Ich vermag nun nit cinzusehen, warum derartige Maßnahmen unter allen Umständen nur vorübergehende fein follten. (Ab. Hoff- mann: Sehr richtig!) Jh muß mi vielmehr dahin aussprechen, daß namentlich bêi einer ungebührlich hohen Spannung zwischen Vieh- und Fleischpreisen, wie sie sehr häufig vorkommt, éine vermittelnde Tätigkeit der Gemeinden zwishen den Produzenten einer- seits, den ftädtishen Fleischverkäufern oder auch Konsumenten anderers- seits, wie fie beispielsweise von Hälle ‘ünd äu von Stektin bereits für die Zukunft ‘in Aussicht genommen ist, indem diese Städte lang- fristige Liéferungsverträge mit inländischen Fleischverwertungsgenossen- {haften abzus@ließen beabsichtigen, daß eine derartige vermittelnde Wirksamkeit sehr wohl zu den fakultativ von den Gemeinden wahr- zunehmenden Aufgaben gehört. Wie notwendig und angebracht dies unter Uinständen sein kann, das haben ja do gerade in neuester Zeit die Obstrukttonsversuche der hiesigen FleisGer und ähnlihe Mani- pulationèn und Machinationen, wie sie in Halle, Dortmund und in anderen Städten vorgekommen sind, zur Genlige bewiesen. (Sehr ridtig! bet den Sozialdemokraten.) Jedenfalls, meine Herren, würdên sih die Stadtgemeinden ein weit höheres Verdienst um dke tnïnder- bemittelten Schihten der Bevölkerung erwerben, wenn sie sich etner derartigen vermittelnden Tätigkeit dauernd in zweckmäßiger, sahgemäfer und objektiver Weise befleißigten, als wenn fie ihrerseits auf jegliche Jnitiative verzihten und \fih darauf béeschränken, an die Regierung mit Forderungen heranzutreten, von denen fie von vornherein wissen, daß sie eine Umwälzung unseres Wirtschafts\systems zur Folge haben müssen und darum Aussicht auf Erfolg nit bieten können. (Leb- hafte Zustimmung réchts.)
Wenn Herr Abg. Dr. Wiemer hierzu ausgeführt hat, daß die Städte die Verantwortung für Schäden, die sich aus dér Wirts{hafts- politik des Reichs ergeben, niht übernehmen könnten, so erinnert diese Behauptung an éine Aeußerung, ‘die Zeilungsnachrihten zufolge auf einem der lezten Städtetage gefallen sein soll, und zwar des În- halts, daß es niht Sache der Städte fein könne, „für Schäden aufzu- tommen, wel{he dur die verfehlte Wirtschaftspolitik des Neichs an- gerihtet" worden seien. Ich weiß nicht, ob diese Aeußerung tatsächlih in diesem Sinne und in diesem Wortlaut gefallen ist; aber selbst wenn fie gefallen sein sollte, so erinnert fie doch gar zu sehr an ‘das bekannte Diktum: es ist meinem Vater {hon ret, wenn ih mir die Hände erfriere; warum kauft er mir feine Handschuhe, als daß man sie besonders tragish zu nehmen brauchte. Ich wenigstens kann mir nit vorstellen, daß eine preußishe Stadt- verwaltung im Ernft daran denken sollte, in Fragen, welche- ‘die vitalen Interessen threr Bürger betreffen, ih von parteipolitischen Gesichtspunkten leiten zu lassen und gewissermaßen aus Ranküne darüber (oho! links), weil politishe Tendenzen Einzelner an anderen Stellen niht besondéren Anklang gefunden haben, auf Einrichtungen zu ver- zihten, welhe das Wohl der threr Obhut unterstellten Bürger er- heischt. (Séhr gut! im Zentrum.)
Uebrigens war die Staatsregierung ja geradezu darauf an- gewtesen, sich der Mitwirkung der Städte bei ihrer Aktion zur Be- kämpfung der Teuerung zu bedienen; denn nach dén früheren Er- fahrungen konnte fie sih gar niht der Erkenntnis vers{ließen, daß bet einer Ausdehnung der beschlossenen Tarif- und Zoll- vergünstigungen auf Privatleute, auf Händler, Kommissionäre alsbald eine derartige Steigerung der Konkurrenz und Nachfrage auf dem Auslandsmatktce, und demgemäß eine derartige Steigerung der Prelse hätte cintreten müssen, daß von einem Nutzen für die Konsumenten und von einem lohnenden Itnport billigen Fleishes aus dem Auslande nicht méhr die Rede hätte sein können. Im übrigen
— Liegt-es ja auch auf der Hand, daß, wenn man ein wirksames Ein-
schreiten von den Stadigemeinden erwartete und verlangte, ihnen auch gewisse Vergünstigungen geboten werden mußten.
Wenn nun von dem Herrn Abg. Wiemer und dem leßtèn Herrn Vorredner gleihmäßig die von der Regierung beschlossenen ‘Maß- nahmen als unzulänglih und die von den Städten infolgedéfsen ge- troffenen Schritte als nicht Erfolg verheißend bezetdlnet wordén sind, fo zeugt das von einer pessimistishen Auffassung, wie sie meines Dafürhaltens in den Tatsachen keine Unterlage findet. (Sehr gut ! im Zentrum.) Es scheint mir vor Fällung derart verfrühter Urteile allerdings ‘geboten, zunähst vie weitere Entwicklung abzuwarten, namentlich au aus dem Grunde, wetl alle bisher vorliegenden Mel- dungen darin übereinstimmen, daß in den Ortschaften, in denén dice Magistrate bereits seit einiger Zeit \sich an der Fleishversorgung beteiligt Haben, das lerfreuliße Ergebnis zu verzeihnen ift, daß die Preise ganz allgemein nicht unerhebli*ß herab- gegangen sind. In Ergänzung der Mitteklungen, die gestern der Herr Ministerpräsident in dieser Beziehung gemacht hat, kann ih erwähnen, daß über 40 große Städte fich bereits zum Bezuge von Fleisch ents{chlofsen haben, und daß bereits in 26 Städten eine allgemeine Preisherabsezung eingetreten ist. Daß in Berlin, wo der Verkauf ausländishen, von der Stadt bezogenen Fleisches erst seit einigen Tagen stattfindet, jeßt {on eine nit unerhebliche Preis- herabseßung für Fleis aller Gattungen eingetreten ist, wird Ihnén aus den Zeitungsnachrihten bekannt sein. So ist vom „Berliner Tageblatt“ mitgeteilt worden, daß das Fleisch in vielen Teilen der Stadt erheblich billiger geworden sei; „namentlich die S{hlächter- geschäfte in der Nähe der Markthallen haben die Notwendigkeit erkannt, ihre Preise möglichs#t denjenigen des Tarifs anzupassen, den die Stadt Berlin für den Verkauf des eingeführten Fleishes vor- geshrieben hat. Das Schmorfleish kostet jeßt nur nech 85 „3, Suppensfleisch 65 4“ und so fort.
Meine Herren, ih gebe mich der Hoffnung hin, daß Herr Abg. Wiemer infolge dieser Mitteilungen setne pessimistische Auf- fassung, die in so starkem Gegensaß zu der überrashend optimistischen Beurteilung der englischen Verhältnisse steht (Sehr gut!), zu amendieren geneigt sein wird. (Bravo! rechts und im Zentrum.)
Abg. Heine (nl): Zu meiner Freude is} bisher von allen Stiten diejes Hauses anerkannt worden, daß die Fleischpreise bei uns wirkli eine folhe Höhe erreicht haben, daß weite Kreise der Be; vélkerung darunter zu leiden haben. Die hohen Fleischpreise wexden besonders in den Haushaltungen unangenehm empfunden, deren Er- nährer nur kleine Einnahmen haben. Die besonderen Gründe für diese Fleischteuerung liegen in der Dürre, in dem Futtermangel des vorigen Sommers, der großen Verbreitung der Maul- und Klauen- feuche und der Erschwerung der Aufzucht des Jungviehs, den hohen Kosten der tierärztlichen Untersuchung und der verspäteten Kartoffel- érnte dieses Jahres, die es verhinderte, die Tiere so früh zur Mast zu bringen wie fonst. Zu den allgemeinen Gründèn der allmähblichen Verteuerung der Fleis{preise is zu rechnen die Zunahme des Fleisch- genusses und das Wachsen der Bevölkerung. Durch beides ist selbst- verständlich ein größerer Bedarf an Fleisch cntstanden. Infolge der
Jndustrialisierung Deutschlands wendet sih auch die männliche Ar- beiterbevölkerung immer mehr den Städten zu. Dazu kommen die bohen Kosien der Fleishbeshau. Durch diese werden auch sehr viele Tiere, die früher teilweise oder ganz zur menschlichen Nahrung benußt werden fonnten, jeßt der mens{lichen Nabrung entzogen. Es ift gestern son statistisches Material daruber angeführt worden, wieviel in jedem Jahre dadurch verloren geht. Der Landwirtschaft kann diese Verluste auf sich zu nehmen nicht zugemutet werden, sie müssen bei den Fleisch- preisen wieder eingeholt werden. Ein weiterer Grund ist die Spannung zwischen Vieh- und Fleishpreisen, die sih geradefo bei Getreide und Brot von Jahr zu Jahr erhoht hat. Ueber die Gründe dieser Er- scheinung wird boffentlih die im Reichsamt des Innern zusammen- tretende Kommission Klarheit schaffen. “Ueber die von der Regierung zur Milderung der beklagenswerten Fleishteuerung getroffenen Maß- nahmen gehen nun die Ansichten weit auseinander. Dem einen gehen sie nicht weit genug, andere haben großt Bedenken, weil sie ihnen zu weit gehen. Nach Eintritt der vorjährigen Dürre ist den Land- wirten vom Minister und von den Landwirtschaftskammern immer wieder gesagt worden: Schafft eure Tiere nicht ab, haltet sie durch im Interesse der Volksernährung. Man hat ihnen auch gesagt, sie würden für ihre Aufwendungen in höheren Preisen einen gewissen Ausgleich finden. Jeßt bekommen wir aus diesen Kreisen die vor- wurfsvolle Anklage, daß davon keine Rede sein könne, wenn man jeßt das Fleish in vollem Umfange vom Auslande bereinlasse; ebensowenig kommen diejenigen Landwirte jeßt auf ihre Kosten, die große Bestände zu hohen Preisen eingekauft und durchgehalten haben. Weitere Be- denken rihten sich gegen-die erneuerte Gefahr der Seucheneinschleppung. Die. Lungenseuche ist erloschen, die Maul- und Klauenseuche ist im Erlöschen; da kann man begreifen, daß die Landwirte von diesen Maß- rahmen, die die Seuchengefahr wieder heraufbeschwören, ‘wenig er- baut find. Freilich haben die Minister gestern erklärt, es werde die größte Sorgfalt geübt werden. Die große Mehrheit des Hauses ist mit der Regierung darin einig, daß die. deutschen Landwirte nicht \{lehter gestellt werden dürfen bei der veterinärpolizeilichen Kontrolle im Fleishbeshaugeseß als das Ausland. Die gründliche Durch- führung der Üntersuchung, wie sie im Jnlande vorgeschrieben ist, läßt sih an dem ausländischen Vieh nicht feststellen; um so notwendiger ist die volle Aufrechterhaltung des § 12. Bedenken hat auch erregt, daß man den Städten in Aussicht gestellt hat, einen Teil des ge- stundeten Zolls nazulassen; man hat darin einen Einbruch in unser bisheriges wirtschaftspolitishes System sehen wollen. Diese Nück- erstattung sol nun nur ‘der Ersaß für die Mühewaltung sein, die die Städte zu übernehmen haben; das läßt sih ja hören, aber man hätte dech vielleiht in anderer Weise verfahren können. Nechtlich können die Städte wohl um ihre Mitwirkung angegangen werden; sie haben das ja auch früher s{on beim Fischverkauf usw. getan. Aber in den Städten kann man doch leicht auf den Gedanken kommen, daß man fie nur zu finden weiß, wenn es eine Last abzubürden gilt. Die Tauif- berabseßungen für Fische und Fleish werden vielfah als zu hoch angesehen. Außerdem hegt man in Schifferkreisen die Befürchtung, daß 1hre Interessen dadurch ernstlich gefährdet werden, und niht etwa bloß an der Weser, soudern auch an der Elbe und an anderen Strömen. Für die Moorkultur sollen im näcbsten Etat 12 Millionen angefordert werden. Das ist sehr erfreulich, aber in unserer Fraktion sind {on früher schr viel größere Summen als erforderlih für eine energische Kultivierung der Moore genannt worden. Auf die ganz erhebliche Bedeutung der kleinen Landwirtschaft für die Vieh- und Fleisch- erzeugung, namentlich für die Schweinezucht, ist gestern schon hinge- wiesen worden. Die Séchweinezucht ist ganz beträchtlih gestiegen; ganz entgegengesebßt ist die Entwicklung bei den Schafen gegangen; die Schaf- zucht hat immer mehr abgenommen, anscheinend wohl deshalb, weil die Deutschen sich an den Genuß von Schaffleifch nicht zu. gewöhnen ver- mögen. Die statistishen Zahlen der Produktionsverhältnisse bei uns und in England zeigen ns, wie die deutsche Landwirtschaft in der Lage ist, den Viehbestand sogar über die Bevölkerungszunahme hinaus zu vergrößern. Die S der inneren Kolonisation ist auch eine Forderung der nationaltfideralen Partei. Wenn wir aber innere Kolonisation treiben wollen, müssen wir auch dafür sorgen, daß die Sache sih für den Kolonisten rentiert; die Viehproduktion muß schon jéßt rentabel’ gemacht werden, damit. die Bevölkerung bereit ist, sich ansiedeln zu laffen, denn es. koumt nicht nur darauf an, daß wir das Land zur Kolonisation bereit ftellen, fondern daß auch das wertvolle Menschenmaterial dafür da ist. Wenn der kleine Besißer aus der Ansiedlung nicht einen Lohn für seine Arbeit herauswirtschaften kann, wird_ er sich-dafür bedank@, sich ansiedeln zu lassen. Ferner muß die landwirtschaftliche Bevölkerung gut ausgebildet werden durch land- wirtschaftliche Schulen und Winterschulen. Zur Förderung dex Viceh- zucht sind uns erhebliche Mittel in Aussicht gestellt worden, und die sind auch notwendig, denn der Landwirtschaftsetat ift bisher bei uns tn Preußen s{chlechter ausgestattet als in anderen Staaten. Auch die Anlage von Weiden wäre notwendig, und man könnte auch zu einem etwas anderen Wirtschaftsbetrieb übergehen, da die jeßige Felder- wirtschast eine Vermehrung der WViehhaltung verhindert. Das Schwein vermehrt fich ziemlich {nell und if} leiht aufzuziehen, aber da ‘die Preise regelmäßig s{chwanken und den hohen Preisen oft zwei Jahre lang außerordentlich niedrige Preise folgen, so hört die Züchtung dann wieder auf. Es wäre zu begrüßen, wenn nach dem Vorschlag der Landwirtschaftskammer die Städte auf eine Reihe von Jahren die Schweinepreise mit den landwirtschaftlihen Organisationen abschließen wollten. Das ist ja für die Stadte mit leicht, aber die Gefahr füz die Landwirtschaft ist mindestens ebenso groß, da die Futtermittel- preise nit auf Jahre hinaus zu übersehen sind. Die Landwirtschaft beweist hier, daß sie den Stadten entgegenkommen will, soweit es möglich ist. Notwendig i} ferner der Ausbau neuer Bahnlinien für viele Landesteile. Mir sind Klagen zugekommen, daß manche Schweine- züchter und -mäster ihre Ware nicht transportieren konnten, weil acht bis vierzehn Tage lang die Eisenbahnwagen nicht gestellt werden konnten. Wenn wir die Notwendigkeit der kleinen Betriebe für die Viehhaltung anerkennen, so müssen wir anderseits auh anerkennen, daß die Viehhaltung der Großbetriebe erheblih zugenommen hat. Den Domänenpächtern sollte die Pflicht auferlegt werden, im allge- meinen Interesse sih noch mehr als bisher der Viehhaltung zu widmen. Die größeren Städte tun mit ihrer viehlosen Wirtschaft auh nicht genug bte Pflicht zur Erzeugung von“ Fleisch und Milch. Unser Bestreben ist: Los vom Ausland! Wir wollen -die deutschen Konsu- menten von der Zufuhr ausländischen Fleisches unabhängig machen. Unsere Landwirtschaft hat die Viehproduktion schon so steigern können, daß wir nur noch 5 % des Bedarfs vom Auslande beziehen müssen; mit Hilfe der jeßigen Maßnahmen wird es in kurzer Zeit gelingen, den Fleishbedarf ganz sicherzustellen, und zwar zu einem mäßigen Preise. Jch stimme dem Minister darin bei, daß die Bevölkerung auh auf andere Nahrungsmittel hingewiesen wird. Ich sage nicht, daß unsere arbeitende Bevölkerung zu viel Fleish ißt, aber auch in vielen anderen Kreisen wird mehr Fleisch genossen, als unbedingt nötig. Wenn in solchen Zeiten der Teuerung man überall, auch in den wohlhabenden Schichten, den Fleishgenuß etwas beschränkte, so werden \o bobe Preise verhindert werden. Meine Partei hat \{on seit Jahren den Antrag gestellt, Mittel zur Errichtung von Haus- haltungsschulen bereit zu stellen, damit die Jugend im Haushaltungs- wesen unterrichtet wird. Wir würden noch größeren Zulauf zu diesen Schulen haben, wenn dafür gesorgt würde, daß die weibliche Bevölke- rung während der Teilnahme an einem solhen Kursus einen Ausgleich für den entgangenen Verdienst erhielte. Wir Nationalliberalen halten unbedingt an dem Schuß der nationalen Arbeit fest. Der Minister- präsident sagte, daß das bei uns Nationalliberalen selbstverständlich sei. Ich habe mi über diesen Ausspruch des Herrn Ministerpräsi- denten gefreut. Auch der Abg. von Heydebrand und der Lasa hat un- umwunden anerkannt, daß die Nationalliberalen durchaus landwirt- schaftlich seien. Möge es nun auch der vergangenen Zeit angehören, von uné zu sagen, daß wir in landwirtschaftlichen Dingen nicht absolut zuverlässig seren. Wir wollen unsere Landwirtschaft fördern und uns vom Auslande unabhängig machen. Wir wollen das tun 1m Inleresse unserer g pri und im Interesse unserer gesamten Bevölkerung und des lieben Vaterlandes. A
Abg. Ho ff (fortschr. Volksp.): Nah der Meinung des Herrn Dr. Hahn und aller derer, welhe auf demselben Standpunkt wie er
stehen, zielen die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen auf Cin- führung des parlamentarischen Systems hin, um dann etne gewi}en- lose Agitation entfalten zu können. Es ist über dic Aufgabe der Städte gesprochen und gesagt worden, es sei ihre Aufgabe, die Fleijchversorgung in die Hand zu nehmen. Wenn man den Städten, die nit auf diesem Standpunkt stechen, einen Vorwurf macht, so ist das höchst wunderbar, da doch die Regierung in der Ver- gangenheit nihts getan hat, um den Ursachen der Teuerung eut- gegenzutreten. Sehen wir uns die Maßnahmen der“ Regierung C ihre Folgen an, fo s tatsählich nicht allzu viel “dabet herausgefkfommen. wollte einmal hören, welches Geschrei au auf seiten der Nechten erhoben würde, wenn wirklichß die Städte die Maßnahmen restlos au in der Zukunft durchführen würden. Nah dem Reichskanzler soll der Abg. Wiemer ge- sagt haben, der § 12 des Fleishbeshaugefeßes könne dur eine reine Verordnung der Regierung außer Kraft ge|eßt werden. Aber er hat den Abg. Wiemer mißverstanden. Der Abg. Wiemer hat nur darauf hingewiesen, daß die landespolizeilihen Verordnungen geändert werden sollen, die die Ein- und Dur(hfuhr von amerikanishem Nindvich unmöglich machen. Ein Zusammenhang zwischen dem § 12 Und der Ekfébr von Gefrierfleisch besteht allerdings auch, da dieser fie un- möglich macht. Es i doch direkt wahnsinnig, wenn die- jenigen, die die Abänderung dieses Paragraphen wünschen, be- (Siübiat werden, daß sie der Landwirtschaft den nötigen Seuchen- Gerade wir Fortschrittler sind es bisher immer gewesen, die auf einen starken Seuchenshuß großes Gewicht - legten. Aber dieser Parograph 1st ja nux aus Gründen der Konkurrenz in das ganze Gesetz eingeführt worden. Wäre er wirklich so nötig, dann häite die Regierung eine große Unterlassungósünde begangen, indem sie es dem Neichstag überlicß, ihn einzufügen. Der Abg. Wiemer hat ja gerade gezeigt, wie man ohne Abänderung zu dem exrstrebten Ziele kommen kann. Man braucht ja nur Tierärzte ins Ausland zu shickden und das Fleisch dot unter- fuhen zu lassen. Der Neichékanzler hat es merkwürdig gefunden, daß wir die bisher ergriffenen Maßnahmen . als unzulänglich bezeichnet haben. Aber wir befinden uns da in guter Gesellschaft, in der des deutschen Städtetages und des Hansabundes. Diese stellen sich auch auf den Standpunkt, daß das argentinische Fleisch ein- geführt werden muß. Damals, als man die Margarine zuließ, wurde genau dasselbe Geschrei erhoben. Troßdem hat der Butterkonsum nicht abgenommen. Auch die Einführung des argentinischen Fleisches wird unser einheimisches Fleisch nicht entwerten. Die Frage, ob unsere deutsche Landwirtschaft in der Lage wäre, unseren Fleischbedarf zu deen, muß verneint werden. Das ist ja bei der jeßigen Politik und dem jeßigen System. nit möglich. Dazu bedarf es in erster Linie recht vieler und ret billiger Futtermittel, und dazu ist die Aufhebung der Futtermittelzölle notwendig. Die Forderung der Auf- bebung der Futtermittelzölle ist deshalb für uns eine grundsäßliche. In dieser Frage will aber die Negterung niht offen Farbe be- kennen. Wenn das Futter knapp ist, heißt es, daß bei der Knappheit auf dem Weltmarkte die Aufhebung der Futtermittelzölle feinen Zweck habe, da sie doch keine Verbilligung bringe; i} viel Futter vorhanden, so wird die Aufhebung als. erit recht zwecklos be- zeichnet. Nun follen ja derartiye Zölle überhaupt keinen Einfluß auf. die Preise ausüben. Aber das glaubt doch kein Mensch. Auch wir wünschen ja, daß unsere Landwirtschaft in die Lage gesept wird, unseren Fleishbedarf zu-decken. Das kann aber nit geschehen, solange die Futtermittelzölle bestehen. Aber diese dienen ja nur dazu, die Preise für einheimishes Korn hochzuhalten. Deshalb hält man auch an dem System der Einfuhrscheine fest, die sich geradezu zu einer Erportprämie entwickelt haben. An den Abg. Dr. Hahn, der ja wohl nach mir sprechen wird, habe i eine Anfrage. Der Bund der Landwirte hat im Jahre 1902 bei Be- ratung des Zolltarifs den Antrag gestellt, den Zoll für alle Ge- treidearten auf mindestens 7,50 4 und. den Zoll auf Mais auf 5 s zu-erhöhen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, inwtefern eine folhe Zollerhöhung im Interesse der viechzuchttreibenden Landwirtschaft und im Interesse des kleinen Mannes liege. Jeßt werde ih, so hoffe ih, auf diefem Gebiete dic nötige Aufklärung er- halten. Er sagt uns viellelht, welher Segen über Dentshland ge- kommen wäre, wenn man diesem Verlangen damals |tatl- gegeben hätte. Solange das Deutsche Reich besteht, ist meiner An- iht noch niemals ein. Antrag gestellt worden, der so bauern- und volfsfeindlih war wie dieser. Jch bedaure cs, daß alle rehts- stehenden Parteien und: auch die Nationalliberalen -gegenüber der Frage der Futtermittelzölle eine solhe Haltung einnehmen. Die ganze Tendenz unserer“ Zollgeseßgebung zielt eben niht auf eùle Grleichterung der Viehwirtschaft hin, sondern nur darauf, hohe Preise für die anderen landwirts{haftlihen Erzeugnisse zu „erlangen. Wenn der Abg. Stroebel halb für die Großbetriebe sich ausgesprochen hat, wenn auch nicht für die Großgrundbesißer, so beweist er damit nur, daß er die Dinge in der Wirklichkeit nicht kennt. Gerade die Viehhaltung erfordert \o viele persönliche Hingabe, daß der Groß- grundbesiy mit dem Kleinbesiy niemals wird konkurrieren können. Der Abg. von Heydebrand und der Lasa hat freundlihe Worte gc- funden für die großen Aufgaben ‘dec inneren Kolonisation. Graf Hayfeldt hat im Hecxenhaujse darauf hingewiesen, daß von 1816 bis 1865 im deutschen Osten 6 Millionen ha den Bauern verloren ge- gangen und dem Großgrundbesiz zugefallen find, und daß zurzeit § Piillion ausländische Arbeiter als Saisonarbeiter in landwirt- schaftlichen Betrieben tätig sind, eine eminente Gefahr für den Kriegs- fall. Ein Gutsbesißer, der 2000 Morgen besißt, beschäftigt 50 ausländishe Familien. Aus dieser Benußung ‘der ausländischen Arbeiter is dem Großgrundbesiß kein Vorwurf zu machen, da er infolge der vermehrten Anschaffung von Maschinen nicht in der Lage ist, große Arbeitermassen im Winter zu beschäftigen. Aber wir haben auf der anderen Seite keinen Grund, diese Form der land- wirtschaftlichen Betriebe noch weiter zu begünstigen. Wir müssen dafür sorgen, daß mehr geschieht, um Güter zu zerschlagen und Bauern darauf anzusegen. Wenn nun der Abg. von Heydebrand gestern für die innere Kolonisation eingetreten ist, so ist das freudig zu d, n Aber es wird ihm felbst bekannt fein, daß die Führer der konservativen Partei niht immer auf diefem Standpuntte gestanden haben. Als der frühere Finanzminister Miquel eine Vorlage ausgearbeitet hatte, die 100 Millionen für die innere Kolonisation forderte, war er so vorsichtig, sich mit dem damaligen Führer der konservativen Partei in Verbindung zu feßen, Dieser inzwischen verstorbene Führer sagte ihm : Lieber Freund, lasjen Sie die Vorlage ruhig im Schubtkasten, denn wir lehnen sie ab. Die Vorlage blieb denn auch im Schubkasten. Die konservative Partei ist also {chuld daran, daß dieser Schritt so spät unternommen ist. Bei der Struktur der konservativen Partei ist auch in Zukunft von ihr auf diesem Gebiete wenig zu hoffen. Was nüßt es, wenn 10/000 ha im Jahre kolonisiert und 48 000 fideikommissarish festgelegt werden. Die Regierung bewegt sich auh-in einem Widerf E wenn sie Maß- regeln für die innere Kolonisation ergreift, ohne die wichtigste Auf- wi der Gegenwart zy lösen, die Neform des preußischen Wahlrechts. Auf Grund des bestehenden Wahlrechts ziehen 140 Großgrundbesigzer in dieses Haus ein und gegenüber diejer kompakten Mehrheit wird im Ernste von einex Kolonijation nicht die Nede sein. Man hat von deur Segen der Schußzpolitik für die Landwirtschaft gesprohen und dic* Aera Caprivi herabgesetzt. Aber gerade unter dieser Aera ift die deutsche Landwirtschaft emporgeblüht, hat {ih unser gänzes wirtschast- liches Leben gehoben. . In. der Zeit von 1894 bis 1906 wurde ein großer aufnahmefähigec Markt für alle Agrärprödukte geschaffen. Das ist die cigentlihe Ursahe der Blüte der Landwirtschaft. Jh habe es selbst gejehen, wieviel Vieh in Husum nah dem Inlande persrachtet wurdé, Vieh, das früher zum großen Teil nah England ging. Seit 1906 geht es den kleinen Landwirten nicht bes er als in der Aera Caprivi, sondèrn in manther Beziehung \{chleckchter. Séeil- dem hat eine Mobilisièrung des Grund und Bodens, eine Preissteigerung stattgefunden, die wohl hier und da dem Großzgrund- befitz geholfen, aber .den Bauern niht immer zum Segen gereicht hat. Mit solchen „Nedensarten wie die, daß wir den Bauern vom Aus- lande unabhängig mahen müssen, is wenig zu erreichen, denn wit
schuß vorenthalten wollten.
find einmal mit dem Bezuge 1üfeter Rohprodukte und in vieler anderen S, uf das OEaNE angewiesen. Jch bin fest über- zeugt, ern fu 251 3:4 irfli
Freunde auf der linken Seite - Ne Caiaden, E E E
Minister für Landwirtschaft, Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Sie werden nit erwartea, daß ih dem Herrn Vorredner bezügli einer großen Reihe seiner Ausführungen entgegen- trete. Jh nehme an, daß der Herr, der nach mir aus der Mitte dieses Hauses das Wort ergreifen wird (Heiterkeit), seinerseits ver- suchen wird, wenn auch ‘vergeblih, ihn eines befseren zu beléhren. (Sehr rihtig!) Aber einiges, was der Herr Abg. Hoff gesagt hat, kann {ch doch nit unwidersproczen lassen.
Er hat zunähst darauf hingewiesen, daß alles das,‘ was bisher für innere Kelonisation- regierungsseitig gesehen sci, so gut wte gar nichts sei. Meine Herren, ih erinnere demgegenüber an die Zahlen, die gestern hier der Herr Ministerpräsident angeführt hat. Ich frage, ob die mehr als 18-000 Stellen, „die ‘seit dem Jahre 1891 mit Hilfe der Generalkommissionexn besiedelt tvorden find, und die nahezu 20090 Stellen, die die Ansiedlungskommission in Posen und West- preußen geschaffen Hat, nun wirkli - gar nichts sind im Sinne des Herrn Vorredners. Jh glaube, wir müssen das ver- neinen. Meine Herren, Sie dürfen nicht vergessen, daß man #n Deutschland nicht Eolonisieren kann wie in Rußland, daß man ‘im 20. Jahrhundert nit so arbeiten kann wie zur Zeit Friedrichs des Großen. (Sehr richtig! rets.) Wenn wir Oed: und Moorflächen vor uns haben, fo ift es natürli unter Anwendung der erforderlithen Geldmittel auÿh heute noch mögli, in rascher Weise zu kultivieren und zu besiedeln. Aber unsere Kolonisation soll si ja nit allein auf die Oed- und Moorflächen beziehen, fie soll vor allem in den- jenigen Provinzen auch wieder Menséhen hafen, welche im Laufe der Jahrzehnte entvölkert sind; dort haben wir bereits fultiviertes Land in Angriff zu nehmen und mit Ansiedlern zu beseßen, und wir müssen uns schwer Hüten, diesen Prozeß allzusehr zu beschleunigen, weil wir uns sonst in \ämtlihen Provinzen so \{chwierigen Verhältnissen gegen- über befinden werden, wie wir sie in Posen, Westpreußen und leider auch in Ostpreußen {hon haben.
Dann hat der Hexr Abg. Hoff einen Widerspruch feststellen ju müssen geglaubt zwischen iner Bemerkung des Herrn Staats- sekretärs Delbrück und - einer Ausführung, die ih im Neichstag- im Jahre 1911 gemat habe. Ih glaube den Herrn Vorredner ritig dahin verstanden zu haben, daß er die Ausführungen des Herrn Staats- selretärs Delbrück in das Jahr 1910 verlegt. Also der Herr Staats- sekretär Delbrück hat gesagt: er würde {ih keinen Erfolg ‘davon ver- sprehen, den Zoll und die Fraht auf Futtermittel zu ermäßigen, weil in dem in Betracht kommenden Jahre genügende Futtermittel im Lande vorhanden feien. Ein Widerspru gegen diese Aeußerung soll darin liegen, daß ih im Jahre 1911 gesagt babe, cs würde sich nicht lohnen, die Fraht und den Zoll auf Futtermittel zu ermäßigen, weil im Auslande verhältnismäßig — es- war nämlich in erster Linie von Mais die Nede — wenig Mais gewa@hsen set und weil mit Be- stlumtheit angenommen werden müßte, daß die geringe Ermäßigung, tie dur Zoll und. Fracht herbeigeführt werden könnte, wieder dur Erhöhung der Preise im Auslande wettgemaht und. dem Handel und wt dem Konfumenten der ganze Vorteil zugewendet werden würde. Jh farbe, wer diefe Aeußerungen ruhig und objektiv gegencinanderhält, der ticd kcine8wegs einen Widerspruch, sondern eine vollständige Ucber- cnstimumung darin finden: in dem cinen wte dem andern Falle wird ie Ermäßigung auf Zoll und Fracht abgelehnt, weil fic den Pro- luzenten keinen Vorteil bringen würde. :
Nun möchte ih dem Herrn- Vorredner noch entgegentroten in der Neinung, daß- Deutschland auch in Zukunft nit in ‘der Lage sein würde, în der Hauptsahe den Fleishbedarf der Bevölkerung zu deten. Jh stehe in Uebereinstimmung mit den Erklärungen, die au geftern von dem Herrn Ministerpräsidenten und im vergangenen Jahre gelegentlih- der Teuerung von der Reilhßs- und preußif{en Staatsregierung abgegeben worden sind, auf ‘detn Standpunkt, daß Deutschlands Vichproduktion aller Voraussiht nach noch auf längere JInhre imstande sein wird, dem steigenden Fleishkonsum der Bevölke- tung nachzukommen. Auch der Herr Vorredner hat {hon die Empfindung (ehabt, daßtman die beiden leßten Iahre zum Beweise seiner Behauptungen nil heranzlchen darf, weil wir im leßten Jahre die große Dürre p seit zwei Jahren die Maul- und Klauenseuche gehabt haben- „ces Ursachen, die in ganz besonderem Maße dazu beigetragen haben, f? Viehzuht für die Landwirtschaft s{chwieriger zu machen und infolge- esen auch einen Nückgang der Produktion herbeizuführen! Aber [lbst wenn ih zugeben muß, daß ‘die Zahlen der S{lachtungen
Domänen und Forsten
j d des Auftriebs auf den Märkten in dem leßten Vierteljahr weniger
qut gewesen sind als in tem entsprehenden Vierteljahr des vergangenen Mhres, so glaube ih doch, daß gerade die Ereignisse der lezten Tage den Beweis dafür geliefert haben, daß die gegenwärtige Teuerung nicht lein auf das Nichtkönnen der deutshenLandwirtshaft und Viehzüchter irückzuführen ist. Wenn es den-Maßnahmen, die in den Städten, und var sind es ungefähr 40, wie - der Herr Minister des Jnnern heute lorgen angab, getroffen woeden sind, in wenigen Tagen gelungen ift, teinahe überall cine Herabseßung der Preise herbetzuführen, dann ist damit jedenfalls. bewiesen, daß das Fleis auch billiger verkauft werden lonnte, Mit dieser Wahrnehmung stimmen auch die Mitteilungen (tein, die von fehr glaubhafter Seite in den leßten Tagen gema@{ht “has sind. I ‘darf erinnern an eine Zuschrift eines Herrn von Mon aus SwWßlesien, der in der Presse mitteilt, daß er über H Stück mastfähiges Rindvieh zu Hause zu {tehen habe, ÿ er es vergeblih in der- Schlesishen Zeitung annonziert habe, daß ! hließlih seinem bisherigen Abnehmer ges{hrieben habe, ‘und dieser Mwortete, er wolle kommen und sich -das Vieh ansehen; er mache P aber {on jeyt darauf aufmerksam, daß er augenblicklih keine Dirt Aa dafür habe, weil sehr viel Vieh zur Verfügung stehe. vot, Dort! i Ebenso macht ein mir gut bekannter Gutspähter — ih kann ir die Wahrheit seiner Worte einstehen — aus der Nähe einer when Stadt am Rhein mir die Mitteilung, daß hon seit Sep- tr d.-J. ihm dauernd nicht dasjenige, Mastvieh abgenommen fen sei, däs im Stalle zur Vexfügung stände. Als er in den An Tagen wiederum seinem bisherigen - Abnehmer ges@hrtieben le, er möhte das Vieh nehmen, hütte dieser ibm zurüc- 4 fieben, er könnte augenblickliÞ nichts abnehmen, ba er B 30 Stück Ueberstand habe: der Verkäufer müsse vorkäufig sein ih noch behalten! (Hört, hört!) Das spricht do nicht dafür,
_ gestrigen Tage wie auch tnçeine Ays&ühru22eg darüber
daß tic Landwirtschaft uit in der Lage ist, der Na(frage des Handels nachzukommen, und läßt erkennen, daß sie auch ia Zukunft imstande scin wird, dem fteigenden Fleis{chbedarf der Bevölkerung Nechnung zu tragen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Aber der Preis !)
Ad vocem Sleischbedarf muß ich noch kurz auf die Ausführungen zurückfommen, die ih gestern gemaht habe, und die den Gegenstand eines sehr lebhaften Angriffes seitens des Herrn Abg. Ströbel bildet haben. Wer ruhig das nahliest, was ih gestern gesagt habe, wird in Uebereinstimmung mit Herrn Abg. Heine in - diesen Worten niht dasjenige finden, was der Herr Abg. Ströbel aus denselben entnommen hat. - Ih habe zunächst nicht von der Gegenwart, sondern in erster Linie von der Zukunft ge- sprechen und darauf aufmerksam gemacht, daß wir bei der zunehmenden Neigung der Bevölkerung, die Fleishnahrung zu vergrößern, — diese Neigung findet fich übrigens nit allein in den Arbeiterkreisen, sondern ebenso in den besseren Kreisen — notwendigerweise darauf hinwirken müßten, auch die Bevölkerung über den Wert anderer Nahrungs- mittel aufzuklären und dafür zu sorgen, daß sie fich auch diesen be- sonders dann zuwendet, wenn ‘die Preise für Fleisch böher geworden find. Meine Herren, ich habe damit der Neigung der Arbeiter- bevölkerung und ihrem Wunsche, genügend Fleis im Topfe zu sehen, in keiner Weise entgegentreten wollen. - Hätte ih für dieses Be- dürfnis kein Verständnis gehabt, so hätte ih meine Zustimmung niht öu Maßnalzmen geben können, die dazu bestimmt waren, der augen- blicklichen Fleishuot abzuhelfen, und die, wie der Herr Minister- präsident gestern ausgeführt hat, nahezu: bis an die Grenzen desjenigen gegangen find, was die Königliche Staatsreglerung und vor allen Dingen auch die landwirtschastlihe Verwaltung verantworten konnte.
Aber, meine Herren, wenn man — und ich habe es gestern getan — den Vergleih mit der Lebensweise in andern Ländern zieht
— ih habe speziell anf Frankrei hingewiesen —, so liegt es do -
nahe — und das ist durchaus feine Beleidigung des Arbeiterstandes —, daß wan auch hier zu Lande den Rat gibt, mehr als es bis jetzt ge- schehen ift, andere ebenso nahrhafte Nahrungsmittel zu benußen.
(Sehr richtig! rechts.) Denken Sie doch an Italien, namentli an
die Bewohner Oberitaliens, die kräftigsten Land- und Erdarbeiter, die Stie- sehen können! Ich habe foléhe Leute selbst jahrelang bei mir be- {{äftigt, und ih habe selten gesehen, daß fie anders als am Sonntag überhaupt ein Stück Fleisch zu sih genommen haben. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: So wenig Lohn bekamen sie? — Lachen rets.) Meine Herren, dieser Ansicht stimmen nt{@t allein zabßlreihe Aerzte bei! Jh kann auch mich selbs anführea! Ih kann auch mich selbst als Beispiel anführen! Der „Vorwärts* hat die Freundlihkeit gehabt, wie ih soeben gesehen habe, {hon das Wochenmenü meines Hauses zu wveröffentliGßen. (Heiterkcit.) I bin in der kurzen Zeit nit in der Lage gewesen, die Nichtigkeit dieser Angaben naclzuprüfen; aber das kann ih jetzt schon sagen: ih gehöre zu denjentgen, welhe im Laufe der Woche mindestens durch- schnittlich an drei Tagen kein - Fleisch essen (hört, Hört !); ih bin auch niht in der Lage, ‘cinen Ersay der Fleishkost durch Kaviar oder Austern herbeizuführen, und ih glaube troßdem, daß ich ebensowenig einen unterernährten Gindruck mache (große Hefterkeit), wie der Herr Abg. Ströbel und wie diejenigen, - die i am legten Sonntag über
die” Wilhelmstraße in ges{lossenem Zuge — allerdings ohne Tritt —
zu der großen Versammlung der Sozialdemokraten im Treptower Bolkspark gehen fah !
Ich komme damit zum SÞhluß. Ih 11öchte nur noGmals wieder- holen, daß sowohl die Worte des Herrn Ministerpräsidenten am keinen Zweifel lassen können, - daß an cine Aenderung des §12 des Fleisch« beshaugeseßzes niht gedaht werden kann. (Bravo! rets.)
Die landwirtschaftliße Verwaltung und die Regierung werden unter ällen Umständen daran festhalten, daß keine Maßnahme ergriffen wird, die tmstande ist, die Produktion an Vieh in der deutshen und preußishen Landwirtschaft in. Zukunft in Frage zu stellen. Darauf
kann die Landwirtschaft vertrauen, und sie kann auch in Zukunft
sicher setn, daß thren beredtigten Ansprüchen Rechnung getragen wird! (Bravo! rets.)
Abg. Dr. Hahn (kons.): Der Landwirtshaftsminister meinte, es würde noh ein Mitglied des Hauses den Darlegungen des Abg. Dolf entgegentreten. Das könnte für mich als des Schweißes der Edlen wert erscheinen. Aber ih will zunächst nur fteisinnige Redner auf dem ‘Parteitag der forts{hrittlichen Volkspartei in Mannheim gegen den Abg. Hoff anführen. Dort sagte der Neichstagsabgeordnete Blunck aus Hamburg, daß die Forderung des Abg. Fegter nah Er- mäßigung der Getreidezölle um 50 -5 ohne Wert für: die Ernährung unsérer mindérbemittelten Bevölkerung fein würde. Von einer be- sonderen Steigerung der Getreidepreise könne bei uns nicht ge- \prochen werden, die Getreideyreise hätten \sich bei uns in durchaus verstätidigen Grenzen bewegt. Man muß eigentlih dem Abg. Blunck cin Zengnis für feine gute Einsicht ausstellen, und er könnte, wenn er sich so weiter entwickelt, vielleißt noch Mitglied des Bundes der Landwirte werdêèn. Auf dem Parteitag zeigte sch allerdings lébhäfter Widerspruh, Und da sagte der Abg. Blunck: „Da kennen Sie dic Statiftik nicht. Es/ ist sehr viel mit Schlagwörtern gearbeitet worden“ (Nuf rechts: Wie immer!) — wie immer, ganz recht. „Die Herabseßung der Getreidezölle |{|st in das Volk hinting@worfen ohne Zugkraft und agitatorishe Wirkung. Das gilt, zumal wenn nur eine Herabseßung um 50 „F verlangt wird, aber män muß ah berücksihtigen, daß man mit ciner be- deittenden Heräbfeßzung den Getreidebau und den Bauernstand vor den Kopf \tößt." Da rief ein anderer Freisinniger : „Sehr richtig!" Wollen Sie sich das cinmal mnerkéên, Abg. Hoff! Vielleicht kann der Abg. Blunck auch eine anderè Rede hâlten. (Zwischenruf des Abg. Hoffman n.) Ich weiß ganz „genau, was der Abg. Hoffmann von mir - wünfcht. dal des Abg. Hoffmann) Abg. Hoffmann, seien
ie jeßt eininal Ul. (Prüsident Graf von Schwerin: Abg. Hahn, ih bitte Sie, sich an ‘das Haus zu wenden und nitt an einén einzelnen Abgeördneten.) Sehr wbdhl, Herr Prä- sident! Ich will jeßt dem Hause mitteilen, was der Abg. Hoffmann denkt. Er hat óhne’ Frage in der Zeitschrift des Bauernbundes dic Ausftreuung gelesen, als ob ich in der Geeît, meiner Em anders rede als in der Mars, als ob ih dort für hohe Zölle und in der Marsch und auf dem Polder dagegen. spreche. Wenn das wirkli der Fall wäre, so würde ih nit cinen Tag länger Direktor des Bundes der Landwirte séin. In der Geest hat uian kein Interesse am Getreide- bau, fondern man Fauft \éhr viel Getreide zu, dagegen in der Marsch mit der Polderwittschaft baut man fehr viel Getreide und hat dort Interesse an Getreidezöllen. Wenn ih also: wirklich so wäre, wié dêr Bauerubund mihch abmäalt, so müßte ih genau das Gegenteil fägen, aber ih halte diéselbe Nede bei Viehzüchtern und bei Getreidebauern, indem ih darauf hinweise, daß beide . gemeinsam arbeiten müßen, und daß sonst Peide - Teile vecloren eien. Der Abg. Bluùúck jagte dani weiter in Mannheim: . „Wir ‘sollten daran denken, ob es wirklich unfer Ziel ist, Deutschland aanz zu industrialisieren.“ Der Abg. Hoff scheint gegenteiliger Meinung zu sein und will angesichts der gewaltigen industrialistischen
\ Süden einges{leppt worden.
Entwicklung Deutschlands landwirts{häftlichen S@{huß bewilligen. Herr Blunck sagte weiter: „Weun wir das nit wollen, fonbern auf dem Standpunkt stchèn, daß Land- wirtschaft und WBauerntum notwendig. sid, um unfer Volk gesund zu erhalten, so dürfen wir nicht vergessen, daß wir an der Grundlage dèr Cristenzsähigkeit des Bauernstandes nit rütteln dürfen, und ohne Zollshuß is er nicht existenzfähig. Wenn der Bauer zur Fahne des Volkes hält, dann tvird wieder die Zeit kommen, wo Bauerntum und Demokratie zusammengchen.“ Wenn man folhe Nede hâlt und dann hier Reden gehalten werden, wie von dem Abg- Hoff, dann kann man allerdings in Schleswig-Holftein freisinnige Mandate gewinnen. Wenn man auf der eien Seite für den Bauernstand und auf der anderen Seite für den Konsumenten eintritt, muß man ja s{ließlich Stimmen bekommen, wenigstens so lange, bis der eine Teil merkt, daß er an der Nase geführt wird. Interehant waren au die Ausführungen des Pfarrers Korell in Mannheim. Er sagte: „Ih spreche nicht, um ein Mandat zu gewinnen, als etn Mann, der {hon sehêmal durgefallen ist, habe ih kein Interesse daran, ih \prehe nit, um die Bauern zu gewinnen, sondern aus meiner wissen{shaftliden Ueberzeugung und aus vraktisher Beobachtung.“ Und danach erklärte sich Korell gegen die Ermäßigung der Zölle und sagte, daß die Teuerung mitverursaht werde durch das anormale Jahr ; man dürfe keine Maßnahme treffen, die das Ziel der Bauern- wirtschaft, die Versorgung des deuts&en Marktes mit heimischer Produktion, durlkreuze. Korell will also die Getreidezölle mit Aus- nahme der Futtermittelzölle aufrecht erhalten. Wollen Sie das auch, Abg. Hoff? Blunck und Korell mögen für mi den Kampf gegen den Abg. Hoff übernehmen. Der deutshe Bauer wird ganz gerührt von der Fürsorge des Herrn Wiemer für die Landwirtschaft sein. Herr Wiemer will den Bauernstand instandseten, den heimischen Markt zu ver- sorgen. Vielleicht wird auch der Abg. Wiemer noch Mitglied des Bundes der Landwirte. Weiter wollen wir ja auch nichts. Der Abg. Wiemer hat eine merfwürdige Vorliebe für England und zitiert die „Kreuz- zeitung" dafür, daß die englische Landwirtschaft in Blüte stehe. Er sollte nur richtig zitteren, jonst shadet er seinem Anschen im Lande, Die „Kreuzzeitung“ hatte in cinem Artikel nur gefagt, die Haupk- ursache, die der englishen Landwirtschaft wieder etwas von ihrer früheren Blüte gegeben babe, seien die landwirtscaftlihen Neben- produtte gewesen. Daß sonst die englische Landwirtshaft mit der deutschen nit Stange hält, ist sonnenklar. England holt die Hälfte seiner Fleischnahrung aus dem Auslande, wir exportièren dagegen noch Getreide und können viel ruhiger einem Kriege entgegensehen, weil wir mehr eigene Nahrungsmittel haben. Wenn man die Entwicklung vergleicht, die der Viehbestand seit 1873 in Preußen und in England genommen hat, dann sehen wir, daß dieser bei uns, sowohl was die Anzahl des Vicbes und die Menge auf 1000 Einwohner betrifft, sehr zugenommen hat, während er in England nur ganz gering war. Daß in England, ganz besonders was die Shweinezucht und -mast anlangt, der Fortschritt nicht in deux wünschenswerten Maße exfolgt - ist, dafür sieht Dr. Boehmerx die Hauptursahe in der Zulassung des crgentinishen Gesrter- fleishes. Deshalb müssen wir bei uns auf denselben Rük- gang gefaßt sein. Der Abg. Dr. Wiemer sollte es si do) überlegen, ob er noch in Zukunft uns England als Vorbild empfehlen kann. Die gestrigen Ausführungen des Neichskanzlers werden sicher freudigen Widerhall im Lande finden. Er hat sich zum Schuße der nationalen Arbeit und zur Aufrechterhaltung der Gesundheit unseres Viehbestandes bekannt. Er hat sih gefreut, tonstatieren zu können, daß auch Herr Schiffer und dessen Partei an demselben Schutz festhalten will. Besonders freudig ist voux Reichskanzler begrüßt worden die Forderung der fortschrittlichen Interpellation, daß der Fleis{bedarf Deutschlands durh die eigene Viehproduktion gedeckt werden muß. Aber die Fortschrittspartet drängt dann auf die Maßaahmeu, die sie für nötig hält. Die Au3- führungen des Kauzlers waren vielverheißend für die Zukunft," aber doh noch niht immer so, daß fie uns voll besfriédigen können. Das hat ja au der Abg. von Heydebrand und der Lase ausgesprochen, indem er ausführte, daß durch den Ausfall, den unsere Landwirts(baft durch die Fleishverwerfung erleidet, und durch die bedeutenden Gebühren, so z. B. dur “die Doppeluntersuchung, eine fol@e Belastung eintritt, daß es ungere{t- fertigt ist, zugunsten des Auslandes Ausnahmen zuzulassen. Und das, was der Ministerpräsident zugelassen hat, gibt zu großen Bedenken Anlaß. Wir haben im Bund der Landwirte auëgeführt, daß wir ernste Bedenken gegenüber den Maßnahmen" der Negferung haben. Jch führe hier als Kronzeugen den Landwtrtschaftsminister an. Er gab zu, daß ih darüber streiten läßt, ob es wünschenswert ge= wesen wäre, daß gerade diese Maßregeln getroffen wurden. Der Bünd der Landwirte sagte nur, daß das Vertrauen zu der Regierung durch die Zulassung von fremdem Fleis und die Zollstundung nicht gewinnen könne. Mehr brauche ih nicht zu sagen, um das, was der Bund der Landwirte ausgeführt hat, als berechtigt ersheinen zu lassen, Die Landwirte im Lande haben viel mehr Unruhe, als Sie glauben, Wenn wir den Lañdwirten Vertrauen ceinflößen wollen, müssen wir ihnen die Gewißheit geben, daß die jeßigen Maßnahmen in demselben Augenblicke aufhören, wo wirklthe Gefahren für die Gesundheit de Menschen und Tiere herbeigeführt werden können. Bezüglich deu Aufklärung möchte ih uur ctwas sagen, wie sie wohl hätte vor= genommen werden können. Daß die Kreisblätter nicht alles gebracht haben, das ist do eigentümlich. Als damals im Jahre 1909 der damalige Reichskanzler seine Meinung über die Erbanfallsteuer der Deffentlihkeit mitteilen wollte, da versagten die Kreisblätter niht. Jch bitte deshalb den Herrn Minister, ich die damaligen Maßnahmen zum Muster zu nehmen und vielleiht sogar eine Persönlichkeit zu engagieren, wie es damals geschehen ist. Herr von Levy-Halle ist damals direkt damit betraut wordén, die Bevölkerung über den Nußen der Erbanfallsteuer aufzuklären. Dasselbe wäre vielleiht au in diesem Falle wünschenswert gewesen. Die Landwirtschaft würde sicher niht abgeneigt sein, dem Minister mit Yat und Tat zur Seite zu stehen, ihn mit dem nötigen statisti= schen Material zu versorgen, um feine Preisbildung aufkommen zu lassen, die zu Bedenken Anlaß gibt. Es ist gut, daran zu erinnern, wie wir 1m Jahre 1909/10 zu den Seuchen gekommen sind. Die Maul- und Klauenseuche ist aus Nußland auf dem Wege über den e Sie erschien damals zuerst im russischen Grenzgebiet. Und dieser Grenzverkehr ist beständig cine Quelle der Seuchengcfahr. Diesem Verkehr hat man die größten Erleichterungen zugestanden. Die Händler gehen über die Grenze hin und her, bringen Stroh undHeu und stellen auch thr verseuhtes Vich in unsere seuchenfreien Ställe. Dasselbe ist an der holländischen Grenze der Fall. Das muß natürlich zu großen Verlusten im Innern führen, wenn ter Kampf gegen die Seuche an der Grenze nicht kräftig genug geführt. wird. Wir freuen uns über den Wetteifer, den man überall - ent4 faltet, um die Erreger der Krankheiten der Tiere zu finden, Ich babe erst kürzli darüber Nachricht erhalten, wie an der Elbe durd) die Schweinepest die dortigen Schweinebestände dezimiert werden Auf das Studium aller dieser Krankleiten muß deshalb bald eina große Prämie gesetzt werden. Die Rede des Abg. Schiffer hat mir große Freude gemaht. Er hat \ich ja in der Haupt saWe zu dem Grundgedanken des Reichskanzlers bekannt. Cr hat auch Kritik am Bunde der Landwirte geübt, das nehme ih ihm niht übel. Er hat das fo shonend getan. Man wirft uns vor, daß wir Kritik an den Maßnahmen des Reichskanzlers üben, M! TNIE uur daran, wie z. B. dite „Frankfurter Zeitung“ kürzlich ü er en teihsfanzler ih geäußert hat. So etwas wird der Bund der Landwirte nie tun. Aber er wird es ih nicht nehmen lassen, es au zu sagen, wenn er sahlich einmäl anderer Meinung ist. Jch wurde mich freuen, wenn fowohl der Abg. Schiffer wie der Abgài Heine im Namen aller threr Parteifreunde gesprohen_hätten. Aber Mis r Wt der Fall „ wie eine Aeußerung des „Zreiherrn, von Ma Abeud zur Frage der Fleishteuerung beweisl. i Gr gibt ber Meinung G L d / daß gegen die Einfuhr von Gefriersleis keine stichhaltigen runde vorgebraht werden fönnen. Jch perfönlih freue mi darüber ganz - außerordentlich, denn dadurch wird mir die Arbeit
nid mehr den
erleichtert, den Abg, von Nichthofen wicder aus "meine