1893 / 56 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

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schritten worden sind, während bei tiotdmnlbigen Stellen \ich Minderausgaben finden ! Das Bedenkliche ist vielfa, daß die Ver- waltung ganz junge Leute in verantwortliche Stellen bringt und ihnen dabei niht ein Gehalt, sondern einen Diätensaß von 2,00 M oder noch weniger giebt, mit dem absolut nicht auszukommen ist. Diesem System verdanken wir die vielen Verurtheilungen entgleister Postbeamter, denen die Geschworenen in der Negel mildernde Umstände bewilligten. Endlih möchte ih ie Dienstaltersstufen noch befürworten, für die ich immer E eingetreten bin. Der Staatssecretär Dr. von Stephan ist bis- er fein Freund dieses Systems gewesen; nah seiner Meinung müßte darunter die Disciplin leiden. Die Vorlegung einer Anciennetäts- liste hat er uns stets verweigert. Die Einführung der Alters\tufen ift durchaus nothwendig. as bei der Reichseisenbahnverwaltung möglich ift, muß auch bei den Postbeamten möglich sein. Man brauhte nur die untersten Stufen nicht zu lang zu bemessen und könnte andererseits das Anfangêgehalt gewisser Kategorien wie der Landbriefträger überhaupt etwas erhöhen. edenfalls bitte ich das Haus, die Resolution wegen der Dienstaltersstufen mögli ein- stimmig anzunehmen. Die Aufrechterhaltung der Disciplin und eine gewisse Strammheit und Straffheit gebe ih als nothwendig zu. Ebenso nothwendig ist aber Berufsfreudigkeit und diese seßt gute Behandlung und leidlih gute Bezahlung voraus. Wenn auch der Staatsfecretär Dr. von Stephan keinen Werth auf Popularität legt, wir legen Werth darauf, daß das Institut populair sei. Der A g. von Keudell wünscht, die Postbeamten sollten ih überhaupt keiner Partei anschließen. Ih habe Kenntniß davon, daß sie diesem Wunsch nicht entsprechen, daß sie sih in großer Zahl namentlih der Social- demokfratie anschließen. Es ist dies ein Symptom dafür, daß in den Kretsen der Postunterbeamten die Zufriedenheit niht vorhanden ift, die dort vorhanden sein sollte. Indem wir dafür eintreten, treten wir ein für die Interessen der Gesammtheit.

Director im Reichs-Postamt, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Pes: Die Behauptung, daß der Beamte alle dur die Ver-

assung gewährleisteten Nehte ausüben könne, widerspriht den That- fachen. Die Ausübung des Rechts der Freizügigkeit z. B. ist ihm durch die ihm obliegende Residenzpflicht beschränkt. Wir haben das Necht, unsere Meinung in der Presse frei zu äußern. Wenn aber ein Beamter des Auswärtigen Amts dieses Necht in Bezug auf die Veröffent- lihung eines Staatsgeheimnisses ausüben wollte, so würde er fich {werlich mit Erfolg auf den Paragraphen der Verfassung berufen kön- nen, der allen Staatsbürgern dieses Recht beilegt. Auch das Necht der Gewerbefretiheit i} den Beamten dur administrative Bestimmungen beschränkt. Selbst das Wahlrecht können die Beamten nicht immer in vollem Umfange ausüben. Ein Postshaffner auf der Strecke Danzig—Stettin, der am Wahltage in Danzig bleiben wollte, um sein Wahlreht auszuüben, würde sich in offenkundigen Conflict mit seinen amtlichen Pflichten seßen. Bezüglih des Postassistenten- Verbandes hat der Vorredner die Alternative gestellt : entweder der Verband verstößt gegen das Gesetz, dann verbiete man. ihn; oder er verstößt nit gegen das Gesetz, dann behellige man ihn niht. So einfach liegt die Sache niht. Verwalten heißt soviel wie vorhersehen und vorbeugen. Nepressivmaßregeln sind gewiß niht immer zu umgehen ; aber das wäre eine sehr unvollkommene Verwaltung, die alles so gehen ließe, wie es dem lieben Gott gefällt und erst, wenn Verfehlungen ein- treten, mit der Wucht der Disciplinar- oder Strafgeseße einschritte. Wir sind vielmehr berechtigt und verpflichtet, dafür zu sorgen, daß möglichst wenig Gelegenheiten zu Verfehlungen eintreten. So sind denn auh in dem Kampf zwischen dem Postassistenten-Verband und der Neichs-Postverwaltung, von welhem hier die Rede war, fehr wenig Strafen verhängt worden. Die Verfügung, welche bei dem Vorredner besonders zum Anstoß gereicht hat, beruht auf dem- selben Gedankengange. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß Beamte, um an Versammlungen des Postassistenten-Verbandes theil- nehmen zu fönnen, unter unrihtigen Vorspiegelungen sich Krankheits- urlaub haben geben lassen. Wir haben demnächst, wenn wir aus den öffentlihen Blättern erfahren, daß ein unter Beibringung eines ärztlichen Attestes wegen Krankheit beurlaubter Beamter aus der Nhein- provinz in einem Bezirk von Mitteldeutschland in öffentlichen Versamm- lungen agitatorishe Reden gehalten hat, diesen Beamten zur Nechenschaft gezogen und bestraft. Das ist wiederholt vorgekommen, und um der Wieder- holung folher Fälle vorzubeugen, die uns recht gut bekannt sind, haben wir in fkurzer Form, die Aufmerksamkeit der Ober - Postdirectionen auf die Wiederkehr solcher Fälle hingelenkt, damit sie im voraus die Sache prüfen können und niht neue Be- strafungen nothwendig werden. (Zustimmung.) Mit dieser Erklä- rung hoffe ‘ih mir das frühere Wohlwollen des Vorredners wieder- gewonnen zu haben. Die Postassistenten befinden sih keineswegs in precârer Lage. Sie beziehen außer dem Wohnungsgeldzushuß ein Gehalt von 1500—1700 Æ nah neunjähriger dienstliher Be- schäftigung. Das dürfte kaum in irgend einer anderen Verwaltung ein junger Beamter von 26. Jahren beziehen. Die Stellung der Postassistenten is außerdem eine Durchgangsstellung. Die Assistenten rüden nah vier Jahren in die Stellung de Ober-Post- assistenten oder Postverwalter auf. Wir haben also {on gegen- wärtig, was der Vorredner mit dem Durchrangiren erreichen will. Das Aufrücen erfolgt von selbst und hat nichts mit subjectivem Er- messen zu thun. Jeder Beamte, der sih nicht in Erfüllung seiner Amts- pflichten grobe Verfehlungen hat zu Schulden kommen lassen, rüdckt nah Maßgabe seines Dienstalters in ein höheres Gehalt ein. Der Vorredner wünschte, daß mehr Beamte angestellt werden. Wir sind ihm dankhar, daß er bei verschiedenen Gelegenheiten der Berwaltung bei der Erfüllung dieses Wunsches geholfen hat. Die große Zahl der Posthilfsbeamten kann eben unmöglich ein Compelle für uns sein. Die Posthelfer sind gar keine Beamten, sie werden nur für ihre geringe Hilfeleistung, das Sammeln der Briefe unter Wahrung des Brief- geheimnisses, entshädigt. Die Vermehrung dieser Stellen hat also überhaupt keinen Einfluß auf die Vermehrung des Hilfsbeamten- personals, und der Abg. Dr. Baumbach hat sih in diesem Punkte, troß jahrelanger eifriger Beschäftigung mit dem Post-Etat, geirrt. Mit der Anstellung von Postbeamten is auch in diesem Etat in einer dem Bedürfniß entsprehenden Weise vorgegangen worden. Die ahl der Postassistenten i um 900 vermehrt worden. Auch ist die Besorgniß ganz unbegründet, daß wir absichtlichß Ersparnisse bei den etatsmäßigen Stellen machen, um den Etat günstiger zu gestalten. So ganz prima vista lassen sich die Hindernisse nicht überwinden, die gegenwärtig der Einführung der Dienstalters\tufen bei der Post- verwaltung entgegenstehen. Für unsere Beamten ergiebt si, wenn man die Säße, die in Preußen eingeführt And, und das Aufrücken nach drei Jahren auf sie anwenden wollte, ein Minderbetrag in der Besoldung. Können wir das verantworten ? Dieser Weg würde die Beamten sämmtlich mißvergnügt machen. Auch die Commission war von der Schwierigkeit der Sache über- zeugt, sonst hätte sie statt der Nesolution praktische Vorschläge ge- macht. Wir bleiben vor der Aufgabe, wie es mögli sein wird, unseren Beamten Dienstalterszulagen zu verschaffen, abre ‘daß ihnen an ihren Einkünften etwas abgezogen wird. ir sind in diesem Sinne {on mit dem gan in Verbindung getreten und werden der von der Commission beschlossenen Nefolution Folge geben, Aber nach einer bestimmten Richtung haben wir uns nicht engagirt. Die Enquête über die Wohnungsgeldzushüsse der Unterbeamten ist in der irrigen Voraus eßung angelielle, daß die Abgeordneten der focialdemokratischen Partei die einzigen wären, die ih hier für die Unterbeamten interessiren. Die Behauptung, daß schon in diesem ahre eine andere Regulirung des Wohnungsgeldzuschusses erfolgt, ist entweder unklug oder etwas Schlimmeres. er die Geseye kennt, weiß, daß die 10 Jahre, um die es si handelt, erst 1897 AUEN. Da hat es sich um andere Dinge gehandelt als um loyale Er- mittelungen aus der Mitte der Beamten heraus,

Abg. Vollrath (dfr.): Die Lobrede des Abg. von Keudell war eine verspätete Jubiläumsrede auf die 40 jährige Amtsthätigkeit des Staatssecretärs Dr. von Stephan. Sie hätte aber bei feinem Gean Jubiläum lange nicht so s{hädlich gewirkt als jetzt. Erfreulich ist mir, daß auch der s von Keudell anerkannt, N die

erwähnten Collecten immer einen Zwang ausüben und deshalb zu

vermeiden wären. Der Assiftenten-Verband hat \sih nit feinercseits seitwärts gestellt, wohl aber haben die anderen Beamten wie z. B. in Köln, die Assistenten von ihren Vergnügungen und Nereinigungen auégesGrofsen, und erst als sich die Afisenten derart seitwärts E sahen, haben fie sich zusammengeshlossen. Mit Freuden egrüße ich die Ankündigung, daß das Postzeitungöwesen reformirt werden foll; ih protestire aber gegen die Ausführungen des Abg. von der Schulenburg, als wenn die Post eine Cenfur zu üben habe und diese oder jene Art von Zeitungen verschieden zu behandeln habe. Der Staatésecretär Dr. von Stephan hat diese Anshauung au zurückgewiefen, aber doch au seinerseits davon gesprohen, daß auf den Geist der A Rücksicht genommen werden müsse. Dieser Umweg würde zu dem uns des Abg. von der Schulenburg zurückführen, und ih möchte dringend davor warnen. Gerade diese Angelegenheit zeigt, wie richtig die Behauptung der Stagnation im Postwesen ist. QDas Steigen des Correspondenzverkehrs is ja doch von, dem Staats\ecretär und von den tehnishen Einrichtungen der Postverwaltung ganz unab- hängig. Schon vor 19 Jahren hat der Staatss\ecretär Dr. von Stephan die Abänderung für sehr wünschenswerth erklärt; aber noch heute sind wir nicht weiter als damals. Jett endlich scheint die Sache energischer in Angriff genommen zu werden. Aus der Neuregelung wird die Postverwaltung erheblihe Einnahmen haben, und um fo unbegreifliher is ihre Zögerung. Nun hat der Staatssecretär Dr. von Stephan gestern gesagt, meine gestrigen Ausführungen hätten von JIrrthümern gewimmelt,. Ich kann das nur in einigen wenigen Punkten von nebensächlicher Bedeutung zugeben. Ich habe nicht ohne weiteres behauptet, daß Postassistenten niht zu Reserve- Offizieren befördert würden; ih habe nur eine Anfrage an den Staatssecretär gerichtet und diese auch beantwortet erhalten. Ich habe ferner gesagt, es gehen 14 Jahre darüber hin, bis der Postgehilfe in eine feste Stellung hineinkommt. Diese Zahl i} absolut - rihtig; vorher kann der auch bereits angestellte Assistent nah dreimonatiger Kündigung entlassen werden. Auch meine Behauptung, die Postbeamten tuten 20 Jahre und länger auf eine feste Anstellung warten, hat der Staatssecretär bestritten, während die allgemeine Dienstordnung für Civilanwärter sogar eine Gesammtdienstzeit von 30 Jahren vor der definitiven An- stellung vorschreibt! Für die Kaiser Wilhelm-Stiftung werden zwar fortlaufende Sammlungen nicht veranstaltet, aber do gelegentliche Sammlungen, deren eine nicht weniger als 55 000 M ergab! Daß die „Verkehrs-Zeitung“ kein amtliches Organ ist, habe ih ja gerade betont und es deshalb getadelt, daß troßdem amtlih Abonnements und Inserate dafür gesammelt worden. Eine Ziffer von 2% 000 A für Verwaltungskosten kommt in dem ganzen Bericht des Postassistenten- Berbandes nicht vor. Allerdings stehen daselbst 29715 M. als VBerwaltungsunkosten aufgeführt. Darin \teckt aber das Geschäft des Kleiderverkehrs, welhes der Verband sfeit längerer Zeit be- treibt. Eine Unterbilanz is bisher nicht vorhanden gewesen. Nur einmal is eine Aufforderung zur Zahlung der Beiträge ergangen zur Vermeidung einer möglichen Unterbilanz. Der Verband hat ein Vermögen von 38000 4; man kann ihn nicht mehr s{hädigen, als wenn man behauptet, er sei dem Nuin nahe. Der Eintritt neuer Mitglieder nimmt zu. Der gegenwärtige Mitgliederbestand ift 4500.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (b. k. F.): Ich bin der Allerleßte, der an der Disciplin irgend etwas gelockert sehen wollte, bin auch der Ansicht, daß der Beamte durch den Beamteneid, die Disciplinargefeße u. s. w. eine freiwillige Beschränkung seiner staats- bürgerlichen Rechte auf sih genommen hat; aber die Grenze muß hier scharf eingehalten werden, und dem Postassisten-Verband gegenüber ist sie nah Meinung vieler überschritten worden. Material für Be- {werden bekommen wir alle massenhaft; trotz aller Sichtung können Irrthümer vorkommen. Ich werde mich hüten, hier vorzubringen, daß die Livréen für die S E des Staatssecretärs von Stephan aus den Ersparnissen an den Bekleidungsfonds hergestellt fein sollen, daß die Hühner auf dem Hofe des General-Postamts mit fiscalishem Hafer gefüttert werden und die Eier \{hockweise zum Staatssecretär wandern ; solhe an Wahnwiß grenzenden Behauptungen vertrete ih nicht. Aber was über den Assistenten-Verband hier von dem Abg. Vollrath gesagt worden ist, muß ih durchaus billigen. Der Verband hat, wie ih mich selbst aus den Büchern überzeugt habe, über 4000 Mitglieder. Bestrafungen sind ja nicht verfügt worden, aber destv mehr Verseßungen. Ich muß auh die Ausführung des Abg. Dr. Lingens zurücweisen, als ob der Verband keine Ideale hätte. Er tritt auh für Sonntagêruhe und Sonntagsheiligung kräftig ein. Jch habe zwei Fälle zur Kenntniß zu bringen, wo das Brief- resp. Tele- graphengeheimniß verleßt worden is, und welche beide Verbandsmit- glieder betreffen. Das Telegramm enthielt eine poetishe Begrüßung des Verbandstages. Troy des LTelegraphengeheimnisses hat man von einem Unterbeamten mit Androhung von Dienstentlassung die Nen- nung des Absenders erzwungen, der Absender ist \trafverseßt worden. Das Briefgeheimniß is verleßt worden in Straßburg im Elsaß, wo man Abschrift der Adressen der Empfänger des Organs des Verbandes ge- nommen hat. Zu weit gegangen ist die Postbehörde auch bei den Warnungen vor dem Beitritt zum Verbande oder dem Abonnement des Verbandsorgans, wie auch bei der Verwerthung der Zahlen, welche über die Verschuldung der Assistenten Aufschluß geben: Zahlen, die man sich auf ganz geradem Wege auch garnicht hat verschaffen können. Der Staatssecretär Dr. von Stephan hat gestern einen Brief verlesen, der „der Postverwaltung in die Hände gefallen ist“. Fallen der Ver- waltung öfter solche Briefe in die Hände? Nach dem Verwaltungs- beriht des Assistenten-Verbandes haben die Verwaltungékosten vom 1. März bis Cnde des Jahres 1892 rund 5000 4 betragen, also eine durchaus niht zu hohe Summe. Auch kann von Eigennußz der Leiter des Verbandes keine Rede sein. Der Verwalter erhält für seine Mühewaltung nur 200 46. monatlih. Die Kleiderkasse des Verbandes bedient ihre Leute gut und hat, getreu dem Gedanken „Schutz der nationalen Arbeit“, mit einer christlichen Aachener Firma abgeschlossen. Die amtliche Kleiderkasse hat in Berlin und Magdeburg mit der jüdischen Firma Gebr. Sachs abgeschlossen. Ist das vom nationalen Standpunkt aus berehtigt? In Magdeburg läßt der Ober-Post- director sogar die Eltern der jüngeren Postbeamten auffordern, ihre Kleider bei Sachs zu entnehmen. Sind denn unsere oberen Post- behörden dazu da, als eine Art Reisende für jüdishe Firmen zu dienen? Für Cassel ist noch immer kein neues Postamt in den Etat eingestellt, troßdem dieser Mangel den Nordosten von Cassel aufs shwoerste s{hädigt während bei den anderen Postanstalten die Beamten mit der Abfertigung der Pakete unmäßig angestrengt sind. Auch die Leinwandjacke für die Briefträger in der heißen Sommerzeit muß ih wieder reclamiren.

Director im Neichs-Postamt, Wirkliher Geheimer Rath Dr. Fischer: Die von dem Vorredner gewünschte Untersuchung der beregten Uebelstände kann ih ohne weiteres zusagen ; aber ich bin selbstverständlich niht in der Lage, auf das außerordentlih reihhaltige Detail, was der Vorredner vorgebracht hat, gegenwärtig einzugehen. Ich werde den stenographishen Bericht abwarten und hoffe in der dritten Lesun in eine Etörtéruná der Fragen eintreten zu können. Das Bedürfniß der Errichtung einer Zweig-Postanstalt in Cassel wird von uns an- erlannt; es fragt sih nur, ob das Postamt in der Neustadt oder der Altstadt untergebracht werden soll.

Abg. Stöcker (deons.): Auch ih bin der Meinung, man folle den Postassistentén-Verband ewähren lassen. Die Leute befinden sich ja in einer ecigenthümlihen Lage; sie dürfen nicht Postsecretäre werden, weil sie das Abiturientenexamen nicht gemackt haben, während anderer- seits Neserve-Offiziere unter ihnen And, Man kann ohne dieses Examen Minister werden“ und man soll nicht Postsecretär werden können? Das is} doch ungerecht. Viel besser wäre es, wir kämen zu englis en Verhältnissen, wo man nicht fragt, wo das Erlernte erlernt is , sondern was man gelernt hat und kann. Wenn sie

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nihts Unrechtes thut, soll man diese Nd pflegen. Jede

Vereinigung von D PIER I muß uns angenehm sein. In den finanziellen Angelegenheiten ist der Staatsfecretär nicht orientirt ge- wesen. Er hat uns von 25 000 4 Deficit erzählt. as zeigt doch, daß er gegen den Verband voreingenommen ist. Auch von den Erlafsen gegen den Verband wird mancher hier im Hause von niemandem unter-

Es werden. Durch \folche Erfahrungen werden die Beamten in tißmuth verseßt, in threr Berufsfreudigkeit gestört; Mißtrauen wird gesäet zwischen ihnen und den Collegen, die niht zum Verbande srporen, als ob die ersteren \taatsstörende oder «zerstörende Elemente eien. Die Behörde sollte versuhen, den Verband mit Wohlwollen zu behandeln, um einen ihr genehmeren Geist in ihn hineinzubringen ; die Zeit der kleinen Drangsale sollte aufhören. Im einzelnen sollte für die Briefträger die Behörde die Beschaffung von Wohnungen in die Hand nehmen, namentli in den großen Städten. Eine weitere Einschränkung des Sonntagsnachmittagsdienstes muß ebenfalls immer wieder gefordert werden.

Staatssecretär 1r.‘von Stephan:

Ich möchte zunächst die leßten Punkte, die der Herr Vorredner angeregt hat, erledigen.

Was die Frage der Sonntagsruhe betrifft, so {weben darüber bei der Postverwaltung Ermittelungen im Anschluß an die, wie dem Herrn Vorredner ja bekannt ist , eingeleiteten allgemeinen Er- mittelungen über die Art, wie das Gesetz der Sonntagsruhe si be- währt hat, und welhe Veränderungen etwa einerseits im Interesse der Sonntagsheiligung, andererseits ohne zu große Schädigung des Grwerbslebens getroffen werden können. Diese Ermittelungen er- strecken sich auf die Reichs-Postanstalten und haben wesentlich den Zweck, festzustellen, ob der Sonntagsdienst von 5 bis. 7 oder von 5 bis 6 Uhr er ist verschieden an den verschiedenen Orten ge- {lossen und erseßt werden kann durch einen Dienst zwischen 11 und 12 oder zwischen 11 und 1 Uhr Mittags, oder ob bei dem Bestehenden zu verbleiben ist. Die vorläufigen Berichte, die darüber eingegangen sind, lauten sehr verschieden. Es wird namentlih gegen den Schluß in den Abendstunden der Gesichtspunkt geltend gemacht, daß gerade am Sonntag Nachmittag die Arbeiterbevölkerung, die Dienstboten und gerade die niederen Schichten des Volkes gewohnt sind, ihre Briefe zu schreiben und ihre Pakete aufzuliefern; und die Beobachtung an den Schaltern hat im einzelnen und in Wirklichkeit ergeben, daß dem so h und daß es sih hier um die Interessen von Millionen von Menschen handelt, die sonst keine anderen Stunden haben, um für ihren Bedarf zu sorgen. Selbst in kaufmännischen Kreisen bestehen sehr ver- schiedene Ansichten. Einige wünschen, daß der Nachmittagsdienst auf- hören und daß die Post in der Zeit zwischen 11 und 1 ihren Dienst versehen möge; andere sind wieder sehr entshieden dagegen und wünschen, daß es bei dem bestehenden bleibe, zumal der jetzige Zustand seit etwa 30, beinahe 40 Jahren bei der Postverwaltung besteht, sich nah allen Richtungen hin ohne große Schwierigkeiten hat durchführen lassen und sih im allgemeinen bewährt hat. Jedenfalls ist aber hier ein non liquet zu sagen; die Frage unterliegt noch der Prüfung, und sie wird au nicht gelös werden können ohne den Anschluß an die Nesultate der allgemeinen Ermittelungen.

Was dann die Beschaffung leichter Kleider für die Briefträger betrifft, fo ist diese Frage, was dem Herrn Vorredner jedenfalls nicht bekannt gewesen ist, hier {hon verschiedene Male erörtert worden, und man hat sih jedesmal davon überzeugt, daß es sehr nachtheilig für die Gesundheit der Unterbeamten is, wenn sie in ganz leichten Kleidern im Sommer gehen, in denen sie Erkältungen vielmehr aus- geseßt sind als im Tuchrock. Es sind auch manche Versuche in dec Praxis gemaht worden; sie sind kläglih ausgefallen. Jch erinnere nur an Pplößlihe Negenschauer, Gewitter und dergleichen ; man muß sich klar machen, daß die Leute den ganzen Tag unterwegs sind, namentlih die Landbriefträger. Es hat ih nach keiner Richtung, auch bei den Beamten niht, Sympathie dafür ergeben.

Sodann hat der Herr Abgeordnete ich muß sagen: zu meiner Ueberraschung die Assistentenverbandsfrage noch weiter gesponnen, über die ja der Reichstag nun {hon zwei Tage verhandelt und dadurch der Sache eine Bedeutung beilegt, die ihr nah keiner Seite hin innewohnt, Jh muß au sagen, daß ih befremdet- gewesen bin, daß er nah all den Ausführungen, die gestern hier gegeben worden sind über die eingerissene Disciplinlosigkeit und über verschiedene schr ernste Vorkommnisse, gesagt hat, die Verwaltung möchte doch einen anderen Standpunkt einnehmen. Nein, verehrter Herr Abgeordneter, das ift nicht mögli, wenn wir die Principien durchführen sollen, die Sie selber an die Spiße Ihrer Ausführungen gestellt haben: nämlich die Aufrechterhaltung der Autorität und der Disciplin. Es sind ver- schiedene sehr unangenehme Vorkommnisse zu Tage getreten, die darauf s{licßen lassen, daß der Geist der Unzufriedenheit *eit Ent- stehung des Assistentenverbandes unter diesen Beamten erregt ist, daß sie die Autorität zu untergraben versuchen. Es sind frehe Aeußerungen gefallen in einzelnen Bureaus. Jch will indeß niht auf diese Einzel- heiten eingehen, um dem Beispiel des Herrn Liebermann von Sonnenberg nicht zu folgen, weil solches Detail do niht in den Reichstag gehört. Wir sollten uns im wesentlichen mit Principien hier befassen, und nicht mit Einzelheiten und Personen.

Wenn Sie mir gesagt haben, daß ih mich in Bezug auf die finanzielle Frage geirrt habe, so nöthigen Sie mich allerdings sehr zu meinem Bedauern —, auf diesen Theil der Sache näher ein- zugehen, was ich sonst vermieden hätte. Es wurde, um einem ent- lassenen Beamten einen Unterhalt zu verschaffen, von dem Verein im Juli 1891 eine Verkaufsstelle für Tuche [für 9243 4. erworben und die Leitung demselben übertragen. Dann wurde eine Schneiderwerkstatt errichtet. Zur Erwerbung des Geschäfts und zum Ankauf von Stoffen waren ungefähr 20000 erforderlich, zu deren Aufbringung im Juni 1891 eine einmalige und im Juli eiae fortlaufende Subscription auf Antheilscheine von 3 bis 10 4 2c. im ganzen Deutschen Reich bei Postassistenten und auch bei Postgehilfen,, die in dieser Beziehung ganz ohne Erfahrung sind, eröffnet wurde. Die Beträge über 10 4. sollten verzinst werden. Die Subscription hatte den gewünschten Erfolg nicht, da nur 6004 (4. zusammen kamen. Um den Verkaufspreis für das Geschäft bezahlen und Stoffe kaufen zu können, mußte der Ver- band ein mit 50/9 verzinslihes Darlehen aufnehmen. Dasselbe betrug 7500 M; ob es zurückgezahlt ist, davon weiß ih nichts. Im Dezember. 1891 nahm der Verband nebenbei den Verkauf von Cigarren , des Lorenz’schen Nathgebers für Beamte und einige Zeit später den Vertrieb von Einbanddecken für die Verbands-Zeitschrift auf.

Die ersten Geldverlegenheciten entstanden im Oktober 1891. Der Vorstand forderte zur Zeichnung neuer Antheilscheine auf, unr „über die ersten Monate hinwegzukommen“. Außerdem ersuchte ec um halbjährlihe Zahlung der Mitgliederbeiträge, die font viertel- jährlich entrichtet werden, damit er in die Lage käme, die Stoffe gleih zu bezahlen. Die Baarzahlung scheint vorübergehend gelungew zu sein, denn in dem Geschäftsberiht für die Zeit bis Ende Februar 1892 ist im „Soll“ keine Schuld für Stoffe verzeichnet. In dem Geschäftsbericht für die Zeit vom 1, März bis Ende

Dezember 1892 is dagegen die Ende Dezember vorhandene Schuld für Stoffe und Cigarren mit 21 200 Æ angegeben.

Der Vorstand hat nun {hon seit Jahresfrist - wvo die Klagen immer größer wurden alle möglichen Mittel aufgeboten, um zu Geld zu kommen. Um die Postgehilfen in großer Zahl für den Verband zu gewinnen, ist das Eintrittsgeld für die Postgehilfen (niht der Bcitrag) von 2 auf 1 ermäßigt worden, während der Jahresbeitrag für die Berliner Assistenten von 4 auf 5 A erhöht worden ist. Im März 189? wurde in zunächst vershämter Weise, in Form eines Briefes aus der Provinz v

es ift dies die Form, wie sie immer in der Verbands- Zeitung wiederkehrt die Verzichtleistung auf die Antheilscheine seitens der Inhaber von der Verbands-Zeitschrift angeregt; im April 1892 folgte eine Auf- forderung zu freiwilligen Beiträgen. (Zuruf.)

Fa, es wurde angeregt, auf die Antheilsheine zu verzichten. Dann folgte eine Aufforderung zu freiwilligen Beiträgen.

Am 15. Oktober hatte der Verband eine Schuld von 15 000 4. zu bezahlen, für welhe das Geld nicht vorhanden war; in- folge dessen wurde cine allgemeine Sammlung freiwilliger Beiträge in Gang gesetzt.

Ich habe das betreffende Schreiben hier, welches der Verband an alle seine Vertrauensmänner im Neich erlassen hat. Ich könnte es der Länge nach vorlesen; es würde Ihnen alles bestätigen, was ich sage und würde Ihnen ein Bild der finanziellen Verkneifung, wie man zu sagen pflegt, liefern; und wenn Sie annehmen, was heute verschiedene Male hier doch. zu verstehen gegeben ist, daß diese Briefe und Schriftstücke auf niht erlaubtem Wege in unfere Hand gelangt sind, so muß ich dagegen protestiren. Ich würde Ihnen den Weg sehr gern angeben, unter der Bedingung, daß Sie mir vorher die Wege angeben, auf welchen Sie die vertraulichen dienstlichen Erlasse und Verfügungen der Ober-Postverwaltung durch Mißbrauch des Vertrauens und Verletzung des Amtsgeheimnisses erlangt haben, also doch durch \chwere Pflichtverleßung, wofür Sie hier kein Wort der Mißbilligung haben. (Zuruf.) Das geben Sie mir zuerst an, dann gebe ich Ihnen auch an, auf welhem Wege wir in den Besi der Schriftstücke gekommen sind.

Also: es wurde nun vom Verband eine große Collecte ver- anstaltet; und weiter die Bitte ausgesprochen, daß die dem Kleider- fassengeshäft noch nicht verpflichteten Mitglieder dem Geschäft für etwas später zu beziehende Waaren 3—10 \ vorschießen möchten.

Das find also die glänzenden Verhältnisse, die hier von Ihnen geltend gemacht rourden! Begründet wurde die Sammlung mit augenblicklihen, den so- genannten todten Punkt bildenden Schwierigkeiten, mit der zu aus- gedehnten Inanspruhnahme des Credits seitens der Mitglieder, Halten Sie das für eine wohlthätige Einrichtung, wenn die Beamten zu folhen Schulden veranlaßt werden? und mit der Absicht, das Geschäft zu vergrößern. Auch das frühere Argument, der Wunsch, die Stoffe den Fabriken gleich baar zu bezahlen, wurde von neuem angeführt. Die Sammlung ergab nur 1500 M; mit Hilfe der inzwischen eingegangenen Nückstände wurde der größere Theil der Schuld von 15 000 46. getilgt. (Hört! hört !) Ja, hören Sie nur auch weiter, was folgt ! Der Rest 6000 A blieb einstweilen stehen und wurde mit 4 9% verzinst.

Im Januar 1893 {lug ‘der Vorstand, da die frühere An- regunq wegen Berzichtleistung auf die Antheilscheine keinen nennens- werthen Erfolg gehabt hatte, einen anderen Weg cin, um thunlichst in den uneingeshränkten Besiß der Summe (in Antheil- scheinen) zu gelangen. Zu diesem Zwecke machte er bekannt, daß die Antheilscheine beseitigt werden sollten; der Verband set zur Ein- lösung und Verzinsung bereit, doch gebe er anheim, auf die kleinen Beträge zu verzichten, oder sie im Kleiderkassenconto gutschreiben zu lassen, oder dafür Cigarren, Einbanddecken oder Rathgeber zu beziehen. Daneben sucht der Verband dadurch schnell in Besitz von Geldmitteln zu gelangen, daß er fortdauernd auf Zahlung der

* Mitgliederbeiträge auf längere Zeiträume, z. B. für ein Jahr drängt. Solche Aufforderungen befinden sich fast in jeder Nummer der Vereins-Zeitschrift.

Die fortgeseßte Jnanspruchnahme milder Gaben für das Kleidergeschäft läßt auf die Schwierigkeiten s{ließen, welche ih der Erfüllung der Zahlungsverbindlichkeiten seitens des Verbandes ent- gegenstellen.

Es kommt hier noch ein Punkt in Betracht: wie die eigenen Rechnungen des Vereins ergeben, die aufgestellt sind und Herr von Liebermann hat uns ja gesagt, daß er die Bücher eingesehen hat ja, hat er sich auch davon unterrichtet, wie viel Ausstände da sind? Denn es sind viele rückständige Beträge von den Beamten, die sih haben Kleider machen lassen. Das is eine bedeutende Summe, die in viele Tausende von Mark geht, die hat der Verband ja noch niht. Es fehlt ihm an Baarmitteln, und? die kann er au schwer bekommen, denn ‘jeder Lieferant, wenn ihm nicht bezahlt wird, was er geleistet hat, wendet sih an die Gerichte und flagt. Das kann der Verband nicht, weil er keine Corporationsrehte hat; oder aber der betreffende Lieferant wendet sih an die vorgesezte Postbehörde und verklagt den säumigen Beamten, und da besorgt diese das weitere, indem sie den Beamten zur Zahlung anhält. Natürlih wird, fo lange das Verhalten des Vereins so is, wie bisher und gegenwärtig, die Postbehörde sich wohl hüten, dem Verbandsgeschäft in dieser Weise zu Hilfe zu kommen.

Die Schwierigkeiten beruhen einerseits in der Begründung des Geschäfts mit ungenügenden Mitteln, : das i} das Erzübel, und davor haben wir gewarnt von An-

fang an andererseits in der mangelhaften Zahlung der Beträge für gelieferte Sachen, sowie vielfah auch der Vereinsbeiträge seitens der Mit- glieder. Ein Bericht einer Ober-Postdirection hebt hervor, daß de:n Verbande sih in Schulden \teckende Assistenten angeshlossen haben, welche ihn zur Erschließung ueuer Geldquellen benuyen, aber nicht an die Bezahlung gelieferter Waaren denken, und dem gegen- über der Verband machtlos ist, weil er wegen Beitreibnng von Außenständen niht klagbar werden kann. Die Gewährung von Darlehen hat der Verband selbst {hon wieder aufgegeben.

Es wurde vorhin erwähnt, ih glaube von dem Abgeordneten Hon

Liebermann, daß die Verwaltungskosten niht angegeben seien. In den Rechnungen, ja, das ift rihtig. Sie stehen aber in einer Anmerkung unten unter dem Strich mit kleinem Druck, wo sie leiht übersehen werden können. Da ift gesagt, daß die Verwaltungskosten 25 000 4 betragen, worin allerdings die Kosten für die Zeitung mit ent- halten sind.

Wie weit die Creditgewährung geht statutenmäßig foll die Zahlung ‘in sechs Monatsraten erfolgen —, beweist der Umstand, daf in der ersten Geschäftsperiode bei einem Gesammtumsay von 38 600 M. die ausftehenden Forderungen 16000 # und in der zweiten bei ciném Gesammtumsat von 100 000 #6 die aus- stehenden Forderungen 42300 A betrugen, die Creditgewährung im Verhältniß zum Umsay also gestiegen ist. Jedenfalls ist die creditirte Summe dem Umsay gegenüber unver- hältnißmäßig hoh. Die Assistenten halten die Nückzahlungsfristen nicht ein ; aus diefem Grunde begegnet man oft in der Zeitschrift der Aufforderung, die Nückstände sofort zu entrihten. In einem Falle heißt es: „Da die Rückzahlungsfristen längst verstrihen sind und Er- innerungen mittels Einschreibebriefs unbeantwortet bleiben, sind wir, che wir weitere Schritte thun, genöthigt, die Zahlungs- pfliht nochmals in Erinnerung zu bringen.“ Dieses „weitere Schritte thun“ läßt also darauf s{ließen, daß sie sh untereinander verklagen werden auf Zahlung der Summe, die sie schuldig ge- blieben find. x

Nun hat der Herr Abgeordnete, der. zuleßt sprach, hier auch einen Brief verlesen zu müssen geglaubt, wofür ihm auch mehrfach das Beispiel gegeben ist. Er wird es mir nicht verargen; ih glaube, daß er in seinem Gerechtigkeitssinne es sogar ganz in ‘der Ordnung finden wird, wenn ih meinerseits auch noch einen Brief verlese, der von einem Assistenten, der dem Verbande angehört, geschrieben worden ift, und zwar mit Namensunterschrift an einen Collegen, und der folgender- maßen lautet:

Lieber College !

Ihren freundlichen Brief vom habe ih dankend er- halten, ich habe denselben ohne Ueberraschung lesen können, weil ih wußte, daß der Verbandstag sich wie ein vorbereitetes Theaterstück abspielen würde. Der fogenannte große Versammlungsabend oder Commers is ein großes Gauklerstück, das sowohl die Collegen, wie die übrige Welt täuscht, nur müssen es die armen Collegen aus- baden. Das Leben und Treiben der Führer des Verbandes deutsher Post- und Telegraphen-Assistenten schildern Sie ganz meinen Erfahrungen gemäß. Ein Theil des Vorstandes besteht aus Idealisten, der andere aus ausgesprohenen Egoisten und Strebern, die unter den Collegen eine künstlihe Erregung haben müssen, um Jhre Zwecke erreihen oder glänzen zu können notabene, ohne fih die Finger zu verbrennen, dazu sind Un- schuldige gut genug. Siehe Verbandszeitung, Tagesblätter, Bro- shüre „Alte und Neue Zeit“; die hierdurch geschaffene Erregung muß der Behörde die Ueberzeugung verschaffen, daß andere Ziele, als die angegebenen, dem Verbande vorschweben.

Vieles geschieht und i} seitens der Leitung des Ver- bandes geschehen, das gerade die älteren Collegen ftußig macht, wie selbst zugegeben werden mußte, daß in leßter Zeit die alten Collegen austreten oder sich passiv verhalten ; denn niedergeshrien zu werden, ist niemandes Sache. Von der Telegraphie, deren Verhältnisse Ihnen bekannt sind, haben sich die älteren Collegen, unter denen doch ret begeisterte aber verständige Collegen waren, zurückgezogen.

Die Collegen im jüngeren Alter, also nicht angestellten Assi- stenten, werden, ehrlih gesagt, zu Ausgaben verleitet, die mit ihren Einnahmen nicht im Einklange stehen.

und so geht das weiter. Halten Sie denn das für erfreuliche Zu- stände? halten Sie das für ideale Auffassung, für eine Stärkung des Berufs- und des Genossenschaftsgefühls ? und glauben Sie, daß das Culturelemente sind, auf denen ein gesundes Staats- und Beamten- leben sih entwickeln kann? dann muß ih sagen, zweifle ih entweder daran, daß Sie von den Thatsachen ordentlich unterrichtet sind, er nehmen Sie es mir nicht übel an Ihrer Logik! (Heiterkeit.)

Sie haben dann weiter angeregt ich muß Ihnen auf alle Einzelheiten antworten, weil die Sache wider meinen Willen hiex von neuem aufgerührt ist; ih habe mich heute bis jeßt ganz inoffensiv und \chweigend verhalten, das kann ih aber auf die Dauer nicht und will ih auch nicht ; denn das könnte so ausgelegt werden, als ob wir nichts weiteres zu Ihrer Widerlegung zu sagen hätten. Meinetwegen kann die Debatte weitergehen, ih halte das*wochenlang aus, wenn nur der Herr Präsident das dulden will, ih werde Ihnen Rede stehen, \oviel Sie wollen.

Sie haben nun die Secretärfrage hier wiederum angeregt; das is aber gestern \chon ausführlich verhandelt worden. Die Organisation kann niht \o geändert werden, wie Sie es wollen: denn das sind doch. wirkli rein idealistische Anschauungen, alles zu nivelliren, damit kommen Sie in keiner Verwaltung aus. Sehen Sie sih in sämmtlihen Staats- verwaltungen um, es ist überall ein Unterschied zwischen niederer und höherer Carrière. Eine andere Organisation is überhaupt nicht möglih. Vor den englishen Beamtenverhältnissen bewahre uns der Himmel! Was Sie anführen, sind alles sehr {öne Humüänitäts- gedanken, die ih hochachte; sie entspringen gewiß einer warmen und umfassenden Menschenliebe, aber in der Praxis, unter den harten Stößen im Naum können Sie damit nichts ausrihten. Friedri der Große bekam einmal ein Buch von dem bekannten Encyklopädisten Baron Holbah: „Le système de la nature“, was ebenso von Wohlwollen und menschenfreundlihen idealen Auffassungen ausging, von ethishen Ergüssen stroßte und von humanen Plänen überlief. Der große König in Sansfouci sah es durch und {rieb an den Baron Holbach, er hätte mit Interesse Kenntniß davon genommen, es wäre aber sehr wenig wirklihe Menschenkenntniß darin, und wenn er, Holbach, nur eine sechs Wochen Bürgermeister der kleinen Stadt Pau in Frankreich gewesen wäre, so würde sein ganzes System der Natur, das ganze Buch nicht existiren. Und fo i} es auch mit Ihren Ideen, Herr Stöcker, wenn Sie nur eine aht Tage General -Postmeister wären und diese große Verwaltung verantwortlich zu leiten hätten, so würden Sie wahrscheinli zu ganz anderen Schlüssen kommen und sicherlih nicht für diesen Postassistentenverband, der den guten Geist untergräbt, hier öffentlih eintreten. Jch untersuhe die Motive niht näber das steht mir niht zu —, die für den Herrn Abgeordneten maß- gebend sind, aber ih kann erklären: unsere Stellung zum Assistenten-

erbande k önnen und werden wir durch diese Discussion und dur

alle solhe doch immer mehr auf der Oberflähe und in Einzelheiten sih bewegenden Ausführungen als unberührt ansehen, und wir werten dieselbe, da sie wohlüberlegt is, auf Grund der gemachten Erfahrungen und in Erkenntniß unserer Pfliht nimmermehr aufgeben und uns von unserer Verantwortlichkeit für die Ordnung und Zucht in einer fo großen Verwaltung durch folche Ausführungen nimmermehr abhalten lassen. (Bravo! rechts.) Abg. Samhammer (dfr.) plaidirt für eine Herabseßung des Packettarifs nah Amerika im Interesse der Production des Sonne- berger Industriebezirks. Staatssecretär Dr. von Stephan: Bei der Nachsicht des Herrn Präsidenten will ih für dieses Mal dem Herrn Abgeordneten noch antworten; aber ich muß mich be- \{chränken ih bin zu jeder Auékunft gern bereit. Also die Sache liegt . einfa. Der Wunsch des Herrn Ab- geordneten ist vollkommen berechtigt. Die Ansicht theilen wir auch; aber ihn in Erfüllung zu bringen; dafür sehen wir wenigstens für eine Reihe von Jahren keine Möglichkeit. Das liegt daran, daß die Vereinigten Staaten von Amerika feinen Paketpostdienst haben. Die Paketbeförderung i in den Händen von lauter Privatgesell- schaften, die sehr hohe Tarife haben, auf die wir keinen Einfluß nehmen können, weil sie ganz selbständig geleitete und nach der dortigen Verfassung selbständig verwaltete Gejell- schaften sind und auch über ihr Tarifwesen ganz allein zu bestimmen haben. Es wird darüber viel geklagt, daß das auf die Ausbeutung des Publikums hinausführt. Ich erinnere nur daran, daß die amerifanishe Regierung, wenigstens diejenige, die jeßt soeben zu Ende gehen wird, gar niht wünscht, den Packetverkehr von und nah Deutsch- land besonders gehoben zu sehen; also selb wenn wir diplomatische Schritte thun würden, daß auf die Gefellshaften eingewirkt werden möchte, so würde man das dort nicht wollen. Also, ebe dieser Zustand nicht beseitigt ist, ehe die Vereinigten Staaten bei sich nicht einen Packetpostdienst eingeführt haben, und das wird wahrscheinlih noch fehr lange dauern, da sogar der Telegraph si dort noch in Privathänden befindet, ist die Möglichkeit dazu niht vorhanden. Ich bedauere das und ih habe wiederholt bei den amerikfanischen Commiffarien auf den verschiedenen Weltpostcongrefsen, die alle fünf Jahre stattfinden, die Sache besonders urgirt. Die haben immer gesagt: Ja, mit dem Aus- lande ginge die Sache vielleiht noch eher; aber sie könnten das nit durchführen, als bis sie im Inlande diesen Dienst bätten. Sie könnten die Inländischen niht anders behandeln wie die Ausländischen, und das unterliege großen Schwierigkeiten; es müßten sämmtliche Postlocale um das Doppelte und Dreifache erweitert werden, sie müßten ein viel größeres Personal anstellen. Die Packetpost ist einmal der Train in dem Postheere, die Briefpost ist die leihte Infanterie : die Paet- post, die Artillerie und der Train, diese nehmen den größten Raum ein und kosten das meiste Geld. Aus diesen Gründen ift in der Sache nichts zu machen.

Was die Versendung von Mustern betrifft, fo können Sie das thun nach den Bestimmungen des Weltpostverkchrs. (Zuruf links.) Ia, ganz große Muster können Sie nicht hin- schicken; aber Sachen, die in einen Brief gehen, bis zu 250 2; Hand- \hube shicken Sie den rechten in dem einen, den linken in einem anderen Brief. Das kommt vor, die Sache darf natürlt{ch keinen Verkaufswerth haben. Es werden Scheeren auseinande und jede Klinge in einem anderen Brief befördert. machen. Aber Pakete zu s{icken ift nur möglich gegen das bisheri leider hohe Porto.

Um 5 Uhr wird ein Vertagungsantrag abgelehnt.

Abg. Gtöber (Centr.): Die Ausführungen des Staatssecretärs Dr. von Stephan gegen den Verband beweisen nur, daß der Verband der Verwaltung unangenehm geworden ift: weiter ni Ich hak zu constatiren , daß die Aeußerungen des Abg. Dr. J mißverstanden worden sind. Auch er verwirft die Maßrega Verbandes, geradeso wie wir. Wenn der Verein erlaubt man nicht, wie der Ober-Postdirector Köhne in Düsseldorf get

einem Schein von Necht kann man sagen, es habe der Staatsbeamte nicht mehr die gleichen Rechte wie jeder Staatsbürger. Wenn man so spricht, erzeugt man Folgerungen, wie der focialdemokratische Nedner sie gestern gegeben hat, als ob die Beamten dur den Eintritt in den Staatsdienst cine Ebrenminderung erfahren. Die Beispiele, welche der Director Dr. Fischer und der Abg. von Keudell angezogen haben, treffen die Frage garniht. Nah dem Erlasse des D Dr. Fischer bezweckt der Verband das schreckliche erb seinen Anhängern die Hoffnung zu erwecken, daß werde, die Postassistenten auch in höhere Stellen zu bri das selbst zuträfe, weshalb soll es ftrafbar sein? W wie vor Militäranwärter zu dem Eramen zugelaffen.

Hierauf wird nah 51/2 Uhr die weitere Berathung Montag 1 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbeweg

Aus Dresden wird der Berliner „Volksz die Arbeiter der Dresdener Gardinen- un ) Lohnstreits vor einem Ausstand stehen.

In Oker a. Harz beabsihtigen, Blättermeldungen zufolgc Glasarbeiter wegen Lohnkürzung nah Ablauf ibrer Kündigungsfrist die Arbeiten einzustellen.

Aus Grünberg i. Sl. theilt Frau W. Eminger mit daß die an dieser Stelle in Nr. 49 d. B. nah dem „Vorwärts" gebrahte Meldung, die Arbeiter der Cigarrenfabrik von W. Eminger hätten wegen Lohnherabsetzung dic Arbeit niedergelegt, un- wahr ift.

S DIC î

Kunft und Wissenschaft.

Von Montag, 13. d. M., E 2 Uhr ab bis Ende der Woche werden die beiden großen Modelle von den Gedächtnißkirhen für Kaiser Wilhelm I. und Kaiserin Augusta, welche für die Ausstellung in Chicago bestimmt sind, im Lichthofe des Kunstgewerbe- Museums für das Publikum ausgestellt sein. Zutritt frei.

Vex bekannte Historiker Taine, Mitglied der Akademie, Verfasser des berühmten Werks „Los Origines do la Franco contemporaine“ ift, wie dem „W. T. B.®* aus Paris unter dem gestrigen Tage gemeldet wird, gestorben.

Land- und Forftwirthsthaft.

Stand der Saaten. l Im Regicrungébezirk Stralsund find die Saaten nur {wat entwickelt in den Winter gekommen. Dur die strenge Kälte scheinen sie nit gelitten zu haben, da se dur eine starke Sneedecke

genügend ges{chütßt roaren.