1893 / 106 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 May 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Die Gründe, die wir vorgebracht haben für die Militärvorlage, von denen ist auch nit ein einziger widerlegt worden. Man hat uns entgegengehalten: wir wollen nicht, wir können niht, wir haben diese oder jene äußeren Gründe. Aber sachlich sind wir nicht ein einziges Mal, nicht in einem einzigen Grunde widerlegt. Man hat anerkannt, die Militärreform ist ein durchdachtes Project, gegen das sich nichts einwenden läßt, und man kam dann dazu, uns zu sagen: wir geben Euch nicht mehr, nun seht, was Ihr damit macht.

Zwei unbedeutendere sachlihe Gründe konnten auch beim Schlüß der Commissionsverhandlungen noch Zweifel an der Zuverlässigkeit, an der Durhführbarkeit der Militärvorlage aufkommen lassen ; das Eine war die Unteroffizierfrage und das Andere die Frage nach der Zahl der tauglichen Leute. Die preußishe Militärverwaltung wird in der Lage sein, diese beiden Gründe auf das schlagendste zu wider- legen. Sie wird den einen widerlegen können, die Unteroffizierfrage dur einen Vergleich mit dem Jahre 1860, mit der preußischen Militärreorganisation. Sie wird nahweisen können, wie viel Unter- offiziere damals fehlten, und wie \chnell sind diese Manquements ge- deckt worden. Für die zweite Frage wird sie den Beweis beibringen können aus den viele Hunderte betragenden Resultaten des Ersatz- geschäfts an denjenigen Orten, wo es bisher stattgefunden hat.

Nun hat man uns die Deckungsfrage entgegengehalten, die Steuern. Man ift bis zu ich kann mir niht helfen sehr krassen Uebertreibungen gegangen. Man hat ausgesprohen: wir werden, wenn diese Steuern eingeführt werden, ein Volk von Bettlern werden. Meine Herren, das glaubt Ihnen kein Wähler, dazu ift die Sache zu durhsihtig. Es ist ja klar, daß Lasten aufgelegt werden müssen, wenn die Militärvorlage durhgeführt werden soll. Es ist Har Daß Me. Druden, S 4 lar, daß „niemand gern mehr Steuern zahlt, noch dazu, wenn ihm von jemand vorgerechnet wird, das wäre ja garniht nöthtg, das könnte man ebenso gut bleiben lassen (sehr gut! rets), aber sicher ist, daß und wenn wir bis zu der Frage îin der Verhandlung kommen sollten, so wird es der Ort sein, das im einzelnen nachzuweisen die hervorragendsten Volkswirthschaftslehrer mit uns einer Meinung sind darin, daß die deutsche Nation, sowohl was die Militärlast auf den Kopf der Bevölkerung als die procentuale Militärlast im ganzen Budget angeht, geringer ist als bei fast allen Staaten, die den An- spruch machen, eine Großmacht zu sein. Wir haben Ihnen Steuern vorgeschlagen, über die ja noch nicht anders als in der ersten Be- rathung und schr curforisch debattirt worden ist; wir kalten diese Steuern noch jeßt für den besten Weg, die Mittel aufzubringen, wir würden aber, wenn auch andere durch den Reichstag vorgeschlagen würden, bereit sein, darüber mit Ihnen in Verhandlung cinzutreten. (Bewegung.) Was blieb nun noch? Nun kam der Militarismus. Der alte Gaul aus den 60er Jahren wurde wieder aus dem Stall geholt, frish gesattelt und aufgezäumt, und so lahm er war, uns vor- geritten. (Heiterkeit.) Dem einen war er culturmörderish, dem an- deren antiparlamentarisch, zu absfolutistisch; die Socialdemokraten \{chmüdcten ihn einfach mit dem Cpitheton „Moloh"“. Ich habe den Beweis dafür vermißt. Wo ist denn der Militarismus in dieser Vorlage überhaupt ? Ich habe auch noch nicht eingesehen, worin er etwas Schreckliches hat. Ich entsinne mich aus den Zeiten der preußischen Militärreform, daß er da zweispännig ging mit dem „Söldnerheer“. Das Söldnerheer is noch niht zu Tage gekommen, der Militarismus aber wohl.

Was soll nun damit gesagt werden? Ich meine, man will damit bezeichnen, daß das Militär im Staat, im Reich einen zu großen Platz einnehme. Ja, wenn wir überhaupt Deutschland erhalten und die- jenigen Dinge gedeihen sehen wollen, zu deren Vorausseßung das Da- fein eines Staats gehört, dann ist das Erste, daß dieser Staat da sein muß, in seinem Dasein erhalten werden muß. Erst wenn er das ist, kann überhaupt von anderen Zweigen der Cultur die Nede sein. Es ift ja klar, daß jeder Mensh und diesen Grad von Einsicht darf ich wohl auch für die uniformirten Staatsbürger in Anspruch nehmen daß jeder Mensch es vorziehen würde, Ausgaben zu machen, sei es für Schulzwecke, für Kunst, für Wissenschaft, für Landes- meliorationen. Alles das ist nüßlicher, angenehmer auszugeben wie Militärausgaben. Das alles sind banale Wahrheiten. Aber wo sitzt nun in dieser Vorlage der Militarismus? Ich vermag das nicht zu erkennen. Die Vorlage is, wenn man einmal zugiebt, daß die MNe- gierungen die richtige Ansicht über unsere politische und militärische Lage gewonnen haben, auf das Mindestmaß zugeschnitten, sie enthält sih jedes Luxus, es ist keine vermeidlihe Ausgabe in ihr. Wo ift da der Militarisómus? Ich bin bei allem Bemühen, diesen Einwand zu verstehen, nicht im stande gewesen, die Gründe dafür aufzufinden. Ih glaube im Gegentheil, daß man für das Dasein der Armee, wenn man ih so auf den allgemeinen Standpunkt stellt, noch manches gute Motiv finden kann; man kann an der deutshen Armee manche gute Seite erkennen, und ih glaube nicht, daß ih zu weit gehe, wenn ih sage, daß in der Angliederung der neuen Provinzen an den preußischen Staat vom Jahre 1815 an, im Zusammenschweißen des Deutschen Neichs die Armee einer der wesentlichsten Factoren, ein hauptsächlicher Kitt gewesen ist. (Sehr wahr!)

Das sind geschichtlihe Thatsachen, die man nicht abstreiten kann und die ungleih gewichtiger sind als die mehr oder weniger vage Aeußerung über den Militarismus.

Endlich föhrt man uns, unzweifelhaft war das für einen großen Theil der Herren das Gewichtigfte, die Volks\timmung entgegen. Ja gewiß, es ist Verstimmung in vielen Landestheilen da, man wünscht manches anders. Aber ih will die Frage hier nicht erörtern : wicweit sind die verbündeten Negierungen in der Lage, das zu ändern; wieweit ist diese Verstimmung vielmehr eine Folge unserer ganzen modernen Geistesrihtung, des Materialismus, des Pessimismus, des Unbehagens am Dasein ? (sehr richtig! rechts) des immerwährenden Kampfes ums Dasein, der weder Befriedigung aufkommen läßt, noch auch den Grad der Selbstverleugnung, der es dem Menschen möglih macht, mit ge- ringeren Mitteln zufrieden zu leben.

Also das Dasein der Verstimmung gebe ich Ihnen ohne weiteres zu; ih gebe auch zu, daß die Verstimmung zunehmen kann, wenn es niht gelingt; der Nation klar zu machen, daß die erhöhten Ausgaben, die von ihr gefordert werden, nothwendig sind.

Nun hat man gesagt: Ja, wie kann eine einsihtige Negierung zu einer Zeit, wo solche Verstimmungen herrschen, mit einer solhen Vor- lage fommen? Erstens, meine Herren, können wir niht wissen, wann es nothwendig sein wird, die Probe auf das Exempel zu machen und diese Vorlage zur Verwendung vor dem Feinde zu bringen. Dann aber auch, sollen wir vielleiht fo lange warten, bis das Verlangen

nah der Militärvorlage aus den Wahlkreisen kommt? (Heiterkeit rechts. Zuruf links.) Gewiß nicht. Und glauben Sie etwa, daß die Verstimmung, die im Lande ift, sich beben würde, wenn wir die Fran- zosen im Lande hätten? Ganz gewiß nicht.

Wenn ich alfo auch zugebe, daß die Stimmung im Lande zu wünschen übrig läßt, so bin ih nicht im stande, darin ein Motiv zu finden, was uns hâtte veranlassen können, von der Vorlage Abstand zu nehmen. Wenn man einmal auf die Stimmungen Rücksicht nimmt, dann liegt es mir sehr nahe, auch auf die Stimmung NRük- iht zu nehmen, die im Lande sein wird am ersten Mobilmachungs§- tage der Zukunft, und ih bin der Meinung, daß dann die Stimmung ein ungleich größeres Gewicht hat als heute. Dann brauchen wir, wie ih schon öfters ausgesprockben habe, die herzlihe Theilnahme, das ent- schlossene Eintreten der ganzen Nation. Wenn wir heute sparen, gewiß wir können die Lage der Nation verbessern; aber wir können damit niht machen, daß wir niht einen Tag mit Krieg überzogen werden ; und wenn der Tag kommt, dann brauchen wir eine Stimmung in der Nation, die nicht davon abhängt, was dann im Geldschrank sein wird, sondern, die zum großen Theil von dem Gefühl bedingt werden wird: für was halten wir uns selber dem Feinde gegenüber, wie stark {lagen wir unsere Macht an, können wir den Glauben haben, daß wir über- legen sein werden, oder müssen wir uns \{wächer fühlen ? Die Stim- mung der ersten Tage im Kriegsfalle kann entscheidend für den ganzen Berlauf des Krieges werden, und sie wird nur dann eine gute sein, wenn die Nation die Uekerzeugung hat, daß geschehen ist, was mög- lich ist, um die Kraft der Nation ganz und auf die denkbar zweckmäßigste Weise einzuseßen. (Sehr richtig! rechts.) Dann wird es sich nicht bloß um Geldopfer handeln, die gebracht werden müssen, dann werden auch Blutopfer verlangt werden, und Blutopfer, die dann nicht mehr geringer zu gestalten sind; während, wenn Sie uns jeßt die Möglichkeit geben, gute Truppen herzustellen, gute junge Truppen da zu verwenden, wo nur gute, junge Truppen verwendet werden fönnen, wir mit dem Grade von Wahrscheinlichkeit, der in mensch- lichen und fkriegerischen Dingen möglich is, behaupten können, wir werden an Blut sparen, wenn wir zur reten Zeit die Aenderungen in unserem Armeewesen vornehmen, die erforderlih find. Wir dürfen niht und ih möchte darauf doch aufmerksam mahen das Ge- fühl, die Schwächeren zu sein, in der Nation aufkommen lassen. Es ist ja ein unzweifelhafter Nachtheil dieser Verhandlungen, daß, wenn die Militärvorlage nicht zu stande käme, im Volk und in der Armee etwas von dem Gefühl zurückbleiben wird: wir sind niht mehr fo stark, wie wir geglaubt haben. (Sehr richtig! rechts.) Und dann werden die Tage kommen, wo eine volle Patronentashe mehr werth ist, als ein volles Portemonnaie, und wo der Curszettel nicht die Kriegsdepeschen, sondern die Kriegsdepeschen den Curszettel machen. (Sehr wahr! rechts.) Auf die Zeit müssen wir vordenken, dafür müssen wir die Armee gestalten, dafür müssen wir sie stärken, um dann niht dem Vorwurf ausgeseßt zu sein, warum thatet Ihr damals nicht das Gurige ?

Die verbündeten Regierungen find von dem Ernste der Ver- antwortung, die sie tragen, so voll überzeugt, daß sie Alles, was in ihren Kräften steht, jeßt gethan haben und thun werden, um die Nation in den Zustand zu setzen, daß sie bei Eintritt eines Krieges mit dem Bewußtsein, nicht allein das Ihrige gethan zu haben, fondern auch die Chancen des Erfolges für sich zu haben, das Gewehr in die Hand nehmen kann. (Bravo!) Nicht die Wirkung allein würde eine Ablehnung haben, daß Volk und Armee eine Einbuße an Selbstgefühl erleiden; wir würden auch im Innern noch nach mancher Richtung, nach meiner Ueberzeugung, es empfinden und {merzlich empfinden, wenn die Militärvorlage nicht durchginge. Unser Verkehrsleben wie oft ist das in den leßten Monaten ausgesprochen worden be- darf einer gewissen Stetigkeit, Handel und Wandel wollen mit Sicher- heit darauf rechnen können, daß sie eine längere Zeit ungestört existiren fönnen. Es gilt das sogar von der Landwirthschaft ; wenn die Militär- vorlage nicht durchgeht, wird eine Unsicherheit eintreten (Widerspruch links), die wir niht zu bannen im stande sind. Man wird bei jedem Wölkchen am politischen Horizont nah dem Wetterglase laufen, um nachzusehen, ob man noch ein etwas weitsichtiges Geschäft unternehmen fann oder niht. Wir würden, wenn die Militärvorlage abgelehnt wird, dem Lande auh das nicht geben können, was doch zweifellos von vielen Seiten lebhaft begehrt wird und was wir, wenn auch nicht leiht, so doch als Aequivalent zu geben entschlossen waren : die zwei- jährige Dienstzeit und die Möglichkeit, im Kriegsfalle die älteren Jahrgänge an diejenige Stelle zu bringen , die ihrem Alter entspricht, die den verheiratheten Mann, den Familienvater mehr \{hont wie den jungen Mann.

Und wie sieht es denn nun nah außen aus? Jch habe leßt einen Deutschen gesprochen, der jahrelang im Ausland lebt, cin urtheils- fähiger patriotisher Mann, der sagte: ih habe noch nie, so lange ich im Ausland lebe, cin so peinlihes Gefühl gehabt, als jeßt während der Debatten im Neichstag über die Militärvorlage; man versteht garnicht, wie der deutshe Reichstag so schwierig sein kann in der Bewilligung einer Vorlage, die die Regierung, die die militärischen Autoritäten für nothwendig halten. (Sehr richtig! rechts.) Und, meine Herren, vergegenwärtigen Sie sich einmal, wie die fremde Presse

ih will keine Staaten nennen ausfehen wird, wenn die Militär- vorlage gefallen ist. Noch hält sie sih zurück, aber es wird peinlich sein, dies zu lesen, was dann über uns, über unsern Patriotismus gesagt wird. (Sehr richtig! rechts.) Hält der Shwächezustand, in dem wir uns befinden, an, nimmt er zu, so werden wir bis zu einem gewissen Grade unsere Gegner in die Versuhung führen, leichter mit uns anzubinden, als sie es bisher gethan haben. (Sehr richtig! rechts.)

Alles das sind Momente, die im Frieden {hon das Fehlen einer verstärkten Wehrkraft empfindliß machen werden. Bei | einem Scheitern der Militärvorlage würde der Eindruck der Schwäche, der nicht weitgehenden Opferwilligkeit zurückbleiben.

Nun hat man uns Gegenvorschläge gemacht. Zuerst die Miliz. Die wurde nur von den focialdemokratishen Herren Abgeordneten [leicht gestreift, und ih glaube, man kann, ehe man hier im Plenum darauf eingeht, noch einige Zeit warten, eine Majorität für die Miliz würde sih s{chwerlich finden. Aber es waren Richtungen da, die der Miliz vorarbeiteten, geradeso wie es Nichtungen giebt, die der Social- demokratie au im übrigen vorarbeiten. (Bewegung.) Was ift denn Miliz? Miliz ist eine kurz dienende Truppe mit \{hwacher Friedens- präsenzstärke, und da haben sich die Herren gefunden. Auch beute liegt ein solcher Antrag wieder vor, der darin so weit geht, daß wir uns der Miliz nicht unerheblih nähern würden; denn wenn man uns zu-

muthet, die zweijährige Dienstzeit innerhalb der jeßigen Präsenzstärke anzunehmen, so ist das nah meinem Dafürhalten der erste Schritt auf dem Wege zur Miliz.

Der Antrag Althaus, der uns heute vorliegt, wiederholt einen Antrag, der auch in der Commission gemacht worden ift, der da wider- legt worden ist, und ih brauhe mich wohl nur auf die Worte zu beschränken, daß er heute den verbündeten Regierungen ebenso unan- nehmbar ist, als er es in den Tagen der Commissionsberathungen war und als er es für die Zukunft ift.

Dasselbe gilt von dem zweiten Antrage, der damals Lieber hieß, heute als Graf Preysing erscheint. Wir sind nicht im stande, auf diesen Antrag einzugehen. Auch der Antrag trägt die charakteristischen Kennzeichen eines beginnenden Mili;systems. (Heiterkeit links.)

Nur ein Wort noch in Bezug auf meine Aeußerungen in Bezug auf den Patriotismus! Ja, meine Herren, diese Aeußerung habe ih gethan; es würde mir unendlich {chmerzlich sein, wenn ih jemals in die Lage käme, von dem Deutschen Neichstag oder von einzelnen Mitgliedern desfelben , glauben zu müssen, daß er nit patriotish wäre. Bis zu einem gewissen Grade bin ih aber doch zweifelhaft geworden. Mir liegt hier ein Blatt vor, das heißt „Der Beobachter am Main“, und das giebt eine Rede des Herrn Abg. Dr. Lieber wieder, in der er sagt:

Lassen Sie es mich einmal öffentlih aussprechen, meine Freunde! Selbst wenn alle Forderungen der verbündeten Regierungen in dieser Militärvorlage politisch und militärisch berechtigt und voll- begründet wären, fo ist meiner Meinung nach der Fortbestand einer Partei wie das Centrum, so wie es jeßt ist, für das Deutsche Reich immer noch wichtiger als die Berechtigung der Militär- vorlage. (Hört! hört! rets.)

Das überseße man einmal in das «Deutsche: es is mir ganz egal, ob die Rufsen in Berlin und die Franzosen in München stehen, wenn nur die Centrumspartei noch existirt. (Heiterkeit rets.)

Ich will dem Herrn Redner niht zu nahe treten. Vielleicht wird er aber später in der Lage sein, mix den Kern von Patriotismus. der in dieser Aeußerung"etwa liegen könnte, herauszuschälen. (Heiterkeit rechts.) Mir ist es nicht möglich gewesen, ihn zu finden. (Bravo! rets.)

Ünd was nun, um mit der Miliz zu schließen, dieselbe angeht, fo ist sie ja am fklarsten als Idee von den Socialdemokraten vorgetragen worden. Der Herr Abg. Bebel hielt in der Commission in der ersten Situng eine Rede über die allgemeine politische Lage. Kein Negierungs- commissar konnte sie besser halten. Mit Spannung habe ich ihm zugehört und war nun fest überzeugt, daß jeßt der Saß kommen werde: also stimme ih für die Militärvorlage. (Heiterkeit.) Nichts weniger als das! Es kam nur: also brauchen wir acht Millionen Soldaten, und die können wir nur auf dem Wege der Miliz erhalten. Nun glaube ih n'cht, daß ich Herrn Bebel und seine Fraction8genofsen bekehre aber die Herren, die noch nicht ganz so weit sind wie er in Bezug auf die Miliz, bin ih vielleicht zu warnen im stande, wenn ih aus einer Neihe von Artikeln, die der „Vorwärts“ unter der Ueberschrift brachte : „Kann Europa abrüsten ?“ eine einzige Stelle vorlese. Der Schriftsteller sagt: Er wolle Jugendwehren haben

Das Schwergericht der militärischen Ausbildung ift in die Jugend zu legen. Um dies nun zu bewerkstelligen, wolle er entlassene Unteroffiziere bei den Dorfschulen anstellen; Unterricht sollen sie niht ertheilen ,- aber Turnen und Ererciren, und was denkt sich der Schriftsteller als den Erfolg ?:

Und wenn die Unteroffiziere ers aus der Heimlichkeit der Kaserne und Militärgerichtsbarkeit ans Tageslicht des Schulhofes und des bürgerlichen Strafprozesses verseßt sind, dann, wette ih, bringt unsere rebellishe Schuljugend auch dem ärgsten ehe- maligen Soldatenschinder mores bei. (Bewegung.)

Das, wohin Sie es mit der Miliz treiben wollen, ift eben, daß der Untergebene den Vorgeseßten mores lehren foll, und dahin zielen auch alle die Mißhandlungédebatten, die hier geführt werden, bewußt oder unbewußt. (Sehr richtig! rechts.) Das Resultat wird das sein, daß die Erhaltung der Disciplin unendlih viel s{chwerer wird. Jch ver stehe, daß, wenn man focialdemokratishe Ideale hat, man sich diesem Ziele zu nähern wünscht. Jch verstehe aber nicht, daß andere, die niht diese Ziele haben, dennoch die Wege dahin fo fleißig zu bahnen suchen. (Sehr richtig! rechts.)

Ich *%omme nun zu dem Antrage des Herrn Abg. Freiherrn von Huene. Ich halte den Antrag für dankenswerth und danke dem Herrn Abgeordneten dafür, daß er den Versuh gemacht hat, eine Einigung über dieses Geseß herbeizuführen. (Bravo! rets.) Jch bin nicht im stande, mich jeßt und hier im Namen der verbündeten Regierungen zu äußern; denn ihnen ist der Antrag zu derselben Zeit zugegangen wie SFhnen. Sie müssen Nükfrage in ihrer Heimath halten. J@ iuube, mich nicht zu irren, wenn ih sage, daß alle verbündeten Regierungen die Regierungsvorlage vorziehen würden; aber wir erkennen doch bereit- willig an, daß in dem Antrage des Herrn Abg. Freiherrn von Huene erleihternde Momente liegen, daß die Kürzungen so gewählt sind, daß sie den Zweck, den die verbündeten Regierungen mit dem Gesetz verfolgen, nicht annulliren; wir würden auch mit diesem Gesetz zwar nicht ganz dahin kommen, wohin wir wollten aber zweifel- los weiter.

Bei den Erwägungen darüber, ob dieser Antrag Huene den ver- bündeten Negierungen annehmbar ist oder nit, wird eine wesentliche Rolle die Rücksicht auf die möglichen Neuwahlen spielen. Die ver- bündeten Regierungen sind auch nach diefer Beziehung von der Ver- antwortlichkeit der Lage tief durhdrungen. Sie erkennen, daß bei dem gegenwärtigen Zustand unserer Parteciverhältnisse, bei der gegenwärtigen Stimmung der Bevölkerung Neuwahlen ungleih größere Erschütte- rungen mit fich bringen können, als das bisher der Fall gewesen ist, und es würden, wie ih vermuthe, die verbündeten Regierungen geneigt sein, diesem Motiv einen großen Einfluß auf ihre Entschließungen zu- zugestehen. Für Preußen bin ih zu der Erklärung ermächtigt, daß es in dem Antrage Huene eine annehmbare Löfung der Militärfrage findet. (Bravo!)

Wir kommen nach unserer Ueberzeugung dabei schr weit entgegen ; wir würden nicht einen Schritt weiter gehen können als dieser An- trag, wir würden uns auch vorbehalten, die Concessionen, die wir machen, wenn einmal Neuwahlen doch niht zu vermeiden sind, dann zurückzunchmen, auch in späteren Jahren das, was jeßt abgelehnt wird, was wir dann als dringlih erweisen können, nachzufordern. (Zwischenruf.) Wir treten voll auf den Boden des Quinquennats, und zu weiterem haben wir uns niemals verpflichtet. Niemals ist

Tina E E E E

R E

eine Aeußerung vom Negierungstish gefallen, die darüber hinaus Ver- pflichtungen übernommen hätte; keine Regierung kann das.

Wir glauben, indem wir dem Antrag Huene ein freundliches Entgegenkommen zusagen, bis an die Grenze gegangen zu sein. Wir titten Sie: kommen Sie mit uns, helfen Sie uns, das zu thun und durdzuseßen, was für die Erhaltung des europäischen Friedens, für die Sicherheit der Ehre und der Zukunft Deutschlands erforderlich ist! (Lebhaftes Bravo!)

Königlich preußisher Bevollmächtigier zum Bundesrath, Kriegs-Minister von Kaltenborn-Stachau:

Meine Herren! Jch darf wohl die Behauptung aufstellen, daß in den Berathungen der Commission über die Heeresvorlage seitens der Militärverwaltung in bereitwilligster und eingehendster Weise Auskunft nach jeder Nichtung gegeben ist, daß alle Einzelheiten beant- wortet und mit Belägen begründet sind. Den Ausführungen der Militärverwaltung ist von vershiedenen Seiten Widerspruch entgegen- gestellt worden, dagegen eine Widerlegung hat die Militärverwaltung in der Commission nicht erfahreii ; es hat niht dargethan werden fönnen, daß die Vorlage niht nothwendig gewesen wäre, daß die ernsten und durchgreifenden Gesichtspunkte falsch gewesen oder daß ziffermäßige Nachweise ohne die genügende Begründung Ihnen er- braht worden wären. Die Vorlage das hat sih auch in den Commisstonskerathungen erwiesen bildet ein abgeschlofsenes Ganzes, aus dem einzelne Theile herauszunehmen nicht angängig war, ohne die ganze Vorlage zu ändern. Deshalb war die Heeresverwaltung auch genöthigt, für alle Theile diefer Vorlage gleihmäßig intensiv einzu- treten, woraus allerdings von einer Seite der Heeresverwaltung ein Vorwurf gemacht worden ist.

Die Heeresverwaltung hat während der Berathungen fogar die Genugthuung gehabt, daß bei Einzelheiten, die anfänglih lebhaften Widerspruch erfuhren, wie beispielsweise die vierten Bataillone, selbft Gegner dieser Ansicht sih allmählih zu der Auffassung der Regierung bekannten. Das Mißverständniß, das meines Erachtens in der Com- mission bestanden und nicht hat gelöst werden können, war wohl das, daß von der Mehrheit der Parteien die Auffassung geltend gemacht wurde, daß die Einführung der zweijährigen Dienstzeit der Zweck der Vorlage wäre, und im übrigen es sich nur um die Compensa- tionen oder um den Preis handeln könnte, für welchen diese zweijährige Dienstzeit zu haben wäre. Die Heeresverwaltung hat immer auf dem Standpunkt gestanden und steht noch darauf, daß die Einführung der zweijährigen Dienstzeit überhaupt nur ein Mittel gewesen ist, um die Ausgestaltung der Organisation, um die Vermehrung der Wehrkraft auf dem finanziell günstigsten Wege herbeizuführen.

Ich glaube, es wurde ferner in der Commission wohl erwiesen, daß die Einführung der zweijährigen Dienstzeit ohne Schädigung nur möglich ist, wenn die jeßige Friedenspräsenzstärke erheblich ge- steigert wird.

Es ist dann ferner dieDurchführbarkeit bezweifelt worden aus den beiden vom Herrn Neichskanzler vorhin angesührten Gründen. In Bezug auf das Vorhandensein des nothwendigen Ersaßes nah Beschaffenheit und Zahl haben nun s\{hon die Auseinanderseßungen in der Commission wohl die Ueberzeugung schaffen können, daß eine ausreichende Zahl brauchbarer Mannschaft vorhanden ist. Es sind aber in neuester Zeit die Resultate des diesjährigen Ersatzgeschäfts auf Grund der neuen Bestimmungen, wonach also sämmtliche Tauglichen festgestellt werden sollen, zum größten Theil eingegangen. Dieselben haben das Ergebniß gehabt, daß in den Bezirken im allgemeinen vorhanden sind 749/06 Tauglihe mehr als im Jahre 1890/91. (Hört! hört! rets.) Die Militärvorlage erfordert indessen nur ein Mehr von 22 bis 23%, fodaß 51 bis 520% LTaugliie mehr als erforderli) noch verfügbar bleiben (hört! hört! rets), sofern das Resultat des Ersatzgeschäfts in den noh ausstehenden Bezirken dasselbe ist, wie in denen, über welche die Berichte hon vorliegen.

In Bezug auf die Manquements der Offiziere und Unteroffiziere ist hon zugegeben, daß es in drei bis fünf Jahren mögli sein würde, diese Manquements zu decken. Im Jahre, 1860 hat die In- fanterie ein Manquement gehabt von 16,7% an Offizieren, im Fahre 1865 war dieses Manquement bis auf 1,1 9/9 zurückgegangen. (Hört ! hört! rechts.) Wir hoffen, daß in kürzerer Zeit bei uns ein gleiher Erfolg erreiht werden wird.

In Bezug auf die Unteroffizier-Manquements führe ih nur an, daß der Zuwahs an Stellen für die Infanterie von 1860 gegen 1859 4109/6 betrug, und daß der hieraus entstandene Bedarf im wesentlidhen 1862 gedeckt war.

Nachdem diese beiden Einwendungen vielfah haben widerlegt werden können, und ich hier noch einmal darauf habe zurückfkommen dürfen, möchte ih glauben, daß sie widerlegt sind. Ich möchte auch die Hoffnung aussprechen, daß troß der trüben Aussichten im Augen- blick das hohe Haus doch noch den Entschluß finden möge, der Heeres- verwaltung darin nachzugeben, daß es dem Geseßentwurf, der Ihnen vorliegt und der nur entstanden ist, weil die Heeresverwaltung ihn für dringend nothwendig für die Sicherheit des Reichs und für die Stärke und Schlagfertigkeit der Armee hält, und bei dem wir uns Mühe gegeben haben, unsere Ziele auf die billigste Art zu erstreben,

*— qus diesen Gründen die Zustimmung ertheilt. (Bravo! rechts.)

Abg. Freiherr von Huene (Centr.): Es war für mich ein ernster und s{hwerer Entschluß, mit diesem Antrage vor den Reichstag zu treten, da ih es thun mußte in dem Bewußtsein, daß nur eine kleine Minorität aus den Reihen meiner politishen Freunde sich auf diesen Boden stellt. Maßgebend waren für mich die großen vater- ländischen Interessen, die hier auf dem Spiele stehen. Es ist gesagt worden, der äußere Feind möge sich nicht einbilden, daß wir uns wie hier im Neichstag bei der Berathung DIEILT * Orla e 0 QU) quf bem elde uneintg / zetgen würden. Was hilft uns aber die Einigkeit im Angesicht des Feindes? Der Patriotismus mit dem Stock in der Hand ist nichts, er muß ein Schwert in der Hand haben. Die beiden Punkte, über welche meine politishen Freunde sih {hon bei der ersten Berathung geeinigt hatten, sind: daß wir nicht in der Lage sind, die volle Be- willigung der Forderungen auszusprehen, und daß wir es für unsere Pflicht hielten, das zu bewilligen, was sich als unmittelbare Consequenz der zweijährigen Dienstzeit herausstellt. Jh war {hon damals, das weiß meine ganze Fraction, der Ansicht, daß man das Angebot der Bewilligung innerhalb der jeßigen Dele tärke nicht als leßtes Angebot Lur führen fönne. enn ih dieser meiner An- e in der Oeffentlichkeit niht officiell Ausdru gegeben habe, o geschah es aus Gründen, die ih mit meinen politischen Freunden erörtert habe, die aber für die Oeffentlichkeit niht gehören. Es ist heute der Tag, wo jeder das Recht und die Pflicht hat, sich so zu entscheiden, wie er es vor seinem Gewissen verantworten kann. Ich habe mi entschieden, diesen Antra zu stellen. Jh habe freilich nit geglaubt, daß ih der Regierungsvorlage so weit

entgegenkommen müsse, wie es mit meinem Antrag geschehen ift ; aber auf Grund sahliher Erwägungen bin ich zu einem anderen Resultat gekommen, als sich zuerst auf Grund vorläufiger Kenntnißnahme heraus- gestellt hat. Es wurde bei der ersten Berathung auêgesprochen, daß die Negtierungévorlage nicht übereinstimmt mit der ersten Resolution Windthorst's, indem darin die Einstellung aller Wehrpflichtigen aus- genommen sei. Ich behaupte, daß die Vorlage dieses Ziel nicht erreiht und in noch geringerem Umfange mein Antrag. Nach Aeußerungen in der rene mußte man wirklich Hauben: wir hâtten garniht die allgemeine Wehrpflicht, sie müßte erst jeßt neu eingeführt werden. In der Verfassung {steht aber: Jeder wehrfähige Deutsche gehört ficben Jahre lang dem stehenden Heere an. Damit ist die allgemeine Wehrpflicht im Princip absolut ausgesprochen und es fommt bloß darauf an, wie weit man dieses N verwirklichen will. Dabei sprechen nicht allein militärische, ondern auc wirthshaftlichße Interessen mit. Die Durchführung des allgemeinen Princips hängt ab von der Höhe, in welcher der Reichstag und die Regierungen Präsenzziffer und Geld bewilligen. Es stände nichts im Wege, daß der Kaiser eine weitere Einstellung vornähme, vorausgeseßt, daß er die Mittel dazu hat, ohne daß sih ein Staats- bürger darüber bcschweren oder der Reichstag dagegen Einspruch er- heben fönnte. Die Vorlage nimmt die Kräfte des Landes stärker in Anspruch insofern, als sie mehr Leute unter die Fahne ruft als bisher. Darin sehe ich aber niht nux keinen Fehler, sondern einen Act der Ausgleichung, indem die allgemeinen Lasten zwar erschwert, die Last der Einzelnen aber vermindert und gleichmäßiger vertheilt wird, um- fomehr, als jeßt alle Gebildeten nur ein Jahr dienen. In § 1 ist durch meinen Antrag gegenüber der Negierungsvorlage die Fricdenépräsenzstärke herabgeseßt von 492068 auf 479229 Mann. Vie Dedeuting. der Sa0e beruht darin, dal einmal die Zahl der Oekonomiehandwerker nicht nur bei den Neuformationen, sondern bei den bishèrigen bestehenden Formationen wesentlih herabgesetzt ist. Jch habe geglaubt, daß gerade dadurch niht bloß eine absolute Verminderung der Friedenspräsenzstärke, fondern auch ein sociales Interesse gefördert wird, da die bisherige Einstellung eine höchst ungerehte Mehrbelastung des Schneider- und Schuhmacherhandwerks bedeutet. Es is ferner in meinem Antrag in Aussicht genommen die Erhöhung der Les für die Fuß - Artillerie auf den hohen Etat zu unterlassen, ferner bei der Cavallerie alle Etatserhöhungen bei Seite zu lassen. Bei der Feld- Artillerie is in Aussicht genommen, bei den neuen Batterien nur 4 Geschüße statt 6 einzustellen. Ich glaube also, daß es sich hierbei um eine wefcntlihe Herabseßung der Regierungsvorlage handelt, ohne damit wesentlich den Zweck der Vorlage zu alteriren. Die neuen vierten Bataillone habe ih mit der Bezeihnung Halbbataillone ein- geführt. Ich glaube, daß der Reichstag dadurch zum Ausdruck bringt, daß er niht gewillt ist, wirklich volle Bataillone zu bewilligen. Artikel 2 {ließt \sich im wesentlichen den Vorschlägen des Abg. Dr. Steber n ver Common an Unter wee alle geseB- lichen Bestimmungen untergebracht werden können. In Unteroffizier- manquements dürfen Gemeine niht verpflegt werden. Das bringt cine Verminderung um 11000 Mann für die ersten Jahre. Die Be- stimmung, daß die Mannschaften nach zwei Jahren zur Reserve ent- lassen werden, habe ich dahin abgeändert, daß sie zu entlassen sind nah den Bestimmungen des Geseßes. Sie werden damit nicht zur Disposition des Truppentheils, sondern des Kaisers entlassen. Was die Uebergangsbestimmungen betrifft, so foll der dritte Jahr- gang nicht im Oktober fofort entlassen werden, sondern er muß un- bedingt wenigstens bis zum Schluß des Jahres bei der Fahne bleiben. Der finanzielle Effect ist der, daß 9 Millionen auf 5 Jahre, 4 Mil- lionen im ersten Jahre infolge der Unteroffi ziermanquenents und der fehlenden 5000 Mann erspart werden. Diese Ersparniß von etwa 50 Millionen in 5 Jahren sollte man doch nicht als etwas ganz Ge- ringes hinstellen. Ich vermisse bei einem Theil der Gesetze, die die Negierungen vorgelegt haben, die nöthige Nücksiht auf die focial- politischen Punkte, von denen der Reichskanzler gesagt hat, daß er unter ihrer Beleuchtung alle Geseße prüfe. Es ist ohne Zweifel, daß durch die Neuvorlage die persönlichen Lasten wesentlih erhöht werden. Es muß eine Deckung gefunden werden, die die ärmere Bevölkerung nicht zu sehr belastet. Jch hätte gar nihts dagegen, die Deckung durch Matrikularbeiträge und Zuschläge zur Einkommensteuer aufzu- bringen, auch \chließlich vielleiht eine Lösung zu finden in einer voll- ständigen Reform der Tabackssteuer und einer vollen Durchführung der Luxussteuer. Daß wir jeßt die Lösung nicht finden werden, ist ganz flar. Der finanzielle Effect für das nächste Halbjahr beträgt 22 Millionen Mark. Jch glaube nicht, daß irgendwie erhebliche Schwierigkeiten entstehen würden, wenn diese Kosten in die Einzelstaaten umgelegt werden. Uu) - etner Anleihe für dieses vorübergehende Stadium würde ih nicht entgegen- treten. Jh erkenne in den Vorschlägen der Vorlage eine Verstärkung der Armee im Gesammtmannschaftenbestande, eine Er- gänzung der Sicherstellung einer tüchtigen Ausbildung des Soldaten troß der Verkürzung der Dienstzeit, die Schaffung eines Nahmens, um für den Mobilmahungsfall eine Armee in bedeutender Stärke zu schaffen, eine Entwickelung der Specialwaffen nah allen Seiten und das Ziel, für den Fall eines Krieges die Möglichkeit zu schaffen, den Krieg in Feindesland zu führen. Es freut mi, diese Gesichtspunkte vom Neichsfkanzler bestätigt zu finden. Der Reichskanzler hat gesagt, er müßte die Schwächen der Armee offen aussprechen, um seine fo großen Forderungen zu begründen. Daß eine solche Aussprache im höchsten Grade unerwünscht ist, ist wahr. Er konnte es aber thun, weil er hoffen mußte, daß der Reichstag die Vorlage annehmen würde. In den Zeitungen findet man häufig ausgesprochen, diese ganze Vorlage sei nur entstanden aus der Liebhaberei folcher Leute, die nicht genug Soldaten bekommen können. Niemand hat an der Vor- lage weniger Freude als die Soldaten, aber die Armee wird nicht zurück- treten, auh auf Grund dieses Geseßes ihre Tüchtigkeit weiter zu ent- wickeln. Wenn einmal eine Megierung davon durchdrungen ist, daß eine solche Vorlage für die Sicherheit des Vaterlandes noth- wendig ist, so hat sie niht nur das Recht, sondern auch die peinliche Pflicht, mit allen verfassungsmäßigen Mitteln das Erstrebte zur Durchführung zu bringen. Ich sehe in dieser vielfah bewegten Zeit eine chwere Gefahr für den inneren Frieden darin, wenn wir jeßt vor Neuwahlen gestellt werden. Jch sehe auch in den Neuwahlen noch nicht den Abschluß der Schwierigkeiten ; ih fürchte, wir treiben mit offenen Augen cinem Conflict entgegen. Wir haben ein großes vater- ländisches Interesse, einen solchen Conflict zu vermeiden. Meine Schultern sind zu hwach, um die Verantwortung für eine solche Herbeiführung zu tragen. Ich weiß ja, daß es eine große Anzahl von Herren giebt, deren Schultern stark genug dazu sind; ob die Zukunft diese Stärke erproben wird, wollen wir abwarten. Man sagt, die Regierung habe die Verantwortung zu tragen. Aber wenn ich einer Vorlage zustimme, die meiner Meinung nah gerechtfertigt ist, kann ih die Verantwor- tung nicht auf andere abschieben. Jch möchte nur wünschen, daß fich die Mehrheit des Hauses auf den Boden meines Antrages stellt und die {were Gefahr vermeidet, die wir nahen sehen.

Abg. Freiherr von Manteuffel e) beantragt die Ver- tagung der Sibung; die Anträge des Abg. Freiherrn von Huene sind erst heute vertheilt worden; die Fractionen werden sich darüber be- rathen müssen, zumal der Reichskanzler den Antrag im Namen Preußens als annehmbar bezeichnet hat.

Abg. Richter (dfr.) erkennt diesen Grund nicht als berechtigt an, will aber mit Rüdcksicht darauf, daß eine große Partei die Ver- tagung wünscht, und mit Rücksicht darauf, daß wegen einer Beer- digungsfeierlihkeit (die Beerdigung des Staatssecretärs Hanauer findet um 4 Uhr statt), die Sißung doch abgebrohen werden foll, dem Antrage nicht widersprechen.

Darauf wird die Vertagung beschlossen. Persönlich be- merkt der i L

Abg. Groeber (Centr.): Wenn der Abg. Freiherr von Huene meinen Patriotismus den Patriotismus mit dem Stock in der Hand nennt, so hat er meine Ausführungen nit verfolgt. Von einr Rüstung mit dem Stock in der Hand habe ich nicht gesprochen. Im übrigen hat der Abg. Freiherr von Huene gerade dur feine

Nede gezeigt, wie dehnbar und veränderlich gerade die militäri

Anschauungen über das Nothwendige und Ünverutitbbare sind. e Abg. Greidont von Huene (persönli): Allerdings hat der

Abg. Groeber von einem Patriotismus mit dem Stock in der

Hand nicht gesprohen. Ich habe mit diesem Bilde bloß darauf hin- deuten wollen, daß, wenn das ganze Volk wehrhaft fein soll, der Patriotismus au nur wirksam werden könne, wenn er wehrhaft fei. Wenn ih den Abg. Groeber verleßt habe, so bedauere ih das; es hat nicht in meiner Absicht gelegen.

Schluß 21/4 Uhr.

Preußischer Landtag. Herrenhaus. 14. Sißung vom Mittwoch, 3. Mai.

_JIm weiteren Fortgang der Berathung der Vorlage, be- treffend RNuhegehaliskassen für die oltaosMulichrer (s. den Anfangsbericht in der gestrigen Nr. d. Bl.), nahm nach dem Ober-Bürgermeister Bender-Breslau das Wort der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Es ist sonst niht üblich, daß ih die Vertreter der Königlichen Staatsregierung zu Geschäftsordnungsdebatten und Anträgen äußern. Aber mit vollem Recht hat Ihr Herr Präsident vorhin hervorgehoben, daß der Antrag event. auch für die Sache prâs- judicirlih ist. Deshalb bitte ich sowohl als Minister wie eventuell auch wenigstens als Mitglied dieses hohen Hauses um die Grlaubniß, mit einigen Worten mi über diesen Antrag, so weit er die Verfassungsmäßigkeit ter Vorlage angeht, äußern zu dürfen. Die Königliche Staatsregierung hat in der That die Frage der Ver- fassungsmäßigkeit der Vorlage garniht erörtert, auch nit in den Motiven, und zwar um deswillen nit, weil sie der Verfas ung gegenüber ein vollkommen gutesGewissen hat, und weil der ganze Versuch, diese Vor- lage als verfassungswidrig hinzustellen, lediglich dazu dienen kann, die Ver- handlungen selbst wieder hinauszuschieben. Ich bitte die Herren, die nach diefer Richtung hin irgend einen Zweifel haben, \sich den Wort- laut des Art. 25 der Verfassung anzuschen. Ich will garnicht auf den Vorwurf des verehrten Hercn, der vor mir geredet hat, hier eingehen, wenn er sagt, die Königliche Staatsregierung wolle die ihr iur-Art. 25 auf- erlegte Pflicht, im Falle des nahgewiesenen Unvermögens ergänzungs- weise die Mittel zur Erhaltung der öffentlichen Volks\{chule vom Staat aufbringen zu lassen, von sh abwälzen. Nun, meine Herren, ih bitte Sie bloß einmal den Etat unserer Unterrichtsverwaltung anzusehen, ob dieser Etat dafür spriht, daß die Königliche Staatsregierung die Pflicht, die Gemeinden in Bezug auf das Volksschulwesen zu unterstüßen, wo fie unver- mögend sind, von sih abzuwälzen geneigt ist. Jm Gegentheil, jedes Jahr hat die Königliche Staatsregierung mit allem Ernst und aller Kraft dahin gestrebt, daß sie dieser ihrer Pflicht gerecht werde, in einem Umfange, bei dem sie nur zu oft auf Widerstand, selbst aus der Landesvertretung heraus, gestoßen i. Wir ind ja eben im Begriff, dieser Berpslitng (i U weit größeren Maße gerecht zu werden durch das Lehrer- besoldungs8geseß, das in dem anderen Hause jeßt zur Berathung steht. Nein, meine Herren, diesen Vorwurf kann ih mit gutem Gewissen und aller Entschiedenheit zurückweisen. Aber es kann auch garnicht davon die Nede fein, daß die Verfassung durch die gegenwärtige Vor- lage berührt wird. Der Art. 25 der Verfassung sagt :

Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung

der offentlihen Volksschule werden von den Gemeinden und im

Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staat

aufgebracht.

Ich will nun garnicht einmal untersuchen, ob es sich um Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung der öffentlihen Volks- {hule im Sinne dieses Verfassungsartikels wirklich handelt. Ih will zugeben : die Pensionslast gehört mit dazu. Nun, meine Herren, die ganze Vorlage beruht ja darauf, daß gerade die Gemeinden die Pen- sionslaft tragen sollen; der Staat giebt seine Zuschüsse; er giebt seine 600 Pensionszushuß nicht bloß den armen Gemeinden, er giebt sie au den reichen und prästationsfähigen Städten, die sich jeßt der Ver- pflihtung entziehen wollen, hier mit den kleinen und armen Land- gémeinden, die diese Pflicht nicht allein tragen können, Hand in Hand zu gehen. Nein, meine Herren, der Staat ift seiner Pflicht in vollem Umfange nachgekommen, aber in der Verfassung steht nur, daß die Gemeinden die Last tragen sollen, und die Vorlage enthält nichts Anderes, als daß fie diese Pflicht der Gemeinden regelt und einen geordneten Weg bahnt, auf dem die Gemeinden diese Lasten sicherer und leichter als bisher tragen können.

Nun hat der Herr Vorredner gesagt, die Vorlage wolle eie neue juristishe Persönlichkeit schaffen, die an die Stelle der Gemein- den treten solle. Auch der Herr Correferent hat das angedeutet. Meine Herren, die Vorlage schafft überhaupt keine neue juristische Persönlichkeit, fie haft gar keine organische Einrichtung. Der ganze Zweifel, ob der Regierungsbezirk ein geeignetes Substrat wäre für eine neue organishe Selbstverwaltungsbehörde, ist diefer Vorlage gegenüber ganz und gar unangebraht; denn die Vorlage saft nihts weiter als eine einfache Zahlstelle. Das ift der ganze Snhalt der Vorlage; sie \{cha}ft eine Zahlstelle dafür, daß die Last, die jeßt die armen Gemeinden tragen müssen, und die manchmal durch die Ungunst der Umstände für die Einzelnen, für die einzelne Gemeinde eine unerhörte und unershwinglihe Höhe er- reihen kann, im Wege der gegenseitigen Versiherung umgewandelt wird in eine dauernde, gleihmäßig sih vertheilende, alle betheiligten Gemeinden auf gleiher Basis nah gleihem Maße treffende Last. Nun, meine Herren, das ist doch nit die Schaffung einer neuen organi- schen juristishen Persönlichkeit. Demgegenüber glaube ih constatiren zu dürfen, daß die Schaffung dieser Zahlstelle und die Gesammtheit dieser gegenseitigen Versicherung der Gemeinden auch niht den Schatten einer Abweichung gegen die Bestimmung des Art. 25 der Verfaffung enthält und enthalten kann. Davon kann \ich jedes Mitglied diefes Hauses, glaube ih, im Augenblick überzeugen, und deshalb war die Königlihe Staatsregierung vollkommen berechtigt, die Frage nah der Verfassungs8mäßigkeit der Vorlage in "deren Begründung überhaupt außer Betracht zu lassen. Hätten wir die Verfassungsmäßigkeit der Vorlage überhaupt erft ents{huldigen wollen, dann hätte man uns den Vorwurf machen können: ihr habt kein gutes Ge- wissen. Wenn man aber ein reines Gewissen hat, dann braucht man i niht zu entschuldigen, und deshalb haben wir uns nit ent- \{uldigt. Nein, meine Herren, ih bitte Sie auf das dringendste, diesen Antrag abzulehnen, in dem ih nur einen neuen Versuch er- blickden kann, dur eine nochmalige Berathung die endgüitige Ers

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