1893 / 105 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 03 May 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Wahl, apostolischer Vicar von Sachsen, der frühere Armec- Bischof Namczanowsky aus Oliva, der Bischof Thiel aus Ermeland und der Dompropst von Pelplin hier eingetroffen. Das Metro- politan-Domcapitel brachte heute Vormittag die Glückwünsche zum Jubelfeste dar. Dompropst Dr. Berlage hielt an den Ge- feierten eine herzlihe Ansprache und überreichte ihm eine kunstvoll ausgeführte, in lateinisher Sprache abgefaßte Adresse. Nachdem das Domcapitel sich verabschiedet, brachten die Domvicare dem Cardinal ihre Gratulation dar. Dabei hielt Protovicar Witteler im Namen der Vicare die An- sprache. Der Cardinal sprach beiden Körperschaften seinen Dank aus. Sachsen.

Jhre Majestäten der König und die Königin haben ih heute zu mehrwöchigem Aufenthalt nah Sibyllenort be- geben.

Hessen.

Die Zweite Kammer ist gestern wieder zusammen- getreten.

Anhalt.

Jhre Hoheiten der Herzog und die Herzogin sowie Jhre Durchlauchten die Prinzessin Alexandra und der Prinz Eduard sind gestern von Meran wieder in Dessau eingetroffen.

Schwarzburg-Sonders8hausen.

Ihre Durchlauchten der Fürst und die Fürstin haben sih gestern zum Kurgebrauh nach Wildbad begeben.

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser ist gestern Abend 81/4 Uhr nah Budapest abgereist, wo große festlihe Vorbereitungen zum Empfang ge- troffen worden sind. Bei der Abreife begrüßte die vor dem Bahnhof angesammelte Menge den Kaiser auf das wärmste. Die Ankunft in Budapest erfolgte heute früh um 5 Uhr 40 Mi- nuten. Bereits um 4 Uhr früh waren sämmtliche nah dem Bahnhof führende Straßen von einer großen Menschenmenge beseßt, die Häuser waren reich decorirt. Auf dem Bahnhof hatten sich der Minister-Präsident “Dr. Wekerle mit den übrigen Ministern, zahlreiche Abgeordnete ohne Unterschied der Parteistellung, darunter Graf Apponyi und Koloman Tisza, die Bischöfe sowie Vertreter der Gemeinde und zahl- reiche andere Persönlichkeiten eingefunden. Der Kaiser wurde enthusiastisch mit brausenden Eljenrufen empfangen. Allerhöchst- derselbe zeichnete den Minister-Präsidenten Dr. Wekerle durch eine Anjprache aus, reihte den Ministern und dem Erz- bishof Csaszka die Hand, sprach auch den Abg. Tisza sowie den Bürgermeister an und fuhr sodann unter enthusiasti- schen Eljenrufen der dichtgedrängten, Spalier bildenden Menge in ciner Hofequipage, welcher zahlreiche andere Wagen folgten, nach der Hofburg.

Großbritannien und Jrland.

n der gestrigen Sivung des Unterhauses“ er- ae wee W T B „berichtet, der Pavlaments- Secretär des Auswärtigen Sir E. Grey, bei den Unter- handlungen mit Rußland über die Pamirfrage werde England die legitimen Jnteressen Chinas und Afghanistans

berücksichtigen, aber gleichzeitig die s{hwerwiegenden Jnter- essen Englands wahren. Gegenwärtig fänden freund- schaftlihe Unterhandlungen mit Rußland statt. Die Vor-

legung des bezüglihen Schriftwechsels sei jedoch in dem gegenwärtigen Stadium der Verhandlungen unthunlich. Rußland habe versichert, daß das russishe Detachement im Pamirgebiet angewiesen sei, keine activen Operationen vor- zunehmen, und daß während der Unterhandlungen in diesem Jahre keine Expedition nah dem Pamirgebiet abgchen solle. Die Aussicht auf eine befriedigende Lösung, der Pamirfrage sei vorhanden: das Unterhaus möge aber durch eine Debatte die Unterhandlungen nicht gefährden. Jm weiteren Verlaufe der Sißung wurde die zweite Lesung. der Budget-Bill ohne be)ondere Abstimmung angenommen.

Die Parlamentsmitglieder Carmarthen, W. H. Grenfell, G. Howell, H. Meysey-:Tompson, W. E. M. Tomlinson, E. F. Vesey- Knox haben der „A. C.“ zufolge dem Premier- Minister Gladstone als Erstem Lord des Schaßamts das folgende Memorandum zugestellt:

Die Internationale Münzconferenz, die im vergangenen November tagte, hat sich vertagt, um am 30. Mai d. J. wieder zu- fammenzutreten. Die auf der Conferenz vertretenen Regierungen waren ciner ausgiebigen Verwendung des Silbers geneigt, um den wachsenden Unterschied zwishen den Beziehungs8werthen zwishen Gold und Silber aufzuhalten. Seit der Tagung der Conferenz ift der jährliche Bericht des Finanz-Ministers von Indien veröffentlicht worden, der die Schwierigkeiten in Bezug auf die andauernde Differenz zwischen dem Gold- und dem Silkerwerth nahweist. Der {were Drudck, der auf den meisten Zweigen des Handels, der Industrie und der Landwirthschaft lastet und die producirenden sowie die arbeitenden Klassen betrifft, wächst noch immer; Beweis hierfür ist die große Anzahl unbeschäftigter Arbeiter. Die ernste Lage des Arbeitsmarktes, den der Gewerke mit eingeschlossen, geht aus den Berichten in dem Journal“ des Handelsamts hervor. Daher balten es die Unterzeichneten für nothwendig, auf Abhilfe der mit der Währungs- frage verknüpften Schwierigkeiten weiterhin zu sinnen, um die berrschende Handeléstockung zu mildern. Die ergebenst Unterzeichneten Tegen daher Ihrer Majestät Regierung die Wiederernennung der Delegirten zur Münzconferenz nahe.

Frankreich.

Jn dem gestern abgehaltenen Ministerrath wurde dem „W. T. B.“ zufolge mitgetheilt, daß der R von Dahomey einen Boten mit dem Königsstabe nah Weidah

esandt habe, mit dem Auftrag, Frankreih und dem Präsi- enten Carnot seinen Gruß zu entbieten. Man habe ihm antworten lassen, er möge sih persönlich einstellen, da die Worte von Unterhändlern genügender Authenticität entbehrten. Wie anderweitig verlautet, hätte der König seine Unter-

werfung angeboten; darauf sei ihm die Antwort ertheilt worden, die Regierung sei geneigt, in Ver- handlungen einzutreten unter der Bedingung, daß er

abdanke und seinen Wohnsiß von der Regierung angewiesen erhalte. , Nunmehr habe der König einen Boten mit der Antwort geschickt, er perfönlih würde gern in die Abdankung einwilligen, falls Frankreih ihm eine Weifion zusichere, aber seine Religion verbiete ihm, Dahomey zu verlassen. Die Re- ees habe darauf den Obersten Lambinet, den Nachfolger

es Generals Dodds, angewiesen, dem Boten zu antworten, man könne nur mit dem König selbst unterhandeln, dem ein freies HKeleit nah Abomey zugesichert werde.

Der Ministerrath hat den Justiz-Minister Guérin und den Unterrichts-Minister Poincaré beauftragt, die Regierung bei der Einweihung des Hafens von Tunis zu vertreten.

In der gestrigen Sißung der Deputirtenkammer be- antragten die Deputirten Guillemet und Jves Guyot die Dringlichkeit zu Gunsten eines Antrags auf Aufhebung des Octrois. Der Minister des Jnnern Dupuy bekämpfte dice Dringlichkeit, weil der Antrag vorher reiflih durchstudirt werden müsse. Hierauf wurde dieDringlichkeit mit 252 gegen 246Stimmen angenommen. Der Deputirte D um ay (Socialist) rihtete sodann an die Regierung eine Jnterpellation wegen des vorgestrigen Tages und sprach sih mißbilligend über die Herausforderungen der Polizei, die Schließung der Arbeitsbörse und über seine und Baudin’'s Verhaftung aus. Der Minister des Jnnern Dupuy rechtfertigte die getroffenen Maßnahmen und führte aus, Baudin sei verhaftet worden, weil er die Menge aufge- fordert habe, die Polizei anzugreifen. Der Minister fügte hinzu,

die Regierung wolle, daß jedermann das Geseß respectire, und sie werde auh verstehen, demselben Achtung zu verschaffen. Jeder Deputirte, welcher die

öffentliche Ordnung auf der Straße stöôre, werde verhaftet werden. (Unterbrehung auf der Linken.) Der Deputirte Baudin blieb in seiner Erwiderung dabei, daß der Bericht der Polizei unrichtig sei; er habe sih keines Vergehens shuldig gemacht und sei auf dem Polizeibureau von einem Polizei- agenten geohrfeigt worden. Der Minister Dupuy erwiderte, die Regierung habe ihre Pflicht gethan, indem sie die Ordnung aufrechterhalten habe. Der Deputirte Pourquéry de Boisserin protestirte gegen die einem Deputirten gegen-

über angewendete Handlungsweise der Polizei. Der Deputirte Cassagnac beantragte, daß Baudin vor das

Gericht gestellt würde, damit Licht übex die widersprechenden Behauptungen verbreitet werde. Der Deputirte Millerand brachte hierauf eine Tagesordnung ein, wonah eine Unter- suchung über die der Polizei zum Vorwurf gemachte Brutalität eingeleitet werden solle. Der Minister des Jnnern Dupuy sprach gegen diesen Antrag und verlangte die einfache Tages- ordnung, die auh mit 319 Stimmen gegen 150 angenommen wurde. Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.

Italien. Der König Und die Konigin sind gestern früh wieder in Nom eingetroffen.

Spanien.

In Madrid eingetroffene amtliche Depeschen aus Cuba melden, daß sieben Jnfanterie- und Cavallerie-Colonnen die Aufrührer verfolgten. Die aufständishe Bewegung bleibe auf ihren ursprünglichen Herd beschränkt.

Schweiz.

Seite Majestät der Deut)he Katser hat wie „W. T. B.“ aus Bern meldet, folgendes Telegramm an den Bundes-Präsidenten Schenk gerichtet :

„Es liegt Mir am Herzen, Jhnen beim Verlassen des s{chweizer Bodens Meinen und der Kaiserin aufrihtigen Dank für die freund- lihe Begrüßung seitens des Bundesraths und für den sympathischen Empfang, der Uns seitens des schweizer Volks zu: theil geworden, zu wiederholen und Ihnen als Repräsentanten der Schweiz und ihrer Bürger Meine besten Wünsche zur Gegenwart und Zukunft des Landes auétzusprehen. Wilhelm.“

Griechenland. Die Prinzessin von Wales beabsichtigte mit den Prinzessinnen Victoria und Maud gestern Abend auf der Yacht „Osborne“ die Rückreise von Athen anzutreten.

Bulgarien.

Der Prinz Und die Prinzessin Ferdinand von Sachsen-Coburg sind gestern von Athen, wohin dieselben sih von Malta begeben hatten, nah Trie st abgereist.

Sämmtliche Listen mit den regierungsfreun d- lichen Candidaten sind, wie „W. T. B.“ meldet, bei den Wahlen durchgedrungen. Unter den Gewählten befinden sich außer den früheren Ministern auch Zankow und mehrere seiner Anhänger, die auf ihr ausdrücklihes Verlangen in die Listen der Negierungsfreundlichen aufgenommen worden waren.

Schweden und Norwegen.

Jn der gestrigen Sißung des norwegischen Staats- raths wurde, nah ciner Meldung des „W. T. B.“ aus Christiania, die Demission des “bisherigen Ministeriums angenommen und das Ministerium Stang ernannt. Die Mitglieder desselben sind: Emil Stang, Staat3-Minister

in Christiania; Gram, Staats - Minister in Stockholm; erner Staatsrathe: «Hagerup, „Lhorne Und Furu; ehemalige Staatsräthe: Bang, Professor; Ols\on, Ar-

Moß- HDarbiß, unter die

tillerie - Hauptmann; Nielsen, Betriebsdirector ; feld, Assessor des Höchsten Gerichts, und Konsul. Die Portefeuilles sind folgendermaßen Mitglieder des neuen Cabinets vertheilt worden: Stang, Revisions-Minister; Thorne, Minister des Jnnern; Furu, Finanz-Minister; Bang, Unterrichts-Minister ; Hagerup, Justiz- Minister; Olsfon, Vertheidigungs-Minister; Nielsen, Arbeits- Minister. Gram, Moßfeld und Harbiz sind den „Aften- posten“ zufolge zu Mitgliedern der norwegischen Staatsraths- delegation in Stockholm ernannt worden.

Amerika. Wie das „Reuter'she Bureau“ aus Lima meldet, herrscht in Peru infolge der Prâäsidentenwahlen eine große Er- g

regung. Die Minister haben ihre Entlassung ein- gereiht. Zwischen den Anhängern der Präsidentschafts-

Candidaten Caceres und Pierola kam es zu Zusammenstößen, wobei einige Personen verwundet wurden.

Afrika.

Das Ministerium des Kaplandes hat, wie das „Reuter she Bureau“ berichtet, wegen persönliher Meinungs- verschiedenheiten demissionirt. Der bisherige Minister- Präsident Sir C. Rhodes wurde mit der Neubilbung- des Cabinets beauftragt.

Nach einer Meldung der „Times“ aus Sansibar von gestern waren daselbst Nachrichten aus Mengo vom 10. Februar eingetroffen, denen zufolge Capitän Williams und Major Smith die in der Nähe des nördlichen die des Victoria- Njansa-Sees belegenen Uvuma-Jnseln infolge von Heraus- forderungen der dortigen Eingeborenen angegriffen und diese leßteren mit Hilfe eines Maxim-Geschüßes geschlagen haben. Es wurden drei der Jnseln erobert und etwa 100 Sklaven in Freiheit gesetzt.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Der Bericht über die gestrige Sißzung befindet sih in der Ersten Beilage.

88. Sißung vom Mittwoch, 3. Mai, 12 Uhr.

Der Sißung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher, Frei- herr von Malgtahn und Hollmann, der Königlich preußische Kriegs-Minister von Kaltenborn-Stæchauw, der Königlich bayerishe Gesandte Graf von Lerchenfeld-Köfering, der Königlich sächsishe Kriegs-Minister von der Planiß, der Königlich sächsishe Gesandte Graf von Hohenthal und der Königlich württembergishe Staats-Minister des Kriegswesens Freiherr Schott von Schottenstein.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Geseßentwurfs,. betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutshen Heeres. Die Friedenspräsenzstärke sollte. danach vom 1. Oktober 1893 bis 31. März 1899 auf 492068 Mann

festgestellt werden; für dieselbe Zeitdauer sollte die zwei-

jährige Dienstzeit für Fußtruppen eingeführt werden. Die Zahl der Unteroffiziere soll ebenso wie die Zahl

der Offiziere alljährlih durch den Etat festgestellt werden. Vom 1. Oktober 1893 sollte die Jnfanterie in 711 Bataillone, die Cavallerie in 477 Escadrons, die Feld-Artillerie in 494 Batterien, die Fuß-Artillerie in 37 Bataillone, die Pionierc in 24 Bataillone, die Eisenbahntruppen in 7 Bataillone und der Train in 21 Bataillone. formirt werden.

Die Commission hat die Vorlage abgelehnt.

Heute liegen folgende Anträge vor:

1) Die Abgg. Dr. Althaus (dfr.) und Genossen bean- tragen, die Friedenspräsenzstärke wie bisher auf 486 983 Mann festzustellen, aber die zweijährige Dienstzeit für die Fußtruppen unter Aenderung des Art. 59 der Verfassung einzuführen.

2) Ein Antrag vom Abg. Freiherrn von Huene (Centr.). (Dieser heute eingegangene Antrag is hiernah besonders im Wortlaut wiedergcgeben.)

3) Ein Antrag des Abg. Grafen Preysing (Centr.) wil die Friedenspräsenzstärke auf 420 031 Mann fejtstellen.

Der Referent Abg. Gröber (Centr.) berichtet über die Com-

missionsverhandlungen und \{lict feine Ausführungen, die \sonst nur Bekanntes enthalten, mit folgenden Worten : Wenn unsere Nachbacn im Westen und Osten hoffen sollten, aus dem Zwiespalt - der Parteien in dieser Frage für sid)

Vortheil zu ziehen, fo ift dieje Hoffnung gänzlich eitel. Das Ausland wird das deutsche Volk stets geeinigt finden, wo es sih darum handelt, das Vaterland zu vertheidigen. (Beifall.) Es handelt sich nur darum, ob man das Vaterland besser {üßt durch mehr Soldaten und Mebhr- formationen oder dadurch, daß man die natürlichen Kräfte des Volkes im Frieden {üßt und dadur den Kricg am besten vorbereitet. Reichskanzler Graf von Caprivi (wir werden diese Nede morgen im Wortlaut bringen): Von allen einzelnen Fragen der Militärvorlage hat feine einen fo breiten Naum eingenommen, wie die der zweijährigen Dienstzeit. Die Anhänger derselben erkannten die zweijährige Dienstzeit an, waren aber niht geneigt, die Con- sequenzen zu ziehen, unter denen allein die verbündeten Regierungen dieselbe bewilligen konnten. Die Conservativen aber hielten traditionell an der dreijährigen Dienstzeit fest. Ich kann es den Conservativen nicht genug danken, daß sie treu der Regierung zur Seite standen und ihre einzelnen Interessen unterdrückt haben. Wir haben die Ueberzeugung gewonnen, daß die Wehrkraft, so wie sie jeßt liegt, niht ausreiht. Mean entgegnet uns, sie reiht wohl aus ; man stellt Berechnungen allerlei Art an. Diese Methode kann keinen, oder wenigstens nit den Erfolg haben, die verbündeten Regierungen zu über- zeugen, Es ist überhaupt niht möglich, durch irgendwelche Art von Exempel festzustellen, was dazu gehört zu siegen. Man wird eben niht umhin können, der Meinung derjenigen, deren Beruf es ift, sich mit militä- rischen Dingen zu beschäftigen, ein höheres Gewicht beizulegen, als Laien, die sich nur hin und wieder damit beschäftigen. Man hat durchblicken lassen, daß wir keine Roon und Moltke sind. Als Noon und Moltke ihre Kriegslaufbahn betraten, hatte der erstere nur den badischen Feldzug, der leßtere nur eine Schlacht in Kleinasien binter sich. Die jeßigen Führer, welche berufen sind, ihre Kraft und Repu- tation im Falle eines Krieges einzuseßen, können doch auf andere Kriegserfahrungen zurückblicken. Man muß ihnen vertrauen, wenn sie sagen, die jeßige Heeresverfassung Deutschlands reicht niht aus. Kein einziger Generalstabs-Offizier, welcher mit der Vorbereitung der Ver- theidigung des Vaterlandes betraut ist, ist der Meinung, daß die jeßige Heeresstärke ausreicht. Die verbündeten Regierungen sind wie früher der Meinung, daß es sich um die Zukunft, um die Existenz Deutsch- lands handelt. Wir würden uns an Deutschland auf das \chwerste

versündigen, wenn wir niht, dem Nathe der Offiziere folgend, diese Vorlage durchzubringen suchen. Wir werden alle uns

zu- Gebote stehenden verfassungsmäßigen Mittel anwenden, um diese Verstärkung der Armee herbeizuführen. Wir wollen dadurch den Frieden erhalten. Mein Herr Amtsvorgänger hat so wie ih die Ueberzeugung gehabt, daß die Armee verstärkt werden müsse. Jch nehme an, es ift niemand in diesem Hause, dex den Fürsten Bismarck nicht für cine diplomatische Autorität hält, wie sie in Jahrhunderten nur selten vor- kommt. Es fönnen aber niht immer Diplomaten ersten Nanges an der Spitze der Geschäfte stehen. Selbst Friedrichs des Großen

diplomatischem Talent is es niht gelungen, zu Zeiten denKrieg zu vermeiden. Werden wir zum Kriege gedrängt, so wollen wir siegen, wir wollen nicht unterliegen; wir

wollen die Herren des Schlachtfeldes bleiben. Unter den europäischen Mächten herrscht eine gewisse internationale Concurrenz in Bezug auf die Heeresstärke. Keine Macht kann sih dem entziehen, keine Macht kann abrüsten, wenn man nichk den Grund der Nüstung beseitigt ; sonst müßte man sofort wieder von neuem rüsten. Keine Macht kann hinter der Kriegsstärke anderer zurückbleiben; - denn jedes Stehenbleiben is ein Zurückgehen auf diesem Gebiet. Es kann auch niemand’ eine Garantie dafür übernehmen, daß man mit ciner gewissen Truppenzahl nicht geschlagen wird. Mgn sagt: wir haben nicht allein Vertrauen zur Armee, sondern das ganze deutsche Volk fürchtet nur Gott. Schön! Wundervoll! Aber man kann so furhtlos ins Gefecht gehen wie der größte Held der Welt, allein man hat keine Garantie, daß man nicht geschlagen wird, wenn die Waffen und Mann- schaften niht ausreichen. Wie Graf Moltke über die Stärke im Kriege dachte, ist aus seiner Denkschrift in dem Generalstabswerk zu ersehen, die ih bereits in der Commission vorgelesen habe. Er sagt darin unter anderem, Deutschland kann \ih gegen Frankreich allein wehren; wäre es dazu nicht in stande, dann fönftte es niht mehr bestehen. Wir haben nicht das Bestreben der politishen Offensive, aber wir haben das Bedürfniß, in der Lage zu sein, strategish offensiv sein zu können, d. h. den Kriegs[chauplatz in des p zu verlegen. Wir sind darauf angewiesen, den Krieg {nell zu Ende zu führen, Ob wir heute noch im stande sind, den Feind abzuwehren, selbst wenn ih nur nach Westen sehe, ich will niht von zwei Frontén sprechen: das mag dahingestellt sein. Wir haben Grenzen, wie kaum eine andere Nation; man seyt sih über die Schicksale der Grenzlande zu leiht hinweg. Wir haben auf dem linken Rheinufer eine nicht ier Beenis, an welcher eine große Men no liegt. Ungleich unglücklicher liegen unsere Grenzen im Osten. Die Grenze ist durch fein Gebirge, keinen Fluß geshüßt. Kann uns das Schicksak dieser Grenzlande gleichgültig sein? at es gleihgültig, ob Ost- und Westpreußen, dn und Schlesien von Ruffen überschwemmt wird ? Ich rufe die Vertreter der Stadt Danzig auf! Erinnert sich Danzig

E

noch, was es von der Belagerung auszuhalten hatte an Epidemien, Hungers-, Feuers- und Wasserxsnoth? Lebhafter noch sind die Erinnerungen in der Pfalz. Die Pfalz mußte 1870 darauf gefaßt sein, der Kriègsfhauplaß zu sein. Was ist natürlicher, als daß man gerade da ein lebhaftes Interesse dafür hat, daß die Streitkräfte Deutschlands möglichst verstärkt werden, damit der Kriegsshauplaß offensiv in die feindlichen Gebiete verlegt werden kann. Ueber die Bewegung in der Pfalz ist in den Zeitungen mit Gespött hingewiesen worden. Warum haben wir denn Deutsch

land geschaffen? Um etwa unsere Grenzen preiszugeben oder um ein einig Volk von Brüdern zu haben und nicht an der Grenze beim ersten Wetterleuchten dazustehen ?

\chutlos Wenn Elsaß-Lothringen Kriegsshauplaß werden Fol, n das die Reichslande für Deutschland gewinnen. Ich glaube, Deutschland will die Reichslande hüten und fie nicht preisgeben. Von den Gründen, welche für die Militärvorlage vorgebracht find, ist nicht ein einziger widerlegt worden, man hat vielmehr anerkannt, die Militärvorlage ist ein durhdachtes Werk. Man kam {ließlich dazu: Ja, wir geben Euch niht mehr; seht nur zu, wie ihr es mat. Zwei Fragen schienen mit Recht geltend gemacht werden zu können: Die Unteroffizier- frage und die Frage nah der Zahl der Tauglichen. Die Militär- verwaltung kann den Beweis beibringen, daß diese Fragen nicht von Bedeutung sind. Ferner die Deckungsfrage. Man i} bis zu sehr crassen Uebertreibungen gegangen; man hat gemeint, wir würden durch die Einführung der Steuern ein Volk von Bettlern werden. Das glaube ih niht. Es ist klar, daß die aufgelegten Lasten drüen, daß niemand gern mehr zahlen will, namentli wenn fein Abgeordneter ihm vorrechnet, daß es nicht nöthig is. Aber sicher ist : die hervorragendsten Volkswirthschaftslehrer sind der Mei- nung, daß die Militärlasten auf den Kopf der Bevölkerung und überhaupt die Belastung auf den Kopf der Bevölkerung geringer ist als bei anderen Völkern. Wir halten die vorgeshlagenen Steuern

noch jeßt für die besten, wir würden aber, wenn andere vor- geshlagen werden vom MNeichstag, darüber in Erwägungen eintreten. Nun wurde derx Militarismus, der alte Gaul aus den sedchziger Jahren, wieder aus dem Stall hervor-

geholt neu aufgezäumt, und so lahm er war, uns vorgeritten. Er wurde als culturfeindlih, als antiparlamentarisch bezeichnet. Die Socialdemokraten s{müdckten ihn mit dem Beiwort: Der Moloch! Zur Zeit der Militärreform in Preußen ging das Wort Militarismus einher mit dem Söldnerheer. Wenn Deutschland seine Cultur- aufgabe erfüllen soll, muß es doch erst da fein, muß es doch erhalten werden! Jeder Mensch würde es vorziehen, Ausgaben für Kunst, Wissenschaft, Schule und Landesmelioration zu machen, das ist selbstverständlih. Aber wo sißt in der Vorlage der Militarismus ? Die Vorlage ist auf das mindeste Maß zugeschnitten, es ist keine ver- meidliche Ausgabe darin enthalten. Bei allem Bemühen kann ih also diesea Einwand nicht als gerehtfertigt anerkennen. Ich glaube im Gegentheil, daß man an der Armee Deutschlands manche gute Seite erkennen kann. Für die Angliederung der neuen Provinzen, für das Zusammenschweißen Deutschlands is der Kitt die Armee gewesen. Man beruft sih auf die Volks\timme. Gewiß, es is Verstimmung in vielen Landestheilen da. Ih will nicht darauf eingehen, wie weit diese Ver- stimmung cine Folge unserer ganzen modernen Geistesrichtung ist, welche keine Befriedigung aufkommen läßt. Jch gebe auch zu, daß die Verstimmung zunehmen kann, wenn es nicht glückt, der Nation Îlar zu machen, daß diese Vorlage nothwendig is. Man sagt!: Warum aber im jetzigen Augenblick eine solche Vorlage? Wir können niht warten, bis wir die Probe vor dem Feind machen müssen. Oder follen wir warten, bis das Verlangen .nach der Vorlage aus den Wahlkreisen kommt? Wenn man auf Stimmungen Nücksiht nimmt, dann liegt cs nahe, au auf die Stimmung Nücksiht zu nehmen, welche im Lande vorhanden sein wird am ersten Mobilmachungstage.

Dann brauchen wir die herzlihe Theilnahme, das entschlossene Eintreten der ganzen Nation. Unser Auftreten wird bedingt von dem Gefühl, welches wir s\elbst von unferer Stärke dem Feinde gegenüber haben. Die Stimmung wird nur dann eine gute und muthige sein, wenn die Sicherheit

vorhanden ist, daß alles geschehen ist, was geschehen fonnte. Dann wird es sih nicht um Geldopfer bloß handeln, sondern auch um Blutopfer, die dann niht mehr geringer gemaht werden können. Wir werden aber an Blut sparen, wenn zur rechten Zeit die Aende- rungen vorgenommen werden, die erforderlich find, wenn unsere Armee verjüngt wird. Wir dürfen niht das Gefühl, die Shwächeren zu sein, in der Nation aufkommen lassen. Wenn die Militärvorlage nicht zu stande Éâme, würde im Volk und in der Armee etwas von dem Ge- fühl zurückbleiben, wir sind niht mehr so stark wie früher. Es wird die Zeit kommen, wo eine volle Patronentasche mehr werth is als ein volles Portemonnaie. Zu dieser Zeit soll uns nicht der Vorwurf treffen, daß wir den richtigen Augenblick versäumt haben. Die ver- bündeten Regierungen wollen das ihrige thun, um das Bewußtfein zu haben, daß sie nihts versäumt haben. Wir wollen nicht, daß das Volk und die Armee eine Einbuße an Selbstgefühl erleiden. Wir würden es s{hmerzlich empfinden, wenn die Militärvorlage ab- gelehnt wird. Handel und Wandel wollen mit Zuversicht darauf rechnen können, daß sie für längere Zeit nit gestört werden. Wenn die Militärvorlage nicht durhgeht, wird auch für die Landwirthschaft Beunruhigung eintreten; bei jedem politishen Wölkchen wird man nah dem Wetterglase laufen, um zu sehen, wie es steht. Wir würden die zweijährige Dienstzeit nicht einführen können und den verheiratheten Mann, den Familienvater nicht an die Stelle bringen können, die ihm im Kriegsfalle zukommt. Ein patriotischer Mann, der lange im Auslande gelebt hat, sagt, daß er niemals ein so peinliches Gefühl gehabt babe, als jeßt während der Verhandlungen über die Militärvorlage. Wie wird es in der Presse des Auslandes aussehen, wenn die Militärvorlage fällt! Noch hält sich diese Presse zurück. Aber was nachher zu lesen sein wird, wird fehr peinlich sein. Man hat Gegenvorschläge gemacht: zu- nächst die Miliz, Im Reichstag wird #sch wohl dafür keine Mehrheit finden. Aber es giebt Richtungen, welche der Miliz vorarbeiten, wie es Parteien giebt, welhe der Sccial- demokratie vorarbeiten. Denn wenn man uns zumuthet, die zwei- ¡ährige Dienstzeit ohne Verstärkung der Präsenz anzunehmen, so ift das der erste Schritt auf der Bahn zur Miliz. Der Antrag Althaus wiederholt einen Antrag aus der Commission; er ist heute den ver- bündeten Negierungen ebenso unannehmbar, wie er es früher war. Auch der Antrag des Abg. Grafen Preysing, der früher Lieber hieß, „trägt die Spuren des beginnenden Milizsystems an sich. In seinem Wahlkreise hat der Abg. Dr. Lieber eine Rede gehalten, in welcher er sagte: Mögen auch die Forderungen der Regierung voll- kommen berechtigt sein, so ist das Bestehen einer Partei, wie das Centrum, doch noch wichtiger. Vielleiht wird der Abg. Dr. Lieber in der Lage sein, mir das Körnchen von Patriotismus, welches in dieser Nede enthalten ist, nahzuweisen. Dex Abg, Bebel hielt in der Com- mission eine Rede über die politische Lage, wie kein Regierungscommissar sie besser halten konnte. Ich hoffte, er würde schließen mit der Forderung : Alfo bewilligen wir die Militärvorlage! aber er verlangte eine A minderung der Präsenzstärke. Der „Vorwärts* brachte eine Reihe von Artikeln über die Frage: Kann Europa abrüsten? Darin wurde die Fugenderziehung verlangt; Unteroffiziere sollten bei den Schulen

angestellt werden. Und was denkt \ich der Verfasser: Er schreibt : Wenn die Unteroffiziere ‘aus der Heimlichkeit der Kaserne und entrückt dem geheimen Prozeßverfahren an

die Oeffentlichkeit des Schulhofes kommen, dann wird die rebellische Jugend sie hon mores lehren. Jch begreife das bei den Social- demokraten, aber ih bedauere, daß andere ihnen dabei vorarbeiten. Der Antrag Huene is dankenswerth, aber ih kann mi darüber noch nicht Cußern, denn der Antrag ist den Regierungen nicht früher zugegangen als den Abgeordneten. Es muß erst Rükfrage gehalten werden. meifle nit, daß die verbündeten Regierungen die Vorlage vor-

(Schluß des Blattes.)

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Preußischer Landtag. Herrenhaus.

_Der Bericht über die gestrige Sißung befindet sih in der Ersten Beilage. i 14. Sißung vom 3. Mai.

Der Sigzung wohnen der Justiz-Minister Dr. von Schelling und der Minister der geistlichen 2c. Angelegen- heiten Dr. Bosse bei.

Das Haus beschäftigt sich zunächst mit der geschäftlichen Behandlung der aus dem anderen Hause zu erwartenden Steuergescez e.

Freiherr von Manteuffel hält die Niedersctun mehrerer Commissionen für nöthig, deren eine si aussclickli mit dem Communalsteuergeseß zu - beschäftigen haben würde. Doch sei Eile keineswegs geboten, da man kaum annehmen könne, daß das Abgeordnetenhaus die Steuervorlagen fertig stellen werde, bevor das Herrenhaus definitiv in der weiten Abstimmung über das Wahlgeseß entschieden habe. Das Herrenhaus könne also ohne Schaden \ich zu einem späteren Termin über die geschäftlihe Behand- lung {lüssig machen und habe dann immer noh Zeit, auch eine Generaldiscussion über die Vorlagen stattfinden zu lassen, wenn diese für angezeigt gehalten werden sollte.

_ Das Haus nimmt demgemäß von sofortiger Beschluß- fassung Abstand.

__ Die Communalcommission erstattet wiederholt Bericht über die Vorlage, betreffend Ru hegehaltskassen für die Volks- \chullehrer. Behufs Prüfung der vom Ober-Bürgermeister Bötticher angeregten Frage, welche Mehrbelastung der Ent- wurf für die größeren Stadtgemeinden herbeiführe, und ob die Kassenverbände beim Ausscheiden der leßteren nicht lebensfähig blieben, war die Vorlage an die Commission zurückverwicsen und diese um 5 Mitglieder verstärkt worden.

Nach der Vorlage soll in Ergänzung des Lehrerpensions- geschßes von 1885 bestimmt werden, daß behufs gemeinsamer Bestreitung des durh den Staatsbeitrag nicht gedeckten Theils der Lehrerpensionen vom 1. April 1893 ab für die zur Aufbringung verpflichteten Schulverbände (Schulsocietäten Gemeinden, Gutsbezirke) in jedem Regierungsbezirk eine Ruhe- gehaltskasse gebildet wird. Den Maßstab für die Vertheilung des Bedarfs bildet die Jahressumme des pensionsberechtigten Diensteinkommens der Lehrer und Lehrerinnen des Kafssenbezirks.

__ Referent Landrath von Breitenbauch: Auch die verstärkte Com- mission hat sih für das Ausscheiden der größeren Stadtgemeinden nicht entscheiden können; sie kann niht anerkennen, daß diese durch das Gesey überlastet oder auch nur empfindlich herangezogen werden wUrden.

Correferent Ober-Bürgermeister Fu ß (Kiel) vertritt den Stand- punkt der Commissionsminderheit. Dex Geseßentwurf gehe ohne weiteres über den Verfassungsgrundsaß hinweg, daß die Gemeinden die Verpflichteten für die persönlihen Schullasten seien, und ziche die besser situirten Gemeinden zwangsweise zu Lasten heran, die sie nicht zu tragen hätten. Der Schuletat mancher der in Betracht kommenden größeren Communen werde durch das Gesetz verdoppelt, ja verdreifaht, Die Negierung behaupte, die Vorlage sei nur ein Mittel der ausgleihenden Gerechtigkeit, da die Städte dur die Anstellung zu junger Lehrer sih - den Vortheil

der Nuhegehaltsfkassen selbst verscherzten. Die Städte könnten aber doch unmöglih den nöthigen Ersay an Lehrern aus den Kreisen der älteren ländlihen Lehrer entnehmen; außerdem

aber existire eine Verfügung, welche eine solhe Entnahme mittel- bar ershwere. Die Annahme der Vorlage werde eine ganz ungerechte Mehrbelastung der großen Städte zur Folge haben. Für leistungs- unfähige Schulverbände habe verfassungsmäßig der Staat einzutreten. Jedenfalls sei es sehr bedenklich, Zwecverbände von der Ausdehnung eines Regierungsbezirks zu bilden; das habe auch in der neuen Land- gemeindeordnung keinen Vorgang. Höchstens könne man foweit gehen, den Zweckverband auf den Umfang des Kreises zu beschränken. Die Vorlage verstärke den staatlichen Einfluß auf die Volks\{hule in außerordent- lichem Maße; die Regierungen könnten hiernah [ch{ließlich den Etat der Gemeinden auf dem Schulgebiete troß der angeblichen Selbst- verwaltung einfach festseßken. Das Gesetz sei also in erster Linie ab- zulehnen, event. erst 1894 in Kraft zu seßen und nah den angedeuteten Richtungen zu amendiren. i Ober-Bürgermeister Ben der (Breslau) beantragt, die Vorlage nochmäals an die Commission zurülzuverweisen zur Prüfung der Frage, ob das Geseß eine Verfassungsänderung enthalte. Der Antragsteller hält leßteres für zweifellos und es könne die Vorlage daher nur unter den Formen berathen werden, die für Verfassungsänderungen vorgeschrieben seien. Der subsidiär Verpflichtete sei nah der Ver- fassung der Staat; dieser Verpflichtung wolle sih der Staat dadurch entziehen, daß er die betreffende Last auf größere Verbände abwálze. Wenn dieser Zweifel bisher niht hervorgehoben fei, so bedürfe er do der Würdigung. __ Vei Schluß des Blattes nimmt der Minister der geist- lichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse das Wort.

Haus der Abgeordneten.

Der Bericht über. die gestrige Sißung befindet ih in der Ersten Beilage. 74. Sißung vom 3. Mai. Der Sizung wohnen der Justiz - Minister Dr. von Schelling und der Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen bei. |

Zur drittten Bérathung steht die vorlage.

N Anfrage, ob nicht an allen Locomotiven ge- eignete Vorkehrungen zu treffen seien, um den häufigen Wald- bränden vorzubeugen, erklärt Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen, daß die Eisen- bahnverwaltung selbst ein Intereffe an der Vermeidung von Waldbränden habe, weil sie für den Schaden aufkommen müsse. Deshalb hätten alle Locomotiven Funkenfänger, die aber niht von außen zu sehen seien. Troßdem kommen bei heftigem Winde Flugfeuer

Secundärbahn-

vor. Es seien ferner Shußwände gegen dasselbe in den Wäldern errichtet. Viele von der Eisenbahn niht verursachte Brände würden

aber dieser zur Last gelegt, während manhmal irgend ein Bummler mit seiner Cigarre daran \chuld sei. * Abg. Lerche (dfr.) empfiehlt die Anlage einer Bahn von Nord- hausen nah Wernigerode oder Thale, die die Verbindung der Nord- seite des Harzes mit der Südseite um F verkürzen würde. Diese Bahn liege nicht nur in localem Interesse, fondern im allgemeinen, da sie die Landestheile im Norden des Harzes denen im Süden näber bringe. Auch von militärishem Werth würde die Bahn sein. An der Rentabilität sei nicht zu zweifeln, da ein starker Güterverkehr zu erwarten sei infolge des erleichterten Absatzes der bergbaulichen Er- zeugnisse des Harzes. g. Schmeltyer (nl.) empfiehlt die Fortführung beschlossenen Bahn von Fröndenberg nach Unna über ï zum Anschluß an die Lime Hamm—Dortmund—Köln. Abg. Lamprecht (cons.) wünscht den Bau der Linie Templin—

der bereits liina hinaus

ean und Neustadt a. D.—Brandenburg und bemängelt die Be- chränkung der Anzahl der Züge zwischen der Ukermark und Berlin.

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__ Abg. von Buch (cons.) {ließt sich dem Vorredner an und bittet seinerseits um eine Bahn von Löwenberg nah Templin.

Abg. Krebs (Centr.) empfiehlt die Fortführung der Linie Rudczanny—Rothfließ über Seeburg und Heilsberg nah Zinten.

Abg. Lückhoff o beklagt es, daß die Eisenbahnverwaltung sich einer zu großen Sparsamkeit in Bezug auf neue Bahnbauten be- fleißige, was dem wirthshaftlihen Interesse des Landes widerspreche. Durch Entwickelung des Verkehrs solle die Regierung der Landwirth- haft und Industrie die Kosten der socialen Gesetzgebung tragen helfen. Die Regierung fei früher bereit gewesen, sogenannte Noth- standébahnen zu bauen, heute fei es anders. Der armen Bepölkerung des Culengebirges könne nur noch die Anlage einer Bahn helfen.

Abg. Beckmann (cons.) bittet um Fortführung der Bahn P über Usingen hinaus.

Abg. von Tiedemann- Bomst (freicons.) bedauert, daß in den leßten Jahren die Secundärbahnvorlage so knapp bemessen worden fei. Gerade in Zeiten wirthshaftlihen Niedergangs müsse der Staat Bahn- bauten vornehmen, zumal dann die Arbeiten billiger feien. Die Provinz Posen fei in den leßten Jahren garnicht bedarht worden. Zu bedauern sei auch, daß die Vorlage keine Staatssubvention für Kleinbahnen enthalte. i

Abg. von Baumbach (conf.) wünscht eine Verbindungslinie der Main - Weserbahn mit der Bahn Hanau—Bebra, die Hessen auf\sließt.

_ Abg. Sander (nl,) bemerkt, daß in der Provinz Hannover für eine Reihe von Linien die Vorbedingung des Aufbringens der Grund- erwerbskosten durch die Interessenten erfüllt sei, und bittet um endliche Ausführung der Projecte Elze—Gronau—Bodenburg—Lams- springe—Gandersheim mit Abzweigung nah Düngen und Voldagsen— Dningen—Wispenstein—Alfeld.

Abg. Schöller (freicons.) beklagt, daß Preußen in Bezug auf Bahnbauten hinter anderen Ländern, wie Frankreich, zurückbleibe, und daß namentlich die Verbindung Berlins mit Posen und Schlesien mangelhaft sei. /

_ Darauf wird die Secundärbahnvorlage angenommen. (Schluß des Blattes.)

Von dem Abg. Freiherrn von Huene (Centr.) ist im Reichstage folgender Abänderungsantrag zur zweiten Berathung des Entwurfs eines Geseßes, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutshen Heeres, ein- gebracht : é i

Der Reichstag wolle beschlicßen: an Stelle des vorgelegten Gesey-

entwurfs dem nachstehenden Geseßentwurf die verfassungsmäßige Zu- stimmung zu ertheilen : Artikel I.

S 1. Die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres an Ge- meinen, Gefreiten und Ober-Gefreiten wird für die Zeit vom 1. Oftober 1893 bis 31. März 1899 auf 479 229 Mann als Jahres- Durchschnitts\tärke festgestellt.

An derselben sind die Bundesstaaten mit eigener Militär- verwaltung nah Maßgabe der Bevölkerungsziffer betheiligt.

Die Einjährig-Freiwilligen kommen auf die Friedenspräsenzstärke niht in Anrechnung.

Die Stellen der Unteroffiziere unterliegen in gleiher Weise wie die der Offiziere, Aerzte und Beamten der Feststellung durch den Neichshaushalts-Etat.

In offenen Unteroffizierstellen dürfen Gemeine nicht verpflegt werden.

S 2.

Vom 1. Oktober 1893 ab werden die Infanterie in 538 Bataillone und 173 Halbbataillone, die Cavallerie in 465 Escadrons, 5 die A in 494 Batterien, die Fußartillerie in 37 Bataillone, die Pioniere in 24 Bataillone, die Eisenbahntruppen in 7 Bataillone, / der Train in 21 Bataillone formirt. Artikel T1.

Für die Zeit vom 1. Oktober 1893 bis zum 31. März 1899 treten bezüglich der activen Dienstpflicht folgende Bestimmungen in Lait:

§ 1. Während der Dauer der activen Dienstpflicht find die Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feldartillerie die erften drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununter- brochenen Dienst bei der Fahne verpflichtet.

Im Falle nothwendiger Verstärkungen können auf Anordnung des Kaisers die nah der Bestimmung des ersten Absatzes zu ent- lassenden Mannschaften im activen Dienst zurückbehalten werden. Eine solche Zurükbehaltung zählt für eine Uebung, in \finngemäßer Anwendung des leßten Abfates des § 6 des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdtenft, vom 9. November 1867.

§ 2. Mannschaften, welhe nach einer zweijährigen activen Dienstzeit entlassen worden find 1), kann im ersten Jahre nah ihref Entlaffung die Erlaubniß zur Auswanderung auch in der Zeit, in welcher sie zum activen Dienst nicht einberufen sind, verweigert werden. :

Die Bestimmung des § 60 Ziffer 3 des Reihs-Militärgesetzes vom 2. Mai 1874 findet auf die nah zweijähriger activer Dienstpflicht entlassenen Mannschaften keine Anwendung. Auch bedürfen diese

Mannschaften keiner militärishen Genehmigung zum Wechsel des Aufenthalts. S S § 3. Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feld-

artillerie, welde nach erfüllter activer Dienstpflicht übertreten, dienen in der Landwehr erften Aufgebots nur drei Iabre.

§ 4. Für die Zeit vom 1. Oktober 1893 bis zum 31. März 1899 werden alle früheren geseylihen Bestimmungen, welche denen dieses Artikels entgegenstehen, insbesondere die bezügliden Bestim» mungen des § 6 des Geseßes, betreffend die Verpflichtung zum Kriegs- dienste, vom 9. November 1867, der Ziffern 3 und 4 des & 60 des NReichs-Militärgeseßes vom 2. Mai 18714, sowie des §2 des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Wehrpfliht, vom 11. Februar 1888 außer Kraft gesetzt. :

Artikel II1.

Die Bestimmungen des Artikels Il § 1, erster Abfat, finden für diejenigen Mannschaften, welhe nach zweijährigem activen Dienst hiernah zur Entlassung zu kommen hätten, im erften Jahre nah In- trafttreten diefes Gefeßes keine Anwendung; jedoch zählt eine foldbe Zurückbehaltung für eine Uebung, desgleichen eine etwaige Einberufung während des angeführten Zeitraumes. :

Artikel 1V.

Die 88S 1 und 2 des Gesetzes, betreffend die # stärke des Deutschen Heeres, vom 15. Juli 1890 treten 1. Oktober 1893 außer Kraft.

Artikel V.

Gegenwärtiges Gesetz kommt in Bavern nah näberer Bestims=

mung des 23 1870 (Bundes-

zur Landwehr

Bündnißvertrags vom 23. November Gesfeubl. 1871 S. 9) unter 111 § 5, in Württemberg nah näherer Bestimmung der Militär-Coönvention vom 21./25. Novernber i870 zur Anwendung.

Im 4. Kölner Landtagswahlb ezirk (Sieg Mülheim-Wipperfurth) ist an Stelle des verstorbenen Ad-« geordneten Landgerichts-Raths Bödiker in Hildesheim der Rentner Otto Rings zu Königswinter (Centrum) mit 496 Stimmen zum Mitgliede des Hauses der Abgeord- neten gewählt worden. Ober-Präsident von Bennigien in Hannover (nationalliberal) und Pfarrer Düsterwald zu Scheiderhöhe (Centrum) haden je 6 Stimmen erhalten.