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die Teuerungsverhältnisse, die wir nunmehr seit dret Jahren [im Herbste jeden Jahres zu überwinden haben und ebenso der Stand der Viehbseuchen keinen Anlaß zu der Meinung bietet, daß in Zukunft unsere Viehzuht dem steigenden Fleischbedarf unserer Bevölkerung nicht gewachsen sein würde.
Ich darf bei dieser Gelegenheit auch eine Anfrage des Herrn Vorredners über den Stand der Viehseuchen beantworten und darauf hinweisen, daß was das Königreih Preußen anbetrifft, in weitaus der Mehrzahl der Regierungsbezirke die Maul- und Klauen- seuhe nunmehr vollständig erloschen ist. Wir haben gegenwärtig in Preußen eine Verseuhung nur noch in 30 Kreisen, in 49 Gemeinden und in 101 Gehöften (Zuruf links: Nur!) und wesentlih eigentli nur in einem Regierungsbezirk! Hier “ist, wie das beim Erlöschen der Maul- und Klauenseuche betnahe regelmäßig vorzukommen pflegt, durch eine lokale Einshleppung wieder die Zahl der erkrankten Tiere nit unerheblich vermehrt worden. Ich glaube, mit einiger Sicher- beit behaupten zu können, daß es uns gelingen wird, im Laufe des Winters der Maul- und Klauenseuche vollständig Herr zu roerden. (Zuruf links: Prophezetung!) Das wird dank der Vorschriften des gegenwärtig geltenden Viehseuchengeseßes auch der landwirtschaftlichen Verwaltung um so eher möglich sein, weil fie in anderer Weise, wie bisher, auf die sofortige Abshlachtung der an der Maul- und Klauen- seuche erkrankten Tiere hinzuwirken in der Lage ist.
Meine Herren, der Herr Vorredner hat zum Beweise des Flcishmangels auch auf die Zunahme der Pferdeshlachtungen hingewiesen. Ich will die Zunahme der Pferdeshlahtung nicht in Abrede stellen, ih glaube aber die Zustimmung aller Landwirte und Viehzüchter zu finden, wenn ih behaupte, daß es auch heutzutage noch nit lohnend ist, Pferde zum Zweck der Abschlahtung und des Fleisch- verkaufs zu zühten. (Zustimmung rechts. — Lachen links.) Wenn daher eine Zunahme der Pferdeschlahtungen zu konstatieren ist, so wird sie eben in erster Linie darauf zurückzuführen sein, daß auch die Pferdebestände zugenommen haben (sehr rihtig! rechts) und daß infolge- dessen au die Zahl der geschlahteten Pferde eine Zunahme aufweist. (Sehr richtig! rechts. — Zurufe links.) Im übrigen kann ja nicht geleugnet werden, daß tatsählich eine gewisse Vorliebe für Pferde- fleisch in weiteren Kreisen festzustellen ist. (Lebhafte Zurufe links.) Meine Herren, das ist vom volkswirt schaftlichen Standpunkt aus nicht einmal so bedauerlich (Unruhe links); Sie werden vielleicht noch nit einmal alle wissen, daß der vielbesprohene Eiweißgehalt gerade beim Pferdefleish weitaus der günstigste ist, er beträgt 21 9/0. (Zurufe links.)
Meine Herren, die von dem Herrn Vorredner des weiteren be- sprochene Vertieuerung durh den sogenannten Zwischen- handel möchte ih nur mit wenigen Worten streifen. Es wird vor- ausfichtlih der jeßt eingeseßten Kommission gelingen, in dieser Be- ziehung weitere Aufklärung zu hafen. Was aber gerade die großen Städte und insbesondere Berlin angeht, so dürfen wir bet allem Ent- gegenkommen und bei aller Anerkennung gegenüber dem legitimen Handel doch nit übersehen, daß gerade die in die Städte gebrachten Viehmengen durch die große Zahl der am Verkauf interefsierten Instanzen eine erhebliche Verteuerung erfahren müssen. Ein Stü Vieh, welches in Berlin geshlachtet werden soll, wird zuerst auf dem Lande durch einen kleinen Aufkäufer aufgekauft, der selbstredend an dem Geschäft etwas verdienen will. Dann wandert es in die Hand des Großhändlers, der au verdienen will und verdienen muß. Von diesem kommt es an den Viehkommissionär und dur diesen auf dem Viehmarkt endlich in die Hände des Großschlächters und vom Groß\s{hlähter — und jeßt kommt die 5. Instanz — erst an den Fleishverkäufer, an den fogenannten Meßger, der aber in Wirklichkeit nicht mehr Schlächter ist, aber für sein Geschäft bei dem Verkauf des von anderer Seite be- zogenen und geshlachteten- Fleisches ebenfalls seine Prozente berechnen und beim Verkaufe des Fleisches aufschlagen muß!
Meine Herren, das sind ungünstige Verhältnisse — Verhältnisse, die es eben in den großen Städten mehr wie anderswo dahin gebracht haben, die Detailpreise des Fleisches gewaltig zu verteuern. Und wenn es jeßt durch die Maßnahmen der städtischen Verwaltungen gelungen ist, der ärmeren Bevölkerung billigeres Fleisch anzubieten, fo liegt das im wesentlichen daran, daß die Städte in der Lage sind, auf diesem Gebiete den Zwischenhandel auszushalten und die Geschäftskosten erheblih herabzuseßen. (Große Unruhe links.)
Der dunkelste Punkt in der ganzen Frage der Verteuerung der Vieh- und Fleischpreise ist jedenfalls die Marktbeshickung, die Unmöglichkeit, darauf hinzuwirken, daß immer die genügende, dem Bedarf entsprechende Anzahl von Vieh auf den Markt gebracht wird. An den meisten größeren Handeltpläßen liegt die Be- \chidung des Marktes in den Händen verhälnismäßig weniger Geschäfte und Kommissionäre, die darüber ver- fügen, ob z. B. auf den Berliner Markt am Mittwoh oder Samstag 10 000 oder 15 000 Schweine zum Verkauf kommen sollen, und die auch ihrerseits zweifellos kein Interesse daran haben, auf eine Herab- minderung der Preise dur allzustarke Beshickung des Marktes hinzu- wirken. (Sehr richtig! im Zentrum.) Somit wird sich die Land- wirtsck{aft auf die Dauer der Aufgabe nit entziehen können, auch ihrerseits Vorkehrungen zu treffen, um eine bessere und regelmäßigere
Beschickung der Märkte herbeizuführen.
Fch habe gerade heute ein Verzeichnis der gegenwärtigen Fleis ch- detailpreise von Berlin bekommen, das ih Ihnen doch nicht vorenthalten möhte. Danach kostet Schweinefleisch das Stück vom Kamm 9 s pro Pfund, Kotelette 1 4, das Stück vom Bauch 85 H und Schinken im ganzen 85 -&. Das sind also Preise, die man \{chon wieder als einigermaßen normal aussprehen kann, wenigstens für die großen Städte, und die erkennen lassen, daß die Maßnahmen der Regierung doch nicht so wirkungslos gewesen sind, wie es von
anderer Seite dargestellt worden ift.
Ich will mih nicht eingehend beschäftigen mit den Ausführungen des Herrn Vorredners über die Ermäßigung und Beseitigung der Futtermittelzölle! (Rufe links: Schade!) Ich habe mich {hon im vorigen Jahre in diesem hohen Hause darüber ausgelassen, und ih kann — obschon ih glaube, daß es wirklich allmählih heißt: Eulen nach Athen tragen — nur wiederholen, daß tatsächlich unsere Futtermittel in der überwiegenden Zahl und Quantität zollfrei ein- gehen (sehr richtig! rechts), und daß es sih bei den Zöllen nur noch um Mais, Hafer und Gerste handelt. (Nufe links: Nur !?) Meine Herren, die Behauptung, daß die Zölle verteuernd auf die Futter- mittel überhaupt einwirkten, ist jedenfalls durhaus hinfällig (Lachen links); das Gegenteil ist vielmehr der Fall. (Andauernde Unruhe links) Ih kann mir jedenfalls nicht erklären, wie der
Gerstenzol und der Zoll auf Mais wverteuernd wirken follten auf die zollfrei eingehende Kleie; und auf der anderen Seite liegt es auf der Hand, daß, wenn die Importèure von Mais und Gerste konkurrieren wollen mit der zollfrei eingehenden Kleie, sie au ihrerseits die Preise dementsprehend einrihten müssen.
seitigung der Futtermittelzölle liegt meines Erachtens darin, daß diese
wahrscheinlich aus\{ließlich — dem Handel zugute komm en würde. (Lebhafte Zustimmung rechts. — Widerspruch und Zurufe links.)
Das wichtigste Argument aber gegen die Ermäßigung oder Be-
Ermäßigung niht dem Verbraucher, sondern in erster Linie — und
— Das ist noch im Frühjahr dieses Jahres bewiesen, wo der Reichstag sih einverstanden erklärt hat mit der weiteren Suspension der Kartoffelzölle (sehr richtig! rechts), und wo in demselben Augenblick, als dieser Entshluß der Oeffentlichkeit bekannt wurde, die Händler den Preis der Kartoffeln um den Betrag dieses Zolles erhöht haben. (Sehr richtig! rechts. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Meine Herren! Der Herr Abg. Wendorff hat nun insbesondere noch die preußische Domänenverwaltung angegriffen und tadelnd hervorgehoben, daß es eine größere Anzahl von Domänen gäbe, auf welchen sogenannte viehlose Wirtschaft getrieben wird. Ich meine, daß das Forum für die preußische landwirtshaftlihe Ver- waltung und speziell für die Domänenverwaltung eigentlich nicht dieses bohe Haus, fondern das Abgeordnetenhaus ist. (Aha! und Lachen links. — Sehr richtig! rechts.) Aber ich glaube, es wird auch die Herren Neichstagsabgeordneten interessieren, wenn ih ihnen mitteile, daß es unter sämtlihen preußischen Staatsdomänen nur drei gibt, auf denen kein Vieh gehalten wird. (Hört, hört! rets.) Zu diesen drei gehört in erster Linie die Domäne Nuhleben (hört! hört! rechts), welche bekanntlich an die Trabrenngesellschaft verpachtet ist. (Heiterkeit rechts.) Ich bin nicht in der Lage, die Trabrenn- gesellschaft zur Haltung von Rindvieh anzuhalten. (Große Heiterkeit rechts.) Die beiden anderen Domänen sind Wolfsleben und Nuders- leben; die sind beide im einzelnen an bäuerliche Besißer verpachtet. (Hört! hört! rechts.) Jch kann also niht nahweisen, wie viel Vieh auf diesen Domänen gehalten wird. Es ist aber unzweifelhaft anzunehmen, daß die Pächter, die außerhalb der Domänen ihre Wirtschaft haben, auh auf dieser Wirtschaft Vieh halten, welches ebenfalls diesen Domänen teilweise in Anrehnung zu bringen ist. (Sehr richtig! und Heiterkeit rets. E a einer allgemeinen Uebersicht, welhe mir vorliegt, ist zu ersehen, daß auf sämtlichen preußishen Domänen über 130 000 Stück Nindvieh, darunter 31 000 Milhkühe, und im ganzen 88 303 Schweine gehalten werden. i Wenn der Herr Abg. Wendo1ff sekherseits für die Ermäßi- gung derGetreidezölle eine Lanze gebrohen und mit verständnis- voller Handbewegung darauf hingewiesen hat, daß diese Getreidezölle in erster Linie dem Großgrundbesiß zugute kommen, fo darf ih auch nicht unterlassen, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn die Zeitungen richtig berichtet haben, doch auch in den Kreisen seiner Parteigenossen und, wenn ich nicht irre, sogar auf dem leßten Parteitage (sehr richtig! und Heiterkeit rets und im Zentrum) besonders darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß auch vom Standpunkte der freisinnigen Partei ein allzu starker Angriff gegen unsere Wirtschaftspolitik und gegen die Zölle niht angebracht sei und jedenfalls in ländlichen Kreisen zu einer Vershnupfung führen könnte. (Hört! hört! rechts. — Zuruf links: Die Begründung ist fals !) Diesen selben Standpunkt, und vielleiht noch etwas deutlicher, habe ich in einer fozialdemokratishen Zeitschrift vertreten gefunden (hôrt! hört! rechts; Zurufe und Lachen bei den Sozialdemokraten), wonach ein Emissär der Sozialdemokratie, der früher meines Wissens auch in ländlihen Genossenschaften tätig gewesen ist, über das Er- gebnis seiner Agitationsreisen berihtet und ausdrücklich darauf auf- merksam macht, daß es auch vom Standpunkte der \ozialdemokratishen Partei und insbesondere mit Nücksiht auf ihre Agitation auf dem Lande sehr unangebraht sein würde, allzu sehr die Frage der Beseitigung der Getreide- und Viehzölle zu urgieren; denn — und das ist eben sein Motiv — er weist darauf hin, daß nach seinen früher und jeßt gemahten Erfahrungen auch der kleinere und Fleinste Landwirt ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung lohnender Vieh- und Getreidepreise habe. (Sehr gut! rechts.) Das mit stimmen die statistisch gemachten Erhebungen ebenfalls überein. Es ist eine direkte, natürlich objektive Unwahrheit, zu behaupten, daß nur der Großgrundbesißer an den Getreide- und Viehzöllen ein Inter- esse habe; im Gegenteil, es ist auch der kleinere Besiß, der Besiß von drei bis fünf Hektar, der ohne lohnende Vieh- und Getreidepreise nit existieren kann (sehr gut! rechts und im Zentrum) und der ein großes Interesse daran hat, sowohl sein Vieh wie sein Getreide zu einem entsprechenden Preise auf dem Markte zu verwerten. (Leb- hafte Zustimmung rets.) Der Herr Vorredner hat dann auch die Frage der Vieh - einfubr aus den Kolonien gestreift. Jh bin nicht in der Lage, eine entsheidende und erschöpfende Antwort auf seine Anfrage zu geben; ih mache aber darauf aufmerksam, daß nach den bisherigen Verhandlungen und Ermittlungen die deutshen Kolonten vielleicht
Zustande herüberkommen könnte (Rufe links: Wieso?), daß es dieser- halb kostbharer Einrichtungen auf den Transportschiffen bedürfen würde,
falls lohnend machen könnten. (Rufe links: Und die Kolonien ?)
imstande sein würden, jährlich 2000 Stück Rindvieh auf den Markt zu bringen, eine Zahl, die für die Gestaltung der Viebpreise und ebenso für die Ernährung der deutshen Bevölkerung nicht ins Ge- wicht fallen kann. (Zurufe links.) - Es kommt aber hinzu, daß veterinärpolizeilihe Bedenken es unmöglih machen würden, lebendes Vieh aus den Kolonien etnzuführen, daß das Vieh nur in geshlahtetem
die sich pro Schiff auf 4- bis 500 000 #4 belaufen (hört, hört, rechts), und die bei ter geringen Anzahl von Vieh, das für den Export respektive Import in Betracht kommt, diesen Bezug keines-
Die \odann noch von dem Herrn Vorredner gestreifte Frage der Domänenaufteilung seitens der preußishen landwirtschaftlichen Verwaltung möchte ih lieber im preußischen Abgeordnetenhause beantworten. (Lachen links.) Ich darf dem Herrn Abg. Wendorff anheimstellen, einen seiner Parteigenossen zu bewegen, dieserhalb bei der Beratung des landwirtschaftlihen Etats im preußishen Ab- geordnetenhause an mich eine Anfrage zu rihten. Jch werde gern bereit sein, ihm dann auch die entsprehende Antwort zu geben, und beshränke mih heute auf die Bemerkung, daß die preußische land- wirtshaftlihe Verwaltung meines Erachtens alles getan hat, um fo
sein würde, wenn der Herr Vorreckner auf seine Parteigenossen in gewissen großen Städten hinwirken würde (sehr gut! rets), um auch diese zu einem entsprehenden Entgegenkommen gegenüber der inneren Kolonisation zu veranlassen. (Bravo! und sehr gut! rechts. Rufe links: Schweigen! — Erneute Heiterkeit.)
Meine Herren, ich möchte nun mit einem Wort noch eingeben
auf die Besprehung der vorliegenden - Interpellation in der vorhergehenden Sißung. Es war der Herr Abg. Sche dez mann, der in längeren Ausführungen darauf hingewiesen hat, daß die von der Staatsregierung getroffenen Maßnahmen fh in der Hauptsahße als unzureihend und erfolglos erwiesen hätten. Jch glaube, diese Auffassung des Herrn Abge- geordneten is in Wirklichkeit doch nicht zutreffend. Ih habe hier den Artikel eines weit verbreiteten und führenden Blattes der nationalliberalen Partei im Westen, nämlich der „Kölnt- {hen Zeitung“, der \sih mit der Viehknappheit Europas befaßt und im Eingang folgende meines Erachtens zutreffende Ausführungen
bringt:
Die Verhandlungen des preußishen Abgeordnetenhauses über die Fleishteuerung und das Echo, das sie im Lande fanden, haben gezeigt, daß fich die Erregung, die einige Wochen lang geherrscht hat, ziemli gelegt hat.
(Hört! hört! rets.)
Es find nicht nur die außerpolitischen Sorgen, die das Interesse abgelenkt haben, sondern au die Tatsache, daß dank den Maß- regeln der Staatsregierung, vor allem aber auch dem rashen Zu- gretfen der Städte die Fleishpreise wiedec eine normale Höhe er- halten haben. :
(Hört! hört! rechts. Zuruf links: Offizióses Blatt!) Das ift die Anerkennung von einer Seite, die in der Frage der Fleishteuerung und überhaupt auf agrarishem Gebiete niht grade den Standpunkt der rechten Seite dieses hohen Hauses teilt. (Sehr richtig! rets.)
Ich kann aber hinzufügen, daß auch nach den Ermittlungen, die
seitens der preußischen Verwaltung angestelt worden sind, es als festgestellt zu erachten ist, daß die von den Städten in dankens- werter Weise ergriffenen Maßnahmen in einer ganzen Reihe von Orten einen nicht unerheblihen Rüdkgang der Preise zur Folge gehabt haben, und daß es vor allen Dingen gelungen ist, überall, wo ein be- \sonderes Bedürfnis hervortrat, auch die ärmere Bevölkerung tatsächlih mit billigerem Fleisch zu versorgen. Das Wichtigste aber —- und das möchte ih unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Herrn Reichs kfanzlers in der vorigen Sizung nohmals hervorheben — ist die Tat-
sadhe, daß die städtishen Verwaltungen durch die ihnen seitens der Staatsregierung gewährten Erleichterungen in erfreuliher Weise Anlaß genommen haben, zur Milderung der Fleishteuerung mit- zuwirken, und daß sie dadurch anerkannt haben, daß auch sie der Ver- pflihtung sih nit entziehen können, in außergewöhnlichen und teuren Zeiten die Behebung einer allzu starken Anspannung ter Preise herbei- zuführen.
Meine Herren, ih glaube, von diesem Gesichtépunkte aus müssen die Maßnahmen der Staatsregierung auch von denjenigen beurteilt werden, welche darin eine Gefährdung der Sicherheit unseres Vieh- bestandes und unserer Produktion erblickt haben. Sie dürfen nicht vergessen, daß alle Erleichterungen, die gewährt werden und gewährt worden find, nicht der Allgemeinheit an sh zugute kommen, fondern nur denjenigen Städten, welhe sich mit der Einfuhr von Vieh und Fleisch befassen, und die ihrerseits bereit sind, das Fleish zu einem entsprehend billigeren Preise zu verkaufen. Der Zweck der preußischen landwirtschaftlißhen Verwaltung bei diesen Maßnahmen war ein doppelter. Sie wollte in erster Linie natürlich mit thren bis an die Grenze des Zulässigen — das bemerke ich ausdrücklich — gehenden Maßnahmen wirklich eine Verbilligung des Fleisches bewirken. Sie wollte andererseits dadurch, daß diese Aufgabe den Kommunen übers wiesen wurde, auch die möglihfte Sicherheit gegen Einschleppung von Seuchen durch Beobachtung aller erforderlihen veterinärpolizeiliden Maßnahmen herbeiführen. Ich glaube, in dieser Beziehung hat der Erfolg gezeigt, daß bis dahin durch die Maßnahmen der Staats- regierung und dur die Einrihtungen der städtishen Verwaltungen eine Gefährdung menschlicher Gesundheit und auch in veterinär- polizeilicher Beziehung nicht eingetreten ist; denn es ist weder eine Krankheit noch ein Seucenausbruch beim Vieh infolge der Einfuhr von Vieh und Fleisch herbeigeführt worden.
Meine Herren, jeßt möchte ich doch auch gegenüber den in ter vorigen Sitzung gemachten Ausführungen ausdrücklih hervorheben, daß es sih keineswegs um geringe, nicht in Betraht kommende Einfuhr- mengen handelt. Wir haben aus Holland tm November per Woche eingefübrt etwa 1130 Stück Rindvieh allein über die Grenze des Negierungsbezirks Düsseldorf; daneben komme holländishes Schlacht- vieh noch über die Grenzen der Provinz Hannover zur Einfuhr, dessen Menge ih in Zahlen augenblicklich nicht angeben kann. Allein Berlin hat vom 21. Oktober bis 27. November d. J. an Rindfleisch 692 000 kg und an Schweinefleisch 455 000 kg, im ganzen alfo 1 147 000 kg Fleisch aus Rußland eingeführt. Das find Ziffern, die immerhin den Beweis liefern, daß die Maßnahmen der Staatü- regierung zur Beseitigung einer augenblicklihen Teuerung und Not- lage der Bevölkerung einen Erfolg gehabt haben und wohl auch in Zukunft haben werden.
Wie es sich in Zukunft mit dem Bezug von Vieh und Fleisch aus dem Auslande gestalten wird, das läßt fih natürlih nicht vorher sagen. Ich glaube in Uebereinstimmung mit den gestern von dem Herrn Reichskanzler aemachten Ausführungen auch meinerseits darauf hinweisen zu müssen, daß der Bezug von Vieh und Fleisch aus dem Auslande in größeren Mengen vorauésihtlich nur ein vor - übergehbender sein kann, daß in der Hauptsache auch die städtischen Verwaltungen, wenn sie dauernd eine Einwirkung auf die Preise des Vieh- und Fleischmarktes behalten wollen, sich unbedingt mit den inländishen Absaß- und Produktionsgenossenschaften in Verbindung seßen müssen. Ich weiß sehr wohl, daß auf diesem Gebtete die Vereinbarungen größtentetls bisher gescheitert sind, und ih kann auch ohne wetteres zugeben, daß es nit ganz leiht ft, sich über die Bezugsbedingungen zu verständigen. Aber die Beispiele von Neu Ulm und Bamberg zeigen do, daß auch derartige Vereinbarungen getroffen werden können, und daß bet gutem Willen und bei gegen- seitigem Entgegenkommen zweifellos eine Verständigung über die Preise herbeizuführen und langfristige Verträge zwischen städtischen
weit wie möglich die Domänen in den Dieast der inneren Kolonisation zu stellen, und daß es ein besonders verdienstvolles Werk
Verwaltungen und ländlihen Absaßzgenossenschaften abzuschließen möglich ist. (Sehr richtig! rets.)
Meine Herren, wenn - auf diese Weise ein Erfolg bei den Ftädtishen Verwaltungen einerseits und den [landwirts{aftlihen Ver- tretungen andererseits in Zukunft erzielt werden kann, so muß natür- lich damit Hand in Hand gehen eine weitere Förderung der Viehzucht, eine Verstärkung des Viehbestandes, die wir innerhalb Preußens auch erreihen werden nicht allein durch entsprehende Beihilfen, den die Viehzüchter, durch Anregungen seitens der Landwirtschaftskammern und landwirtshaftlichen Vereine, sondern auch dur eine großzügige und möglichst rasche Kultur der Moor- und Oedländereien und vor allen Dingen au durch eine weitere Förderung der inneren Kolonisation. (Sehr richüg! rets.)
Ich glaube in dieser Beziehung auch die Zustimmung des Deutschen Reichstages zu finden, und ih darf darauf hinweisen, daß in allernähster Zeit dem preußischen Abgeordnetenhause ein Gesetz- entwurf zugehen wird, in dem nicht unerheblihe Summen für die Zwecke, die ih eben im einzelnen genannt habe, angefordert werden.
Meine Herren, ih mö&te nun mit einem Worte noch auf Aus- führungen des Herrn Abg. Scheidemann zurückfommen, die er am gestrigen Tage unter Bezugnahme auf eine Rede gemacht hat, die ih am 25. Oktober 1912 im Abgeordnetenhause gehalten habe. Ich habe bei diesem Anlasse die gegenwärtige Fleishteuerung und die Maßnahmen zur Beseitigung derselben besprochen, habe auf das Beispiel anderer Länder hingewiesen, in denen die Bevölkerung über- haupt und nit zuleßt au die ärmere ih nit allein in der Haupt- sache von Fleis, sondern auch von anderen gleihwertigen und glei nahrhaften Nahrungsmitteln zu ernähren sucht, und habe dem Be- dauern Ausdruck gegeben, daß in unserer Heimat und speziell in Preußen vielfach der Wert der anderen Nahrungêmittel verkannt würde und immer und an erster Stelle der Nuf nah Fleis{ch ertönte.
Ich habe es weiter für erforderli bezeichnet, daß in Zukunft auch nah dieser Richtung eine gewisse Erziehung der Bevölkerung Plat greifen und Sorge dafür getragen werden müsse, auch die Haus- frauen mit der Zubereitung anderer Nahrungsmittel vertraut zu machen und ihnen ihren Wert vor Augen zu führen. (Sehr richtig! rets.) Jh habe damit eine Verhöhnung der ärmeren und der Aibeiterbevölkerung in keiner Weise beabsichtigt.
(Sehr rihtig! rechts; Lachen bei den Sozialdemokraten.)
Hätte ih die gewisse Notlage, ia die gerade die Arbeiterbevölkerung dur die Fleishteuerung verseßt war, nicht anerkannt, so hätte ich keinesfalls meine Zustimmung zu den Maßnahmen geben können, die die preußishe Staatêregierung zur Beseitigung dieser Teuerung er- griffen hat.
Aber ih glaube, da ih nit von der Gegenwart, sondern von der Zukunft spra, es auch an dieser Stelle ruhig wiederholen zu dürfen: wie werden die Beseitigung der Flets{teuerung nicht allein dadurch erreihen, daß wir eine Vermehrung der Vichbestände im In- lande herheiführen, sondern, daß wir auch rechtzeitig dafür Sorge tragen, daß der Wert der anderweitigen Nahrung, der Fische, des Gemüses, der Milch usw. ebenfalls von der ganzen Bevölkerung und nicht allein von der arbeitenden erkannt wird. (Sehr richtig! rets ) Es ift ein großer Jrrtum zu glauben, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen in erster Linie und allein die Arbeiter Not litten, nein, meine Herren, für die Arbeiter ist an vielen Stellen, sowohl durch die Maßnahmen der Kommunen als auch durch die Maßnahmen großer Werkêverwaltungen in dankenswerter Weise Sorge getragen. Die kleinen Beamten, die kleinen Handwerker, die kfletnbürgerlichen Schichten haben mindestens so zu leiden wie die Arbeiterbevölkerung. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, ih kann mich auch damit trösten, daß mir gerade die Ausführungen, die ih im preußishen Ab- geordnetenhause gemaht habe, von zahlreihen Seiten, und nicht in leßter Linie von medizinishen Autoritäten, eine Zustimmung ein- getragen haben, die mir die Kritik auf der anderen Seite nit allein erheblih abgeschwädt, sondern geradezu versüßt hat. (Heiterkeit rechts.)
Der Herr Abg. Scheidemann hat dann auch den § 12 des Fleish- beshaugeseßes besprohen. Was er in diefer Beziehung ausgeführt hat, ist seitens des Herrn Reichskanzlers schon in der vorigen Sitzung widerlegt worden. Wenn der Herr Ahg. Scheidemann sodann der Ansicht Ausdruck gegeben hat, daß er den § 12 des &Fleishbeschau- geseßes mitsamt dem Landwirtschaftsminister gern gegen so und so viel Zentner frischen Fleisches eintauschen möchte, so bin ih nicht so ver- messen, zu beanspruhen, daß der Herr Abg. Scheidemann ein Hammel- oder Schweinskotelett zu meinen Gunsten im Laufe der Woche weniger genießt. (Heiterkeit rechts.) Aber ich muß ihm gegenüber doch hervorheben, daß sowohl in nationalen wie in internationalen Fragen meine Auffassung von der seinigen grundverschieden ist und daß unseren Standpunkt eine Kluft trennt, die meines Erachtens unüberbrückbar is (Bravo! rechts) und deren Uebe:brückung den Ruin des deutsck&en Vaterlandes bedeuten würde. (Lebhafter Beifall rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wir dürfen doch nicht vergessen, daß der ganze Kampf gegen den § 12 des Fleishbeschaugeseßes weniger gegen diesen Paragraphen als folhen, sondern zum Awede der Ermöglichung der Einfuhr von argentinischem Gefrierfleisch geführt worden ist. (Sehr richtig! rechts.) Ich will nit daran erinnern, daß diese Einfuhr im Herbste dieses Jahres in einer Weise in der Oeffentlichkeit und in der Presse besprochen und befürwortet wurde, die leiht erkennen ließ, daß die Agitation hierfür nit. allein im Inlande entstanden, sondern auch vom Auslande künstlich und mit großen Mitteln unterstüßt worden ist. (Stürmishe Rufe rechts: Hört, hört!) Aber ih glaube, wer die ländlichen Verhältnisse und die Fragen der Vicehaufzuht im Lande kennt, der fann darüber fetnen Zweifel haben, daß die Einfuhr des argentinischen gefrorenen Nindfleisches in erster Linie nit den Mangel an Rindfleisch in Deutschland erseßt, sondern vor allen Dingen den Absay des Schweinefleishes verringert haben würde. (Sehr richtig! rets.) Damit würde unsere Viehaufzuht an der empfindli{sten Stelle, gerade in der Shweineaufzucht, getroffen worden sein. (Sehr richtig! rechts.) Die Einfuhr des argentinishen Gefrierfleishes hätte mit anderen Worten den Nückgang der Schweineproduktion, also den Nückzang desjenigen Zweiges der Viehzucht betroffen, mit dem sich verade auch der ärmere Mann und der kleinere Landwirt befassen fann, (Lebhafte Zustimmung rechts.) Eine preußische Regierung, die auf ihre Fahne die innere Kolonisation und die Ansezung von kleinen
auern und Arbeitern geschrieben hat, kann unmögli in demselben
temzuge zulassen, daß durch die Einfuhr von argentinishem Gefrier- fleish die Existenz dieser Leute wiederum in Frage gestellt wird- (Lebhafter Beifall rets. Lachen bei den Sozialdemokraten.)
Ich komme zum Schluß. Ih glaube, bei objektiver Betrachtung der Maßnahmen, welche die preußische landwirtschaftliche Verwaltung zur Bebebung der Fleischteuerung getroffen hat, werden auch Sie in Ihrer überwiegenden Mehrzahl zu der Erkenntnis kommen, daß von der preußischen Verwaltung alles geschehen is, was ohne Gefährdung unserer Viehbestände und unserer Viehproduktion zur Beseitigung und Erleichterung der Fleishteuerung geschehen konnte. Aber auf der andern Seite glaube i, daß au die gegenwärtigen Verhandlungen, ebenso wie die des preußishen Abgeordnetenhauses, in der Erkenntnis bestärken müssen, daß nur in dem Festhalten an unserer Wirtschafts- politik, in dem Schuße der nationalen Arbeit und Produktion sowohl in der Landwirtschaft, wie in der Industrie und dem Handwerk die Zukunft des deutschen Vaterlandes gesichert bleibt. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte, Zischen bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Löscher (Np.): Ih muß den Ausführungen des Abg. Dr. Wendorff entschieden entgegentreten. Wenn er gemeint hat, die Städte könnten sih auf einen Zusammenshluß zu Genossenschaften nit einlassen, weil sie unter Umständen Verluste erleiden könnten, so meine i, die Städte bilden doch eine Gesamtheit, sie können das Risiko zusammen tragen. Bei der Bekämpfung der Cinfuhrscheine hat der Vorredner übersehen, daß der Ausfuhr auf der anderen Seite auch cine Cinfuhr gegenübersteht. Die Aufrehterhaltung des gegen- wärtigen Cinfuhrscheinsystems liegt gerade im Interesse unserer fletnen Viehzüchter. Die Fleishpreise sind allerdings in Deutsch- land gestiegen, aber nicht diese allein. Ist denn etwa unsere Wirtschaftspolitik auch \chuld daran, daß die Preise der Häuser in den großen Städten gestiegen find? Die Herren unterlassen es zu sagen, wieviel die Grundbesißer für Verbesserungen und Melio- rationen aufgewendet haben, und wieviel auf der anderen Seite in den großen Städten die Hausbesizer beim Kauf bezahlt und beim Verïfauf vertient haben. Das vershweigen sie kluger- und §{hlauer- weise. Las man vor Ausbruch des Balkankrieges liberale Blätter, so mußte man zu der Annahme kommen, es müsse doch um das deutsche Vaterland recht \{leckcht bestellt sein. Infolge unserer Wirtschaftspolitik haben sich aber die Verhältnisse auch in den kleinen Städten wesentlih verbessert. Die Zahl der Geschäfte hat sih vermehrt. Auf dem platten Lande hat man allerdings die Empfindung, daß man dem Bauern die Verpflichtung auferlegen wolle, dem Großstädter für sechs Dreier das Pfund Fleisch zu liefern. Unsere Wirtschaftspolitik bat auch die Lage des Arbeiters verbessert. Wenn allerdings der Arbeiter einen erheblichen Teil seines Ein- kommens für Alkohol usw. ausgibt, so muß er verelenden und seine Familie Not leiden. Die Enquetekommission ist ja mit dazu berufen, die Ursachen der Fleishteuerung festzustellen. Wir bedauern nur, daß sie bis zum 3. Januar vertagt ist, und daß nicht ein einziger Bauer in ihr vertreten ist. Der Bauer verdient wahrlich, auch in dieser Frage gehört zu werden. Er hat sich auch um die Landwirtschaft, um das Genofsenshaftswesen usw. große Verdienste erworben. Viel- leiht war der Staatssekretär des Innern bei seinen Einladungen der Meinung, der Bauer könne seine Schweine züchten, das andere würde von anderer Seite besorgt werden. Zu der Fleishteuerung ín den großen Städten tragen auch die Schlahthofgebühren er- heblih bei. Selbst das „Berliner Tageblatt“ muß dies zugeben. Es ist anzunehmen, daß Berlin an diesen Gebühren ungefähr 15 Millionen verdient. Mich hat gewundert, daß man in der Berliner Stadtverordnetenversammlung nicht aufgetreten ist, um im Interesse einer Verbilligung des Fleisches eine Herabsetzung der Ge- bühren zu fordern. Warum geht denn die Stadt Berlin nicht zu einer größeren Viehhaltung über? Mit bloßen Erörterungen über diese Frage ist es niht getan. Man hat si in den großen Städten bor allen Dingen shüßend vor die Fleischermeister gestelt und den Viehzüchtern die ganze Schuld zugeshoben. Das ist keine objektive und loyale Stellungnahme. Wenn man eine Beseitigung der . Futtermittelzöle wünscht, so übersieht man, daß die Kalamität nicht bloß bei uns, sondern auch in anderen Ländern besteht. Auch Nußland hat in vielen Teilen im vorigen Jahre eine Miß- ernte in Futtermitteln gehabt. Selbstvecständliß sind wir für eine Beseitigung der Futtermittelzölle nicht zu haben. Wir sind der Meinung, daß die iegige Wirtschaftspolitik von großem Segen und Nußen gewesen ist. Ébensowenig können wir für eine Aufhebung des § 12 des Fleishbeshaugeseßes uns erklären. Die Einfuhr von argentinishem Gefrierfleish ist als vorübergehende Maßregel nicht möglich und als dauernde für unsere heimische Viehproduktion \{chädlid. Gerade infolge der niedrigen Fleischp:eise ist au unser Schafbestand zurückgegangen. Gegen die Ermäßigung des Fleischzolls, den die Regierung vorgeschlagen hat, haben wir Bedenken, wenn wir auch darin nicht eine Bresche in unserem Zolltarif sehen. Notwendig ist eine Ver- besserung des Nealkredits auf dem platten Lande und eine \hnellere Beförderung der landwirtschaftlihen Produkte auf den Eisenbahnen. ür die innere Kolonisation sind wir selbstverständliß in vollstem Maße zu_haben. Es kommt aber vor allen Dingen darauf an, die fleinen Stellen au rentabel zu mahen und den Kolonisten an die Scholle zu fesseln. Möge ih die Regierung durch das Geschrei nach Beseitigung unserer Wirtschaftspolitik nit beirren lassen. Wir werden sie in diesem Bestreben unterstüßen.
Abg. Molkenbuhr (Soz.): Der Abg. Löscher beklagt sich, daß in der im Neichèamt des Innern einberufenen Konferenz keine bäuerlichen Vertreter sißen, aber darin befinden sich ja Herren wie der Graf Kaniß und der Graf Schwerin-Wwitz, die uns doch der Bund der Landwirte geradezu immer als konzentrierte Bauern hinstellt. Damit is} indirekt zugegeben, daß die Interessen der eigent- lichen Bauern denen der Großgrundbesitzer entgegengeseßt sind. Es ist auf die Verteuerung des Fleishes durch die Unkosten bin- gewiesen worden, die durh die S{hlahthofgebühren und andere Ein- richtungen entstehen. Auch hat man von großen Ueberschüssen ge- sprochen, die die Städte daraus erzielen. Wer fi aber einmal einen Stadtetat ansieht, der wird finden, daß es mit diesen Uebershüffen niht weit her ist. Der Reichskan;ler hat einen Artikel aus den „Sozialistischen Monatsheften" als Beweis dafür angeführt, daß es auh unter den Sozialdemokraten Leute mit agrarischer An- \chauung gibt. Er müßte doch wissen, daß die „Monatshefte“ kein Organ sind, in dem die Partei zu prinziptellen Fragen Stellung nimmt. Das geschieht auf den Parteitagen. Und da wird sich der Karzler wohl nur auf wenig oder gar feine Zeugen berufen können. Wenn der Reichskanzler in der Partei suchen würde, so würde er nicht mal ein halbes Dutend finden. Nur Hildebrand, Schippel, Schulz und Calwer haben der- artige Ansichten. Es gibt " natürli, wie in anderen Parteien, aud in der Sozialdemokratie Leute, die manchmal verschrobene Ansichten haben. Das Viebseuchengeseß und das Fleishbeshaugeseß follen ja lediglih_ veterinärpolizeilihen oder sanitären Rücksichten entsprungen sein. Seitens der Regierung ist aber diesmal mit erfreulicher Offen- beit zugegeben worden, daß für sie wesentli wirtschaftépolitische Gründe Ce gewesen sind. Das Land foll gegen die Maul- und Klauenseuche geschüßt werden. Nun ist aber jeßt der Seuchen- stand fast nochmal so groß als in i wo die Grenzen ofen waren. Die Grenzsperre für Vieh ist also mindestens ein untauglihes Mittel. Aber es kommt ja auch nur darauf an, daß der Viehpreis hoch bleibt. Als damals infolge der Handelspolitik des Grafen Caprivi die Aktion der Herren auf der rechten Seite einseßte, da sprah man zuerst von der Politik der kleinen Mittel, und zu diesen gehört auch die Grenzsperre. Daß Deutschland in der Lage wäre, seinen Vieh- und Fleischbedarf vollkommen zu decken, daran zweifelt kein Mensch, aber fobald das eintritt, haben ja die Fleishkonzerne ihre Wiikung verloren. Deshalb haben sie auch fein Interesse daran, daß dieses Ziel erreiht wird. Es wird immer von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen, aber niemals von Pferden geredet, diese können eingeführt werden. Hier besteht aljo keine Seuchengefahr.
Und doch müßte die Landwirtschaft auch an den Pferden aroßes Interesse haben, gehen doch jährlih rund hundert Millionen
Mark für Pferde an das Ausland. Der Landwirtschaftsminister meinte, daß der Pferdebestand vielleidt gewachsen ist, weil mehr Pferde geshlachtet werden. Der Minister hat aber keine Zahlen genannt, aus denen hervorgeht, wie wir zu diesem Ueberfluß gekommen sind. (Zuruf : Hunde!) Bei den Hunten ist wohl daeselbe der Fall Urber die Hunde hat der Minister wohl nit geredet, weil sie nicht zu scinem Ressort cebôren. Dem Abg. Scheidemann wurde der Vorwurf gemacht, daß cr Vorwürfe erhoben hat, ohne Zahlen zu nennen. Gegenüber der Fleischteuerung bedarf es jedoch keiner Zahlen, sie ist eben vorhanden. Mit Gründen für die Teuerung ist die Negierung leiht bei der Hand. Sie führt immer solche an, auf die sie nicht cin- wirken kann. Einmal ift das Jahr zu naß, dann wieder zu trocken. Ebenso ist es bei einem falten oder bei cinem heißen Sommer. Die Landwirtschaft wird also dann in der Lag? sein, den deutschen Bedarf zu decken, wenn das Wetter aufhört, wetterwendisch zu stin. Das Schlimme aber ist, daß die Regierung gewußt hat, was bevor- stand, daß die Teucrung so arge Dimensionea annehmen wü de, und daß sie gleihwobl nihts getan hat. Seit 1907 hat der Vi-hbestard Deutschlands, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet, abgenommen, in Preußen noch stärker als in dem deutschen Durchschnitt. Fn Preußen ist befonders der Nachwuhs an Rindvieh erheblich zurückgegangen. Diese Zahlen find doch auch dem preußischen Landwirtschaftsminister nicht ganz unbekannt gewesen. Man w ollte die Not haben, denn cine Steigerung des Viebstandes hätte ja die Nötigung zur Aufhebung der Futtermittelzölle verstärft, und diese Aufhebung wollte man unter keinen Umständen. Also entweder ist- die Landwirtschaft niht gewillt, den deutschen Bedarf zu decken, oder sie ist dazu nit in der Lage; um fo größer ist die Neigung der Agrarier zu Fleishpreis\teigerungen, weil das ein fehr profitables Geschäft ist. Die Steigerung des Fleisch- preises um 10 - für das Pfund bedeutet für das deutshe Volk eine Mehrausgabe von nit weniger als 673 Millionen Mark! In S&öne- berg haben wir Fleischpreissteigerungen in der Zeit von 1908 bis 1912 für das Pfund von 32, 45, 55 „F; da ist es doch leicht begreiflich, daß diejenigen, die von der Preissteigerung Vorteil haben, einen folhen Zustand am liebsten verewigen möchten und alles tun werden, um der Milderung der Teuerung entgegenzuwirken. Der Kanzler hat nur die Betriebe von 5 bis 20 ha herangezogen ; in Wirklichkeit kommen bier aber die ganz kleinen Wirtschaften unter 2 ha in Betracht, und die haben eben feinen Nutzen , son- dern den großen Schaden, weil sie die verteuerten Futtermittel kaufen müssen. Nun kommt man uns immer wieder mit der großen Phrase, man müsse fch national unabhängig machen. Wir machen uns seit 1894 immerfort „unabhängig“, und die Folge ist gewesen, daß eine Fleischverteuerung der andern folgte. Da müßte do endlich einmal ein anderer Weg einges{lagen werden. Die Zeiten, wo man den geshlossenen Handelsstaat als Ideal ansah, find unwiderruflich vorüber: der wirtschaftlide Güteraustaush ist international geworden. Daneben wird als weitere Parole aus- gegeben: die Arbeiter müssen \ich gesund ernähren können. Das Merkwürdige ist aber, daß gerade diejenigen Kreise, die den Arbeitern die Eraährung auf alle Weise verteuern, auch bestrebt find, ihnen den Lohn möglihst herabzudrücken. Die Arbeiter mit den glänzenden Wochenlöhnen von 8 bis 13 46 können das Fleish in der Tat nur noh als Leckerbissen ansehen; fie müssen darauf verzichten, wenn es ihnen niht gelingt, einmal eine Kaße oder einen Hund einzufangen. Ich habe bei der Beratung des neuen Zolltarifs vorau: gesagt, daß die Zuwendung an die Grundbesitenden, die sich daraus ergeben würde, 6 Milliarden betragen würde. Jh habe mich darin insofern geirrt, als diefe Steigerung noch erbeblih höher gewesen ist. Davon, daß die Whne der Arbeiter au nur annähernd in gleichem Maße gestiegen wärcn, ist keine Rede: und fo war denn die Not, die aus der Teuerung hervorgirg, unausbleiblich. Nach der Ansicht des Ministers wollen die Arbeiter nur Fleish und immer wieder Fleis essen. Nun kommen auf den Kopf des Arbeiters an Fleischfonsum täglih 143 g, also so viel, wie jeder Säugling an Eiweiß- stoffen täglich zu sich nehmen muß. Welche fonderbare Vorstellung muß alfo der Minister von der Ernährung des Arbeiters haben! Er sollte sich einmal ein Kochbuch für die VBessersituierten zulegen : legt er die dort als angemessen angegebenen Fleishquanten statt des Mindestmaßes, wie es das Neichsgesundheitsamt für erforderlich hält, zugrunde, fo wird er daran vêèrzweifeln, daß die deutshe Land- wirtschaft diesen Bedarf jemals aus Figenem möchte decken können. Geht aber der Ernährungszustand der Arbeiter zurück, dann muß au
die Konkurrenzfähigkeit der Industrie leiten. Das Zentrum hat diesmal den Abg. Giesberts vorgeshickt, obwohl feine Partei rücksichts- lofer gegen dic Arbeiter auf dem wirtschaftspolitishen Gebiete vor- gegangen ist als gerade das Zentrum. Diese Partei zeigt eben zwei Gesichter ; vorn ist das Gesicht ganz agrari’h gehalten, binten aber wird sogar den Sozialdemokraten ein Kompliment gemacht für ihre Forderung und wird unserem Verlangen nah Zulassung des Gefrier- fleishcs aus Argentinien zugestimmt, ja man stellt es fo dar, als ob aus Zentrumsfkreisen diese Forderung zuerst erhoben wurde, und als ob wir erst gezwungen worden wären, ihnen darin beizutreten. Nun sagt der Landwirt1chaftsminister, die Agitation für das argen- tinishe Gefrierfleish komme vom Auslande. Vielleicht kann das Zentrum verraten, von welhem Teile des Auslandes diese Agitation kommt. . Der Abg. Scheidemann hat gestern angeführt, daß sich Schlächtermeister geweigert haben, russisches Fleis zu verkaufen. Das ist aber niht in Sachsen passiert, sondern in dem gut fTatholischen Aachen. Die Gemeinden treiben, soweit sie Nieselfelder haben, schon Viehproduktion, aber sih für eine Steigerung der Viehpreise zu inter- essieren, wäre doch sonderbar. Wenn die Preise für Nahrungsmittel steigen, müssen sie wohl oder übel auch zu einer Lohnerhöhung über- gehen. In der Hochschußtzöllnerei ist in einzelnen Staaten {hon ein RNüschlag eingetreten, z. B. in Nordamerika. Man follte deshalb beizeiten daran denken, nicht die Wohlhabenden noch weiter zu be- reichern, fondern unserer Bevölkerung eine gesunde Nahrung zu sichern. Allerdings paßt es den Herren rets nicht, daß das Fleis ein paar Pfennige billiger geworden ist, die Leute sollen hungern. Dagegen müssen wir entschieden Front machen.
Abg. Dr. Matyinger (Zentr.): Die Mitarbeit an der Seuchengeseßgebung darf s\ih das Zentrum im Interesse des Schußes unserer Viehbestände nur zur Ehre anrenen. Unsere Stellung zu S 12 des Fleischbeschaugeseßes hat der Abg. Giesberts son begründet. Zur Frage der Einführung des argentinischen Gefrierfleishes hat sih der bayerische Landwirtschafts- minister von Soden sehr freundlich gestellt, und er ist deswegen von uns in keiner Weise angegriffen worden. Jn der bisherigen Debatte ist allseitig zugegeben worden, daß eine große Fleischteuerung besteht, daß diese zu bedauern ist, und daß die Teuerung einen internationalen Charakter hat. Dagegen gingen die Ansichten über die Gründe dieser Teuerung weit auseinander, ebenso über den Umfang der Teuerung, und ob hie eine vorübergehende oder dauernde sei. Der Umfang der Teuerung is wesentlich übertrieben worden. Der Nückgang der Schlachtungen beträgt nur etwa 1 Pfund für den Kopf der Bevölkerung und für das Jahr. Es ist zu berücksichtigen bei dem Vergleich der beiden leßten Jahre, daß im dritten Quartal 1911 eine große Menge von Vich abgestoßen werden mußte. 1912 hat anderseits eine gute Futter- ernte gehabt, und das läßt für die Zukunft hoffen. Die Preise beim Brotgetreide find zurückgegangen, aber die Landwirte haben diesen Verlust wieder wettgemaht durch große Energie und größeren Fleiß auf einer kleineren Bodenfläche; das kann ih für Bayern versichern. Den Vorteil von einer Suspension der Zölle würde nur der Zwischen- handel haben. Wir haben ja eine Suspension der Kartoffelzölle an- genommen. Was das für Folgen gehabt hat, hat der Minister chon nachgewiesen. Jch kann das nur bestätigen. Der Fall lehrt, wie vorsichtig man bei der Aufhebung oder Suspension von Zöllen fein muß, weil das Ausland den Vorteil hat. Wir haben nicht für die auswärtige, sondern für unsere heimishe Landwirtschaft zu sorgen. Es sind doh nit e die Fleischpreise gestiegen, sondern auch die Preise für Kohle, Wasser, Licht usw. an darf hier doch nit mit zweierlei Maß messen. Bei den Zöllen kommen doch ganz andere Zwecke in Betracht als fiskalishe Interessen, nämlih der Schuß der inländischen Produktion. Besonders die bayerischen Viehzüchter haben mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie s{lachten ihr Vieh nicht