1893 / 41 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

andeln. Sehr MeEeevlrdag ist es, daß gerade die conservative Partei

3 Verstein und Verknöherung vorwirft, während sie mit

irtigen Vorséhlägen kommt! Diese Vorschläge find dem ganzen aratter, den ganzen Meltrebungen der Zeit fo zuwider, daß i

t begreife, wie man auf dergleichen kommt! Das Streben nah

y ist der Uge Pn auch der focialistishen Be-

bg. Dr. Buhl hat am Schluß seiner sehr agrarischen

die Freizügigkeit hohgehalten. Es handelt ih hier um

__ein Grundreht des Pettiien Volks. Der Abg. Freiherr von Man-

teuffel hat ieg einmal im Herrenhause die Freizügigkeit als

nationalen Gößen bezeihnet. Es handelt sich aber um ein Grund-

redit des Neichs, für welches wir stets mit der größten Entschieden- heit eintreten werden, und der Erfolg wird uns dabei nit fehlen.

M Graf Mirbach (deans.): Die Petition, welche zu der ebunguahme der sächsishen Regierung bezüglih des Frei- ügi Ie führte, ist nur der Ausdruck der Stimmung im ganzen sädfischen ande. Wenn die Landwirthschaft s{hwer um ihre Eristenz ringen-muß, fo ist jede, auch noch fo minimale Einwirkung auf die Preise verhängnißvoll. Die heutige Misère is nicht in erster Linie eine Folge des österreichishen Handelsvertrages. Das gebe ih zu. Unsere Minister haben aber die Aufgabe, sih zu bemühen und darauf zu sinnen, Nothlagen dieser Art von uns abzuwenden. Ich weise die Theorie zurück, als würden irgendwie innerhalb der Machtsphäre des Deutschen Reichs irgendwem zu Gunsten der Landwirthschaft Opfer auferlegt. Das System der landwirthschaftlihen Schußzölle ist noch nicht genügend ausgebildet; ih erinnere nur an die Wolle. Das ift kein Vorwurf gegen den jeßigen, sondern gegen den vorigen Reichskanzler. Andererseits haben wir eine \{chwere Doppel- besteuerung der Landwirthschaft, eine Prägravation durch die e petgelehgebund gegenüber dem mobilen Kapital, auch eine \{chwere Üeberlastung durch die Alters- und Invaliditätsversicherung, die allein höher als die Grundsteuer i. Eine ganz anor- male Stellung nimmt die Landwirthschaft ein in Bezug auf die ns dadurch, n man sie in die Formen des römischen Nechts Wengegvängt hat. enn wir Sie A ardem, mit uns an einer Nückbildung unserer Schulden mitzuarbeitgn, dann versagen Sie sih uns; aber nur dann ist der Grundbesiß in der Lage, die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen, und wer ein Herz für die arbeitenden Klassen hat, wird unsere Forderungen ernsthaft zu über- legen haben. Wenn die Landwirthe . sih jeßt rühren, um cine e Berücksichtigung ihrer Interessen zu erreichen, so ist diese Vewegung berechtigt; sie muß nur in die rihtigen Bahnen geleitet werden. Wenn jeßt eik Staatsmann in diefer Richtung Zusagen machte, dann würde dic Unzufriedenheit schwinden. Wir verlangen ein größeres Maß von Wohlwollen und Fürsorge, als bisher hervor- getreten ist. Was die Aenderung des A g a MgeleBes be- trifft, so sind wir im Osten darüber einig, daß eine Hera seßung des Alters zur Erwerbung des Unterstüßungswohnsißzes erzielt werden muß. Die Freizügigkeit wollen wir niht gänzlih aufheben, aber eine Beschränkung liegt auch im Interesse der Arbeiter. Gegenwärtig überwiegt der Schaden den Nutzen. Wir haben jeßt niedrige Preise; - die Handelsverträge sind gemacht, und troßdem haben wir eine wirth- a Depression, so groß wie nie zuvor. Das liberale Recept ür die allgemeine Glückseligkeit ist also auch nicht das rihtige. Bei der Frage des Identitätsnahweises handelt es sih für mich nur um die Preisbildung. Schon Herr von Scholz hatte uns erklärt, daß eine Gefahr für die Finanzen in der Aufhebung nicht läge; aber die verbündeten Regierungen wollten sich darauf nicht einl#sen. Die Aufhebung würde ergeben eine annähernde Ausgleihung der Ge- treidepreise im ganzen Deutschen Reih. Sie könnte den Westen und Süden nicht s{hädigen, würde aber dem Osten ganz erheblich nüßen. An Rußland will ich aber um keinen Preis eine Con- cession machen, weil wir hier nicht an einzelne Landestheile, sondern an die Lage der ganzen deutschen Landwirthschaft denken müssen. Aufhebung des Identitätsnahweises oder andere Gestaltung des Tarifs müssen Sie dem Osten bewilligen, um ihm zu helfen. Den Werth eines autonomen Zolltarifs hat der Staatssecretär Freiherr von Marschall gestern anerkannt. Ih hoffe, daß man von unseren autonomen Zöllen als Kampfzöllen geeignetenfalls recht ausgiebigen Gebrauch macht. Die Silberentwerthung als Mitursache des Nückganges der De der landwirthschaftlihen Producte hat der Staatssecretär A err von Marschall ebenfalls anexkannt (Widerspruch links); ja, der

bg. Dr. Barth leugnet das natürlich, er hat bn ganz vergessen, daß mit dem Steigen des Silberpreises ein Steigen der Getreidepreise in Indien durh die ganze Börsen- und , freisinnige Presse voriges Jahr gemeldet wurde. Der Abg. Dr. Barth verwirft die ganze Schußzollpolitik als „thöriht“. Er hat dabei übrigens kaum etwas Anderes gesagt, als was auch in dem Wahlaufruf der Freisinuigen für Arnswalde - Friedeberg über die Werthshäßung der Landwirth- schaft gesagt war.

Staatssecretär Freiherr von Marschall:

Meine Herren! Auf die deutsh-russishen zollpolitishen Be- sprehungen gehe ih heute niht mehr ein, ich will nur, um eine von dem Herrn Abg. Dr. Buhl ausgesprochene Befürchtung zu beseitigen, nohmals erklären, daß bei diesen Besprehungen unsererseits als deutshe Concession nur unser Conventionaltarif und nichts anderes in Frage steht. In Frage steht also insbesondere keine Seuchen- convention.

Den Wunsch des Herrn Abg. Dr. Buhl, daß vor Abschluß von Handelsverträgen die Interessenten gehört werden möchten, halte ich für einen durchaus berechtigten. Wir haben ja auch bei den Ver- handlungen mit Rumänien, Spanien, Rußland die Interessenten ge- hört; ih bitte nur die Schwierigkeit der Auswahl der zu hörenden Interessenten nicht zu untershäßen und dann das Resultat dieser An- hörung nit zu überschäßen. Wir haben speciell vor Abschluß des deutsch - österreihischen Handelsvertrages in Unseren Konsular- berihten in all den Eingaben, die an die verschiedenen preußischen

Ministerien gekommen sind, und in dem Gutachten der Bundesstaaten

, * ein so reichaltiges Material gehabt zur Beurtheilung aller ein-

\hlägigen Fragen, daß keine Behauptung unbegründeter sein kann, als daß bei Abschluß des deutsh-österreihishen Handelsvertrages der grüne Tisch die entscheidende Rolle gespielt habe. Es kommt doch niht nur darauf an, die Interessen zu hören, die Hauptsache ist, das, was man gehört hat, zu vexarbeiten, zu prüfen und zu sihten und die wider- \strebenden Interessen unter einander auszugleichen.

Ich wende mich nun zu dem Herrn Abg. Grafen von Mirbach, der sih mit meinen gestrigen Ausführungen beschäftigt hat. Auf die Frage des Identitätsnahweises gehe ih nit ein, ih danke für die Belehrung, die er mir ertheilte; ich muß troÿdem die Behauptung aufrecht erhalten, die ih gestern aufgestellt habe. Es liegt ein Wider- spruch darin, wenn man einerseits eine Herabseßung des Zolles gegen Rußland von 5 auf 350 Æ für den Ruin der Land- wirthschaft erklärt, und auf der anderen Seite eine Maßregel be- fürwortet, welhe doch zweifellos dazu bestimmt ist, die Einfuhr von russishem Getreide zu erleihtern. Ich wollte den Herrn Abg. Grafen von Mirbach insbesondere auch gegen den Vorwurf in Schuß nehmen, der in dem bekannten Pronunciamiento aus Unterfranken enthalten ist, daß nämlich der Austausch von russishem Getreide mit deutschem Gelde ecigentlih ein vaterlandsloses Beginnen sei, und er wird mir zugeben, daß die Aufhebung des Identitätsnahweises doch den Zweck hat, eine solhe vaterlandslose Tranéaction doch einigermaßen zu be- fördern. : Im übrigen befinde ich mich bei der Vertheidizung der bereits abgeschlossenen Tarifverträge insofern in einer etwas s{chwierigen Lage,

*

als ersihtlih der Eifer, diese Verträge ciner scharfen Kritik zu unter-" ziehen, heute wesentlich abgenommen hat. Da ih weiß, daß heute eine große Schlaht im preußischen Abgeordnetenhause geshlagen wird darüber, ob und in welher Weise ungünstige Erfahrungen mit diesen Handelsverträgen gemacht worden sind, so habe ih mich auf die - Debatte mit einem ziemlich umfangreihen Zahlenmaterial versehen. Jch habe aber“ heute nur die allgemeine Behauptung wiederholen hören, daß diese Tarifverträge niht nur der Land- wirthschaft, sondern auch der Industrie zum Schaden beziehungsweise nicht zum Vortheile gereihen (hört! hört! links), und wenn ih dann frage, worauf denn die Behauptung bezüglich der Industrie beruht, - fo wird mir heute wie gestern geantwortet: Ja, der Herr Vopelius, der weiß das. (Heiterkeit.) Jh habe dann die Rede des Herrn Vopelius nahgelesen und muß zu meinem Bedauern gestehen, daß ih in der Rede des Herrn Vopelius vom Donnerstag auch nicht ein Wort ge- funden habe, welches cine sachliche Kritik derHandelsverträge enthielt. (Sehr wahr!) Ja, meine Herren, ih bin angesichts der geringen Sachlichkeit, mit der die Angriffe gegen die abgeschlossenen Tarifverträge bis jeßt geführt worden sind, versucht, wie man zu sagen pflegt, den Spieß umzudrehen und einmal zu fragen: was is denn aus allen diesen düsteren Prophezeiungen geworden, die man an den Abschluß der Handelsverträge seinerzeit bei der Berathung hier im Hause geknüpft hat? Warum wird eigentlich gar nicht mehr von dem italienischen Wein gesprochen? Es müßte doch für den Herrn Abg. Grafen von Kaniß oder für den Herrn Vorredner eine gewisse Genugthuung sein, einen lebendigen deutschen Weinbauern hier anzuführen, der infolge des vermehrten Imports von italienischen Trauben oder Wein ich will nit sagen ruinirt, aber ‘doch {wer geschädigt warden ist. Ein solcher Weinbauer existirt nicht. Es hat der Import des italie- nischen Weins und der ikalienishen Trauben, soweit ih unterrichtet bin, nirgends Schaden, wohl aber in weiten Gebieten, in weiten weinbauenden Bezirken durch die Hebung des Weinpreises genau den Vortheil erzeugt, den die verbündeten Regierungen davon erwarteten. (Sehr richtig! lifiks.)

Sodann, meine Herren, wundere ih mi darüber, daß man gar niht mehr von dem Vertrage mit der Schweiz spriht. Der Vertrag mit der Schweiz war ja der am meisten angegriffene, und ih erinnere mich noch sehr wohl, daß der Herr Abg. Graf von Kaniß damals von dem Popanz des neuen {chweizerishen Zolltarifs geredet und seine Verwunderung darüber ausgesprochen hat, daß die deutshe Regierung sih dadurch imponiren ließ. Warum man heute davon nicht mehr spricht, das rührt daher, daß nach den gemachten Erfahrungen die verbündeten Regierungen Recht gehabt, den Vertrag abzuschließen, und die Gegner des Vertrags im Unrecht waren. Wenn wir den Spuren des Herrn Abg. Grafen Kaniß gefolgt wären, so hätten wir heute den allershönsten Zollkrieg mit der Schweiz, und da, wo wir jeßt im Schweizerlande unsere Absatgebiete für hunderte von Millionen haben, würden andere sich niedergelassen haben. Dank dem deutsh- shweizer Handelsvertrage haben jeßt andere einen Zollkrieg mit der Schweiz (sehr richtig! links) und wir die beste Gelegenheit, unser Ab- saßzgebiet zu erweitern. (Sehr richtig! links.)

Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Dr. Buhl gesagt, daß in der Detailarbeit bei dem deutsch - österreih - ungarishen Vertrage manches übersehen worden sei. Ich habe mir aus den Verhand- lungen damals besonders zwei Details gemerkt. Das war einmal die Besorgniß, daß unsere Glasindustrie Noth leiden könne, und ferner die Papierindustrie; ih erinnere mi, daß der Abg. von Kardorff mit aller Bestimmtheit sagte: „Aus dem deutsh-österreichischen Tarifvertrag werde mit absoluter Sicherheit der Ruin der Papierindustrie folgen." Nun habe ich die Statistik vom Jahre 1892 verglihen mit der von 1891, und daraus ergiebt sh, daß unsere deutsche Papierindustrie im Jahre 1892 eine Einfuhr von 10 Millionen Mark hatte, das is ungefähr 2 Millionen mehr als im vorhergehenden Jahre, und cine Ausfuhr im Werthe von 93 Millionen Mark, das find 3 Millionen Mark mehr als im Vorjahre. Mit dem vollkommenen Ruin hat es also noch seine guten Wege. Ganz ähnlich verhält \sich die Sache mit der Glasindustrie. Wenn alfo bezüglich der Erfahrungen auf industriellem Gebiet niht mehr vorgebraht wird, als bis jeßt, so glaube ih sagen zu können, die Erfahrungen auf industriellem (Gebiet, die wir gemacht haben, sind im wesentlihen gute und günstige, sie entsprechen den Erwartungen der verbündeten Regierungen, der Majorität des Neichs- tags, und sie machen die düsteren Prophezeiungen zu schanden, die seitens der Gegner hier ausgesprohen waren.

Ich komme mit einigen Worten noch auf die Frage der Land- wirthschaft. Der geehrte Herr Vorredner hat ja das ganze Gebiet der landwirthschaftlihen Gesetzgebung und noch einiges andere in das Gebiet seiner Erörterungen hereingezogen. Er sprach von der Doppel- besteuerung, er sprach von dem Pflichttheilsrechßt, von dem Wollzoll, von der Alters- und Invaliditätsgeseßgebung und von der Stempel- pflicht u. s. w. Er wird mir verzeihen, wenn ich mich über diese Gegenstände, die mir mehr oder minder fern liegen, nit äußere, sondern auf die Behauptung zurückomme, daß die neuesten Handelsverträge der deutshen Landwirthschaft wesentlihe Opfen auferlegen. Ich bestreite das. Wenn Sie- die jeßigen niedrigen Preise in Verbindung bringen wollen mit den Tarifverträgen, dann müssen Sie behaupten, daß die jeßigen Preise um 15 # oder um einen Bruch- theil dieser Steuer höher sein würden, wenn jene Tarifverträge nicht abgeschlossen worden wären, und das können Sie nicht behaupten, weil Sie wissen, daß die jeßige niedrige Preisconjunctur in erster Reihe hervorgerufen worden is durch die außerordentlih günstige Welternte des Vorjahres. Wenn Sie aber klagen über die Opfer der Landwirthschaft infolge der Herabsetzung des Zolles von 5 A auf 3,50 M, so müßten Sie logischerweise einen Zoll verlangen in der Höhe, daß er auch bei solchen Preisconjuncturen, wie die gegenwärtigen, im stande ift, den Getreidepreis auf der Höhe zu erhalten, die Sie als das Minimum erachten, wenn die Landwirthschaft gedeihen sol. Dann kämen Sie zu einem Zoll, von dem ih Ihnen voraussage : Ein solcher Zoll würde nicht zwei Jahre bestehen, er würde niht erst bei Eintritt einer Mißernte, sondern jeder steigenden Preisconjunctur zum Opfer fallen. Der geehrte Herr Vorredner hat vor vielen Jahren, als ih noch die Ehre hatte mit ihm im Reichstag zu siven, einmal ein sehr {chönes Zollprogramm entworfen. Er sagte :

Wir halten eine einseitige Schutzollpolitik für unrichtig; wir stehen auf dem Standpunkt, daß eine Schußzollpolitik, die nur einen Theil unserer Production in Schuß: nimmt, ungerechtfertigt ist, weil sie eben nici gerecht ist.

s

richtig“ sagt; denn ih hatte s{chon die Befürchtung aus seiner Rede entnehmen zu müssen geglaubt, daß seine Abneigung gegen eine ein- seitige Schußzollpolitik niht mehr in dem Maß vorhanden ist wie damals. Ja, wenn Sie am Zoll von 5 festhalten und infolge dessen die Tarifverträge nit abgeshlossen worden wären denn ohne ein Herabgehen im Gefreidezoll war an Tarifverträge überhaupt nit zu denken —, dann bestände nah den Erfahrungen von 1891 die Gefahr; daß der Getreidezoll der Mißernte eines einzigen Jahres zum Opfer fallen würde. Die Speculation erhielte einen neuen Factor, um auf die “Preise zu wirken; die Speculation, die jeßt mit Wind und Wetter, mit Regen und Sonnenschein rechnet, würde die Etistenz des Zolles selbst zum Gegenstand ihrer Berechnungen gemacht haben. Und an die Stelle des stabilen Zolles, wie Sie ihn jeßt haben, träte ein Zoll, der den Gegenstand fortwährender Agitation bildet. Und ein weiterer Punkt fällt chwer in die Waagschale! Wenn durch Aufrechterhaltung eines Zolles von 5 H die Tarifverträge vereitelt worden wären, wenn dann unser Export nothwendig geschädigt worden, so würden Sie den Getreidezoll- belasten mit dem ganzen Odium der arbeitenden Bevölkerung, die si ch bis jeßt vom Export ernährt, und ih meine, eine Zollpolitik, die der Landwirthschaft zu gute kommen soll, muß doch in erster Neihe darauf gerichtet sein, nicht Gegensäße zu erweitern, sondern be- stehende Gegensäße zu mildern und auszugleichen. Auch von diesem Gesichtspunkte, glaube ih, wäre es ein Schaden für die Landwirth- schaft gewesen, wenn man an dem Zoll von 5 festgehalten und da- mit den Abs{chluß der Tarifverträge hintertrieben hätte.

Ich resümire mich dahin: In dieser Debatte von drei Tagen habe ih auf mancher Seite einen sehr guten Willen gesehen, unsere Tarif- verträge einer scharfen Kritik zu unterziehen, ih habe aber nicht finden können, daß fachliche Argumente in einem Maße vorgebraht worden simd, daß die These, die ih neulich aufgestellt habe und die ih jedes- mal wiederholen werde, irgendwie erschüttert is : Unsere Tarife sind ein nothwendiges und ein nüßlihes Werk gewesen, und auch die Landwirthschaft wird auf die Dauer keinen Schaden haben. (Bravo! links.)

Reichskanzler Graf von Caprivi:

Im Anschluß an das, was der Herr Staatssecretär gesagt hat halte ih mich persönlich für verpflichtet, hier noch einmal für die- jenigen Beamten einzutreten, welche die Verträge mit den anderen Staaten abgeschlossen haben. Es hat an Verdächtigungen gegen diese Beamten nicht gefehlt, und ih halte es für eine Pflicht und füx eine der s{hönsten Pflichten des Vorgeseßten, für die Beamten eintreten zu können, die“ in folher Weise ihre Schuldigkeit gethan haben, wie das hier der Fall gewesen ist. Nur ungern ziehe ich Ereignisse und Worte, die in dem Landtag eines Einzelstaats gefallen sind, hier in den Kreis meiner - Betrachtungen. Eine Aeußerung aber, die am 9. Februar im preußischen Abgeordnetenhause gefallen ist, nöthigt mich, dies zu thun.

Es. ist da gesagt worden :

Meine Herren, es is mir nun aus österreichischer Quelle bekannt geworden, daß der Vertreter des ‘preußischen Handels- Ministeriums bei den Verhandlungen in Wien alles aufgeboten hat, um die einmal von der deutshen Regierung beschlossene Herab- minderung der landwirthschaftlichen Zölle auf industriellem Gebiet auszugleichen, also zum Vortheil der Industrie. Aber, meine Herren, der Vertreter des preußischen Handels-Ministeriums fand bei seinen Herren Concommissarien nicht die geringste Unter- stüßung.

Diese niht zu qualificirende Insinuation (sehr richtig! links) richtet sih gegen einen Beamten, und ih nehme keinen Anstand, den- selben hier öffentlih zu nennen, um ihm ein ehrendes Zeugniß aus- zustellen, gegen den Geheimen Rath Huber, der seit dem Jahre 1871 von meinem Herrn Vorgänger und von mir immer verwandt worden ist, Handelsverträge abzuschließen. Es ift kein einziger Handels- vertrag abgeschlossen worden, bei dem der Herr niht mitgewirkt hat und bei dem er sich nicht die Zufriedenheit seiner Vorgeseßten erworben hätte.

Es ist garnicht mögli, wie die Dinge liegen, daß ein oder einige Beamte einen solchen .Einfluß gewinnen können ; sie sind mit einer festen Marschroute von hier abgegangen, sie haben eine be-

stimmte Instruction gehabt, sie haben in allen Zweifelsfällen hier

angefragt, ich glaube viermal is der Geheime Rath Huber von Wien hierher gekommen, um, wenn der schriftliche Weg nicht genügte, sih mündlich neue Instructionen zu holen, und da scheut man sich nun nicht, den Beamten zu verdächtigen! Jch habe hon einmal gesagt: Bitte, greifen Sie mih doch an, wenn Sie etwas gegen die Handelsverträge haben, aber greifen Sie meine Beamten niht an! Wohin führt es, wenn die Beamten angegriffen werden? Wo soll die Disciplin bei den Beamten bleiben, wenn die Angriffe wirklich eine Wirkung ausübten? Da würden die Beamten in Versuchung sein, künftig mehr dem Eindruck der öffent- lihen Meinung nachzugeben, als auf ihre Vorgeseßten zu hören. Das Selbstgefühl, die Lust und Liebe der Beamten muß leiden, wenn si dergleichen wiederholt.

Ich muß äber auch neben dem Beamten Huber den Beamten des preußischen Handels - Ministeriums in Schuß nehmen, der hier verdächtigt wird ; denn nur der könnte die Aeußerung gethan haben, die hier Gegenstand des Angriffs geworden, ist. Es ist aber ganz un- mögli, daß ein preußischer Beamter die Collegialität, seine Pflicht soweit vergessen haben sollte, solche Aeußerungen zu thun. Jch weise also auch im Namen dieses Beamten den indirecten Angriff auf das

enitschiedenste zurück. (Bravo!) a

bg. Schul e- Königsberg (Soc,): Es wird hier immerfor von Le M bltande der großen und kleinen Besizer gesprochen, aber fein Wort hört man von dem Nothstande der ländlichen Arbeiter in den östlichen S e vi der traurigen Frucht Jahrhunderte langer Mißwirthschaft in diesen noch heute halb al, Bezirken. Aus diesem Zustande is für den ländlihen Arbeiter des Ostens nur ein Entrinnen möglih, und zwar durch die Frei- zügigkeit, und diese will man je t den armen Leuten au noch nehmen. Im Durchschnitt sind die ländlichen Arbeiterfamilien im Osten, nament- lich in Ostpreußen, so gestellt, daß eine Familie nah Abzug der Kosten für die Scharwerke den Betrag von 288 #4 jährlich übrig behält! Davon soll sie leben! Redner giebt eine ausführlide urenung der Einkommensverhältnisse der ländlichen Arbeiter un *bestreitgt gegenüber dem Abg. Dr. Buhl, taß die ländlichen Arbeiter dur die Bergnlügungssucht in die Städte geführt werden. In fi preußen gebe es keine entwickelte Industrie, und es seien in den 0 î preußishen Städten der Gelegenheiten zu Vergnügungen fugen

(Zuruf.) Ich freue mi, daß der geehrte Herr Vorredner „sehr

wenige; die Möglichkeit für die Arbeiter, noch Feste zu feiern, werde

\{chon durch die e der Behörden beseitigt. Jedes Local, welchés Arbeiterversammlungen aufnehme, werde von“ allen Behörden, in erster Linie von der Militärbehörde, boykottirt; aber nit bloß die Lohnverhältnisse, sondern au die Wohnungsverhältnisse und die Behandlung drängen die ländlichen Arbeiter aus ihrer Heimath fort. Unglauëéliche bra von Mißhandlungen der Grundherren gegen die ländlichen Arbeiter und Arbeiterinnen werden mir berihtet. Der Abg. Graf Kaniß ist ärgerlih darüber, daß in den Vororten der großen Städte Arbeiterviertel und erve Miethskasernen entstehen, und meint, daß der billige Vororttarif daran \{uld sei. Diese Verhältnisse geben aber doch gerade den Großgrundbesißern keine Veranlassung zur Klage, weil auf dem Lande „die Wohnungsverhältnisse noch viel schlechter sind. Man weist hier immer darauf hin, daß die Land- wirthschaft keine hoben Löhne zahlen kann. Aber is es nicht ein Unding, daß die ländlichen Arbeiter niht Antheil nehmen sollen an tem allgemeinen Culturfortschritt? Gerade sie sind es ja, welche durch ihre intensive Arbeit den Culturfortschritt der übrigen Beyöl- ferung a, Was nun die Herabseßung der Getreidezölle gegen Nußland betrifft, so hat der Abg. Dr. Buhl zwar behauptet, aber nicht erwiesen, daß auch für die ländlichen Arbeiter ein Nußen aus den Getreidezöllen erwächst. Nach statistishen Zeugnissen hat fich gerade in Bayern die Lage des kleinen Grundbesitzes und der ländlihen Arbeiter durch die Getreidezölle vershlechtert. Was man als VEBgen Getreidezoll ansehen foll, darüber besteht ja eben der Streit. Die Lage der ländlichen Arbeiter is eine ganz außer- ordentlich traurige; bei ihnen besteht ein allgemeiner Nothstand. Die fortschreitende Erkenntniß ihrer Klassenlage wird auch diese Massen revolutioniren und ihnen die Ueberzeugung beibringen, daß sie von dem Abg. Grafen Kaniß und seinen Parteigenossen nichts zu hoffen haben. Wenn Sie si dagegen wehren wollen, daß wir Ihnen die ländlichen Arbeiter abspenstig machen oder wegtreiben, dann forgen Sie dafür, daß sie eine menshenwürdige Behandlung erfahren “und menschen- würdige Löhne erhalten.

__ Abg. Rickert (dfr.): Jch kann mir wohl denken, daß es dem Reichskanzler nicht klar geworden ist, woher diese Sturmzeichen kommen, die jeßt auftauhen. Diese Sturmzeichen, welche Herr Arendt im preußischen Abgeordnetenhause so nannte, sind nichts als ein Kunst- product, erzeugt von den Agrariern ‘und denen, die hinter ihnen stehen. Herr Arendt ist ja, wie wir wissen, au persönlich verleßt und daher befonders eifrig in dieser Arbeit. Dabei weiß man absolut nicht, woher den Agrariern im Lande jeßt plöulich die Erleuchtung kommt, daß der Handelsvertrag mit Nußland den Nuin der Land- wirthschaft bedeutet. Der Abg. von Kardorff hat sich direct für einen folhen Vertrag ausgesprochen. Welche Gründe sind vorhanden für diese veränderte Stellung? Sie brauchen einen . veränderten Frontangriff gegen den Reichskanzler und gegen den Landwirthschafts-Minister. Wir können doch unsererseits niht die Details hier öffentlih behandeln; Ihre Gründe aber enthalten Sie uns vor. Wir glauben unentwegt, daß der russische Handelsvertrag hier im Reichstag mit großer Mehrheit angenommen und dem Reichskanzler zum Verdienst angerehnet werden wird. Der Ton, den heute der Abg. Graf Mirbach anschlug, erinnert sehr lebhaft an die Verhandlung der jüngsten Bauernversammlung in Belgard und Bromberg. Der Neichskanzler ist ledigli eingelenkt in die Wege der alten preußischen Handelsvertragspolitik , die gerade der Fürst Bismarck 1862 beim Abschluß des französischen Handels- vertrags so warm vertreten hat! Sie (rechts) haben diese Politik ebenso warm vertheidigt, jeßt aber verlassen. Der Abg. Graf Kaniß hat Herrn Vopelius citirt; aus seiner Nede stammt der Auéfall gegen den Geßeimen Rath Huber. Herr Vopelius will es allerdings von einem österreichischen Commissar erfahren haben. Heute hat nun Herr Arendt im preußischen Abgeordnetenhaus direct den Geheimen Nath Huber als eine in dieser Beziehung Bedenken hervorrufende Persönlichkeit bezeichnet, weil er ein ausgesprochener Freihändler sei. Was muß es im Auslande für eine Vorstellung von der Desorga- nisation der Regierung erwecken, wenn es heißt, der preußische Handels- Minister hâtte Anstrengungen gemacht in der erwähnten Richtung, aber die Reichs-Commissarien hätten ihn nicht unterstüßt! Die Herren ann jeßt mit allen Mitteln den Ansturm und werden auch das Lob des Herrn Nuprccht ernten ; ob aber auch die Anerkennung des Landes, das ist eine andere Frage. Daß es dem östlichen Groß- grundbesiß s{lecht geht, wissen wir; aber die gegenwärtige Zollpolitik dafür verantwortlich zu machen, können bloß Agrarier fertig bekommen. Es ist undankbar, daß der Reichskanzler- sich für die Großgrundbesißer [o geopfert hat. Sie sind ihm nicht dankbar, und wir sind ihm auch nicht dankbar, daß er einen so hohen Zoll festgelegt hat, den auch Fürst Bismark früher als einen folhen bezeihnet hat, an den auch der verrüteste Agrarier niht denken würde. Trifft denn die gegen- wärtige Negicrung die Schuld an der Unzufriedenheit der Landwirth- schaft ? ir glauben, die Fäden, von wo aus diese jeßige Be- wegung dirigirt wird, ganz genau erkennen zu können. Wer trägt denn die Schuld an der Unzufriedenheit, wer ist der eigentliche Sündenbock? Es kommen jeßt die Früchte jener Saat der Bismark’ schen Politik zum Vorschein. Die sächsische Petition, welche den Anlaß zu der Schlacht im Abgeordnetenhause giebt, stellt als Ursache der Unzufriedenheit die socialpolitischen Geseße und die Steuergeseß- gebung hin. Der Abg. Graf Mirbach hat damals ein sicheres Bor- gefühl für die Mißstimmung der landwirthschaftlichen Kreife gehabt, greift aber jeßt mit den anderen Herren Agrariern den jeßigen ganz unshuldigen Meichskanzler an! Je schneller der Reichskanzler mit dieser Politik bricht, desto besser für uns und das Vaterland !

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat den Wunsch ausgesprochen, über das Verfahren bei dem Abschluß des österreichischen, italienischen und {weizerishen Handelêvertrags näher unterrichtet zu werden, um sich selbst ein Urtheil zu bilden über die Begründung der Vorwürfe, welche im preußischen Abgeordnetenhause gegen einen Commissarius des Reichéamts des Innern und gegen einen Commissarius des preußischen Handels-Ministeriums. erhoben worden sind.

Meine Herren, die Handelsverträge sind in der Weise vorbercitet worden, daß im Neichsamt des Jnnern Commissarien der betheiligten Neichsressorts, also des Auswärtigen Amts, des Neichs-Schaßamts und des Neichsamts des Innern, weiter Commissarien der Königlich preußischen Negièérung, und zwar der betheiligten Ressorts, also des Finanz-Ministeriums und des Handels-Ministeriums, außerdem aber Commissarien der Regierungen von Bayern, Sachsen, Württem- berg, Baden und Elsaß-Lothringen vereinigt worden (ind. Die Berathungen, die unter diesen Commissarien gepflogen wurden, haben sich bezogen einmal auf das Maß derjenigen Con- cessionen, welche man deutscherseits den anderen contrahirenden Mächten machen zu können glaubte, und zweitens auf das Maß der Forderungen, die deutscherseits diesen Mächten gegenüber aufgestellt werden sollten, Lie Berathungen sind sehr eingehende gewesen. Das Material, und damit komme ih auf den Vorwurf, daß man die betheiligten Wirth- \chaftskreise. der Nation nicht gehört habe, lag- aus den Berichten der Handelskammern, aus einem schr eingehenden Gutachten des deutschen Handelstags, und aus den Aeußerungen dex einzelnen Bundesregierungen in großer Fülle vor. (Zurufe rehts.) FJawohl, die Landwirthschaft ist dabei au betheiligt gewesen, und zwar in der Weise, daß die Einzelregierungen mit den landwirthschaftlichen Kreisen in Verbindüng getreten waren. (Widerspruch rechts.) Wenigstens muß ih das an- nehmen. Damals hatten wir das später angenommene Verfahren noch nicht, daß unmittelbar von der Neichsverwaltung Vertreter der ein- ¿elnen Interessentengruppen zugezogen wurden, sondern wir wandten uns an die einzelnen Regierungen und haben angenommen, daß diese über das Maß der landwirthschaftlihen Concessionen ihr Urtheil nicht ab-

í

gegeben haben werden, ohne sih in Fühlung zu seßen mit den betheiligten landwirthschaftlichen Kreisen. (Widerspruch - rets.) Dann ist jeden- falls die Klage gegenüber der Reichsregierung keine begründete. Also es wurde dur die Berathungen das Maß der Forderungen und das Maß der Zugeständnisse geprüft, und es wurden dem Herrn Reichs- kanzler Vorschläge gemacht für die Instruction, die den nach Wien entsandten Commissarien ertheilt werden mußte. Diese Instruction ist im Auswärtigen Amt, in Verbindung mit dem Reichsamt des Innern, entworfen und von dem Herrn Neichskanzler geprüft worden, und die Commissarien haben sie demnächst zur Nichtshnur bei den Verhand- lungen empfangen.

An den Verhandlungen in Wien haben theil genommen cin Commissarius des Auswärtigen Amts, welcher den Vorsitz in der deutshen Commission zu führen hatte, und, an welchen persönlich die von hier aus ertheilte Instruction gerichtet war, ein Vertreter des Neichsamts des Innern, ein Commissarius des RNeichs-Schazamts, außerdem ein zweiter Commissarius des Auswärtigen Amts, ein Commissarius des preußishen Finanz-Ministers und des Handels- Ministers und außerdem Vertreter von Bayern, Sachsen, Württem- berg und Baden.

Meine Herren, es is nun {on an fich ganz unmöglich, daß, wie in der Nede des Herrn Abg. Vopelius behauptet ist, mit Aussicht auf Erfolg ein. Einfluß von Seiten eines Commissarius dahin® auf die übrigen hätte versucht werden fönnen, eine Wirthschaftsgruppe günstiger zu behandeln auf Kosten einer anderen. Für die Commissa- rien war die Instruction absolut bindend, und es konnten in Wien über- haupt gar keine anderen Forderungen anfgestellt und andere-Zugeständnisse gemaht werden als solche, welche in dieser Instruction enthalten waren. Ergab si bei den Verhandlungèn, daß entweder von der anderen Seite eine diesseits aufgestellte Forderung nicht zugestanden, oder daß von der anderen Seite eine Forderung aufgestellt wurde, welche dieéseits innerhalb der Instruction nicht zugestanden werden konnte, so hatten die Conmissarien und das ist in unzähligen Fällen geshehen hierher zu berihten. Jch bemerke, daß die Be- richte, die hier eingegangen sind, über das Fortschreiten der Verhand- lungen, über die abweihende Stellungnahme der österreichischen, ungarischen, italienishen und \{weizerishen Regierung zu unserem Programm von sämmtlihen Commissarien vollzogen worden sind. Auch daraus ergiebt sih die Unwahrscheinlichkeit, daß einer der Herren Commissarien eine andere Stellung zu den Forderungen eingenommen haben soll als die übrigen. Wäre das der Fall gewesen, so würde diefer Commissarius die Verpflihtung gehabt haben, seine ab- weichende Meinung in dem gemeinschaftlich erstatteten Bericht zum Ausdru zu bringen und hier die Entscheidung darüber zu erbitten, ob nach seiner Ansicht oder nah der der übrigen verfahren werden solle. Also die Erzählung des Herrn Abg. Vopelius leidet an großer Unwahrscheinlichkeit, und ih möchte glauben, daß der Oesterreicher, von welchem sie herrührt, ein dunkler, mangelhaft unterrichteter Ehren- mann gewesen is; denn mir sind aus österreichischen Kreisen ganz andere Urtheile über den Werth oder Unwerth unserer Commissarien zugegangen, als dasjenige it, welches sich aus seiner Mittheilung ergiebt.

Ich will zum Schluß eine kleine Geschichte erzählen. Der jetzt verstorbene ungarishe Handels-Minister Herr Baroß, der bekanntlich auch an den Handelsvertragsverhandlungen theilgenommen hat, war auf die Wahrnehmung der ungarischen agrarischen Jnteressen außer- ordentli bedaht, und der Commissarius des Reichsamts des Innern hatte oft Veranlassung, ihm sehr energish und bestimmt entgegenzu- treten. Bei einer Verhandlung, an der beide theilnahmen und in der die Gegensäße heftig aufeinander platten, sagte der ungarische Minister Baroß zu dem deutschen Commissarius: Sie s{chnüren mir ja die Kehle zu! Da erwiderte der deutshe Commissarius ganz ruhig: Dahin lautet meine Instruction nicht! (Heiter- keit.) Dieser Vorgang liefert einen fklaren Beweis dafür, daß der deutshe Commissarius, der jeßt Angriffen ausgeseßt ist, seine Schuldigkeit gethan hat und daß er es auch verstanden bat, gerade durch sein Auftreten Wirkungen zu erzielen, denn in d.m Punkte, der damals zur Discussion stand, gab der ungarische Minister sofort nach.

Also, meine Herren, lassen wir uns durch solche Zuträgereien, sie mögen von einer Seite kommen, von welcher sie wollen, nicht irre machen! Glauben wir, daß unsere Commissare wie bisher, auch bei ferneren Vertragsverhandlungen ihre Schuldigkeit thun werden. Das Vertrauen der Regierung zu den Beamten, die sie mit solchen Auf- galten beauftragt, wird dur derartige Zwischenträgereien nit er- \hüttert werden. (Beifall links.)

4 Dr. Bamberger (dfr.): Bei der eigenthümlichen Zu- sammenseßung des Hauses ist es absolut unabsehbar, wann diese Debatte zu Ende kommen wird. Die Debatten der leßten Tage sind eine O Geeug der von den Socialdemokraten eingeleiteten Nothstandsdebatte. , Ich halte den Nothstand der Proletarier allerdings für viel thatsächlicher als den der Agrarier. Auch das Auftreten der ersteren ift viel weniger bedenklich für den Zustand und die Zukunft unserer Geseßgebung als daëjenige der Agrarier. Wenn die Mehrheit niht will, kann die Socialdemokratie nichts durhseßzen ; wenn aber die Agrarier anstürmen gegen alle Grundlagen der Ge- seßgebung und Verfassung, wie im preußishen Abgeordnetenhause, so ist das viel bedenklicher, weil sie in der Macht und an der Negterung sißen, so fehr an der Regierung sigen, daß die Ne- gterung Frondeure - aus ihren eigenen Reihen zu entfernen nicht im geringsten für angezeigt hält. Jch ehre die Courage ‘und Scneidigkeit der Junkerpartei, die sich vor keiner Regierung scheut ; ih versage ihr nicht die Achtung, so lange sie correct auftritt. Aber bedenklih bleibt ihr Vorgehen im höchsten Grade. Ju den Worten des Herrn Nupreht: Wir müssen unter die Social- demokraten gehen! liegt ein tiefer Sinn; man nimmt die social- demokratische Methode an. Gegen diese protestire ih und bekämpfe sie. Die Methode, immer von neuem Unzufriedenheit zu predigen, wird jeyt vervollkommnet in Versammlungen. Es is das alles ja nur ein Vorspiel für die große Action, die am 18. Februar von den Agrariern gegen das Deutsche Reich und gegen die Parteien, welche die Handelsverträge angenommen haben, in Scene geseßt werden soll. Waren Sie denn mit 5 4 Zoll pg Die Landwirthschaft war immer unzufrieden, Diese Methode ist es, welche ih vor dem Lande beklage ; sie paßt am En für eine conservative Partei. Jhr System ist ganz einfa: Der Staat bin ich! Da ist mir ein absoluter König viel lieber, denn der repräsentirt wenigstens noch die Gesammtheit. Die Conservativen sagen: Wir - erhalten den Staat, fol lih müssen wir von ihm erhalten werden. Das ist cin logisher Widerspruch. Wenn Sie Alles bekämen, was Sie verlangen : Aufhebung der Freizügigkeit, höhere Zölle, Doppelwährun , Sie würden immer noch nicht zufrieden sein. Die Imagination spielt hier eine viel große Nolle als der Eigennuß. Jept kommen Sie mit der Währungsfrage

wieder, die erst vor wenig Wochen gründlih erörtert wurde. halte bloß theoretische Währungsreden niht mehr. Der Siaatasdcraltt

N

atet: von Marschall hätte doch mit seiner Bemerkung über die ntwerthung des Silbers vorsichtig sein sollen. Man weiß doch nicht, ob seine Collegen vom NReichsshatamte ebenso denken. Mit dieser Aeußerung hat der Staatsfecretär Fretherr von Marschall eine Stange l dtuir “idr an welche sich die Bimetallisten gleich anhängen werden. Der Abg. Graf rir g gs zwar den Abg. Dr. Barth per- fönlih an, hat aber dessen Behauptungen und Ausführungen nit widerlegt, sondern nur Gegenbehauptungen aufgestellt, unter denen die von dem Steigen des Getreidepreises conform dem Steigen des Silberpreises die überraschendste, aber auch vie haltloseste war. ‘Die Silberproduction hat sich in den leßten Jahrzehnten verdreifacht, da kann do der Preis unmöglih gleih hoch bleiben, er muß sinken. Ich kann die Regierung nur bitten, fest auf dem Standpunkt zu steben, daß an der deutshen Währung nicht gerüttelt werden foll. Wäre es denn überhaupt gerechtfertigt, [ediglih nur um der Landwirthschaft willen ein anderes Währungssystem zu machen? Mit diefen Zes strebungen versündigt man sich an dem nationalen Ikteresse im weitesten Sinne des - Wortes. Der Abschluß des Handelévertrags mit Rußland is für uns- eine Armeê werth. f

Hierauf wird die Debatte vertagt. Schluß 53/, Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

E Der Wucher,

eine ]ocialpolitishe Studie von Dr. Leopold Caro. 6 M Leipzig, Dunker und Humblot. Wir haben cs hier mit cinem wissenschaftlich-theoretishen Werk zu thun, welches au?gehend von den thatsählihen Wuchererscheinungen (auf dem Lande in Bayern, Baden, Westfalen, Ostpreußen und Posen) zunächst die eins{lägige Literatur, dann die Wucherfreiheit und die Wuchergesetße in verschiedenen Ländern sowie die Stellungnahme der Parteien dazu, ferner die ges{ichtlihe Ent- wickelung des Wucherbegriffs in der Wissenschaft behandelt und im vierten Kapitel, in weldhem der Verfasser cinen Standpunkt entwickelt und begründet, ausführlih Wesen und Begriff des Wuchars untersucht. Das fünfte Kapitel eröttert die verschiedenen Arten der Bewucherung des kleinen Mannes, ®das sechste den Wucher auf dem Lande in Galizien. Im Anhang ist der neue, dem Deuts{en Neichêtag vor- gelegte Gesetzentwurf über den Wucher mitgetheilt. Der Verfasser bemerkt hierzu, dieser Entwurf sei im allgemeinen schon des- halb freudig zu begrüßen, weil er die Tendenz aufweist, mit dem Uebel s{onungslos aufzuräumen. Gleihwobl glaubt der Verfasser bci seiner Auffassung des Wudchervergehens beharren zu sollen, wie sie sich in dem erwähnten vierten Kapitel niedergelegt findet. In diesem Kapitel „widerlegt der Verfasser die Auffaffung, daß sich der Preis im allgemeinen nach dem Verhältniß von Angebot und Nachfrage richtet, und verwirft auch für den Preis der Kapitalnußung, d. h." für den Zins, diefe Nichtshnur, vielmebr stellt er hierfür das Verhältniß zum Gebrauchêwerth, die Leistungs- fähigkejt oder die Leistungsmöglichkeit des Kapitals, für welche eine Gegenleistung nothwendig sei, gls maßgebend bin: bei einem Dar- lehnsvertrag müsse* der Zins nach dem voraussichtlichen Ertrag des Kapitals, und zwar auf die Weise bemessen werden, daß seine Grenzen . nah oben und "nach unten vom Grundsaß der Leistungsfähigkeit bezw.- -Möglichkeit bestimmt werden; in gewissen Fällen aber müsse auch nach Abs{luß des Vertrags der Kapitalsbesitzer die verabredeten Zinsen ganz oder theilweise nachlassen, sofern ein glaubhaft gemachtes, von dem Willen des Entleihers unbeeinflußtes Ereigniß die wirthschaftliche Benußung des dargeliehenen Kapitals unmögli gemacht bat: Es würde also der Nichter \{chließlich gehalten fein, auf Aufforderung des Schuldners den Zinsfuß festzuseßen, wobei ihm der landesübliche Zinsfuß als Anhalt dienen würde, aber auch die Berücksihtigung einer Risiko- prâmie möglich wäre. Demnach wird die Forderung der Einführung eines beweglichen Zinêmarimums gestellt, welhes der Ertrag8höbe entsprähe, die die Leistungsfäbigkeit des Sculdners i seinem Berufe im besten Fall zu erreichen im stande sein wird. Auf die Frage: was is Wucher, antwortet Caro, daß hierbet nicht die böse Absicht des Uebervortheilens in Betracht komme die Wlllensfreibeit werde ja vielfach in Abrede gestellt —, sondern die thatsächlihe Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung, d. b. die Thatsache, daß zwischen Leistung ‘und Gegenleistung ein derartiges Mißverhältniß besteht, daß die Vervflihtung des Sck(uldners fetne Leistungsfähigkeit übertrifft und daß fomit dasjenige, was dem Suldner abgenöthigt wird, ihn nothgedrungen ins wirth\s{aftlide Ver- derben treiben oder doch hierzu beisteuern müsse. Weiter empfieblt ker Verfasser, die unwirths\caftlichen Eigenschaften des Schuldners Nothlage, Leichtsinn, Leidenschaft, Unerfahrenheit aus dem Be- griff des Wuchers zu entfernen. Ferner mat er einen Unterschied zwischen Zug- um Zuggeschäften und Creditgeschäften- nur bei leßteren könne die Ausbedingung eines Vermögenévortheils oder einer Leistung als Wucher verstanden werden, wenn der S{uldner jenen Vermögens- vortheil in feinem Berufe dauernd nicht ers{wingen kann, oder wenn jene Leistung feine Leistungsfähigkeit übersteigt, sodaß die Erfüllung des Vertrags sein wirthschaftliches Verderben bervorrufen, oder doh dazu beitragen muß. In dieser Definition des Wuchers, die nur auf das objective Moment, den wirtbs{aftliden Erfolg der wucherishen Manipulation, reflectirt ünd sich weder mit der Perfon des Gläubigers (seiner böfen Absicht) noch mit der Person des Schuldners (feiner Nothlage, Leichtsinu und Unerfahrenheit) befaßt, ist einerseits der Wucher auf alle Credit geschäfte. aber eten nur auf diese ausgedehnt, andererseits wird die Eristenz des Wuchers erst dann angenommen, wenn der Schuldner dauernd in scinem Berufe den dem Gläubiger versprochenen Vermögensvortheil nit erschwingen kann® und daher von einer folchen Leistung feinen Ruin zu erwarten hat. Wird vom Gläubiger überdies Zwang zur Erfüllung des er- haltenen Versprechens angewendet, so fei meint Caro dies nicht: 4 mehr Wucher, sondern Erpressung. und, wenn er zu diesem Zweck einen Irrthum des Schuldners hervorgerufen oder einen {on vor- handenen Jrrthum benußt, so liege Betrug vor. Diefe theoretischen Erörterungen mögen für die klare Erkenntniß des Wucherbegriffs von Nutzen sein, wenn fie auch nicht als durchs{lagend und den Wucher- begriff ershöpfend angesehen werden können; ebenso werden die daraus zu ziehenden prafktishen Consequenzen auf mancherlei Bedenken stoßen. Gleichwohl ift das Werk, welches ein umfassendes Material über die Wucherfrage enthält, auch von actuellem Werth, obne daß es im stande ist, die DOLDET T INER neuen reihsgeseßlichen Bestimmungen zu entkräften. Die Ausdehnung des Wucherbegrefa in dem Entrourf auf alle zweiseitigen Nechtsgeschäfte sowie die gewerbs. und gewohns heitsmäßige Ausbeutung bei jeglihen Rechtsgefchäften trägt dem vor- handenen A wte auch der Volksüberzeugung von dem, was Wucher ift, jedenfalls in höherem Maße Rechnung.

Zur Arbeiterbewegung.

Die berg- und hüttenmännische Zeitung „Glückauf“ he- merkt über die Zahl der im Ruhrkohlenbezirk abgelegten Bergarbeiter: Aus der socialdemokratischen „Bergarbeiter- Zeitung“ in D ist die Notiz in die e übers gegangen, daß 4600 Bergarbeiter infolge des leßten Ausstan= des endgültig entlassen seien. Hier liegt eine grobe UÜeber- treibung vor. Es beträqt die Gesammtzahl aller endgültig entlassenen Bergarbeiter 828 Mann, darunter sind nux A8 Len Arbeiter; die übrigen sind Polen und junge

urschen.

Wie ein Wolff'shes Telegramm aus Gelsenkirchen meldet, ist der Nedacteur Ung Na von ean T aen ¿rhaftet

In Leipzig wurde, wie die „L in einer Verfammlung der S teilt stand für beendet erklärt, da sämmtliche

der Gehilfen: Abschaff Stücflohnet

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