Nichter über die Eisenbahnverstaatlichung ge- sagt, war nicht richtig. Jm übrigen waren aber seine Aus- führungen auch nah unserer Ansicht sehr treffend, besonders was die arbeitslosen 9eichstagsabgeordneten betraf. Was für Ziel- bewußtsein in den Socialdemokraten vorhanden is, das haben wir in diesen drei Tagen gesehen: die Socialdemokraten mußten ihren Bankêrott erklären; sie mußten sagen: Wir wissen garnihts. Das Bolk wird das verstehen. Positive Vorschläge sind doch gemacht worden zur Abhilfe des Nothstandes, und zwar im Abgeordneten- haus vom Grafen Kaniß wegen der Fortseßung der staatlichen Eisenbahnbauten. Das ist praktisch und zeigt, daß bei uns Ver- ständniß für die Situation vorhanden ist. Daß die social- demokratische Partei gar nichts thut, um die Arbeitslosigkeit zu ver- mindern, is doch carakteristish. Eine Arbeiterpartei müßte doch die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit in threm Pro- gramm haben; ‘das is nicht der Fall, weil Sie keinen Sinn für praktische Hilfe haben. Der \tarre achtstündige Normal- Arbeitstag i} das Gegentheil praktischen Wirkens. Einen Urbeits- nad)weis führen Sie auh nicht ein. Hätten Sie ein warmes Herz für die Arbeiter, so müßten Sie wenigstens für dieselben das thun, was die innere Mission in ihrem kleinen Kreise thut. Volksversamm- lungen abzuhalten, wo man die Leute aufheßt und zu thörichten MNefolutionen int wi das ift keine Fürsorge. Ein blinder, acht Jahre lang ausgewiesener Socialdemokrat erzählt uns, daß er hi die geringste Unterstüßung von seiner Partei bekommen hätte. Sie halten die Leute ab, ihre Kinder taufen zu lassen; als aber ein socialdemokratischer Arbeiter mit fünf Kindern von der Partei eine Unterstüßung nachsuchte, wies man ihn ab, und ein- evangelischer Geistlicher stand ihm bei: Das ift Ihre praktishe Fürsorge für das Volk. Darüber können Ihre Redensarten hier nicht hinweg- täuschen. Die Klage des Abg. Nichter , daß er jeßt nah zwei Beo kämpfen müsse, war mir das. Juteressanteste an seiner Rede.

im militärischen Leben geschieht es oft, daß man nah einer Seite zu stark vorgeht, dann abgeschnitten wird und den Nücken dem Angriff ausfeßt, sodaß man dann mit zwei Fronten kämpfen muß. Der Fortschritt ist nah der Seite der Monarchie, der Kirche, der“ bestehenden Verhältnisse viel zu weit vorgegangen, auf seinen Schultern hat {ih die Socialdemokratie erhoben; auf die Gironde Piat immer der Berg. Möge der Fortschritt end- lih zur Einsicht kommen, aber der ne nach zwei Fronten ist ihm allein zuzuschieben. Der Abg. Richter hat seine Broschüre in langen Anpreisungen empfohlen; ih empfehle ihm dafür die Broschüre von unserer Seite „Wie kam es doch?", die außerordentlich interessant zu lesen ist. Sie is zwar niht in so viele Sprachen überseßt wie die des Abg. Nichter, aber in gutem Deutsch geschrieben, und das ist für den Deutschen Reichstag die Hauptsahe. Wenn der Abg. Frohme diese Debatte als politischen Fasching bezeichnete, so wollte er wohl nur sih und andere über diese ernsten Dinge hinweg- täuschen. Die Herren werden bald merken, daß nah dieser Faschings- zeit, wie im Jahre, die Leidenszeit für die socialdemokratische Partei fommt. Erst wollte Ihre dis die Productivgenossenschaft, die un- möglich ift, dann den Zukunfts\taat, der eine Phantasie it, dann

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eine Entwickelung, ¿die nur ein philosophischer Begriff ist. Dana sind Ste wohl eine Schaar intelligenter Menschen ; aber feine politishe Partei. Eine folhe muß heute wissen, was sie morgen will. Jhr Standpunkt ist gar kein Standpunkt. Wenn der ganze gararfaaat von Ihnen aufgegeben ist, warum läßt denn der Abg. Bebel seine Broschüre „Die Frau“ immer wieder drucken? Der Abg. Liebkneht fagte einmal über den Zukunftsf\taat: „Wer daruach fet versteht nichts von der socialen Frage und der ges{chichtlichen Ent- wickelung und soll si als ein unwissenshaftliher und denkunfähiger Kopf annageln lassen.“ In Halle erzählte der Abg. Liebkneht, daß es mit dem ehernen Lohngeseß nichts sei. Das wissen - Sie seit 15 Jahren und haben doch immer seitdem damit im Volk agitirt. Das ift nicht ein pte das ist ein Verbrechen an dem Geist des Volks, an der Wahrheit und der Ehrlichkeit des deutschen Arbeiters. Das ist in diesen Tagen nachgewiesen. Das ist die Bedeutung dieser Discussion. Der Abg. Frohme sieht keine Harmonie zwischen Kapital und Arbeit. Gewiß giebt es einen relativen Gegensaß zwischen beiden, aber feinen absoluten. Jn den Einzelunternehmungen bilden Kapital und Arbeit niht Gegensäße, sondern sie sind Brüder. Allerdings thut das Kapital noch nicht genug für die Arbeit, aber von einem Krieg zwischen Kapital und Arbeit zu sprechen, ist ebenso utopish, wie alles, was Sie sagen. Daß die Unzufriedenheit ein Factor der Vor- wärtsbewegung is, gebe ih im gewissen Sinne zu. Sie werden aber dur Jhr Aufheten zur Unzufriedenheit die Menschen niemals zufriedener machen. Das ist der Fehler Ihrer Agitation. Mazzini war ein NRevolutionär, größer als jeder Socialdemokrat, er hatte aber noch ein Herz im Busen und appellirte an Liebe und Glauben. Das Sparen allein kann auch die fociale Frage nicht [öfen ; aber ohne diese Tugend der Sparsaunkeit wird es niemals gehen. Wo steht aber in Jhren Schriften jemals etwas von diesen häuslichen Tugenden ? Sie unterminiren alle diese edlen Kräfte des Volks dur eine fortwährende Agitation. Wenn wir mit urtheilsfähigen Massen zu thun hätten, würden wir allerdings den Zukunfts\taat feiner natür- lichen Verwesung überlassen; aber Sie wühlen in den Massen, die diese Dinge nicht verstehen. Darum haben wir Ske gefragt im An- gesicht des deutschen Volks, und es hat fich gezeigt : Sie haben nichts, Sie wissen nichts, Sie können nihts! Die Evolutionstheorie gehört doch nicht ins Parlament! Was wir an der Arbeiterbewegung be- grüßen als das Gesunde, ist das Verlangen des Arbeïterstandes nach einer höheren N in der bürgerlichen Gesellschaft. Das freut uns; es fann aber nicht erreiht werden durch brutale Forderungen, sondern durch sittlihe Forderungen an sich felbst; der vierte Stand muß geistig, sittlich, religiós auf derselben Höhe wie die anderen Stände stehen. Die politishe Carrière haben Ihnen der alte Kaifer Wilhelm und Bismarck gegeben durch die Verleihung des allgemeinen Wahlrehts. Wenn jeßt das Wahlrecht als von zweifelhaftem Werthe angesehen wird, so liegt das an Ihren Uebertreibungen. Sie wollen es schon für Zwanzigjährige einführen; für Männer und Frauen. Hat man mit zwanzig Jahren schon ein reifes Urtheil? Würde es auh nicht unangemessen sein, hon mit fünf Jahren das Wahlrecht zu ver- leihen? Die Sache is allerdings sehr ernst. Die Scocialdemokratie hat fich von den unschuldigen Productivgenossenschaften wie vom träumerischen N zurückgezogen und ist auf Karl Marx, den Vertreter der Energie, zurückgegangen. Marx predigt die Revolution. Sein Grundsatz, daß alle Fortschritte der Menschheit von ökonomischen Momenten bedingt sind, is grundfalsch, wie die ganze Geschichte des Alterthums, des Mittelalters, der Reformation, vor Allem aber auch die Geschichte des Muhamedanismus zeigt. Der Kleinbetrieb ift nicht der Verzweiflung nahe; er ist niht dem Verderben preisgegeben, weder auf dem Lande noch in der Stadt. Die neue Welt, die Sie wollen, sind Sie nicht imstande einzurihten, und die alte zerstören Sie. Wir wollen das Vorhandene besser gestalten, aber das Vor- handene halten wir fest. Sie haben gar keine Ideale, weder Vaterland, noch Religion, noch Monarchie. Sie verwerfen das Budget, Sie verweigern dem Reiche die Mittel seiner Existenz, Sie nennen den Militaris8mus einen-Moloch, Sie \{himpfen auf das einzige, was uns in dem großen Völkereonflicte retten kann. Himmlische und irdishe Autorität bekämpfen ist nicht mehr Privatsache, fondern damit proclamiren Sie Jrreligiösität als Parteisache. Fhnen bleibt die Liebe, sagen Sie, die allgemeine Mens@(henliebe. Aber die Dar- stellung dieser Menschenliebe, wie sie sich in Ihren Broschüren, in Ihren Liederbüchern findet, ist keine, die auf Jdeale {ließen läßt. Den kleinen Kern von Werth in Jhren Bestrebungen nehmen wir auf und pfleg-n ihn. Im übrigen werden -wir Sie bekämpfen bis zur Vernichtung Ihrer falschen, unsittlichen, irreligiösen Ideen !

Abg. Hitze (Centr.): Der Abg. Frohme beschwert sich darüber, man volemisire is den Zukunftsstaat, wie wir ihn uns construiren, wie ihn der Abg. Richter sich construirt. Das i nicht unsere Schuld. Wir haben die Sache deshalb hier zur Sprache gebracht, um die concrete Unterlage zu haben und Ihren Zukunfts\taat kennen zu lernen. Der Abg. Richter hat ausdrücklich an das Bild an- geknüpft, das der Abg. Bebel von feinem Zukunfts\taat ent- worsen hat. Wir sind uns bewußt, daß es eine Harmonie zwischen Kapital und Arbeit giebt, und wo sie noch nicht vorhanden is, da ist es gerade die Aufgabe der Social- politik, die Ausgleihung zwishen beiden “zu finden. Unzu- friedenheit und Unzufriedenheit ist sehr verschieden. Die Unzu- friedenheit in dem Sinne, daß die Arbeiter weiter zu kommen, thre Lage zu verbessern suhen, und sih zu diesem Zweck organisiren, tadeln wir nicht. Wir tadeln aber die Unzufriedenheit, welche die Socialdemokratie zu verbreiten sucht, indem sie auf Mißtrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter hinarbeitet, die auch die besten Bestrebungen der Arbeitgeber zu discreditiren sucht; diese Unzufriedenheit als Selbstzweck verurtheilen wir. Den Sparsamkeitstrieb wollen auch wir fördern, die Sparsamkeit trägt bei zur Lösung der sozialen «rage, aber mit Sparsamkeit allein kann sie nicht gelöst werden. Es ist nothwendig, die Arbeiter zur geordneten Fürsorge für ihre Zn- funft anzuhalten. Herzlosigkeit is es aber, die Arbeiter zum Luxus, zum Leichtsinn, zu unwirthschaftlichen Ausgaben und zur Vergnügungs- sucht aufzustacheln. Gewiß sollen auch die Besißenden sparsam sein und nicht übermäßigem Lurus fröhnen. Die Arbeiter haben aber noch viel nöthiger zu sparen. Wir predigen den Besißenden und ebenso den Arbeitern Sparsamkeit. Eine erfreulihe Entwickelung ist es, wenn die Socialdewmokraten jeßt von der Revolution zur Evolution zurück- kommen. Wollen Sie die Revolution und den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft {hon für baldige Zeit voraussagen ? Glauben Sie denn wirkli, daß jeßt schon die Vorbedingungen zur Reali- sirung Ihres Zukunftsstaats gegeben seien? Die focialistishe Pro- ductionêweise würde doch nach. dem Princip der Evolutionstheorie zu- nächst nur auf die Großindustrie passen, in die übrigen Betriebe ift dieses avi noch nit eingedrungen, also wäre es doch mit dieser Umwälzung noch viel zu früh. Das is das Verbrecherishe Jhrer Agitation, daß Sie den Massen Ihr Zukunftsideal in den glühendsten Farben schildern. Dauert den Arbeitern die Zeit zu lange, dann schreiten ste zur Gewalt. Der Abg. von Vollmar hat mit Recht auf das Ver- kehrte und Gefährliche hingewiesen, daß Sie diese Hoffnungen iu die Massen werfen. Der Abg. Frohme erhofft Alles von der berufsgenoffen- ihasllithen Organisation der Arbeiter. Ih bin sehr gern bereit, dabet mitzuwirken, wenn es weiter nichts ist. Die Katholiken haben nie gesagt, daß die Monarchie die einzige berehtigte Staatsform ist. Jn Preußen erkennen wir sie als eine segensreihe Einrichtung an; wie soll das aber uns oder den Papst hindern, die Schweiz oder Frank- rei als Republiken anzuerkennen? Und wenn Sie nah Afrika gehen und dort eine focialdemokratishe Republik gründen, wird der heilige Vater sie n anerkennen und Ihnen einen Gesandten schicken. Der Abg. Frohme hat hier ein Citat von Thomas von Aquino an- geführt, welhes mir aber nur beweist, daß er den heiligen Thomas falsch verstanden, wenn er ihn überhaupt gelesen hat; denn die be- treffende Stelle L dem Aristoteles entnommen, der natürli eine andere Ansicht über die arbeitenden Klassen hatte, daher war seine ganze Polemik verfehlt. Fh war überrascht über den Fanatismus, der sih gestern in den Schlußworten des Abg. Bebel aus- sprach. Ich bin überzeugt, wenn Sie dazu kommen, Jhren Zukunftsstaat einzuführen, dann würden Sie Ihr ganzes Ge- wicht darauf legen, das Christenthum aus der Welt zu

ganze Agitation, Ihre ganze wissenschaft- liche Gs rihtet sch immer hin auf eine neue Geseßgebung. Sie wollen die Arbeiter organisiren zu einer großen Partei mit dem ausgesprochenen Ziele, si der Macht zu bemächtigen, im Augenblick der Revolutior die Macht zu ergreifen und dann Ihre Îdeale zu verwirklihen. Und wenn Sie jeßt hier auf diese Zukunftsideale angezapft werden, suchen Sie sich der Discussion zu entziehen. Sie sagen: wir wollen nur die normale Entwikelung der Dinge. Wenn Sie das wollen, brauchen Sie aber keine Partei zu gründen, dann können Sie vielleiht eine wissenshaftlihe Schule bilden. Aber die großen Massen der Arbeiter abzurihten mit ihrem ganzen Sinnen und Trachten auf die Zukunftsideale, das widerspricht Ihren Worten. Ihr Parteiprogramm, auf welches Sie die Arbeiter einschwören, enthält auch Forderungen verschiedener Art: erstens folche, die sich auf den gegenwärtigen Staat beziehen, andererseits Jdeale der Zukunft. Sie spreheu immer von der Verwandlung des kapitalistischen Privateigenthums aller Productionsmittel in gesellschaftlihes oder ge- nossenschaftliches Cigenthum. In wessen Hände soll denn nun das Eigen- thum übergehen, wenn große Etablissements wie z. B. das des Abg. Frei- herrn vonStummexpropriirt werden: in den Besiß der Arbeiter oder derGe- meinden? Wer soll die Leitung der Production übernehmen ? Abg. Bebel hat sich dagegen gewehrt, daß der Zukunftsstaat im voraus construirt werden könne. Er hat die innere Einrichtung und Aus- stattung des Gebäudes, die Erfrischungs- und Erholungssäle mit schönen Farben gemalt, aber nihts von dem äußeren Aufbau des Ge- bäudes gezeigt. Das Schwierigste scheint aber die rihtige Verthei- lung der Production und Consumtion und ih bestreite , daß Sie diefes Problem lösen können. Was Jhnen nicht einmal im Kleinen gelingt, eine Bäkereigenossenschaft zu organisiren, das wird Ihnen nun und nimmer im Großen gelingen.

Abg. Leuschner (Rp.): Der Kampf gegen die Socialdemokratie ist von beredten Händen shon so erfolgreich geführt worden, daß Sie (zu den Socialdemokraten) dur die bisherige Debatte bereits tôtal geschlagen sind. Ich kann daher aufs Wort verzichten.

Schluß 43/, Uhr.

vèrtreiben. Ihre

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

26. Sißung vom 4. Februar.

Das Haus seßt die zweite Berathung des Staats-

haushalts-Etats für 1893/94 bei dem Etat der land-

wirthschaftlihen Verwaltung fort.

Ueber den Beginn der Sißung is bereits in der

Nummer vom Sonnabend berichtet wor) en. Bei dem Titel

Dispositionsfonds zur Förderung des Molkereiwesens (310 000 6) weist

Abg. von Kröcher (cons.) darauf- hin, daß die Maul- und Klauenseuche der Landwirthschaft sehr erheblichen Nachtheil bringe. Unter den Folgen der Viehseuche leide der große Grundbesißer viel weniger als der kleine; der große Besitzer könne die Verluste leichter über- stehen, während beim fleinen Besißer die Einnahmen von der Milch u. st. w. einen sehr erheblichen Bruchtheil der gesammten Ein- nahmen ausmachten. “Seitdem die Einfuhr lebenden Viehes aus Oesterreich gestattet sei, also in den ersten drei Vierteljahren des Idhres 1892, seien 944 000 Stück Vieh von der Seuche er- griffen worden, was einen Schaden von 38—39 000 000 6 be- deute. Es herrsche eine große Unzufriedenheit unter den kleinen Land- wirthen, wozu die Maul- und Klauenseuche auch ihr Theil beigetragen habe, und die Seuche s{chöben die Landwirthe auf die Handelsverträge, weil die Thore aufgemaht worden seien für die fremde Einfuhr. Qtne Petition an den Reichskanzler, die von landwirthschaftlichen Mere im August abgegangen fei, habe bis jetzt noch keine Antwort CcTunden.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Die leßte Aeußerung des Herrù Vorredners, daß im August des vorigen Jahres eine Eingabe bezüßlih der Maul- und Klauenseuche an den Herrn Reichskanzler ergangen und nicht beantwortet sei, nöthigt mich zu einer allgemeinen Bemerkung. Ueber das Schicksal ieser speciellen Eingabe ist mir nicht bekannt, ob sie, wie ih ver- uthe, an mein Nefssort abgegeben oder im Neichskanzler-

amt verblieben ist. Aber es sind nicht bloß von diesem einen Verein, soudern von sehr zahlreichen Vereinen an mh {und an das Reichskanzleramt Eingaben gelangt; eine svecielle Beantwortung hat meinem sonstigen Brauch entgegen nicht in allen einzelnen Fällen stattgefunden, weil allseitig bekannt war, daß sich die verschiedenen Amtsstellen {hon mit der Behandlung dieser Frage seit längerer Zeit befassen. Den Vereinen konnte es bloß darauf ankommen, bei der weiteren Vorbereitung der Angelegen- heit, um der Maul- und Klauenseuche demnächst thatkräftiger entgegentreten zu können, ihre Vorschläge erwogen zu sehen. Dies ist gesehen. Also die Herren mögen entshuldigen, wenn sie in diefen speciellen Fällen keine Antwort bekommen haben, und i ditte den Herrn Vorredner, dahin zu wirten, daß daraus kein Grund zur Mißstimmung entnommen wird. Im übrigen bestätige ih, was der Herr Vorredner bezüglich der Verbreitung der Maul- und Klauenseuche bei uns gesagt hat, und trete feinen Ausführungen bei hinsihtlich des directen, wie des in- directen unserer Landwirthschaft erwachsenen Schadens. Jch differire von ihm nur in dem Punkte, wenn er meint, daß die jeßige außer- gewöhnliche Verbreitung der Maul- und Klauenseuche zurückzuführen sei auf den Jinport aus dem Auslande. Das Schwierige bei der Maul- und Klauenseuche ist ja, daß bis jeßt kein Mensch weiß, wo- durch diese Krankheit entsteht, und daß der Krankheits- ‘(rreger unbekannt Ul Dari liegt qud ie große Schwierigkeit, sie zu bekämpfen. Die Maul- und Klauenseuche it nit etwa bloß bei uns mit großer Vehemenz wieder aufgetreten. Die Einfuhr aus Amerika ist auf Fleisch von Schweinen, vorzugsweise Spe, beschränkt geblieben, Jch glaube, es i} kein ein- ges lebendiges Schwein von Amerika zu uns herübergekommen. Im Übrigen ist die Krankheit derart, daß sie während des ‘Transports von Amerika zu uns hätte zum Ausbruch kommen müssen. Zu der Zeit, von der der HVerr Vorrdner sprach, im September/Oktober 1891, war Vie Maul- und Klauenseuche im Abnehmen und wir hatten die Hoffnung, daß sie erlöshen würde. Statt dessen ist sie, abweichend von allen früheren Erfahrungen, mit erneuter und nie_dagewesener Heftigkeit ausgebrohen. Wenn sie früher auftrat, so verlief sie rash und man hatte längere Zeit Ruhe. Deshalb is ihr beim Erlaß des Bieh- seuhengeseßes au keine wefentliche Bedeutumg beigemessen. Jett hat sich ihr Charakter derart geändert, daß die Seuche seit mehreren Jahren ohne Ünterbrehung bei uns herrscht, und zwar seit dem März vorigen “Jahres in nie dagewesener Heftigkeit. Sie hat das ganze Land überzogen und erst seit 14 Monaten nimmt sie in den einzelnen Landestheilen ab. Nach den mir dieser Tage zu- gegangenen Nachrichten ist sie im Januar in stärkerem Maße zurüd- gegangen. Nichtsdestoweniger ist, wie der Herr Vorredner andeutet, die Negierung ents{chlossen, mit schärferen Maßregeln vorzugehen,

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ist zu hoffen, daß dieselben seitens des Reichstags bewilligt werden, und daß es mögli sein wird, die Seuche später in energischer Weise zu unterdrücken. Jn diesen Tagen hat in der franzöfischen Deputirten- kammer eine ganz ähnlihe Debatte stattgefunden. Dort hat inan dieselben Wahrnehmungen gemacht, wie bei uns. Im März vorigen Jahres trat die Seuche in einzelnen Departements des Nordens auf, wie man annimmt, infolge von Einfuhr. Fast gleichzeitig is sie aber aufgetreten in allen südlihen Departe- ments, in Algier, und die Seuche herrscht zur Zeit mehr dder weniger in allen Ländern unseres Continents. Bloß Landestheile mit der infularen Lage Englands sind in der Lage. \ich zu s{chütßen. In dieser Lage sind wir zu unserem Bedauern nicht.

Der Herr Vorredner hat weiter ausgeführt, mit der Eröffnung der Grenze gegen Oesterreich sei sofort wieder eine \tarke Vermehrung der Maul- und Klauenseuhe ein- getreten. Eine allgemeine Eröffnung der Grenze gegen Oester- reih Hat aber nicht vor Jahresfrist stattgefunden, sondern die früheren Bestimmungen haben bestanden bis zum 1. Februar d. J. Es ist damals für einzelne Schlachthäuser der Import von Schweinen in directen Wagenladungen zugelassen, und mir ist niht'bekannt geworden, daß durch die unter aller Vorsicht ausgeführten Schlachtungen in den Schlachthäusern, aus denen kein lebendes Vieh herauskommt, die Seuche weiter vershleppt worden sei. Es sind weitgehende Vorsihtsmaßregeln beobachtet worden und ih glaube, die Behauptung, daß durch die Schlachtviehimporte eine weitgehende Verbreitung "der Seuche statt- gefunden habe, entbehrt der Bestätigung. Ich erkenne mit dem Herrn Vorredner an, daß esim einzelnen Falle \{chwierig ist, den Beweis zu führen, daß eine Uebertragung dieser Seuche stattgefunden hat, weil eben die Art der Uebertragung dieser Séèuche unbekannt ist. Jch nehme die Gelegenheit wahr, hier einen Fall zur Sprache zu bringen, der in den östlihen Landestheilen die Interessen weiter Kreife in Anspru genommen hat. Einige Zeit nah der Ausstellung der Deutschen Landwirthschaftsgesellschaft in Königsberg, im Juni vorigen Jahres, brach in Ostpreußen die Maul- und Klauenseuche aus und dies wurde allgemein auf Thiere zurückgeführt, welche auf der landwirthschaftlichen Ausstellung ausgestellt gewesen waren. Seitens der Leiter der Ausstellung lag natürli das größte Juteresse vor, diefe Fälle klargestellt zu sehen, weil ihrerseits sämmtlihe Maß- regeln getroffen waren, um eine derartige Einschleppung von epidemischen Krankheiten zu verhüten.

(Es haben nun sehr eingehende Ermittelungen stattgefunden und folgendes Resultat ergeben. Es ift richtig, daß auf dreizehn Gütern, welche auf dieser Ausstellung Schafvieh hatten oder von einem Händler, der seinerseits hannövershes Schafvieh auf diese Ausstellung ge- schickt hatte, einzelne Thiere gekauft hatten, daß wie gesagt, auf dreizehn Gütern in der Zeit vom 2. bis 10. Juli die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist. Andererseits ift fest- gestellt, daß keins der importirten Schafe, erkrankt ist, noch daß diese Thiere überhaupt nahweisbar vorher frank gewesen sind. Man nimmt nun an, daß diese importirten Schafe früher mal an Maul- und Klauenseuche erkrankt gewesen seien und den Ansteckungs\tofff in der Wolle verborgen gehabt haben, und führt damit die Weiter- verbreitung dieser Krankheit in Ostpreußen auf die Ausftellung und den Import dieser Thiere zurück. Es gewinnt den Anschein, daß es kaum möglich ist, mit Absperrungsmaßregeln dieser Seuche Herr zu werden. Denn fo wie hier durch Schafvieh, ebenso leicht ift es mögli, daß durch Menschen der Ansteckungsstoff nach Wochen über- tragen wird. Kein Mensch kann es den Thieren nah Wochen an- schen, ob sie noch Träger der Ansteckung sind und jeder Verkebr würde aufhören müssen. Jch halte es aber noh heute für ebenso gut mög- lich, daß einzelne Leute auf der Ausstellung diese gesund dorthin ge- kommenen Thiere angefaßt haben und fo der AnsteckEungs\toff von anderer, ganz unbekannter Seite auf sie übertragen worden ist.

Am wunderbarsten ist die Thatsache, daß an einzelnen Stellen erst nah fo langer Zeit die Krankheit ausgebrochen ist, während s\onst allgemein angenommen wird, daß die Incubationsdauer der Krankheit sich auf 3 bis 7 Tage erstreckt. Dieser ganze Borfall i} eiu Beweis dafür, daß die Natur dieser Krankheit noch sehr wenig gekannt ist, und daß ‘es deshalb schr {wer ist, ihr entgegenzutreten und sie zu bekämrtfen.

Ich glaubte, diesen ostpreußishen Fall anführen zu sollen, weil derselbe seiner Zeit vielfahe Beachtung fand und weil für die deutshe Landwirthschaftsgesellshaft ein Interesse besteht, die Sach- lage fklargestellt zu sehen, sowie, daß zur Vermeidung dieses Seuchen- ausbruhs nihts versehen ift.

Ich wiederhole: die Verluste, welche die Landwirthschaft in großem Umfange getroffen haben, sind auf's höchste bedauerlich, sie sind entstanden, obwohl die Behörden in der Handhabung der be- stehenden Bestimmungen Energie nicht haben vermissen lassen, und ih fanun nur hoffen, daß es mögli sein wird, wenn die von uns für

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nöthig gehaltenen Verschärfungen des Gefeßes im Reichstag bewilligt werden, bei späteren Epidemien die Seuche leihter zu unterdrücken und auf den einzelnen Heerd zu beschränken, als bisher.

Der Titel wird bewilligt.

(L S o Loe in Landes- meliorations- und elhbauangele(c iten fi 323 000 J ausgeseßt. O V0 Weber-Genthin (nl.) bittet die Negierung , aus diesem Fonds noch in diesem Frühjahre die Vorarbeiten herstellen zu laffen, welche nothwendig sind, um eine Verlegung der Havelmündung herbei- zuführen, damit die durch den Nükskau des Elbewassers in die Vavel entstehenden Uebershwemmungen vermieden werden.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Die Bedeutung der Schäden, welche die Havelniederung und überhaupt die ganzen Districle, welhe von den Stauwerken der Havel beherrsht werden, gehabt haben, ist bekannt und Veranlassung gewesen, das alte Project, von dem der Herr Vorredner gesprochen hat, wieder in ernstere Erwägung zu nehmen. Mir ist der Antrag, die Angelegenheit zu fördern, zugegangen. Es dreht sich zur Zeit noch nit um ein fertiges, sondern erst um ein generelles Project, welches noch nit die Grundlage für weitere Verhandlungen werden kann. Die zur Erreichung des End- ziels jeßt vorgeschlagene neue Jdee bedarf einer Prüfung und Würdigung ob sie überhaupt ausführbar ist. Zu diesem Zweck sind die Vorschläge an dic berufenen Bezirksinstanzen gegangen, und mik liegt die Ant- wort noch nicht vor. Wie ich aber den Bearbeiter des Projects aus seiner früheren Thätigkeit bei der Ausführung des Oder-Spree-Kanals kenne, bin ih nit zweifelhaft, daß die von ihm vorgeschlagene Löfung der Frage wahrscheinli ausführbar sein wird. Jnfofern seinen Ge-

dazu bedarf sie aber weitergehender Ermächtigungen. Es

ein wenigstens mäßiges Aequivalent für die Staatskasse.

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Ausarbeitung eines spectellen Projects erforderlichen Kosten aus dex mir zur Verfügung \tehenden Fonds zu bewilligen.

Bei den Ausgaben für Ausführungen des Geseges über die SIA M aldusgon beklagt A E Abg. Knebel (nl.) die Handhabung des Geseßes gegenüber den Gemeinden, deren Waldungen zu \chnell abgeholzt würden. , Ober-Landforstmeister Donner weist darauf hin, daß die Bezirks- regierungen darin Abhilfe schaffen könnten. Zur Förderung genossenshaftliher und com=- munalex Flußregulirungen sind 500 000 M angeseßt. Abg. Kletshke (nl.) empfiehlt eine Verstärkung des Fonds, da die Anträge auf Bewilligungen aus- demselben schon jeßt 24 Mil- lionea Mark betragen. Mindestens bittet er den 9 inister, die An- trâge aus Schlesien zu berüdsihtigen; aus dem Bezirk Breslau liegen Anträge auf 650 000 M vor, namentlich zur Regulirung der Weistritz, des Striegauer Wassers und des Shwarzwassers. 1 Aba, Friederihs “(Lineburs) -(nl.) empfiehlt eine \chnellere Förderung folher Flußregulirungen; wenn die Schiffahrt mit in örage fomme, dann flössen die Mittel des Staats, ‘aber die Land- wirthschaft solle si{ch immer allein helfen.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Die Unzulänglichkeit der der landwirthschaftlihen Verwaltung zu Flußregulirungszwecken zur Verfügung gestellten Mittel ist sowohl von mir, wie au vom hohen Hause wiederholt anerkannt. Es war mein Wunsch, in diesem Jahre speciell für die {{lesishen Flüsse cine größere Summe in den Etat eingestellt zu sehen. Es ist dies an der Finanz- lage gescheitert. Jn einzelnen Fällen wird es möglich sein, die Aus- führung der Meliorationen aus diesem Fonds zu fördern troß feiner Beschränktheit; aber im großen und ganzen ist die Förderung der Flußregulirungen au in diesem Jahr niht fo mögli, wie es in meinen Wünschen liegt und wie dies im Interesse der betreffenden Landestheile erforderlich ist.

__Abg. Graf zu Limburg-Stirum (conf.) empfiehlt besonders die Berücksichtigung der s{lesis{chen Flüsse, d redi ‘lästig v so- daß man fie wohl nicht als \chöne Niren, sondern eher als häß- liche Kobolde versinnbildlihen würde. Auch bei s{lechter Finanz- lage sollte man für folhe Meliorationen Geld haben.

Geheimer Regierungs-Rath Freiherr v on Seherr- Th erklärt, daß für den oberen Lauf des Striegauer Wassers ein Drittel der Kosten aus dem Nothstandsfonds bereit gestellt sei; für den unteren Theil, im Kreise Neumarkt, sei ein Project noch nicht aufgestellt ; wenn es aufgestellt und eine Genossenschaft gebildet sein werde, werde auch eine Beihilfe gewährt werden.

Unter den allgemeinen Ausgaben befindet sih ein Titel von 68 000 M zur Förderung des Obst- und Wein- b aues.

Ub. Nr. Seelig (dfr.) befürwortet Erhöhung des Fonds ux Förderung des Wein- und Obstbaues. E Vei den Aus gaben zu landwirthshaftlih-polizei-

lihen 2wecken bringt Abg; Milte bel (nl.) verschiedene Uebelstände im Nebenhandel zur Sprache, dur die die Verbreitung der Neblaus begünstigt werde. So könne er einen Nebenhändler nennen, der je nach Bedarf die Ursprungsfcheine an den vershiedenen Reben mittels Bindfaden be- festige. Dadurch werde der Zweck der Ursprungsscheine völlig vereitelt. Nameutlich die Ml laegens sei der Reblausgefahr \tark ausgeseßt, [odaß \chließlich nichts übrig bleiben werde, als den Winzern an der Mosel aufzugeben, ihre Reben felbst zu ziehen. __ Geheimer Regierungs-Rath Dr. Wen zel erwidert, daß die Regierung derartige Unternehmungen gern begünstige. Mißbräuche beim Rebenhandel müßten an der zuständigen Stelle zur Anzeigee ge- bracht werden. i j

Bei den einmaligen und außerordentlichen Aus- gabén beflagt Abg. Kitebel (nl.), daß die für Förderung der Landwirthschaft in der Eifelgegend ausgeworfene Summe au für den Hunsrück und den Westerwald ausgeworfen fei.

Abg. B roekmann (Centr.) spriht seinen Dank für die Förde- rung der Landwirthschaft in der Eifelgegend aus und verbindet damit die Hoffuung, daß der Posten nicht, wie geplant, im nächsten Jahre wieder aus dem Etat verschwinden werde. A

f Abg. Dr. Dünkelberg (nl.): Auf die Landwirthschaft könnte mebr Nücksicht bei den Kanalbauten genommen werden, leider stände allerdings bei diesen Bauten dasLandwirthschafts-Ministerium nicht allein da, sondern bestimme in Verbindung mit dem Ministerium für öffentliche Arbeiten. Den Wunsch müsse er dem Landwirthschafts, Ministerium aub an dieser Stelle wiederholen, die Verbreitung culturtechnischer Kenntniffe zum Besten der Landwirthschaft zu fördern. Deshalb wünsche er au, der Minister möge die Aufhebung des culturtedmisGen Examens rüdgängig hen, / f

«bg. Vrawe (freis.) \spriht seine Freude über die Entsendung landwirthschaftlicher Commifsarien zur Weltausstellung R Chirans aus und wünscht, daß mögli nur praktisch bewährte Landwirthe zu Commisjarien erwählt würden. iermit 1st der Etat der Verwaltung erledigt.

i [oro ‘der Len An bieechen Steuern. 99. BuUmann (Gentr.) tadelt- es, daß man bei Contrabirun von Schulden Stempelsteuer erhebe. Ohne Credit fönne ina Zeit kein Landwirth bestehen, der Credit werde aber durch die Geabini k 9 ulepe un Sinne der ausgleichenden ereœugieil legen, wenn bei Gontrabirung von S@Wuldon foiys Ger (erbazen Pre: I E P _ Abg. Nohde- Wachsdorf (cons.) führt Klage darüber, daß i Wittenberg das Brückeugeld noch nit Ges babe sei. Er bitte bei Aufstellung des nächsten Etats um Wegschaffung des Brückengeldes. Ao DK Meyer- Berlin (freis.) bemängelt die Höbe der Ge- bühren, welche die Kahnschiffer zu zahlen hätten. Namentlich auf den märkishen Wasserstraßen wären die Kanalgefälle, wie in einer an R gelangten Beschwerde von Kanalschiffern hervorgehoben werde, ohe.

landwirthschaftlichen

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Die Erhöhung der Gebühren für die Benußung der märkishen Wasserstraßen beruht auf einem thatsächlichen Einver- nehmen zwischen der Staatsregierung und dem Landtage, welches bef Bewilligung des Credits von 5 227.000 4 mittels Gesetzes vom 12. März 1879 wegen des Ausbaues der verschiedenen märkischen Wasserstraßen hergestellt ist. Das Staats-Ministerium wurde damals mittels einer Königlichen Ordre ermächtigt, diesen Credit anzufordern unter der Vorausfeßung, daß - demnächst eine diesen neuen Aufwendungen entsprehende Erhöhung der Kanal- gebühren stattfände. Jn den Motiven ist dies in dem fraglichen Gesetz auch ausgedrückt, und in dem Bericht der Budgetcommission hat man sich dazu zustimmend verhalten. Das entspricht auch allgemein der Auffassung der Staatsregierung von der Berechtigung derartiger Ge- bühren für die Benußung der Wasserstraßen. Jh habe bei einer anderen Gelegenheit hier {on ausgesprochen, daß es unmögli ist, den nothwendigen Ausbau unserer Wasserstraßen, die Herstellung neuer Kanäle, die Vertiefung und Verbreiterung der Flüsse und die Einrichtung eines angemesscuen Schleusensvstems vorzunehmen obne (Sehr richtig k rets.) die Vertiefung und Verbreiterung der

Meine Herren,

danken im Princip beigetreten wird, werde ih bereit sein, die zur

Flüsse nehmen die Schiffer immer febr gerne bin; wenn dann aber