1893 / 85 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 11 Apr 1893 18:00:01 GMT) scan diff

T Beo R Eee R I A L M area E I en L

S. M. Kreuzer „Bussard“, Commandant Corvetten- Capitän Flichtenhöfer, ist am 9. April in Sydney an- gekommen und beabsichtigt am 17. desselben Monats die Rundreise dur die deutshen Schußgebiete anzutreten.

S. M. Kreuzer „Möwe“, Commandant Capitän- Lieutenant Hartmann, beabsichtigt am 12. April von Bombay Sansibar in See zu gehen.

Sachsen.

Seine Majestät der König ertheilte gestern Nachmittag, wic das „Dr. J.“ meldet, dem neuernannten italienischen außerordentlihen Gesandten und bevollmächtigten Minister, General-Lieutenant Grafen Lanza behufs Entgegennahme seiner Accreditive cine Particular:Audienz. Später wurde Graf Lanza von Jhrer Majestät der Königin in der König- lihen Villa Strehlen empfangen und nahm dann an der Königlichen Hoftafel theil, zu der auch der Staats-Minister von Meßsch eine Einladung erhalten hatte.

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser empfing gestern, wie „W. T. B.“ berichtet, den Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg in Privat-Audienz.

Die bulgarishen Minister Stambulow und Grefkow statteten, dem „W. T. B.“ zufolge, heute Vor- mittag in Wien dem Minister-Präsidenten Grafen Ta affe einen Besuch ab, trafen denselben jedoch nicht zu Hause an.

Der böhmische Landtag berieth gestern in erster Lesung die Regierungsvorlage über Abgrenzung der Gerichts\prengel in Böhmen. Der Abg. Buquoy be- antragte die Zuweisung der Vorlage an die Bezirks- und Gemeindecommission. Die Jungczehen Herold und Vasaty verlangten unter Ausfällen auf die Deutschen, die Altczechen und die Regierung die Bildung einer neuen Commission von 36 Mitgliedern, welche sich gegen die Ausgleichspunctationen überhaupt erklären solle. Der Abg. Schmeykal stimmte dem Antrage Buquoy's zu, verwahrte sih aber gegen jedes daraus zu folgernde Präjudiz und erklärte, die Deutschen hielten unter allen Umständen an dem Ausgleiche e Der Abg. Rieger stimmte dem Antrage Buquoy's zu und erklärte, die Altczehen beharrten bei dem Beschlusse vom 14. Februar 1892, womit eine Verschiebung des gesammten Ausgleichs verbunden sei. Nach stürmischer Debatte wurde der Antrag Buquoy's mit allen Stimmen gegen die Stimmen der Fungezehen angenommen. Die Jungczechen verließen hierauf den Saal.

Bei der gestern im ungarischen Unterhause fort- geseßten Berathung des Budgets trat der Minister für Landesvertheidigung Freiherr von Fejervary unter wieder- holtem Beifall der Rechten der Behauptung von einer anti- nationalen Richtung in der gemeinsamen Armee entgegen und vertheidigte zugleih die Kenntniß der deutschen Sprache bei der ungarischen Landwehr. Jm Mobilmachungsfall sei cin und dieselbe Verkehrs\sprahe nothwendig. Was in dem nationaleinheitlihen Deutschen Reih und in Frank- reih richtig sei, sei angesihts des Conglomerais von Nationalitäten in Ungarn nicht passend. Unter allen Völkern der Monarchie sei die ungarische Nation zumeist wegen ihrer starken Heeresmacht gepriesen, eine ‘eventuelle Niederlage würde Ungarn zu einem zweiten Mohacs führen. Zwischen dem Geist der Nation und dem Geist der Armee bestehe kein Unterschied.

Großbritannien und Jrland.

Jn der gestrigen Sißung des Unterhauses erklärte dem „W. T. B.“ zufolge der Parlaments-Secretär des Colonial- amts Bux ton, die Regierung habe eingewilligt, die mit den Häuptlingen in der Umgegend von Port Lokko abgeschlossenen Verträge zu ratificiren. Sodann segte das Haus die Debatte über die zweite Lesung der H omerule- Bill fort. Chamberlain bekämpfte die Vorlage energisch, indem er erklärte, er glaube, das englische Volk sei der irishen Frage überdrüssig. Es würde wohl bereit sein, die Bill anzunehmen, wenn dadurch eine definitive Lösung ge- sichert wäre. Gladstone's frühere Prophezeiungen seien aber nicht in Erfüllung gegangen, deshalb könne man auch in seine jeßigen Prophezeiungen kein Vertrauen seyen. Die Bill L ebhige weder die Minorität, die auf etwa ein Drittheil bis zur Hälfte der Bevölkerung Jrlands anzu- schlagen sei, noch weniger befriedige sie die Majorität. Er fordere die Nationalliberalen Jrlands zu der Erklärung heraus, daß sie die Vorlage für eine definitive Lösung der Frage hielten ; er sei überzeugt, daß sie das weder könnten, noch wollten. McCarthy erklärte, es sei eitel, zu hoffen, daß das wachsende Nationalitätsgefühl in Jrland durch Palliativ- mittel beseitigt werden könne. Er glaube, - das irische Volk werde mit der vorliegenden Homerule-Bill zu- ad sein, indeß enthalte die Vorlage einige Punkte, ije er und seine Freunde zu amendiren versuchen würden. Mit den finanziellen Bestimmungen seien sie nicht 4 Adr Was aber das Princip der Vorlage anbc- lange, so acceptirten er und seine Freunde dies als eine Lösung der Gesammtfrage. Wenn auch eine Zeit kommen dürfte, die cine Veränderung der Verfassung erheischen werde, 1 glaubten die irishen Deputirten doch, daß die Vorlage, N L vorauszuschen mögli, cine endgültige Lösung der

rage sei.

Die in der gestrigen Nummer des „R.- u. St.-A.“ unter den nah Schluß der Redaction eingetroffenen Depeschen mit- getheilte Verordnung des Vice-Königs von Jrland, wodurch die Einfuhr von Waffen und Munition beschränkt wird, ist durch die bei Passagieren aus Amerika erfolgten häufigen Beschlagnahmungen veranlaßt worden. Zu den Häfen, in denen die Waffeneinfuhr verboten ist, gehört auch Queenstown. Die Zoll- und Polizeibehörden sind ermäch- tigt, verdächtige Reisegüter zu untersuchen.

Frankrei h.

Der Präsident Carnot hat laut Meldung des „W. T. B.“ die Begnadigung Turpin's, des Erfinders des Melinits, unterzeichnet. :

Die Eröffnung der Generalräthe ist gestern ohne be- sonderen Zwischenfall erfolgt.

Der Minister-Präsident Dupu y conferirte heute mit dem peruanishen Gesandten über den Sireitfall zwischen Peru und den französishen Gläubigern. Der Streitfall soll

dem Schiedsspruche des schweizerischen Bundesgerichts unterbreitet werden. :

Nach in Paris eingegangenen Nachrichten ist an der pyrenäishen Grenze ein französisher Shmuggler von einem spanischen Zollwächter im Handgemenge an- geblich auf französishem Gebiet getödtet worden. Unter der französischen Gren ec r des Departements Basses- Pyrénées soll infolge dessen lebhafte Erregung herrschen.

Laut amtlichen Ausweises überstiegen in der ersten Dekade des April die Rückzahlungen aus den Sparkassen die Einlagen um 15 Millionen. Die Rentenverkäufe betrugen 12 Millionen.

.Ftalien.

Der Papst empfing gestern die ungarischen Pilger und hielt eine Ansprache, worin er sie ermahnte, den Lehren des Papstes zu folgen und ihm zu vertrauen. Hierauf ertheilte der Papst den Pilgern den Segen und segnete auch, wie. „W. T. B.“ berichtet, den Kaiser Franz Joseph, welcher sich durch scinen Eifer für die katholishe Religion und für die Wohlfahrt Ungarns auszeichne, sowie das Kaiser- lihe Haus und das gesammte ungarische Volk.

Spanien.

Der Ministerrath hat dem „W. T. B.“ zufolge be- \{hlossen, die Demission des Bürgermeisters von Madrid nicht anzunehmen. i

Gerüchtweise verlautete in Madrid, Japan habe die bei den Philippinen gelegenen Pelew-Jnseln occupirt.

In Mazarron wurden vier Jndividuen verhaftet, welche 54 Kisten mit Dynamit entwendet hatten.

Luxemburg. Dem „Rheinischen Kurier“ zufolge findet die Vermählung des Erbgroßherzogs von Luxemburg mit der Prinzessin Anna von Braganza Anfang Juni statt.

Serbien.

Der gestrigen Sizung der Skupschtina wohnten, wie „W. T. B.“ meldet, sämmtliche Minister bei. Der Bericht des Verificationsaus\husses wurde einstimmig genehmigt. Danach is die Wahl von 74 Abgeordneten für gültig erklärt. Die übrigen, Radicalen und Fortschrittler, wurden aufgefordert, binnen 24 Stunden ihre Pläße einzunehmen , widrigenfalls die in der Liste der Radi- calen zunächst folgenden Candidaten einberufen oder eventuell Neuwahlen angeordnet werden sollen. Nachdem die Abgeordneten sodann den Eid geleistet, wurde in geheimer Ab- stimmung Staatsrath Zivanovic mit 68 von 69 Stimmen zum Präsidenten, Peter Nicolic zum Ersten, Nicola Sta- nojevic zum Zweiten Vice-Präsidenten gewählt. Der Präsi- dent erklärte hierauf die Skupschtina für constituirt.

Schweden und Norwegen.

In der vorgestrigen Sißung der Ersten Kammer er- klärte der frühere {chwedis{ch-norwegische Minister des Aus- wärtigen Bz örnstjerna, die hwedish-norwegishen Küsten seien so ausgedehnt, die Schären so zahlreih, daß eine Blockade der Häfen unmöglich sei, so lange die s{hwedish- norwegische Union existirt. Werde diese aber gesprengt, worauf die von parteiishen Juteressen geblendete Majorität des nor- wegischen Storthings hinzuarbeiten scheine, so seien Schweden und Norwegen verloren. Die Sprengung der Union würde gegenseitiger Selbstmord der beiden Nationen sein.

Amerika.

Nach ‘einer telegraphishen Meldung des „New - York Herald“ aus Valparaiso griff der Pöbel in Santiago öffentliche Gebäude an, wurde jedoh zurückgeworfen. Jnfolge dieser Vorgänge is über die Provinzen Santiago, Valparaiso und Aconcagua der Belagerungszustand verhängt. Der Präsident hat die Demission des Cabinets bislang noch nicht angenommen.

Afrika.

Das „Reuter’sche Bureau“ meldet aus Suakin, Osman Digma habe am vergangenen Sonnabend eine Niederlassung bei Tokar überfallen, aus der er das Vieh geraubt habe. Egyptishe Truppen unter dem Befehl eines englischen Offiziers hätten Osman Digma verfolgt, den Derwischen das Vieh wieder abgenommen und sie zurücgetrieben. Die Derwische hätten zwölf Todte, die Egypter keine Verluste gehabt.

Parlamentarische Nachrichten.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 58. Sißung vom 11. April 1893, 12 Uhr. _ Der Sigzung wohnt der Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des - Jnnern Graf zu Eulenburg mit Com- missarien bei.

Die Abgg. von Busse (Neustettin-Belgard) und France (Tondern) haben ihre Mandate niedergelegt, ersterer wegen geschwächter Gesundheit, leßterer wegen Kine Beförderung zum Landgerichts-Präsidenten.

Auf der Tagesordnung steht die zweite A über den Gesehentwurf, betresfend Aenderung des Wahl- verfahrens. Die zweite Abstimmung ist nothwendig, weil die Vorlage eine Verfassungsänderung enthält. Nach der Geschäftsordnung findet diese zweite Abstimmung in Form einer dritten Lesung statt.

Von den Nationalliberalen liegenzwei Anträge vor, welche die Nichtanrehnung der Einkommensteuer über 2000 M und die Vorschrift, daß in jedem Urwahlbezirk die Bildung der Abtheilungen erfolgen solle, streichen wollen.

Abg. vo n Eynern (nl.): Der Gesehentwurf, wie er nach den Beschlüssen der dritten Lesung gestaltet ist, verstößt derartig gegen das®

rincip der Wahlberechtigung nah der Steuerleistung, daß wir dem- elben nicht zustimmen werden. Das Geseh ist in dieser Weise ge- staltet worden nach der von Mitgliedern des Centrums ofen aus- gesprochenen Absicht, mit dieser Mißgestalt eines Wahlgeseßes dem Centrum die Herrshaft in vielen Communen zu verschaffen. Die Gestaltung des V! welhe die Nicht- steuerpflihtigen mit 3 A in nrechnun die Theilung in Zwölftel genügen, um die Verschiebungen durch_ die Reform der Einkommensteuer aufzuheben. Auf der anderen Seite wird die Drittelung in den Urwahlbezirken \o wesentliche Ver- schiebungen berbeitlibren; daß das bisherige Wahlrecht in seinen

Grundlagen verändert wird und damit nur ein Uebergang garen

werben fönnte zur Abschaffung des preußishen Wahlgeseßes überhaupt. Wir haben unsere Anträge aus der dritten Lesung erneuert und bitten Sie, für dieselben zu stimmen,

brachte, und.

Abg. Freiherr von der Reck (cons.) bittet namens feiner Fraction, an den Beschlüssen erster Lesung festzuhalten.

Abg. Freiherr von Zedliß (freiconf.): In der Meinung, daß die Bestimmung des § 1, wonah das Wahlrecht derjenigen Ein- kommensteuerpflihtigen, welhhe mehr als 2000 M Steuer bezahlen, beschränkt is, nicht annehmbar ist, werde ih mit d.r großen Mehr- heit meiner Freunde gegen diesen O und im Fall der Annahme gegen das ganze Geseß stimmen. Die Gründe bestehen hauptsäch darin, daß dadurch das Princip des Dreiklassen- wahlsystems durchbrochen und durch Concessionen in dieser Nichtung geshwäht und erschüttert wird. Wir hegen niht die Befürchtung, daß durch eine Abänderung die Werke, die wir vorhaben, gefährdet werden. Ih kann namens aller meiner politischen Freunde, die in der Fractionssizung anwesend waren, er- klären, daß sie für den Fall, daß im weiteren Stadium das Wahl- gescß unseren Wünschen entsprehend abgeändert wird, einstimmig für die Steuergeseßze stimmen werden. :

Abg. Freiherr von Heereman (Centr.) erklärt, seine Partei werde an ihrer früher dargelegten Stellung zu dem Geseß und der getroffenen Vereinbarung festhalten, auf cine weitere Erörterung sich heute aber nit cinláässen. | :

Abg. Nickert (dfr.) kann si der Erklärung des Abg. von Eynern nur anschließen. Er werde gegen dieses Geseß, das er als irrationell bezeichnet, im cinzelnen und im ganzen sümmen, dagegen für den Antrag Eynern. Es sei unerhört, daß man die Staats-, Grund- und Gebäudesteuer anders behandele, als die Staatseinkommen- steuer. Wenn man den Einbruch in das feierlih proclamirte Princip wirklich machen wolle, dann müsse man wenigstens die Staats-, Grund- und Gebäudesteuer ebenso behandeln, wie die Staats-ECinkommensteuer.

Abg. Dr. von S (cons.) erklärt namens seiner Partei, daß diese bei ihren früheren Beschlüssen stehen bleibe.

Damit schließt die Generaldiscussion. Eine Special- discussion über die S8 1 bis 4 findet nicht statt.

Der nationalliberale Antrag zu § 1 (Steuer- grenze von 2000 6) wird in namentlicher Abstimmung mit 155 gegen 125 Stimmen abgelehnt, cbenfo der Antrag zu § 4 (Bildung der Abtheilungen innerhalb der Urwahl- bezirke) in namentliher Abstimmung mit 160 gegen 129 Stimmen. (Bei der früheren Abstimmung am 14. März waren die nationalliberalen Anträge mit 182 gegen 142 Stimmen abgelehnt worden.) Für die national- liberalen Anträge stimmen nur die Nationalliberalen, die Frei- sinnigen und ein Theil der Freiconservativen.

Nach § 5 sollen die Vorschriften für die O auh für die Wahlen in Stadt- und Landgemeinden An- wendung finden.

Abg. Freiherr von Zedliß (fre.) erklärt, daß durch die Vor- riften des § 1 der Inhalt des Geseßes ein vollständig anderer geworden sei. Deshalb sei cs nicht rihtig, die Vorschriften des Geseßes auf die Stadt- und Landgemeinden auszudehnen, zumal dadurh niht bloß das Wahlrecht für Stadt- und Landgemeinden, sondern mittelbar auch für die Kreis- und Provinzialvertretungen beeinflußt würde. Es könnte dadur eine wesentliche Veränderung in der derzeitigen Zusammensetzung der Vertretungen zweier Provinzen eintreten. Diese Folge sei bei dem Geseß niht gewollt, und er bitte deshalb, den § 5 abzulehnen.

Abg. Enneccerus (nl.) {ließt sich dem Vorredner an und empfiehlt ebenfalls die Streichung des 8 5, i e E

S 5 wird hierauf mit derselben Mehrheit wie die früherem Paragraphen angenommen, ebenso der Nest des Gesehes, sowie das Geseß im ganzen.

Schluß 21/4 Uhr. Nächste Sißzung Donnerstag 11 Uhr. (Zweite Berathung des Ueberweisungsgeseßes.)

Dem Reichstag is der Entwurf eines es, betreffend die Bekämpfung gemeingefährliher Krankheiten (vulgo Reichs-Seuchengeseß), zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme zu- gegangen. Wir haben den Entwurf in der Fassung, wie er dem Bundesrath vorgelegt wurde, in Nr. 32 des „N. u. St.-A.“, Erste Beilage, vom 6. Februar, veröffentliht. Im Bundesrath hat er einige Aenderungen erfahren; zunächst in § 1, wo die Bestimmung, nach der jede Erkrankung und jeder Todesfall an Cholera (asiatischer), Fleck- fieber (Flecktyphus), Gelbfieber, Pest (orientalischer Beulenpefst), Pocken (Blattern), sowie jeder verdächtige Fall außer der Ortspolizei- behörde auch dem beamteten Arzt anzuzeigen ist, dahin geändert ist, daß die letzten vier gesperrt gedrutten Worte weggestrichen wurden; ferner is in diesem Paragraphen auch die Bestimmung gestrichen worden, daß „jede Erkrankung an Darmtyphus, Diphtherie einshließlich Croup, Nückfallfieber, Nuhr (Dysenterie) und Scharlach“ zur Anzeige gebraht werden soll. In der Begründung hierzu heißt cs: „Es giebt eine Anzahl ansteckender Krankheiten, welche wegen ihrer geringeren räumlihen Verbreitungsfähigkeit nit als unbedingt imeiticäfiteli betrachtet werden können, die aber doch zeitweise an einzelnen Orten in so s{chwerer Form auftreten, daß es geboten erscheint, ihrer Weiterverbreitung mit sanitätspolizeilihen Maß- regeln entgegenzuwirken. Dahin gehören beispielsweise Darnt- typhus , Rückfallfieber, Ruhr (Dysenterie), fowie gewisse an- tetende Augenkranfheiten, Ausfsaß (Lepra), Genikstarre. Den Landesregierungen soll die im Landesrecht begründete Befugniß nicht genommen werden, zur Bekämpfung derartiger Krankheiten die Anzeige- A einzuführen oder, wo sie besteht, beizubehalten. Um dies zum Ausdruck zu bringen, ist im Absay 4 des § 1 ein entsprechender Vor- behalt gemacht. (Landesrehtlihe Bestimmungen, welche eine weiter- gehende Anzeigepfliht begründen, werden dur dieses Gesetz nicht berührt.) Durch diesen Vorbehalt ist au ermöglicht, daß dort, wo landesrechtlich eine doppelte Anzeige, z. B. eine Anzeige an die Polizeibehörde und an den Amts8arzt, vorgeschrieben ift, diese Einrich- tung beibehalten oder daß landesrechtlich cine solhe Einrichtung ein- geführt werden kann.“

Fn § 2 sind die zur Anzeige verpflichteten Personen, abweichend von dem ersten Entwurf, folgendermaßen bezeichnet worden: 1) der behandelnde Arzt, 2) jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten beshäfligte Person, 3) der Haushaltungsvorstand, 4) der- jenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Erkrankungs- oder Todesfall sich creignet hat.

8& 3 des ersten Entwurfs, der von der Verpflichtung der Anzeige von Erkrankung und Todesfall an Kindbettfieber handelte, ist gestrichen worden. Die in den 88 5, 6 und ff. vorgenommenen Aenderungen find redactioneller Natur oder Cbnsequenzen der in § 1 erfolgten Aenderungen. Aus dem ersten Entwurf wurde § 21 gestrichen, welcher lautete: „Bei bedrohliher Ausbreitung einer übertragbaren Augen- frankheit fann durch die höhere Verwaltungsbehörde angeordnet werden, daß für die Erkrankten eine ärztlihe Behandlung einzutreten hat. Den Erkrankten is die Gelegenheit zu unentgeltlicher ärztlicher Behandlung zu bieten.“ In den Strafvorschriften, § 41 Eben 43), ist die Bestimmung hinzugefügt, daß bei mildernden Umständen die Strafe (bis zu zwei Jahren) auf eine Woche Gefängniß ermäßigt werden kann.

Die Tagesordnung für die 74. Plenarfißung des Reichstags am Donnerstag, 13. April, Nachmittags 1 Uhr, lautet, wie folgt: 1) Jnterpellation der Abgg. Menzer und Genossen, den deutschen Tabackbau betreffend. 2) Berathung der Petitionen, welhe von der Commission für dic Petitionen als zur Erörterung im Plenum für nicht geeignet erachtet, zur Einsicht im Buxeau niedergelegt sind. 3) Dritte Berathung der Rechnung der Kasse der Ober-Rehnungs®- kammer für das Etatsjahr 1889/90 bezüglich derjenigen Theile, welche sich auf die Reichsverwaltung beziehen, auf Grund des in zweiter Berathung unverändert angenommenen Antrags der Nehnungscommission. 4) Dritte Berathung der Ueber-

siht der Neichsausgaben und vate dig a das Etatsjahr 1891/92, auf Grund der in zweiter rang unverändert angenommenen Anträge der Rechnungscommission. _— 5) Zweite Berathung des Entwurfs eines Bs, be- treffend Ergänzung der Bestimmungen über den Wucher, auf Grund des Berichts der X. Commission. Berichterstatter : Abg. Dr. Giese.

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Statistik und Volkswirthschaft.

Viehzählung in Württemberg.

In Württemberg sind bei der lezten Viehzählung am 1. De- zember 1892 gezählt 101 625 Pferde (4740 mehr als 1883), 76 Maul- esel und Esel (48 weniger als 1883), 970 059 Stück Rindvieh (65 920 mehr), 384335 Schafe (165 769 weniger), 394402 Schweine (102 196 mehr), 20 686 Ziegen (15 111 mehr), Bienenstöcke 115 947 (35 §49 mehr), 232 682 Gânse (50 735 mehr), 139 296 Cnten (17439 mehr), 1 937547 Hüßner (277 097 mehr). Diese Ziffern lassen einen Aufschwung der württembergischen Viehzucht im all- emeinen erkennen und immen mit dem Ergebniß in Preußen (vgl. Nr. 45 des „N.- u. St.-A.* vom 21. Februar 1892) insofern überein, als auh in Württemberg die Maulescl und Esel, insbesondere aber die Schafe erheblih abgenommen haben. In Preußen haben die Pferde in den leßten Jahren um 9,5 0%/0, in Württemberg um 4/9 09/0, das Rindvich um 12,7 %/, in Württemberg um 7,3 9/0, die Schweine um 32,4 9/0, in Württemberg um 3509/0, die Ziegen um 16,3 9%, in Württemberg um 27,5 9/0, die Bienenstöcke um 0,9 9/09, in Württem- berg um 44,8 9/0 zugenommen; dagegen ist eine Abnahme erfolgt in Preußen bei den Mauleseln und Eseln um 35,6 9/0. in Württem- R 38,7 9/0, bei den Schafen um 31,6 09/0, in Württemberg um Wf /0-

: L Zur Arbeiterbewegung.

Aus Hamburg wird der „Voss. Ztg.“ geschrieben, daß 80 en g- lishe Feuerleute, die der Hamburger Dampfer „Normannia“ mitgebracht hatte, fofort den Dienst verlassen haben, als sie hörten, daß die Forderungen der auéständigen Heizer und Trimmer Hamburgs nicht bewilligt seien.

__ In Leipzig haben einer Mittheilung der „Lpz. Ztg.“ zufolge gestern Morgen etwa 50 Arbeiter einer großen Schuhwaarenfabrik die Arbeit eingestellt. Die Arbeitseinstellung soll veranlaßt worden fein durh die Weigerung der Arbeitgeber, einen ehemaligen soge- nannten Strikebrehec zu entlassen, Eine Versammlung von 120 Brauergeh ilfen Leipzigs nahm am Sonntag die Antwort der Brauereibesiter auf die gestellten Forderungen (vgl. Nr. 69 d. Bl.) entgegen. Es wird demnah den Gehilfen gestattet, außerhalb der Brauereien zu wohnen und zu s{lafen, eine Wohnungs-Ent- schädigung aber niht gewährt. Die bisherige elfstündige Arbeitszeit (an Stelle der geforderten zehnstündigen) wird beibehalten. Die Arbeitszeit soll an Sonn- und Festtagen die Dauer von 5 Stunden, im Keller und Sudhaus die von 3 Stunden (es war cine zweistündige Sonntagsarbeit gefordert worden) nicht überschreiten. Der jeßige 80 bis 100 neben Naturalbezügen und freier Wohnung be- tragende Monatslohn (die Gehilfen hatten einen wöchentlidzen Mindestlohn von 28 4 _ beansprucht) wird niht erhöht. Ueber- stunden werden in der Woche mit 40 „4, an Sonn- und Festtagen mit 50 „Z (an Stelle der geforderten 50 und 60 4) beab Sechs Liter guten Bieres für den Gehilfen und den Tag werden be- willigt. Die Zuschrift theilte weiter mit, daß in den einzelnen Brauereien alle Gehilfen sih durch ihre Namensunterschrift mit diesen Beschlüssen der Brauereibesißer einverstanden erklärt hätten. Die Versammlung beschloß dem entgegen, ihre ursprünglichen Forderungen mit Nachdruck weiter zu verfolgen. Die focialdemokratish organi- sirten Brauergehilfen bilden in Leipzig weitaus die Minderßeit.

Aus Mainz wird der „Bo})- 3tg. über den Braueraus - stand geschrieben: Der Brauerauéstand wird kTünstlich weiter zu führen gesucht ; aber alle Versammlungen und die gehaltenen Reden fönnen nicht darüber täuschen, daß man für eine verlorene Sache fort- kämpft. Der ganze Ingrimm richtet sich jeßt gegen den socialdemo- fratishen Reichstags-Abgeordneten Joe ft, der vor dem Ausstand und dem Boycott als nußlos gewarnt hat. (Vgl. Nr. 78 d. Bl.)

Hier in Berlin haben, wie der „Vorwärts“ mittheilt, die Ar- beiter in der Filz- und Lederpantoffel-Fabrik von Buchholz wegen Lohnstreits die Arbeit niedergelegt.

Aus Graz berichtet ein Telegramm des „D. B. H.“, daß sämmt- liche Arbeiter bei den dortigen Bau- und Maurermeistern gestern gekündigt haben. Sie stellen weitgehende Forderungen und wollen am 24. April die Arbeit gänzlich einstellen, wenn ihre Forde- rungen bis dahin nicht bewilligt werden.

On Den nd, ie der R, D geschrieben wird, seit einigen Tagen die Schm iede- und W agnergese llen ausständig. Sie haben sh Gewaltthätigkeiten gegen Meister und zuziehende Arbeiter zu s{hulden kommen laffen.

__In Chur befinden fih nah dem „Vorwärts“ die Holzarbeiter (Zimmerleute, Schreiner und Glaser) in einer Lohnbeweaung.

Aus Mons meldet ein „Wolff {es Telegramm“, in einem großen Meeting zu Quaregnon, an dem 4000 bis 5000 Berg - arbeiter theilnahmen, sei cin allgemeiner Strike imBorinage für den heutigen Tag beschlossen worden. Troß der Bemühungen des Führers Noger, der die Theilnehmer an die Versammlung bat, die Entscheidung noch cinige Tage hinauszuschieben, bis die Constituante werde über die Verfassungsrevifion abgestimmt haben, wurde dennoch der so- fortige allgemeine Strike nahezu einstimmig beschlossen. Die s{hlimme Lage der Bergarbeiter dieser Gegend war für die getroffene Ent- scheidung mit ausslaggebend.

Zum Ausstand der Dockarbeiter in Hull berichtet die Londoner „Allg. Corr.": Der große Schiffsrheder Charles Wilson in Hull, gegen den sih hauptsächlich die Agitation des localen Gewerkvereins der Dockarbeiter richtet, soll in einer Conferenz mit den Führern gesagt haben, er wolle lieber jede Handelsverbindung mit Hull aufgeben, als sih den Forderungen der Dokarbeiter fügen, die sih gegen das Zusfammenarbeiten mit, und die Verwerthung von nicht dem Gewerkverein angehörigen Arbeitern stemmen. Der Versuch des Arbeitercandidaten Fred Maddifon, die Strikenden zum Nachgeben zu überreden, mißlang, und auf einer von 10 000 Arbeitern im Freien abgehaltenen Versammlung theilten die Führer des Strikes, J. H. W. Wilson und Ben Tilet ihre Absicht mit, in den Hauptseestädten zu agitiren, damit sie keine Leute nah : ull senden. Ein Londoner Telegramm des Wolfs’[chen Bureaus meldet ferner, der General-Secretär des Seemanns- und Heizerverbandes habe gestern erklärt, er E Cardif f in den Strike von Hull hineinzuziehen; er habe bereits die Sperre über Hartlepool angeordnet, da die Boote der Wilson- Linie dort auslaufen wollten (f. die lezten Depeschen).

Aus Paris wird der „Magdeb. Ztg.“ geschrieben: Während aus Amiens gemeldet wird, daß zwölfhundert Sammetweber striken und die Seidenfärber zur Einstellung der Arbeit zu bewegen suchen, erfährt man, daß in Angers die Arbeiterinnen von drei Seidenspinneresien und Zwirnereien eine Lohn- aufbesserung verlangen und die Fabriken meiden. In Paris haben die Arbeiter einer der größten Lederwaarenfabriken ihre Arbeit eingestellt, weil der Arbeitgeber seine Absicht bekundet hatte, die Löhne um 40 9/6 herabzuseßen.

Aus Chicago meldet ein Wolff’sches Telegramm: Von den bei der Errichtung der Aust ellungsgebäude beschäftigten Arbeitern haben infolge ‘einer Aufforderung des Vorstandes des Syndikats der Bauarbeiter etwa 3500 Mann die Arbeit niedergelegt. E Rabat führen darüber Beschwerde, daß die Be- örden ch nicht dem Uebereinkommen gemäß verhielten, wona die vorkommenden Zwistigkeiten durch ein Schieds8- geri gescchlichtet werden sollten. Die Polizei hat die Arbeiter, die em Syndikat nicht angehören, unter ihren Schuß gestellt. Gleich-

wohl is es {on mehrfah zu ernsteren Streitigkeiten gekommen. Es wird befürchtet, daß im Falle der S des Ausstandes die Arbeiten bis zum Zeitpunkt der Eröffnung der Ausstellung nicht fertiggestellt werden können (\. die legten Depeschen).

Kunst und Wissenschaft.

__ Professor Karl Werder, der Dichter“ der „Columbus- Trilogie*, ist, wie die „Nat -Ztg.“ berichtet, gestern Vormittag im Alter von 86 Jahren gestorben. Am 13. Dezember 1806 in Berlin geboren, widmete er sich unter Hegel dem Studium der Philosophie und blieb seinem Lehrer und Meister auch späterhin treu. Mit einer Arbeit über den Parrdenides des Plato habilitirte er sih 1834 als Privatdocent in der hiesigen philosophishen Facultät, wurde 1838 zum außerordentlichen Professor und später zum Geheimen Regierungs-Rath ernannt. Seine viel besuchten öffentlichen akademischen Vorlesungen behandelten die dramatische Kunst ; die über „Hamlet“, „Macbeth“, „Wallenstein“ und „Nathan“ sind auch im Druck erschienen. Von feinen dichterishen Werken find „Columbus“ und „Politik und Liebe“ (Geschichte des Grafen Essex) hervorzuheben. Der 1842 bereits zum ersten Mal und in den fünfziger Jahren wiederholt aufgeführte „Columbus“ ift be- fanntlih am 13. Dezember v. J. (zum 86. Geburtétage des Dichters) im Königlichen Schauspielhause wieder erschienen.

Ueber die gestrigen Verhandlungen desMedizinalbeamten- Vereins is noch zu E Die weiteren Vorschläge des Referenten, Negierungs- und Medizinal-Raths Rapmund (s. d. gestr. Nr. d. Bl.) besagen: „a. Die in dem Geseßzentwurf vorgesehenen Schußmaßregeln (§8§ 12 bis 27) sind zum theil zu weitgehend, be- sonders in Bezug auf die Verkehrsbeschränkungen ansteckungs- oder krankheitsverdächtiger Personen, theils gehen sie zu sehr ins einzelne und bringen Vorschriften, die in die Ausführungsbestimmungen ge- hören; andererseits find einige wichtige Schußmaßregeln, z. B. Für- sorge für die nôthige ärztliche Hilfe und das erforderliche Kranken- pflegepersonal, Belehrung der Bevölkerung durch geeignete Bekannt- machungen, Verbot des Aufenthaltswechsels kranker Personen ohne zuvorige ortspolizeilihe Genehmigung u. \. w., unberücksichtigt ge- blieben. b. Die Loe, bei bedroblicher Ausbreitung einer übertragbaren Augenkrankheit 21 des Geseßentwurfs) find der Landesgeseßgebung zu überlassen. C Der Weg „beamtete Aerzte“ 395 des Gesegentwurfs) ist einwandéfreier zu fassen. d. Zur erfolgreichen Durchführung des Reichs-Seuchen- geseßzes ist es nothwendig, daß die beamteten Aerzte dur gesetzlich geregeltes, pensionsfähiges Gehalt von der ärztlichen Praxis unahb- hängig gestellt und ihre Nechte und Pflichten den Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege entsprehend erweitert werden.“ In der Debatte betonten alle Nedner die Nothwendigkeit, daß auch die sogenannten Kurpfuscher zur Anzeige verpflichtet würden. Es sei das um_ so nothwendiger, als die Zahl der Kurpfuscher selbst in den großen Städten immer mehr zunehme. Nach längerer Discussion ge- langten die ersten aht Thesen des Referenten unverändert zur An- nahme. Thesis 9 wurde abgelehnt, dagegen folgende neue Thesis zum Beschluß erhoben: „Etwaige Vorschriften über öffentlie Bekannt- machungen, fowie über Benachrichtigungen benahbarter Behörden und des Kaiserlichen Gesundheitsamts (§§ 9 und 41 des Gesehz- entwurfs) beim Ausbruch gemeingefährlicher Krankheiten find den Ausführungsbestimmungen vorzubehalten.“ Der Vorschlag sub a wurde in folgender Fassung angenommen : „Die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen E (88 12 bis 27) gehen zu weit, besonders in Bezug auf die Berkehrsbeshränkungen ansteckungs- oder krankheits- verdächtiger Personen, auch gehen sie zu fehr ins einzelne u. f. w." Außerdem wurde dieser Thesis noch folgender Saß hinzugefügt: „Die Ortspolizeibehörde hat bei Anordnung der erforderlichen Schuß- maßregeln den Vorschlägen und Anordnungen der beamteten Aerzie zu folgen.“ Endlich gelangten die Thesen b, c und d des Referenten zur Annahme. Außerdem wurde beschlossen: das stenographische Pro- tokoll über die Verhandlungen dieses“Gegenstandes fo shnell als möglich dem Reichstag zu übermitteln. Kreisphysifus Dr. Fieliß (Halle a. S.) sprach alsdann über: „Die gegenwärtige Stellung der Medizinalbeamten." Der Redner wies darauf hin, daß die Medizinalbeamten in sehr geringem Maße Privatprarxis ausüben könnten. Abgesehen daven, daß die beamteten Aerzte gar zu sehr dur ihr Amt in Anspruch genommen seien, scheuten sich viele Familien, die Hilfe der beamteten Aerzte in Anspruch zu nehmen, da diefe immer in erster Reihe mit den ansteckenden Krankheiten zu thun haben. Die beam- teten Aerzte wellten deshalb in ihrem Pflichteifer niht erlaßmen ; im Interesse der Zukunft ihrer Familien liege es aber, daß sie für die Gewährung einer Pensionsberehtigung einträten. Der Redner befür- wortete schließlich folgende Resolution: „Der Vorstand des Vereins möge dem Herrn Minister unseren Dank aussprechen für die den Medizinalbeamten gezollten Worte der Anerkennung und ihm die einmüthige Ansicht des Vereins unterbreiten, daß eine ersprieß- liche Thätigkeit der Kreis-Physiker dauernd nur möglich ift, wenn sie zu yensionsberechtigten Staatsbcamten mit ausreihendem Gehalt und genügender Competenz gemacht werden.“ Der Vorsißende, Regierungs- und Geheimer Medizinal-Rath Dr. Kanzow bemerkte: Er sei immer dafür eingetreten, daß der Physikus ein höheres Gehalt haben müsse, da dieser kaum in der Lage tei, Privatpraxis auézuüben. Es gehe ja allerdings das Bestreben dahin, die Ausübung der Privat- praxis überhaupt abzuschaffen. Es sei das aber niht zu empfehlen, da alsdann der beamtete Arzt, der doch gewöhnlih noch in jungen Fahren ins Amt trete, der praktishen Thätigkeit vollständig ent- fremdet werde ‘und über alle neueren Erscheinungen auf dem Gebiete der Praxis in Unkenntniß bleibe. Nach noch längerer Debatte ge- langte die Resolution des Referenten zur Annahme. Danach wurde die Verhandlung auf heute Vormittag 9 Uhr vertagt. Berichtigend ist noh zu bemerken, daß der Verein sih niht „Deutscher“, fondern „Preußischer Medizinalbeamten-Verein“ nennt.

Jn der heutigen zweiten und leßten Sitzung, der der Geheime Regierungs-Rath Dr. Krohne vom Reichsamt des Innern beiwohnte, svrah zunächst der gerichtlihe Stadtpbysikus, Privatdocent Dr. Fr. Straßmann (Berlin): „Zur Lehre der Arsenvergiftung“. Der Redner bemerkte u. a.: Die Frage, ob ein Gift während des Lebens oder erst nah dem Tode eingeführt wurde, fei mehrfach, besonders bei der Arsenvergiftung von praktisher Bedeutung geworden; so fei z. B. in einem Falle der gelungene Ärsennahweis in der Leiche von dem Angeklagten darauf zurückgeführt worden, daß er dem Todten zum Zweck besserer Conservirung Arsen in Mund und Mastdarm ge- \{chüttet habe. Jm allgemeinen halte man bisher den Nachweis des Giftes in anderen Organen außerhalb des Magens für be- weisend als eine während des Lebens erfolgte Ver- iftung, obwohl bereits, besonders aus der auéländischen Uiteratur, entgegengeseßte Angaben vorliegen. Er (Redner) habe die Erfahrung gemacht, daß in der Leiche eine Wanderung des Arfens in benahbarte Organe stattfinde, habe aber hier eine andere, eigenthüm- liche Vertheilung gefunden als bei der Vergiftung während des Lebens. Festzuhalten sei, daß an der Leiche das Gift in die linke Niere schon viel früher eindringe als in die rechte. Starker Arsengchalt in der linken, Fehlen des Giftes in der rechten Niere gelte für Gifteinfuhr nach dem Tode, gleihmäßige Vertheilung des Arsens in die verschiedenen Organe widerlege jedoh diese Annahme. Dr. med. Leppmann (Berlin), Arzt an der Königlichen Strafanstalt zu Moabit, sprach als- dann über die Fürsorge für geisteskranke Strafgefangene. Der Redner führte aus, daß mindestens d 9/6 aller Strafgefangenen geisteskrank seien. Diese Geisteserkrankung sei zumeist eine acute. Sie trete gewöhnlih bei sogenannten Gelegenheitsverbrehern auf, die selbstverständlih unter der Wucht der Strafe bedeutend mehr als die Gewohnheitsverbreher zu leiden haben. Wenn diefen Geisteskranken {nelle Hilfe giteife! werde, fei dann vielfah noch Drturs möglih. In der Strafanstalt Moabit (Zellen-Gefängniß) ei bekanntli eine Irrenstation. In dieser seten in den leßten fünf Sahren 15 9/6 aller Geisteskranken vollständig genesen. Es würde fich daher empfehlen, in möglichst allen Strafanstalten entsprehende Irren- stationen einzurihten. Im weiteren empfehle sih auch, den Straf- vollzug verschieden zu bemefßsen. Für Gelegenheitsverbrecher fei be- tanntlid) cine kurze Freiheitsstrafe von nur wenigen Monaten oftmals

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cine viel härtere Strafe als für den Gewohnheitsverbrecher eine Frei- heitsstrafe von mehreren Jahren. Auh dem Verlangen der Inter- nationalen criminalistischen Vereinigung, das Alter der Strafmündig- keit hinaufzurücken, sei vom ärztlichen Standpunkt beizupflichten. Der Redner befürwortete \{ließlich folgende Thesen: „L. Für größere Staaten, d. h. für folhe mit entsprehend zahlreicher Zwangs- anstalts-Bevölkerung und verwickelter Gliederung der öffentlichen

ürforge, empfiehlt sih die Begründung besonderer Beobachtungs- und

cilanstalten für geisteskranke Sträflinge. 11. Für geisteskranke

trafgefangene, welhe aus dem Strafvollzuge ausscheiden, ind An- stalten oder besondere Anstalts-Abtheilungen weder erforderli, noch wünschenswerth. I11. Folgende vorliegende Maßregeln zur Verhütung des Vorkommens geistiger Erkrankungen im Strafvollzuge oder zu deren rechtzeitiger Erkennung sind als nächstliegende Vorbeugungs- maßregeln anzustreben: a. Genauere Nüksihtnahme auf die geistige Unzulänglichkeit als Strafaus\{chließungsgrund auf dem Boden geltenden Gesetzes; b. Verbesserung der Strasvollzugs-Umwandelungen, ins- besondere umfassende Ausmittelung der Persönlichkeit des zur Straf- haft Eingelieferten durch fystematishe Erkundigung Über Abstammung und Voyrlehen, [owie durch Erweiterung der Stellung und Pflichten der Anstaltsärzte; c. größere Ancrkennung der geistigen Minderwerthigkeit in der Armenpflege mit zwecentsprehender Anstaltsfürsorge ; d. Verwirklichung einiger Geseßzesprojecte, namentlich: 1) der Ausgestaltung der bedingten Entlassung; 2) Ausmerzung der dur geistige E zu socialer Selbständigkeit Unfähigen dur geeignete Maßnahmen gegen rechtsbrecherisWe und verwahrloste Jugendliche und Ueberweisung derfelben an die Irren- und Armen- pflege vor völliger Strasmündigkeit." Die Versammlung pflichtete diesen Thesen im allgemeinen bei, nahm jedoch von einem formellen Beschluß Abstand.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Ruhr sind am 10. d. M. gestellt 10222, niht rechtzeitig

gestellt keine Wagen. On Oberschlesien sind am 8. d. M. gestellt 3885, nicht recht - zeitig gestellt keine Wagen. O Zwangs-Versteigerungen.

Beim Königlichen Amtsgericht T Berlin standen am 10. April die nachverzeihneïen Grundstücke zur Versteigerung : Landsberger- Allee 27a, Eke der Tilsiterstraße, dem Zimmer- meister Carl Koebke gehörig; Nußungéwerth 15 800 46, Mindest- gebot 227 000 46; für das Meistgebot von 234000 wurde der Töpfermcister Michael Wehr, Philipystraße 9, Ersteher. Emdenerstraße 44, dem Fabrikanten Wilhelm Liebig gehörig; Nußungêwerth 14190 4; für das Meistgebot von 206 000 Æ wurde die „Grundrenten-Sesellschaft“, RNathenowerstraße 49, Ersteherin.

—- In der gestrigen Generalversammlung der Actionäre der Vaterländischen Lebensversiherung Aktien - Gesell- \chaft zu Elberfeld wurde beschlossen, eine Dividende von 4% an die Actionâre zu vertheilen.

Die Kölnische Unfall-Versiherungs-Ge sellschaft \{lägt, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, wiederum die Vertheilung einer Dividende von 22 9/9 vor.

Die gestrige Generalversammlung der Actionäre der Privat - bank zu Gotha genehmigte den Rechnungsabschluß für 1892 und die Vertheilung von 5 °%/ Gewinn. Die ausscheidenden Mitglieder des Verwaltungsraths wurden wiedergewählt.

Der Verwaltungsrath der Buschtehrader Eisenbahn hat, wie „W. T. B.* aus Prag meldet, bes{lossen, in der am 13. Mai stattfindenden Generalversammlung für die Strecke Litt. A. 47 Fl. und für die Strecke Läitt. B. 20 Fl. 50 Kr. Dividende vor- zuschlagen.

Magdeburg, 10: April. (W. T. B) Zudckterberiht. Kornzucker erxcl., von 92 9% 17,25, Kornzudcker ercl., 88% Rendement —,—, Nachproducte excl., 759/69 Rendement 13,85. Ruhig. Brod- raffinade I. 29,00. Brodraffinade 11. —,—. Gem. Raffinade mit Faß 28,75. Gem. Melis 1, mit Faß 27,75. Rubig. Robzucker I. Product Transito f. a. B. Hamburg pr. April 15,875 bez., 15,9924 Br., pr. Mai 15,95 bez., 15,974 Br., pr. Juni 18,075 bez., 16,122 Br., pr. Juli 16,20 bez., 16,222 Br. Ruhig. E

Lei pzig, 10. April. (W. T. B.) Kammzug-Termin- handel. La Plata Grundmuster B. per April 3,90 Æ, per Mai: 3,921 6; ‘per Junt 3,996, Ver ZUli 3,974 46 VeT August 4,00 4, per September 4,023 #4, per Oktober 4,05 #, per November 4,05 4, per Dezember 4,05 46, per Januar 4,075 #, per Februar 4,074 , per März —,— #4, Umsay 35 000 kg.

Wien, 10. April. (W. T. B.) Wie die Blätter aus Peit melden, begab. der Finanz-Minister Dr. Wekerle an die Nothschildgruppe ¿wölf Millionen ungarische Goldrente fes zum Curse von 96.

London, 10. April. (W. T. B) Wollauction. Preise A fest; sehr»lebhafte Betheiligung, namentli für Kreuz- zuchten.

Das Haus N. M. Rothschild u. Söhne hat den Prospect über die fünfprocentige West - Minas - Anleihe im Betrage von 3710000 Pfd. Sterl. veröffentliht. Der nominelle Emissionscurs ist 80. Zeichnungstag ist der 12, April.

An der Kilite 1 Weizenladung angeboten.

96% SJavazuker loco 174 stetig, Rüben-Rohzucker loco 152 erbolend. Chile-Kubp fer 44/16, pr. 3 Monat 457.

Glasgow, 10. April. (W. T. B.) Die Verschiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 5425 Tons gegen 8599 Tons in der ent!prehenden Woche des vorigen Jahres.

Bradford, 10. April. (W. T. B.) Wolle fest, unverändert, feine Wollen ruhig. Markt für Garne aufgeregt, Mohair-Garne theurer. Worsteds anziehend. S t off e rubig, unverändert.

Amsterdam, 10. April. (W. T. B.) Java-Kaffee good ordinary 53. Bancazinn 56.

New-York, 10. April. (W. T. B.) Die Börse eröffnete fest, gab bei den ersten Umsäßen nah, {loß jedo stetig. Der Umfaß der Actien betrug 228000 Stück. Der Silbervorrath wird auf 470000 Unzen aesbäßt. SilberverèLäufe fanden nicht ftatt. Die Silberankäufe für decn Staatsschaß betrugen 130 000 Unzen zu 83,40 à 83,49.

Der Dampfer „Havel“ wird morgen 3 590 000 Dollars Gold nad Europa mitnehmen.

Die Tendenz für Weizen war anfangs s{hwah auf Zunabme der unterwegs befindlihen Menge und Nealifirungen. Dann trat eine lebhafte Reaction ein infolge des Regenmangels und der geringen Vorräthe, es fanden Käufe des Auslandes und Deckungen der Baissiers statt. Später gaben die Preise im Einklang mit dem Westen wäoder nah. Schluß |{chwach. Ma is einige Zeit ftcigend na Eröffnung auf Abnahme der Vorrätbe, später Reaction. Schluß träge.

Visible Supply an Weizen 77293 000 Bushels, do. an Mais 14 915 000 Busbels.

Chicago, 10. April. (W. T. B) Weizen eröffarte Ki auf Deckungen der Baissiers für Mai und \{lechte Ernteberzähte, \{hwächte si aber später infolge reichlicher Realist der Haus für den Julitermin und auf die den bisherigen Natrithten Ader Ernteschaden widersprechende Berichte wieder ad. Mais eîmägt Zeit steigend na Eröffnung, später Neaction. Schluß träge.

Theater und Musik.

hilbharmonie. i Zum Besten des Pensiontfonds des Philharmoni Sen Ore sters fand gestern unter Leitung des Dr. Hans don Bülow ein Beethboven- Abend statt, für welchen die „Fidelte"-Duwettunk, die C-moli-Symphonie, die A-dur-Sympbonie und dir Dutertuer gn ¿ Srepattänn r Wi

„&onore* (Nr. 3) gewählt worden waren. Dit E