1893 / 63 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

weiter zu führen, und daß ihm die 250 000 Æ lieber sind. Jch bitte Sie also um Annahme des Entwurfs von diesen Gesichtspunkten aus. Daß es eine Verbesserung ist, haben Sie ja anerkannt und deshalb könnten Sie au für die Verbesserungen stimmen. Ihr principieller Standpunkt, den Sie gegen die subventionirten Dampferverbindungen einnehmen, wird dadur in keiner Weise berührt. Sie salviren Ihr Gewissen und können deshalb eine solche Verbesserung unbedingt an- nehmen.

Abg. Hahn (dcons.): Daß der Lloyd felbst kein Freund der Resolution des Abg. Dr. Barth ift, haben wir soeben über- zeugend vernommen. Wir haben in der Commission für § 2 ge- stimmt, und werden das jeßt auch thun. Der Antrag auf Ablehnung hat nur den Zweck, von den Dampfersubventionên abzubröckeln, wo es nur immer möglih ist. Wir werden den verbündeten Regierungen diese Schwierigkeit niht in den Weg legen. Nach der Erklärung des Lloyd wäre die Resolution in den Wind gesprochen. :

Abg. Dr. Barth (dfr.): Die Erklärung des Lloyd darf uns nicht irre machen. Die Betriebéverluste des Lloyd in den leßten drei Jahren betragen jedesmal mehr als 250 000 A Die Gejellshaft kann es also den Actionâren gegenüber garnicht verantworten, ein Angebot, wie das von uns angeregte, einfah von der Hand zu weisen. Würde die Vorlage in ihrer jeßigen Gestalt scheitern, so würde allerdings in 48 Stunden ein Arrangement mit dém Lloyd zu stande zu bringen sein, Der Lloyd verspricht si unzweifelhaft nichts von dem Anlaufen von Neu - Guinea, fondern von dem Anlaufen der dazwischen liegenden Sunda - Inseln einen Vortheil und eine günstige Einwirkung auch_ auf feine Hauptlinie und geht deshalb auf diese Zweiglinie ein. Für uns wächst dadur die Wahrscheinlichkeit, für unseren Vorschlag beim Lloyd Anklang zu finden. Die Neu-Guinea- Linie bliebe dann der freien Wahl des Lloyd überlassen.

S taatssecretär Dr. von Stephan:

Wenn der Herr Vorredner damit geschlossen hat, es würde für uns eine Kleinigkeit sein, mit dem Nortdeutshen Lloyd ein Arrange- ment in dem angedeuteten Sinne zu treffen, so hat er unsere Fähig- keit ganz erheblich überschäßt. Ih möchte auch glauben, daß er den Eindruck übershäßzt, den die von ihm beantragte Resolution auf den Lloyd machen wird... Er hat bei sciner Ausführung niht davon Notiz genommen, daß der Lloyd. in seinem Schreiben ausdrücklich sagt, er lege den größten Werth auf das Zustandekommen der Sunda- Neu-Guinea-Linie, niht nur der Sunda-Linie, weil jene einen wesentlichen Bestandtheil seiner neuen Combination bildet. Wenn der Lloyd davon durchdrungen ist und er muß als Sachkundiger das Geschäft verstehen und überzeugt sein, daß durch Umgestaltung der Linie die Verhältnisse für ihn und seine Actionäre sich wesentlich besser gestalten als bei der Samoga-Linie dann sehe ih für den Reichstag keinen Grund, hier ein Gese zu Fall zu bringen, das dem Steuerzahler um diese Sache, die dem Hause \ympathish sein wird, noch zu erwähnen ungefähr 300 006 M. spart. Kommt das Geseß nicht zu stande, so bleibt der Lloyd, wie ih {on bei der ersten Berathung sagte, auf seinem Schein stehen, und die Sache ist ganz vorbei. Also, fo sehr wir bereit sind zu verhan- deln: Der Lloyd sagt einfa, ih will nicht, und Sie können ihn do nicht wie Sarastro zur Liebezwingen ! Was sollen wir machen? Wir sind an dieses Gescß gebunden. Wir halten es für vortheilhaft für die ganze Nation, für die Ausdehnung des Unternehmens, für die socialen und colonialen Interessen. Jh würde Sie dringend bitten, dem § 2 Ihre Zustimmung zu geben und die Resolution, die ih wirklich als auésihtslos ansehe und die, wie der Herr Abg. Hahn gesagt hat, gewissermaßen ein Schlag ins Wasser wäre, niht anzunehmen.

Abg. Sperlich (Centr.) tritt für die Vorlage ein. Für die Verluste auf der Samoa-Linie habe sih der Lloyd mit den Vortheilen auf den anderen Linien trösten können. 2 :

Abga. Dv. Dohrn (dfr.): In diesem Falle müßte der Abg. Sperlich auch die Subvention für die Mittelmeer-Linie streichen ; denn auch auf dieser hat der Lloyd mit Verlust gearbeitet. Der Lloyd wird nah meiner Meinung mit Vergnügen auf die Entlastung ein- gehen, wenn wir ihm für den Dampfer „Lübeck" eine Entschädigung geben. Wenn er vom Anlauf von Batavia und Surabaya sich Vor- theile verspricht, so thut er das faute de mieux: einer Aussicht auf Gewinn stehen zwei thatsächliche_ verlustbringende Geschäfte segen über. Auf Neu-Guinea find 12 protestantische und 18 katholische Missio- nâre. Sind diese Verhältnisse es werth, daß auf jeden der Köpfe der Mis- sionare 8000 .(Reichssubvention gezahlt werden müssen? Daß die Neu- Guinea-Compagnie in eine prekäre Lage kommt, wenn diefe Linie nicht von Reichswegen subventionirt wird, glaube ih nicht. Sie ist eine sehr potente Gesellschaft, deren Ueberzeugung von der Rentabilität ihrer Unternehmungen feststeht. Sollte sie wirkli diese Unterstützung ge- brauchen, so is} sie nicht so creditfähig, wie es sonst dargestellt wird wie denn überhaupt die Ausführungen des Staatssecretärs Dr. von Stephan die Wirkung haben müssen, die Creditfähigkeit und Creditwürdigkeit der Gesellschaft zu ershüttern, | -

Nachdem der Abg. Sperlich sih gegen die Auffassung verwahrt hat, als ob lediglih wegen der Missionare die Neichs- Unterstüßung gezahlt werden müsse, wird § 2 angenommen, die Resolution Barth abgelehnt, j

Darauf wird die Etatsberathung fortgeseßt. Zur Debatte steht zunächst der Etat des Reichs - Eisenbahn- amts. Bei den Ausgaben bemerkt der

Abg. Schrader (dfr.): Wir haben zur Zeit mit Anträgen auf Erlaß eines Reichs-Eisenbahngeseßes keine Ausficht auf Erfolg. Wenigstens muß aber eine Auedehnung der Reichs geseßgebung ver- langt werden in einer Richtung, wie sie 13879 bis 1880 |chon einmal angebahnt worden ist, nämlich bezüglich des Pfandrechts an den Eisenbahnen und der Zwangsvollstreckung. Man hat wohl weitere Schritte wegen der inzwischen stattgehabten Verstaat- lihung niht mehr für nöthig gehalten. Doch existiren zur Zeit noch eine erheblihe Anzahl von Kilometern Privateisenbahnen, und „neuerdings if. in Preußen durch das Kleinbahnengesez eine weitere Vermehrung der Privatbahnbauten angebahnt worden. In, mot ferner Zeik wird also wieder ein größeres Privateisenbahnneß in Deutschland vorhanden sein, und es muß rechtzeitig von Reichswegen für die Ordnung der Nechts- verhältnisse desselben gesorgt werden. Es kommt darauf an, den Prioritätsobligationen ein Pfandrecht beizulegen, welches ihnen jeßt niht innewohnt. Ein Pfandreht an dem Grundbesiß an Eisen- bahnen ift zur Zeit nur möglich durch _hypothekarishe Eintragung. Selbst bei Kleineisenbahnen würde es s{wer sein, ein Pfandrecht am ganzen Besiß der Bahnen zu construiren. Mit diesem Pfand- recht würde auch nicht viel gewonnen sein, denn eine Bahn if nur als Ganzes und im Betriebe etwas werth. Hat man die Absicht, den Kleineisenbahnbau zu fördern, so muß also eine anderweite Regelung und zwar von Reichswegen erfolgen. :

Präsident des Reichs-Cisenbahnamts Dr. Sulz: Jch stimme dem Vorredner darin bei, daß die ee feit 1880 ruht, weil infolge des Uebergangs eines großen Theils der Privateisenbahnen in den Besiy des Staats das Bedürfniß einer reLGagelehn Gen Negelung wesentlih geringer geworden ist. Ferner gebe ich ihm darin recht, daß das Bedürfniß, der Sache näher zu treten, zur Zeit wieder in wesentli vexstärktem Maße vorliegt, und dieses Bedürfniß waltet hauptsächlih für Preußen ob. Andererseits kommt aber in Betracht, daß inzwischen die Vorarbeiten zu dem Entwurf ‘eines Allgemeinen deutshen bürgerlihen Geseßbuchs wesentli gefördert und dem Abschluß näher gerückt sind. Einem Specialgesetz über das Pfandrecht hei den Eisenbahnen würde cs unzweifelhaft wesentlich

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zu gute kommen, wenn vorher die Grundrechte über das Pfandrecht im allgemeinen für Deutschland etre geregelt worden wären. Es wird sich aber fragen, ob das Bedürfniß nah einèm Specialgeseß in der That ein fo. dringendes ift, daß dieses vorweg genommen werden müßte. Vielleicht lassen sih noch andere Mittel und Wege finden. Dem Bedürfniß in Preußen ist inzwischen auf anderem Wege abzuhelfen und wird diese Frage bereits in dem zuständigen Ministerium erörtert. Doch ift damit keineswegs gesagt, daß eine reichsgeseßlihe Regelung der Frage künftig niht mehr stattfinden foll.

Abg. Dr. Hammacher (nl.) erklärt, die Anregungen des Abg. Schrader auf das wärmste unterstüßen zu müssen. Ir Preußen seien noch gegen 4000 km Privatbahnen vorhanden und das Kleinbahnen- gesey stelle U Mone Vermehrung dieses Bestandes in Aussicht. Das Kleinbahnwesen komme aber in Preußen troß des Gesetzes nicht vorwärts, weil es ihm an Credit mangele, da die Kapitalisten genügende Sicherheit vermißten. Hier könnte nur ein Reichsgeseß, wie, es der Abg. Schrader gefordert habe, helfen, um den Bau von Tertiärbahnen wirklih zu fördern. , Der Zeitpunkt, auf den der Präsident des NReichs-Fisenbahnamts hinweise, liege do noch sehr fern.

_Der Etat des Reichs-Eisenbahnamts wird darauf un-

verändert bewilligt. : / Es folgt der Etat der Neichseisenbahnen. Die Einnahmen sind auf 57 966 000 M veranschlagt, die ordentlichen Ausgaben auf 37 220 900 6 Das Extraordinarium erfordert nah dem Anschlage 13 386 810 M

Abg. Dr. Ham macher (nl.) ersucht den Chef der Neichs-Eisen- bahnverwaltung um Mittheilungen über die Ergebnisse des Betriebs im laufenden Jahre. Im großen und ganzen sei das finanzielle Er- gebniß der MReichs-Eisenbahnverwaltung ein ‘recht günstiges. Der Ueberschuß pro Kilometer sei im Jahre 1891/92 bei den reihs- ländishen Bahnen der höchste gewesen, der überhaupt in Deutschland herausgearbeitet wurde, nämlich 14 026 4, während er in Preußen nur ca. 12 000 M betrug. Der wirkliche Uebershuß des Jahres 1891/92 sei auh höher gewesen als der jeßt im Etat mit ca. 20 Millionen für 1893/94 ausgeworfene.

Königlich preußisher Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren, ih kann dem Herrn Berichterstatter nur dankbar sein, einmal für die Anerken.iung, die er der Neichs-Eisenbahn- verwaltung für die sorgfältige und vorsichtige Art und Weise hat zu- kommen lassen, in der nah seiner Auffassung dieser Etat in Einnahme und Ausgabe aufgestellt worden ist. Jch kann aber auch ferner nur meinen Dank dafür aussprehen, daß er die Erfolge der Neichs- Eisenbahnen so günstig beurtheilt. Jh muß aber allerdings meinerseits hinzufügen, daß doch verschiedene Momente zur Zeit nicht außer Auge zu lassen sind, welhe vielleiht für die Zukunft diese Ergebnisse niht in demsclben rosigen Lichte werden erscheinen lassen, wie das heute noch der Fall ist. Jh möchte in dieser Be- ziehung, um vor Enttäuschungen in der Zukunft zu bewahren, hin- weisen einmal darauf, daß in das Neß der Neichseisenbahnen Neben- bahnen von geringerer Rente in \teigendem Maße in den letzten Jahren aufgenommen sind, deren Einfluß auf das wirthschaftlihe Ergebniß des ganzen Nehes sich allmählich geltend machen wird, und zweitens aufmerksam machen auf den Umstand, daß die Betriebsmittel der Neichseisenbahnen so ziemlich in einer und derselben kurzen Periode beschafft worden sind, infolgedessen auch in einem und demselben Zeitalter ungefähr werden abgängig werden. Diefe Periode ist allerdings noch niht unmittelbar bevorstehend, nach der Auffassung der General-Direction der Reichseisenbahnen sogar noch ziemlih weit entfernt, allein sie wird unzweifelhaft eintreten und wird dann für längere Jahre hindurch den Etat der Neichseisenbahnen ziem- lich erheblich belasten. Jch halte mi verpflichtet, auf diesen Umstand noch besonders aufmerksam zu machen.

Was nun die Ergebnisse des laufenden Jahres anbetrifft, \o liegen dieselben theilweise definitiv abgerehnet, theilweise auch nur geschägt für die ersten zehn Monate vor. Wenn di® beiden noch ausstehenden Monate Februar und März noch den Einnahmen des Vorjahres hinzugerechnet werden, so würde sich ergeben für den Personenverkehr gegen die wirklihen Einnahmen des Jahres 1891/92 ein Plus von 550 000 Æ, für den Güterverkehr gegen die wirklihen Einnahmen des Jahres 1891/92 ein Plus von 218 000 Gegenüber dem Etat des laufenden ‘Jahres stellt sich das Verhältniß insofern günstiger, als der Personenverkehr gegen den Etat voraus- sihtlih ein Plus aufweisen wird von 1 165 000 4, und der Güter- verkehr ein Plus gegen den Etat von 1274000 4, in Summa also ein Plus von 2439 000 /( Meine Herren, dies Ergebniß kann im großen und ganzen nur als ein günstiges bezeihnet werden, denn das laufende Jahr gehört jedenfalls nicht zu denjenigen, die - in- den Erträgnissen des Personen- und Güterverkehrs als besonders vortheil- hafter anzusehen sind. Die Verhältnisse, welche das veranlaßt haben, find den Herren zu sehr bekannt, als daß ih sie hier aufführen müßte : es sind die allgemeine wirthschaftlihe Lage des Landes und das Auf- treten der Cholera.

@ Abg. Dr. Hammachér (nl.): In Elsaß - Lothringen nimmt einmal der Güterverkehr einen größeren Naum ein als in Preußen, die Einnahmen daraus betragen dort 67, in Preußen nur 56 0/0. Es wäre angesichts der Erfahrungen in Preußen doch auch in Zukunft für das Neich viel empfehlenswerther, entweder für die Erneuerung der Betriebêmittel größere Summen zurückzulegen oder in jedem Jahre größere Fonds für die Erneuerung zu bewilligen, um auch in shweren Zeiten das Erneuerungsbedürfniß zu befriedigen. In dieser Weise ist man in L längst vorgegangen.

Die Einnahmen des Etats der Reichseisenbahnen werden darauf bewilligt S

__ Vei den ordentlichen Ausgaben für die Centralverwaltung bringt der ; :

Abg. Dr. Lingens (Centr.) Klagen der Beamten über un- jenügende Gewährung der Sonntagsruhe zur Sprache. Vor allem dürfe fie nicht Beamten und Arbeitern gewährt werden, die die ganze vorhergehende Nacht noch Dienst gethan hätten.

Königlich preußisher Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Die Gewährung der Nuhetage wie der dienstfreien Sonntage ist im Gebiete der Neichseisenbahnen ebenso nah besiimmten Negeln geordnet, wie in dem Gebiete. der preußischen Staatseisen- bahnen. Es steht für jeden Beamten fest, nah welchem Turnus er einen Nuhetag und nah welhem Turnus er einen dienstfreien Sonntag hat. Es sind bei den Reichseisenbahnen wie bei den preußischen Staatseisenbahnen allmählich die Verhältnisse nah beiden Nich- tungen erheblich gebessert worden. Ih darf mir. wohl ge- statten, aus einer Nahhweisung, die auf Wunsch des Herrn Dr. Lingens angefertigt it, einige Zahlen kurz anzuführen.

Im Jahre 1892 waren von den vorhandenen Bureaubeamten an jedem Sonn- bezw. Feiertag dienstfrei den ganzen Tag 81 9%, den halben Tag 11 9%; vom Stationspersonal 30,42 % den ganzen. Sonn- tag und 14,120%/9 den halben. Vom Fahrpersonal haben 31 9% jeden Sonntag ganz frei gehabt und 39,9 % den halben Sonntag.

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Vom Streckenpersonal, haben 38,38% ten ganzen Sonntag frei gehabt und 5,4%/5 den halben. Vom Erpeditionspersonal 64,22 9% den ganzen und 19,42% den halben; vom Telegraphen- und Werk- stättenpersonal 77 9/6 den ganzen und 40/6 den halben Sonntag.

Wenn der Herr Abg. Lingens an dem Worte „Bewilli- gung“ Anstoß genommen hat, so möchte ih ihm bemerken, daß dieses Wort ganz unabsihtlich gewählt worden ist und damit nicht etwa hat duêgedrückt werden sollen, daß die Gewährung der dienstfreien Sonn- tage willkürlich von den nähsten Vorgeseßten bewilligt oder ab- geschlagen werden soll.

Es kann immerhin vorkommen, daß ohne Schuld der Verwaltung hier und da ein Beamter der betreffenden Kategorie niht den Tag frei" hat, sei es Nuhetag oder Sonntag, der für ihn ausersehen war, weil außerordentlihe Verhältnisse, plötzliche Erkrankung eines Mit- beamten oder besondere Betriebsverhältnisse es erforderlih machen, daß er im Dienst bleibt. Diese Ausnahmen sind aber verhältniß- mäßig außerordentlich selten. Der Sonntag wird nah durhwachter Nacht nicht als Nuhetag angerechnet.

Was das Interesse betrifft, welches der Herr Abg. Lingens für die Locomotivführer und Locomotivheizer bekundet hat, so besteht das ia nicht minderem Maße bei der Verwaltung. Es sind zur Ver- besserung der Lage der Locomotivführer und Heizer in den Etat ja dreißig neue Stellen für diese beiden Beamtenkategorien aufgenommen worden.

Nun ift mir bekaunt, daß ein alter Wunsch der Locomotivführer dahin geht, daß sie bei Urlaubs- und Dienstreisen die zweite Wagen- klasse benußen dürfen. Die Verwaltung hat \ich in dieser Beziehung bisher ablehnend verhalten, und ih fann auch nit in Aussicht stellen, daß in Zukunft anders verfahren werden wird. Denn es handelt sih Hier nicht nur um Locomotivführer, sondern au um eine ganze Reihe von anderen Beamten, die mit ihnen ungefähr in dem- selben Rangverhältniß stehen. Wollten wir aber alle diese Wünsche berüsihtigen, so würde die zweite Klasse zum Nachtheil des reisenden Publikums zu sehr mit den eigenen Beamten gefüllt werden. Allmählich hat sih auch die dritte Wagenklasse, wenigstens auf den preußishen Bahnen, dadur, daß die Wagen der vierten Klasse besser ausgestattet sind, zu einer höheren Klasse ausgebildet, und if nicht recht einzusehen, wie die Beamten in der Lage und Stellung der Locomotivführer darin eine Beeinträchtigung ihres Standesbewußtseins erbliden Tönnen, daß sie bei freier Fahrt in die dritte Klasse gewiesen werden. ;

Abg. Bebel (Soc.) kommt auf die Behandlung s\ocialdemo- kratisher Arbeiter ‘bei den Staatsbetricben zurück. Während der Kriegs-Minister zugegeben habe, daß es mit der Gewerbeordnung in Widerspruch stehe, wenn in den staatlihen Arbeitsordnungen Vor- schriften enthalten seien, die das Verhalten der Arbeiter außer Dienst regeln, sei eine ähnlihe Erklärung von einer anderen obersten Reichsbehörde niht abgegeben worden, abgesehen von der Marine- verwaltung, welhe s{chon im vorigen Jahre eine Aenderung ein- treten ließ. Bei den Neichseisenbahnen bestehen fast unverändert dieselben Vorschriften, wie bei den preußischen Staatsbahnen ; es wird niht nur darauf gesehen, daß die Arbeiter keine ord- nungsfeindlichen Bestrebungen, sondern auch, daß sie keine deutsch- feindlihen Bestrebungen theilen. Eine solche Bestimmung ist zwar nicht als ungeseßlih, aber doch als durchaus ungehörig und unschicklich anzuschen. Es darf kein Unterschied in Bezug auf die religiöse und politishe Gesinnung gemacht werden. Eine Verwaltung braucht allerdings innerhalb des Dienstes und Betriebes ‘politische oder religiöse Agitation nicht zu dulden, aber außerhalb des Dienstes hört der Einfluß der Verwaltung äuf. Troßdem heißt es in den Borschrifsten für die Beamten und Arbeiter der Reichseisenbahnen : Auch außerhalb des Dienstes hat der Angestellte sich der Bethei- ligung an den gefennzeihneten Bestrebungen zu enthalten. Diese Bestimmung is -direct ungeseßlich und kann ebenso wenig in den MNeichslanden wie in Preußen Geltung behalten. Sind dem Chef der Reichseisenbahnen diese Vorschriften bekannt und wie denkt er über ihre Geseßmäßigkeit ? ,

Königlich preußisher Minister der öffentlihen Arbeiten Dhveélen: E

Meine Herren! Die Regelung der Verhältnisse der Arbeiter ist in dem Gebiete der Neichseisenbahnen erfolgt einmal durch den Erlaß einer sogenannten Arbeitsordnung, welche sih auf bestimmte Betriebs- werkstätten, also beispielsweise auf die Neparaturwerkstätten in Straß- burg oder auf besondere Kategorien von Arbeitern bezieht. Daneben gelten gemeinsame Bestimmungen für alle Arbeiter. Die Arbeits- ordnungen sowohl wie die gemeinsamen Bestimmungen sind nah dem Erlaß der Gewerbeordnungsnovelle einer Neuredaction unterzogen worden, und es sind aus dieser Neuredactton diejenigen Bestimmungen hervorgegangen, welche der Herr Abg. Bebel soeben mitgetheilt hat. Ich will hier gleih bemerken, daß auch im Betrieb der preußischen Staatseisenbahnverwaltung fast wörtlih dieselben Bestimmungen be- stehen, nur mit dem Unterschiede, daß dort erklärliherweise deutsch- feindlihe Bestrebungen niht erwähnz find.

Die Arbeitsordnungen und die gemeinsamen Bestimmungen sind den nah Maßgabe der Vorschriften der Gewerbeordnungsnovelle ge- bildeten Arbeiteraus\{hüssen vorgelegt worden; die Arbeiteraus\chüsse haben diese Arbeitsordnung und die gemeinsamen Bestimmungen ihrer- seits gebilligt.

Die Verwaltung is von der Auffassung ausgegangen, daß sie vollständig berechtigt sei, neben den Besti:nmungen, die im Einklang mit den Vorschriften des Gesetzes zu erlassen sind, und im Einklang mit den Vorschriften des Geseßzes auch mit Strafandrohungen aus- gestattet sein können, Verhaltungsmaßregeln den Arbeitern zu geben.

Der Herr Abg. Bebeï hat nun anerkannt, daß diese Verhaltungs- maßregeln, soweit sie sih auf die Annahme der Arbeiter erstrecken, mit dem Geseß auch nah seiner Auffassung nihcht in Widerspruch stehen; er hat die Aufnahme einer derartigen Bestimmung in die Arbeitsordnung nur als unzweckmäßig und unangemessen bezeichnet ;

| fie wäre nah seiner Meinung besser fortgeblieben. Die Verwaltung

würde ihrerseits auh kein großes Bedenken getragen ‘haben, diese Be- stimmung wegzulassen; allein sie glaubte einen Act der Loyalität gegen ihre eigenen Arbeitèr zu vollziehen, wenn sie den Arbeitern diejenigen Berhaltungsmaßregeln bekannt machte, die für die Annahme wie für die Beibehaltung der Arbeiter im Dienste der Neichseisenbahnen ent- \cheidend sind. (Sehr richtig! rechts.) Sie hat dann diese Verhaltungs- maßregeln aufgestellt niht allein für den Fall, den der Herr Abg. Bebel hervorgehoben hat, sondern. auch für eine Reihe anderer Beziehungen. Allein der große Unterschied zwischen den Bestimmungen, wie sie früher im Ressort der Militärverwaltung bestanden, und den Verhaltungsmaß- regeln, wie sie hier unter die allgemeinen Bestimmungen aufge- nommen worden sind, besteht darin, daß die leßteren im Nessort der Neichseisenbahnverwaltung mit Strafbestimmungen nicht ausgestattet sind, während im Ressort der Militärverwaltung Strafbestimmungen

an die Uebertretung der dort aufgestellten Vorschriften geknüpft waren. Daß ein Arbeiter wegen Zugehörigkeit zur focialdemokratischen Partei ohne Kündigung entlassen werden kann, {stimmt allerdings nicht mit der Gewerbeordnungsnovelle, dagegen ift nirgends in der Gewerbe- ordnungsnovelle verboten, daß der Arbeitgeber den Arbeitern mit- theilen fann, was nach seiner Auffassung innerhalb - seines Betriebes zulässig is und was nicht, vorausgescßt, daß er niht Strafandrohung oder Bestrafung auf die Uebertretung dieser Vorschriften sezt. Der loyale Arbeitgeber is sogar verpflichtet, seinen Arbeitern das vorher mitzutheilen, damit sie in der Lage sind, sich darüber entscheiden zu können, ob fie unter diesen Umständen die Arbeit annehmen oder nicht, und damit er niht nachher in die Lage versetzt wird, daß er feinen Arbeitera aus diesem oder jenem Grunde kün- digen muß.

Es ist gesagt worden, derartige Bestimmungen dürften sih nit auf das Verhalten des Arbeiters außerhalb des Betriebs beziehen. Wenn Sie die Gewerbeordnungs- Novelle sich ansehen, werden Sie auch dort eine ganze Reihe von Vorschriften finden, die sih auf das Verhalten des Arbeiters außerhalb des Betriebs beziehen. (Zuruf links.) Denn unter den Entlassungsgründen sind, wenn ih nit irre, über die Hälfte solche, die das Verhalten des Arbeiters außerhalb des Be- triebs berühren.

Meine Herren, daß die Arbeiter selb eine andere Auffassung gehabt haben, wie der Herr Abg. Bebel, geht, abgesehen davon, daß sie ja in ihren Ausschüssen diese Bestimmung gut geheißen haben, auch daraus hervor, daß von keiner Seite hier irgend eine Beschwerde kuad gegeben ift, die gegen diese Bestimmung gerichtet ist, und soviel ih weiß, ist auch bei der General-Direction in Straßburg oder bei den ihr untergebenen Behörden seitens der Arbeiterschaft in dieser Be- zichung keine Beschwerde erhoben worden. Hätten die Arbeiter das selbst für anstößig gefunden, so hätten sie fich ja melden können und man wäre gern geneigt gewesen, die Frage in Erörterung zu nehmen, ob man den Satz vielleiht mit den „Allgemeinen Bestimmungen“ fortlassen könnte.

An und für ih, meine Herren, ist das meines Erachtens \elbst-

‘verständlih, daß die Socialdemokraten in die Staatsbetriebe nicht

hineinpassen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn die Eisenbahnverwaltung in der Beziehung ein mildes Regiment geführt hat und nicht Herz und Nieren der Leute crforsht hat, die fi bei ihr gemeldet haben beziéhungsweise bei ihr im Dienst stehen, so hat sie do andererseits in jedem Falle, wo diese ihre Gesinnung dur ihre äußere Haltung bekundet haben, es für ihre Pflicht gehalten, einzuschreiten und den Arbeitern zu sagen : Ihr paßt nicht für uns. Die Entlassung kann ja natürlich aus diesem Gründe nicht eintreten, das wäre ungeseßlich ; aber wie jeder Arbeiter feinerseits die freie Wahl hat, sih den Arbeit- geber auszusuchen, der ihm paßt, und die Arbeit zu kündigen, wenn es ihm gefällt, ebenso hat jeder Arbeitgeber das Necht, einem Arbeiter, der ihm aus irgend welhen Gründen nicht genehm ift, die Arbeit zu kündigen.

Meine Herren, es kann daher meines Erachtens. ein- Unrecht in der Aufnahme dieser Verhaltungsmaßregeln in die allgemeinen Be- stimmungen für die Arbeiter nicht gefunden werden. (Bravo! rechts.)

Abg. Bebel (Soc.): Ich muß dabei bleiben, daß der Staats- betrieb nicht ganz ebenso wie jeder Privatunternehmer zu beurtheilen ist, Der Staatsbetrieb ist für die Allgemeinheit da; er wird aus Staatsmitteln, aus den Mitteln der Steuerzahler erhalten; seine Beamten sind Staatsbeamten. Die Arbeitsordnung der deutschen

J

Privatunternehmer enthalte durhweg solche Bestimmungen. Erst der Staat, der die Socialreform begonnen hat, greift zu Maßnahmen gegen die focialdemokratischen Arbeiter, zu denen zu greifen der Privat- unternehmer sih s{ämen würde. Ob eine Strafe angedroht ift oder nicht, thut garnichts zur Sache. § 134b der Gewerbeordnung schreibt auódrücklih vor, daß nur für minderjährige Arbeiter Bestimmungen er- lassen werden dürfen, welche die Arbeiter in ihrem Verhalten außerhalb des Dienstes controliren, Wenn der Eisenbahn-Minister in Gegensatz zum Kriegs-Minister tritt, fo ist das sehr interessant. Schon als der preußische Staats-Minister Thielen Director des Betriebsamts in Hannover war, hat er in härtester Weise darauf hingewirkt, daß seine jeßige Anschauung den Arbeitern gegenüber ‘zur Geltung gebraht wurde. Er ließ sogar Hausf!§ungen bei den verdächtigen Arbeitern vor- nehmen, er führte das System der s{warzen Listen ein. Jetzt kann er ja noch viel nahdrückliher feiner Feindschaft gegen die Social- demokraten Ausdruck geben. Daß er nur einen Act der Loyalität voll- zieht, ist eine sehr eigenthümliche Auffassung. Loyal ist vor allem, das Gesetz zu respectiren, Wenn die höchsten Beamten das Gesetz fo mißachten, so kann man sich nicht mehr wundern, daß überall im Deutschen Reih die Opposition gegen die neuen Gewerbeordnungs- Bestimmungen immer lebhafter wird.

Königlich preußisher Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Die mir von dem Herrn Abg. Bebel zur Last ge- legte Mißachtung des Gesetzes muß ih ganz entschieden zurückweisen. (Bravo! rets.) Das ift lediglich seine individuelle Auffassung, die, glaube ih, nur innerhalb seiner Partei getheilt wird. (Widerspruch bei den Socialdemokraten.)

Meine Herren, warum hat der Herr Abg. Bebel denn keine That- sachen angeführt, warum hat er nicht gesagt: auf Grund dieser rigorosen Bestimmungen sind lo und so viel focialdemokratishe Arbeiter aus dem Dienst entlassen worden, sind fo und so viele Arbeiter niht angenommen worden ? Derartige Thatsachen hat ‘er niht angeführt. Es war eine rein akademische Unterhaltung, die er hier geführt hat. (Sehr richtig! rets.) Und wenn der Herr Abg. Bebel glaubt, daß der Staat als Arbeitgeber eine befondere Stellung einzunehmen hat, so bin ih ganz mit ihm einverstanden. Aber ih komme in dieser Beziehung zu ganz anderen Schlußfolgerungen als er. Gerade der Staat hat als Arbeit- geber nah strengeren Grundsäßen bei der Annahme und Weiter- beshäftigung der Arbeiter zu verfahren und eine strengere Hand- habung der Ordnung einzuführen, als dies für den Privat- arbeitgeber nothwendig is. (Sehr wahr! rechts.) Gerade der Staat muß sih dagegen wehren, daß in seine Betriebe Arbeiter hineinkommen, deren offenkundiges Bestreben auf die Vernichtung des Staats gerichtet ist (sehr gut! rechts), deren offenkundiges Bestreben dahin geht, Unzufriedenheit unter den Arbeitern zu erregen, deren offenkundiges Bestreben dahin geht, gegen die Vorgesetzten zu heten. (Sehr richtig! rehts.) Solche Elemente müssen wir als Arbeitgeber uns fernhalten, und das wird auch jederzeit ges{hehen! (Bravo! rechts.)

„. Abg. Bebel (Soc.): Thatsachen kann man deswegen nicht an- führen, weil den nicht angenommenen Arbeitern niht gesagt wird, warum man sie nit „annimmt. Die Nichtannahme erfolgt ja gerade auf Grund der \{chwarzen Listen. Dasselbe geschieht bei der Ent- lassung. Auf Beispiele aber ommt es auch garniht an. Die Be- stimmung wäre ebenso unzulässig, auch wenn kein Arbeiter entlassen oder nicht angenommen worden wäre. Wenn Bestrebungen sih fo geltend machen, daß sie den Betrieb stôren, dann möge man diese

Elemente ausmerzèn. Aber kann man nahweisen, daß das geschehen ist von socialdemokratishen Arbeitern? Glauben Sie, es sind in Straßburg, in Mülhausen, in Ihren Werkstätten keine Socialdemo- Guten Tausende sind darin. Sie erziehen auf diese Weise lediglich Heuchler.

Das Kapitel wird bewilligt.

Bei den Ausgaben für die Betriebsverwaltung wird über eine Anzahl von Petitionen verschiedener Beamtenklassen referirt, welhe Aufbesserung des Diensteinkommens bezwecken. Ueber die Petitionen, welche mit dem Vorschlage der Budget- commisston, theils durh Uebergang zur Tagesordnung, theils durh Ueberweisung an die verbündeten Regierungen als Material erledigt werden sollen, wird erst nah Abschluß der dritten Lesung abgestimmt werden.

Unter den einmaligen Ausgaben befindet sich cine For- derung von 250 000 M als erste Nate zur Herstellung einer vollspurigen Eisenbahn von Wingen über Meisenthal nach Münzthal (St. Louis). Die Linie soll im ganzen etwa 21/2 Million kosten. “Die Budgetcommission hat diese Position gestrichen.

Königlich preußisher Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Die Neichsregierung entspricht einem durch ein- müthigen Beschluß am 22. Februar d. J. ausgesprochenen Wunsche der Landesregierung und Landesvertretung der Reichslande, wenn sie das hohe Haus bittet, dem Antrage Ihrer Commission in diesem Falle nicht zuzustimmen, vielmehr die Position unverändert zu bewilligen.

Meine Herren, die Landesregierung sowohl als auch die Landes- vertretung sind der Ansicht, daß sehr {wer wiegende wirthschaftliche Interessen dafür \sprehen, die in Rede stehende Bahn von Wingen nach Münzthal baldmöglichst auszuführen. Es handelt si um die Lebens- fähigkeit ciner immerhin ziemli erheblichen Industrie. Ich gestatte mir, einen Irrthum des HerrnBerichterstatters hier zu berichtigen. Er hat gesagt, diese Industrie beschäftige zur Zeit 2000 Arbeiter. Sie beschäftigt zur Zeit 4000. Es handelt sih hauptsählich um Glas- und Holzindustrie, die aus Altdeutshland in ihrer Concurrenzfähigkeit erheblih bedrängt wird. Die Landesvertretung in Elsaß-Lothringen hat shon bei Bewilligung des Zuschusses von 3} Millionen für die Eisenbahn Saargemünd— Mommenheim ihrerfeits an die Bewilligung die Voraussetzung geknüpft, daß das Neich sih späterhin auch willfährig zeigen werde, die hier in Nede stehende Bahn auszuführen.

Der Herr Berichterstatter hat geltend gemacht, daß die Kosten verhältnißmäßig schr hohe seien. Es muß das zugegeben werden; es liegt das in den sehr s{chwierigen Terrainverhältnissen. Aber gerade die Schwierigkeit der Terrainverhältnisse macht es in diesem Falle nicht râthlih, ftatt der in Aussicht genommenen Normalspur eine Schmalspur zu bauen. Ob die Schmalspur nur ein Drittel der Kosten verursachen würde gegenüber der Normalspur, ist eine Annahme, die ih weder bestreiten noch bestätigen will. Jh vermuthe indeß, daß die Schmalspur doch verhältnißmäßig theurer werden wird, weil der größere Theil der Kosten in den Erdarbeiten liegt, die, wenn die Schmalspur leistungsfähig hergestellt werden foll, ebenfalls in größerem Umfange auszuführen sein werden. Dann aler spricht gegen die Schmalspurbahn der \{chwerwiegende Umstand, daß die Bahn Wingen-Münzthal unzweifelhaft demnächst ein Glied einer durch- gehenden Linie von Wingen nah Zweibrücken sein wird, wenn auch zur Zeit noch nicht abzusehen is, wann die Bahn weiter gebaut werden kann.

Auch- seitens der Stadt Zweibrücken und der benachbarten Ort- schaften is der dringende Wunsch {hon wiederholt laut geworden, daß diese Verbindung hergestellt werden möge. Diese Verbindung kann aber nur dann ihren Zweck erfüllen, einmal in wirthschaft- licher und zweitens in strategisher Hinsicht, sie würde ja, wie ein Blick auf die Karte zeigt, immerhin einige \trategishe Be- deutung haben, wenn sie normalspurig umgebaut würde.

Ich mê-Yte daher bitten, daß das hohe ‘Haus in Anbetracht der besonderen Umstände die ursprünglih beantragte Position wieder- herstellt.

Abg. Mangès (b. k. F.) befürwortet gleichfalls die Bewilligung der Bahn, welche einer armen Gebirgsgegend sehr aufhelfen würde. Die Ablehnung in der Commission sei au nur mit einer Stimme Majorität erfolgt. Der Reichstag solle dcch dem Interesse der Betheiligten entgegenkommen, zumal es sich um einen hohen Betrag nicht handle. i

Abg. Adt (ul.) tritt im Interesse der westlilßen Pfalz auch seinerseits für die Bewilligung ein.

Abg. Dr. Baumbach (dfr.) - erklärt, daß er, wenn er in der Commission zugegen gewesen wäre, für die Bewilligung gestimmt hâtte, und daß er dies jeßt, ‘nah den Erklärungen des Abg. Mangès und des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten, auch im Plenum thun werde.

Die Forderung wird hierauf unter großer Heiterkeit des Hauses fast einstimmig bewilligt. Auch der Nest des Extra- ordinariums gelangt ohne Abstrih zur Annahme.

Nach 5 Uhr wird die Fortsezung der Etatsberathung auf Dienstag 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

51. Sißung vom 13. März.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung e Geseßentwúürfs über die Aenderung des Wahlver- ahrens.

Veber den Beginn der Sißung i} in der Nummer vom Montag berichtet worden. Nah dem Abg. Bachem (Centr.), dessen Nede bereits mitgetheilt worden ist, nimmt das Wort

Abg. Nickert (dfr.): Gegenüber dem fest abgeschlossenen Com- promiß werden wir uns darauf beschränken müssen, unseren Stand- punkt zu wahren. Wir können nur bedauern, daß das Centrum diesmal die Festigkeit niht gezeigt hat, die wir sonst von ihm gewohnt sind. Es ift _schneller, als man denken sollte, entgegengekommen, denn dieses Flickwerk wird niemandem zum Ruhme gereihen. Man hat nachgerehnet, wie eine Bestimmung in dem Ort, wo jeder wohnt, wirkt und wenn die Wir- kung gefiel, dann hat man troß aller Bedenken zugestimmt. So hat das Centrum gemeint, daß die Grenze von 2000 Æ( für das Centrum von guter Wirkung sein wird; die Nationalliberalen sind dagegen, weil sie keine solche gute Wirkung erwarten. Der Antrag von Zedlitz wird gar keine erbeblihe Aenderung der Regierun 8s8vorlage gegenüber mit sich bringen. Wir werden die Commissionsbeschlüsse ablehnen, für den Fall der Annahme aber werden wir die angerechnete Summe von 3 M auf 6 oder mindestens 4 4 zu erhöhen beantragen. Besonders bedauerlich ist, daß das geheime Wahlreht niht angenommen. werden foll, troßz- dem doch der frühere Minister des Innern Graf Eulenburg das geheime Wahlrecht in seiner Städteordnung vorgeschlagen hatte, Früher herrschte eine größere Begeisterung für das allgemeine directe

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und geheime Wahlrecht. Als 1869 die Regierung einen Geseßentwurf vorlegte wegen Abänderung der Wabhlkreiseintheilung, wurde die Vorlage abgelehnt, und man beantragte damals, das Wahlrecht des Abgeordnetenhauses in Uebereinstimmung zu bringen mit dem Reichs- tagswahlrecht. Der Antragsteller war der Abg. von Kardorff! Den Nationalliberalen ging das noch nicht weit genug; fie beantragten, auch das Herrenhaus in diese Reform hineinzuziehen. Den Antrag unter- stüßten damals die Abgg. Miquel, von Bennigsen, Schoof und andere. Die Herren (rechts) sind klüger geworden, wie sie sagen, sie sind mißtrauischer geworden gegenüber dem Volk. Jeßt herrscht bei den Consévativen ein offenbarer Widerwille gegen das all- gemeine directe Wahlreht. Der Abgeordnete von Heydebrand will die Agitation verhindern durch die „geordnete“ Landtag8wahl, als wenn die Conservativen nit ebenso gut agitatorisch gewühlt hätten, s{chlimmecr als die Freisinnigen. Der Abg. von Heydebrand sieht in dem Landtagswahlreht einen Schuß gegenüber dem Reichstag. Wenn das jemals der Fall sein sollte, dann hätten die Conservativen {hon längst den Antrag auf Beseitigung des allgemeinen Wahlrechts {stellen müssen. Aber dazu haben Sie niht den Muth. Was fürchten Sie denn? Die Socialdemokraten ? Kany man denn eine Partei, die 14 Millionen Stimmen Hat, dur ein Wahlgeseß vershwinden machen ? Sind nicht in den 20 Jahren aus den Socialdemokraten ganz andere Leute ges worden? „Die Jungen“ beklagen sih ja darüber, daß die Social- demokratie eine Bourgeoispartei geworden if. Praktishe Mit- arbeit it das beste Mittel, um die Leute von Phantasien zu heilen. Das allgemeine Wahlrecht hat die gebildeten Klassen aufgerüttelt zur Betheiligung an der Wahl, wenn au noh nicht genügend. Aber bei der Landtagswahl ist eine erbärmlihe Versumpfung eingetreten. Der von dem Abg. von Heydebrand angedeutete Kampf gegen den Reichstag ist ein bedenklicher. Sie (re{ts) haben sich gegen den Reichstag gewendet wegen des russischen Handelsvertrages. Das wird nichts helfen. Ich hoffe, daß der Reichstag immer noch mehr gelten wird, e hs auf Grund des s{chlechtesten aller Wahlsysteme gewählte andtag.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (conf.) erklärt, daß seine Freunde die Commissionsbeshlüsse annehmen werden, der grundsäßlih von der Vorlage abweichende Antrag der Freisinnigen ist für uns nicht discutabel. Besonders seltsam muß es berühren, daß der Abg. Nikert sich als das unschuldige Lamm bei der Wahlagitation hinstellt. Die Anträge der Freticonservativen und der Nationalliberalen können die Conservativen ebenfalls niht annehmen; sie enthalten keine Ver- besserung det Vorlage. Der Antrag von Zedlitz kann durh- aus nckcht diejenigen Schußzmittel erseßen, welhe die Com- mission gegenüber der plutokratishen Wirkung beschlossen hat. Die Beschlüsse der Commission entsprechen niht durchweg den con- fervativen Wünschen. Die Einführung der 5, 4 und 3 Zwölftel ent- bâlt eine erhebliche Beeinträchtigung des Wahlrechts der ersten Klasse. Die Grenze von 2000 4 Einkommensteuer wird die vlutokratische Wirkung aufhalten. Soweit die großen Vermögen noch eine sociale Bedeutung haben, zahlen sie Grund- und Gebäudesteuer und namentlich Gewerbesteuer, die vollauf angerechnet werden soll. Deshalb könnten wir uns mit dieser Maßregel befreunden, namentlich da die Aussicht si eröffnete, daß die Compromißbeschlüsse eine erheblihe Majorität auf ih vereinigen würden. Wir hoffen, daß auch die anderen Parteien bei der Abstimmung ihre Wünsche opfern werden, ebenso wie wir es gethan haben. Die Freunde des Herrn von Zedliß haben in der Commission für das Compromiß gestimmt und ih kann mir nicht denken, daß jeßt andere Ideen als damals herrshend geworden find. Ebenso nehme ich das von den Nationalliberalen an. Mit unserer Ueber- einstimmung über diese Vorlage werden wir eine That begehen, die mit Recht eine patriotishe genannt werden kann.

Abg. Dr. Gra f- Elberfeld (nl.): Wir haben in der Commission niemals cinen Zweifel darüber gelassen, daß wir dazu mitwirken wollen, den Zustand vor der neuen Einkommensteuer wieder herzu- stellen; wir wollten aber nit die Hand dazu bieten, den bisher Wahl- berechtigten ihre Nechte zu s{mälern. Die Nationalliberalen haben die besondere Eintheilung der Abtheilungen in den einzelnen Urwahl- bezirken nur als einen Nothbehelf angesehen. Sie betrachteten die Schaffung einer Grenze für die Anrechnung der Steuern nah oben als einen Erfay für diese Bestimmung; ‘die Schaffung der Grenze hat nur eine geringe Verschiebung zur Folge, wie der Minister des Innern selbst erklärte; ex hielt allerdings dafür, daß die Zahlen, die der Commission mitgetheilt wurden, unvollständig \eien. Uebri- gens muß i feststellen, daß ein Compromiß niht geschlossen ist; wir haben uns unsere Freiheit vollständig vorbehalten. Da die Bildung von Abtheilungen in den Urwahlbezirken nicht fortfällt, können wir die Grenze von 2000 M niht annehmen. Den freisinnigen Antrag kann ih nit ernsthaft nehmen; er is vollständig aus\sichtslos. Wenn wir im Reichstag das Reichstagswahlreht angreifen würden, welches Geschrei würde daraus entstehen! Deshalb mag der Abg. Rickert auch hier die Angriffe auf ‘die preußische Verfassung unter- lassen. Die jetzige ernste Zeit ist nit geeignet zu folhen Experimenten, und auch der Abg. Bachem wird wohl eingesehen haben, daß die Neichstagswahlen Schlingen und Fußangeln mit sich bringen. Zur Zeit des nationalen Aufshwunges ist das Reichstagswahlrecht brauhbar. In \chlechten Zeiten blüht aber beim allgemeinen Wahl- recht der Weizen derer, die auf confessionellen und Nacenhader speculiren; ob man den Leuten cinen Zukunfts\taat oder billiges Brot und Steuererleichterung vormalt, es ist alles dasselbe! Der Abg. Rickert betrachtet die Aufrüttelung als das Ziel seines Strebens; wir, die wir {hon älter geworden sind, wünschen die Aufrüttelung niht. Ueber die allgemeinen Wahlen herrshten 1870 andere An- shauungen als jeßt; wir haben aber durch die realen Verhältnisse uns belehren lassen. Wir erblicken in der Einführung des Reichstags- wahlrechts eine Gefahr für Preußen.

Abg. Rickert (dfr.) beantragt, für die steuerfreien Wähler nicht 3, sondern 6 oder eventuell 4 # anzurehnen.

Abg. Weyerbusch (freicons.) spricht sih gegen die Schaffung einer Grenze von 2000 (G für die Steueranrehnung aus. Es handelt sich um einige tausend Personen, die eine höhere Steuer bezahlen; sie find vielleiht vermöge ihrer unabhängigen Stellung in Ebrenämtern in Kirhe, Schule, Staat und Gemeinde beschäftigt, und diese Leute sollen in ihrem Wahlrecht beshränkt werden. Redner giebt einige Zahlen, wieviel Steuerzahler in den einzelnen Regierungsbezirken vorhanden as die über 2000 Æ zahlen, und empfiehlt die An- nahme des Antrages von Zedlitz. y

Aba, Derrfurth (b L. L: Zwischen der Regierung und dem Hause Veresie bei der ersten Lesung der Vorlage Uebereinstimmung darin, daß die Verschiebungen, welche die Steuerreform geschaffen hat und noch schaffen wird, ausgeglichen werden müßten. Der Antrag von Zedliß enthält nicht eine weitergehende Maßnahme gegenüber der Vor- lage, sondern er bleibt dahinter zurück. Die Commission hat der Verschiebung, welche die Steuerreform mit \ich bringt, mehr entgegen- gewirkt. Die Feststellung einer Grenzè von 2000 Æ ist aber nicht ausreichend, weil sie nur in wenigen Fällen dem Großkapital gegen- über zur Anwendung kommt, aber das Uebergewiht des Großgrund- besißes und der Großindustrie nicht ausgleiht. Die Feststellung einer Grenze steht auch mit dem Princip im Widerspruch, daß nach den Steuern das Wahlrecht bemessen werden soll. Die Anrechnung fingirter Steuern läßt sih entschuldigen, weil die Personen, die keine Steuern zahlen, zu Naturaldiensten herangezogen werden. Fingirte Steuern sollen aber auch angerechnet werden für steuerfreie Gemeinden, die aber in die Lage kommen können, Steuern zablen zu müssen, für Gutsbezirke, wo der Gutsbesizger zwar Gemeinde- lasten trägt, aber ohne daß sie berechnet werden können, und endlih für die Insassen von Gutsbezirken, die niemals in die Lage kommen werden, Gemeindesteuern zu zahlen. Das läßt ch nit rechtfertigen. Um die Unzuträglichkeiten der fingirten Berechnung u. \. w. zu vermeiden, giebt es nur ein Mittel: Die Festseßung eines bestimmten Procentsaßes der Wähler für jede einzelne Klasse und zwar nah dem Standpunkt beim Erlaß des Wahlgeseßes. Da- durch wird der Zustand befeitigt, daß in der ersten und in der