1912 / 283 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 28 Nov 1912 18:00:01 GMT) scan diff

Deutsches Reich.

Dem argentinischen Generalkonsul in Hamburg Christian DLRAY ist namens des Reichs das Erequatur erteilt worden.

BeTannüimacGung.

Der Herr Reichskanzler hat durch Erlaß vom 13. No- vember 1912 die in der Generalversammlung der Sun Jnsurance Office of London am 5. Juni 1912 be- \hlossenen Aenderungen der Gesellschaftsstatuten genehmigt.

Die Statutenänderungen betreffen die innere Organisation der Gesellshaft und die Zahlung der Jnterimsdividende.

Berlin, den 23. November 1912.

Das Kaiserlihe Aufsichtsamt für Privatversicherung. Gruner.

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht:

den in die Oberpfarrstelle zu Werben berufenen Pfarrer

Lüde cke, bisher Vieriß, zum Superintendenten der Diözese Werben, Regierungsbezirk Magdeburg, zu ernennen.

SeineMajestät der König haben Allergnädigst geruht: dem Fabrikbesißer Wilhelm Ling in Süchteln, Kreis Kempen (Rhein), den Charakter als Kommerzienrat und dem Lotterieeinnehmer, Stadtrat Ernst Müh le in Myslowiß den Charakter als Kommissionsrat zu verleihen.

Auf Jhren Bericht vom 9. November d. J. will Jch der Kleinbahn Wilstedt—Zeven—Tostedt, G. m. b. H., in Zeven, welche die Genehmigung zum Bau und Betriebe einer Kleinbahn von Wilstedt über Zeven nah Tostedt erhalten hat, das Enteignungsrecht zur Entziehung und zur dauernden Beschränkung des für diese Anlage in Anspruch zu nehmenden Grundeigentums verleihen. Die eingereichte Karte folgt zurü.

Moschen, den 15. November 1912.

WilhelmR.

von Breitenbach. An den Minister der öffentlihen Arbeiten.

Der Königliche Hof legt heute für Jhre Königliche Hoheit die Gräfin von Flandern die Trauer auf eine Woche bis einshließlich den 3. Dezember an,

Berlin, den 27. November 1912.

Der Oberzeremonienmeister : Graf A. Eulenburg.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten.

. Die aus Teilen der jeßigen Oberförsterei Schönlanke und der angekauften Herrschaft Me neu zu bildende O ber- försterstelle Schönlanke - Nord im Regierungsbezirk Bromberg mit gutem Dienstgehöft in Schönlanke a. d. Ost- bahn ist zum 1. Januar 1913 zu besegen. Bewerbungen müssen bis zum 15. Dezember eingehen.

Nicfamlli@ßes. Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 28. November 1912.

Der Bundesrat versammelte sich heute zu einer Plenar- sißung ; vorher hielten der Ausschuß für Justizwesen, die ver- einigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justiz- wesen, der Ausschuß für Handel und Verkehr sowie der Aus- {uß für Rechnungswesen Sißzungen.

Anlage C zur Eisenbahnverkehrs ordnung.

Auf Grund der Schlußbestimmung in Anlage C zur Eisenbahnverkehrsordnung hat das Reichseisenbahnamt unterm 15. d. M. einige Aenderungen der Nummern La, Ib und Ic verfügt :

1a. În den Eingangébestimmungen A. Sprengmittel 1. Gruppe a. sind die Vorschristen über die Zusawmenseßung des Raschits V1 ge- ändert und ist der Sprengstoff Titanit V nachgetragen.

1b. Im Abschnitt C ift Abs. (5) dahin ergänzt, daß auch bei Sprengladungen, die aus einer bereits bescheinigten Sendung von Tosem Stinalioife hergestellt sind, die Bescheiniyung eines anerkannten Chemikeis nicht erforderlich ift.

le Im Abschnitt A Abs. (2) d. 7. sind durch einen Zusay für gewisse Knallko:ke besondere Verpackungsvorschriften eingeführt.

Das Nähere geht aus der Bekanntmachung in Nr. 61 des Reichsgeseßblatts vom 26. d. M. hervor.

Laut Meldung des „W. T. B.“ sind am 26. d. M. S. M. S. „Hansa“ in St. Thomas und S. M. Flußkbt. „Tsingtau“ in Sainam eingetroffen.

Jn der Dritten Beilage zur heutigen Ausgabe des „Reichs- und Staatsanzeigers“ is eine Genehmigungsurkunde, betreffend eine Anleihe der Stadt Stralsund, ver- öffentlicht.

Görliß, 27. November. Kommunallandtags des Markgra

Die T Tagung des ist gestern eröffnet worden.

tums Oberlausitz

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Sachsen.

In der gestrigen Sizung der Zweiten Kammer wurde über die grundlegenden R enba des Volks\schulgeseßzes abgestimmt. Die meisten Paragraphen wurden laut Meldung des „W. T. B.“ in der Deputationsfassung angenommen, darunter auch der Absaß 3 des § 2, der den Religions- unterricht betrifft. Der Kultusminister hatte den Absatz in dieser Fassung als unannehmbar bezeichnet. Die Annahme er- folgte mit 60 gegen 27 Stimmen; dagegen stimmten die Kon- servativen und ein Nationalliberaler.

Oesterreich-Ungarn.

Das österreihishe Abgeordnetenhaus hat gestern in zweiter und dritter Lesung die Regierungsvorlage, betreffend Einführung einer Klassenlotterie, angenommen und sodann die Beratung des Dringlichkeitsantrages über Ab- änderung des Tierseuchengeseßes fortgeseßt. Am Schlusse der Sißung beantwortete der Minister des Jnnern eine Interpellation Langenhan, betreffend die Verbreitung falscher Gerüchte über die Folgewirkung der politishen Ver- hältnisse auf die Sicherheit von Geldinstituten, namentlich von Sparkassen.

Nach dem Beiicht des „W.T.B." wies der Minister Dr. Freiherr von Udynski darauf hin, daß bereits in der (Finverleibungsfkiise im Jahre 1909 in unverantwortlicher Weise und offenbar mit Vorbedacht zum eigenen Vorteil falsche Gerüchte in Umlauf geseßt worden feien, durch die der Glaube an die Sicherheit der Einlaçen bei Sparkassen untergraben werten sollte. Bereits damals habe der Finanzminister mit aller Entschiedenheit jenen Gerüchten den Boden entzogen, die glauben machen wollten, daß der Staat für den Fall cines Krieges die Spar- kfasseneinlagen für seine Zwecke verwenden wolle. Auf die damaligen Aus- führungen fich beziehend, könne er es nur mit Entrüstung zurückweisen, wenn der Verwaltung eines geordneten RNechts\taates neuerlich der- artige rechtswidrige Eingriffe in das Privateigentuin zugemutet würden. Es sci ja doch nach dem Völkerrecht selbst dem Feinde nicht gestattet, die Gelder von Geldinstituten anzugreifen. Der Minister sprach die Hoffnuvg aus, daß si bet einiger ruhiger Ueberlegung im sparenden Publikum die Einsicht durWseßen werde, daß seine Einlagen bei der erprobten Solidität der Sparkassen der Monarchie und bei der durch die Verwendung der Einlagen im Aktivgeshäft der Sparkassen {on von selbs gegebenen Unmöglichkeit eines unbefugten Eingriffs von außen sihhec angelegt feien.

Großbritannien und Jrland.

In der gestrigen Sißung des Unterhauses teilte der Erste Lord der Admiralität Churchill Einzelheiten über die Schiffe mit, die von den Kolonien der Marine geschenkt worden sind, und erklärte, wie „W. T. B.“ berichtet, daß feines dieser Schiffe den Entwurf des Flottenbauplans beeinflusse, den er dem Hause im leßten März vorgelegt habe. Dos jüngst von den malaiishen Staaten geschenkte Schiff würde zu diesem Plan hinzuzufügen sein. Jn Beantwortung einer Anfrage über die Zahl der starren Luftschiffe in England und Deutschland erklärte der Minister:

Deutschland habe ein Marine-, ein Militär-, ein Versvchs- und zwei Passagierluft\hife. Es bestehe kein Zweifel, daß Deutschiand in diesem Zwetge der Luftschiffahrt ein großes Uebergewicht ge wonren babe. Was den Wert solcher Luftschiffe anbetreffe, so seien die An- \chauungen darüber verschieden. Ueber die Politik der Admiralität in dieser Beziehung möchte er keine Erklärung abgeben. Dem ganzen Gegenstande werde die Aufmerksamkeit zugewandt, die seine unzweifel- hafte Bedeutun} efftdere. (

Y Spanien:

Der französisch-spanische Marokko-Vertrag ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern nahmittag unter- zeichnet worden.

Durch Königliches Dekret. ist eine Generaldirektion des Sicherheitsdienstes geschaffen worden, “die dem Ministerium des Jnnern untersteht und an deren Spiße der ehemalige Polizeipräsident von Madrid, Mendez Alanis, berufen worden ist. Die Polizeipräfektur von Madrid wird reorganisiert.

Türkei.

Nach Mitteilungen aus amllicher türkisher Quelle baben die Besprechungen der Bevollmächtigten der Türkei und Bulgariens gestern zu keinem Ergebnis geführt und werden heute fortgeseßt.

Von autoritativer türkisher Stelle wird dem Vertreter von Wolffs Telegraphischhem Bureau in Konstantinopel ver- fichert, die Grundbedingung für den Frieden sei das Verbleiben Adrianopels in türkishen Händen.

Der Botschafler Osman Nisami Pascha ist gestern von Bukarest in Konstantinopel eingetroffen und hat sofort dem Großwesir einen Besuch naa Z

Die Pforte veröffentlicht ein Communiqué, in dem sie laut Meldung des „W. T. B.“ die Gerüchte entschieden für unwahr erklärt, daß die Regierung die Verfassung um- zuändern und die Deputiertenkammer durh einen Staatsrat zu ersegen beschlossen habe, weil die Kammer in ihrer bis- herigen Wirksamkeit keine Dienste geleistet habe und die Nation für ein konstitutionelles Regime noch nicht reif sei. Die Pforte habe niemals derartige Absichten gehabt.

Da die Gründe, die zu einer Landung der fremden Seeleute geführt haben, zu einem großen Teil hinfällig ge- worden sind, sind die Matrosen Oesterreih-Ungarns, Deutsch- lands und einiger anderer Mächte wieder eingeschifft worden.

Wie „W. T. B.“ aus Saloniki meldet, haben gestern früh 17 griehische Transportdampfer mit 12 000 bulgarishen Soldaten an Bord in Begleitung des griechishen Kreuzers „Myfkali“ den Hafen von Saloniki

verlassen. Griechenland. v

Einer Meldung der „Agence d'Athènes“ zufolge sind fünfhundert türkische Offiziere und sechshundert Soldaten, die als Kriegsgefangene an einem Komplott beteiligt waren, von Saloniki im Hafen von Piräus angekommen. Siebzig höhere Offiziere, darunter der General Ghalib Pascha und Doktor Nazim Bey, werden in Phaleron bleiben, die anderen werden auf die verschiedenen Städte des Königreichs verteilt werden.

Servien. Der österreichish-ungarische Konsul Edl ist, wie „T. T.B.“ meldet, von Mitrowißza, wo er sih kurze Zeit aufhielt, nah Uesküb zurückgekehrt und begibt sich von dort nah Prizrend.

Bulgarien. Die „Agence Bulgare“ erklärt, die im Ausland verbreiteten Meldungen über angebliheAusschreitungen bulgar ischer Truppen in Saloniki und Mazedonien seien böswillige, in

N D j (4 T N x N H N L H G è S E E E E I T E C

tendenziöser Absicht ausgestreute Erfindungen. Sie sei er- mächtigt, die den Tatsachen nicht im geringsten entsprehenden Nachrichten in formellster Weise für unwahr zu erklären. Die bulgarischen Truppen hätten überall, wo sie einzogen, Beweise von tadellosem Ordnungsfinn und von Manr.eszucht gegeben.

Die Rekruten des Jahrgangs-.1914 sind für den 3. Dezember zur Fahne einberufen worden.

Afrika.

Nach Meldungen des „W. T. B.“ aus Mazagan zer- sprengte der Oberst Mangin auf seinem Marsh nah Demnat 7000 Bergbewohner, nachdem Artillerie sie dezimiert hatte.

Die Mahalla Mtugi drängte in dem Paß Ameskrond die Anhänger El Hibas zurü.

Parlamentarische Nachriéhten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sißzungen des Reichstags und des Preußischen Herrenhau}es befinden sih in der Ersten und Zweiten Beilage.

Jn der heutigen (72.) Sißung des Reichstags, welcher der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer und der Staatssekretär des Reichs-

\haßamts Kühn beiwohnten, wurde die Besprehung der

Interpellation der Sozialdemokraten, betreffend die Teuerung, in Verbindung mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend vorübergehende Zollerleichte- rungen bei der Fleischeinfuhr, fortgeseßt.

Abg. Dr. Wen dorff (ir. Volksp.): Gestern wurde mit einem gewissen spöttifhen Tone davon gesprochen, daß {on wieder eine Teuerungsdebatte stattfinte, und der Abg. Giesberts hat sich dagegen verwahrt, daß diese Frage vom parteipolitisch:n Standpunkt aus behandelt werde. Das geschieht auch nit. Daß wteder cine Teuerungédebatte siattfindet, liegt ja niht im Willen der Partei, sondern an der bedauerlihen Erscheinung, daß sich in Deutschland die wirtschaftliche Lage wieder zugespißt hat urd eine Teuerung eingetreten ist. Weil fsich eine fortdauernde Kette von Teuerungen aneinanderretht und über unser wirtschaftlidck es Leben hereinbriht, ist es geradezu die Pflicht des Reichstages, hierzu Stellung zu nehmen und den Finger in die b1ennende Wunde zu legen. Es ist nur zu bedauern, daß wir erst gestern in die Lage kommen fonnten, uns damit zu beschäftigen. Es ist oft versucht worden, daß der Reichstag zusammentritt. Aber dieser An- regung wurde keine Folge gegeben, troßdem doch gerade der Bundesrat Wert darauf bätte legen müssen, die Vieinung des Reichstags zu hören. Der Staatssekretär Dr. Delbrück äußerte am 21. Februar d. J. elegentlich einer ähnlichen Debatte, die verbündeten Regierungcn ien der Anschauung, daß man sehr {nell über dicse \{chwere Klippe hinwegkommen würde. Ießt hat dcr Staaitsekcetär wobl niht mehr diese Ansicht. Die jeßige Teuerung wird von allcn Parteien, fogar vou den Konservativen zugegeben. Der Abg. von Heyde- brand sprach im preußishen Abgeordnetenhause sogar von einer {weren Kalamität. Troßdem wird in konservativen Versammlungen immer noch von dem Fleishnotrummel gesprochen Es wäre zweckmätig, wenn die konservative Partei recht bald einen Nednerkursus für ihre Parte!\sekretäre abhalten würde. Daß tem deutschen Volke {hee Opfer auferlegt werden, unter denen niht nur die Arbeiter, sondern auch die Beamten und andere Kreise des Volkes zu leiden habrn, haben wir aus dem Munde des Reichskanzlers gehört. Alle diese werden in ihren Ernährungsverhältuissen teschränkt. Laß darunter ganz besonders die Kinder zu leiden haben, das kann die verhängniévollsten Xolgen haben. Die Teuerung hat allerdings internationalen Charakter. Auch in vielen anderen Lndern gab es im Boijahre eine Mßernte. Schwerer Schaden is unserer Landwirtschaft auch durch die Maul- und Klauenseuße zugefügt worden. Dec Landwirtschaftsminist r sollte fich deshald einmal darüber äußern, wie der Viehseuchen- stand augenblicklich in Deutschland ist. Vor wenigen Wochen ist erst im Kreise Demmin die Maul- und Klauenseuche wieder auégebrechen. Das Ministerium und auch das Landesökonomie- folieguum haben ja darüber eine bestimmte- Ansicht, aber diese wird von weiteren Kreisen der Bevölkerung keineêëwegs geteil:. Der Landwii tschafisminister hat fih im Februar das Votum des Preußischen Landesöfkonomiekollegiums zu eigen gemacht, wona die Landwirtschaft auch roeiter tmstande sein werde, dem wachsenden Be- dürfnis des Volks nah Fleischnahrung Ne-chnung zu trazen. Leider iit die Landwirtschaft nicht in der Lage, diesen Anfyrüchen z1 genügen. Der Landwirt\chaftsminister hat gerade für diefen Sommer eine Besse- rung prophezeit. Nun ist es aber eine Tatsache, daß gerade tin def m Sommer die Zahl der ShlaHtungen von Ochien und anderen Vieh- arten gegen den Sommer von 1909 bis 30 9/6 zurückgegangen ist. Dazegen hat felbst die „Norddeutshe Allgemeine Zeitung“ zugeben müßen, daß in dem Genuß von Pferdefleisch ein NRekord erreicht ‘set, von Ziegen und Hunden ganz abgesehen. Dagegen sind die Preise er- heblih demenisprehend gestiezen. Als Ursache für die Fleishteuerung wird immer wieder auf die Verteuerung durch den Zwischenhand l hingewiesen. Der Abg. Giesberts sprach als von einer fest- stehenden Tatsache, obwohl doch die Enquet-kommission dies e: s zu untersuhen hat. Meine politishen Freunde haben diese Kom- mission begrüßt in der Ae daß sie ohne vorgefaßte Meinung und ohne eine gebundene Marschroute arbeite. Ich will mich über die Arbeiten dieser Kommission nicht äußern, da ti selbst Mitglied bin und die Sache vertraulih behandelt werden muß. Wie verhält es sich nun mit dem Zwischenhandel? Ich habe vor mir bie Abrechnung eines Berliner Vi-hkommissionärs, die sich bis zum Uebergang der Ware in die Großichlächtereien von Berlin er- \ireckt. Aus dieser Rechnung ergibt fich, daß bei 23 Schweinen ein Aufschlag von 110,90 4 zu verzeichnen ist. Das ist keine sehr große Verteuerung. Meine Berufsgenossen werden mir bestätigen, daß die Viehhändler auch ein gewisses Nisiko haben. Auf der Suche noch einem Sündenbock hat wan den großen Laden- \{lächtern die Schuld an der Fleisbteuerung zugeschoben. Man könnte die große Zahl der Ladenschlähter in Berlin als Gegen- argument ins Feld führen, denn je größer die Konkurrenz ist, umsomehr ist es möglih, das Publikum auh in der Bemessung der Preise zufriedenzust:.llen. In den kleinen Landstädten #\ind doh die Preise auch nicht erheblich niedriger als in den großen Städten. Dort ist eine direkte Vermittlung zwischen den Produzenten und dem Schlächter und tem Publikum vorhanden, troßdem werden diese hohen Preise für Fleis gefordert und bezahlt. Ich habe hier vor mir das Ergebnis einer amtlich vorgenommenen Probeschlahtung in Kö: lin. Bei der Probefllachtung eines Rindes hat sich hberautgestellt, daß der Bruttozwischengewinn des S{lächters nur 21,30 6 betragen hat. %atürlich s{hwankt dieser Gewinn in den verschiedenen Gegenden, aber man wird nicht behaupten können, daß die Spannung zwischen dem Ankaufs- und Verkaufs: preise einen wucherischen Verdienst des Schlächters bedeutet. Neben diesen allgemeiner wirkenden Uifachen der Fleisdlhteuerung be- stehen die besonderen, die in der deutschen Wirtschaftspolitik liegen, in den Vieh- und Fleis{hzöllen sowie in der künstlihen Verteterung unserer inländishen Produktion durch die Futtermittelzöle. Ach wir wollen die deut)che Landwirtichaft lebens\äbig erbalten, aber es ist doch sehr die Frage, ob man dieses Ziel wirklih im Auge hat, wenn man die eigene Viehproduktion auf diese Weise erschwert und verteuert. Die Rechte behauptet ja freilich, esl gebe gar feine Futtermitt-lzôlle oder“ daß die dadur be- wirkte Verteuerung ganz unerheblich sei und keine Rolle spiele. Aber der Gerste- und der Maiszoll bringen doch 60 Millionen jährlich und die Wirkung dieser Zölle beschränkt sfich doch auch: nicht auf

die baren Auslagen dafür, denn die Futtermittel find in den leßten Jahren ganz außerordentlich im Preise gestiegen, und das zum großen Schaden der Landwirte, denn dadur wird automati!ch auch das weitere Steigen ter Fleischpreise bewirkt. Eine solche Verschärfung ter Teuerung wird aber nicht nur durch die E fondern auch durch die einseitige Begünstigung des ‘órnerbaues erzevgt. Damit härgt auch de Zunabme der viehlosen Wirtschaften zusammen. Den EGroßlandwirten kann man von ihrem Standpurkte aus gar niht verderken, wenn sie, durch die Zollpolitik begünstigt, den Körnerbau mehr poussieren, wenn sie sih vielfa den fleinen Unbequemlichkeiten der Viehzuit entziehen. Selbst auf preußishen Staatëdomären becegnen wir nicht bloß viehsckchwadchen, sondern auch viehlosen Wirtschaften. Das ift eine sehr bedauerliche Erscheinung; wer eine Domäne pachtet, , der übernimmt ein nobile officium. Es foll ja freilich vorkommen, daß, wenn der Regierungsrat zur Inspektion der Domänen kommt, dieser oter jener Pächter sich von cinem befreundeten Viehbändler einige Potemkinsde Rinder auéëborgt. Was nun die Mittel der Ab- wehr betrifft, so wird man auch hier zwischen fofort wirkenden und dauernden zu unterscheiden haben. Zunächst muß die akute Kleischnot bescitigr werden, und tas is ja immerbin tas Ziel auch der Maßnahmen der egierung, nsoweit müssen wir den guten Willen und die beginnende Einsicht der MNegierungen an- erkennen, wenn auch nicht viel damit erreiht werden wird. Der uns vorgelegte Geseßzentwurf bezweckt vorübergehende Erleichte- rung bei der Flei\einfubr : er erntkält aber sehr stark einshränkende Bestimmungen. Wir können nicht billiger, daß der Kreis der zu be- rüsichtigenden Städte so eng gezogen wird; in den kicinen Städten ist die Fleischnot und Fleishteuerung genau so groß wie in den Groß- städten, und von der Senkung der Fieischpreise in den Großstädten haben die kleinen bisher noch nicht das geringste profitiert, und sie bergen dcch gewiß nicht die allerwohlhabendste Bevölkerung. Man foll hier nicht kleinlih sein. Auch der Kreis der Vereinigungen, die dabei in Wirksamkeit treten sollen, muß erweitert, es muß dafür gesorgt werden, daß auch die Fleis(erinnungen sich daran beteiligen können. Die Negierung ift in dieser Frage den Städten gegenüber auf ein- mal von einer erstaunlichen Liberalität. Demgegenüber gilt das alte Sprichwort: Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes. Man fkann doch den-Städten nicht zumuten, auf die Dauer Aus- nahmen aufrecht zu erhalten, die einen Teil ibrer Steuerzahler, die Fleischer, schädigen müssen. Wenn die Städte dauernd auf die Gestaltung der Fleischpreise einwirken wollten, dann müßten sie ein großes finanzielles Risiko eingehen. Das trifft auch zu, wenn fie langfristige Lieferung-ve:träge mit landwirt- {aftlichen Verbänden abschließen. Das pommersche Angebot be- trifft nur 49/0 des Berliner Schweinebedarfs. Wenn nun die Preise im freien Verkehr heruntergehen, daun ist die Stadt Berlin ver- pflichtet, von der Genossenschaft zu hohen Preisen weiter zu Taufen Man kann doch niemandem zumuten, diesem Prinzip zu- liebe hohe Preise zu zahlen. Jn diesem Punkte treffen sih aller- dings die Ansichten des Abg. Scheidemann vnd des Abg. von Heyde- brand. Wir haben das maeifœürdige Schauspiel erlebt, daß sie in dieser Frage sfich verbrüdert haben und Arm in Arm gehen mit dem Reschskanzler in der Mitte. Da muß einem das Goetbeshe Wort von dem Weltkinde etnfallen. Das vorliegende Geseg ist ein Unreht gegen tie Lantwirischaft und besonders gegenübec den kleinen Landwirten, die ja Träger der Viehzucht sind. Es räumt nur dem ausländishen Vieh, das draußen unter günstigeren Bedingungen aufgezogen is, allein Vorteile ein. Es it ein schreiendes Unreht, wenn dann die Ge- treidezôlle in der alten Höhe aufrecht erhalten werden. Die Absicht des Gesetzes berährt uns in gewissem Sinne sympathisch. Sie licgt in der Nichtung unserer Grundsäße, die auf allmählichen Abbau unscrer Schußzzölle hinzielen. Gleichzeitig muß die Auf- hebung der Futtermittelzölle gefordert werden. Nun follen ja folche etgentlih nit bestehen. Aber was find die Zölle auf Futtergerste und Mais weiter? Dem Bund der Landiotcte find diese noch zu niedrig. Graf von Schwerin-Löwit führte ja Anfang dieses Jahres aus, daß es der nationale Standpunkt erfordere, daß die Futtergerste und der Mals gle:ch hoh besteuert werden müßten. Wäre das ge!chehen, dann hätte uns die Betonung dieses nationalen Standpunktes im Jahre 1911 eine Mehrausgabe für Mais seitens der Landwirtschaft allein von 65 Millionen eingebraht. Wir beantragen, den Gesetzentwurf an eine Kommission von 21 Mitgliedern zu verweisen. Aus den Kolonien wird jeßt ein neues Futtermittel, das sogenannte Negerkorn, eingeführt. Dieses hat denselben Futterwert wie Mais. Aber anstatt dessen Einfuhr nun zu fördern, wird dafür derselbe Zoll wie für Weizen gefordert. Gegenüber dem Gefrierfl:isch stehen wir auf dem Standpunkte, daß wenigstens eine zeitweise Einfuhr gestattet werden müßte. In England hat dieses der Viehzucht nicht geschadet, die Landwirtschaft ift im Gegenteil im Aufblühen begriffen. Troß des Gefrierfleishes wird das etnheimishe gute Fleish seinen Preis behalten. Denn wer solches bezahlen kann, wird es immer laufen. Uns ist es auÿh unfaßbar, was der § 12 mit ver Einfuhr des Gefrierflcishes zu tun hat, da doch dadur ein Seuchenschaden nicht entstehen kann. Aber diese Fragen können wir ja in der Kom- mission prüfen; wir behalten uns auch vor, in der zweiten Lesung einen unseren Absihten entsprehenten Antrag einzubringen. Vielleicht gibt un3 die Regierung darüber Auskunft, unter welchen Zollbedingungen Fleisch aus unseren Kolonien nach Deutschland herein-ebraht werden kann. Ueber die Futtermittelzôlle wollte sh der Abg. Gieéberts nicht äußern. Das darf wohl als ein erfreulihes Zeugnis dafür aufgefaßt werden, daß auch im Zentrum die guten alten bäuerlihen Traditionen lebendig werden. Man erinnert #ch vielleiht àauch im Zentrum, daß es kleine ländlihe Wahlkreise vertritt, daß es eine Verpflichtung gezenüber dem Vauernstande hat, daß ibm genügende Futtermittel zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen. Auch auf die Fcage der Einfuhr)\cheine ist der Abg. Gtiesberts nicht ein- gegangen. Für uns ist es zweifellos, daß das gegen- wärtige System der Einfuhrsheine nicht aufrecht zu er- halten is. Es ist dies eigentlich fein Einfuhr-, son- dern ein Ausfuhrprämiensystem "Die Folge der Einfuhr- scheine ist, daß unfere Nachbarn unseren guten deutshen Roggen 90 A billiger bekommen, ihn für ibr Vieh verfüttern und damit unserer heimishen Viehproduktion Konkurrenz machen. Dagegen müssen wir für Kleie dem Auslande das bezahlen, was das Yus- land an unserem guten deutshen Roggen profitiert. Andererseits würde eine völlige Aufhebung der Etnfuhrsheine unwirtschaftlich wirken. Im Interesse unserer west- und ostpreußtshen Städte müssen wir deshalb dafür eintreten, daß die Gültigkeit der Einfuhr- scheine sich nur auf dieselben Getreidesorten erstreckt. Auch wir sind der Meinung, daß wir es dahin bringen müssen, daß die etnheimische Landwirtschaft den Fleishbedarf des deutshen Volkes deckt. Das ist keine Utopie; soll aber dies Ziel erreiht werden, fo muß innere Kolonisation in großem Maßstabe betrieben werden.

(Schluß des Bkattes.)

Jn der heutigen (19.) Sißung des Herrenhauses, welcher der Justizminister Dr. Beseler beiwohnte, wurde zu- nächst eine Reihe von Petitionen nah dem Antrag der Petitions- kommission für nicht geeignet zur Erörterung im Plenum erklärt.

Sodann erstattete namens der Matrikelklommission Graf von Hutten-Czapski Bericht über die Veränderungen im Personalbestande des Herrenhauses. Nach dem Antrage des Referenten wurden die verstorbenen und die aus anderen Gründen ausgeschiedenen Mitglieder in der Matrikel gelöscht; die Legitimation der neueingetretenen Mitalieder wurde als ge- führt anerkannt, und sie werden in die Matrikel eingetragen.

_ Darauf folgte der Bericht der Justizkommission (Berichterstatter Dr. von Hagens) über den Entwurf einer Hinterlegungsordnung. Der Entwurf will die

woieder

Hinterlegungsgeshäfte den Verwaltungsbehörden, Bezirks- regierungen, abnehmen und einheitlih wieder den Gerichten als Hinterlegungsstellen übertragen und kehrt damit zu einer Ein- rihtung zurüdck, die in Altpreußen seit dem Jnkrafttreten der ag vom 15. September 1783. fast 100 Jahre estand.

Berichterstatter Herr Dr. von Hagens erläuterte in der Generaldiskussion die Aenderungen, die die Komwission an dem Ent- wurfe vorgenommen hat, und empfahl deren Annahme.

Hierauf nahm der Justizminister Dr. Beseler das Workt, dessen Rede morgen im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

(Schluß des Blattes.)

Nr. 96 des „Zentralblatts der Bauverwaltung“, heraus- gegeben im Ministerium der öffentlihen Arbeiten, vom 27. November 1912, hat foloenden Inhalt: Amtliches: Runderlaß vom 1. No- vember 1912, betr. das Verdingungswesen. Dienstrachrichten. Nitamtliches: Die Binnenschiffahrt. Die neuen Gerichtsgebäude in Cöln, Hannover und Halberstadt. Die Wirtschaftlichkeit der amerikanishen Wolkenkfraßer. Vermischtes: Auszeihnungen. Berufung eines Architekten für die Deutsche Neidsbank. Gedächtnis- feier des Arcitektenvereins in Berlin, Vortrag über ten Panama- fanal im Architektenverein in Berlin. Wohnungsfürsorge im Land- kreise Worms. Bücherschau.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Veber neue Lohnforderungen im Berliner Schneider- gewerbe beridtet die „Voss. Ztg." folgendes: Der Verband der Sd neider faßte gestern abend in etner außerordentlihen Mitglieder- versammlung einstimmig den Beschluß, sämtlihe in der Berliner ae bestehenten Tarifverträge zum 1. März 1913 zu

ündigen und den Arbeitgebern einen neuen Tarifvorscblag 'zu

unterbreiten. Die neuen Forderungen sind in der Hauptsache eine Lohnerhöhung um dur(schnittlih 10 v. H. und einheitlih verkürzte Arbeitszeit. In der Mitgliederversammlung wurde weiter einstimmig der Beschluß gefaßt, auch den Tarifvertrag für die Berliner Damenschnetder zu kündigen. Für die Damenschneider wird die Arbeitszeitverkürzung um täglih eine halbe Stunde und eine Lohn- erhöbung um durhschnittlih gleichfalls 10 v. H. gefordert.

Wie „W. T. B.“ zufoloe die Pariser Zeitungen melden, herrscht unter den Obermaschinisten der französishen Handels- marine eine starke Gärung. Sie verlangen außer Solderböhung und Verminderung der Arbeitezeit auch noch, daß sie den Dekoffizieren nicht untergeordnet werden.

Wohlfahrtsþflege.

Arbeiterfürsorge der Stadt Breslau.

Unter dem Titel „Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der Königlichen Haupt- und Residenzstädt Breslau“ hat der Magistrat dieser Gemeinde zur 37. Versammlung des Deutschen Vereins für ‘öffentlihe Gesundheitspflege, die in diesem Jahre zu Breslau stattfand, etne Festschrift von 493 Seiten herausgegeben, die ein Bild der öffentlichen Gesundheits- und Wohlfahrtspflege in Breslau fowie der äußeren Bedingungen, unter denen sie sih voll- zieht, eine Vorstellung von dem vielseitigen, fleißigen Wirken und Schaffen der Gemeindeorgane auf diesem Gebiete gibt. In 19 Ab- schnitten werden die natürlihen Verhältnisse, die Bevölkerung, die Bau- und Wohnungsverbältnisse, die Straßenhygiene, die Wasserversorgung, die Beseitigung der Abfallstoffe, die Bade- anstalten, die Nahrungsmittelfürsorge und -aufsiht, die städtishe Armen- und Wohlfahrtspflege, die Fürsorge für Gebärende und Säuglinge, für noch nicht s{ulpflichtige und für s{ulpflichtige Kinder, für gebrechliche Kinder, für Arbeiter, der Gefundheitsdienst, die medizinisden und klinishen Anstalten der Universität, die ges{lossene Armenpflege, der sonstige Kranken- und Unfalldienst und das Verhütungs- und Detinfektionswesen behandelt.

Ein rübmlihes Kapitel der Wohlfahrtseinrichtungen ist u. a. die Arbeiterfürsorge der Stadt Breslau. Von der Erwägung ausgehend, daß der Stadt eine gewisse moralische Verpflichtung ob- e den Arbeitern, die in deren Dienste ihre Kraft verbraucht haben, im Alter oder nah früherem Eintritt der Arbeits- unfähigkeit eine angemessene Versorgung zuteil werden zu lassen, gewährt sie thnen etne Rente, die nah den für die Staatsbeamten gelt-nden Grundsäßen berechnet wind. Sie beträgt nach 10 jähriger Dienstzeit 29/54 des durhscnittlihen Jahbreslohnes und steigt bis zu 8/50; die Witwe erhält ‘/19 der Rente des Mannes, jede Waise !/; des Witwengeldes. Ebenso wte bei den städtishen Beamten, erhalten auch die Hinterbliebenen der städtiswen Arbeiter das sogenannte Gnadenvierteljahr, d. h. Weiterzahlung des vollen Lohnes für 2 bis 3 Monate, nach dem Tode des Arbeiters. Dem e: krankten \tädtishen Arbeiter wird der Lohn für 2 Wochen und, falls er über 1 Jahr im städtishen Dienste steht, bis zu 13 Wochen in einem Jahre unter Abzug des Krankengeldes weiter- gezahlt; auch bei militärischen Uebungen kann der Lohn bis zu 8 Wochen weitergewährt werden. Bei Erkrankung der Chefrau eines Arbeiters wird ihm gegen eine geringe Entschädigung von 25 4 tägli eine Hauspflegerin gestellt, worüber vom Magistrat mit dem Breslauer Armenpflegerinnenverein ein entsprechendes Abkommen getroffen ift. Um die Arbeitsfreudigkeit zu beben, erhalten die \tädtishen Arbeiter Sommerurlaub bis zu 14 Tagen und, wenn es der Gesundheits- zustand des Arbeiters erwünscht sein läßt, bis zu 4 Wochen unter Fortzahlung des Lohnes.

Für die gesamte Arbeiterbevölkerung der Stadt Breslau gibt es ferner in den städtisben Schuz- und Wärmehallen eine Einrichtung, die merkwürdigerwetse in anderen Großstädten kaum Nach- ahmung gefunden hat. Dabei erfüllen diese Einrichtungen anscheinend ihren Zweck vollkommen, denn die vom städtischen Statistiihen Ami berau®gegebenen Monatsberihte weisen nah, daß die Frequenz der Arbeiterhallen, besonders natürlich in den Wintermonaten, an- dauernd rege ist. So betrug beispielsweise für den Monat De- zember des Jahres 1204 die Frequenz der 4 Hallen 7076, im gleihen Monat 1905: 6978, 1906: 6806, 1907: 6402, 1908: 5793, 1909: 7020, 1910: 6441 und 1911: 8627. Es ist also im leßten Jahre eine zunehmende Inanspruchnabme der Hallen festzustellen, was für deren Zweckmäßigkeit um fo mehr \pri&t, als im Laufe der leßten aht Jahre doch eine Anzahl anderer Ein- richtungen, wie Fürsorgeheime, Les hallen, Kaffeehallen usw., hinzu- gekommen ist, die auch den Besuchern SREE gegen Witterungseinflüsse gewähren. Ueber die Gründe, die für den Bau der stäotischen Arbeiter- \hußhallen maßgebend gewesen sind, und über di- Einrichtung der Atbeiterschußstellen findet man in der inhaltsreihen Festschrift des Breslauer Magistrats gleichfalls interessante Angaben. Nah dem Bericht des Magistratérats Schönwälder (S _ 331 ff.) sind die Arbeiterschuz- und Wüärmehallen der Stadt Breslau aus dem Bedürfnis heraus geschaffen worden, den *Abeitern, die thren as niht in der Nähe ihrer Wohnung haben, während der Mittagszeit eine trockene und warme Unter- kunft zu bieten, wo sie ihr Mittagessen einnehmen, auch aufwärmen können. Es handelt si bier ntcht nur um die nah Tausenden zählenden Arbeiter, die im Freien arbeiten, sondern auch um solhe in Werk- stätten und Fabriken beschäftigte Arbeiter, die bet den großen Ent- fernungen threr Arbeitsstellen von ihren Wohnungen und der ver- häitniëmäßig knapp bemessenen Mittagsvause ihr Mittagessen sonst halb falt im Freien oder bei rauhem und nassem Wetter in

Hausfluren , Treppenhäusern usw. einnehmen müssen, wenn fie niht etwa eine Gastwirtihzft aufsuhen. Es find daher an geeigneten Stellen der Stadt heizbare Näume geschaffen worden, die Shuz vor den Unbilden der Witterung gewähren und dem Arbeiter gestatten, in einem Naume, in dem er nicht nur geduldet wird, sondern sih aufzuhalten berechtigt ist, an einem Tische mit einer ge- wissen Behaglichkeit sein Mittag: sen einzunehmen, ohne gezwungen zu sein, einen Teil seines Arbeitslohnes für Alkohol auszugeten. In |. zweiter Linie sollen die Hallen an kalten Tagen Ge- legenheit geben, fich auf kurze Zeit zu wärmen; doh werden die Hallen zu diesem Zwecke nur spärlich benußt. Ncuer- dings dienen die Hallen auch bei starken Schneefällen als Sammelort für die Hilfskräfte zur Beseitigung der Schnee- massen. In Breslau bestehen zurzeit 4 ArbeitersWußz- und Wärmehallen.. Sie sind mit ‘den e-forderlihen Tischen und Bänken, Kleiderrehen sowie Wasserleitung und Gasheizung zum Anwärmen der Speisen ausgestattet. Im Winter werden die Hallen geteizt. Geöffnet sind die Hallen von 8 Uhr früh bis 4 Uhr Nachmittags. An Sonn- und Festtagen bleiben sie geschlossen. Die Hallen werden von besonderen Hallenwärtern beaufsichtigt, gebeizt und gereiniat. Um dem Alkoholmißbrauh unter der ArbeiterbevälUe- rung nach Möglichkeit vorzubeugen, hat ncuerdings vom Breslauer Armenpflegerinnenverein die Gruppe zur Bekämpfung des Alkohol- mißbrauchs in den Wärmehallen einen Versuch mit dem Ausschank von Kaffee, Tee und anderen alkoholfreien Getränken gemacht. Ob dieser Versuch von Erfolg begleitet sein wird, kann vorläufig ncch nicht übersehen werden. j /

In der heutigen Zeit der Fleischteuerung ist es vielleiht auch angebracht, auf die ausgezeihneten Ergebnisse hinzuweisen, die nah den vorliegenden Erfahrungen die Stadt Breslau mit dem am 1. Ja- nuar 1904 eröffneten vegetarischen Kinderheim erzielt hat, zu dem der verstorbene Professor Baron dem Magistrat mehr als eine halbe Million Mark gestiftet hat. Es ist hierbei besonders zu be- achten, daß in Erfüllung eines Wunsches des Stifters nur verwaiste oder verlassene Arbeiterkinder, die unter die städtishe Armenpflege fallen, aufgenommen werden, raß daher, wie Dr. Steiniy in der Festschrift des Magistrats (S. 240 ff. berichtet, nur ein {lechtes, erblich mit Tuterkulose {chwer belastetes Kindermaterial in Frage kommt. Für die Ernährung der Pfleglinge werden außer Pflanzenkost nur die Erzeugnisse vom lebenden Tier (Mil, Butter, Eier, Honig) verwendet. In den ersten Jat ren wurden auch ältere Kinder bis zum Alter von 10 Jahren, jeßt aber werden nur ganz junge, etwa 2 Jahre alte Kinder berücsihtigt, weil diese, noch nicht an die Fleischkost gewöhnt, sih viel leichter an die vegetarishe Kost gewöhnen als ältere, und weil sfich von ihnen eher erwarten läßt, daß sie den Wünschen und Erwartungen des Stifters entsprechend auch nach ihrer Entlassung der fleischlosen Kost treu bleiben werden. Die Kinder bleiben in der Regel bis zum vollendeten 14. Fahre, Mädchen lojax bis zum 16. Jahre in der Arstalt. Die \chulpflichßtigen Kinder besuchen von der Anstalt aus die öffentliche Schule. Die Mädchen werden nah der Schulentlassung im Haushalt beschäftigt, sie sind also besonders tüchtig und vorbereitet für etwaige \pâtere Berufsarbeit in vegetarischen Kosthäusern. Die Gesamtzahl der im Kinderheim untergebrahten Kinder beläuft sih auf 35 bis 40. Von etwa 50% der Kinder find die Eltern oder wenigstens Vater oder Mutter an Schwindsucht z2ugrunde gegangen. Ueber die Einrichtungen der Anstalt und über die in acht Jahren gesawmelten Erfsah1ungen bemerkt Dr. Steiniy noch fol- gendes: Die Anstalt urtersteht einer Inspektcrin. Damit in ihr kein Kleisch gekocht zu wertcn brauht, wodurch die Begehrlichkeit der“ * Zöglinge nach Fleishgenuß angeregt werden könnte, erbält das Dienst- personal eine Entschädigung in Bargeld (Fleischgeld). Die vegetarische Kost wird den Kindern in tägli drei Mahlzeiten verabreiht. Sie er- halten ein Frühstück, bestehend aus Milch, Kaffee (Kornkaffee) oder Milch- roggenmehblsuppe mit Semmel oder Brot, ferner eine Mittagëemahlzeit, bestehend avs einer legierten diden Suppe, Gemüse mit Kartoffeln oder einer Gierspeise oder Hülsenfrühten, und \{chließlich ein Abendbrot, das sich aus Butterbrot mit Obst oder einer warmen Suppe mit troŒenem Brot zusammensezt. Cin zweites Frühstück erhalten nur die zur Schule gehenden Kinder. Bei dieser außerordentlih be- \cheidenen und mäßtgen Ernährung befinden sich die Kinder durchaus wobl. Wenigstens beweisen die sich nunmehr über 8 Jahre erstreckenden Erfahrungen, daß sich Kinder bei dieser Kost vorzüglich körperlih und geistig entwickeln können. Auch die in {leck@tem Zustand aufgenoms- menen Pfleglinge erholen sich ausnahmélos gut in der Anstalt, zeigen regen Appetit und eine gute körperlihe Entwicklung. Die regelmäßig durh- geführten Wägungen ergeben dauernd eine befrtedigende Körpergewith16- zunahme. Der Mangel an Fleish macht sich in keiner Weise geltend. Für das Zusagen der vegetarishen Ernähxung spricht besonders der Umstand, daß die Kinder, die fast durhweg mit Neigungen zu Ent- zündungen (exsudative Diatbese) in die Anstalt eintreten, in derselben auffallend von Katarrhen der oberen Luftwege verschont bleiben. Monatelang ist die Anstalt von jeglihen Katarrhen völlig frei, und treten solche auf, so verlaufen sie außerordentlich mild. Der Grund für diefe erfreulihe Tatsache ist zweifellos der, daß die Kinder in ihrer Ernährung so maßvoll gehalten werden, und daß jeglihe Mästung, die erfahrungëgemäß die Ershetnungen der exsudativen Diathese urgünstig beeinflußt, vermieden wird Nicht vershwiegen darf allerdings werden, daß in einigen Fällen (5 in 7 Jahren) Tuberkulose (Drüsen-, Knochen-, Lungen-) manifest geworden ist. Diese Kinder, die natürltch, sobald die Tubertalose ofen ist, sofort entlassen werden, kamen offenbar bereits angesteckt in die Anstalt. Die vegetarische Kost hat nur, wie zu erwarten war, den Ausbruch der Krank- heit niht verhindern können. Die Frage, ob das Ziel des Sli'ters, die Kinder auch nach ihrer Entlassung aus der Anstalt dem Vege- tarismus zu erhalten, erreiht werden wird, harrt noch ihrer Beant- wortung. Es find zwar {hon einige Kinder im vorschriftsmäßigen Alter entlassen und in vecoetarische Dienststellen gebracht worden ; jedo begegnet die weitere Verfolgung der Schicksale der entlassenen Zöglinge großen Schwierigkeiten.

Aus Anlaß des Geschäftsjubiläums der Firma Woermann hat diese nach etner Meldung des ,W. T. B der Adolf Woermann- Stiftung einen Betrag von 100000 Ma rk (zugunsten der Aan- gestellten der Firma) überwiesen.

Literatur.

Unter den Titel „Deutschlands Herz im Frühbling1813* hat Waldemar Rosteutscher im Phönixve:lag Siwinna in Kattowiß eine mit 168 trefflihen Abbildungen ausgestattete Schrift erscheinen lassen (bros{ 1,80; in Leinen 3,50 4), in der er auf Grund eines reihen, zeitgenöffishen Urkundenmatertals ein Bild der Zeit entwirft, in der sch Preußen aus seiner Erniedrigung zum Kampf gegen die Fremdhberrschaft aufrafte. Im Mitt-lpunkt der Darstellung steht die Stadt Breslau, aus der der König seinen „Aufruf an Mein Volk* erließ und in dessen Mauern ein Hauptherd der Erb-bung sh bildete. Jn einer erstaunlihen Fülle von \{iiftliten Urkunden aus jener Zeit: Tagebucbnotizen, Briefstellen, amtlichen Bekanntmachungen und Aufrufen, Schilderungen, Preckigten, Lebens- beshreibunaen und Zeitungsnotizen \{ildert der Verfasser jene großen Tage sowoh! in den großen Persönlichkeiten, die sh in Breslau um den König scharten, wie in der Begeisterung und dem Opfermut der ungezählten Tausende, die, obne daß die Geschihte ihre Namen der Nachwelt aufbewahrte, „Gut und Blut freudig dem Vaterland zu opfern bereit waren. Die Schilderungen werden durch die zablreichen Bilder meist zeitgenöfsische Bildnisse und Stadtansichren in dankens- werter Weise unterstüßt. Unter den Abbildungen des Buchcs befindet si auch eine fafsimilierte Nachbildung der Nr. 34 der „Schlesischen privile- gierten Zeitung“ vom 20. März 1813, die u. a. die Aufrufe des Königs „An Mein Volk“ und „An Mein Kriegsheer" sowie die Ur- kunde über die Stiftung des Eisernen Kreuzes entbält. Die sebr lesenôwerte Schrift ist Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Eitel= Friedri von Preußen gewidmet.