1893 / 46 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 22 Feb 1893 18:00:01 GMT) scan diff

XTLL. (Königlich Württembergisches) Armee-Corps. Offiziere, Por LEETEI S AYn Las x. Ernennungen, Beförderungen und Verseßungen. Im activen Heere. 17. Februar. Bruckmann, Major und Bats. Commandeur im Jnf. Regt. Kaiser Wilhelm König von Preußên Nr. 120, mit Pension zur Disp. gestellt und zum Commandeur des Landw. Bezirks Mergentheim ernannt. E bschiedsbewilligungen. Im activen Heere. 17. Fe- bruar. v. Bilfinger, Oberst und Abtheil. Chef im Kriegs- M orinan, mit Pension und seiner bisherigen Uniform der Abschied ewilligt.

Sm Sanitäts-Corps.. 15. Februar. Dr. Wendel, Dr. Hocheisen, Studirende der militärärztlihen Bildungsanstalten zu Berlin, zu Unterärzten des äctiven Dienststandes ernannt : eïsterer beim 4. Inf. Negt. Nr. 122 Kaiser Franz Joseph von Oesterreich König von Ungarn, leßterer beim Inf. Regt. Kaiser Friedrih König von Preußen Nr. 125 angestellt.

Deutscher Reichstag. 48. Sißung vom Dienstag, 21. Februar, 1 Uhr.

__ Ueber den Beginn der Sißung haben wir bereits in der Dienstags-Nummer berichtet. j #4 Die zweite Berathung des Etats des Reichsamts des JZnnern wird fortgeseßt bei dem Ausgabckapitel „Reichs- commissariate“, Titel 1 „Reich scommissar für das Aus- wanderungswesen“. : /

Nach dem Abg. Dr. Lingens (Centr.) nimmt das Wort der

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Ein Vertreter von Hamburg ist augenblicklich niht anwesend, kann also die von dem Herrn Vorredner gewünschte Auskunft nicht geben. Ich glaube aber, daß der Herr Vorredner auch mit dem, was ih über die Frage, die er gestellt hat, zu sagen weiß, wird zufrieden sein fönnen. Cholerafälle find in den Baracken, die {hon vor Beginn der Cholera-Epidemie in Hamburg errichtet worden waren zur Aufnahme der Auswanderer, nit vorgekommen.

Was dann die zweite Frage. anlangt, die der Herr Vorredner gestellt hat, so habe ich darauf zu erwidern, daß die Maßregel der Errichtung von Baracken zur Ueberwachung der Auéwanderer während einer bestimmten Zeit und zur Prüfung ihres Gesundheitszustandes meiner Meinung nach in künftigen Fällen ebenfalls als eine nüßliche wird erkannt und zur Durchführung gebraht werden.

Woher dié Cholera im vergangenen Jahre einges{chleppt worden ist, das wissen wir "mit, voller Sicherheit niht; wir nehmen aber an, daß wir sie aus dem Osten bekommen haben, und es lag, da der Strom der Auswanderer, der über Ham- burg geht, auch vorwiegend aus dem Osten kommt, die Befürchtung nahe, daß unter diesen Auswanderern holerainficirte Personen sich befinden könnten. Deshalb ist es eine von der Ham- burger Behörde getroffene, sehr weise Maßregel, daß sie diese Aus- wanderer zunächst ifolirte: einmal zum Schuß gegen die Verbreitung des Cholerakeims innerhalb Deutschlands; sodann auch, um denjenigen Ländern, in welhe die Auswanderer auswandern wollten, die Be- ruhigung zu verschaffen, daß dur die in ihr Territorium geleitete Auswanderung die Gefahr der Uebertragung einer Cholera-Epidemie für fie niht entstehen werde. Die Erfahrungen, die mit der Einrich- tung und Benuztung der Baracken gemacht worden sind, sind durh- aus günstige; und wenn ih au glaube, daß dur die Absperrung von dem sonstigen Verkehr der cine oder andere Auswanderer sih un- angenehm berührt gefühlt haben mag, so meine ih do, daß die ihm auferlegte Beschränkung zum Nutzen des Gemeinwohb[ls hat eintreten müssen.

_ Abg. Dr. Hammacher (nl.) fragt, wann das Auswanderungs- geseß auf die Tagesordnung geseßt werden wird. E

Präsident von Leveßow: Einstweilen ist der Reichstag von dringenderen Geschäften sehr in Anspruch genommen, auch hat sich auf keiner Seite eine Neigung für die beshleunigte Behandlung dieser Vorlage gezeigt. Indessen wird mit der Zeit auch die Zeit kommen, dieses Gesetz in erste Berathung zu nehmen. E E

__ Abg. Dr. Barth (dfr.) bittet den Präsidenten, sih in dieser Be- ziehung nicht zu übereilen. j i S :

Für die Commission für Arbeiterstatistik sind 39 000 M ausgeworfen.

Abg. Dr. Htr\ch (dfr.): Zum ersten Mal kat der Reichstag Ge- legenheit, sich über diese Commission auszuspreben. Gegenüber dem Regiment des been Reichskanzlers ist die Möglichkeit der Er- richtung ines folhen Organs ein großer Fortschritt, troßdem das er- lassene Regulativ sehr mangelhaft und verbesserungsbedürftig ist. Wenn die erreihten Resultate dementsprehend auh nur bescheiden sind, so sollte man doch niht darüber ohne weiteres den Stab brechen, wie es von gewisser Seite geschieht. Die bisherige Thätig- keit der Su hat sih erstreckt auf die . Begutachtung von statistishen Erhebungen im Bäerei-, Conditorei- und Müllerei- gewerbe. Sie hat das vorgelegte Material an Fragebogen genau geprüft, die Fragen über die Arbeitszeit erweitert und genauer präcisirt. Die Bâäereistatistik ist bereits so weit ausgearbeitet, daß ein umfangreihes Heft der Commission vom Statistischen Amt zu- gegangen is. Ein Theil der Presse hat darüber sehr abfällig ge- urtheilt und das Mitgetheilte für unbrauchbar erklärt. Die Com- mission aber hat nach eingehender Berathung über die Väerei- enquête einstimmig die Erklärung abgegeben, daß diese Erhebung als eine vertrauenswürdige Grundlage für die Reichsregierung zu be- trachten sei. Befremdlih i} es daher, wenn der „Vorwärts“ vom 17. Februar von neuem in durhaus abfälliger Weise das Wirken der Commission beurtheilt. Es heißt da: „Die Bäckerenquête ist in den Händen der Bureaukratie so gründlih mißglückt, wie es gründlicher nicht gedacht werden kann“, sie wird „ein reines Zerrbild“ genannt u. f. w. Zum Beweise werden aber lediglich einige Mißgriffe angeführt, welche in einigen fleinen Staaten bei der ersten statistishen Aufnahme dieser Art stattgefunden haben. Ich bitte den Reichskanzler, die

rotokolle det Commission dem MNeichstage in größerer

ahl zugänglih zu machen; mit Recht macht der „Vor- wäris" ‘darauf aufmerksam, daß hier ein Mangel vorliegt. Wenn aber schließlich der „Vorwärts“ behauptet, die Regierung fliehe ängstlich die Berührung mit Vertretern der Arbeiter, so ist das thatsächlich unwahr, da in der Commission doch früher der social- demokratishe Abg. Schippel, gegenwärtig der Abg. Molkenbuhr sitzt und einträhtig mit den anderen Mitgliedern und den Vertretern der Regierung zusammenarbeitet. Für die Fragebogen und wohl auch für die Befragung von 10 9% der bestehenden Bäereibetriebe hat der \focialdemokratishe Vertreter in der Commission mitgestimmt. Das verdienstvolle Büchlein des Abg. Bebel über die Arbeitszeit im Bâerecigewerbe hat ja auch bloß die Verhältnisse in 600 Betrieben zur Grundlage. Bei der Commission herrscht durhweg die beste Absicht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, und niemals haben bei ihr Parteirücksihten obgewaltet. Jhre Arbeiten sind gewiß nichts Vollendetes, aber sie werden sih vervollklommnen und zur Erkenntniß der Zustände unserer Arbeiterwelt ihr werthvolles Theil beitragen.

Stagtssecretär Dr. von Boetticher: Meine Herren! Ich freue mich, daß das Urtheil tes Herrn Vor-

‘verliert,

redners über den Werth der Arbeiten der Commission für die Arbeiter-

#

statistik vollkommen zusammentrifft mit dem Urtheil, welhes auch ich durch die Beobachtung der Arbeiten dieser Commission gewonnen habe. Ich glaube, wir sind mit der Gründung dieser Commission auf dem rihtigen Wege gewesen, um in der Erkenntniß der Verhältnisse der arbeiten- den Klassen fortzushreiten. Wenn der Herr Vorredner im Anfang seiner Betrachtungen als einen Wunsch, den er noch lieber verfolgt gesehen hätte, die Errichtung eines besonderen Reichéamts für Arbeiterstatistik bezeichnete, so glaube ih, daß es sehr vorsichtig gewesen ist, diesem Wunsche keine Folge zu geben, sondern zunächst einmal in der Form dieser Commission die Erörterung aller derjenigen Verhältnisse, die auf dem Gebiete der Arbeiterverhältnisse statistisch zu ergründen sind, zu versuchen.

Ich freue mih aber auch darüber, daß der Herr Vorredner fo

energisch die Kritik abgewehrt hat, die von socialdemokratisher Seite in der Presse gegen die Commission vorgebraht worden ist. Aber ih möchte den Herrn Vorredner bitten, sich in dieser Beziehung doch nicht zu ereifern. Jeder, der mit öffentlihen Dingen verantwortlich befaßt ift,

befindet sich in der Lage, auf dem Gebiete seiner Beschäftigung con-

fervativ zu werden, und ih finde diesen Saß durch die Ausführungen des Herrn Vorredners bestätigt, welhe sehr bemerkenswerthe con-

fervative Anklänge enthielten. (Heiterkeit. Hört! hört! bei den Social-

demokraten.)

Wenn der Herr Vorredner sich entrüstet über das focialdemokratische Urtheil zeigt, so tröste er sih damit, daß, was ihm als Mitglied der statistishen Arbeitercommission im vorliegenden Fall passirt, der Ne- gierung alle Tage zu theil wird, ohne daß sie deshalb den Muth ruhig und sahgemäß weiter zu arbeiten. Der Herr Vorredner möge sich mit mir der Erwartung und Hoffnung hingeben, daß das gedruckte Wort niht immer um deswillen, weil es gedruckt ist, den Eindruck der Wahrheit hervorrufen wird. In anderen Län- dern ist man schon dahin gekommen, daß man dem gedruckten Wort feinen höheren Werth beilegt als dem gesprohenen. Der Artikel des „Vorwärts“ hat keinen Anspruch auf Beachtung ; denn, wie gesagt, die Berathungen der Commission sind zur vollen Zufriedenheit aller Betheiligten und, soweit ih das überblicken kann, auch zu Nuß und Frommen der Arbeiterwelt geführt worden.

Der Herr Vorredner hat den Antrag gestellt, es möge dem Reichstag Mittheilung von den Verhandlungen der \tatistischen Com- mission gemacht werden. Die Zusammenstellung, welche sich auf die Erhebungen im Bäckereigewerbe bezieht, ist dem Reichstag bereits zugegangen, sie stellt eine solhe Mittheilung dar, und ih freue mich, daß diese hierher überwiesene Anzahl der Exemplare bereits vergriffen ist. Ich würde sehr gern bereit sein, noch weitere Exemplare dem Neichstag für diejenigen Mitzlieder zur Verfügung zu stellen, welche ih über den Kreis der bisherigen Abnehmer hinaus für die Sache interessiren. Etwas Weiteres konnte bisher noch niht mitgetheilt werden, weil die Protokolle über diejenigen Berathungen, welche in der letzten Tagung der Commission vorgenommen sind, erst heute Morgen den Druck verlassen haben. Es werden auch von diesem Protokoll dem Reichstag Exemplare zugehen, und ih werde es auch künftig so halten, daß der Neichstag in fortlaufende Kenntniß von den Arbeiten der Commission geseßt wird. - Ich kann, indem ih mich niht darauf einlasse, auf die einzelnen Bemängelungen in dem „Vorwärts“, Artikel einzugehen, welche dex Herr Vorredner schon ausreichend besprochen hat, mich zunächst auf diese Bernerkungen beschränken und werde abwarten, ob etwa von socialdemokratisher Seite noch Wünsche in Bezug auf die Thätigkeit der Commission geäußert werden.

Abg. Möller (nl.): Der Abg. Dr. Hirsch hat als Vater der Commission alle Ursache, ihre Arbeiten in Schuß zu nehmen, und ift mit Necht empfindlih über die Kritik des „Vorwärts“. Wir sind aber derartige Kritiken gewöhnt; ih nehme sie niht übel. Jch be- s{chränke mich auf den Ausdruck meiner hohen Befriedigung über die Leistung und den Fortgang der Arbeiten ‘in der Commission die von dem Abg. Siegle in der Commission beantragte Aufnahme einer Statistik über die Löhne und die Arbeitslosigkeit kann auch ih nur dringend wünschen. Durch eine folhe Statistik wird sih höchst werthvolles Material erlangen lassen, um Behauptungen entgegen- zutreten, welche hier mehrfach aufgestellt worden sind und bisher nicht ofort widerlegt werden konnten, auch wenn sie als böswillig erkannt wurden.

Abg. Bebel (Soc.): Der „Vorwärts“ hat den angegriffenen Artikel von einem auswärtigen Mitarbeiter übernommen; er ist eine Meinungsäußerung eines einzelnen Genossen und vertritt nicht die Meinung der Partei. Es ist überhaupt ganz fals{ch, anzunehmen, daß jeder Artikel partei-officiell sein muß, wenn es sih um ein officielles Parteiorgan handelt. Als Mitglied der Commission aus der social- demokratischen Partei trat zuerst der Abg. Schippel ein; dieser sißt aber schon scit Monaten im Gefängniß, und der Abg. Molkenbuhr ist erst vor kurzem für ihn eingetreten. Wir müssen vor allem verlangen, dem Reichstage nicht bloß in einigen wenigen Exemplaren, sondern daß jedem Mitgliede die Arbeiten und Protokolle der Commission übermittelt werden. Der Abg. Dr. Hirsch war heute sehr s{lecht auf uns zu sprechen, under hat auch allen Grund dazu, nachdem gestern bei den Berliner Gewerbegerihtswahlen seine Gewerkvereinler durch- gefallen Find. enn er sich das Verdienst zuschreibt , dieses neue Organ geschaffen zu haben, so kann ich dem nicht bei- stimmen. Wenn wir niht immer und immer fort gebohrt hätten, wäre es sehr fraglih, ob andere Parteien sih überhaupt zur Stellung von Anträgen dieser Art entschlossen hätten. Mit der Organisation, wie sie die Commission sich gegeben hat, ist die Frage: wie gearbeitet und was praktisch gethan werden muß, nicht gelöst. Wir haben seiner Zeit Arbeitskammern und ein Reichs-Arbeitsamt verlangt, welches natürlich auch mit einer Abtheilung für Arbeitsstatistik hätte ausgestattet werden müssen. Jch meine noch jeßt, daß wir ohne: ein solhes Reichs-Arbeitsamt niht auskommen. Heute sind lediglich die Polizeiorgane vorhanden, um fsolhe Erhebungen anzustellen. Gerade die Ergebnisse der Ermittelungen aus dem Bâereigewerbe zeigen, wie nothwendig eine andere Form der Erhebung is. Die Commission hat nicht durch Beschluß sih mit den Ergebnissen und der Art der Aufnahme der Väckereistatistik einverstanden erklärt; sie hat sie nux als ausreihende Grundlage zur Vornahme weiterer Erhebungen bezeichnet. Die Art aber, wie die Auswahl der Betriebe getroffen ist, wie die Fragebogen ausgetheilt sind, ist so unzweckmäßig wie möglih. Vielfach haben die Nee und Polizeiofficianten die Statistik felbst aufgenommen, sie erschienen in voller Uniform bei dem Arbeiter, der bei dem Meister wohnt und unter dessen beständiger Aufsicht \teht und nun unbe- fangene Ausfagen über Arbeitszeit und Arbeitsdauer machen soll! Unter den 2800 Fragebogen, welche von Gehilfen ausgestellt sind, befinden sich dana noch nicht hundert, welhe ohne Aufsicht der Meister ausgefüllt wurden. Der Tadel dieses Verfahrens im „Vor- wärts“ ist durchaus berechtigt. Werth haben nur die Ausfagen, welche unabhängig vom Unternehmer abgegeben wurden. Bei der von mir seiner Zeit veranstalteten Enquête ist dieser Fehler niht gemacht worden. In den kleinen Landstädten ist die Arbeitszeit verhältnißmäßig kurz; aber gar nicht angegeben ist bei diesen Betrieben die andere Arbeit, welche die Gehilfen dort neben und nah ihrer Bäckereiarbeit vollziehen müssen, nämlih die Landarbeit. Daher treten denn diese enormen Unterschiede hervor, die in den Ergebnissen der Enquête so

ur englischen Manier, zum contradictorishen Verfahren üb

anche Fragen des Fragebogens können die Arbeiter gar nit e worten; würden sie aber vor einer unabhängigen Commission ber: hört, so würde das Verfahren s#hr vereinfaht und das Resultat fehr viel zuverlässiger. In zahlreihen Bäckereien bestehen \heußliche Zustände. Sehr häufig müssen die Gesellen in den Baträume schlafen, in den Backräumen ihre Mahlzeiten einnehmen; ihnen fehlt jede Möglichkeit, für die Reinigung ihres Körpers zu sorgen; sie trocknen ihre shweißigen Hände an den Semmeltüchern ab, und ‘no ekelerregendere Vorgänge sind an der Tagesordnung. Die En uête hätte au auf alle diese Dinge ausgedehnt werden müssen. Die Com. mission hat allerdings nachträglih beschlossen, auch in diefem Sinne Untersuchungen anzustellen. Kurz, es muß durchaus nach neuen Grundlagen für die Aufnahme einer wirklichen Arbeiterstatistik ge, sucht werden.

Abg. Dr. Hirs\ch (bfr): Der Abg. Bebel hat heute den Artikel des „Vorwärts“ preisgegeben (Abg. Bebel: Gar nicht!) Ja, i hat ihn als Privatarbeit ohne partei-officiellen Charakter hingestellt Ich habe auh nit aus Parteipolitik dagegen gesprochen, sondern ih mußte aus Interesse an der geschichtlihen Wahrheit diesen tendenziósen Entstellungen entgegentreten. Jch habe mih auch keines, wegs auf den Standpunkt gestellt, den der Abg. Bebel mir hier in den Mund gelegt hat. Wenn die Gesellen vollständig von den Meistern beberr dit gewesen wären, würden sie auch dieselben Antworten gegeben haben wie diese. Das ist aber nach der auf. genommenen Statistik nicht der Fall.

Abg. Noesicke (b. k. F.) geht näher auf die Frage der von dem Abg. Siegle in der Commission angeregten Lohnstatistik und die bezügliche Verpflichtung der Berufsgenossenschaften zur Aufstellung von Lohnnachweisungen ein. Diese Lohnnachweisungen hätten nah dem Unfallgeseß die Berufsgenossenschaften sämmtlich zu erbringen und hätten es zum theil {hon gethan. Auf die Dauer könnten diese au ohne solche speciellen Nachweisungen garniht durhkommen. Seien die Nach weisungen bei sämmtlichen vorhanden, dann werde die Commission für Are ne auch dahin kommen, dieses Material zu sichten und zu verwerthen. Redner tritt bei dieser Gelegenheit dem Abg, Grillenberger entgegen, der die Höhe des Dursnttiälakges für Brauergehilfen in Berlin von 1504 A bezweifelt habe. Wenn man das Freibier abziehe, verblieben immerhin noch 1382 4, und wenn man bloß von Brauergehilfen in engerem Sinne spreche, telle sih der Durchschnittslohn sogar auf 1750 / nebst freier Wohnung und Qtovia bis zu 6 Litern täglich. j

Abg. Bebel (Soc.): Den Vorschlag des Abg. Noesicke, die Lohn- nachweisung der Berufsgenossenschaften zu Grunde zu legen, ver- werfe ih, und auch die Commission hat, wie ih höre, dagegen erhebliche Bedenken gehabt. Mit Genugthuung constatire ich ferner, daß die Commission auch schon der Hausindustrie näber getreten ist. Der Abg. Dr. Hirsch weist auf die Differenz zwischen den Aus- sagen der Arbeiter und Arbeitgeber hin, die cine Beeinflussung der Arbeiter dur die Unternehmer nicht erkennen lasse. Die Betrachtung trifft niht die Sache; die Frage ist vielmehr, ob nicht die Ausfagen der Arbeiter noch viel ungünstiger ausgefallen wären, wenn sie sie fret und unbeeinflußt hätten machen können. Den Artikel des „Vorwärts" habe ih feineswegs preisgegeben, sondern nur erflärt, daß er nicht als parteiofficiell zu betrachten ist.

Nachdem noch der Abg. Dr. Osann (nl.) im Sinne des Abg. Möller gesprochen, wird die Position bewilligt.

Bei der Ausgabe für das Ober-Seeamt bemerkt

Abg. Schwar (Soc.): In der seemännishen Bevölkerung macht sh seit längerer Zeit eine Bewegung für eine Abänderung der Seemannsordnung bemerkbar; niht bloß die Matrosen, sondern auh zum großen Theil die. Offiziere erkennen das Bedürfniß dafür an. Die geltende Seemannsordnung besteht seit zwanzig Jahren, seitdem sind ungeheure Aenderungen im Betriebe eingetreten, welche allein {hon eine Aenderung begründen. Die Zahl der Segelschiffe ist gegen die der Dampfer zurückgegangen. Die mittleren Schiffsbau- größen sind fast ganz vershwunden, die größeren Schiffstypen sind in der Üeberzahl. Die Zollpolitik hat den deutschen Handel aus Ostsee vertrieben. Die Lage der Ostseeschiffer hat sih infolge dieser Veränderung vershlehtert. Jhre Zahl ist aber nit geringer, sondern größer geworden. Vor einigen Tagen ist das Bremer Schiff „Marie Nickmers“, ein ganz neuer Schiffstypus mit fünf Masten, weil es bloß 38 Mann Besatzung hatte, mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. Nur das Sparsystem, welhes der Concurrenzkampf nothwendig machte, hat dieses Unglück herbeigeführt. Mit steigendem Nachdruck fordert man in den Seemannskreisen die Reform der Seemannsordnung, um diesem Concurrenzkampf seine Auswüchse zu nehmen, Die Vorschriften der See-Unfall- Berufsgenossenschaft über die Seetüchtigkeit der Schiffe sind ja ganz bestimmt und zweckentsprehend. Aber wer controlirt sie? Da liegt die Sache im Argen. Däs bestgebaute Schiff nütt nichts, wenn nicht die Besatzung zulänglich und tüchtig ist. Das minder- werthige Menschenmaterial, welches heute auf den Schiffen ver- wendet wird, sorgt niht einmal für die Ordnung, welche auf dem Schiffe, wie jeder wirklihe Seemann weiß, vorhanden fein muß. Deshalb kommen heute Fälle von Verstößen gegen die Disciplin auf den Schiffen vor, wie sie früher unerhört waren. Wenn die Seeleute davon überzeugt find, daß Disciplin herrshen muß, können sie aber au verlangen, daß sie niht miß- braucht wird. Betrübeud ist es, daß jeßt wieder auf Hamburger Schiffen geshlagen wird, nahdem das Prügeln {on längst auf den E Schiffen niht mehr Sitte gewesen ist; und noch betrü- bender ist es, daß das Hamburger Gericht entschieden hat, es darf zwar nicht geprügelt werden, aber Prügel könnten als Strafe ver- hängt werden. Wenn von Unbotmäßigkeit u. \. w. gesprochen wird, so darf doch andererseits niht übersehen werden, daß auch die Schiffsführer niht immer diejenigen sind, welhe Disciplin zu halten vermögen. In den „Hamburger Nachrichten“ befindet sih der Sahresberiht über das Seemanns - Krankenhaus für 1892; nah diesem Bericht sind nicht weniger als 8544 A an Stra!- geldern erhoben worden! Den einzelnen Seemannsämtern, welche als Reichsbehörden zu organisiren wären, müßte ein Ober-Seemann®- amt als zweite Instanz übergeordnet werden. Auch in zahlreichen an- deren Punkten ist die Seemannsordnung reformbedürftig, so in den

unkten des Wachtdienstes. Es haben schon verschiedene Versammlungen der Seeleute stattgefunden, die {ließli mid beauftragt haben, die Anregung zur Abänderung der Seemannsordnung in die Hand zu nehmen und Vorschläge dazu zu machen. Jch werde eine entsprechende Vorlage demnächst an das Haus bringen und hoffe, sie wird hier die erforderlihe Beachtung finden.

Abg. Jebsen (nl.): Die Sèemannsordnung ist zwar in manchen Funn niht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber im ganzen ind wir sehr mit ihr zufrieden. Die Dampfschi}fsrhederei hat sich mit den Mängeln auch {hon befaßt und einige Aenderungen in dem Sinne vorgeschlagen, wie sie der Abg. Schwarß vorgeführt hat. Wenn er aufden Untergang des Bremer Schiffes verweist, so i} ja {on möglich, des das Schiff chwach bemannt gewesen is; aber im all gemeinen ist dieser Umstand für eine Schiffskatastcophe niht ver- antwortlih zu machen. Wie die Schiffe bemannt werden sollen: nah der Größe, nah dem Quadratmeter Segelflähhe, nah dem Tonnengehalt, das ist eine sehr difficile Frage. Der Abg. Schwarß ent nun ganz abweichend von seinen Genossen den Saß au!

utorität muß sein! Er will Disciplin auf dem Schiffe haben und meint nun, daß die Secmannsordnung in diefer Beziehung zu we! geht. Ich glaube das nicht. Ausnahmefälle, wo einmal geprügel wird, wenn einem Schiffsführer, der sih niht chifaniren lassen fill, einmal die Geduld reißt, werden immer vorkommen. Die Seemanné- ämter urtheilen unparteiisch, ganz gleich, ob es sich um Matrosen oder Capitäne handelt. ; : j

Abg. Be bel (Soc.): Der nautische Verein in Hamburg, ra Aen ade, ist auch bereits mit Vorarbeiten für die Ab-

änderung der Seemannsordnung beschäftigt, die aber natürli gan anders ausfallen werden, als das, was der Abg. Schwar Ihnen v0or-

frappiren. Die ganze Methode muß eine andere werden, wir müssen

geschlagen hat. Wenn der Abg. Schwarß Autorität auf den Schiffen

S H I E S S E

E Tr TEN Pn

Für eas hält nund ih jede Autvrität geleugnet habe, so wird der Abg. Jebsen darin wohl kaum einen witklitben Widerspruch sehen. Nicht nur eine Abänderung der Seemannsordnung, sondern auch eine Ergänzung des Strafgeseßbuchs is nothwendig. Der Untergang der „Marie Rickmers“ zeigt, daß jedes Schiff, bevor es in See geht, gründlih fahmännish untersuht werden muß. Der 47 der Seemannsordnung reicht in keiner Weise aus. Die Mannschaft ann folche Untersuhung nicht beantragen, zumal ihr nah § 94 auh noh die Strafe der eilfertigen Anzeige droht. In hohem Grade scheint auch in Deutschland der scauderhafte Zustand vorhanden zu sein, welhen shon vor 20 Jahren Herr Plimsoll im englischen Parla- ment brandmarkte, daß gewissenlose Rheder seeuntüchtige Schiffe an- kauften, hoh versicherten, dann hinauésshickten und mit Mann und Maus untergehen ließen. Der Vorfall mit dem Rheder Schiff in Elsfleth zeigt, daß bei uns ganz ähnliches vorgeht. „Leider ist die Mannschaft gerettet“, schreibt bekanntlih der Mann an seinen Freund; natürlich, der Transport der Leute hat dem Herrn Schiff 9000 / ge- kostet, welche ihm von der Assecuranzsumme verloren gegangen sind, welche Al sich im übrigen „freut, eingeheimst zu haben“. Diese Fälle sind keineswegs vereinzelt. Derselbe Schiff in Els- fleth hat furz darauf ein drittes Schiff in der Südsee ver- loren, welhes mit 65000 A versichert, aber nur 2% 000 werth war. Das passirte also einem einzigen Rheder in einem ein- zigen Jahre, und da entsteht denn doch der dringende Verdacht, daß er die Schiffe absichtlih dem Untergange preisgegeben habe. Uns dieser Mann war bis jeßt außerordentlihes Mitglied des Neichs- Versicherungs8amts für den Vorstand der See-Berufsgenossenshaft. Die Berichtigung, welhe Herr Schiff vornahm, kann niemand ernst nehmen und auch nicht die Ehrenerklärung, welche 70 Honoratioren von Glsfleth ihm angedeihen ließen. Warum hat der Herr nicht den „Vorwärts" verklagt? Der hatte ihn direct als Mörder bc- zeichnet; er wäre einer hohen Strafe nicht entgangen, wenn die An- flage fals war. Hier muß das Strafgeseß eingreifen. Nach meiner Ueberzeugung war der Fall, wie er hier vorlag, kaum geeignet, vom Staatsanwalt zur Untersuchung „gezogen zu werden. § 265 ift nicht anwendbar, weil das Sinken [niht von dem Unternehmer veranlaßt war. (Es muß also eine Bestimmung ad hoc neu in das Strafgesetz- buch aufgenommen werden. Wichtig wäxe mir zu erfahren, warum Herr Schiff jeßt niht mehr dem Reichs-Versicherungsamt angehört.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Die Angelegenheit Schiff hat mi beschäftigt. Als ih Kenntniß von dem Briefe des Herrn Schiff erlangte, habe ih vom Reichs- Versicherungsamt Bericht eingefordert und habe erfahren, daß Herr Schiff seine Stelle als nichtständiges Mitglied des Neichs - Ver- siherungsamts niedergelegt habe. Das i} gewesen im Verlauf des verflossenen Jahres (Zuruf von Seiten der Socialdemokraten), unmittelbar nachdem die Sache in der Presse besprochen war ; also Herr Schiff ist niht mehr ständiges Mitglied des Reichs-Versiche- rungsamts.

Im übrigen kann ih, was den Gegenstand der Debatte anlangt, mittheilen, daß bisher Anregungen auf Revision ter Seemanns- ordnung von keiner Seite bei uns eingegangen sind. Ich gebe in- dessen zu, daß seit Erlaß der Seemannsordnung die Verhältnisse der Schiffahrt sih do so wesentlih geändert haben, daß es gut und nüßlich sein kann, die Seemannsordnung einer Nevision zu unterziehen ; und wenn der Herr Abg. Schwarß mit Vorschlägen in dieser Be- ziehung hervortreten will, so können wir das um so dankbarer an- erkennen, je weniger wir ja bei der Länge der Debatte über den Etat des Neichsamts des Innern in der Lage sein werten, in absehbarer Zeit an eine solche Revision beranzugehen. (Heiterkeit.)

Abg. Metzger (Soc.): Auf den verschiedenen Seemannsämtern sind in den leßten Jahren nicht weniger als zehn Fälle von Mißhandlungen zur Verhandlung gekommen, welche zu Selbstmord geführt haben. Der Neichscommissar bei dem Seeamt in Bremer-

aven hat erklärt, daß jeßt Fälle von Mißhandlungen mit solchem Ausgange viel häufiger vorkommen, daß es aber ungemein {wer sei, den Zusammenhang zwischen beiden festzustellen, weil die Mann- schaften sehr {wer für die Aussagen zu haben seien. Die Gerichte erklären nun wunderbarer Weise eine generelle Anweisung, Wider- spenstige zu prügeln, für niht strafbar; und weil dies also doch nah der Seemannsordnung zulässig sein muß, darum eben verlangen die Seeleute die Abänderung der Seemannsordnung. Diese Miß- handlungen von Seeleuten auf deutschen Schiffen müssen aufhören. Wir werden nicht aufhören, dafür zu wirken, auch wenn man uns noch fo sehr fsocialistisher Umtriebe beschuldigt.

Abg. Jebsen (nl.): Jch kann mir garnicht erklären, daß man, was Herr Schiff geschrieben hat, auf Absicht zurückführt. Jch für meine Person glaube daran nicht. Die Bill Plimsoll war vor 20 Jahren vielleicht ganz angebracht; heute sicht es anders aus. Jm großen und ganzen können wir uns nur freuen, daß unsere Kauf- fahrteimarine noch fo beschaffen ist, wie sie ist.

Abg. Bebel (Soc.): Die zu hohe Versicherung der Schiffe ist noch immer im Schwunge, Die Unfallverhütungsvorschriften be- stehen zwar; aber ihre Ausführung wird nicht controlirt, wenn das Schiff in See geht. Im Interesse des Nenommées der deutschen Schiffsrheder sollte der Abg. Jebsen selbt die obligatorische Untersachung aller in See gehenden Schiffe fordern. Der Umstand, daß Herr Schiff niht zur Klage geschritten ist, daß er sein Ehrenamt niedergelegt hat, beweist für mich, daß Herr Schiff ein Massenmörder ist.

Das Kapitel wird bewilligt und darauf um 51/4 Uhr die Fortseßung der Etatsberathung auf Mittwoch 1. Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 35. Sihung vom 21. Februar.

Fortseßung der zweiten Berathung des Staats- haushalts-États für 1893/94 und bei dem Etat des Ministeriums der geistlihen 2. Angelegenheiten.

Ueber den Beginn der Sigung ist bereits in der Nummer vom Dienstag berichtet’ worden. Wir tragen daraus hier nur die von dem Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse gehaltenen Reden im Wortlaute nach.

Auf den von dem Abg. Damink ausgesprohenen Wunsch, daß bei Beseßung der Lehrstellen auf Universitäten das re- formirte Bekenntniß berücksichtigt werden möge, erwiderte der Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ja, meine Herren, wir haben elf reformirte Professoren, und ih glaube, daß die reformirten Theologen auch schon jeßt Gelegenk eit baben, an den Universitäten Kenntniß zu nehmen von derjenigen Lehre, die ihrem Bekenntniß entspriht. Jch bin auch gar nicht

zweifelhaft darüber, daß, wenn neue reformirte Prediger-Seminare

gegründet werden, wir fie unterstüßen werden. Wir haben sogar in

in den bisherigen Prediger-Seminaren Vorsorge getroffen, daß dort

die reformirten Candidaten Gelegenheit haben, sich über den Gebrau des Heidelberger Katehismus einigermaßen zu informiren. Also ih stehe den Anträgen des Herrn Vorredners durchaus wohlwollend gegenüber, bin aber niht in der Lage, für cinzelne Anstalten bestimmte Zusicherungen zu geben.

könnten, entgegnete der Minister dec heiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Bei diesen Erörtrungen kann ih unmögli shweigen; es ist meine Pflicht, die Stellung der Cultusverwoaltung zu diesen Fragen klarzustellen. Jh beginne damit, daß ih zunächst das ausscheide, was der Herr Abg. Dr. Porsh in Bezug auf die religiöse Stellung der Gymnasiallehrer gesagt oder vorgelesen hat. Er hat, wenn i ihn recht verstanden habe, der Meinung Ausdruck gegeben, daß bei den Gymnasiallehrern nach ihrer religiösen Stellung überhaupt nicht gefragt würde. Daran is soviel wahr, daß die Schulverwaltung ganz außer stande is, etwa mit jedem Gymnasiallehrer, der Lateinisch, Griehisch, Mathematik oder sonst etwas [chren soll, vorher noch ein besonderes Examen auf seinen religiösen Glauben anzustellen. (Hört, hört!) Damit erkenne ih auédrülich an ih behaupte, daß der Religionsunterriht au auf unseren höheren Unterrichtsanstalten confessionell gegeben wird, und es wird auch Herrn Abg. Dr. Porsch bekannt sein, daß den kirchlichen Vrganen nah dieser Seite hin eine Kenntnißnahme, eine Nevision eingeräumt ist und daß davvn auch Gebrauch gemacht wird sowohl von katholischer als evangelischer Seite.

Im übrigen sind wir ja hier bei dem Titel von den Univer- sitäten, und ih will, was die höheren Unterrichtsanstalten, die Gymnasien u. \. w. anlangt, nur noch bemerken, daß es nicht der Absicht der“ Unterrichtsverwaltung entspricht, unsere jungen Leute dort zum Indifferentismus zu erziehen.

Was nun die Universitäten anlangt, so darf ih wohl vor allen Dingen annehmen, daß es nicht die Absicht des Herrn Abg. Dr. Porsch gewesen ist, gegen die bestehende verfassungsmäßige. Lehrfreiheit der Universitäten zu Felde zu ziehen. Jh habe {on neulih mi unzweideutig darüber ausgesprochen, daß ih das Verlangen des Herrn Abg. Dr. Porsch, daß Licht und Schatten auch an unseren Hoch- s{hulen in Bezug auf die verschiedenen wissenschaftlihen Richtungen, auf die kritischen und die positiven, möglichst gleihmäßig vertheilt werde, daß unsere Studenten Gelegenheit bekommen nah beiden Richtungen hin si diejenigen Professoren zu wählen, auf deren Boden, nach deren Anleitung sie die Wahrheit suchen und wissenschaftlich er- forshen wollen, daß ih dieses Verlangen nicht nur als vollkommen brrehtigt anerkennen muß, sondern zu jeder Zeit, auch jeßt, im Be- griff bin, danach zu handeln. i

Was nun aber die Meinung betrifft, daß unsere Universitäten im ganzen und großen als Stätten der Gottlosigkeit und des Un- glaubens bezeichnet werden, so hat ja heute der Herr Abg. Dr. Porsch seine dahin zielende neuliche Bemerkung bereits auf ein engeres Maß eingeschränkt. Jth habe die Bemerkung neulih nicht überhört, aber es war in später Stunde, und ih bekenne, daß ich damals vergessen habe, sie zu erwähnen und zu ihr Stellung zu nehmen. Ich will das nachholen. Ich muß hervorheben, daß nah meiner persönlichsten Kenntniß der Verhältnisse dieser Vorwurf in diesem Umfange voll- kommen unberechtigt ist. Meine Herren, ih habe dafür ganz be- stimmte Anhaltspunkte. Die Neden, die an unseren Universitäten bei festlichen Gelegenheiten gehalten werden, und zwar von Professoren aller Facultäten, werden mir fast ohne Ausnahme zugänglich gemacht, und ih habe aus Anlaß der Bemerkung des Herrn Abg. Dr. Porsch neuerdings mir vergegenwärtigt, was ih denn im Laufe des Jahres, während dessen ih an der Spige der Unterrichtsverwaltung stehe, in dieser Beziehung zu lesen bekommen habe, und da kann ih nur fagén, daß alle diefe Neden mit tiefem NRespect vor der christlichen Neligion erfüllt find, daß keine von ihnen irgend einen Angriff auf christliche Wahrheiten cnthält, und daß ih daraus den Schluf ziehe, daß im großen und ganzen an unseren Universitäten, in unseren akademischen Kreisen noch ein großes und reiches Maß tiefen religiösen Sinnes herrsht. JIch verkenne niht, meine Herren, ih weiß wohl, daß einzelne Ausschreitungen vorkommen, wenn auh nicht gerade an preußischen Universitäten, von denen sie mir niht gerade bekannt geworden sind. Nun muß ih doch aber fagen: Der Zusammenhang, den der Herr Abg. Dr. Porsch zwischen der ab- fälligen Aeußerung cines Professors über den Culturwerth des Christenthums und zwischen der Aufgabe, die dem Staat obliegt gegenüber den Dissidentenkindern, zu construiren versucht hat, - dieser Zusammenhang scheint mir in der That ein überaus loser zu sein. Es mag ja einzelne Vertreter der Wissenschaft geben, die aus- sprechen, daß kein persönliher Gott sei; das sind aber Ausnahmen, und diese Ausnahmen, diese Einzelheiten finden durch die Berufs- genossen und durh die Wissenschaft ihre beste Correctur. Denn, meine Herren, die wahre Wissenschaft wird immer wieder auf die christliche Wahrheit zurückkommen ; sie wird sih nicht auf die Dauer mit der christlichen Wahrheit in Gegensaß seßen, und wer an das Christenthum glaubt, der foll auch an diese siegreihe Macht der christlihen Wahrheit glauben. Mit polizeilihem Zwange brauchen wir die christlihe Wahrheit niht aufreht zu erhalten; sie wird sich hon von selbs durhringen. (Sehr gut!)

Meine Hercen, dazu kommt, daß im allgemeinei den meisten akademischen Lehrern ganz außerordentli selten Gelegenheit geboten wird, religiöse Fragen in ihren Collegien zu besprehen. Die Juristen, die Mediziner, die Mathematiker haben dazu fast gar keine Ver- anlassung; es bleiben übrig die Philosophen, die naturwissen- schaftlihen Fächer, selbstverständlich die Theologie. Meine Herren, auh da bleibt, wenn man sorgfältig prüft, nah dem Zeugniß competenter Beurtheiler und namentlich auf positivem Grunde akademisher Lehrer von dem Vorwurf außerordentlih wenig übrig. Ich bin vielmehr der Ueberzeugung, daß in den akademischen Kreisen Deutschlands noch ein fo lebhaftes religiöses Interesse herrs{cht, daß dieser weitgehende Pessimismus, wie ihn Herr Dr. Porsh uns dargestellt, und den er aus Einzelersheinungen zu einem Ge- sammtbild zusammenzufassen gesuht hat, nihcht begründet ist, daß wir vielmehr alle Ursache haben, auf die wissenschaftlichen Bestimmungen unserer Universitäten stolz zu sein. Jch wüßte nicht, daß irgend eine Nation uns und unsere Universitäten an religiösem Sinn und an Nespect vor der ¡religiösen Wahrheit übertrifft; ebenso wenig, wie ih weiß, daß irgend eine Nation unsere Universitäten an wissenshaftlihem Sinn übertrifft. Jch habe dafür hier cin Zeugniß von einem Franzosen in einem Werke, das in Paris bei W. Welter erschien von F. Lot: „L’enseignement supérieur en France. Ce qu’il est ce qu’il devrait être.“ Der sagt ih darf wohl mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten die paar Worte vorlesen :

In dem Maße, in welchem ih die Organisation der französischen

geistlihen 2c. Angelegen-

Dem Abg. Dr. Porsch, der es tadelte, daß atheistische Lehrkräfte fi ungehindert in den Universitäten entfalten

Facultäten genauer studirte, und sie mit der der fremden, namentlih

da hilft der Staat. Daß dabei einige

Etat beschlossen, in ihrem Gehalt mindestens so gestellt werden tollen, wie fie als

der deutschen Universitäten verglich, hat sich mir die trostlose Gewiß- heit unserer Shwäche und die niederschmetternde Ueberlegenheit Deutsch- lands nah und nah aufgedrängt. Die wissenshaftlihe Hegemonie Deutschlands in allen Zweigen der Wissenschaft ohneAusnahme ist gegen- wärtig von allen civilisirten Völkern anerkannt. Es ist ein notorisches Factum, daß Deutschland allein wissenshaftlich mehr producirt als der ganze übrige Nest der Welt. Seine Ueberlegenheit in den Wissenschaften bildet das Pendant zu der Englands auf den Ge- bieten des Handels und der Seefahrt. Vielleicht ist sie verhältniß- mäßig noch größer.

Nun, meine Herren, das ist doch auch ein Zeugniß für unsere Universitäten, das wir uns wohl gefallen laffen können.

Ich wiederhole, daß ich bereit bin und mich für verpflichtet halte, dafür zu forgen, daß nicht einseitige wissenschaftliße Nihtungen nur einseitig in den Universitäten zum Ausdruck kommen. Jch werde dafür sorgen, daß die verschiedenen wissenschaftlihen Richtungen vertreten find, und zwar von tüchtigen wissenshaftlihen Vertretern, soweit sie überhaupt wissenschaftlih legitimirt sind; das is meine Pflicht und Schuldigkeit. Im übrigen aber habe ich das Vertrauen zu unseren Universitäten, daß sie unsere Jugend niht schädigen, sondern unsere Jugend anleiten, die Wahrheit selbständig zu erforschen; und wenn sie das thun, so wird unsere Jugend auch dahin kommen, den ewigen Gehalt der christlihen Wahrheit zu erkennen und dafür einzutreten. (Bravo!) :

Bei der weiteren Berathung des Antrags des Abg. Dr. von Jazdzewski auf Streihung des Dispositionsfonds zu a wide M und Stipendien „für Studirende deutsher Herkunft zum Zwecke späterer Verwendung der- selben in den Provinzen Westpreußen und Posen, sowie für Studirende aus dem. Regierungsbezirk Oppeln“ nimmt nah dem Ministerial-Director Dr. Kuegler, dessen Rede bereits D A T o O j y x

Ubg. Motty (Pole) und bezeichnet cs als ungerecht, daß solche Staatsfonds, zu "1 P üßte j f Se Bee o, beisteuern müßten, nur zu Gunsten

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) beantragt, wenigstens die

Worte „deutscher Herkunft“ zu \treihen und dadurch dem Fonds die Spie gegen die Polen zu nehmen. : s

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: j Ich bitte Sie dringend, diesen Fonds niht zu streichen. Ich finde es ja begreiflih, daß diese Fonds den Polen unbequem sind. Aber die Deutung, daß in einem Recchtsstaat diese Fonds nicht be- rehtigt seien, ist nah meiner Ueberzeugikg ganz unbegründet. Meine Herren, wir haben gewisse Bezirke: in denen die Deutschen in der Minorität und die Polen in der Majorität sind, und in diesen Bezirken müssen wir die Deutschen stüßen. Nur zum Schuße und zur Stüße der Deutschen sind diese Fonds bestimint, und dazu können wir sie nicht entbehren. Wir haben andere Fonds, die zugleich für die Polen bestimmt sind, ohne derartige Be- schränkungen, und sie werden den Polen nit vorenthalten werden ; sollte darin bisher irgendwo gefehlt sein, so bitte ih, mir die einzelnen Fâlle zu melden. Ich werde dafür sorgen, daß auch in dieser Beziehung Gerechtigkeit waltet (Zuruf des Abg. Dr. von Jazdzewski) auch in Bezug auf den Alumnatsfonds bei dem Marien-Gymnasium. Wenn wir aber nicht polnishe Schüler genug haben, dann bleibt nichts Anderes übrig, als die freien Mittel au Deutschen zuzuwenden, und eine Beschränkung findet in dieser Beziehung nicht statt.

Kurz ih resüwire mi dahin: von einer Verleßung des Nechts- staats kann bei diesem Fonds gar keine Nede sein. Wir brauchen die Fonds zum _Schußte des deutshen Elements, ,da wo es in der Minorität ist, und ich bitte Sie, zu diesem Zwecke diese Fonds zu bewilligen. Ï _ Abg. S zmula (Centr.) verlangt eine Nachweisung über die Verwendung des allgemeinen Fonds, damit man schen könne, ob eine" r mise Lt stattgefunden habe.

Ministerial-Director Dr. Kuegler erklärt, daß die Vertheilun der Fonds bei den Ober-Präsidenten und den Provinzial-SFulcollegien ruhe; nah dem Klang der Namen der Stipendiaten aber müsse man annehmen, daß gleichmäßig vertheilt worden sei. j A Abg. Graf zu Limburg-Stirum (cons.) erklärt, daß seine Freunde für die Fonds stimmen würden, weil diese bestimmt seien zur Unterstüßung der Deutschen, die sih der polnischen Mehrheit gegen- über in der Abwehr befänden. Wenn die Wirkung der Maßregeln von 1885 eingetreten sein werde, dann könnten die Fonds vielleicht aufgehoben werden. |

Abg. Dr. von Jazdzewski Tendenz der Polen.

/ Abg. E era meint, daß in Oberschlesien die Arbeiter und Bauern doch wo aum etne aggressive Tendenz gegen die EMONen men Mien, gibdó) Aa V irg ads

g. Graf zu Limburg-Stirum (cons.): In Bezug auf Oberschlesien habe ih meine Bemerkung niht gemacht; ibrigras ift es für Oberschlesien niht ausgeschlossen, daß der Fonds au an Schüler polnisher Sprache gegeben wird.

Gegen die Stimmen des Centrums und der Polen wird darauf der Fonds genehmigt.

Beim Kapitel: „Höhere Lehranstalten“ bittet Abg. Dr. Schul ß-Bochum (nl.) die Regierung, die Ge- * meinden bei der Unterhaltung der Lehranstalten besser unterstüßen zu wollen. Die höheren Lehranstalten sind allerdings keine Landes- anstalten, sodaß sie ganz auf den Staatshaushalts-Etat übernommen werden müßten; aber sie haben doch eine Bedeutung, die weit über die Mauern des Städtchens hinausgeht, in dem sich die Anstalt befindet. Deshalb sollte an die Stelle des jeßigen undur{sihtigen und zu Will- fürlichkeiten führenden Systems der Unterstüßungen ein Svstem der festen Unterstüßung treten, etwa ebenso wie bei den Volksf@Hulen dur Zahlung bestimmter Summen für jede Lehrstelle. Redner empfiehlt die Gleichstellung im Gehalt für die Lehrer der höheren Lehr» anstalten mit den Richtern erster Instanz und tadelt es, daß zu wenig Lehrer angestellt find, sodaß die vorhandenen Lebrer überall zu den Marimalstunden herangezogen werden müssen, was eine zu große Anforderung. an die Krast der Lehrer ist. f Geheimer Ober-Regierungs-Rath B oh y weist darau? bin, daß die Communen vielfach höhere Lehranstalten eingerihtet baben, nachdenr ihnen der Staat ausdrüklih die Verpflihtung auferlegt babe, daß sie für die steigenden Ausgaben selbst eintreten müßten. Da kaun der Staat nachher nicht ohne „weiteres eintreten und die Last der Gemeinden übernehmen. Wo die e tangdunsähigkeit der Gemeinden erwiesen ist, _Ungleichmäßigkeiten vorkommen, auf die Rangverbältnisse sind die

(Pole) bestreitet Jede aggressive

ist vielleiht mögli. n Bezu

Lehrer den Richtern allerdings insofern nicht gleichgestellt, als nur ein Drittel der wissenschaftlihen Lehrer in die vierte Rangklasse konnt; nicht die Hälfte. früher inzihr Amt als die Richter. Die Zabl der Maximalstunden

Aber die Lehrer kommen dafür aud cinige Jahre

ocn

ür die Lebrer ist auf 24 festgeseßt; für die Oberlehrer, jeut für die

Lehrer, welche die Zulage erbalten, auf 22 Stunden wöchentlich.

Abg. Dr. Kropat sche ck (conf.): Das Haus hat beun Normal» daß die Directoren der Königlichen Lehrauftalten

Oberlehrer stehen würden. Dieser Beschluß ift do nur sebr langsam ausgeführt worden. Troß der großeu Belastung der S

ulbehörde