1913 / 14 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Jan 1913 18:00:01 GMT) scan diff

fahrungen im Genossenschaftswesen könnte die Führung übernehmen. Ich verkenne durchaus nicht die Schwierigkeiten der Kreditgenossenschaften. Bei den Großbanken findet der gewerbliche Mittelstand in der Negel nicht eine Befriedigung feines Kreditbedürfnisses, ‘und bei den kleinen Bankiers erst techt nüicht. Bei diesen ‘ist das Rifiko viel größer als bei den Genossenschaften. Ich kann nur zum Schluß die Hoffnung aussprechen, daß der Bundesrat die gewünschten Maßregeln treffe und geseßliche Schritte unternehme, son\t können wir unmögli alauben, daß cs ihm mit der Erhaltung und Förderung des selbständigen Mittelstandes wirklih ernst ist.

Präsident Dr. Kaempf: Der Abg. Irl hat gesagt : „Wenn der Abg. Dr. Müller-Meiningen gewußt hat, daß Wetterlé nicht dem Zentrum angehört, so war es nicht ehrlih von ibm in dieser Weise gegen uns vorzugehen“. Auch in diesem Zusammenhang muß ich den Borwurf der Ünehrlichkeit als parlamentarisch für unzulässig ‘er- Élären.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Dr. Delbrück:

Meine Herren! Bei der Vielseitigkeit meines Nessorts und bei der Verschiedenartigkeit der Gegenstände, die die Herren Redner, die bis jezt zu meinem Gtat gesprohen haben, vorzugsweise behandelt haben, ist es für mi nit ganz leiht, auf die Fülle der Fragen und Anregungen, die mir im Laufe der vergangenen beiden Tage und im Laufe der heutigen Debatte entgegengebraht worden find, vollständig und in einer geordneten Nede zu antworten. Ich bitte, mir also zu gestatten, wie ih das auch in früheren Jahren getan habe, einzelne große Gebiete meines Ressorts voneinander gesondert zu behandeln. Ich glaube, daß es nah. dem Gange der Erörterungen, die wir bis jeßt gehört haben, vielleiht am zweckdienlihsten ist, wenn ih mi heute auf Ausführungen zur Sozialpolitik beschränke und mir wie ih hiermit ausdrücklich erkläre eine Erörterung der im übrigen in der Debatte bereits gestreiften und mehr oder minder eingehend be- handelten Gegenstände, wie z. B. des Themas, über das soeben der Herr Vorredner sprach, für besondere Reden an einem der späteren Tage vorbehalte.

Was nun, meine Herren, die Sozialpolitik betrifft, so haben die meisten der Herren Redner, die bis jeßt gesprohen haben, eine einzelne Frage aus dem großen Komplex dieser Fragen herausgegriffen und 'ehr eingehend erörtert : das ist die Frage des Koalitionsrehts. Aus diesem Grunde ist es mir vielleicht gestattet, zunächst einmal mit einigen Worten das zu besprcecken, was in dieser Beziehung bisher vorgebracht ist.

Meine Herren, den Anlaß zu den Erörterungen über das Koalitionsrecht hat die Nede gegeben, die ih zu diesem Gegen- stande am 10. Dezember v. J. gehalten habe. Es liegt nicht in meiner Absicht, die weitshichtigen Erörterungen einer, glaube ich, dreitägigen Debatte heute hier wieder aufleben zu lassen, und ich muß auch sagen, daß i nach den Ausführungen, namentlich des Herrn Abg. Müller (Meiningen) und des Herrn Abg. Fischer keine rechte Veranlassung sehe, wieder in die Tiefen dieser Materie hinabzusteigen. Ich möchte in bezug auf meine Nede vom 10. Dezember nur kurz folgendes feststellen.

Diese Rede hat ledigli den Zweck gehabt, an der Hand der Gesetzgebung, an der Hand der geschichtlichen Entwicklung unserer Geseze und an der Hand der Judikatur die Grenzen des Koalittonsrechts und - die „Grenzen der Gültigkeit “tes Neichbvereiusgeseßes feskzulegen. Die juristishen Ausführungen, die ih in dieser Beziehung gemacht habe, sind nah meiner Ansicht niht widerlezt, weder von den Rednern hier im Hause, noch von der Presse, die sich ausgiedig mit diesem Gegenstande beschäftigt hat. Und wenn der Herr Abg. Müller (Meiningen) gestern gesagt hat, unsere Einigkeit iy. diesem Gebiete sei nit so groß, wie ich gemeint bätte, so kann ih darauf nur er- widern, daß ich in der Zwischenzeit noch einmal den Kommentar des Herrn Müller (Meiningen) zum Vereinsgeseß eingehend angesehen und doch gefunden habe, daß ich eigentlich auf derselben Grundlage auf- gebaut habe wie er, wenn au vielleiht in einzelnen Punkten die Folgerungen etwas auseinandergehen. Nichtig ist es, meine Herren, daß ih mi bet meinen Ausführungen am 10. Dezember nicht auf die Konfequenzen eingelassen habe, die sich aus meinen Ausführungen zu den Handlungen und Aeußerungen bestimmter Ressorts bezw. ihrer Chefs im Reiche und in den Bundesstaaten etwa ergeben könnten. Das war nicht meine Absicht und in gewissen Grenzen auch nit meine Aufgabe. Ih habe, soweit die Beziehungen des Reichs zu den Bundesstaaten in Frage kommen, der Natur der Dinge nah immer nur die Grundsäße festzulegen, nah denen die Neichégescye anzuwenden find. Es ist aber niht meines Amtes und kann nicht meines Amtes sein, in die Kritik der Beurteilunz einzutreten, die einzelne tatsähliche Vorkommnisse innerhalb der einzelnen Bundes- staaten gefunden haben. JZch bin nur verpflihtet einzuschreiten, wenn ih feststelle, daß eine grundsäßlihe Abweichung von den Auf- fassungen des Reichskanzlers vorliegt. Jch habe es ferner ab- sihtlich vermieden, auf das einzugehen, was die einzelnen Chefs der Reichsressorts ausgeführt haben. Ih habe mich au hier aus wohlerwogenen Gründen auf die Feststellung der Grundsätze beschränkt, die nah der Ansicht des Herrn Neichskanzlers binsihtlih der Koalitionsfreiheit und der Ausführung des Vereins- gesetzes anzuwenden sind. Wie diese einzelnen Grundsäße in bezug auf bestimmte Verhältnisse und Vorkommnisse innerhalb dex einzelnen Ressorts angewandt sind, das zu vertreten ist nicht meine Sache; das wird gedeckt durch die Verantwortlichkeit des unmittelbar be-

teiligten Ressortchefs. Also was ih am 10. Dezember habe geben wollen, war nichts als die juristische Umgrenzung des Koalitionsrehts und des Vereinsgeseßtzes.

Meine Herren, es ist aber au unzutreffend, wenn mir der Herr Abg. Fischer vorgeworfen hat, daß meine Ausführungen zum Koalitionsrecht eine Verneinung des Koalitionsrechts bedeuten, daß, wie es in der Presse gelautet hat, das Koalitionsrecht durh mich mit einem Schlage vernichtet wäre. Netn, meine Herren, das is nicht richtig. Im Gegenteil, ih habe gefragt : wo sind die Quellen des Koalitionsrehts? und habe fie ausdrücklich festgelegt gefunden in den Verfassungen der Bundesstaäten. Jch habe dann die Grenzen erörtert, die sih für die Handhabung des Koalitionsrehtes ergeben, und ih habe den Eindrud, daß die Festlegung der Grenzen, die ih namentlih für die staatlichen Betriebe und bezüglich der Beamten gezogen habe, keineswegs eine ungünstige ist, keineswegs das Koalitionsreht der Arbeiter in staat- lien Betrieben und das Koalitionêrecht und Vereinsrecht der Beamten beeinträchtigt. Ich habe nur im beiderseitigen Interesse, damit nit der ewige Streit über die rechtlihen Grenzen besteht, versucht, diese Grenzen festzulegen. Und, meine Herren, went wir

versuchen, die zahlreien Streitsrager, die auf diesem Ge- biete noch an uns herantreten werden, zunächst nach diesen Grundsäßen zu beurteilen, dann werden wir viel weiter kommen, als wenn von Îhrér Seite immer der Versuch gemacht wird, über die Grenzen hinaus ein Koalitionsreht zu konstruieren, das nicht besteht. : 5

Diese Versuche sind nach meiner Ansicht namentli auch um deêswillen beklagenswert, weil guf diese Art und Weise die Regierung in der Behandlung der Fragen des Koalitionsrechts stets in eine Kämpferstellung gezwungen wird, und weil aus dem dauernden Ab- weisen unberehtigter Angriffe eine gewisse Unfreundlichkeit in unseren Aeußerungen über diese Fragen liegt, die wir gar nicht beabsichtigt haben: die Neigungen der einzelnen Ressorts, die ihnen gegebenen Befugnisse liberal, freundlih und entgegenkommend zu handhaben, wird sicher nit gesteigert, wenn ihnen ununterbrochen der Vorwurf gemaht wird, daß fie das Necht und daß sie die guten Sitten ver- leßt haben.

Es hat dann im Anschluß an diese meine Ausführungen über das Koalitionsrecht der Herr Abgeordnete Müller (Meiningen) au meine Ausführungen zur Gewerkschaftsenzyklikaä behandelt. * Meine Herren, ich habe vorhtn \{chon angedeutet, daß ih den Ausführungen vom 10. Dezember vorigen Jahres nichts hinzuzufügen und von dem damals Gesagten nichts zu ändern oder zurückzunehmen habe. Das gilt au in allen Punkten von den Aus- führungen zur Enzyklika, die ich im Zusammenhange mit meinen Ausführungen über das Koalitionsrecht gemacht habe. (Hört, hört ! links.) Was ih damals gesagt habe, halte ih in allen Punkten auf- recht. Es handelte sich aud, wie ih nochmals wiederholen möte, lediglich darum, den Geltungsbercich des § 1 des Reichsvereins- geseßes nah allen Richtungen hin festzulegen. Was ich in dieser Be- ziehung gesagt habe, ist nah meiner Auffassung niht widerlegt.

Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat nun aus meinen Aus- führungen gestern weitgehende Konsequenzen auf kfircenpolitishem Gebiet gezogen, aber, wenn ih thn recht verstanden habe, hinzugefügt, daß ih wohl selbst an diese Konsequenzen niht gedaht hätte. (Sehr richtig! links.) Das letztere ist richtig. (Heiterkeit im Zentrum.) Es fehlte für mi jede Veranlassung, diese Konsequenzen in dem Zusammenhange, in dem ich gesprohen habe, zu erörtern ; ih ziehe sie auch heute nicht, und ih lehne ihre Berechtigung hiermit ausdrücklich ab. ;

Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat dann ferner eine Auf- klärung über den Inhalt der mit der römischen Kurie gepflogenen Verhandlungen gewünscht. Meine Herren, es ist nit üblich, über derartige diplomatishe Verhandlungen ohne Zustimmung des anderen Teils in der Oeffentlichkeit Mitteilungen zu ‘machen; es ge- nügt aber meines Erachtens auch vollständig die schon damals gemachte Feststelung, daß wir in den Gewerk- \chafts\streik vermittelnd eingeguffen und in Rom zugunsten der interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften gewirkt haben, und zwar, wie ih auf eine Anfrage des Hérrn Abg. Müller (Meiningen) ergänzend bamerken will, bevor die Enzyflika erging, daß die leytere den Willen dex, Kurie erkennen läßt; den katholischen Arbeitern den Beitritt zu den Geweikschaften nicht zu vershränken, und daß endli, wie mir von angesehenen Freunden der Gewerkschaften wiederholt be- stätigt ist, das Fortbestehen dieser Gewerkshaften in der bieher'gen Weise nunmehr gesichert ersheint. Ich glaube, ich kann damit diesen Teil meiner Erör:erungen zum Koalitionvrecht verlassen.

Ein mit dem Koalitionsrecht zusammenhängender Gegenstand ist dann die von verschiedenen Nednern, ganz besonders aber von dem Herrn Grafen von Westarp gesteun erörterte Frage des Schutzes der Arbeitswilligen. Ich habe mih tim vergangenen Jahre über diese Frage cingehend geäußert, und ih möchte auch hier zur Ver- meidung von Mißverständnissen ausdrücklich feststellen, daß das, was ih im vorigen Jahre hierzu gesagt habe, au) heute noch meine Meinung, auch heute noch die Meinung der fonst beteiligten Ressorts und insbesondere die Meinung des Herrn Reichskanzlers ist. Alle Forderungen, die zum Schuße der Arbeitswilligen gestelt werden, pflegen in dem Rufe nah einem Verbot des Streikpostenstehens zu gipyfeln. Ich habe wtederholt hier auszuführen die Ebre gehabt und möchte cs noch einmal wiederholen, daß ich ein solhes Verbot des Streikpostenstehens für ein untauglihes Mittel zur Bekämpfung der Uebel ansehen muß (sehr richtig ! links), deren Vorhandensein ih mit Ihnen anerkenne. Der Terrorismus, der dem Arbeitswilligen, seiner Familie und seinen Angehörigen das Leben bedroht und verbittert, wird nur zu einem ganz kleinen Teile durch den Streikposien ausgeübt, sontern er wird durch zahllose Leute aus- geübt, durch Spaztergänger, dur Frauen, die zu Markte gehen, durch VFugendliche, die die Arbeitswilligen begleiten (Lachen bei den Sozial- demokraten); er wird ausgeübt in den Werkstätten, auf den Korridoren, in den gemeinschaftlihen Waschküchen, in den Konsumvereinen (Lachen bei den Sozialdemokraten), in den Läden, in den Restaurationen. Ditesen Terror bekämpfen Ste niht mit cinem Verbot des Streik- postenstehens, ganz abgeschen davon, daß es überaus s{wer sein wird, eine juristish einwandfrete Formulierung des Tatbestandes des Streikpostenstehens zu finden. Ih weiß, daß man ander- wärts anderer Meinung ist. Ich habe die Sache oft geprüft, habe sie gemeinschaftlich mit dem Herrn Staatssekretär des Neiclhsjustizamts geprüft, und wir sind immer zu demselben Ergebnis gekommen. Das Ergebnis war, daß, wenn man die Erscheinungen, unter déren

Symptomen auch die Belästigungen der Arbeitswilligen durch die Streilposten stehen, wirksam bekämpfen will, das nur geschehen kann, wenn man cine systematishe Aenderung unserer strafgeseglihen Bestimmungen über die Beleidigung, übèr die Nötigung, über Körper- verlezung und was dergleichen mehr ift, eintreten läßt. (Hört, hört ! bei den Sozialdemokraten.) Mit der Bearbeitung dieser Bestimmungen find wir beschäftigt. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Ich

halte es nicht für richtig, sie etwa lo8gelöst, herausgerissen aus dem

System des Entwurfs cines neuen Strafgeseßbuchs in einzelnen Paragraphen hier zur Regelung zu bringen. Allein {hon daran, daß es sich um eine neue syftematische Behandlung einer ganzen Rethe von Straftaten handelt, würde der Versuch scheitern, hier in diesem Hause es mag zusammengeseßt sein, wie es will eine Einigung über eine wirksame Ausgestaltung dieser Materie zu erzielen. (Sehr rich- tig! im Zentrum.)

das geltende Recht mit den besonderen Bestimmungen des 153 tat- fächlih ausreicht (sehr richtig !), um Ansschreitungen von Streikposten

und Ausschreitungen bei Gelegenheit von Streiks zu begegnen. (Sehr rihtig !)

Die Nichtigkeit dieser Auffassung bestätigen nach meiner Meinung die Vorgänge im Ruhrrevier. Es ist aus Anlaß des leßten Streiks im Nuhrrevier zu einer Unzahl von strafrechtlißen Ver- folgungen gekommen. Ich hade nah Prüfung dieser Strafsachen den Eindruck gewonnen, daß fast alle diese Ausschreitungen vorgekommen und zur gerihtlihen Verantwortung gezogen worden wären, auch wenn wir ein Verbot des Streikpostenstehens gehabt hätten. Im möchte hier einige nit uninteressante Zahlen in dieser Richtung geben. Es sind etwa 2000 Anklagen auf Grund des Streiks im Nuhrrevter erhoben worden. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Jn diefen Fällen

hat es sich in ganz überwiegendem Maße um Ausschreitungen und

Vergehen von streikenden Bergleuten gegenüber Arbeitswilligen ge- handelt, während umgekehrt unter den Strafsachen eine verhältnis- mäßig geringe Zahl von Fällen ist, in denen Ausschreitungen von Arbeitswilligen zur Kenntnis der Behörden und zur Aburtetlung ge- langt siud. (Lachen bet den Sozialdemokraten.) Dann ist es sehr charakteristisch, festzustellen, daß ein großer Teil dieser Verurteilungen ih gegen Jugendliche gerichtet hat; ih glaube: von den 2000 Fällen finn es etwa 700, in denen Jugendliche bestraft worden sind. Meine

Herren, Jugendlihe stehen niht Streikposten, sondern die Jugend-

lihen betetligen fich an den allgemeinen Uitérnehmungen gegen die Arbeitswilligen; aber sie werden niemals als Beauftragte einer Ge- werkschaft die besonderen Funktionen eines Streikpostens wahrzunehmen haben. (Zurufe.) Jedenfalls wird das für gewöhnlich eine Aus- nahme fein. i

Sehr groß ist die Zahl der verurteilten Frauen. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Es sind ungefähr 400 Fälle. Auch Frauen werden in der Regel niht zu den Streikposten gehören, sondern sie werden mehr als Franctireurs das Heer der Arbeits- willigen belästigen. (Erneutes Lachen bei den Sozialdemokraten.) Nun sind speziell die Vergehen der Frauen leiht gewesen. Es handelt si in der Regel um Beleidigungen, um Chrenkränkungen, allerdings häufig ganz besonders gehässiger Art. Schwere Vergehen sind verhältnismäßtg selten vorgekommen; im allgemeinen überschreitet das Strafmakß, glaube ih, zwei Monate nicht, abgesehen von einzelnen Fällen, wo \chwerere Vergehen abzuurteilen waren. Aver diese s{hwereren Vergehen sind im wesentlihen Widerstand gegen die Staatsgewalt, gegen die Beamten, gegen tas Militär. Alle diefe Delikte find auch wieder meist hervorgerufen worden durch den Schuß, den Polizeibeamte, Militär usw. den Arbeitswilligen an- gedeihen lassen mußten. Das Charakteristishe dieses Streiks, die Schwierigkeit der Bekämpfung [seiner Nebenersheinungen durch Polizei usw., ist wesentlich in dem Umstande zu sucken, daß eben in dicsem Falle ein großer Teil der Arbeiteischaft entschlossen war, die Arbeit nit niederzulegen, und ferner in der rücksihtslosen Be- handlung, die diese arbeitêwilligen Teile der Arbeiterschaft von allen streikenden Arbeitern zu erfahren gehabt haben.

Meine Herren, daran möchte ih voch eine Bemerkung anknüpfen. Jh habe es ausdrüdcklih abgelehnt, durch ein besonderes Geseß, welches das Streikpostenstehen verbietet, hier einzugreifen, weil ih ei solches Eingreifen für erfolglos und ergebnislos halten würde. Aber, meine Herren, gerade die Vorgänge im Ruhrrevier bewetsen do, daß diejenigen recht haben, die in erhöhtem Maße über die Belästigung der Arbeits- willigen klagen, und zwar sind das niht bloß Arbeitgeber, nicht bloß Behörden und Beamte, sondern es sind in ganz außerordentlihem Maße tie von diesen Belästigungen getroffenen Arbeiter selbst. Es {ist im vorigen Frühjahr kaum ein Tag vergangen, wo niht Stöße von Depeschen bei mir eingegangen sind, wo niht Deputationen bei mir gewesen sind, die um Schutz gegenüber den Ausfchreitungen der Streikenden gebeten haben. Meine Herren, wo Rauch ift, pflegt au Feuer zu sein, und wir haben gewiß die Pflicht, diefes Feuèr zu be- kämpfen. (Sehr richtig! rechts.) Und Sie haben gewiß keine Be- rechtigung, fich über sharfmacerishe Tendenzen bei der Regierung oder bei den Arbeitgebern oder bei anderen Parteien zu beflagen, wenn wir diesen Uebelständen, die sh grade bei dem Streik im Ruhrrevter wieder gezeigt haben, unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

Meine Herren, dazu möchte ih noch eine kurze Bemerkung machen. Wenn alles das passiert, wenn diefer Ruf nah einer Be- \chränkung der Koalitionsfreiheit immer stärker au in diesem Hause ertönt, so tragen Sie allein die Schuld. (Lachen bei den Sozials demokraten.) Meine Herren, aus einem sehr einfachen Grunde: niemand wird angefochten, niemand wird angegriffen, niemand gibt Anlaß zu Beschwerden, wer die ihm zustehenden Rechte in einer Weise ausübt, daß nit die Rechte anderer, die Fretheit und das Selbstbestimmungsrecht, die Gesundheit und das Leben dritter beein- trächtigt weiden; wenn Sie, was Sie bei der wunderbaren Disziplin Fhrer Leute sehr wohl könnten, dahin wirken wollten, daß die Händ=- habung der Streiks und ihre Durchführung sich in Formen bewegten, die die Freiheit anderer unangetastet lassen, die nit zahlreiche Konflikte mit dem Strafgesetz herbeisührten, dann würde keinem Menschen in diesem Hause au nux der Gedanke kommen, nah Einschränkung der Koalitionsfretheit zu rufen. (Sehr richtig! Lachen bet den Sozial- demokraten.) Das, meine Herren, möchte ih bei dieser Gelegenheit mit allem Nachdruck feststellen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten : Lassen Sie die Polizei zu Hause!) Die Polizei war notwendig und mußte herbeigerufen werden und zwar in immer verstärktem Maße infolge der immer fortgesezten Klagen und Beschwerden der Arbeitswilligen. (Zurufe bet den Sozialdemokraten.)

Es ist das wieder einer von den Fällen ih habe {on öfter darauf hingewiesen —, in denen man mit Fug und Recht behaupten fann, daß ein Hindernis für eine gesunde und normale Fortführung unserer Sozialpolitik bei Ihnen (— nah links gewendet —) liegt, in der Art, wie Sie Ihre vermeintlihen Rechte verfechten, und in der Art, wie Sie Jhre vermeintlihen Rechte verquicken mit utopischen politishen Forderungen. Ih werde auf diesen Punkt noch einmal zurückommen.

Ih glaube, ih babe damit die Frage des Koalitionsrehts, saweit es im Rahmen der heutigen Debatte liegt, erschöpfend behandelt, und ih komme nunmehr auf einige Ausführungen, die der Herr Abg- Fischer auf dem Gebiete der Sozialpolitik imm allgemèinen gemacht hat. -

Nun, metne Herren, ich war darauf gefaßt, daß der Regierung der Vorwurf der Untätigkeit, mangelhaften sozialen Verständnisses

} und dergleihen mehr gemacht werden würde. Ich war aber gespannt Nun bin ih nach wie vor der Meinung, daß in der Hauptiäße

auf die Begründung dieser Vorwürfe, und ih muß sagen: mich hat die- Begrüadung dieser Vorwürfe eigentli enttäuscht. Wenn man aus den Ausführungen des Herrn Abg. Fischer die pikanten Momente ausschaltet,

aus dem Umstande ergaben, daß thm ein Teil der Kor- spondenz zwischen mir und dem Herrn Minister des Innern über j¿ Wahlurnen auf den Tisch geflogen war, bleibt verhältnismäßig nig übrig; denn wesentli auf diese Korrespondenz, die einen ganz deren Gegenstand behandelt, baut der Herr Abg. Fischer die Vor- sung, daß das Reichsamt des Innern, die Reichsregierung unfähig j, irgend cine Aktion auf fozialpolitisGem Gebiete zustande zu

Mingen, weil fie in völliger Abhängigkeit von dem preußischen

ylizeiminister set, daneben will er dann unsere Unfruchtbarkeit be- eisen, indem er im wesentlihen 6 Punkte von untergeordneter Be- utung hervorhebt. Er macht darauf aufmerksam, daß die [beitsverhältnisse in der Biunenschiffahrt, in der Haus- dustrie, in den Wasch- und Plättanstalten geregelt werden hússen, und daß die Nachtarbeit der Bäcker und die mntagsarbeit im Handelsgewerbe abgeschafft werden müsse.

Jh habe das Stenogramm der Rede niht hter, y zitiee den „Vorwärts“ in seiner Nummer vom

4, Januar d. J, Er macht ferner aufmerksam auf das Fehlen cines Reichsberggeseßes und hebt bésonders hervor, daß die nfruchtbarkeit der Neichsregterung auf fozialpolitishem Gebiete fich hrin zeige, daß die Zahl der Verordnungen, die wir auf Grund des | 1206 der Gewerbeordnung von Bundesrats wegen erlassen, von kahr zu Jahr geringer wird, respektive in legter Zeit überhaupt der- tige Verordnungen niht mehr ergangen seien. Auf den letzteren unkt werde ih nachher zurückommen.

Ih möchte vorweg mit wenigen Worten auf die einzelnen Punkte ingehen, die der Herr Abg. Fischer als besonders belastend hervor- ehoben hat. Er hat getadelt, daß in der Ordnung der Arbeits- verhältnisse auf dem Gebiete der Binnenschiffahrt noch nichts p hehen sei. Das ist richtig. Ich habe im vergangenen Jahre und d hon früber darauf hingewiesen, daß die zahllosen Verhand- Ingen und Ermittlungen, die wir veranstaltet haben, immer zeigt haben, wie verschieden die Verhältnisse der Binnenschiffahit

den einzelnen Provinzen und Stromzebieten liegen, sodaß tine generelle Regelung auf Grund des § 1206 der Gewerbeordnung ur einige allgemeine Vorschriften und Bestimmungen würde enthalten men. Ich have hon im vorigen Jahre darauf hingewiesen, daß uter diesen Umständen es zweckmäßtg fei, stromgebietweise vorzugehen, ß insbesondere für das Stromgebiet des Rheins, wo zweifellos Nißstände bestehen (sehr richtig!) und diese am ersten beseitigt werden innen, zunächst eine Regelung in Aussicht genommen wird. Hierüber aben inzwischen Verhandlungen mit Reedern und Schiffsleuten unter Mitwirkung der Vertreter der beteiligten Regierungen \tattgefunden, ud ih bin jegt dabei, mit den einzelnen Bundesregierungen das Ma- {rial zu bearbeiten, um auf Grund der roch zu treffenden Verein- krungen gegebenenfalls zu etner Regelung für den Rhein zu gelangen.

Es ist uns dann vorgeworfen worden, daß wir auf dem Gebiete hr Heimarbeit noch nichts getan haben. Das Gefeß über die \elmarbeit ist am 1. April 1912 in Kraft getreten und erfordert zu iner Durchführung eine ganze Reihe vorbereitender Anordnungen. nächst find die §8 3 und 4 noch nicht in Kraft getreten; ihre In- fastsezung ist etner Allerhöchsten Verordnung vorbehalien und kann iht erfolgen, bevor nicht über die Anträge auf Be- fung von den Bestimmungen des § 34 entschieden ist- G liegen 16 derartige Anträge vor. Sie sind in der Bearbeitung. Crt wenn die Entscheidung ergangen ist, werden wir in der Lage sein, die §88 3 und 4 in Kraft zu setzen. Meine Herren, ih habe bei der Verabshiedung des Gesetzes darauf aufmerksam gemacht, daß es mzwéckmäßig wäre, dem § 34 die Gestalt zu geben, die er erhalten hat. Jh würde es für rihtiger gehalten haben, wenn man umgetehrt pro- jdiert hätte. Jch lehne die Verantwortung dafür ab, daß die tech- nische Ausgestaltung des Gesetzes es mir erschwert, cine frühere In- {nfttretung des Paragraphen herbeizuführen.

Dann, meine Herren, ist wohl das Wichtigste in dem Gesey die Bildung von Fahaus\chüssen. Die Bildung von Fachauétschüssen hat der Buudesrat anzuordnen: aber es liegt in der Natur; der Dinge daß die Anregungen dazu zweckmäßig von den Bundesstaaten aus- gehen, die au die Kosten zu tragen haben. Soweit aber bei mir An- träge eingegangen sind es handelt si meines Wissens bisher nur um einen Antrag aus der Konfektionsindustrie in Berlin —, sie sofort an den betreffenden Bundesstaat, in diesem Falle Preußen, mit der Vitte um Acußerung und eventuelle Anträge abgegeben worden. Es haben auch, in Preußen von Amts wegen, umfassende Erhebungen darüber stattgefunden, für welche Zweige und an welhen Orten Fach- ausshüsse zu bilden sind, und nah meinen Informationen wird der preußische Herr Handelsminister wahrscheiniich demnächst mit einer größeren Anzahl von Anträgen auf Einrichtung von Fachausschüssen an den Bundesrat herantreten. Im preußischen Etat von 1913 ift tine nit unbeträchtlihe Summe für die Kosten der Fachausschüsse eingeseßt, und ih nehme an, daß als erster unter den Anträgen, die zur Erörterung {stehen und, wie ich hoffe, im positiven Sinne ent- shieden werden, der Antrag der Konfektiontindustcie aus Berlin stehen wird, Zur Ausführung der Bestimmungen über die Fachausshüsse sind selbftverständlih auch noch Ausführungsvorschriften erforderli. Diese sind in Arbeit. Sie werden voraussichtlich fertig sein, wenn die Anträge der Bundesstaaten an den Bundesrat gelangen.

Dann meine Herren, enthält das Heimarb eitsge seß besondere Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und der Sittlichkeit. Im Vordergrund stehen hier die Verhältnisse der Zigarren-Haus- arbeiter. Hier ist von mir das Erforderliche veranlaßt. Wir sind babei, Anordnungen vorzubereiten, die im wesentlichen diejenigen Be- stimmungen enthalten, welhe in dem Geseßzentwurf über die Heim- arbeit in der Tabakindustrie seinerzeit enthalten waren. Sobald die Gutachten der Bundesregierungen vorliegen, wird mit dem Erlaß dieser Bestimmungen vorgegangen werden; ih glaube, daß ihrer Ver- abschiedung erheblihe Schwierigkeiten nicht im Wege stehen werden.

Es sind dann Gegenstand besonderer Untersuhung die Verhält- nisse in der Thermometer-Hausindustrie in Thüringen gewesen. Db hier ein Einschreiten aus Gründen der Gesundheit noch notwendig ist mit Rücksicht auf die veränderten Betriebéverhältnisse, ist noch eine offene Frage.

Dann, meine Herren, is besonders moniert worden, daß die Regelung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen und jugendlichen Ar-

beiter in der Wäsche- und Plättindustrie noch niht weiter -

so:tgeschritten ist. Es t richtig, daß hier ein Eingreifen in Frage kommt. Die erforderlihen Vorbereitungen sind getroffen. Ich kann aber damit nit eher hervortreten, als bis die Bestimmungen über die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in

Motorbetrieben in Kiaft getreten sind. Ih nehme an, daß diese Bestimmungen demnächst verabschiedet sein werden. Dann werden auch die Wäscherinnen und Plätterinnen zu ihrem Rechte kommen,

Es ist dann über die Nachtarbeit in den Bäckereien geklagt worden. Ich habe mi über diesen Fall wiederholt geäußert. Wir sind, soweit ih das übersehen kann, in der Beschränkung der Arbeits- zeit und der Sonntagsarbeit in den Bäckereien an die Grenze des Möglichen gegangen und jedenfalls zurzeit sowohl mit Nüksicht auf die Gewohnheiten des Publikums, wie auch auf die Bedürfnisse der Betriebe nicht in * der Lage, weiter zu gehen, Ob ein Gewerbeaufsichtsbeamter, wie gestern behauptet worden ist, weitergehendere Bestimmungen, insbesondere die Beseitigung der Nahtarbeit auf Grund besonderer Verhältnisse seines Bezirks für zu- lässig erklärt hat, weiß ih nit. Aber vorläufig wird es bei den bisher erlassenen Bestimmungen bleibèn müssen. Es wird auch hier wie auf zahlreihen anderen Gebieten, wenn si diefe Vorschriften ein- gebürgert haben, von selbst die Möglichkeit und der Drang ergeben, weiter einshränkend vorzugehen. Das wird aber im vorliegenden Falle abgewartet werden müssen. Die Verhältnisse liegen hier außer- ordentli \{chwierig. Es find hier niht bloß zu berücksichtigen die Interessen der Arbeiter, sondern au ganz befonders die keineswegs leiten und einfachen Verhältnisse der Bäckerméister, namentlich in den ganz kleinen Betrieben.

Dann ist besonders betont worden, daß die Regelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe noch nicht erfolgt ist. Ih habe bereits in der Budgetkommission auseinandergescßt, woran das ltegt, daß der Gesegentwurf noch nit an das hohe Haus gelangt ist. Er liegt tm Bundesrat, und ih hoffe, daß es mir bald gelingen wird, ihn in Ihre Hände zu bringen.

Nun i ferner Veshwerde geführt über eine unzureihende Tätigkeit des Neichsamts des Innern mit Rücksicht auf die Arbeitsverhältnisse in der {weren Eisenindustrie. Meine Herren, ich vermag kaum anzuerkennen, daß hier mit irgendwelhem Necht ein Vorwurf erhoben werden kann. Die Verbältnisse sind erst vor kurzer Zeit durch die Bekanntmachung vom 19. Novembcr 1908 geregelt. Die fraglihen Bestimmungen sind in ihrer Wirkung erst auf zwei volle Kalenderjahre zu übersehen, und es würde nach meiner Meinung voreilig und unrichtig sein, wenn man an dieser Verordnung etwas änderte, ehe man übersehen kann, wie fie gewirkt hat und wie weit diese oder jene zugunsten der Betriebe in der Verordnung enthaltene Bestimmung entbehrt oder eingeshränkt werden kann. Die Bekanntmachung von 1908 hat den Zwel, erst einmal Aufklärung zu gewinnen über Arbeitszeit und Ueberstunden- wesen in der Großeisenindustrie. Zweiiens sollte versuht werden, au den Arbeitern während der Arbeit feste Erholungspausen und etne Mindestruhe zwischen zwei Schichten zu geben. Das ist geschehen. Gndlich hatten wir erwartet, daß der Zwang auf die Betriebs- leiter, ch mit der Ueberarbeit der einzelnen Arbeiter eingehend zu beschäftigen, indirekt zu. einer Einschränkung der Ueber- arbeit führen würde aus dem Grunde, weil mir bei den persönlichen Ermittlungen, die ih über dieïe Dinge angestellt hatte, wiederholt die Erfahrung entgegengetreten ist, daß die Betriebsleiter, die ih um Ermittlung über diese Verhältnisse in den betreffenden Betrieben gebeten hatte, mir- sagten: wir haben die Ermittlung angestellt und sind erstaunt, daß viel mehr Ueberarbeit im Werke s\tattfindct, als wir es für zweckmäßig und nüßlich halten. Nun, meine Herren, ih will auf Einzelheiten niht eingehen, die fh aus den vorgeschriebenen Verzeichnissen ergeben haben. Jm großen und ganzen darf man als Erfolg der Verordnung von 1908 fest- stellen, daß wir in weitgehender Weise Klarheit über die Arbeitszeit und die Ueberstunden in der Großindustrie gewonnen haben, daß wir ferner für die Arbeiter ein bestimmtes Mindestmaß an Ruhe und eine Mindestruhezeit zwisden zwei Schichten gegeben haben. Jch möchte dazu autdrücklih bemerken, daß durch diese Bestimmungen tatsächlih für die Arbeiter eine regelmäßige Arbeitszeit von 10 Stunden fest- gesetzt ist, das ist mehr, als meines Wissens in irgendeinem Staate des Auélands bis jeyt der Fall gewesen ist, wo die 12 stündige Arbeitszeit ohne feste Pausen bis vor kurzem jedenfalls allgemeine Norm gewesen ist. Nicht erfüllt ist allerdings meine Erwartung, daß die Vorschrift, Auf» zeichnungen über die Ueberarbeit zu führen, indirekt zu ciner Ver- ringerung der Ueberstunden führen würde, sondern es ist wohl als zweifellos festzustellen, daß eine Verringerung nicht eingetreten ift. Stellenweise ist eine Steigerung zu vermerken, wobei es aber zweifelhast sein mag, ob diese sheinbare Steigerung tatsählih in einer Vermehrung der Anforderungen an die Arbeiter und niht nur in der Art der Ausmachung der Statistik ihren Grund hat.

Nun sind ja eine Reihe von Wünschen auf Abänderung der Verordnung an mi gelangt. Diese Wünsche werden geprüft, und ih werde unter Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ins- besondere über drei nah meiner Ansicht wichtige Fragen Erhebungen anstellen. Das ist erstens die Frage, ob in Zukunft ganz davon ab- geschen werden kann, kürzere Arbeitsunterbrechungen auf die Pausen anzurechnen, oder ob diese vielleicht _nur zur Hâlfte anzurchnen sind; das ist weiter die Frage, ob die bisher den höheren Verwaltungs- behörden übertragene Befugnis, eine Verkürzung der Hauptpause bis auf eine halbe Stunde zu bewilligen, eingeshränkt oder aufgehoben werden fann; und das ist endlich die Frage, ob eine Aufhebung der Mindestrubezeit sowie die Gewährung einer längeren Ruhezeit für die zu längerer Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter durchführbar ist. Ob sich diese Forderungen erfüllen lassen, kann ih heute nicht übersehen. Ich habe durch persönliche Erkundigungen den Eindruck gewonnen, daß \{on die Verordnung von 1908 für einen großen Teil der Arbeiter fehr starke wirtschaftlihe Eingriffe enthielt, und daß wir niemandem, am wenigstem dem Arbeiter, genüßt hätten, wenn wir 1908 weiter gegangen wären. Ob das jeßt möglih sein wird, werden ja die Ermittlungen zeigen. Jedenfalls wollen die Herren daraus freundlihst entnehmen, daß au auf diesem Gebiete unsercr- seits gearbeitet ist und, wie ih hoffe, niht ohne Erfolg

Nun möchte id mir aber noch einige allgemeine Betrachtungen erlauben. Es ist {on im vergangenen Jahre von der äußersten Unken beklagt und als ein Mangel angesehen worden, daß so wenig Bundesratsverordnungen auf Grund des § 1206 der Gewerbe- ordnung erlassen werden. Es liegt hier aber so, wie auf dem Gebiete unserex Sozialpolitik überhaupt. Wir haben eben einen großen Teil der in Betracht kommenden Gewerbezweige und Betriebe gefeßlih und im Wege der Bundesratsverordnungen geregelt und find nicht in

solde Regelung notwendig ist, oder die cine folche Negelung vertragen

können. j

Ih möchte mit einigen Worten auf unsere Sozialpolitik

im allgemeinen kommen. Der Herr Abg. Fischer hat meines Wissens

nur das Fehlen eines Geseßes über die Sonntagêruhe im Handels8-

gewerbe beklagt. Das wundert mi gar nit; denn wir haben auf

dem Gebiete der Sozialpolitik eine so umfassende gesetzgeberise

Tätigkeit im Laufe der legten 25 Jahre entfaltet, daß cine gewisse

Nuhepause eigentli selbstverständlich ist. Wir haben die Kranken-

versicherung durchgeführt und haben sie neuerdings auf die landwirt-

wirts{aftlihen, die Heimarbeiter und die unstäntigen Arbeiter aus-

gedehnt. Wir haben die Unfallversicherung durchgeführt. Wir haben

die Invaliden- und Altersversiherung durhgeführt. Wir haben

die Versorgung der Hinterbliebenen durchgeführt. Ob end-

gültig, das ist eine andere - Frage. Jedenfalls sind die Be-

stimmungen noch gar nicht in Krafl getreten. Ich frage Sie, meine

Herren: wo soll denn auf dem Gebiete der Arbe iterversicherung

noch etwas herkommen? Daß ih im Laufe der Jahre in diesen oder

jenen Punkten Erweiterungen ergeben können, ist ja möglih. Aber

daß wir auf dem großen Gebiete der Versicherungegeseßgebung vor-

läufig einmal Schluß machen und abwarten müssen, wie sich die er-

heblihen Erweiterungen dieser Geseße, die im Fahre 1911 ver-

abiciedet worden sind, bewähren werden, das ist do ganz selbst-

veiständliG. Wir find über die unserer Versicherung ursprüglih

gesteckten Ziele \chon hinausgegangen mit der Versicherung

der Angestellten, indem wir hier ganz andere Kreise der

Bevölkerung in die Zwangsversicherung hinetngezogen haben.

Auch bier sind wir nah meiner Ansicht annähernd bis an die Grenze gegangen, daß man darüber streit:n fann, ob die Höchstgrenze des Einkommens, die zu der einen oder anderen Versicherung berechtigt oder von dieser Versicherung autschließt, richtig gegriffen ist, daß wir im Laufe der Jahrzehnte, bei anderen wirtschaftlichen Verhältnissen, bei veränderter Kaufkraft des Geldes und dergleichen mehr diese Grenze verschieben können, ist selbstverständlich mögli. Aber vorläufig ist do hier ein gewisser Abschluß geschaffen. |

Die geseßlichen Bestimmunyen, die dem Schuße von Leben und Gefundheit der Arbeiter dienen, sind in bestimmten Perioden immer mebr erweitert worden. Die ursprünglich im § 120 der Ge- werbeordnung enthaltenen Vorschriften sind nah und nach erweitert, Es sind beispielsweise hinzugetreten die Bestimmungen über die Bor- beugung gegen Gefahren für Anstand und Sittlichkeit namentlich für weibliche und jugendliche Arbeiter; es ist hinzugetreten das Gese über den Kindershug, es sind hinzugetreten besondere Bestimmungen über die Beschäftigung von Arbeiterinnen auf Bauten und in Kokereien, es sind die Schußbestimmungen im Bergbau, in Auf- bereitungsanstalten, in Steinbrüchen usw. erweitert worden. Kurzum, meine Herren, au auf diesem Gebiet haben wir immer weltere Kreise gezogen. Wir haben allerdings tn cinem Punkt bewußt Halt gemacht, haben Grenzen gezogen, an denen wir meiner Ansicht nah auch bis auf weiteres festhalten müssen. Wir haben bei erwachsenen Arbeitern nur einen sanitären Maximalarbeitstag cingeführt, aber einen all- gemeinen geseßlihen Maximalarbeitètag abgelehnt. Dabei wird es bleiben müssen. Das find Dinge, die füc die einzelnen Industrien der Entwicklung und der Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorbehalten bleiben müssen.

Nun möchte ich noch einmal auf § 1206 der Gewerbe- Ædnung zurückkommen. Es ist mir wiederholt begegnet, daß man die Zahl der Anordnungen, die auf Giund des § 120 e der Gewerbe- ordnung erlassen sind, als einen Maßstab für unsere Fürsorge für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter ansieht. Es gibt einzelne Länder ich glaube, England gehört dazu —, in denen sih diese Beslimmungen in allgckmein gültigen Grundsäßen kon- zentrieren. Wir haben dagegen das ist ein Vorteil unferer Gesetzgebung ein viel weiter geglied:rtes System. Neben dem Bundesrat können die Landeszentralbehörden Verordnungen érlassen, es können weiter von den Landesbehörden die- jenigen, welWhe zun Erlaß von Polizeiverordnungen berufen find, Polizeiverordnungen erlassen. Damit erschöpft sich Î die Möglichkeit noch gar nicht. Es kommt hinzu, daß in den Bestim- mungen des § 16 der Gewerbeordnung der, man kann wohl sagen, älle Betriebe, die mit besonderen Gefahren für die Gesundheit der Arbeiter verknüpft sind, genehmigungspflichtig mat, die Möglichkeit gegeben ist, bei Erteilung der Konzession umfassende Vorschriften zum Schutze der Gesundheit der Arbeiter zu erlassen, und davon ist in weitestem Umfange Gebrauch gemacht worden, Um nun die An- órdnungen, welche die Landeszentralbehörden und die Polizeibehörden érlafsen, die ih habe das vorhin noch übergangen jede einzelne Polizeibehörde neben den allgemeinen Anordnungen individuell für den einzelnen Betrieb erlassen kann, auf gleiche Grund- säße zu bringen, hat sch der Herr Reichskanzler unaus- gesezt angelegen fein lassen, Grundzüge festzustellen, die ein- mal einen Anhaltspunkt für die Maßnahmen geben sollen, die bei der Erteilung von Konzessionen auf Grund des § 16 der Ge- werbeordnung zu treffen sind, die zweitens den Polizeibehörden Anhaltépunkte für die individuelle Behandlung eîäzelner Betriebe und \chließlih den Landetzentralbehörden Anhaltspunkte für etwaige all- gemeine Anordnungen geben sollen. Dadurch, daß diese An- ordnungen vorher im Wege der Vereinbarung mit den anderen Bundesstaaten erörtert sind, haben wir erreicht, daß im wesent- lien nah den gleihen Grundsäßen im Reiche verfahren wird. Wir haben auch auf der anderen Seite den Erfolg gehabt, daß indivi- dualisiert wird, daß man nicht Betriebe, die bestimmte Einschrän- fungen nit brauchen und niht vertragen können, unter allen Um- ständen sol&en Bestimmungen unterwirft, daß wir aber auf der anderen Seite iy, der Lage find, besonders gefährlihe Betriebe, Be- triebe mit besondèren Schwierigkeiten au in der vollen Schärfe zu fassen, fester zu fassen, als es möglich sein würde, wenn wir uns ledigli beschränken, Anordnungen auf Grund des § 1206 zu er- lassen; diese allgemeinen Anordnungen können, so wie es sich im großen deutschen Vaterland um sehr verschiedenartig liegende Ver- bältnissé handelt, oft nit sehr viel mehr enthalten, als hon nach 8 120 a der Gewerbeordnung und den folgenden Paragraphen zu gelten hat. :

Nun, meine Herren, möchte ih hier einige Zahlen geben. Ih verwabre mi aber ausdrücklih dagegen, daß ih etwa das Maß der \sozialpolitishen Tätigkeit cines Landes und einer Regierung messen will na Quadratmetern des bedruckten Papiers. Aber immerhin ist

der Lage, jedes Jahr neuc Gebiete heranszufinden, bei denen etne

nit uninteressant, was ih Jhnen jeyt mitteile, Auf Grund des

S E T I U U M T E. (29. O wr E UR 5: ca o T E C ar er e Seh Sra Uke: aorrigé

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