1893 / 103 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 May 1893 18:00:01 GMT) scan diff

zahlen eben 1000/6 weniger; wir haben 200% bezahlt: 100 an den Staat, 100 an die Commune; in Zukunft zahlen wir 100 an die Commune, folgliÞh gewinnen wir 100 —. Daraus folgt eben, daß diese verschiedene Auffassung wesentlich entsteht und naturgemäß sich auch erklärt aus der bisherigen Praxis in der Vertheilung der Gemeindesteuern in den verschiedenen Provinzen.

Nun wollen die Herren aber bedenken, welher eminente Um- \{chwung in der procentualen Bedeutung der Heranziehung der Ein- Fommensteuer in denselben Provinzen entstehen muß, selbst ohne irgend eine andere Bestimmung in Bezug auf die Realsteuern ; denn im Rheinlande sind im Jahre 1891/92 an Einkommensteuern ver- anlagt 12 770 733 Æ, und auf Grund des neuen Einkommensteuer- geseßes pro 1892/93 23 000 891 (Hört! hört!) Da können Sie sehen, was das Procent im Jahre 1892/93 gegen 1891/92 für eine veränderte Bedeutung hat. Das mögen die Herren sehr wohl er- wíüigen.

Nun sagt namentli der Herr Abg. Shmiß und der Herr Minister-Präsident hat hon in dieser Beziehung seine volle Ueberein- stimmung mit den allgemeinen Gesichtspunkten, die er angegeben hat, ausgesprochen —: man müsse vor allem die ansässigen Personen in der Gemeinde entlasten, jedenfalls niht überlasten.

Die ganze Steuerreform hat das Ziel, namentlich auch die Mittelklassen zu entlasten. Ih erinnere daran, daß wir eine neue Gewerbesteuer jeßt veranlagt haben, welhe mehr oder weniger den ganzen kleinen Handwerkerstand von der Gewerbesteuer freimacht. Die Hälfte der Gewerbetreibenden is jeßt von der Gewerbesteuer frei. Die darüber befindlichen Klassen der Gewerbesteuer zahlen diese aufsteigend bis zur höchsten Klasse, während früher die Progression eine umgekehrte war, die höchste Klasse am wenigsten zahlte und die Fleinen Gewerbetreibenden am meisten. Daß hierin eine eminente Entlastung liegt für den eigentlihen Mittelstand unter den Gewerbe- treibenden, fann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, und wenn die großen Betriebe jeßt ihrer Größe und ihrem Umsaß angemessen herangezogen werden, so können sie sich nit beklagen; sie werden deshalb au niht aufhören, Angesessene zu sein.

Meine Herren, was die Grund- und Gebäudesteuer betrifft, so brauche ih nit weiter zu entwickeln, welche Bedeutung es hat, die staatlihe Grund- und Gebäudesteuer gänzlih zu beseitigen und hier den ganzen grundbesißenden Stand von der s\taatlihen Doppel- besteuerung zu befreien. Wenn nun befürhtet wird, daß die Entlastung des Staats überwogen werden würde in Zukunft durch eine Ueberlastung in der Gemeinde, so ist diese Befürchtung in keiner Weise begründet. Jch darf hier vielleiht an den Grundgedanken der ganzen Steuerreform erinnern: wir wollten unser Steuersystem einrihten nah Maßgabe der Leistungs- fähigkeit im Staat ; wir erheben daher die Steuern nah dem Rein- einkommen der Steuerpflichtigen; wir beseitigen die Bruttobesteuc- rung im Staat; wir wollen niht länger eine \taatlihe Besteuerung doppelter Art haben in Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer und Einkommensteuer; wir führen eine Ergänzungssteuer ein, die aber nur das Nettovermögen trifft, niht das Bruttovermögen die Schulden werden abgezogen. Hier haben wir in der entschiedensten, bestimm- testen Weise die Durchführung der Besteuerung nah der Leistungs- fähigkeit.

Meine Herren, dieses System is im Staat gerecht und noth- wendig; in der Commune würde dies System ungereht und falsch sein. Denn zweifellos hat auch die Commune Ausgaben staatlicher Natur, wozu man mindestens die Schulen- und die Polizeilasten rechnen kann. Deswegen würde es ungerecht sein, wie das ursprüng- lid von manchen Seiten vorgeschlagen wurde, die ganze Communal- besteuerung auf die Realobjecte zu werfen. Nein ; es sind eine Menge Ausgaben da, die keineswegs berechtigen, allein den Grundbesiß dafür heranzuziehen. Aber auf der anderen Seite giebt es au eine ganze große Anzahl communaler Ausgaben, die aus der wirthschaftlihen Natur der Gemeinden entspringen, die Bodenmeliorationen enthalten, die den Gewerbetreibenden und besißenden Klassen zu Gute kommen, die von diesen verursacht werden. Da tritt die wirthschaftlihe Aufgabe der Ge- meinden in den Vordergrund, und man hat auch einen anderen Grund- saß nothwendig für die Communen: Leistung und Gegenleistung, Opfer und Last, Genuß und Ersaß.

Nun möchte ih die Herren dringend bitten, sih bei dieser Be- trachtung niht von dem Schlagwort „Doppelbesteuerung“, das man ja so viel in Rheinland und Westfalen hört, irreführen zu lassen. „Gute Schlagworte", sagte einmal der englishe Minister Palmerston, „zu erfinden, ist die größte Kunst eines Politikers“, und dies Wort, falsch angewandt, ist wirkli nichts weiter als ein Schlagwort. Nein, die Last \oll hier ver- theilt werden nach Leistung und Gegenleistung. Man muß sih fragen: welhe Consequenzen folgen aus der wirthschaftlichen Natur der Gemeinden, um eine gerechte Communalbesteuerung her- zustellen? Das wird niemand leugnen können, wenn ih eine Straße baue, wenn ih Häuser entwässere, daß dies Ausgaben sind, wo es ge- recht ist, den Grundbesiß vorab heranzuziehen. Die andern haben ja auch einen Vortheil ; jeder, der ein {önes Straßenpflaster betritt, ob er ansässig ist in der Gemeinde, ob er dauernd sich aufhält, er hat seinen Vortheil; der Grundbesißer hat diefen Vortheil auch, er hat aber noch einen andern Vortheil, nämlich die dauernde Werth- steigerung seines Besißes. Meine Herren, ohne Pflichten keine Rechte, ohne Leistung keine Bedeutung! Wenn die ansässigen Klassen der Commune regieren wollen, dann müssen sie auch leisten, und diese Steuerreform wird die Stellung der ansässigen Klassen gerade in den Communen ganz außerordentlich verstärken“ und heben, was nicht mehr wie recht und billig ist.

Nun aber weiter! Zahlen nun, wie Herr Hiße meint, die Grund- besißenden und Gewerbetreibenden in den Communen genau in der“ selben Weise vorab wie dem Staat gegenüber ? Mit nihten. Denn die Zahlungen, die sie leisten, haben die Folge und den Zweck, die Einkommensteuerzushläge herunterzubringen, welche diese betreffenden Klassen niht bloß mit-, sondern meistens vorzugsweise leisten, sie zahlen also bis zu einer gewissen Grenze in ihren eigenen Beutel. Die Staatsregierung, welche ebenso wohl die Interessen des Staats als der Commune zu vertreten hat, erblickt in der Beseitigung der einseitigen Heranziehung der Personalsteuern in der Commune nicht allein ein hohes Staatsinterefse, sondern zugleich ein hohes Gemeindeinteresse. Eine aus\chließliche oder übermäßige Heran- ziehung der Personalsteuern heißt für die Gemeinden, ihren dauernden Ausgabe-Etat auf unsihere und s{chwankende Einnahmen gründen, Heißt sie abhängig machen in ihren Finanzen von reinen Zufällig-

keiten, heißt die kleinen und mittleren Gemeinden und Städte ge- fährden, weil dadurch die Neigung der Auswanderung der Kapital besigenden Klassen in die großen Städte hervorgerufen wird, wo durch die Concentration des Kapitals naturgemäß solhe Zuschläge nicht so sehr \{chwanken und niht so hoch sind, hat jedenfalls zu einem erheblihen Theil zu diesem Anwachs von Intelligenz und Besiß in unseren großen Städten die Ursache abgegeben. Einen solchen Zustand kann man vielleicht bis auf eine gewisse Grenze ertragen, so lange die Gemeinde- steuern niedrig sind, er wird unerträglih bei diesem im- mensen Steigen der Gemeindesteuern; einen solhen Zustand fann man vielleiht ertragen, fo lange die Einkommensteuer nicht reell und gleihmäßig veranlagt war. Das ist jeßt alles weggefallen. In Zukunft würde dieser Zustand, -wie er bisher bestanden hat, noch viel unerträglicher sein.

Meine Herren, das sind Gemeindeinteressen. Was den Staat betrifft, wenn er die sicheren, regelmäßig eingehenden Nealsteuern preisgeben soll, wenn er allein auf die Personalsteuern angewiesen wird, so ist ex geradezu gezwungen, zu verhüten, daß nicht seine Personalsteuer demoralisirt wird durch ungemessene Zuschläge in den Communen. Meine Herren, ih habe {hon mehrfach ausgesprochen, daß wir in der Communalbesteuerung bisher eigentlich kein System hatten; in den verschiedenen Provinzen wurde ganz verschieden verfahren, die Staatsregierung selbst hatte keine festen Grundsäße. Diese gewinnen wir durch diese Bestimmungen, die natürlih niht mechanisch überall gleihmäßig Anwendung finden können, wie der Herr Minfster-Präsident hon hervorgehoben hat, sondern die ihre natürlihe Ergänzung durch den § 46 finden, also die Möglichkeit einer Berücksichtigung besonderer localer Verhältnisse zulassen.

Aber eine Regel müssen wir haben, auch die Behörden und die Gemeinden müssen wissen, woran sie sind. Sie müssen bei regel- mäßigen Zuständen nah der Regel handeln, bei Ausnahmszuständen müssen die Bestimmungen des § 46 in Kraft treten.

Meine Herren, ih habe mich von Anfang an bemüht, aus diesen großen Meformgesezen das schrofe Hervortreten der Einzelinteressen möglichst Herauszubringen, und bis jetzt is uns das auh gelungen. Daß dazu viele Compromisse und Verständi- gungen erforderlih sind, sodaß die verschiedenen Interessen, die sich hier und da gegenüberstehen wenigstens vermeintlich gegenüber- stehen —, si sagen können: wir haben zwar nit alles erreicht, die anderen haben aber auch nicht alles erreiht, wir haben uns vertragen auf cinem Ausgleihsboden, von diesem Standpunkte habe ih immer die systematish in die Neform immer aufs neue wieder hinein- getragene Behauptung, daß es sih hier um eine agrarische Reform handle, bekämpft. Ih habe bei verschiedenen Gelegenheiten nach- gewiesen, daß, wenn man die Sache mal auf den Pfennig berechnet, die Städte mindestens so gut wegkommen wie der Grundbesiß. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe gesagt: wenn aber selbst der Grundbesiß auf dem Lande besser wegkäme, nun, so würde das bloß ein Beweis sein, daß er bisher zu {chlecht weggekommen ist (sehr gut! rets) daß er überlastet war, und daß man ihn entlasten mußte.

Aehnlich liegen die Verhältnisse aber au innerhalb der einzelnen Gemeinden. Da is auch eine Ausgleichung nothwendig, da müssen sich die verschiedenen Interessenten auh vertragen, und da haben wir, glaube ih, durch diesen Compromiß im großen und ganzen das Richtige getroffen. Wenn Männer, wie Herr von Huene, der gewiß das Ver- dienst hat, unter den Vordersten gewesen zu sein, die für die Ent- lastung des Grundbesitzes gekämpft haben nach reifliher Erwägung für diesen Compromiß als einen auch für den Grundbesiß in den Gemeinden annehmbaren eintreten, so möchte das doch diejenigen Herren beruhigen, welche bisher no niht sich diesem Compromiß haben anschließen können.

Meine Herren, ich kann Ihnen die Erklärung auf Wunsch des Herrn von Buch, die ih in der Commission abgegeben habe, nur wiederholen, daß nämlich der Aufsichtsinstanz nah Inhalt der §§ 45 und 46 die Befugniß einer anderweiten Vertheilung zwischen Neal- und Personalsteuern, als im § 45 vorgesehen ist, aus dem Grunde, daß sonst die Zuschläge zur Einkommensteuer zu hoh werden würden, niht zusteht, und daß also in dieser Beziehung wirklißhe Ab- weichungen stattfinden können nach Maßgabe der gesammten befon- deren Verhältnisse in einer einzelnen Gemeinde. Also, in dieser Beziehung, glaube ih, werden die Herren sich durchaus beruhigen können. Es ift garnicht die Absicht der Staatsregierung, hier weiter- zugehen in der Regel, als § 45 es zuläßt. Die Staatsregierung felbst weiß namentli für den ersten Anfang sehr wohl, welcheUmschwünge in den verschiedenen Gemeinden plaßgreifen können durch die Einführung dieser Bestimmungen, und es werden die Aufsichtsbehörden hier nah der genauen billig-mäßigen Prüfung der einzelnen Fälle zu verfahren haben. Ich glaube, damit wird das erklärt sein, was Herr von Buch erklärt zu haben wünscht.

Meine Herren, in einer Reihe von Fragen haben sich die ver- schiedenen Ansichten im Haufe während der ganzen Steuerreform immer mehr genähert. Wir sind, das können wir wohl sagen, in den Grundanschauungen immer einiger geworden. Ich hoffe au, daß in diesen Grundanschauungen allmählich sich das Land verständigen wird, welches ja der Aufklärung, die wir uns gegenseitig gegeben haben, fo \chnell nicht folgen kann, zumal häufig eine Parteipresse, wie das au naturgemäß is, die Leser im Lande irre zu führen geeignet ist. Ih lege aber den größten Werth darauf, daß tas Haus bei diesem entscheidenden Paragraphen auch einig bleibt, soweit das irgend möglih ist; das wird im Lande auch den richtigen Eindruck hervorrufen, man wird sagen: Das Abgeordnetenhaus hat diese Frage auf das Allereingehendste geprüft, an und für sich ist es eine s{chwierige Frage, es muß das vernünftige Ermessen eines besonnenen Mannes hier die Entscheidung treffen; die Entscheidung ist in großer Ein- müthigfkeit vom Landtage getroffen das wird die verschiedenen Mei- nungen im Lande au \{chließlich ausgleihen, und das Land wird unserem Thun zustimmen. Ich bitte Sie, den Paragraphen so, wie er aus der Commission hervorgegangen is , anzunehmen, und bestehe meinerseits aus demselben Entgegenkommen gegenüber den Wünschen des Landtags nicht mehr auf dem § 45 der Regierungsvorlage. (Bravo! rechts.)

Abg. Enneccerus (nl.): Ein Theil meiner als hat in der Commission versucht, den ganzen § 45 so umzugestalten, daß eine Procentzahl überhaupt nicht angenommen werden sollte, sondern daß die Lasten, je nahdem die daraus bestrittenen Ausgaben dem Grund- besiße hauptsählih oder allen Gemeindeangehörigen gleichmäßig zu gute kommen, auf die Realsteuern bezw. die Personalsteuern vertheilt werden sollten. Das ist fallen gelassen worden. Der Commissions-

beschluß geht darauf hinaus e in keinem Falle ein Zwang vorliege, die Realsteuern höher heranzuziehen, als die Perfonal- steuern. Eine Möglichkeit dazu i} gegeben, wenn die Steuern sehr niedrig sind; aber ebenso is die Möglichkeit gegeben, die Perfonalsteuern höher heranzuziehen, wenn die Steuern sehr hoh sind. Wenn bestimmt würde, daß die bisher vom Staat erhobene Grund- und Gebäudesteuer einfah den Gemeinden überwiesen würde, so wäre das für die Grundbesiger eine sehr viel \{lechtere Regelung als der jetzige Vorschlag des § 45.

Abg. Dr. Bachem (Centr.): Wir wollen die Grundlage des & 45, die der Vorredner richtig dargelegt hat, nicht ändern, sondern nur die Marimalgrenze für die Realsteuern etwas niedriger fixiren. Redner beruft \sih auf die Ausführungen seiner politishen Freunde, und empfiehlt dringend die Annahme des Antrages.

Abg. Freiherr von Huene (Centr.) wendet sih gegen die Aus- führungen des Vorredners und weist darauf hin, daß man bei der Steuerreform immer davon gesprochen habe, die Grund- und Ge- bäudesteuer halb oder ganz den Gemeinden zu überweisen. Deswegen sei es gerechtfertigt, daß die Gemeinden die volle Grund- und Ge- bäudesteuer erheben, ehe die Einkommensteuer herangezogen wird. Daß im Westen die Grund- und Gebäudesteuer von den Gemeinden nicht herangezogen worden, sei ein Fehler. Das habe aber an der unrichtigen Veranlagung der Einkommensteuer gelegen; der Finanz- Minister habe chon angeführt, wie hoh die Steigerung der Einkommen- steuerveranlagung für Rheinland sei. Dasselbe gelte für Westfalen, wo früher 4 Millionen, jeßt aber 10 Millionen Einkommensteuer aufkämen: eine Steigerung, die niht einmal in Berlin erreicht werde. Er (Nedner) bedauere, daß so schr viele seiner politischen Freunde si dem § 45 nicht anschließen wollten, und hoffe, daß die Mehrheit des Hauses demselben zustimmen werde. Es sei das erste Mal, daß er wünschen müsse, daß ein aus seiner Fraction hervor- gegangener Antrag niht angenommen werde.

Darauf wird die Discussion geschlossen.

Der Mas Bachem und Genossen wird gegen die Stimmen der Mehrheit des Centrums abgelehnt und §45 unverändert angenommen.

Nach § 46 bedürfen Zuschläge über den vollen Saß der Staatseinkommensteuer hinaus (die Abgg. Dr. Bachem und Genossen beantragen hier einzuschalten: „und die Erhebung von mehr als 150 Proc. der Realsteuern“) und Abweichungen vom §8 45 der Genehmigung.

Die Commission hat dem § 46 einen Schlußsaß angefügt, wonach dabei die Erleichterung zu berücksichtigen sein soll, welche den Steuerpflichtigen einer Gemeinde durch die Außer- hebungseßung der staatlihen Realsteuern zu theil geworden ist.

Abg. Schmidt-Warburg (Centr.) beantragt, diesen Zusaß zu streihen. Die Grund- und Hausbesißer würden mit dem § 45 ohne- hin nicht zufrieden sein; es sei daher zu befürhten, daß dieser Schlußsatz geltend gemaht werde, um die Realsteuern weiter zu be- lasten, sodaß thatsächlih die Aufhebung der Realsteuern wieder be- seitigt werde. Namentlich würden die Aufsichtsbehörden von diesem A Gebrauch machen, um alles auf die Realsteuern zu wälzen. Er glaube auch, daß die Regierung diesen Schlußsaß wohl ent- behren könne. E

Abg. Freiherr von der Reck (cons.) erklärt sih für § 46 mit Ausnahme des Schlußsates. O s :

Geh. Ober-Finanz-Rath Fuisting hält die Bedeutung des Zusates nicht für so erheblich, daß man darüber viele Worte zu vershwenden brauchte. : :

Abg. Herold (Centr.) empfiehlt den Antrag Bachem, weil dadur eine zu große Belastung der Grundbesißer vermieden würde.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Was den ersten Antrag der Herren Dr. Bachem u. Gen. betrifft, in den § 46 Abs. 1 einzuschieben:

und die Erhebung von mehr als 150 9/6 der Realsteuern,

so würde ih bitten, den Antrag abzulehnen, weil er einer Consequenz des § 45 widerspricht, und weil die Gründe, welche einer Genehmi- gung des Staats zur Erhebung von mehr als 100 9/6 Einkommen- steuer zu Grunde liegen, hier niht zutreffen. Daß der

Staat ein wesentlihes Interesse hat, einer übermäßigen Heranziehung der Einkommensteuer entgegentreten zu können, das it «0 ob bi entvide worden Und * braucht

niht mehr bewiesen zu werden. Die Realsteuern hören in Zukunft auf, Staatssteuern zu sein, es ist eine reine communale Be- steuerung ; da kann man getrost den Gemeinden überlassen, diejenigen Grundsäße zur Geltung zu bringen, die im S 45 ausdrüdcklich vor- gesehen sind, und auf deren Beachtung die Aufsichtsbehörden ohnehin zu sehen haben werden. Endlich kommt daneben hinzu, daß die Gefahr do sehr gering ist; denn in nur ganz vereinzelten Fällen haben die Grundbesißer in den Gemeinden nicht das erheblihste Uebergewicht, und wenn sie sich also freiwillig höher besteuern, so wird man das Vertrauen haben können, daß das den wirklihen Verhältnissen und dem Interesse der Gemeinden entspriht. Ich würde alfo bitten, diesen Antrag nicht anzunehmen.

Was nun den zweiten Antrag betrifft, die Worte zu streichen, daß auf die stattgefundene Erleichterung des Grundbesißes und der Gewerbetreibenden bei der Vertheilung der Lasten im Falle der Ab- weihungen Rücksicht genommen werde, so ist das allerdings nur ein Hinweis auf die bestehenden Verhältnisse. Es ist keine bindende geseßlihe Regelung; sie hat aber do eine gewisse Bedeutung, das gebe ih zu.

Meine Herren, an und für sich wird es wohl doch mehr oder weniger natürli sein, daß, wenn, wie der Herr Vorredner mit Necht sagte, eïne zweckmäßige Verwendung der Realsteuern in den Com- munen durch die bisherige ungerehte Belastung derselben Dbjecte in der Staatssteuer vorhanden war und nun beseitigt wird, die Leistungs- fähigkeit also dieser Realobjecte für die Communen eine erheblid größere wird, auf eine so bedeutende Thatsache Rücksicht genommen werden muß bei der Vertheilung der Realsteiern innerhalb der Ge- meinden. Meine Herren, wollen Sie doch wohl bedenken, daß in Zukunft Preußen das einzige Land soviel ich ret beurtheile im ganzen europäischen Continent sein wird, wo diese Doppelbesteuerung, die Bruttobesteuerung, in Beziehung auf die Objecte nun in Zukunft vershwindet. (Zuruf: Hört, hört!) Gewiß, Herr Dr. Meyer, das wird der Ruhm dieser Geseßgebung sein. (Sehr richtig: rets.) Jn fast allen Ländern is genau dasselbe Ringen des Grundbesißes, in dieser Beziehung zur Gerechtigkeit zu gelangen. Denjenigen, die sich dafür interessiren, könnte ih die Zuschriften, die selbst aus Frankrei nah hier kommen, vorlegen, in denen betont wird: das, was ihr anscheinend jevt in Preußen erreiht, haben wir seit hundert Jahren angestrebt, aber nie erreichen können, und wir hoffen, daß wir jeßt auch endlih zu demselben Ziele mit Erfolg gelangen werden. Die Richtung einer Steuerreform, wie wir sie machen, is allerdings fast in allen Staaten, auh in Deutsch- land wir sind in dieser Beziehung durchaus nicht vollständig neu, auch nicht die ersten; im Königreih Sachsen z. B. hat man angefangen, allmählich die Grundsteuer den Gemeinden zu überweisen. Wir kommen aber mit einem großen Schlage dahin

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an der Hand der glücklihen Situation, die wir durch die gleihzeitige Reform der Einkommensteuer vor uns haben. Daß nun auf eine so gewichtige Thatsache, die auf die ganzen Verhältnisse der Gemeindebesteuerung die größte Wir- fung hat, im Gese hingewiesen wird, um die betreffenden Behörden und Gemeinden darauf aufmerksam zu machen, daß sie heute eine ganz andere Situation als früher vor sich haben bei Vertheilung der Lasten, kann doch gewiß nichts schaden, wird aber in vielen Fällen nüßen. Jch bitte daher, auch diesen Antrag abzulehnen und es ein- fach bei den Beschlüssen der Commission zu belassen.

Abg. Dasbach (Centr.) hält es für rihtig, daß die Regierung ein Interesse daran habe, die Zuschläge zur Einkommensteuer niedrig zu halten; aber ebenso müßte auch darauf Gewicht gelegt werden, daß r getroffen werde, daß nicht die Einkommensteuerzahler, wenn

je das Uebergewicht in der Gemeindevertretung haben, die Lasten auf die Realsteuerzahler abwälzen.

S 46 wird hierauf unter Ablehnung des Antrages Bachem und Streichung des Zusatzes genchmigt.

Nach § 47 sollen zur Deckung des durch Realsteuern auf- zubringenden Steuerbedarfs die veranlagten Grund- und Gebäude- und Gewerbesteuern in der Regel mit dem gleichen Procentsaße heranzuziehen sein. Genießen jedoch die Grund- und Hausbesißer oder Gewerbetreibenden besondere Vortheile durch Veranstaltungen der Gemeinde, oder verursachen sie be- sondere Kosten, so sollen die Realsteuern anderweitig unter- vertheilt werden, jedoch so, daß die Grund- und Gebäudesteuern höchstens doppelt so hoch als die Gewerbesteuer und umgekehrt herangezogen werden.

Abg. von Tiedemann-Labischin (freiconf.) will den S 47 folgendermaßen fassen: „Zur Deckung des durh Neal- steuern aufzubringenden Steuerbedarfs sind unbeschadet der Bestimmungen in 88 7 und 16 die veranlagten Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern mit dem gleichen Procentsaße heranzuziehen“.

Abg. Stengel (freicons.) will die Vorschrift nicht bindend machen, sondern eine Vorbelastung der einen oder der anderen Nealsteuern nur für zulässig erklären.

Abg. Stengel empfichlt seinen Antrag, weil sonst die Ent- scheidungen der Gemeindevertretungen dahin ausfallen würden, daß diejenigen, welche keine genügende Vertretung in derselben haben, zu den Lasten besonders herangezogen würden. In einer Landgemeinde werde man einiger Villenbesißer wegen vielleicht die Gebäudesteuer mehr belasten; in den Städten würden die Gewerbetreibenden für die Be- lastung der Grundsicuer stimmen oder, wenn die Hausbesißer die Mehrheit haben, diese für die Ueberlastung der Gewerbetreibenden.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ich werde mich der Kürze halber sowohl über den Antrag Stengel, wie über den Antrag von Tiedemann äußern. Die Frage, die hier angeregt i}, ist von viel größerer Bedeutung, als es auf den ersten Blick scheint. Schon in der Commission wie au heute hat Herr Abg. Stengel die Befürchtung ausgesprohen, daß der S 47 wegen der Vertheilung der Steuerlast unter die ver- schiedenen Nealsteuerpflihtigen um die handelt es sih doch hier allein; wir haben früher die Vertheilung der Gesammt- summe des Steuerbedarfs auf Personal- und Realsteuern erörtert ; jeßt sprcchen wir von der Vertheilung der auf die verschiedenen Arten der Nealsteuern entfallenden Beträge, daß diese Bestimmungen zu den allergrößten Differenzen und Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde, namentlich zu einer einseitigen Ueberlastung der Gewerbetreibenden führen würden, indem die Grundbesißer meist in den Ge- meinden die Mehrheit hätten und geneigt sein würden, den Gewerbetreibenden ungerechter Weise möglichs viel Steuern aufzubürden. Nun, meine Herren, wenn diese Befürchtung zutreffend wäre, so behaupte ih, steht sie dem Antrage des Abg. Stengel genau so gut entgegen wie der Regierungévorlage; denn Herr Stengel will ja die Möglichkeit einer vershiedenen Vertheilung dieses Realsteuerbedarfs auf die verschiedenen Klassen der Realsteuerpflichtigen garnicht ausschließen ; er sagt nur, es soll bloß zulässig sein. Wenn es nun richtig ist, daß der Grundbesiß, die Mehrheit habend, ein- seitig die gewerblihen Klassen überlastet, so fann es ebenso gut geschehen mit dem Antrage des Herrn Stengel wie mit der Regierungsvorlage, welche leßtere ja dieselbe thatsächlihe Voraus- feßung hat wie der Antrag Stengel. Ich glaube, diese Befürchtung ist überhaupt nicht berechtigt, namentli da hier die Genehmigung der Aufsichtsinstanz erfortexrlih i. Aber, wenn sie berehtigt wäre, steht sie auch dem Antrage Stengel entgegen.

Nun, meine Herxen, diese ganzen Befürchtungen haben wir über- wunden und überwinden müssen bei Gelegenheit der Paragraphen, die von den Gebühren handeln, von den Beiträgen handeln, bei Gelegenheit der Paragraphen, die eine Vorbelastung bestimmter ein- zelner Bezirke zulassen überall können die Befürchtungen des Herrn Stengel in gleiher Weise Play greifen. Wir müssen, wenn wir ein- mal nach Leistung und Gegenleistung unter Berücksichtigung der größeren oder geringeren Vortheile oder der größeren oder geringeren Kosten, die der Gemeinde verursacht werden, die Steuerlast vertheilen wollen, das Zutrauen haben, daß das in verständiger - Weise mit Hilfe der Aufsichtsinstanz in den Gemeinden durchgeführt wird. Wenn wir das der Selbstverwaltung der Gemeinde nicht überlassen wollen, dann können wir dieses ganze Communalsteuergesèß niht erlassen. (Sehr rihtig.)

Wir dürfen aber vor allem keine Vorschriften geben, wie mein verehrter Herr Nachbar es will, welche das vernünftige Ermessen der Gemeinde und der Aufsichtsinstanz vollständig in spanische Stiefel ein- \chnüren; denn das kann do keinem Zweifel unterliegen, daß es wirklih spanische Stiefel, ein reiner Mechanismus wäre, wenn man alle Gemeinden im ganzen Lande zwingen wollte, Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern nach ganz gleichen Procent- säßen zu behandeln. Dazu liegen die Verhältnisse sowohl im Verhältniß der Grundsteuer zur Gebäudesteuer als im Verhältniß der Grund- und Gebäudesteuer zur Gewerbesteuer viel zu verschieden ja, meine Herren, viel zu verschieden innerhalb der einzelnen Gewerbeklassen. Was mich betrifft, so halte ih eine Vorbelastung der Gewerbetreibenden bloß als folhe, daß ein Mensch mehr zahlen soll lediglich, weil er ein Gewerbe betreibt, in der Regel für falsch. Einen Schneider vorzubesteuern, einen Agenten vorzubesteuern, das ist in den meisten Fällen innerlih garniht berehtigt. Dagegen in den Fällen, wo es sich um Gewerbebetriebe handelt, die mit Grund und Boden verbunden sind, die große Lasten durch Heranziehung von Arbeiter- massen oder durch Zerfahren der Wege oder dur folhe ähnlihe Um- stände herbeiführen, ist es durdjaus nothwendig, und zwar entsprehend der Größe des Betriebs.

Meine Herren, ih kann mir sehr wohl denken, daß ein großer Theil dieser Gemeindelasten in einer Gemeinde durch ein großes Hüttenwerk fast allein verursaht wird. Das Hüttenwerk zu besteuern, iff vollkommen berechtigt; aber daneben einen Agenten zu besteuern, der wesentlich seine Arbeitskraft zur Disposition stellt, bloß weil er den Namen Gewerbetreibender hat, ist ungerechtfertigt. Genau so werden in vielen Fällen die Dinge liegen, aber auch im Verhältniß der Grundsteuer zur Gebäudesteuer ; in manchen Gemeinden verursacht der Grundbesiß, der in der Ge- markung liegt, der mittels Spatens bearbeitet wird, kaum besondere Lasten, dagegen bring-n die Gebäude in den - bebauten Straßen, die von dem Pflaster, den Trottoirs Vortheil genießen, ganz andere Lasten. Jch g"aube, ih fkann also mit Recht sagen, das wären geradezu spanishe Stiefel, die das Gefühl der Ungerechtigkeit hHervorrufen würden und gerade erst ret zu Beschwerden mit Nothwendigkeit führen müßten. Meine Herren, wie soll es aber werden, im Falle, daß die Gemeinde besondere Grund- und Gebäudesteuer und besondere Gewerbesteuer einführt? Soll fie dieselben engen Schranken auch auf diese besonderen Steuern anwenden ? Sie passen ja vielleiht garniht auf diese besonderen Steuern. Jch glaube, wir würden den Grundsätzen dieses Geseßes niht voll gereht werden, wenn wir den Antrag des Herrn Stengel oder noch mehr den Antrag des Herrn von Tiedemann annehmen wollten.

Meine Herren, die Gefahren, die hier mögliherweise in der Sache liegen, müssen durch ein verständiges Verhalten der Aufsichts- inftanz vermieden werden und auch dadur, daß die Gemeinden, denen in allen diesen Beziehungen, die ih genannt habe, so weitgehende Rechte eingeräumt worden sind, allmählih in die Verfassung kommen, auh von ihren Rechten vernünftigen Gebrauch zu machen und mit Verstand und Billigkeit zu verfahren.

Daß die ganz großen Gewerbtreibenden doch nicht fo schr unter der Gefahr stehen, hier überwältigt zu werden durch andere Majori- täten, das glaube ih, kann man annehmen; denn die Stellung dieser großen Gewerbtreibenden in den Gemeinden ist doch in der Negel von der Beschaffenheit, daß sie sehr wohl im stande sein werden, sih vor Ueberlastungen zu {hüten und fich ihrer Haut zu wehren.

Aus allen diesen Gründen bitte ih, die beiden Anträge ab- zulehnen.

Abg. von Tiedemann - Labischin (freicons.) weist darauf hin, daß jeßt {hon die Interessenkämpfe sehr lebhaft seien; wenn der 8 47 unverändert angenommen werde, würden diese Interessenkämpfe nur verschärft, ja geradezu provocirt werden.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Wenn man die Interessenkämpfe ganz beseitigen wolle, dann müsse man den § 47 vollständig beseitigen, namentli, wenn man der Meinung sei, daß die gleihmäßige Heran- ziehung der Mealsteuern, weil der Steuersatßz derselben ein ver- schiedener ift, zu großen Ungerechtigkeiten führe. Die Commissions- beshlüsse hätten aber wohl das Nichtige getroffen.

Abg. Dr. Meyer (dfr.) empfiehlt die Annahme des Antrages von Tiedemann und will erst im § 48, bei der Einführung der be- sonderen NRealsteuern, die Unterscheidungen machen, welche hier im 8 47 gemacht werden follen.

8 47 wird schließlich unverändert genehmigt und darauf um 4 Uhr die weitere Debatte auf Montag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbeweguna.

Ueber die socialdemokratishe Maifeier liegen folgende Mittheilungen vor:

Aus Chemniß meldet ein Telegramm des „D. B. H.*, der gestrige Tag sei dort vollkommen ruhig, ohne jede auffällige Bewegung verlaufen. In Stelzendorf fand gestern Nachmittag eine für einen Umgebungsbezirk berehnete Maifeier statt, die des regnerischen Wetters wegen aber nur von etwa 500 Perfonen besucht

war. Heute Abend sollen in Chemniß und den Vor- städten se{ch8 große Versammlungen stattfinden. Die Haupt-Maifeier ist für nähsten Sonntag in Aussicht genommen. In Wien ver-

lief einer Meldung des „H. T. B." zufolge die gestrige Maifeier, die durch vierzehn Arbeiterversammlungen eingeleitet wurde, vollständig ruhig. Heute Vormittag fanden tin allen Vororten Arbeiterversammlungen statt. Die Arbeiterführer haben bereits gestern in den Versammlungen die dringende Mahnung erlassen, sih keiner Ausschreitungen \{huldig zu machen. Aus Prag wird berichtet, die heutige Maifeier dürfte unter- schwacher Betheiligung ruhig verlaufen, da ein großer Theil der Fabrikarbeiter den Entschluß kundgegeben hat, heute arbeiten zu wollen. In Amsterdam fand gestern außerhalb der Stadt unter freiem Himmel eine Versammlung des Arbeitervereins „Constantia“ statt, an der etwa tausend Personen theilnahmen. Die Versammlung verlief, wie ,W. T. B.“ meldet, ohne jeden Zwischenfall. Auch eine im Haag abgehaltene und von etwa 600 Arbeitern besuchte Ver- sammlung verlief in vollkommener Ruhe. Nach den bisher aus den Provinzen vorliegenden Meldungen i} es nirgends zu einer Störung der Ruhe gekommen. Aus Madrid wird berichtet, auch in Jerez seien gegen 100 Arbeiter als verdächtig verhaftet worden, um Ausschreitungen am 1. Mai zu verhüten. In Lille wollten einer Meldung des „H. T. B." zufolge die Socialisten heute die Gräber der Gefallenen in Fourmies besuchen. Der Bürgermeister hat aber jede Kundgebung verboten.

Aus Linden-Hannover wird dem „Vorwärts“ mitgetheilt, daß der Ausstand der dortigen Feilenhauer und Schleifer beendet ist. : 2 i:

In Stolberg (Nheinland) is nach demselben Blatt die Streitigkeit beigelegt, die zwischen der Leitung der dortigen Glas )- fabrik und den Flaconarbeitern entstanden war. (Vgl. Nr. 97 d. Bl.)

Anus Leipzig berichtet die „Leipz. Ztg.", daß in einer Versamm- lung am Freitag in der Angelegenheit des Ausstandes der Brauergehilfen in der Naumann'’schen Brauerei zu Plagwiß die Entscheidung gefällt wurde. Sie lautete wider alles Erwarten doch auf das Boycottiren der genannten Brauerei, obwohl der focial- demokratische Neichstags-Abgeordnete Geyer für ein gegentheiliges Ergebniß si) bemühte. (Vgl. Nr. 100 d. Bl.)

Hier in Berlin findet, wie wir der „Voss. Ztg.“ entnehmen, der geplante Ausstand der Anzeiger-Droschkenkutscher nicht statt. Jn einer am Freitag abgehaltenen Versammlung, die von [oa 900 Kutschern besucht war, stellte sich heraus, daß die bei den Anzeigerdroschken angestellten Kutscher mit ihrer Lage zufrieden sind, und man stimmte einer Erklärung zu des Jnhalts, daß der zum 1. Mai beabsichtigte Ausstand, als zur Zeit undurchführbar, nicht . eintreten soll. (Vgl Nr. 77 d. Bk.)

In Wien beschloß am Sonnabend eine Versammlung der strikenden Zimmerleute die Fortseßung des Ausstandes.

Wie aus Paris telegraphisch gemeldet wird, beendete der Congreß der Eisenbahnarbeiter gestern Vormittag seine Arbeiten, stimmte dem achtstündigen Maximalarbeitstag zu und lehnte jede Solidarität mit der Broschüre von Mesmärd ab. Außerdem beschloß der Congreß, an dem im Monat August in Zürich statt- indenden Gonoret theilzunehmen und die Organisation für einen in Frankreih im Jahre 1894 zu veranstaltenden Congreß einzuleiten.

Aus London meldet ein Wolff’ches Telegramm: Die Hafen- arbeiter Londons beschlossen gestern in einer Versammlung, heute in den Ausstand einzutreten, wenn man nicht die niht-unionisti-

schen Arbeiter verabschiede.

Literatur.

i : Sociales.

Die deutsche Arbeitergeseß gebung der Jahre 1883— 1892 als Mittel zur Lösung der Arbeiterfrage von Dr. Aue Kahl, Kaiserlihem Oberförster. (Freiburg i. B., Herder'sche Verlagshandlung, 1893). 89 (X1. 128). 1,30 (A Der Verfasser dieser Schrift wurde von der Absicht geleitet, über die im verflossenen Jahrzehnt zu Gunsten der Arbeiterversiherung und des Arbeiter- \{chußes ergangenen Gesfeße eine gemeinfaßlihe Darstellung zu geben, weil nah dem Erlasse des preußischen Staats-Ministeriums in den Unterricht der Lehrerseminare eine besondere Unterweisung der Zög- linge in den elementaren Grundsäßen der Volkswirthschaft eingefügt werden foll. Diefe Anweisung stüßt sich auf die Allerhöchste Cabinets- ordre vom 1. Mai 1889, worin Seine Majestät der Kaiser und König Allerhöchstseinen Willen dahin ausgesprochen hat, daß die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nußbar zu machen sei, um der Ausbreitung socialistisher und communistisher Ideen entgegen zu wirken. Dr. Kahl ist zur Abfassung dieser Schrift um so mehr befähigt, als er durch seine tühtigen Berichte in forstwirth- schaftlihen Versammlungen des Elsaß bereits bekannt geworden ist. Die vollständige Beherrshung des umfangreichen nationalökonomischen Materials und das daraus folgende sahgemäße Urtheil ist begründet in der praktishen Erfahrung, die er im Verkehr mit dem Unter- personal erlangte. Sein Standpunkt ist ein christliher, der in echter Vaterlandsliebe und treuer Hingebung zum Arbeiterstande bethätigt wird. Der Stoff theilt sih in sieben Kapitel ein: I. Die Noth- wendigkeit erhöhter staatlicher Arbeiterfürsorge aus Anlaß der heutigen Wirthschafts8ordnung, Ik. Die Krankenversicherung, 111. Die Unfall- versicherung, TV. Invaliditäts- und Altersversiherung, V. Das Reichs8- geseß, betreffend die Gewerbegerichte, vom 29. Juli 1890, VI. Das Arbeiterschußgeseß vom 1. Juli 1891, VI1. Sthlußbemerkungen. Nach einem Handschreiben des Fürsten - Statthalters von Elsaß- Lothringen vom 4. Februar d. I. haben Seine Majestät der Kaiser und König geruht, das Allerhöchstihm eingereihte Buch mit dem Ausdruck Seines Dankes anzunehmen. Der Kaiserlihe Schulrath für Elsaß-Lothringen hat die Bezirks-Präsidenten angewiesen, dahin Anordnung zu treffen, daß spätestens bis zum 1. Juli d. J. das Buch für die Schulbibliotheken angeshafft und die Lehrer darauf aufmerk- sam gemacht werden. Möge eine solche Empfehlung ven competentester Seite zu allseitiger Verbreiluna des verdienstvollen Buches beitragen !

E Prachtwerke.

Kinder- und Hausmärchen, gesammelt dur die Brüder Grimm, illustrirt von P. Grot Iohann (Deutsche Verlags- Anstalt in Stuttgart). Diese Märchen, welche aus dem Volks- munde gesammelt zu haben, ein unvergänglihes Verdienst der großen deutschen An und Culturforsher Jakob und Wilhelm Grimm ist, bilden seit langer Zeit einen Hausschaß der deutschen Familie und sind noch heute für Jung und Alt eine unershöpflihe Quelle der Freude und Ergößung. Diese naiven Erfindungen des Volks- geistes verdienen daher gewiß so gut wie die Erzeugnisse der Kunstpoesie, deren Hauptschöpfungen fich dessen längst erfreuen, ein ihrem bleibenden inneren Werth entsprehendes Prachtgewand. Ein folhes hat ihnen die oben genannte Verlagsbuhhandlung dur den gewandten Stift des als Illustrator bereits rühmlich bekannten Malers Grot Johann geben lassen. Die vorliegenden ersten beiden Lieferungen lassen erkennen, daß der bildlihe Shmuck ein wirkli ge- diegener und künstlerischer werden wird. Das gilt namentlih von den reizenden Illustrationen zu den licblichen, poesievollen Märchen von den „Zwölf Brüdern“, dem „Froshkönig“ und dem „Marienkind“. Zu den derberen, schalkhaften Erzählungen hat der Künstler eine Anzahl humorvoller Bilder geschaffen, so zu den „drei Spinnerinnen“", dem „(uten Handel“ und zu dem „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Ferner hat er den Märchen sinnige ÎInitialen vorangestellt. Die auch in Druck und Papier vorzüglich ausgestattete Prachtausgabe erscheint zu dem in Anbetracht des Gebotenen gering zu nennenden Preise von je 1 #4 für die Lieferung, der die Erwerbung auch dem minder Begüterten ermöglicht.

Amerika in Wort und Bild. Eine Schilderung der Vereinigten Staaten von Friedrich von Hellwald. Mit etwa 700 Ansichten. Vollständig in 65 Lieferungen zum Preise von je 50 „4. Verlag von Schmidt und Günther in Leipzig. Die jeßt vorliegen- den Lieferungen 7 bis 9 dieser Volks-Prachtausgabe beginnen mit interessanten Mittheilungen über das rauhe Klima des mit Rom, Philadelphia und Neapel unter derselben geographischen Breite liegenden, unter seinen 365 000 Einwohnern nur 10 000 Deutsche zählende Boston sowie über die überraschend shnelle Einwirkung des Klimas auf die deutshen Bewohner, die in ihrer äußeren Erscheinung binnen sechs bis fünfzehn Jahren vollständig den Eingeborenen ähnlih werden. Von den unregel mäßigen und klippigen, aber malerischen und abwechselungsreihen Küsten von Massachusetts und New Hampshire führt der Verfass:r den Leser mit stets unterhaltenden Schilderungen des Landes und seiner Bewohner sowie nützlichen Mittheilungen über die Verhältnisse beim Reisen auf der Eisenbahn nach den mittelatlantischen Staaten und beschreibt in anschauliher Weise mit Hilfe von zahl- reichen vortrefflichen Abbildungen die großartigen Niagarafälle und ihre Umgebung.

| Unterhaltung

___— Die bei Albin Schirmer in Naumburg a. S. erscheinende, seiner Zeit bereits an dieser Stelle besprochene deutshe Ausgabe der Romane von Charles Dickens ift inzwischen bereits bis zur 34. Lieferung gediehen. Wir haben auf die sorgfältige Verdeutshung dieser Edition, welche Paul Heichen besorgt hat, bereits hingewiesen ; sie soll aber auch die erste wirklih vollständige Publikation der Werke des großen englischen Humoristen werden, die in dieser dem heutigen Geschmack nahe gebrahten Uebersfezung gewiß von vielen Lesern gern in die Hand genommen werden und ste vielleiht meht fesseln dürften als die so häufig innerlich völlig werthlose Duzendwaare der heutigen Romanproducenten. Die Schirmer’she Ausgabe kann in Lieferungen zum Preise von je 40 » oder in Bänden (von 600 bis 800 Drukseiten) geheftet für 3 M, fein gebunden für 3,50 M bezogen werden. Erschienen sind bis jeßt: „Aus zwei Millionen- städten“, ein Band, „Barnaby Rudge“, zwei Bände, „David Copper- field", zwei Bände. Jeder Roman wird auch einzeln abgegeben,

Land- und Forftwirthschast.

Saatenstand in Ungarn.

Aus Budapest wird der „Wien. Ztg." nach den vom 16. bis 29. v. M. bei dem Königlich ungarischen Ackerbau-Ministerium ein- elangten Berichten telegraphisch gemeldet: Das Wetter, welches Fan in der vorhergegangenen Berichtsperiode für die Entwicklung der Saaten ungünstig war, zeigte sich auch in den beiden leßten Wochen der Entwicklung der Pflanzen nicht günstiger. Zahlreich sind die Klagen „Uber: eine weitere erschlechterung des Weizenanbaues, ferner find viele Meldungen über hochgradiges Schütterwerden der NRoggen-, Raps- und Herbsthafersaaten eîn- gelangt. An manchen Stellen ist der Anbau vollständig zu Grunde gegangen, fodaß aufgeackert werden mußte. Selbstverständlich könnten fich die Saaten, insbesondere die Weizenfaaten, welhe das ungünstige Wetter relativ noch am besten überstanden, durch ausgiebigen Regen bessern. (Nach Meldungen des Meteorologischen Instituts fiel gestern ein Landregen.) Unter den emporgekeimten Frühjahrssaaten litt der Gerstenanbau am meisten. Hafer steht ziemlih gut, aber, wie die

meisten übrigen Frühjahrssaaten, ungleichmäßig und schütter.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln,

Cholera. Paris, 30. April. Nach Meldungen des *,W. T. B.® aus Lorient foll die choleraartige Epidemie, die dort herrschte, jeßt voll» * ständig erloschen sein. :

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