1913 / 12 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Jan 1913 18:00:01 GMT) scan diff

fich einer Plusmacherei \huldig mae und, wie die Aktionäre eines großen Unternehmens, auf hohe Dividenden wirtschafte. Meine Herren, ich weiß mich als Chef der Staatseisenbahnverwaltung von diesem Vorwurf durchaus frei; ich verwalte das stele i hiermit wiederholt fest, wie {hon bei anderen Gelegenheiten die Staatseisenbahnen ganz überwiegend unter dem Gesichtspunkte, daß sie in erster Linie den großen Verkehrszwecken zu dienen haben, um derentwillen sie da sind. (Bravo!) Und wenn ih gleichzeitig gehalten bin, in dem weiten Bereiche der Staatseisen- bahnen auf eine verständige Wirtschaftsführung zu drängen, dann ge- schieht es doch nur im reinsten Staatsinteresse. (Sehr richtig! rets.) Jh kann ja auch alljährlih feststellen, welhe Freude Sie daran haben, daß diese Wirtschaftsführung fo glänzende Ergebnisse gehabt hat, wie sie Jahr für Jahr zu verzeiGnen find. (Sehr gut! im Zentrum und rechts) FI% muß Ihre Erinnerung noch einmal auf das Jahr 1908 zurück- führen und Sie erinnern an den {weren Dru, der auf Ihnen allen lag, und daran mit welcher Genugtuung Sie meine Mittetlungen ent- gegennahmen, daß wir nah der damaligen Verkehrênot wir hatten auch damals bereits eine Verkehrsnot und nah der großen Unwirtscchaftlichkeit, die diese Verkehrsnot zur Folge hatte, wieder in ruhige, verständige und wirtschaftliche Bahnen eingelenkt seien. Ich habe SJhnen damals mitteilen können, daß wir allmählih in den Stand geseßt worden seien, das übergroße Personal wieder auf- zusaugen und daß wtr dank der wictschaftlihen Gestaltung des ge- samten Betriebs eine erhebliche Verkehrssteigerung aufnehmen konnten ohne irgendwelche Ausbeutung der Arbeitskraft. Die durhscnittliche Beanspruhung des Personals für Dienstzwecke nimmt vielmehr all- jährlih ab; darüber kann fein Zweifel bestehen. Dieser große wirt- \chaftlihe Erfolg konnte in der Tat Genugtuung erweckden. Denn in dieser wirtschaftlihen Gestaltung des Betriebes lagen ungezählte Milltonen, die ohne Not ausgegeben wurden, die sich auch nur durch den Zwang der Verhältnisse rehtfertigten, wie sie etne solhe Verkehrsnot immer im Gefolge haben wird. Ich konnte damals immer wieder darauf hinweisen, daß die Verwaltung durh die planmäßige, zweckmäßige, stark fortschreitende Ausgestaltung ihres ganzen Netzes und ihres Betriebsparkes in der Lage gewesen war, das Verhältnis zwischen NBerkehrs- und Betriebsleitung in ganz außergewöhnliher Weise zu verbessern, und daß infolge dieses günstigen Verhältnisses die Rein- erträge der Staatseisenbahnverwaltung auffällig günstig geworden waren. Gegen diese Behauptung gibt es keinen Einwand. Man kann nit sagen : dieser Erfolg sei durch eine übermäßige Ausbeutung der Arbeitskraft erzielt. Er war erzielt autschließlich dur die stark fortschreitende Ausgestaltung unseres gesamten mechanischen Apparats.

Wenn ih mir nun vergegenwärtige, welche Vorwürfe heute der Staatseisenbahnverwaltung gemacht werden, anknüpfend an die shweren NVerkehrskalamitäten, die sich soeben im Westen der Monarchie voll- zogen haben, dann komme ich zu dem Empfinden, daß das, was mir und der Verwaltung damals als großes Verdienst angerechnet wurde, mix heute zur Last- geschrieben wird. Herr Abg. Dr. Friedberg wie auch andere Herren seiner Partei haben dieser Auffassung wiederholt und recht sharf Ausdruck verliehen. Gletche Auffassungen find auch im Reichstage bei den Verhandlungen der leßten Woche vertreten worden ; es hat mich freilih gefreut, daß auch von anderer Seite mit Ent- \chiedenheit dieser Kritik entgegengetreten worden ist.

Herr Abg. Dr. Friedberg hat positiv ausgesprochen, sodaß es fast schien, als wäre ein Widerspruch dagegen unmögli, daß die Ver- waltung ihr gesamtes Personal nit den Bedürfnissen des Verkehrs entsprehend vermehrt hätte. Es würde mix von großem Interesse sein, wenn Herr Abg. Dr. Friedberg die Güte hätte nachzuweisen, worauf diese Annahme sich stügt. Wenn fie etwa aus der Tatsache entspringen follte, daß wir während der Verkehrsnot im Ruhrrevier genötigt worden sind, aus fernen Bezirken in großer Zahl Hilfs- personal heranzuziehen, so würde diese Deduktion in bezug auf unseren Personalbestand durchaus abwegig sein; sie würde beweisen, daß man für die Situationen, die \fich in solchen Zeiten entwideln, gar kein Berständnis hat. Ich bin fest überzeugt, daß Herr Abg. Dr. Fried- berg diese Meinung nicht hat; sie ist aber vielfa vertreten worden. n solchen Zeiten brauchen wir für die Manipulattonen auf unseren großen Bahnhöfen an Personal das Doppelte von dem, was in Zeiten geordneten Verkehrs erforderlich ist, wetl alles durheinander geht.

Ganz derselbe Gesichtspunkt ist für die Frage maßgebend, ob wir das nöôtige Material an Lokomotiven dort hatten. Für den regelmäßigen NRerkehr, felt den starken, reiht unfer Lokomotivpark auch im Westen vollkommen aus. Aber in solchen Zeiten gestörter Drdnung reicht er eben niht aus. Dann sind wir genötigt, von fern her diesen Loko- motivpark zu verstärken, und ih meine, es ist ein ganz besonderer Vorzug dieses riesenhaften Netzes, daß ihm die Eigenschaft der Elastizität, der Anpassungsmöglichkeit in dem bewiesenen Maße .inne- wohnt.

Herr Abg. Dr. Friedberg, wiederum in Vebereinstimmung mit Aeußerungen seiner Herren Parteifreunde, hal die Bautätigkeit der Staatseisenbahnverwaltung bemängelt, obwohl ih mir gestattet habe, den Nachweis zu führen, welhe enorme Entwicklung die Bautätigkeit der Staatseisenbahnen während einer ganzen Neibe von ahren genommen hat. Ih habe vor einiger Zeit aus- gesprochen, daß ich fürchtete, wir wären gar nicht mehr in der Lage, die Bautätigkeit weiter zu steigern. Diese meine Aeußerung hat mir der Herr Abgeordnete vorgehalten. Er hat freilich vergessen hinzuzufügen, daß ih bei der leßten Er- Zrterung über die Verkehrsnot in Westfalen hier im Hause ausdrücklich hinzufügte: die Zustände, wie sie sih dort gezeigt haben, haben mir den Beweis geliefert, daß die Verwaltung unter allen Umständen ihre Bautätigkeit noch erheblich steigern muß. Und, meine Herren, angesichts des vorliegenden Nachtragsetats, dessen Verabschiedung ich für durchaus dringlich halte, kann ih Hier feststellen, daß heute bereits alles vorbereitet ist, um diese meine Absicht alsbald in die Tat umzuseßen und den größten Teil der Bauten, die der Nachtragsetat enthält, bereits im Herbst dem Verkehr zur Verfügung zu stellen. (Bravo !) Und ih füge ferner hinzu, meine Herren, um irgendwelhen Mißverständnissen vorzubeugen, daß mit diesen 60 Millionen doch nur verhältnismäßig wenig gesehen sein wird. Sie werden sih aus dem Anleiheg-seße dieses Jahres und ich glaube au, an denen der näcsten Jahre überzeugen, daß id die Zu- sicherungen, die ich im November und Dezember hier gegeben habe, daß wir das Staatseisenbahnneg in einer den Bedürfnissen des Verkehrs auf Grund der Lehren, die wir erfahren haben, entsprehenden Weise ausbauen werden, voll erfüllen und bald erfüllen will. Aber die

baldige Erfüllung läßt sih]naturgemäß niht2ohne große, în der/Sache liegende Schwierigkeiten durseßen. 1A

Herr Abg. Dr. Friedberg meinte, der Staatseisenbahnverwaltung stehe an Baukrediten über éine Milliarde zur Verfügung, warum nähmen wir diese großen Kredite in Anspruch, wenn se nicht verbaut würden? Er übersieht dabet, daß wir an die Projektierung und Ausführung der Bauten, insbesondere an die Speztalprojektierung der Bauten erst dann herantreten können, wenn uns die Mittel bewilligt sind. Er übersieht die großen Schwierigkeiten, die si der Ver- wirklihung umfassender Projekte in allen großen Städten des Landes und insbesondere in den Industrierevieren entgegenstellen. Diese großen Schwierigkeiten übersteigen alle NVoraussezungen derjenigen, die mit der Behandlung dieser Fragen niht befaßt sind. Mit der lande8polizeilichen Prüfung, mit der Planfeststellung, die der Enteignung vorhergehen muß, ist es ja nicht gesehen; bei diesen Prüfungen erkennen wir immer wieder, wie \harf öffentliche und private Interessen sich gegenüberstehen, und müssen einen Aus- glei herbeiführen. Sehen Sie sih die Niesenbahnbauten der In- dustriereviere an, wte fie in die örtlichen Verhältnisse der Städte und Gemeinden eingrelfen, dann werden Sie auch erkennen, wie außer- ordentlih {wer und langwierig die Verwirklichung der Projekte ist. (Sehr richtig!) Das ist ja eben der große Unfegen gewesen, daß wir, obwohl wir bereits im Jahre 1906/07 unsere Bautätigkeit auf das äußerste gesteigert hatten, einen Teil diefer Niesenprojekte nicht bis zum Herbst 1913 fertigstellen konnten; daraus erwuhs der größte Teil der Schwierigkeiten, die i mir erlaubt habe, im einzelnen tm Dezember darzulegen.

Herr Abg. Dr. Friedberg hat, wie es ja nun im ufe der lezten Wochen und Monate häufig geschehen ist, hier wiederholt die Shuldfrage für Kalamitäten, die sih ergeben haben, aufge- worfen. Nachdem ih das Beste, was ih an Material zur Ber- fügung habe, hier offen klargelegt und meines Erachtens überzeugend dargetan habe, daß ganz außergewöhnlihe Verhältnisse vorliegen, möchte ih die Schuldfrage aus den Verhandlungen überhaupt aus- heiden. Jch werde nur immer wieder gedrängt, fie zu erörtern, weil ich es metner Verwaltung, die im Laufe dec leßten Jahre ganz Außergewöhnliches geschaffen und erreicht hat, shuldig zu sein glaube, sie zu exkulpieren.

Auch im Reichstage ist die Schuldfrage mit ungewöhnlicher Schärfe erörtert worden. Man hat ‘es dort dem Herrn Prâà- sidenten des NReichseisenbahnamts geradezu zum Vorwurf gemacht, daß er, einer der ersten Kenner unseres Eisenbahnwesens, nach forg- fältiger Durhprüfung des ganzen ihm unterbreiteten Matertals8 zu der gleichen Auffassung gekommen ist wie ih als Chef der preußischen Eisenbahnverwaltung. Die Angriffe im Reichstage waren außer- ordentlich heftig; ein Redner hat es dort für angemessen erachtet, auszusprehen: man müsse sh erstaunt fragen, wie entweder die geistige Verfassung oder wie der Kalender des Eisenbahnministers be- schaffen gewesen sein muß, (Heiterkeit) wenn er in seiner Erklärung in der Eisenbahnkommission des Herrenhauses sagen konnte: „Nun ist unsere Wagengestellung im Ruhrrevier von Anfang November an eine geradezu glänzende gewesen“. Also, meine Herren, an meiner geistigen Verfassung find hier Zweifel erhoben worden. Sie werden nicht glauben, meine Herren, daß ih eine solhe Aeußerung tragis nehme; (Heiterkeit) aber es ist doch chwbarafkteristisch, daß der betreffende Redner sich nicht die geringste Mühe gegeben hat, die Zahlen nah - zuprüfen. (Hört! hört!) Ich habe damals gerade nachweisen fönnen, daß wir von Januar bis Anfang Oktober eine glänzende Wagengestellung im ganzen Staatsbahnbereih gehabt haben, daß wir im Nuhrrovier im September 1912 glatt 159% Wagen mehr gegen 1911 ‘gestellt haben, daß wir im Nuhrrevier die höchsten Leistungen erreicht haben. Trotdem ist eine jolche Aeußerung möglich!

Nun, meine Herren, ih werde mir die Mühe nit verdrießen lassen. Ic bin fest überzeugt, daß wir in der Budgetkommission auch diese Frage noch eingehend erörtern werden; ih werde versuchen, den Gegnern meiner Auffassung auf andere Weise beizukommen, indem ih Ihnen leiht faßbare graphishe Bilder vorlege. (Heiterkeit rechts.) Ih verstehe es vollkommen, wenn wegen solcher Kala- mitäten die geshädigten Interessenten Vorwürfe gegen die Verwaltung häufen, die die Verantwortung trägt; das ist durhaus menslich, und wer sollte sih dagegen sträuben. Fch verstehe es aber nicht, wenn wirtschaftliche Korporationen in ihren Berichten si diese Auffassung der Interessenten ohne genügende Würdigung der Tatsachen aneignen und eine Verwaltung, die sih nur in den Dienst des Verkehrs stellt, steinigen, weil sie mit dem außerordentlichen und plôglichen Fortschreiten des Verkehrs, das jahrelang angehalten hat, nit mit- gekommen ist. Ih verstehe es freilih noch weniger, wenn hier in diesem hohen Hause so \charfe abweisende Kritiken geübt werden angesichts cines glänzenden unanfechtbaren Zahlenmaterials.

Meine Herren, Herr Abg. Dr. Friedberg hat am S@lusse seiner Ausführungen noch eine Frage erörtert, die immer wiedcr das öffentlihe Interesse erregt und beansprucht: die Frage der Bildung von Eisenbahngemeinschaften innerhalb Deutschlands. Ich hatte geglaubt, durch meine ausführliche Darlegung in der Budgetkommission des Vorjahres diese Frage bis auf weiteres erledigt zu haben. Wie es scheint, hat die neueste Schrift des Herrn Ministerialdirektors Kirhhoff Anlaß ge- geben, sie hier erneut zur Erörterung zu stellen. Ih möchte darauf verzichten, alle diejenigen Gründe nochmals zu rekapitulieren, die tat- \ählich der Fortentwicklung des Gemeinschaftêgedankens hinderlich sind. Wir sind überzeugt und wir find do Sach- und Falh- fenner —, daß auf materiellem Gebiete durch eine Gemeinschaft insbesondere im Interesse des Verkehrs Wesentlihes überhaupt nicht mehr zu. erreichen ist, weil wir in allen bedeutsamen materiellen Fragen einig sind, einheitliGe Bestimmungen haben. Ich verzichte darauf, alle diejenigen tarifarischen und anderen Vorschriften aufzuzählen, die diese völlige Einheit dartut.

Mir treten aber auh als eine formale Einheit in Wirksamkeit, und diese Einheit hat ihre nattonale Bedeutung bereits wieder holt betätigt und fkundgetan. Die deutschen Staatseisenbahnen haben si nit nur im Staatsbahnwagenve! bande das ift eine mehr interne Sache zusammengeschlossen, sie haben sich au zu einer Ge- meinschaft gegenüber dem Autland zusammenges{lossen, um als ein einheitliher Körper in allen Fragen der Tarife, der Verkehrsteiluno, der Auëscheidung der Frachtanteile aufzutreten, und diefe achtung- gebietende Einheit hat {hon wiederholt bei den Aktionen, die uns aufgedrungen worden sind, Erfolge erzielt. Wie wirksam fie ist und sein kann, hat ih gerade im Laufe des leßten Jahres ergeben, als die

österreichischen Bahnen” es sich schuldig zu? sein glaubten, die Interessen der süddeutshen Bahn?en dur Bevorzugung der Arlbergroute und dec Noute durch die Shweiz zu beeinträchtigen. Da ift die Gemeinschaft in Aktion getreten, in erster Linie die preußischen Staatseisenbahnen, die kaum éin Interesse an der Frage hatten, und der E1folg isl ein erfreulicher gewesen; die Ansprüche der österreiwishen Eisenbahnen sind auf das berehtigte Maß zurückgeführt worden. (Bravo! rets und im Zentrum.) p

Also Sie sehen, meine Herren, daß wir auch den nationälen Gedanken, der denjenigen, die die Förderung von Gemeinschasten an streben, besonders naheliegt, niemals aus dem Auge gelaffen haben, und ih darf weiter bemerken, däß wir bestrébt find, auf diesem Gebiete fortzuschreiten. Es ist die Anregung gegeben worden, dur Herstellung von ständigen Vertretern der Negicrungen mit Eisenbahn- besitz eine fortgesczte Fühlungnahme über wichtige, die deutschen Staatseisenbahnen gemeinsam berührende Angelegenheiten herbet- zuführen (bravo!) und diefer Anregung bin ih als Chef der preußischen Staatseisenbahnverwaltung sofort beigetreten, und ih hoffe, Ihnen in nicht zu ferner Zeit mitteilen zu können, daß au die übrigen deutschen Staatseisenbahnverwaltungen dieser Anregung gefolgt sind.

Meine Herren, wenn Sie die Frage der Fortentwicklung der Gemeinschaft unter diesen praktishen Gesichtépunkten prüfen, dann werden Sie mir zugeben können, daß tatsählich das Wesentliche erreicht ist, und daß das Drängen nach ciner Gemeinschaft, wenn es, wie ich im Vorjahre habe dartun können, auf erbeblihe und bea rechtigte Widerstände und Anstände \tößt, abgeschwächt und {ließli zurückgestellt werden muß. (Lebhaftes Bravo!)

Abg. Dr. Sey da (Pole): Im Namen meiner Fraktion weise ih die niht gerechtfertigten Angriffe des Reichskanzlers gegen die Tendenzen der Jesuiten zurück, die er am 4. Dezember v. I. im Neichstage ausgesprochen hat. Der Abg. Graf Prascma ‘hat bereits gesagt, wie wenig berechtigt es ist, Crinnerungen aus der Ver- gangenheit zur Grundlage der jeßigen Bekämpfung der Jesuiten zu machen. Wenn der Abg. von Zedliy ausgeführt hat, die Jesuiten- tätigkeit sei auch jeßt noch ein Kampf gegen den Protestantismus, so ist er den Beweis dafür s{chuldig geblieben. Unsere Fraktion ver- urteilt aufs entshicdenste den Standpunkt der preußishen egierung. Der Bundesratsbeschluß bedeutet nach unserem Dafürhalten zweifel- los eine Verschärfung des bestehenden Gegensazes. Wenn der Neichs- fanzler sich auf die angebliche geschichtliche E berufen als aats

bat, daß das preußishe Volk von jeher die Fefuiten feindlih belfämpft habe, so verkennt er, daß das Empfinden eines

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Teiles des Volkes nicht dazu ausreiht, um das Empfinden des anderen Teiles zu verletzen. Wir sind als Polen ja an Gewaltakte uns gegenüber gewöhnt. Das Verhalten der Negierung in der Sesuitenfrage ist nicht das einzige, was wir in reltgiöser Beziehung zu beklagen haben. Trotzdem bereits 6 Jahre der erzbishöfliche Stuhl in Gnesen unbesett ist, denkt die Negterung nicht daran, die Wabl des neuen Erzbischofs vorzunehmen. Wir empfinden dies als Zurücksezung und gröblihe Benachteiligung der Rechte der fatholishen Kirche. Aber nicht nur die Zentralbehörde verleßt unsere religiösen Gefühle aufs gröbste, sondern auch die Ver- waltungsorgane folgen diesem Beispiel. Nach einer unwider- sprohenen Nachriht der „Germania“ hat ein Negierungs- präsident an die Kirchenbehörden einen Erlaß gerichtet, worin er darauf aufmerksam macht, daß der Gebrauch der polnischen Sprache beim Gottesdienst die zulässige Grenze überschritten habe. Der Crlaß verlangt einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der feelsorgerishen Tätigkeit der Polen. Es soll weiter berichtet werden, wie si die Polen bei den Parlaments- und Kommunalwaßhlen ver- balten haben und wie viele ausländishe Polen in der Industrie ver- wendet werden. Es foll \{ließlich festgestellt werden, welche Geist- lichen in polnisher Sprache Seelsorge ausüben, und ob bei geist- lichen Handlungen die polnische Seelsorge fich der polnischen Sprache bedient oder nit. Wir halten einen derartigen Erlaß für durchaus unzulässig und * betrachten ihn als eine widerrechtlihe Ein- mischung des Staates in die Befugnisse der kirchlichen Behörden. Der Landrat in Krotoschin hat eine Rede gegen die polnische Geistlichkeit gehalten, in der er ungeheuerlihe Verdächtigungen gegen sie ausfprach. Jh bitte die Staatsregierung, den betreffenden Land rat zur Nechenschaft ziehen zu wollen. Troß der jeyigen IJahres- itberschüsse bat der Finanzminister ciner weiteren Thesaurierung das Wort geredet und die Aufhebung der Steuerzuschläge abgelehnt. Wir find gegen die Ansammlung überflüsiger Mittel. Je mebr Mittel der Staat hat, desto mehr Millionen vergeudet er für den Kampf gegen das Polentum. Die Mittel für die Ostmarkenzulage und für die sonstigen auvergewöhnlihen Beihilfen für die Beamten in der Ostmark behufs Bekämpfung des Polentums sind in diesem Jahre um eine bedeutende Summe gegen das Vorjahr erhöht worden. Die Gefamtsumme aller dieser Aufwendungen beläuft \sich in diesem Jahre auf 9,7 Millionen, d. i. gegenüber dem Jahre 1910 ein Mehr von über 1 Million. Dazu kommen die anderen Fonds, wie z. B. tie für die - Fortbildungsschulen, die lediglich den Deutschen, aber nicht den Polen zugute kommen, und die tür die innere Kolonifation. Fns gesamt werden jährlih etwa 17 Millionen Mark für den Zweck der Polenbekämpfung vergeudet. Rechnet man dazu {ließli die Mittel für die Ansiedlungspolitif, so kommt {hon über eine Milliarde heraus, die in dieser Weise vergeudet ist. Die Yegierung will also in verstärktem Maße den Kampf gegen uns fortseßen. Bei der jeßt durchgeführten Enteignung hat die Regierung den Begriff der wirtschaftlißen Abrundung , die Le der Poraussezungen der . Enteignung sein soll, falsch ausgelegt. Das Enteignung®geseß bedeutet an ch {on cinen Gewaltakt gegen über der polnischen Bevölkerung, und es wird nun noch in ctner Meise ausgeführt, wie es den Absichten der Gesetzgebung widerspricht. Frel- herr von Zedliß als gewohnheitsmäßiger Scharfsmacher hat {on das mögliche Üebergreifen der in anderen Staaten bestchenden revolu tionären Bewegung auf Preußen als Schrecktgespenst an die Wand gemalt. In Posen war das Gerücht verbreitet, daß tie Polen in der Silvesternacht einen Aufruhr beabsichtigten. Wegen diesen Gerücßtes bestellte jemand ein Diner in einem Hotel ab. Dies bietet Herrn vou Zedlitz den Anlaß zu seiner Bemerkung! Wir beneiden Herrn von Zedliß um seine Argumentation nicht. Die polnische Bevölkerung hat den Scharfmachern die Freude einer revolutionären Bewegung nit bereitet. Durch den Boykott sucht man die polnische Bevölkerung brotlos zu machen ; deute Kaufleute, Aerzte und Rechtsanwälte suht man dagegen zum Kamvfe gegen uns zu stärken. Von den Taxatoren der Ansiedlungskommission werden \kandalöse Schäßungen des Werkes der Güter vorgenommen, man will den Besißern nicht mehr den Werl geben, den sie selbst für die Güter bezahlt haben; es ist besonders die Absicht, die polnische Bevölkerung bankrott zu machen. (Vizepräsident Dr. Krause: Sie dürfen der Negierung nicht eine folGe Absicht vorwerfen, das ist unzulässig.) Ich weise nur auf die Tatsache hin. Die polnishe Bevölkerung wird der Negierung die Antwort auf den legten Gewaltakt nicht \{uldig bleiben. Der Präsident der Ansiedlungskommission hat 1905 verfügt, daß möglichst alle Wirtschaftsgeräte der Ansiedler nur bei deutschen Kaufleuten gekauft werden sollen ; die Verwalter werden angewiesen, die Ansiedler auf ten eigentlihen Zweck der Ansiedlung aufmerksam zu mahen. Darum is die Boykottbewegung auf seiten der Polen entstanden ; wir begrüßen diese Bewegung und Hoffen, daß es mit derselben gelingen wird, den Schlag, welchen die Regierung auf dem Gebiete dec Bodenpolitik gegen uns geführt hat, auf anderem Gebiete wieder wetl zu nahen. Bestärkt werden wir darin aud dur) das Verhalten der Fortschrittspartei ; der Abg. Dr. Wiemer hat in einer Versammlung in Posen erklärt, taß die Forischritts- partei die Endziele der antipolnishen MRegierungspolitif billigt. Man sollte nun meinen, daß nah dieser Vershärsung infolge des

nteignungsgesches die staatlichen Instanzen alles tun würden, um die Æidenschaften niht noch mehr zu erregen. Das Gegenteil ist der Falk. Der Vegierungspräsident in Posen hat den Boykott gegenüber den polnischen Kaufleuten von neuem in Erinnerung gebracht. Das ist cin unerhörter Mißbrauh der Amts8gewalt. Ich erkläre namens meiner Fraktion, daß wir zur Staatsregierung kein Vertrauen mehr hon, und wir haben beschlofsen, bei der Gesamtabstimmung den (tat abzulehnen.

Uoy. Vr. Wiemer (forts{chr. Volksv.): In manchen Punkten kann ih den heutigen Ausführungen des Finanzministers beipflichten, daß es sich rechtfertigen läßt, die 60 Millionen für den Nachtraasetat aus dem Ausgleichsfonds zu entnehmen. Jn der Beurteilung der Grundlage unserer Finanzgebarung weiche ih aber von ihm und den meisten Rednern aus dem Hause ab. Der Minister hat der Hoffnung Aus- druck gegeben, daß wir jeßt vor einer defizitlosen Periode stehen, und daß d s Abgeordnetenhaus den bisherigen Weg weiter beschreiten werde. Ich halte seit Jahren diesen Weg für falsch. Wir haben vielmehr alle Veranlassung, . an der Gestaltung unserer Finanz- politik vom Standpunkt der Steuerzahler und der Bolksvertretung berechtigte Kritik zu üben. Unsere Finanzpolitik ist vor allem auf fisfalische Plusmacherei zugeshnitten. Das bestätigen auch die beiden lezten Jahre, in denen der Abschluß weit über den Anschlag des Etats hiuausyegangen ist. Dasselbe läßr sich für 1913 erwarten. Yan muß sih deshalb fragen, ob es für das Haus wirklich einen Zwedck hat, einen Etat aufzustellen. Herr Winkler sagte, daß der Aus- gleihsfonds das Zentrum ber Finanzverwaltung ist. Darin hat er recht. Der Ausaleichsfonds ist wirklich dazu geworden. Aber eine solche Entwicklung durfte nicht eintreten. Für den Finanzminister mag dieser Zustand sehr angenehm sein, und ih verdenke es ihm nicht, wenn er diese Politik verteidigt. Aber er hat nicht nur die Pflicht, für sein Ressort zu forgen, sondern auh die Interessen der Allgemeinheit und besonders die der Steuerzahler zu wahren. Dadurch wird aber auch die Uebersichtlihkeit über den Stand unserer preußischen Finanzen gefährdet. Der Etat is} zudem so un- übersichtlih geworden, wie es seinerzeit der Neichsetat war. Ander- seits liegt aber auch die Gefahr yor, die Aufwendung für kulturelle Yufgaben möglihst knapp zu bemessen. Dann besteht aber au die Getahr, daß ein Anreiz dazu vorliegt, eine Vermehrung der Steuer quellen zu verlangen. Als wir seinerzeit forderten, daß Ausgaben für werbende Zwecte aus Anleibefonds zu entnehmen seien, da wurde darauf hingewiesen, wir könnten doch die Schuldenwirtschaft des Reiches nicht einführen. Jeßt wird uns auf einmal das Yeich als Muster hingestellt. Der preußishen Staatsshuld von 9,9 Milliarden steht noch etn Cisenbahnvermögen von 11 Milliarden gegenüber, und dieses ist noch’ durch die vielen Erweiterungen vergrößert worden. Durch den Finanzminister ist selbst anerkannt worden, daß die Ueber- weisung der werbenden Anlagen in das Extraordinarium einer Schuldentilgung gleihkomme. Deshalb liegt die Notwendigkeit, eine verstärkte Schuldentilgung vorzunehmen, für Preußen zurzeit nit vor. Auh Miquel hat betont, daß die Vermehrung der preußischen Schuld feine Gefahr bedeute, solange es sich um werbende Anlagen handelt. Gr flellte sie sogar als ein erfreuliches Zeichen hin. Es it zwar gut, wenn man auch die Eifenbahnshulden abstoßen kann. Es ist aber frag- lih, ob man das Geld nit lieber für fulturelle Zwecke verwenden solle. Für meine politischen Freunde kann ih aussprechen, daß wir von Anfang an die Regelung der Steuerzuschläge nur für eine vorüber- gehende Maßregel ansehen und die Beseitigung derselben wünschen. Sie sollen nur fo lange in Gültigkeit bleiben, bis eine organische Neuregelung von der Regierung erfolgt ist. Die Negterung hat eine darauf bezügliche Vorlage ja eingebraht, aber mir ist ¿s zweifel- haft, ob es gelingen wird, sie noch rechtzeitig unter Dach und Fah zu bringen. Ich bedaure lebhaft, daß auch in diesem Jahre der Etat dem Hause erst wieder im Sanuar vorgelegt worden ist. Das ite [Won n Dezember geshehen können. Wir hätten dann für die Erledigung anderer Arbeiten mehr Zeit übrig gehabt. Uns lieat daran, eine bessere Veranlagung der (ginkommensteuer herbeizuführen, und wir wünschen, daß diese Ver- anlagung bald Geseß wird. Die Verhandlungen in der Kommission haben durchaus die Auffassung bestätigt, daß bei der Veranlagung der Einkommensteuer nicht überall mit gleichem Maße gemessen wird. Wenn das Veranlagungsverfahren verbessert wird, fo läßt fich voraus sehen, daß auch die Erträge der Staatskasse steigen werden. Herr von Zedliy hat den ersten Schritt zur Quotisierung getan, und ich hofe, daß demnächst auch bald der zweite Schritt folgen wird. Jch will dem Herrn Finanzminister nichk nachsagen, daß er kein Interesse für die Neform der Ginkommensteuer habe, das würde eine Ungerechtigkeit sein. Die Einführung des Nachtrags8etats für 1912 ist das Zugeständnis, daß die Bemessung der Ausgaben im ordentlichen Ctat mt ausreichend gewesen ist. Man fkann nicht sagen, daß die Neuentwicklung dazu geführt hat. Die Teue- rung hat auch im Januar des vorigen Jahres hon bestanden. Der Finanzminister lehnt es ab, Teuerungszulagen zu bewilligen, er bezeichnet sie als Besoldungserhöhungen. În diesem Umfange kann ich nicht zugeben, daß seine Argumentation richtig ist. Teuerungszulagen werden natürli so lange bewilligt werdey müssen, wie die Teuerung anhält. Wenn der Anlaß dazu fortfällt, dann müssen au die Zu- lagen wieder aufgehoben werden. Daß die Beamten fih mit der Teuerung abfinden müssen, wie die übrigen Staatsbürger, L elt billiger Ratschlag des Herrn Finanzministers, aber die Beamten tehen in dieser Hinsicht anders da, als die übrigen Staats- bürger, denn sie haben nicht die Möglichkeit, sich Nebenverdienst zu verschaffen oder durch Streik Lohbnerhöhungen zu erzielen. Das ist eine Scattenseite der Wirtschaftspolitik, sie hat die Lebenshaltung verteuert, und die Bevölkerung hat die Mittel für die Erhöhung der Beamtenbesoldungen hergeben müssen. Aber es liegt im allgemeinen Interesse, daß die Beamten so gestellt werden, daß se mit Freuden ihren Beruf erfüllen können. Shließlih hilft nur eine Umfehr in der Wirtschaftspolitik. Das ganze System der Unterstüßungen für die Beamten gefällt uns nicht, denn die Gewährung der Unterstüßurg hängt von der Willkür der Vorgeseßten ab. Der Finanzminister will keinen Stein aus dem Gebäude der Besoldungsordnung nehmen; solle Meinungen hat uns früher {on der Finanzminister von Miquel bören lassen, und doch haben sie nicht gehindert, daß alsbald Ausnahmen gemaht und Härten und Ungleich- heiten ausgeglihen worden find. Wir haben bei Beratung der Besoldungsordnung fogleih erklärt, daß wir darin feinen endgültigen Abschluß sehen, sondern daß die vorhandenen Mittel zur Beseitigung von Härten benußt werden müssen. Wir verlangen namentlih eine Aufbesserung der Unterbeamten und der Staatsarbeiter, z. B. der Streckenarbeiter bei der Eisenbahn. Die Mittel für Aufbesserungen sind vorhanden , aus finanziellen Gründen. fann nicht Widerspruch erhoben werden. Schafft euch Freunde mit dem ungerehten Mammon! Die Mittel für Cisen- bahnzwecke im Nachtragsetat würden besser aus Anleihen genommen, aber die Entnahme aus dem Ausgleihsfonds entspriht doh dem Ab- fommen, das zwischen dem Hause und der Negterung getroffen ist. Der Nachtragsetat beweist aber, daß der Etat für 1912 nicht ridtig bemessen worden ist. Ich erkenne an, daß die Cisenbahnverwaltung alles mögliche getan hat, um der Betr iebs\{wterigkeiten Herr zu werden, aber es hätte doch eine bessere Voraussicht herrschen müssen. Die Klagen über den Wagenmnangel sind doch nicht neu, alle Parteien haben die Regierung längst aufgefordert, den Wagenpark \{neller zu vermehren. Jett kommt die Regierung mit den sprung- haften Forderungen.- Jeßt muß auch das Perfonal bedeutend vermehrt werden. Die Negierung verwahrt sch gegen den Vorwurf, daß fle nur nach einer Herabdrückung des Betriebtkoeffiztenten gestrebt habe. Das Sinken des Betriebskoeffizienten i nur zu begrüßen, wenn es durch eine rationelle Betriebsführung herbeigeführt ist, aber nicht ctwa, wein es durch eine übermäßige Beanspruchung des Personals ermöglicht ist. Der Eisenbahnwinister wendet ih gegen die Schrift des früheren Ministerialdirektors Kirchhoff, weil er es \1bsstt als Fachmann besser beurteilen könne. Aber Herr K rcchhoff is doch selbst im Eisenbahnministerium. gewesen, und in feiner neuesten Schrift finden sich manche wertvolle

„Kalamität vorhanden.

Anregungen. Der Zusammenschluß der deutschen Eisenbahnen gegen- über dem Auslande ist sicherlih ein Fortschritt, und der Cifenbahn- minister sollte weitere Fortschritte auf diesem Gebiete machen. Die Wasserstraßen sind für eine Entlastung der Eisenbahnen dienlich, und selbs Graf Kaniß spra jeßt im Neichstag die Meinung aus, daß die Wasserstraßen mehr benußt werden möchten, und daß der Dortmund-Ems-Kanal nur infolge der Tarife nicht hon besser rentiere. Nach meiner Ansicht liegt der Hauptgrund- dafür, daß die Wasserstraßen sich bisher niht ausreichend verzinst haben und eine Erleichterung des Eisenbahnverkehrs nicht eingetreten ist, darin, daß das Hauptstück dieses Kanals, der Mittellandkanal, seinerzeit abgelehnt worden ist, und zwar gerade von den Freunden des Grafen Kaniß. Sie (zu den Konservativen) haben die Haupt- huld daran. Vielleicht ist die Aeußerung. des Grafen Kani ein Zeichen der späten Einsicht und der Absicht, für den Ausbau des Mittellandfanals einzutreten. Ich stimme dem Finanzminister darin bei, daß wir fortdauernd mit einer günstigen wirtschaftlichen Kon- junktur zu rehnen haben werden. Allerdings * liegen für einzelne Betriebszweige Zeichen für eine Aenderung der Konjunktur vor. Jch erinnere an den Grundstücksmarkt, dessen - außerordentlih s{lechte Lage die größte Aufmerksamkeit erfordert. Die Zunahme der Zwangsverwaltungen und Versteigerungen ist in der. leßten Zeit außerordentlich groß gewesen. Es ist eine shwere wirtschaftliche 1 1 Wenn ih auch nicht allen Forderungen der Hausbesitzer zustimme, so muß tich- doch zugeben, daß es wirklih heute fein Vergnügen ist, Hausbesißer zu fein. Die Gesetzgebung sollte vor allem ihre Aufmerksamkeit der Frage zuwenden, ob nicht eine steuerliche Neberlästung des Grund- besitzes besteht. Die Wertzuwachösteuer hat die auf sie geseßten Erwartungen niht erfülit, auch nicht hinsichtlich der Erträge der Staatskasse. Jch glaube, daß die Zeit gekommen isi, an eine Aenderung dieser Steuer zu denken. Aber noch wichtiger ist es, dafür zu sorgen, daß endlih eine Ermäßtgung der Umsatz- steuer eintritt. Bezüglich der Staatspapiere hat sich der ‘Finanz- minister mit der lakonischen Bemerkung begnügt, der Zustand ist Gegenstand. der steigenden Aufmerksamkeit der Staatsregierung. Der Hauptgrund_ der Erscheinung liegt aber wobl darin, daß die Verzinsung der Staatspapiere dem kaufenden Publikum heute nicht genugt, wo die Lebensmittel immer teurer werden. Ich stimme dem Finanzminister zu, wenn er sagt, daß es unrichtig ist, daß weite Kreise ihre Barbestände eingezogen . haben infolge der äußeren Ber- hältnisse. Das ist ein Beweis für die außerordentlich mangelhafte wirtschaftliche Erziehung der Bevölkerung. Es ist richtig, daß große Beträge dem Verkehr entzogen worden sind und in unwirtschaftliwer Weise vielleiht in Strümpfen oder ähnlichen Behältern für ernste Zeiten aufbewahrt werden. JIch will hoffen, daß in dieser Bezièthung mehr Aufklärung und eine bessere Erziehung herbeigeführt wird. Der Etat 1913 ist für Kulturzwecke reichlicher auêgefallen als fein Vorgänger. Aber es bleibt noch genug zu tun. Ich betone das besonders hinsihtlich der Beamtenunterstüßzungen. Diese sollten auf geseßliche Grundlage gestellt werden. Der Finanzminister sagt, daß das System der Unterstüßungen richtig sei, das bewiesen die Anträge auf Unterstüßung, die sich außerordentlich mehrten. Bielleicht kann man aber. auch aus dieser Tatsache \chließen, daß die Not der Beamten gewachsen ist. Vielleicht liegt auch eine Vereinbarung vor, daß die Beamten schen wollen, ob die Negterung wirklich ihre Versprehungen hält. Ich schließe mih dem Bor redner an und wünsche, daß wir auf diesem Gebiete weiter vorwärts schreiten. Fh bin nicht damit einverstanden, daß Staats- gelder verschleudert werden. . Ich denke z. B. an die Ausgaben für Museumsbauten. Der Kultusminister hat in Aussicht gestellt, bet der zweiten Beratung auf diese Angelegenheit einzugehen. Es wäre aber wohl wichtiger, daß dem Hause {on jeut einige Unterlagen zur Beurteilung mitgeteilt werden. Kritiich stehe ih der Forderung dèr Mittel für die Pfandbriefanstalt in Posen gegenüber. Wenn es ih um eine rein wtirtschaft- liche Maßnahme handelt, dann bemerke ih, daß auch andere Privat- institute eine derartige Unterstüßung verlangen föônnen. Handelt es sich aber um Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den Ostmarken, dann billige ich sie. Es ist mir nux zweifelhaft, ob das - Mittel richtig gewählt ist. Der Abg. Seyda hat eine angeb- liche Aeußerung von mir ziliert, wonach ‘die forts{hrittlihe Volks- partei die Polenpolitik unterstüte. Ungefähr so hat allerdings meine Aeußerung gelautet. Auch wir wollen das Deutschtum in der ODstmark erhalten und fördern, aber nit mit den Mittcln, welche die Regierung anwendet. Wir halten durchaus unsere bisher vertretene An- shauung in der Ansiedlungèpolitik aufreht. Auch der Abg. Zedliß hat ausgesprohen, daß man si feinen ungünstigeren ZBeitpunft zur Anwendung des Enteignungsgesezes hätte denken fönnen. Ich habe mich selbst in Posen davon überzeugt, daß die Wirkungen der Enteignung außerordentlich ungünstig find, daß nicht eine Stärkung, sondern eine Schädigung solher Interessen herbei geführt worden ist. Gerade in deutshen Handwetkerkreisen in Posen herrscht eine große Erregung in dieser Hinsicht. Es gibt Ort- schaften, wo überhaupt keine deutschen Handwerker mehr sind. Aba. Seyda hat die polnishe Boykottbewegung mit Genugiuung begrüßt. Wir verwerfen dagegen den wirtshaftlihen Boykottk. Wir find der Meinung, daß die unberechtigten nationalen Aspira tionen der Polen nicht unterstüßt werden soliten. Andererseits muß den Polen völlige staatsbürgerlihe Gleichberehtigung ge- währt werden. Wir werden die tnnere Kolonisationépolitik tat- kräftig unterstüßen und hoffen, daß der Reichekanzler sein darauf bezüalihes Programm verwirkliht. Auch wir wollen eine gute und leistungsfähige Landwirtschaft haben, eine Vermehrung des mitt- leren bäuerlihen Besißzes. Aber wir wollen nicht ein fünstliches Uebergewicht des Grundbesißes schaffen, daher werden wir den ange- kündigten Gesetzentwurf über innere Kolonifation entsprehend prüfen. Wir wünschen eine Einschränkung der Ftideikommisse und etne Besserung der Verhältnisse der ländlichen Arbeiter. Hoffentlich bleiben die Be {lüsse der jüngst im Abgeordnetenhaus abgehaltenen Großgrund- besitzerkonferenz im Interesse der ländlichen Arbeiter niht nur ein frommer Wuns. Bisher haben die Großgrundbesißer keinen großen Wert darauf gelegt, mit den Landarbeitern in enge Fühlung zu kommen, bödstens in Wahlzeiten. Wichtiger als die soziale Förderung der ländlichen Arbeiter scheint uns die Besserung der Nechtsverhältnisse zu sein. Das ist vielleiht der Hauptgrund für die Leutenot; auch in bezug auf die soziale Gesetzgebung sind dtîe Landarbeiter gegenüber den Industriearbeitern zurüdckgesezt. Wir haben auf dem Lande Krankenkassen bekommen, die niht nur in der Leistung, sondern auch in der Selbstverwaltung \{leckchter dastehen als anderwärts. Frhr. v. Wangenheim hat eine Sparkasse für die ländlichen Arbeiter empfoblen, in die sie 50 -Z wöchentlich einzuzahlen haben. Auch der Gulsbesitzer soll Zahlungen leisten. Jeder Arbeiter soll jedo, wenn er vor dem 40. Lebensjahre seine Arbeitsstelle ver- läßt, den eingezablten Betrag zugunsten der Kasse verlieren. Das läuft do nur auf eine Beschränkung der Freizügigkeit hinaus. Wêit der Verstärkung des Fonds für die Jugendpflege sind wir einverstanden. Allerdings stimmen wir nicht in die enthusiastishe Lobrede der Negterung ein. Ein abschließendes Urteil ift noch niht mögli. Doch haben sich einige Schattenseiten herausgestellt, indem konfessionelle Vereinigunge! bevorzugt wurden. Wir denken nicht daran, die konfessionellen Ver- einigungen von Zuwendungen auszuschließen, aber se sollen auch nicht bevorzugt werden. Graf Praschma hat sich mit der Jesuiten- frage beshästigt. Ich habe Sympathie übrig für die entschiedene und temperamentvolle Art, mit der er für die Jesuiten eintrat. Seine Ausführungen zetgen ou, daß er _niht ohne Erfolg eine Jesuitenshule besucht hat. Er hat den Bundesratsbeschluß \charf getadelt, und der Kultusminister hat in väterlicher Milde mit einer gewissen Surückhaltung geantwortet, troßdem auf einzelne Wen- dungen eine energishe Antwort nötig gewesen wäre. In der Sache pflichte ih dem Kultusminister bei. Wir billigen au den Bundésratê- beschluß und die Erklärung des Reichskanzlers, ebenso wie wir damit einverstanden sind, daß in Preußen die Handhabung dem Gesetze enisprehend und ohne Kleinlihkeit und Schikane ausgeübt wird. Der Kultusminister hat ret, wenn er sagt, es handle sich heute

nicht darum, ob ß

zuheben oder beizubehalten ist, es handele fich nux darum, obz ein Neichsgesetz, solange es bestehr, durhgeführt werden soll, oder ob es dur einen geheimen Grlaß beiseite ges{choben werden tann. Graf Prashma hat den Gegnern feiner Auffassung Unwissenheit über fatholishè Dinge und Feindschaft gegen die katholische Ieligion vor- geworfen. Meine Parteifreunde sind das gewohnt; aber es ift doch hart, wenn solche Vorwürfe an die Bundesbrüdek von der Rechten und an die Adresse des Ministers der geistlichen Angelegenheiten gerihtet werden. Graf Praschma hat gemeint, der Fall habe wieder einmal flar dargelegt, welhe Summe von Mißtrauen im Reiche und Staate gegen fkatholishe Einrichtungen bestehe. Für meine volitis{en Freunde muß ich das zurückweisen. Wir wissen uns fcei von Mißtrauen, von Feindschaft gegen die fatholishe Religion und ihre Einrichtungen. Das ist mit unserer liberalen Auffassung unvereinbar. Aber ist das Zentrum denn dafür zu haben, daß auch für jüdishe Kultusgemeinden in kleinen Städten etwas seitens des Staates geschieht? Dem konfessionellen Hader muß endlich ein Ziel geseßt werden. [

das Gese felbst gut oder chlecht ist, ob es auf

Lid) 1 Wenn es aber zu Konflikten zwischen konfessionellen und staatlichen Einrichtungen kommt, dann stellen wir uns auf die Seite des Staates. Graf Praschma hat die christlich- fonservative Weltanschauung des Zentrums hervorgehoben und Wendungen von der Notwendigkeit des Kampies gegen Unglauben, Umsturz und anderes mebr gebrauht, was für Tonlervattye Ohren und Herzen berechnet war. Œ8 gab Zeiten, in denen das Zentrum niht so wie heute Gewiht auf die Betonung seiner ristlih- fonservativen Gesinnung gelegt hat, sondern mehr Gewicht darauf legte, als demofkratishe Partei angesehen zu werden, Der Abg. von Zedliy hat erkennen lassen, daß er den Locktônen des D 2 ) k Q 1 . 4 c 4 Le Y d A Redners der Zertrumspartei niht zu folgen gewillt ist. Aber auch die konservative Partei wird niemals dafür zu haben sein, sür etne Abschwächung oder Aufhebung des Jesuitenge|etes einzutreten Man i y c , G C muß erst abwárten, ob das Zentrum 11ch auch in Zukunft bewogen fühlt, 200 000 Stimmen in das fonservative Laaer abzukfommandieren. Ein Termin für die Neuwahl ift noch niht bekannt geworden, 10da} den Abgeordneten nicht genügend Zeit gela]jen ist, in die Wahla agitation einzutreten. Ich bedaure auch, daß die Tagung zu Ende geht, ohne daß eine Reform des Wahlrechts durchgeführtk worden isi. Bei etnigem guten Willen könnte felbst noch jet ein Notgesey durch- geführt werden. Die Abstimmung vom 20. Mai 1912 har erneut den Beweis dafür geführt, wie nôtig eine Wahlreform und eîne Abänderung der Zusammensetzung des Hauses ist. Es ist ein unhalt- barer Zustand, daß die rechts\tehenden Parteien allein allen Parteien gegenüber ihren Willen durchdrücken fönnen. Herr von Zedliß meint, das sei ja das Wunderschône an diejem Wahlrecht, daß das politische Necht parallel mit den Leistungen des Bürgers gegenüber dem Siaate v c o ; Cre w t Lic d (2A, ch, gehe. Ich finde es nicht shön, daß etn politisches Necht sih nach dem Geldbeutel richtet. G8 111 doch ungerecht, daß die städtische Bevölkerung, die so viel mehr für den Staat als die ländliche leistet, ]o weilt hinter dieser an politischen Rechten zurüksteht. Der Mittelstand foll den Aus- {lag geben zwischen Arm und Reich. Aber es trifft nicht zu, daß er wirklich der Schiedsrichter ist. Denn 90%/ aller Wähler gehören zur dritten Klasse, also auh der größte Teil des Mittelstandes. Wenn der Abg. von Zedlig für die Interessen des Mittelstandes ein- treten will, muß er füc eine Wahlreform sein, bejonders für die Etn- führung der geheimen Wahl; wir wissen do aber, wte der Mittels stand unter der öffentlihen Stimmabgabe zu leiden hat. Jch erbebe Einspruch gegen die Behauptung der Negterung, daß erst gedacht werden fönnte, wenn die großen Parteien einigt hätten. Damit wird die Reform in die Hande er gelegt, die überhaupt feine Wahlreform wollen. Was hat denn die Regierung in der verflosjenzn Legislaturperiode geleistet? Große Hoffnungen wurden erweckt für die Reform der Verwaltung, es wurde eine Immediat- kommission eingeseßt, Aus\hüsse haben getagt, aber bis jetzt ist noch nichts dabei herausgekommen. Herr von Zedliß, der darüber gut informtert ist, hat heute sich pessimistisch dahin geäußert, daß es an großen Gesichtsvunkten dabei fehle. Auch sonst fînd keine Reformen in Preußen durchgeführt worden. Kreisordnung, Landgemeindeordnung, Berbesserung des Verhältnisses der Landgemeinden zu den Gutsbeziken find alles Aufgaben, die diingender Grledigung bedürfen, und doch ist nihts geschehen. Viele andere Bundesstaaten haben ihr Wahlrecht reformiert, in Preußen s{chweigen alle Flôten. Bei dieser Unfrucht- barkeit des gegenwärtigen Ministers des Innern könnie man über seine-Pforte schreiben: “Ministerium des inneren Stillstandes. Der Abg. Winkler sprach von der Kömgstreue, Pflichttreue und Dpsfer- willigkeit der alten Preußen von 1513, auch mil Recht, aber diefer Zeit von damals war etne vera ri htbarec Reformen vorausgegangen. Lasten, die noch aus dem Mittelalter bestanden, wurden aufgehoben, der Bauernstand wurde befreit, die Selbstverwaltung wurde begründet. Fur die Zukunft Preußens würde cs von hohem Nußen fein, wenn jeßt der langen Periode des Stillslandes wieder eine Zeit von fegen- bringenden Neformen folgen würde, wenn Preußen von dem reattionärecn Dru befreit würde, unter dem es jeßt leidet.

Minister des Jnnern Dr. von Dallwißgt:

Herr Dr. Friedberg hat vorgestern der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Arbeiten der Immediatkommission für die Verwaltungs- reform bisher sehr bedeutsame Ergebnisse nicht gezeitigt hätten, und Herr Dr. Wiemer hat soeben diese Meinung noch § in etivas deutliherer Weise unterstrichen. Herr Dk. #ütbdsa berg hat sodann angeregt, daß die Immediatkommi|sion auch die Möglichkeit einer weitergehenden Erleichterung der Zusammen- legung von Gemelnden und Gutsbezirken in den Bereich ihrer Tätig fett einbeziehen möge. Es freut mi, Herrn Dr. Friedberg mitteilen zu können, daß inzwischen die Immediatkommission zu abschließenden Ergebnissen gelangt ist in bezug auf die Uebertragung der Geschäfte der Generalkommission in Königsberg auf die Behörden der allgemeinen Landesverwaltung, ferner in bezug auf die Neuorganisation der mit der Verwaltung des Volkss{ulwesens befaßten Behörden, weiter in bezug auf die Erleihterung und Neuregelung der Nehtsmittel gegen volizeillhe Verfügungen und endli auch in bezug auf die Reform des Verwaltungsstreitverfahrens und des Verfahrens vor den Beschluß- behörden. Diese Beschlüsse werden im Falle ihrer Berücksichtigung zu einer durdgreifenden Umgestaltung des Geseßes über die allgemeine Landesverwaltung führen. Mit der Frage, inwieweit diesen An- regungen und Beschlüssen der Immediatkommission Folge gegeben werden foll, ist zurzeit das Königliche Staatsministerium befaßt. Ich darf mih daher der Hoffnung hingeben, daß ih in der nächsten Session in der Lage sein werde, eine umfassende Novelle zum all- gemeinen Landesverwaltungsgeseß einzubringen. Zugleich gestatte ih mir, darauf hinzuweisen, daß dieses hohe Haus jeyt {on mit zwei Geseyen befaßt ist bezw. befaßt gewesen ist, welche in Anlehnung an, die Vorarbeiten der Immediatkommission ausgearbeitet worden find, nämlich mit der Hinterlegung8ordnung und mit dem Gesey über die Befugnisse der Oberrehnungskammer. Ferner ist eine gau oreihe recht bedeutsamer Neformen im Sinne einer Vereinfahung und Be- 5 4 p y [4 w ps “uur Rio \{leunigung des Verfahrens bei den Verwaltungsbehörden im Ver- waltungswege {on durhgeführt worden, welhe teils von der c ; n 4 r o : JImmediatkommission angeregt, teils aber von ihr begutachtet und gebilligt worden sind. Ich glaube daher, daß man do nicht ein so absprechendes Urteil über die Tätigkeit der Immediatkommission zu fällen berechtigt isr, wie dies soeben von Herrn Dr. Wiemer ge= {ehen ist.

Was nun die Anregung des Herrn Abg. Dr. Friedberg betrifft,

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daß die Immediatkommission die Erleichterung der Zusammen=