1893 / 61 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 11 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

E E S Ea O De E Es

woran der Betreffende gestorben i. Also, wenn es in diesem Falle, den der Brief behandelt, anders gewesen sein sollte und nit {hon Remedur erfolgt ist, so kann ih dem Herrn Abg. Richter versprechen, daß die Sache untersuht und ihm über das Ergebniß dieser Unter- suchung Mittheilung gemacht werden wird. (Bravo! rets.)

Abg. Richter (dfr.): Ih habe vorausgeseßt, daß der Kriegs- Minister bereit sein würde, die Sache näher zu untersuchen, und möchte nur der Annahme entgegentreten, als ob es ih hier um eine Be- {werde aus politishen Gründen oder um eine Mache handelte. Der Brief ist aus einem Dorf datirt und entspriht nach Stil, Wortlaut und Handschrift ganz dem Bildungsstand eines alten Mütter- chens vom Lande. Wir haben das gemeinsame Interesse, falsche Vor- stellungen derart bei den Eltern niht auffommen zu lassen. Darum muß auch eine rihterlihe Person bei der Todtenshau zugegen sein. Wenn junge Leute, die vorher nicht krank waren, plößlih so ras binsterben, dann ist um so mehr die Annahme gerechtfertigt, daß besondere Vorkommnisse dazwischen liegen. Ist die Annahme fals, dann ift es um fo t Aufgabe der Militärverwaltung, dies zu con- statiren, au den Nächstbetheiligten gegenüber. Ich werde mir dem- nächst erlauben, den Brief im Original dem Kriegs-Minister zu- zusenden.

Abg. Hahn (dcons.): Wir sind unsererseits überzeugt, daß diese Fâlle sehr beklagenéwerth sind; aber wir sehen sie als vereinzelte Fälle an, die nur vershwindende Ausnahmen bilden.

Abg. Bebel (Soc.): Wir sind ganz anderer Meinung. Diese Fälle von Mißhandlungen kommen in höherem Maße vor, als der Oeffentlichkeit bekannt wird. Lebhaft bedauere ih, daß dies Jahr nicht erlaubt wurde, beim Etat der Militärjustiz diese Mißhandlungen wie im vorigen Jahre zu erörtern. Mit dem Abg. Richter glaube ih, daß die verschiedenen Beschwerden, die hier im Hause im letzten Jahre vorgetragen worden sind, keine Wirkung gthabt haben, während doch sonst auf jeden Wink von oben s\ofort im ganzen Gebiet des Militärwesens die gewünschte Aenderung eintritt. Wir bleiben dabei, daß nur eine gründliche Reform der Strafjustiz Abhilfe bringen kann. Auf die Reform selbst lassen die allgemeinen Erklärungen des General- Lieutenants von Spiy keinen Schluß zu. Sicher scheint zu sein, daß das bayerishe Ideal in Preußen keine Gegenliebe findet. Wir hatten im vorigen Jahre auch wegen der Erleichterung des Beschwerdeweges eine NRefolution beschlossen ; derselben hat der Bundesrath keine Folge gegeben. Es soll also bei den gegenwärtigen Verhältnissen bleiben, zu deren Grundübeln auch die falsche Construction des Beschwerderehts gehört. Das Meldewesen bei Beshwerden is der Krelsschaden der ganzen Einrichtung. Wo ein Soldat sich wirklih bes{wert, \chlägt ihm das zum größten Nachtheil aus. Dabei ift ihm die Pflicht der Beschwerde vorgeschrieben, aber lieber nimmt er die Strafe für Unter- lassung auf si, als daß er sich den Folgen einer Beschwerde auss\eßt; denn auch für die niht genaue Beachtung des Weges und der Form der Beschwerde, sowie wegen unberehtigter Erhebung derselben wird er bestraft. Wird der angeschuldigte Vorgeseßte wirklich be- straft, so kann der Beschwerdeführer sicher sein, daß alle übrigen Vorgeseßten wie ein Mann gegen ihn zusammenstehen und ihm das Leben so sauer machen, wie es irgend möglich is. In der Presse kommen ja nur die allergröblichsten Mißhandlungen zur Sprache; die ungeheure Anzahl der anderen Mißhandlungen gelangt niht an die Oeffentlichkeit. Was alltäglih auf unseren Kasernenhöfen, den Exercirpläßen, auf den Stuben an Schimpfworten eleistet wird, entzieht sih der Beschreibung. Unter den Offizieren efinden fich nah einem Zeugniß in der „Neuen Zeit“ in Stuttgart höchstens 20 9/6, die mens{chlich mit ihren Untergebenen umzugehen ver- stehen. In der Armee ist Grundsatz, daß der Soldat gehorden muß, einerlei, was ihm befohlen wird. Dieser Cadavergehorsam, der die unnatürlihsten Verrichtungen erzwingen kann und erzwungen hat, steht in unmittelbarster Verbindung mit dem Selbstmord. Von den 35 %%, wo die Urfahe nit ermittelt worden ist , entfällt der allergrößte Theil auf die Mißhandlungen. Unzweifelhaft sind die Selbstmorde der Chargirten auch zum theil Folgen der Strafe für ausgeübte Mißhandlungen. Aber obgleih die höheren Vorgesetzten alles thun, um das Uebel zu beseitigen, nimmt dieses doh nicht ab, und es bleibt nur übrig, das ganze System dafür verantwortlih zu machen. Die höheren Offiziere drücken bei Mißhandlungen der Gemeinen durch ihre Untergebenen ein Auge zu. Redner führt darauf eine Reibe von Mißhandlungen vor, über welhe ihm anläßlih der vorjährigen Debatte Mittheilung gemacht worden ist, von denen er aber alle aus- geschieden hat, die [chon Jahre lang zurücliegen. Unter den Miß- handlungen sind namentlih häufig harte Schläge auf den Kopf vor- gekommen, die zum Verlust des Gehörs, zum Zer|chlagen des Trommel- fells geführt haben, ohne daß den Missethätern irgend etwas wider- fahren ist. Eine beliebte und zugleih eine der s{heußlichsten Miß- handlungen ist es, den Soldaten zu zwingen, seinem Nebenmanne ins Gesicht oder gar in den Mund zu spucken. In Magdeburg ist dieser Fall vorgekommen. Beim 134. Regiment in Leipzig wurde ein Soldat von seinem Sergeanten mit dem Nücken an den glühend heißen Ofen gestellt, sodaß er sich den Rücken {wer verbrannte. Erst nah drei Wochen wurde der Fall dem Hauptmann anonym gemeldet, der Geschädigte kam ins Lazareth, der Thäter sieht seiner wohlverdienten Strafe entgegen. Weitere Fälle citirt Nedner aus Heilbronn und Ulm. Beim 12. Infanterie-Regiment in Frankfurt a. Oder hat ein Hauptmann seinen Burschen derart mißhandelt, daß er an den Folgen dieser Mißhandlungen nah drei Wochen im Lazareth gestorben ist. Ein Sergeant, der zwei Soldaten dur Mißhandlung zu Unzuchtsacten verleitet hatte, ist zu 14 Jahren Gefängniß ver- urtheilt worden. Der scandalöseste Fall hat sih in Schwerin ereignet. Hier ist zwar {on Untersuchung, wohl auch \chon Verurtheilung er- folgt; denno ist es unerläßlih, auf diefen Fall au im MNeichstage hinzuweisen. Die Vergehen der Unteroffiziere Heyden und Schneeberg sind ja in der Presse, soweit sie sih andeuten lassen, auch angedeutet worden. Ihre Ausschreitungen sind derart, daß man glauben muß, fie seien ihrer Geisteskräfte nicht mächtig gewesen. Déèr Abg. Kunert hat nihcht beweisen wollen, daß die Kriegsgeseße gegen das Gese erkannt hätten, sondern be- wiesen, daß die Bestrafung der Gemeinen wegen kleiner Disciplinar- vergehen eine außerordentli harte, die der Chargirten dagegen eine ungemein milde is. Dieses Messen mit zweierlei Maß wird von den Kriegsgerichten ganz systematisch betrieben. Der Reichstag hat ja durch seine @estalkung des Militärstrafgeseßbuhs, namentlih der Maximalstrafen, einen großen Theil der Schuld an diesen Zuständen. Ein Vorgeseßter, der einen Gemeinen gezwungen hatte, glühendheiße Kartoffeln zu essen, woran der Mann starb, wurde zu neun Monaten Gefängniß verurtheilt. Neun Monate Gefängniß für einen Mord! Für den Meuchelmord, den der Offizier von Salish in Koblenz an einem Commis beging, wird er zu einem Jahre Gefängniß verurtheilt. Dieser Offizier, der in so ehrloser Weise vorgegangen ist, wird nach einigen Monaten Festung begnadigt. Die Mutter des Ermordeten, die ihm einen heftigen Brief geschrieben hatte, wurde wegen Beleidi- gung zu 30 Geldstrafe verurtheilt. Gegen Offiziere wird nur auf Festungshaft erkannt, eine Haft, die ihnen alle möglihen Vortheile bietet. Die Erlasse gegen Mißhandlungen,ck wie sie niht bloß vom Herzog Georg von Sachsen, sondern auh von anderen Ärmeeführern ausgegangen sind, auch vom Allerhöchsten Kriegsherrn von 1890, eben gleichmäßig eine Reihe von Verbaltunamakiregein namentlich für die Offiziere, um die Mißhandlungen zu vermindern; aber höchst charafteristisch ist, daß troß dieser schärfsten Verurtheilung durch die höchste Militärbehörde in der Behandlung der Soldaten durch die niederen Vorgeseßten keine Spur einer Aenderung eingetreten ist. Es trägt eben die ganze heutige Art der Ausbildung unserer Rekruten dazu bei, daß diese Mißhandlungen fortgeseßt werden; die Mann- schaften müßten hon vorher, ehe sie in den Dienst treten, so vor- bereitet sein, daß ein Theil der Ausbildung bereits von ihnen in das Heer mitgebraht wird. Ebenso wirkt einer Besserung der unglaubliche Zustand entgegen, daß bei der Militärgerihtsbarkeit der Borgesetzte Kläger, Vertheidiger und Nichter in einer Person ist. Es ist endlich das bestehende Beschwerdereht ein Hohn auf eine wirklihe Wahr- nehmung der elementarsten Menschenrehte des Soldaten. Er muß

die Beschwerden auch direct an seine höheren Vorgeseßten bringen können. Nur wenn alle diese Aenderungen vorgenommen werden, wird man den Mißbräuchen steuern, welche Vice zur Sprache gebracht sind.

Stacha

Meine Herren! Die Heeresverwaltung wird stets dankbar sein, wenn hier auch Schäden des Heeres aufgedeckt werden, zum Zweck, sie zu ändern und zu bessern. Die gestern und heute hier beliebten Variationen über das Thema „Soldatenmißhandlungen und Militär- gerichtsbärkeit“ {einen mir aber vollständig dieser Grundlage zu ent- behren. (Sehr richtig! rechts, Widerspruch bei den Socialdemokraten.) Die Leidenschaftlichkeit der Angriffe und die Fülle der Beleidigungen, die unter dem Schuß der Redefreiheit des Hauses (Widerspruch bei den Socialdemokraten. Sehr richtig! rechts) der Militärverwaltung entgegengeschleudert worden sind, lassen niht darauf \{licßen, daß die Absicht vorlag, die Armee zu bessern. (Sehr gut! rechts, Widerspruch bei den Socialdemokraten.) Jh kann in dem Verfahren, wie die Vertreter der socialdemokratishen Partei hier die Armee angegriffen haben, nur den Versuh sehen, den Klassenhaß auch in das Heer hineinzutragen (lebhafter Beifall rechts, Widerspruch links); ih habe aber die Hoffnung, daß die Kameradschaft und das feste Band, das alle Glieder der Armee verbindet, sih fester erweisen wird, als die Bestrebungen, welhe dieses Band zu zerstören und an dem Bestande der Armee zu rütteln versuhen. (Lebhafter Beifall rechts, lebhafter Widerspruch links.) Cs i twwiederholt darauf hingewiesen und von fast allen Seiten des Hauses dem zugestimmt worden, daß alle Stellen im Heer, von der Aller- höchsten Person an bis herunter zu den Hauptleuten, auf das eifrigste bestrebt sind, den Uebelständen, welche in der Mißhandlung Untergebener bestehen, entgegenzutreten. Es werden die eingehendsten Berichte über alle zur Kenntniß]kommenden Fälle eingefordert, und gilt es als eine Schande, wenn eine Truppe in das Verzeichniß auf- genommen wird, das alljährlih an die Allerhöchste Stelle gerichtet wird, über Bestrafungen wegen Mißhandlung Untergebener. Aber ganz die Sache aus der Welt zu schaffen, das, glaube ih, sind wir alle zusammen nicht im stande. (Sehr rihtig!)) Es kommen Temperament und Fähigkeiten auf beiden Seiten, auf Seite des Lernenden und auf Seite des Unterrichtenden, dabei zur Sprache. (Sehr gut! rechts.) Ausschreitungen werden immer vorkommen bei einer so bedeutenden Anzahl von Menschen, bei dem verschiedenen Bildungsgrade und bei den verschiedenartigen Temperamenten. Bei der Heeresverwaltung wird es lebhaft bedauert, wenn derartige Vergehen niht zur Sprache gebracht werden ; kein Vor- geseßter darf fie ungesühnt lassen; er würde seine Pflicht \{chwer ver- leßzen, wenn er den Fällen nicht nahginge, und die Folgen für thn würden nicht ausbleiben. Jh kann nur wiederholen: die Art und Weise, wie die Angriffe hier geführt worden sind, drücken einen Haß aus der Führer der Socialdemokratie gegen die Armee, den ih aller- dings vollständig begreiflich finde. (Zurufe von den Socialdemokraten.) Die Armee wird eben von Ihnen betrachtet und mit Necht betrachtet als der Damm, der sih Ihren Bettrebungen entgegenstellt. (Bravo! rechts. Widerspru bei den Socialdemokraten.) Das Bewußtseinr dieser Damm zu sein, ist auch voll und lebendig bei der Armee, und ih kann Ihnen die Versicherung geben: Sie werden Ihren Zweck, diesen Damm zu unterwühlen und zu zerstören, nicht erreihen. (Leb- hafter Beifall rechts.)

bd, De Lteber (Centr): Die Socialdemokraten haben sehr lebhaften Widerspruch erhoben, als der preußische Kriegs-Minister den Gedanken aussprach, daß den Anschuldigungen, die hier- vorgebracht worden sind, die Absicht zu Grunde liege, Stimmung gegen die Militärverwaltung zu machen. Wenn es au nicht die Absicht war, so war die Wirkung der Neden und der Art des Vorgehens der Abgg. Bebel und Kunert keine andere, als unsere hochverdienten, ehrenwerthen Offiziere, die Armee selbst, das ganze deutsche Volk aufs tiefste zu verbittern und die Würde unseres Reichstags nicht nur, sondern auch das Ansehen unferer Nation wie unseres Heeres vor dem Ausland auf das tiefste herabzuseßen. Die Abstellung von Soldatenmißhand- lungen wünschen wir alle, der ganze Neichêtag und auch der Bundesrath und unser Allerhöchster Kriegsherr. Das zeigen die bekannten Erlasse. Wenn der Abg. Bebel einzelne âlle vorbringt, fo folgt er damit nur einer Aufforderung, die von der Regierung an uns gerichtet ist, aber substanciirt sind sie nicht durchweg. Cs gehört nicht in den Reichstag, unseren verdienten Offizieren ip Bausch und Bogen vorzuwerfen, es sei der gemeine Mann von seinem Eintritt in das Heer an ihnen s{hußlos preisgegeben ; auch entspricht es kaum der Rede- freiheit, einen Offizier, und wenn er sich noch so shwer vergangen hat, ehrlos zu nennen. Ist andererseits auch nur der zehnte Theil der angeführten Fälle wahr, fo sind die Zustände doch so arg, daß ich den Kriegé-Minister nur bitten kann, nohmals zu erwägen, ob nicht Wandel geschaffen werden kann. Es sollte doch auch von dieser Seite vermieden werden, daß so ärgerlihe Scenen und Verhandlungen wie die im vorigen Jahre und in diesem sih weiter wieder- holen. Das Beschwerderecht und seine Handhabung muß ge- ändert werden, um die Grundlage für solhe Beshwerden zu be- seitigen. Wo kein Feuer brennt, können do folche Nauchwolken nicht aufsteigen; aus dem Aermel werden solche Dinge nicht geshüttelt.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dcons.): Die Ausführungen des Abg. Bebel würden, wenn sie ohne Widerspruch in die Welt gingen, ein ganz falsches Bild geben. Seine Behauptung, daß nur 20% der Offiziere und 1090/6 der Unteroffiziere mit ihren Unter- gebenen menshenwürdig umzugehen verständen, ift die größte Ueber- treibung, die je ausgesprohen worden ist. Nicht 2 pro Mille der Offiziere und Unteroffiziere treffen die Beschuldigungen des Abg. Bebel! Das Kamcradschaftsverhältniß zwischen Vffizieren und Untergebenen bis ins hohe Alter hinein beweist, wie wenig der Abg. Bebel die Ver- hältnisse fennt. Daß mit zweierlei Maß gemessen wird, bestreite ich ebenso entschieden. Es wird genau nach den Bestimmungen bestraft, dte Untergebenen in keiner Weise strenger wie die Vorgeseßten. Bei Vergehen gegen die Subordination tritt strenge Bestrafung ein, das liegt in der Disciplin begründet. Wenn der Abg. Bebel Herrn von Salisch als ehrlosfen Mörder bezeichnet, so muß ih sagen: audiatur et altera pars! Ohne weiteres alles zu unterschreiben, was der Abg. Bebel hier vorträgt, dazu bin ich niht im stande. Der Unter- offizier Heim in Schwerin muß doch offenbar verrükt gewesen sein. Die Aeußerung, daß der Gemeine dem Offizier ohne Schuß preis- gegeben fei, und daß man deswegen niht neue 60 000 Mann dieser Schubtlofigkeit preisgeben dürfe, hätte doch vom Präsidium gerügt werden müssen. Sie lassen Ihren Aerger an der Armee aus, weil Sie Ihre Anhänger verlieren, wenn diese durh die Schule der Armee gegangen sind! 2 ; : : A

_Abg. Stadthagen (Soc.): Eine Beschleunigung der Militär- strafjustiz ist do das mindeste, was gefordert werden kann, nachdem der General-Lieutenant von Spiß gestern selbt die Schleunigkeit des Verfahrens als Erforderniß bezeichnet hat. Jn einem Falle ist auf eine Beschwerde gegen einen Gendarmen noch nach zwei Jahren keine Antwort ergangen. Im ersten Garde-Regiment z. #F. wollte ein ge- wisser Zimmermann freiwillig eintreten, wurde eingestellt, verließ zweimal den Dienst wegen Schuriegeleien und Mißhandlungen, ließ sich zweimal zurückbringen, nahm sich dann aber das Leben. Man fand ihn nah dem Brande einer Scheune unter den Ueberresten derselben als verkohlte Leihe. Wenn die Offiziere troß der zahl-

Königlich preußischer Kriegs-Minister von Kaltenborn-- E:

reihen Allerhcchsten Erlasse und Anordnungen von den Mißhand- lungen nit lassen, so ist damit bewiesen, daß das Material an Offizieren niht so werthvoll is, wie man oben vorausfeßt.. Aber auch innerhalb des heutigen Zustandes hätte sich da etwas bessern lassen, wenn man die Ausbildung der Offiziere, innere und äußere besser überwacht hätte. Der Kriegs-Minister hat uns nicht widerlegt, sondern sich darauf beschränkt, uns Haß gegen die Armee und gegen die Offiziere entgegenzuschleudern! Da er uns nicht widerlegt giebt er zu, daß Alles, was wir im vorigen Jahre vorgebracht haben richtig ist. f

Königlich preußischer Kriegs-Minister von Kaltenborn- Stachau:

Wenn ih den Herrn Vorredner recht verstanden habe, so hat er eine Beschwerde eines Gendarmen oder über einen Gendarmen im Anfang seiner Rede zur Sprache gebraht. Jh möchte bemerken, daß die Beschwerden oder überhaupt die Dienstverhältnisse der Gendarmen meinem Ressort nicht unterstehen. Dann ift eine Geschichte, die in Potsdam geschehen fein soll, betreffend einen Freiwilligen Zimmermann. Ich kann ihm Auskunft augenblicklich darüber nicht geben, sie ist mir bis jeßt niht bekannt geworden.

Andererseits aber habe ih wohl die Liebe des Herrn Vorredners zur Armee erkannt aus der. sehr wohlwollenden und rüdcksihtsvollen Beurtheilung, die er dem preußischen, dem deutschen Offiziercorps hat zu theil werden lassen. Glülicferweise ist er nit derjenige, der über die Qualification der deutschen Offiziere zu entscheiden hat. (Bravo! rechts.) Dann ift hier das Geseß über die Zuhälter zur Sprache gebraht worden. Damit habe ih in erster Linie nichts zu thun. (Heiterkeit.)

Wenn der Herr Vorredner erwähnt hat, daß die Militärverwaltung niht den Nachweis erbracht habe, daß die Thatsachen oder die Dinge, die von ihm und seinen Partecigenossen behauptet worden find, unrichtig sind, und daß die Resultate der Prüfung niht mitgetheilt sind, so habe ich darauf nur zu erklären, daß wir uns durch Sie nicht dazu zwingen lassen wollen, die Entscheidungen, die in folhen Fällen getroffen werden, Ihnen mitzutheilen. (Bravo! rechts.)

Abg. Bebel (Soc.): Mit Leidenschaftlichkeit hat der Kriegs- Minister uns Beleidigungen gegen die Armee vorgeworfen. IJIch muß das entschieden bestreiten. Jch habe den höheren Stellen alles Lob und alle Anerkennung widerfahren lassen. Ich habe nur die Angriffe erhoben, wo die Natur der Fälle sie gebot. Statt leidenschaftlich zu werden, hätte der Kriegs-Minister lieber auf die Dinge eingehen follen, die ih vóriges Jahr vorgebracht habe. Ich habe alle damals an- geführten Fälle ihm mitgetheilt und habe die Neberzeugung, daß bei den Untersuchungen weit mehr erwiesen ist, als ih damals vor- brachte. Wenn also jemand für sich das Recht der Obijectivität in Anspruch nehmen darf, dann bin ich es. Warum follte ih Haß gegen die Armee empfinden? Die Leute in der Armee sind zum Theil unsere Brüder, unsere Parteigenossen. Wir werden Ihnen keine Gelegenheit geben, ‘uns eines schönen Tages mit der Armee niederzuschlagen. Auch der Abg. Dr. Lieber klagt mih an, ich hâtte die Offiziere herabgeseßt. Das habe ih niht gethan. Ich habe mich nur gegen die Personen scharf geäußert, die durch ihre Thaten das Urtheil herausforderten. Was ih über die Offiziere gesagt habe, steht mit viel größerer Schärfe in dem Erlaß des bayerischen Kriegs-Ministeriums. (Redner verliest den Wortlaut des betreffenden Passus.) In dem Erlaß des Herzogs Georg zu Sachsen steht wörtlih zu lesen, daß die Nichter bei Ver- gehen der Chargirten geneigt sind, mildere Bestrafungen eintreten zu lassen. Ebenso wird dort darauf hingewiesen, daß die Meldung von Mißhandlungen in zahlreihen Fällen garnicht erfolgt. Was habe ih alfo weiter gethan, als Thatsachen vorgebracht, welhe längst in amtlichen officiellen Actenstücken festgestellt sind? Und was soll man nunmehr von der Leidenschaftlihkeit des preußishen Kriegs- Ministers halten? (Die folgenden Ausführungen werden wegen des inzwischen hereingebrohenen Hagelunwetters und Gewitters, dessen Getöse die Stimme des Redners übertönt, im Zusammenhange nicht verständlich.) i

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Abg. Bebel hat während seiner leßten Ausführungen darauf hingewiesen, daß im vergangenen Jahre, nahdem er damals das Kapitel der Soldatenmißhandlungen ausgiebig verhandelt hatte, von meiner Seite die Aufforderung an ihn gerichtet ist, er möge doch die einzelnen Thatsachen, die er hier zur Sprache gebracht hat, dur die Angabe der nöthigen Beweismittel unterstüßen und die Neichs- verwaltung in die Lage seßen, eine Prüfung darüber vorzunehmen, ob die Bezichtigungen, die er vorgebraht hat, wirklih begründet sind. Ih danke dem Herrn Abg. Bebel dafür, daß er mir damals daë ihm zur Verfügung stehende Material über- liefert hat. Wenn er aber jeßt die Vermuthung ausspricht, daß die Prüfung dieses Materials noch weit s{limmere Thatsachen zu Tage gefördert habe, als wie er sie damals vorgebracht, so irrt er.

Es ist sofort, nahdem ih in den Besiß des Materials gelangt war, yon mir der Herr Kriegs-Minister ersuht worden, den einzelnen thatsählihen Behauptungen nachzugehen, die Beweise dafür zu er- heben und mir eine Mittheilung von dem Ergebniß zu machen. Der Herr Kriegs-Minister ist auf dies Ersuchen eingegangen, und ih habe über jeden einzelnen Fall, den der Herr Abg. Bebel vorgebracht hat, das Ergebniß der Untersuchung in einerZusammenstellung niederlegen lassen. Dabei hat sih daun ergeben, daß ein großer Theil der Behauptungen, die hier aufgestellt sind, durch die Erhebungen niht nachgewiesen worden sind. (Hört, hört! rechts.) Es hat sih weiter ergeben, daß ein andèrer Theil der Behauptungen in einem wesentlih milderen Lichte erscheint, als es den Anschein hatte. Endlich ist festgestellt worden, daß in all denjenigen Fällen, in denen ein Mißbrauch der Diensigewalt vorlag, auh von Seiten der militärischen Borgesetzten eingeschritten und Nemedur geschaffen ist. (Hört, hört! rechts.)

Meine Herren, ih unterlasse es, diese einzelnen Fälle Ihnen noch einmal vorzuführen. Jh bin überhaupt der Meinung, daß das Be sprechen solcher einzelnen Fälle hier zu einem Ergebniß nicht führen kann. (Sehr richtig! rechts.)

Ohne daß ih mich in eine Untersuchung darüber einlassen will, welche Absicht bei dem Vorbringen solcher Fälle vorliegt, so werden mir auch die Herren Socialdemokraten zugeben müssen, daß die Ver- muthung niht unberechtigt erscheint, daß niht bloß das Interesse der Remedur gegen Ausschreitungen das treibende Motiv ist für die Discussion, sondern daß es in der That darauf abgesehen ist, die höheren Vorgeseßten in der Armee bei den Untergebenen und vor allen Dingen im Volke zu discreditiren. (Zurufe bei den Seocial- demokraten.) Meine Herren, wenn es Ihnen lediglich darum zu thun ist, Schäden der Armee aufzudecken, dann haben Sie doch die Güte, sobald Sie einen folchen Schaden vernehmen, ihn vor die rechte Schmiede zu bringen. (Zurufe bei den Socialdemokraten.) hier ist der Plaß? Sehen Sie, da sind wir anderer Meinung. Wir sind der Meinung, daß, wenn jemandem im Lande Unreht geschehen is, dann bei der geordneten Instanz die Behebung dieses Unrehts nachzusuchen ist. Jeden-

F

falls wird das Unreht nicht so s{chleunig aus der Welt geschafft, wenn man erst die nähste Reichstagssißung abwartet und die Dinge dann hier vorbringt in einem Stadium, in welchem der betreffende Minister oder die betreffende Verwaltung überhaupt gar keine Aus- funft zu geben vermag. Der Herr Kriegs-Minister hat vollständig Recht, wenn er es ablehnt, auf die einzelnen Fälle einzugehen. Glauben Sie denn, daß im Kriegs - Ministerium eine Liste der Mißhandlungen zu dem Zwecke geführt werde, um Ihnen hier darüber Rede stehen zu können, fobald Sie es angezeigt finden, diese Dinge hier ¡ur Sprache zu bringen ? Nein, die Kriegsverwaltung hat wichtigeres zu thun. Wenn Sie daher die Mißhandlungen an die rechte Schmiede bringen wollen, wenn Sie die Bes{hwerden über einen Vorgesetzten, der die Dienstgewalt mißbraucht, dessen Vor- gesetzten vortragen wollen, dann werden Sie eher zum Ziel kommen, alé mit diesen Declamationen, die, Gott sei Dank! auch draußen im Volk das Vertrauen zu unserer Armee und zu ihrer Leitung nicht zu erschüttern vermögen. (Bravo! rechts.)

Vice-Präsident Dr. Baumbach: Der Abg. Bebel hat vorher niht vollständig das gesagt, was der Abg. Freiherr von Manteuffel als ciner Nüge bedürftig erklärte. Ih kann mich auch nachträglich nicht zu cinem Ordnungsruf entschließen, da die Redefreiheit nicht verleßt worden ist.

Abg. Dr. von Marquardsen (nl.): Durch die Anführung der Aeußerung des sächsishen Commandeurs und des bayerischen Kriegs Ministers hat sih der Abg. Bebel ein Verdienst erworben, wenn ih auh mit meinen Freunden der Ansicht der Abgg. Dr. Lieber und Freiherrn von Manteuffel bin, daß unser Offiziercorps nicht in feiner Totalität ohne Grund bloßgestellt werden darf. Wir müssen alle wünschen, daß die Mißhandlnngen sich vermindern; als erstes dieser Mittel dient ein reformirtes Strafverfahren, aufgebaut auf dem Grundsaß der Oeffentlichkeit. Ih weiß ja, daß sich hier die Bedenken am stärksten geltend machen; aber aus den bayerischen Grfahrungen heraus fann ih aussprehen , daß es möglich ist, ein öffentliches Strafverfahren mit der Aufrechterhaltung der Disciplin zu vereinbaren. i: F

Abg. Freiherr von Manteuffel (dconf.): Unparteiische und gerechte Nichter brauchen wir nicht ers zu {hafen durch Oeffent- lichkeit des Militärgerichtswesens; die haben wir {hon und hoffentlich hat auch der Abg. Dr. von Marquardsen sie niht bezweifeln wollen. Die verlesenen Erlasse beweisen nur, daß Vorkommnisse sich ereignet haben, wie sie der Abg. Bebel angeführt hat, aber niht in großer Zahl. Der Staatssecretär Dr. von Boetticher hat schließlich das meiste dazu beigetragen, die focialdemokratishen Declamationen auf ihren richtigen Werth zurückzuführen. : ;

Abg. Dr. Lieber (Centr.): Wir können uns unmöglich auf den Standpunkt stellen, hier sei der gewiesene Ort, solche Angelegenheiten vorzubringen. Zuerst muß der geordnete JInstanzenzug erschöpft werden. Vor den Reichstag dürfen diese Dinge erst gebracht werden, wenn es ein anderes Ausnahmemittel niht mehr giebt, einen eingewurzelten Mißbrauch abzustellen. Ueber die von dem Abg. Bebel vorgebrachten Fälle können wir niht urtheilen, folglich könnte ih sie auch nicht widerlegen. Von Cadaver-Gehorsam sprechen, wo das Beschwerdereht und das Gerichtsverfahren ausdrücklih besteht, ist außerordentlich müßig. Meichstag und Regierungen find einig darin, daß die Mißhandlungen auf das menschenmöglih geringste Maß reducirt werden. A

Abg. Bebel (Soc.): Wenn der Abg. Dr. Lieber auf den In- stanzenweg verweist, so erinnere ih ihn doch daran, daß er diesen Weg mit seinen Freunden im preußischen Abgeordnetenhause nie betreten hat, als der Culturkampf wüthete. Wenn er {ließlich das Beschwerderecht gegen uns ausspielt, so scheint er mir damit auf einen Standpunkt gekommen zu sein, der noch unter dem eines Regierungs-Commissars ist. Was der Staatsfecretär von Boetticher über die Untersuchung der von mir angeführten Thatsachen mitge- theilt hat, bestärkt mih nur in der Meinung, daß bei der Art, wie die Militärbehörden verfahren, aus den Dingen überhaupt nichts herauskommt. Der Fall Schwengber aus neuester Zeit hat mir darin eine gute Lehre ertheilt. Ich werde mein Material künftig nicht mehr den Herren aushändigen. Der Reichstag thäte künftig besser,

folche Dinge in einer eigenen Commission zu untersuchen.

Staatssecretär Dr. von Boetticher:

Ich kann ja natürli dem Herrn Abgeordneten Bebel seine Gedanken nit unterbinden, und wenn er der Meinung ift, daß ih ihm eine objective Antwort nicht gegeben habe, so muß ih ihm das überlassen, dieser Meinung zu folgen. Er wird mir aber nicht bestreiten können, daß ich vorhin in vollständig loyaler Weise den Verlauf seiner Anregungen aus dem vorigen Jahre dargestellt habe, und daß ih ihm, allerdings ohne auf die Einzel- heiten einzugehen, als das Ergebniß der angestellten Untersuchungen dasjenige bezeichnet habe, was freilich von jedem, der die Verhältnisse einigermaßen kennt, vorauszusehen war, daß nämlich ein Theil der Fälle thatsächlich bestätigt worden is und daß daraufhin die Be- strafung wegen Ueberschreitung der Dienstgewalt erfolgt ist. Ein anderer is nicht erwiesen worden , und bezüglih eines dritten Theils is außer Zweifel gestellt, daß die Vorgänge in unrichtigem Lichte vorgetragen waren. Wenn der Herr Vor- redner für sih in Anspruch nimmt, daß alle seine Quellen und seine Forschungen, die ja doch nicht mit der Autorität einer behördlichen Maß- !regel angestellt worden sind, ein so zuverlässiges Resultat ergeben haben, daß er hier mit voller Sicherheit und dem Brustton der Ueber-

eugung die behaupteten Thatsachen als unumstößlih hinstellen zu können, dann muß er mir {on gestatten, daß ih ihm sage: Herr Bebel, darin gehen Sie zu weit, Sie können nicht verlangen, daß wir jene Thatsachen ohne weiteren Beweis für richtig halten sollen. Die Bezichtigungen, die gegen Vor- geseßte beigebracht werden und die noch nicht einmal direct von den betheiligten Soldaten, sondern häufig von den Familienangehörigen, von Freunden vorgebracht werden, sind darum, weil sie vorgebraht werdén, noch feineswegs als baare Münze zu nehmen. Unsere Untersuchung hat in allen den Fällen, die der Herr Abg. Bebel zur Sprache gebracht hat, mit voller Sorgfalt statt gefunden, und, wie gesagt, das Ergebniß is das gewesen, welches ih vorhin bezeichnet habe.

Wenn dann der Herr Abg. Bebel gemeint hat, der Verlauf seiner vorjährigen Anregung habe ihn zu dem Entschluß gebraht, uns gar kein Material mehr zu liefern für die Verfolgung der Fälle, die er bier anreat, hann glaube G mit U 9 größerèm Recht fragen zu können: was hat denn die ganze Dis- cussion in diesem Hause für einen Zweck? (Sehr richtig! rets.) Sie stellen Behauptüngen auf, und wenn wir Ihnen sagen: Seien Sie doh so gut und geben Sie die Beweismittel für Ihre Behauptungen, dann erwidert der Herr Abg. Bebel: Das fällt mir garnicht ein. Also es kann hier behauptet werden, was da will, und zwar wie man ja annehmen kann in gutem Glauben; denn Sie sprechen ja diefes alles aus auf Grund der Ihnen zugegangenen Mittheilungen, von denen Sie selbst nicht wissen und nicht prüfen können, ob sie wahr sind, Sie s{leudern beweislose Behauptungen ins Land, und wenn wir dann die Absicht äußern, der Sache auf den Grund gehen und sie untersuchen zu wollen, dann lassen Sie uns im Stich

und sagen: O, bei Leibe niht; Ihr richtet damit Unfug an, wenn wir Euch das Material geben ! Es mußauch denblödesten Augen klar werden, daß eine folhe Behandlung doch immerhin der Materie nah recht wichtiger Dinge nicht diejenige ist, die man in einem Parlament vor- nehmen sollte (sehr wahr! rechts), und ich kann die Anschauung, die mir gegenüber kürzlih von einem ganz objectiven Urwähler dahin aus- gesprochen wurde, daß es doch eigentli mit der Aufgabe und der Stellung des Reichstags nicht recht in Einklang zu bringen sei, solche Vorgänge ohne nahweisliche Unterlagen fo breit und ausführlich, wie dies hier geschieht, zu behandeln, nicht für unbegründet halten. (Bravo! rets.)

Abg. N ichter (dfr.): Im allgemeinen bin ih _auh der Ansicht, man folle einzelne Beschwerden nur vorbringen, wenn sie in der obersten Verwaltungsinstanz keine Abhilfe gefunden haben. Es handelt si hier aber weit weniger um die Einzelbeshwerden, sondern um das Material für die Reform einer Geseßgebung im allgemeinen. Seit zwanzig Jahren fordern wir Reformen des Militärstrafverfahrens, stets vertröstet mit allgemeinen Zusicherungen, welche nichts verbürgen. Unter folhen Umständen, bei der Gelassenheit der Militärverwaltung ist es das einfachste und natürlihste Mittel, diese Fälle hier fort und fort zur Sprache zu bringen. Das kann nur sehr unvollkommen geschehen; aber wenn solche Nothstände in der Geseßgebung vorhanden sind, muß der Reichstag von jedem Mittel Gebrauch machen, die Regierung zu zwingen. Mag im einzelnen gefehlt sein, im ganzen halte ich diese Discussion für sehr berehtigt und hoffe, die Regierung wird sich die richtige Lehre daraus ziehen.

Königlich preußischer Kriegs-Minister von Kaltenborn- Stachau: |

Meine Herren! Es hätte dieser mehrtägigen Verhandlung in der eben besprochenen Richtung nicht bedurft, um die Gelassenheit, mit der die Sache in der Heeresverwaltung bearbeitet wird, zu be- kämpfen. Es wird allen Ernstes mit Anstrengung aller Kräfte seit zwei Jahren an der Sache gearbeitet. Daß wir Ihnen nicht einen Gesetzentwurf vorlegen können, den wir nicht billigen und Sie auch niht annehmen werden, liegt auf der Hand. Also wir können Ihnen niht eher etwas vorlegen, bis wir einen Gesetzentwurf fertig haben, und der ist noch nit fertig. (Bravo! rets.)

Abg. Dr. Lieber (Centr.): Das Beschwerdereht is nit gegen- standlos; denn der Abg. Bebel hat selbst zahlreihe Fälle mitgetheilt, wo es zum Ziele geführt hat. E : E

Abg. Richter (dfr.): Der preußishe Kriegs - Minister von Kaltenborn i} son der fünfte Kriegs-Minister, von dem ih ganz ähnlihe Erklärungen vernommen habe, ohne daß die Sache weiter gekommen ist. Da können Sie uns nicht übelnehmen, daß wir auch die {härfsten Pressionsmittel anwenden, um in der Sache einen Fort- shritt zu erreichen, : A : i

Damit schließt die Debatte. Das Gehalt des Kriegs- Ministers wird bewilligt. Um 51/5 Uhr wird die Fortseßung der Berathung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 50, Sißung vom 10. Mär z.

Das Haus sett die dritte Berathung des Staats- haushalts - Etats für 1893/94 bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten fort.

Ueber den Beginn der Sißzung ist bereits in der Nummer vom Freitag berichtet worden. Jm weiteren Verlauf der Be- rathung nimmt nah dem Abg. Grafen Clairon d’Hausson- ville (cons.), dessen Rede bereits mitgetheilt worden ist, das Wort E

Abg. Freiherr von Minnigerode-RNositten (cons.): Ist eine Verlängerung der Besuchszeit für die Königlihen Museen am Sonn- tage geplant ? Es laufen darüber Gerüchte um; es will mir aber scheinen, als oh die jeßige Besuchszeit vollständig ausreichend sei. T ie Beamten sind ‘beschäftigt genug, man kann ihnen wohl die Sonntags- ruhe gönnen. -

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Die von dem Herrn Abg. Freiherrn von Minnigerode gewünschte Beruhigung, daß das Gerücht über eine be- absichtigte Erweiterung des Besuchs der Muscen an den Sonntagen unrichtig sei diese Beruhigung kann ih nicht gewähren. Lie Sache ist begründet. Erst vorgestern ist mir ein von mir veranlaßter Bericht der Museumsverwaltung zugegangen darüber, wie die Sache zu machen sei. Es sind an die Unterrichtsverwaltung außerordentlich zahlreiche Wünsche herangetreten, demjenigen Publikum, welches nur an Sonntagen Zeit hat, sich an unseren Kunstsaminlungen zu er- freuen, mehr Gelegenheit hierzu zu verschaffen, und ih halte das auch in jeder Beziehung für ein sehr wohlbegründetes Ver- langen. (Sehr richtig!) Die Leute, die in die Museen gehen, sind niht die s{chlechtesten Elemente (sehr wahr !), fondern die allerbesten, denn sie werden dadur) nicht nur in ihren Anschauuugen gehoben; fondern sie werden auch von anderen weniger guten Vergnügungen fern gehalten. Ich halte es für eine ernste Pflicht der Unterrichtsverwaltung, diese Bestrebungen zu unterstüßen.

Nun versteht es sih aber von selb, meine Herren, daß das niht auf Kosten der Sonntagsruhe der Aufsichtsbeamten gemacht werden kann. Wir müssen dafür sorgen, daß wir bei einer Ver- längerung der Besuchszeit auch. das nöthige Aufsichtspersonal haben und zwar ohne daß wir dem Aufsichtspersonal die Sonntagsruhe ver- fümmern. Wir selbst haben ja das größte Interesse daran, daß auch diese Beamten die ihnen gebührende Sonntagsruhe haben. (Cs ist deshalb in Aussicht genommen, einen Turnus mit weselnder Heranziehung gewisser Beamten zu dem Sonntagsdienst einzuführen, sodaß diese Beamten bestimmte Sonntage ganz frei blei- ben und an anderen Sonntagen wenigstens zum theil Dienst haben; erforderlih wird dann allerdings eine Anzahl von Hilfspersonen, die besonders bezahlt werden. Jch werde darüber mit dem Herrn Finanz- Minister noch in Verhandlung treten müssen, nahdem die Vorschläge, die mir von der Museumsverwaltung jeßt zugegangen sind, näher ge- prüft sein werden.

Aber ih bitte den Herrn Freiherrn von Minnigerode, sih ver- sichert zu halten, daß wir mit aller Energie darauf halten werden, die Sonntagsruhe den Museums-Auffichtsbeamten nicht verkümmern zu lassen; daß wir aber andererseits an dem Plan, die Museen in dem Umfange, wie es irgend möglih ist, dem Publikum an Sonn- tagen zugänglih zu machen, festhalten. Wir müssen das {hon um deswillen thun, weil die Kreise, für die die Museen hauptsächlich an Sonntagen Werth haben, meist ihre Essensstunde zwischen 1 und 3 Uhr haben, und weil ihnen dadurch der Besuh der Museen außer- ordentli verkürzt wird.

Auch i} es nicht richtig nach meinen persönlichen Erfahrungen,

daß an Sonntagen die Museen nicht gefüllt wären. Sie sind meist sogar überfüllt. Jch bin in Museen und in der Nationalgalerie an Sonntagen gewesen, und kann versihern, daß es nicht möglich war, an gewisse Bilder überhaupt heranzukommen. Also daß ein Bedürf- niß besteht, die Besuchszeiten auszudehnen, darüber, glaube ih, kann nicht der mindeste Zweifel sein. (Bravo!)

Abg. Schnatsmeier (conf.) warnt davor, die Sonntagsruhe zu beshränken und den Landleuten Gelegenheit zu geben, Sonntags Nachmittags ihre Einkäufe in der Stadt zu machen. Im Gegentheil, es müsse eine strengere Sonntagéruhe eingeführt werden ; in Minden- Navensberg sei sie vorhanden. Aber hier im Osten habe er oft genug bemerkt, daß die Sonntagsruhe sehr wenig beachtet werde. Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Meine Herren!! Jh bin mit dem Herrn Vorredner in der Werth- \{äßung der Sonntagsruhe ganz einverstanden; nur fasse ih sie viel weniger unter dem Gesichtspunkt einer geseßlichen Verpflihtung auf als unter dem Gesichtspunkt eines guten Rechts, einer Wohlthat, die Gott durch die Naturordnung jedem einzelnen Menschen zugedacht hat.

Die Fürsorge für die Aufrechterhaltung der Sonntagsruhe, namentlich auch in der Ausführung der Neichsgeseßzgebung, liegt in erster Linie dem Herrn Handels-Minister und dem Herrn Minister des Innern ob. Aber ich werde zugezogen, und ih erkenne die Be- theiligung der Cultusverwaltung als durchaus correct und rihtig an. Ich bringe dabei wesentlich den Gesichtspunkt des Cultus zur Gel- tung, und ih thue das nah Kräften.

Ich beschränke mich deshalb auf die Bemerkung, daß in der ersten Zeit einer so tief einshneidenden Gesetzgebung, wie die Reichsgeseßz- gebung auf diesem Gebiete es is, sich stets manche Frictionen und meinetwegen au manche Fehlgriffe zeigen werden, und daß es einer gewissen Zeit bedürfen wird, bis sich diese Verhältnisse, die in das Gewohnheitsleben der Menschen ungemein tief einschneiden, einiger- maßen verständig geregelt haben. In dieser Beziehung geschieht alles, was verständiger Weise geshehen kann.

Was die Seelsorge in großen Städten, namentlih in Berlin betrifft, so verkennen wir, wie ih dem Herrn Vorredner erwidere, die Nothwendigkeit, bei der wachsenden Seelenzahl in erster Linie auch die Scelsorge zu fördern, keineswegs. Aber in erster Linie ist es die Auf- gabe der vereinigten Kreissynoden, des Kirchenregiments, ihrerseits auf die Beschaffung von Mitteln für die vermelbrte Seelsorge hinzuwirken. Da, wo wir angegangen werden, helfen wir, soweit unsere Mittel reichen. :

Eine Mahnung an die Arbeitgeber, ihren Arbeitern in den Wochentagen die nöthige Zeit für ihre nothwendige Beschäftigung zu gewähren, und sie niht auf die Sonntage zu verweisen, ist, glaube ih, doch weniger Sache der Staatsbehörden als der Kirche. Jch glaube, daß die kirchlichen Organe alle Ursache haben, auf die Arbeitgeber dahin zu wirken, daß sie in menschliher und humaner Weise ihren Arbeitern auch nach dieser Richtung hin gerecht werden.

Abg. von Pilgr im (freicons.) tritt ebenfalls für die Medizinal- reform ein._ B : i O i

Abg. Seyberth (nul.) empfiehlt eine geseßlihe Regelung der Schuldotation, da die Gemeinden und die Lehrer über die jeßigen Verhältnisse sehr viel klagen. Namentlih die Lehrer verdtenen eine Aufbesserung ihrer Gehälter, weil ihre Aufgabe mit der zunehmenden Verrohung der Massen immer s{hwieriger wird. Die heutigen Ausführungen des Grafen d’Haussonville sind in dieser Beziehung sehr erfreulih. Die Gemeinden sind von den Schullasten hart betroffen, weil das Schulgeld aufgehoben ist und gleichzeitig die Anforderungen an die Gemeinden für die Schule sich gesteigert haben. Redner spricht die Hoffnung aus, daß die Vorlage über die Aufbesserung der Gehälter der Volksschullehrer nur eîn Interimisticum sein wird ; daß bald die Toleranz so weit fortgeschritten sein wird, daß ein besonderes Schulgefeß erlassen werden kann. _

Abg. von Strombeck (Centr.) bedauert, daß die Negterung sich nicht bereit gezeigt habe, die Reste des Culturkampfes zu beseitigen. Alle früheren Novellen seien von der Regierung ausgegangen ; Anträge des Centrums hätten keine Ausficht auf Annahme, deshalb müsse die Negierung auh jetzt mit Vorlagen kommen, die der Annahme sicher wären. E : Ï ; E

Abg. Dr. Arendt (freicons.) hält ebenfalls eine Aufbesserung der Volksschullehrergehälter für nothwendig, warnt aber die Lehrer davor, den übertriebenen Forderungen der Agitatoren Gehör zu schenken. Die Aufbesserung der Lehrergehälter könne nur bei Ver- besserung der Finanzen erfolgen; eine solche fei aber nur bei wirth- schaftliher Besserung möglih. Daher follten sih die Lehrer nicht der Manchesterpartei anschließen, die sih feder Verbesserung der wirthschaftlichen Verhältnisse widerscße. MNedner empfiehlt, die Alterszulagen etwas früher beginnen zu lassen und den Unter- shied zwishen Gemeinden über und unter 10000 Einwohnern, der ein ganz willkürliher sei, aufzugeben. Die Feststellung eines Mindesteinkoinmens für die Lehrer für den ganzen Staat wäre wohl nicht richtig. Man müßte diese Frage mindestens provinziell regeln. Redner empfiehlt schließlich _die geseßliche Regelung des Mittelschulwesens womöglih noch in dieser Session, wie sich denn überhaupt eine geseßlihe Regelung gewisser Schulfragen als dringend geboten eiweise. Die Verhältnisse der Universitäten und der höheren Lehranstalten könnten gefcßlich geregelt werden, dann werde sih die Regelung des Volksschulwesens leicht durchführen laffen.

Minister der geisilichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch kann es nach dem, was wir eben gehört haben, nicht unterlassen, den Herren Vorrednern, fowobhl dem Herrn Grafen d’Haussonville als auch dem Herrn Abg. Seyberth und den Herren Abgg. von Strombeck und Dr. Arendt, meinen wärmsten Dank dafür

gg Î | l 4 auszusprehen, daß auch sie die Bestrebungen der Staats- regierung, die wirklich vorhandenen Nothstände unter den Volks\{hullehrern zu beseitigen, unterstüßen. Es ift die Hoffnung, die Zuversicht darf ih sagen, die ih {hon bei der zweiten Berathung des Etats ausgesprohen habe, und zu der ih vollkommen Grund babe auf Grund der Verhandlungen der Steuer- commission, daß alle Parteien des Hauses hier mit der Regierung sich vereinigen werden, um noch in diefer Session die s{wierigsten Nothstände in Bezug auf die Lehrerbesoldungen zu beseitigen, wefentlih ver- stärkt worden, und ih werde mich darin nicht getäuscht haben. Jch werde den Tag segnen, wo wir demnächst die Pflicht erfüllen, dem wirklichen vorhandenen Nothstand unter den Lehrern ein Ende zu machen. JIffft das einmal geschehen, so werden wir dahin kommen, eine bessere Aug« gleihung herbeizuführen. Das wird dann die nächste Aufgabe fein, die wir zu lösen haben.

Auch dafür bin ih dem Herrn Abg. Dr. Arendt sehr dankbar, daß er den Lehrern es ans Herz gelegt hat, sie möchten ihre Wünsche auf das Nothwendige und Erreichbare beshränken. Meine Herren, das habe ih auch thun müssen. Wenn wir das Wünschenswerthe ins Auge fassen, glaube ih, dann müssen wir sehr viel thun ; aber angesichts unserer Finanzlage hat au die Cultusverwaltung die Pflicht, fich auf das Nothwendige und Erreichbare zu beschränken; und das wollen

sih auch die Lehrer gesagt sein lassen.

arri Lrt H E O E: pr r mERTME T E